Briefspiel:Im Auge des Chaos/Isyahadin
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1. Namenloser, Isyahadin
Isyahadin
Isyahadin. Der Schenker des Irrsinns, der Nebel der Niederhöllen, der Verwirrer der Sinne. Und Tagesherrscher des ersten Namenlosen Tages.
Die meisten Menschen bemerken sein morgendliches Erwachen kaum, da sie Türen und Fenstern vernageln, damit bloß keine Verderbnis über die eigene Schwelle geraten kann. - Doch in diesem Jahr hatten die Bürger von Efferdas noch viel mehr Grund, ihre Fenster und Türen zu verrammeln.
Es mochte seit dem gestrigen Tag, als die Rondrikan-Löwen Jagd auf die Stadtbevölkerung machten ein wenig Ruhe eingekehrt sein, aber dieser war mitnichten zu trauen. Die Bewohner dieser Häuser warteten eigentlich nur darauf, dass die Schurken der d’Oros wieder auf die Straße geschickt würden, um erneut ihrem schändlichen Tageswerk nachzugehen. Als wäre der erste Namenlose nicht schon unheimlich genug.
Andere wiederum hatten die Nacht auf den Straßen des Stadtteils Sanct Parvenus verbracht. Sie bewachten einige Straßenblockaden, die sie notdürftig mit ein paar Möbelstücken der umliegenden Häuser errichtet hatten, um so den Weg der marodierenden Löwenmeute etwas Einhalt zu gebieten.
Zu diesen gehörte auch der junge Ole Beryllus. Er zählte gerade mal sechzehn Götterläufe. Er träumte eigentlich davon, in die Fußstapfen seines älteren Bruders Ennio zu treten und für die Rahjaica Hummer Delphinocco zu spielen.
Doch heute träumte er gar nicht. Er bewachte eben jene hölzerne Blockade und hatte sich dazu in einem Verschlag versteckt, von wo aus er die Straße gut im Blick hatte. Jetzt gerade war es ruhig. So lehnte er sich ein wenig zurück. Er war müde. Bald müsste seine Ablösung eintreffen. Die Verfärbungen des Himmels ließen erahnen, dass die Sonne bald aufgehen dürfte. Heute färbte sich der Himmel in Violetttöne. Ja fast purpurn, dachte er bei sich.
Ein entferntes Donnern ließ ihn aufschrecken. Vorsichtig kletterte er die Barrikade hinauf und erhaschte so einen Blick auf die Küstenlinie. Über dem Meer hatten sich dunkle Wolken zusammengezogen, aus der hin und wieder ein Blitz zuckte. Offensichtlich raste ein Gewitter auf die Stadt zu.
„Wie passend“, ging es Ole durch den Kopf. Es war eh viel zu warm für den Morgen, fast schwül. Und irgendwie wusste er, dass dieses ankommende Gewitter nur kurz für etwas Entspannung sorgen würde. Er begann einige Möbelstücke so umzustellen, dass sie ihm Schutz vor dem zu erwartenden Regen gewähren würden. Keine schwere Aufgabe. - Doch es war Isyahadin. Entsprechend fiel die improvisierte Konstruktion beim ersten stärkeren Windzug über ihm zusammen und brach Ole das Handgelenk.
Deutlich Entspannter war die Lage am grünen Tor in den Vorlanden. Hier hatten sich die Rondrikan-Löwen ein gut geschütztes Lager eingerichtet. Auf der anderen Seite des Tores standen einige Söldlinge von Waldberts Wehrhaufen und klopften an das Tor.
„Guten Morgen!“, grüßte der Wachhabende vom Tor herab. „Die Nacht gut überstanden da hinten?“
„Ohne große Mühen. Eure Efferdaser sind gut erzogen. Wenn man ihnen sagt, dass sie die Stadt nicht verlassen dürfen, scheinen sie sich dran zu halten. Wir hatten nur vereinzelte Gefangennahmen.“
„Es sind Efferdasi.“
„Hä?“
„Efferdaser ist die Mehrzahl für Bewohner des Landes Efferdas. Stadtbewohner in der Mehrzahl sind Efferdasi“, verbesserte der Soldat den Söldner völlig unnötigerweise.
