Briefspiel:Im Auge des Chaos/Isyahadin
|
1. Namenloser, Isyahadin
Familie Lysandros
Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Die Praiosscheibe hatte gerade begonnen den Horizont hinabzusinken und er hatte hier hinter seinem Schreibtisch gesessen und über die Worte seines Gegenübers nachgedacht. Lange und ausführlich hatte er darüber nachgedacht, doch egal wie er es drehte und wendete, die Schlussfolgerung blieb immer dieselbe. Es war eine bittere Erkenntnis. Eine, die besonders schmerzlich für ihn war, denn sie hatte etwas mit der Frau zu tun, die er von Herzen liebte.
Da trat jemand ein. Aerelaos Lysandros hob seinen Blick, erkannte seine Gattin und musterte diese.
„Liebster“, begrüßte diese ihn freudig und ein vielsagendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Aus ihren tiefblauen Augen blickte sie ihn an. „Was gibt es, dass du unbedingt mit mir alleine zu besprechen hast?“
Einen Augenblick lang glitten seine Gedanken nach Rethis zurück. Ach, dachte er, warum waren sie nicht einfach dort geblieben? Warum nur? Noch weiter glitten sie zurück. Er dachte an ihren ersten gemeinsamen Abend. An ihren ersten Kuss. Es war doch nur ein einziger Kuss gewesen. Ein einziger, nahezu unschuldiger Kuss und doch hatte dieser alles verändert. Er holte Atem und erklärte: „Serafanos Thirindar hat mir einen Besuch abgestattet.“
„Ach“, machte die Degano da nur und trat zum Schreibtisch, „Sieh mal einer an. War das nicht zu erwarten?“ Sie goss sich einen Becher Wein ein, roch anschließend daran, verzog eine Miene und stellte den Becher wieder auf den Tisch ab. „Rethisina“, murrte sie nur angewidert und schüttelte sich, „Er war nicht zufällig auf der Suche nach Verbündeten?“
Noch immer ruhte sein Blick auf ihr. Er nickte und erklärte: „Ganz recht.“
„Darf ich raten?“, sie griff nach dem Becher, setzte sich ihm gegenüber auf einen der Stühle, nahm nun doch einen Schluck des Weines und verzog angewidert ihr Gesicht. Sie war so entsetzlich durstig, dass sie sogar dieses widerliche Gesöff, das die Zyklopäer doch frecherweise tatsächlich als Wein bezeichneten, trank. „Er will ein Bündnis mit uns und bietet uns dafür Macht, Einfluss und Ämter.“
Er nickte. Da lachte sie und schüttelte ihren Kopf. „Was für ein Idiot!“, meinte sie da nur, „Wie er nur davon ausgehen kann, dass das funktioniert.“
Nun blickte er sie fragend an.
„Na ja“, meinte sie da und nahm noch einen Schluck, „Medeia sagte, dass seine Söldlinge mit den Hylailer Seesöldnern zusammenarbeiten. Es ist also davon auszugehen, dass er bis zum Hals im Dreck steckt, natürlich sucht er da Leute die ihm heraushelfen. Und wer wäre da besser geeignet als die eigenen Landsleute?“
„Hm“, machte er da nur und musterte sie skeptisch, „Das Haus Thirindar ist bei uns sehr angesehen, Alesia, vergiss das nicht. Sie sind ehrbar, getreu und solide.“
Sie seufzte schwer und zog die Augenbrauen nach oben: „Immerhin scheinen sich die Hylailer Seesöldner nicht an den Kämpfen in der Stadt zu beteiligen, ansonsten sähe es wohl inzwischen ganz anders aus. Mir würde es allerdings nicht behagen zu den Namenlosen Tagen dort draußen auf See zu sein...“
„Vermutlich behagt es ihnen auch nicht, aber sie haben verstanden, dass der Zorn der Götter keine Unschuldigen getroffen hat“, entgegnete er ihr mit fester Stimme und unbeugsamen Blick..
„Ja“, meinte sie da nur kopfschüttelnd, „Mir ist nicht entgangen, dass manche von euch Zyklopäern eine gewisse Genugtuung angesichts der Ereignisse und auch der Streitigkeiten empfinden.“ Sie schenkte ihm einen langen, vielsagenden Blick und war sich absolut sicher, dass auch er zu diesen Zyklopäern gehörte.