Entsprechend genervt war seine Reaktion. „Wie auch immer ihr Fischgräten euch da nennt. Ich hätte auf jeden Fall ein paar davon hier abzugeben. Wenn ihr wollt?“
„Nett gemeint, aber wir brauchen unsere Gefängniszellen hier in der Kaserne. Da werden die verräterischen Senatoren sicher bald eintreffen.“
„Und die haben Vorrang oder wie?“
„Sie brauchen zumindest eine gewissenhaftere Bewachung.“
„Na toll. Und was machen wir jetzt mit euren Flüchtlingen?“
„Uns doch egal. Ihr werdet doch irgendwo ein Zelt haben, wo ihr sie an eine Stange ketten könnt.“
„Sind'n paar zuviel dafür. Außerdem sind es eure Efferdasi. Wir achten nur darauf, dass hier keiner rein oder raus kommt. Was ihr dann mit denen macht, ist nicht unsere Sache.“
Der Wächter seufzte. Diese Diskussion entwickelte sich ähnlich schlecht wie das Wetter. Von Seeseite zog eindeutig ein Gewitter auf. Das würde sicher eine sehr nasse und stürmische Angelegenheit, wenn sie wieder auf die Straßen ziehen würden, um Widerständler gefügig zu machen. „Na gut, dann bringt sie her, packt sie da hinten in die Ecke und brecht ihnen beide Beine.“
„Beide Beine brechen?“
„Naja, wir haben keine freien Zellen für sie, aber so rennen sie halt auch nicht weg. Dürfte ein Kompromiss sein.“
Der Söldner vor dem Tor zuckte mit den Schultern. „Wie ihr wollt, mir egal. Wird ein ordentliches Geflenne hier, das kann ich euch garantieren.“
„Dann knebelt sie halt dabei…“
Kopfschüttelnd gingen Waldberts wilde Mannen wieder zurück in ihr Lager, um den „Gefangenenaustausch“ durchzuführen. Interessante Methoden hatten diese Rondrikan-Löwen. Das war sogar für den erfahrenen Söldling etwas zu ruppig.
Familie Lysandros
Auf der Werft
Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Die Praiosscheibe hatte gerade begonnen den Horizont hinabzusinken und er hatte hier hinter seinem Schreibtisch gesessen und über die Worte seines Gegenübers nachgedacht. Lange und ausführlich hatte er darüber nachgedacht, doch egal wie er es drehte und wendete, die Schlussfolgerung blieb immer dieselbe. Es war eine bittere Erkenntnis. Eine, die besonders schmerzlich für ihn war, denn sie hatte etwas mit der Frau zu tun, die er von Herzen liebte.
Da trat jemand ein. Aerelaos Lysandros hob seinen Blick, erkannte seine Gattin und musterte diese.
„Liebster“, begrüßte diese ihn freudig und ein vielsagendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Aus ihren tiefblauen Augen blickte sie ihn an. „Was gibt es, dass du unbedingt mit mir alleine zu besprechen hast?“
Einen Augenblick lang glitten seine Gedanken nach Rethis zurück. Ach, dachte er, warum waren sie nicht einfach dort geblieben? Warum nur? Noch weiter glitten sie zurück. Er dachte an ihren ersten gemeinsamen Abend. An ihren ersten Kuss. Es war doch nur ein einziger Kuss gewesen. Ein einziger, nahezu unschuldiger Kuss und doch hatte dieser alles verändert. Er holte Atem und erklärte: „Serafanos Thirindar hat mir einen Besuch abgestattet.“
„Ach“, machte die Degano da nur und trat zum Schreibtisch, „Sieh mal einer an. War das nicht zu erwarten?“ Sie goss sich einen Becher Wein ein, roch anschließend daran, verzog eine Miene und stellte den Becher wieder auf den Tisch ab. „Rethisina“, murrte sie nur angewidert und schüttelte sich, „Er war nicht zufällig auf der Suche nach Verbündeten?“
Noch immer ruhte sein Blick auf ihr. Er nickte und erklärte: „Ganz recht.“
„Darf ich raten?“, sie griff nach dem Becher, setzte sich ihm gegenüber auf einen der Stühle, nahm nun doch einen Schluck des Weines und verzog angewidert ihr Gesicht. Sie war so entsetzlich durstig, dass sie sogar dieses widerliche Gesöff, das die Zyklopäer doch frecherweise tatsächlich als Wein bezeichneten, trank. „Er will ein Bündnis mit uns und bietet uns dafür Macht, Einfluss und Ämter.“
Er nickte. Da lachte sie und schüttelte ihren Kopf. „Was für ein Idiot!“, meinte sie da nur, „Wie er nur davon ausgehen kann, dass das funktioniert.“
Nun blickte er sie fragend an.
„Na ja“, meinte sie da und nahm noch einen Schluck, „Medeia sagte, dass seine Söldlinge mit den Hylailer Seesöldnern zusammenarbeiten. Es ist also davon auszugehen, dass er bis zum Hals im Dreck steckt, natürlich sucht er da Leute die ihm heraushelfen. Und wer wäre da besser geeignet als die eigenen Landsleute?“
„Hm“, machte er da nur und musterte sie skeptisch, „Das Haus Thirindar ist bei uns sehr angesehen, Alesia, vergiss das nicht. Sie sind ehrbar, getreu und solide.“
Sie seufzte schwer und zog die Augenbrauen nach oben: „Immerhin scheinen sich die Hylailer Seesöldner nicht an den Kämpfen in der Stadt zu beteiligen, ansonsten sähe es wohl inzwischen ganz anders aus. Mir würde es allerdings nicht behagen zu den Namenlosen Tagen dort draußen auf See zu sein...“
„Vermutlich behagt es ihnen auch nicht, aber sie haben verstanden, dass der Zorn der Götter keine Unschuldigen getroffen hat“, entgegnete er ihr mit fester Stimme und unbeugsamen Blick..
„Ja“, meinte sie da nur kopfschüttelnd, „Mir ist nicht entgangen, dass manche von euch Zyklopäern eine gewisse Genugtuung angesichts der Ereignisse und auch der Streitigkeiten empfinden.“ Sie schenkte ihm einen langen, vielsagenden Blick und war sich absolut sicher, dass auch er zu diesen Zyklopäern gehörte.
„Wer den Zorn der Götter auf sich zieht“, damit hob er mahnend seinen Zeigefinger und deutete in Richtung Residencia, „der sollte nicht um Gnade bitten, sondern nur demütig sein Haupt senken“ Er senkte sein Haupt. „und erdulden.“
„Das ist wie der Rethisina hier“, sie schwenkte den Becher, „Ungenießbar für uns Festländer.“ Einen Augenblick hielt sie inne. „Keiner von uns erduldet oder erträgt. Wir sind es gewohnt unser Leben in unsere eigene Hand zu nehmen und nicht alles ausschließlich den Göttern zu überlassen. Was wir schufen, schufen wir aus unser selbst Willen, weil wir uns nicht mit dem begnügen wollten, was uns bereits gegeben war.“
„Und was ihr von eurer Art, immerzu mehr zu wollen, habt, dass haben euch die Götter bereits im Phex deutlich gezeigt. Erkenntnis hat jedoch bei keinem von euch eingesetzt. Stattdessen habt ihr alle so weitergemacht wie bisher und was haben wir nun davon?“
Angespannt leckte sie sich über die Lippen: „Was willst du damit sagen, Aerelaos?“
„Mehr und mehr begreife ich, dass du die Art wie wir leben einfach nicht verstehst“, musste er sich eingestehen, „und mehr noch, einfach nicht verstehen willst, dabei könnte die zyklopäische Lebensart für Efferdas ein großer Segen sein. Es gäbe Frieden und Wohlstand. Für alle.“
„Hat dir das der Thirindar eingeredet?“, wollte sie daraufhin wissen.