„Wer den Zorn der Götter auf sich zieht“, damit hob er mahnend seinen Zeigefinger und deutete in Richtung Residencia, „der sollte nicht um Gnade bitten, sondern nur demütig sein Haupt senken“ Er senkte sein Haupt. „und erdulden.“
„Das ist wie der Rethisina hier“, sie schwenkte den Becher, „Ungenießbar für uns Festländer.“ Einen Augenblick hielt sie inne. „Keiner von uns erduldet oder erträgt. Wir sind es gewohnt unser Leben in unsere eigene Hand zu nehmen und nicht alles ausschließlich den Göttern zu überlassen. Was wir schufen, schufen wir aus unser selbst Willen, weil wir uns nicht mit dem begnügen wollten, was uns bereits gegeben war.“
„Und was ihr von eurer Art, immerzu mehr zu wollen, habt, dass haben euch die Götter bereits im Phex deutlich gezeigt. Erkenntnis hat jedoch bei keinem von euch eingesetzt. Stattdessen habt ihr alle so weitergemacht wie bisher und was haben wir nun davon?“
Angespannt leckte sie sich über die Lippen: „Was willst du damit sagen, Aerelaos?“
„Mehr und mehr begreife ich, dass du die Art wie wir leben einfach nicht verstehst“, musste er sich eingestehen, „und mehr noch, einfach nicht verstehen willst, dabei könnte die zyklopäische Lebensart für Efferdas ein großer Segen sein. Es gäbe Frieden und Wohlstand. Für alle.“
„Hat dir das der Thirindar eingeredet?“, wollte sie daraufhin wissen.
„Nein“, ganz langsam schüttelte er seinen Kopf, „Aber er hat gesagt, dass du das sagen würdest.“
Da seufzte die Degano schwer, stellte den Becher Wein ab und blickte zu ihrem Gatten: „Glaubst du wir schaffen es mit der Lysia an den Hylailer Seesöldnern vorbei aus dem Hafen heraus?“
Er lachte kehlig: „Am Eingang der Bucht liegen zwei zyklopäische Triremen. Selbst wenn wir einen Augenblick abpassten, an denen die Riemen nicht besetzt wären, die Geschütze sind es gewiss. Binnen weniger Augenblicke hätten sie mindestens ein riesiges Loch in den Rumpf der Lysia geschossen und sie würde sinken. Und in dem unwahrscheinlichsten Falle, dass gerade niemand da sein sollte, der uns Löcher in den Rumpf schießen kann, so würden ihre Triremen im Handumdrehen unsere Bireme einholen und wenn sie uns in voller Fahrt seitlich rammen wird die Lysia auseinanderbrechen.“
„Hm“, machte sie, griff nach dem Becher und nahm einen kräftigen Schluck des für sie viel zu bitteren, harzigen Weines, „Klingt äußerst riskant.“
„Das ist es“, bestätigte er, „Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass wir ausreichend geübte Ruderer fänden, die sich auf so einen Wahnsinn einließen.“
Sie atmete schwer und nickte nachdenklich: „Wohl wahr, wohl wahr.“
„Es sind eben keine Belhankaner Schiffe“, fügte er hinzu, „Eine Karavelle oder dergleichen könnte man bei Flaute gewiss mit der Ruderkraft einer Bireme überlisten. Mit voller Besetzung und so wenig zusätzlicher Last wie möglich, wäre das gewiss denkbar, obgleich auch reine Segelschiffe natürlich Geschütze haben, doch in einem guten Augenblick...“ Er hielt einen Moment inne. „Abgesehen davon, was wäre dein weiterer Plan?“
„Die Schiffe der di Camaros suchen. Im Efferd-Tempel sagte man mir, dass sie irgendwo in der Zyklopensee kreuzen“, sie deutete auf die See hinaus.
Er lachte: „Vielleicht ist dir das nicht ganz klar, aber die Zyklopensee ist verdammt groß, Alesia. Wie willst du sie finden?“
„Die Götter werden mir beistehen“, lautete ihre Antwort trotzig, dabei reckte sie das Kinn stolz nach oben, ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht eingestehen wollte, dass sie keinen richtigen Plan hatte, „Ich kann doch nicht einfach nur abwarten und nichts tun?“
„Das verstehe ich“, versicherte er ihr da, „Aber was dir vorschwebt, wird so nicht funktionieren. Das wird Menschenleben kosten und die Lysia obendrein und alle die es überleben, werden ganz sicher der Komplizenschaft bei der Verschwörung angeklagt werden.“
„Verschwörung“, spottet sie da nur, „Es gab nie eine Verschwörung, verstehst du das? Das ist alles nur dummes Geschwätz.“
„Es gibt eindeutige Beweise, Alesia“, widersprach er ihr.