„Nein“, ganz langsam schüttelte er seinen Kopf, „Aber er hat gesagt, dass du das sagen würdest.“
Da seufzte die Degano schwer, stellte den Becher Wein ab und blickte zu ihrem Gatten: „Glaubst du wir schaffen es mit der Lysia an den Hylailer Seesöldnern vorbei aus dem Hafen heraus?“
Er lachte kehlig: „Am Eingang der Bucht liegen zwei zyklopäische Triremen. Selbst wenn wir einen Augenblick abpassten, an denen die Riemen nicht besetzt wären, die Geschütze sind es gewiss. Binnen weniger Augenblicke hätten sie mindestens ein riesiges Loch in den Rumpf der Lysia geschossen und sie würde sinken. Und in dem unwahrscheinlichsten Falle, dass gerade niemand da sein sollte, der uns Löcher in den Rumpf schießen kann, so würden ihre Triremen im Handumdrehen unsere Bireme einholen und wenn sie uns in voller Fahrt seitlich rammen wird die Lysia auseinanderbrechen.“
„Hm“, machte sie, griff nach dem Becher und nahm einen kräftigen Schluck des für sie viel zu bitteren, harzigen Weines, „Klingt äußerst riskant.“
„Das ist es“, bestätigte er, „Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass wir ausreichend geübte Ruderer fänden, die sich auf so einen Wahnsinn einließen.“
Sie atmete schwer und nickte nachdenklich: „Wohl wahr, wohl wahr.“
„Es sind eben keine Belhankaner Schiffe“, fügte er hinzu, „Eine Karavelle oder dergleichen könnte man bei Flaute gewiss mit der Ruderkraft einer Bireme überlisten. Mit voller Besetzung und so wenig zusätzlicher Last wie möglich, wäre das gewiss denkbar, obgleich auch reine Segelschiffe natürlich Geschütze haben, doch in einem guten Augenblick...“ Er hielt einen Moment inne. „Abgesehen davon, was wäre dein weiterer Plan?“
„Die Schiffe der di Camaros suchen. Im Efferd-Tempel sagte man mir, dass sie irgendwo in der Zyklopensee kreuzen“, sie deutete auf die See hinaus.
Er lachte: „Vielleicht ist dir das nicht ganz klar, aber die Zyklopensee ist verdammt groß, Alesia. Wie willst du sie finden?“
„Die Götter werden mir beistehen“, lautete ihre Antwort trotzig, dabei reckte sie das Kinn stolz nach oben, ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht eingestehen wollte, dass sie keinen richtigen Plan hatte, „Ich kann doch nicht einfach nur abwarten und nichts tun?“
„Das verstehe ich“, versicherte er ihr da, „Aber was dir vorschwebt, wird so nicht funktionieren. Das wird Menschenleben kosten und die Lysia obendrein und alle die es überleben, werden ganz sicher der Komplizenschaft bei der Verschwörung angeklagt werden.“
„Verschwörung“, spottet sie da nur, „Es gab nie eine Verschwörung, verstehst du das? Das ist alles nur dummes Geschwätz.“
„Es gibt eindeutige Beweise, Alesia“, widersprach er ihr.
Sie lachte: „Welche denn? Mir sind keine bekannt.“
„Eindeutige Beweise, die bei einem Prozess im Namen des Herrn Praios offen gelegt werden. Serafanos war dahingehend sehr eindeutig.“
„Serafanos?“, wiederholte sie kehlig und starre ihren Gatten mit einem abschätzigen Blick an, „Serafanos also?“
„Ja, Serafanos“, bestätigte er und nickte erschreckend langsam, „Wenn es nach ihm geht sollen die Verschwörer baldmöglichst ihrer gerechten Strafe zugeführt werden – dem Herrn Praios zum Wohlgefallen.“
Da war sie wieder, die Ergebenheit dem Götterfürsten gegenüber, etwas das Alesia bis zum heutigen Tag nicht verstand. Wie konnte ein Schiffbauer den Herrn Praios über die Herren Efferd und Ingerimm stellen?
„Aerelaos“, hob sie so ruhig und gefasst an, wie sie es angesichts der derzeitigen Situation konnte, „Ich kann dir versichern, es gab keine Verschwörung.“ Ihre Worte untermalte sie mit einem sehr langsamen, aber deutlichen Nicken. „Meine Quelle ist sehr verlässlich und war dahingehend absolut eindeutig: Es gab keine Verschwörung um den Baron zu stürzen. Zumindest nicht vom Senat. Es scheint aber... hm... andere Kräfte zu geben, die wollen, dass jeder das denkt. Darunter auch dein Serafanos.“
Da änderte sich sein Verhalten plötzlich vollkommen. Finster blickte er sie an, verschränkte die Arme vor seiner Brust und verlangte zu erfahren: „Und wer genau hat dir das eingeflüstert? Dein Liebhaber? Bevor, währenddessen oder nachdem du dich mit ihm vergnügt und mich damit betrogen hast? Habt ihr über mich gelacht? Über den gehörnten Ehegatten?“
Fassungslos über die Worte ihres Gatten starrte sie ihn an, öffnete den Mund um diese unverschämten, vollkommen haltlosen Behauptungen zurückzuweisen und brachte doch kein einziges Wort über die Lippen. So klappte sie ihren Mund zu, presste ihre Lippen fest aufeinander und starrte ihn aus funkelnden Augen an. Er beobachtete sie schweigend. Sie schluckte schwer, hielt seinem Blick jedoch unbeugsam stand.
„Ich weiß alles, Alesia. Ich kenne jedes einzelne, widerliche Detail“, angeekelt blickte er zur Seite, „Du hast mich angelogen. Mich hintergangen. Mich betrogen. Du wirst dich an den Efferd-Tempel wenden und darum bitten, dort die verbleibenden Namenlosen Tage verbringen zu dürfen.“ Seine Stimme war kalt. „Deine Familie steht dem Launenhaften sehr nahe und für den Rest können sie sich einer großzügigen Spende sicher sein.“ Die Degano wurde zunehmend blasser. Zwar verstand sie, was hier vor sich ging, aber sie begriff es noch nicht recht. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Sobald sich die Situation in Efferdas beruhigt hat, werden wir über deine Zukunft sprechen.“ Das klang wie eine Drohung in ihren Ohren. „Bis dahin wünsche ich nicht, dass du mir unter die Augen trittst. Ich werde dich zu gegebener Zeit aufsuchen.“
Alesia schaute ihn nur an. Regungslos, wobei nahezu regungslos. Nur das Glitzern in ihren Augen und das Zittern ihrer Hände wurde kontinuierlich mehr. Einen Moment dachte sie darüber nach, wie sie ihrem Gatten von diesem Wahnsinn abbringen konnte, doch dann begriff sie, dass er ihr kein einziges Wort mehr glaubte. Ganz gleich was auch immer sie sagte, wie sehr auch immer sie beteuerte, die Anschuldigungen zurückwies, er würde sie doch nur mit diesem kalten Blick mustern und ungläubig seinen Kopf schütteln. Und mehr noch: Wie hätte sie auch glaubhaft versichern, vielleicht sogar schwören können, gänzlich unschuldig zu sein, wo sie es doch gar nicht war?
Auf dem Absatz machte sie kehrt. Eine Träne rann ihr über das Gesicht.
„Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich trotz allem noch so sehr liebe, dass ich mit Serafanos besprochen habe deine Rolle bei der Verschwörung unter den Tisch fallen zu lassen“, erklärte er ihr verbittert, „Trotz allem.“
Im Efferdtempel
„Ah Alesia - schön dich zu sehen. Geht es... geht es dir gut?“ Adaon wirkte ganz unüblich tatsächlich besorgt.
Die Degano schniefte, wischte sich die Tränen eilig vom Gesicht und schüttelte den Kopf, wobei sie den Blick senkte: „Aerelaos hat sich auf die Seite der Thirindars gestellt.“
„Auf die Seite der Verräter?“, fragte Adaon und wirkte irritiert, „Warum?“ Er reichte ihr ein Taschentuch. Dankend nahm sie das Tuch mit dem eingestickten Wappen des Hauses di Malavista entgegen und tupfte sich die verbliebenen Tränen ab. „Dieser Serafanos“, würgte sie hervor und konnte ihn noch immer nicht ansehen, „Der hat... der hat...“ Sie schluchzte. „Der hat ihm eingeredet, dass ich ihn nur ausnutze. Dass ich ihn nicht liebe. Dass ich...“ Nun wurde ihre Stimme brüchig. „Mit dir an der Verschwörung beteiligt sei. Mit dir, meinem...“ Sie schluckte. „... Liebhaber.“
„Liebhaber? Soso...“ Adaon nickte leicht. „Welche Verschwörung soll das denn sein? Die Einzigen, die sich einer Verschwörung schuldig machen, sind doch die Thirindar und die d’Oros!“ Jetzt wirkte er regelrecht aufgebracht. „Diese Hundlinge haben die Senatoren festgesetzt und planen nichts weniger als einen Staatsstreich! Als ob mein Vater an einem Umsturz beteiligt wäre. Und dann noch so stümperhaft. Pah!“ Adaon wirkte nun aufgebracht.