Sie lachte: „Welche denn? Mir sind keine bekannt.“
„Eindeutige Beweise, die bei einem Prozess im Namen des Herrn Praios offen gelegt werden. Serafanos war dahingehend sehr eindeutig.“
„Serafanos?“, wiederholte sie kehlig und starre ihren Gatten mit einem abschätzigen Blick an, „Serafanos also?“
„Ja, Serafanos“, bestätigte er und nickte erschreckend langsam, „Wenn es nach ihm geht sollen die Verschwörer baldmöglichst ihrer gerechten Strafe zugeführt werden – dem Herrn Praios zum Wohlgefallen.“
Da war sie wieder, die Ergebenheit dem Götterfürsten gegenüber, etwas das Alesia bis zum heutigen Tag nicht verstand. Wie konnte ein Schiffbauer den Herrn Praios über die Herren Efferd und Ingerimm stellen?
„Aerelaos“, hob sie so ruhig und gefasst an, wie sie es angesichts der derzeitigen Situation konnte, „Ich kann dir versichern, es gab keine Verschwörung.“ Ihre Worte untermalte sie mit einem sehr langsamen, aber deutlichen Nicken. „Meine Quelle ist sehr verlässlich und war dahingehend absolut eindeutig: Es gab keine Verschwörung um den Baron zu stürzen. Zumindest nicht vom Senat. Es scheint aber... hm... andere Kräfte zu geben, die wollen, dass jeder das denkt. Darunter auch dein Serafanos.“
Da änderte sich sein Verhalten plötzlich vollkommen. Finster blickte er sie an, verschränkte die Arme vor seiner Brust und verlangte zu erfahren: „Und wer genau hat dir das eingeflüstert? Dein Liebhaber? Bevor, währenddessen oder nachdem du dich mit ihm vergnügt und mich damit betrogen hast? Habt ihr über mich gelacht? Über den gehörnten Ehegatten?“
Fassungslos über die Worte ihres Gatten starrte sie ihn an, öffnete den Mund um diese unverschämten, vollkommen haltlosen Behauptungen zurückzuweisen und brachte doch kein einziges Wort über die Lippen. So klappte sie ihren Mund zu, presste ihre Lippen fest aufeinander und starrte ihn aus funkelnden Augen an. Er beobachtete sie schweigend. Sie schluckte schwer, hielt seinem Blick jedoch unbeugsam stand.
„Ich weiß alles, Alesia. Ich kenne jedes einzelne, widerliche Detail“, angeekelt blickte er zur Seite, „Du hast mich angelogen. Mich hintergangen. Mich betrogen. Du wirst dich an den Efferd-Tempel wenden und darum bitten, dort die verbleibenden Namenlosen Tage verbringen zu dürfen.“ Seine Stimme war kalt. „Deine Familie steht dem Launenhaften sehr nahe und für den Rest können sie sich einer großzügigen Spende sicher sein.“ Die Degano wurde zunehmend blasser. Zwar verstand sie, was hier vor sich ging, aber sie begriff es noch nicht recht. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Sobald sich die Situation in Efferdas beruhigt hat, werden wir über deine Zukunft sprechen.“ Das klang wie eine Drohung in ihren Ohren. „Bis dahin wünsche ich nicht, dass du mir unter die Augen trittst. Ich werde dich zu gegebener Zeit aufsuchen.“
Alesia schaute ihn nur an. Regungslos, wobei nahezu regungslos. Nur das Glitzern in ihren Augen und das Zittern ihrer Hände wurde kontinuierlich mehr. Einen Moment dachte sie darüber nach, wie sie ihrem Gatten von diesem Wahnsinn abbringen konnte, doch dann begriff sie, dass er ihr kein einziges Wort mehr glaubte. Ganz gleich was auch immer sie sagte, wie sehr auch immer sie beteuerte, die Anschuldigungen zurückwies, er würde sie doch nur mit diesem kalten Blick mustern und ungläubig seinen Kopf schütteln. Und mehr noch: Wie hätte sie auch glaubhaft versichern, vielleicht sogar schwören können, gänzlich unschuldig zu sein, wo sie es doch gar nicht war?
Auf dem Absatz machte sie kehrt. Eine Träne rann ihr über das Gesicht.
„Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich trotz allem noch so sehr liebe, dass ich mit Serafanos besprochen habe deine Rolle bei der Verschwörung unter den Tisch fallen zu lassen“, erklärte er ihr verbittert, „Trotz allem.“