„Ich weiß“, versuchte Alesia da zu beschwichtigen, „Das weiß ich doch. Deine Schwester, Leandra, hat mir versichert, dass ihr nichts, aber auch gar nichts damit zu tun habt“ Sie nickte energisch. „Und ich glaube ihr, glaube euch, aber... aber... aber er will das nicht hören! Er glaubt mir… glaubt mir kein einziges Wort mehr. Der Thirindar hat ihm von uns erzählt, von…“ Sie verstummte einen Augenblick. „Du weißt schon.“
„So ein Unsinn, das kann der doch gar nicht wissen. Der hat sich doch bestimmt irgendwas aus den Fingern gesogen nur um deinem Gatten irgendwelche Flausen in den Kopf zu setzen und an die gemeinsame Herkunft zu appellieren. Klar, würde ich ja auch tun, wenn ich einen Umsturz plane und niemand mein schändliches Tun unterstützen will. Was wollen die Thirindars denn? Neue Herren werden in Efferdas? Nie im Leben, dazu müssten sie vorher das ganze Haus Efferdas ausrotten mit Stumpf und Stiel, so wie die sich an ihr letztes bisschen Macht klammern. Und die d’Oros mit ihren unsinnigen und wahnwitzigen Nachforschungen sorgen doch schon lange für Unordnung und Aufruhr in der Stadt. So ein Wahnsinn, als ob Efferdas nicht schon genug Unruhe erlebt hätte in den letzten Jahren.“
„Bei den Zwölfen, das weiß ich doch alles!“, erwiderte sie ihm ebenso aufgebracht wie er, „Aber was mach ich denn jetzt? Mein Mann glaubt mir kein einziges Wort mehr, ich komme nicht mehr an ihn heran und ich kann… kann ihn doch nicht anlügen und behaupten, dass da nichts mehr zwischen uns gewesen sei, wenn... wenn... wenn es doch anders war und... und...“ Sie seufzte schwer. „Was nun?“ Die Degno wirkte verzweifelt.
„In Efferdas werden die Senatoren entführt und ein Staatsstreich nimmt seinen Lauf und dein Gatte regt sich deswegen auf? Als ob wir keine dringenderen Angelegenheiten klären müssten!“ Adaon hielt einen Augenblick inne, um sich zu sammeln. „Das Problem wird sein, dass dein Mann von den Thirindars eingespannt wurde. Bei allem, was wir ihm vortragen wird er stets dagegen argumentieren, wenn man ihm schon so einen Floh ins Ohr gesetzt hat. Wir brauchen also einerseits Beweise dafür, dass der Thirindar ein hinterhältiger Emporkömmling ist und andererseits jemanden, der das deinem Mann erzählt, denn auf dich oder auf mich wird er wohl kaum hören...“
Nun nickte sie: „Ja, du hast recht, aber... aber auf wen sollte er dann hören?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich kann doch nicht einfach so zusehen, wie er alles ruiniert, was auch ich geholfen habe hier in Efferdas aufzubauen.“ Alesia hielt inne. „Er will mich ja noch nicht einmal mehr sehen.“
„Hm.“ Adaon schüttelte bedächtig den Kopf. „Ich sehe zwei Möglichkeiten: du wartest bis morgen und schaust, ob er dich wirklich nicht mehr sehen will, besuchst ihn morgen gegen Mittag oder am Nachmittag. Vielleicht tust du ein wenig reuig - jaja, guck mich nicht so böse an.“ In der Tat funkelte sie ihn finster an. „Ein wenig reuig, denn wenn er dir verzeiht, hast du die Gelegenheit ihn auszuhorchen und so mehr über die Pläne vom Thirindar zu erfahren. Das könnte uns helfen, den ganzen Zauber zu beenden. Wenn man hinterher weiß, dass die Familie Lysandros dabei half, den Aufstand zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen, wird man das der Familie sicherlich danken. Falls das nicht funktioniert, brauchen wir eine neutrale Person, die deinem Mann unter dem Vorwand ‘Ich habe Gerüchte über Eure Ehefrau zu berichten’ aufsucht und ihn so neugierig macht. Wenn dein Gatte dadurch bereit ist, dieser Person zuzuhören, könnten wir ihm darüber interessante Dinge berichten, die er aus dem Mund einer neutralen Person vielleicht eher akzeptiert.“
„Reuig tun“, wiederholte sie seine Worte, „Was soll ich ihm denn sagen?“
„Ist das dein Mann oder meiner? Du kennst ihn wohl um einiges besser als ich, da kann ich dir nur wenig weiterhelfen, fürchte ich...“
Alesia zog die Augenbrauen nach oben und machte: „Hm.“ Dann zuckte sie mit den Schultern. „Und wer sollte es sein, der ihn da aufsucht. Es muss schon eine integere Person sein. Ein Diener der Unsterblichen?“ Nun zuckte sie mit den Schultern. „Oder so.“
Adaon überlegte kurz. „Wir könnten Rahjabella fragen, vielleicht hört er ja auf eine Rahjageweihte.“
„Rahja...?“, hob sie an, „Ich kenne sie nicht. Kommt sie aus Efferdas? Meinst du sie würde mir helfen? Mit meinem Mann sprechen? Es ist ja durchaus...“ Sie nickte langsam, sehr langsam. „... eine rahjanische Angelegenheit. Kennst du sie... gut?“
„Och, wie man sich so kennt nach einer Nacht.“ Er hielt kurz inne und schaute Alesia schelmisch an, die vielsagend mit den Augen rollte. „Sie ist eine gute Freundin von Rahjalin Legari, beide sind seit gestern Abend zu Gast bei uns - sie haben Zuflucht gesucht vor dem Chaos. Möglicherweise würde sie uns bei dieser Angelegenheit ja helfen.“
Ernst nickte sie: „Auch wenn du das jetzt nicht hören willst, Adaon, ist für mich erst einmal das Wichtigste, dass er wieder mit mir spricht und auch...“ Sie wirkte ernst. „dass er mir verzeiht. Alles andere muss erst einmal warten. Bitte. Ich liebe ihn, ich kann nicht mehr ertragen ohne ihn zu sein.“
Jetzt war er es, der mit den Augen rollte.
Alesia machte sich also auf in Richtung Rahjatempel, doch sie hatte den Efferdtempel noch nicht verlassen, da wurden ihr im Hauptraum bereits ein paar entgegenkommende Personen gewahr. Sie wirkten übel zugerichtet, bluteten an der Schläfe durch den Einsatz stumpfer Knüppel genau so wie andere kleinere Schnittwunden oder mindestens zerschlissene und fleckige Kleidungen aufwiesen. Zudem waren sie so nass, als wären sie in die Wasserrinne im Tempel gefallen. Kurz fand Alesia einen Blick durch die große, doppelflügelige Tür des Tempels nach draußen. Bevor dieses geschlossen wurde, bemerkte sie, dass der nächste Gewitterschauer über die Stadt eingebrochen war. Kurz blickte sie zur Decke und hörte auf die Geräusche des Umfeldes. Das Prasseln des Regens mischte sich in das Sprudeln der heiligen Quelle und es wirkte sehr harmonisch. Sehr beruhigend… würde sich nicht das Wehklagen der gerade eingetroffenen Gäste daruntermischen. Entsprechend traf ihr Blick wieder die Gruppe Versehrter, welche von drei Personen erst einmal notdürftig versorgt wurden. Die drei Personen waren seine Gnaden Menander A’Temelon, dazu ein blonder Schönling und ein junges Mädchen mit grünen Haaren, von der sie schon hörte, dass es sich um die Tochter des Tempelvorstellers, also um Liaiell di Camaro handelte. Alesia wollte nicht ganz tatenlos an dieser Szenerie vorbeilaufen, vor allem nicht, solange der Platzregen noch anhielt. Also fragte sie vorsichtig, ob sie helfen könne. Liaiell deutete auf eine Kiste an der Wand, die irgendwie nicht den Eindruck machte, als würde sie zum Standardmobiliar des Tempels gehören. „Da drin sind ein paar Mullbinden, dazu vielleicht noch ein größerer Stein aus dem Becken. Ich werde hier wohl einen Druckverband anlegen müssen.“ Alesia nickte und bewegte sich zu der Kiste. Auf dem Weg dorthin sah sie, dass weitere Gäste des Tempels, welche dort im stillen Gebet versunken auf Holzbänken saßen, teils ebenso rot gefärbte Bandagen aufwiesen. Schnell war die Mullbinde zur Hand, dann ging sie zur Wasserwanne an der großen Statue und griff nach einem flachen, etwa handtellergroßen Stein. Kurz verweilte sie über den Anblick des Kiesels, welcher kaum, dass er aus dem Wasser gezogen wurde seine Farbe wechselte. Erstaunlich, wie dieser kleine Moment sie ihre Umgebung kurz vergessen lassen konnte. Aber hier war eben trotz der Versehrten alles Still und andächtig.
„Hier…“ reichte sie mit knappen Worten der jungen Frau die gewünschten Gegenstände. „Welchen Kampf haben diese Leute genau geschlagen?“
„Sie wollten einfach nach Hause.“ blickte Liaiell ihre neue Helferin nur kurz an, ihr Blick verriet aber auch viel über ihren Seelenzustand. Trübsal, Müdigkeit, Enttäuschung. „Sie sind dabei einer Patroulie der Thirindars begegnet, die sie ohne jeglichen Grund angegriffen haben.“ Der alte Mann, den sie gerade verarztete keimte, als die Camaro seine Schnittwunde abband. „… und sie kommen hier wirklich nicht hin?“
„Nein, Milos, hier werden sie sich niemals hin trauen. Die D’Oros und Thirindars haben keine Freunde hier.“
„Und ist dein Vater auch hier?“ ächzte der erschöpfte Milos.
Liaiell fiel die Antwort schwer. „Er ist…. Nein… nein, er ist noch nicht so weit.“
Ein enttäuschtes Seufzen war die Antwort. „Ach schade. Wir vermissen ihn so sehr. Jetzt noch mehr als zuvor.“
„Das tun wir alle. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Jede Flauta wird vom Sturm gejagt.“
„Kann ich sonst noch etwas tun?“ mischte sich Alesia noch einmal in das Gespräch ein. „Ich wollte nämlich noch zum Rahjatempel.“
„Oh, tut dies nicht, mein Mädchen, dort ist es gefährlich“ rührte sich der alte Mann.
„Gefährlich?“
„Der Rahjatempel ist gegenüber des Senats.“ erklärte Liaiell „Und von dort aus agieren die Rondrikanlöwen derzeit und riegeln von da aus alles ab. Alleine dort hin zu gehen ist gerade extrem gefährlich.“
„Ja! Wir wollten einfach nur nach Hause und sind am Tempel vorbei gekommen. Da kamen sie, riefen was von Spionenbrut und griffen uns an. Einen alten Mann mit Frau und Enkel. Ist das zu fassen?“ zeigte sich auch Milos immer noch von der Tat getroffen.
„Ich werde vorsichtig sein!“ versicherte Alesia, wissend, dass sie in ihrer Position – und vor allem der Position ihres Gemahls – einige Vorzüge gegenüber diesem armen alten Herren genoss. „Seid dennoch vorsichtig.“ nickte Liaiell ihr zu. „Und wenn ihr dort ankommt, vielleicht trefft ihr dort ja auf seine Gnaden Rhymeo della Pena. Es wäre nett, wenn ihr ihm ausrichten könntet, dass sein Freund Efferdobal ihn brauchen könnte. Er weiß dann schon, was gemeint sein wird.“ Alesia nickte und begab sich zum Ausgang.
Saliceria
Dieser Beruf war wirklich der einfachste der Welt. Khadovan konnte sein Glück immer noch nicht fassen. Er wurde bezahlt, um ein uraltes Grabmal zu bewachen, auf dass niemand hinein ginge. Eine von einer Palisade umrundete Ruine mitten im Ranafandelwald. Die Menschen betraten so schon den Ranafandelwald nicht. Ein Grabmal mit einer Palisade noch viel seltener. Und aus irgend einem Grund schienen die Menschen dieses Gebiet noch viel mehr zu meiden, seit Isaura di Camaro die nahegelegene Casa las Gayumbas bezogen hatte. Mit Ausnahme seiner Ablösung sah er oft Wochenlang keine anderen Menschen. Dafür dürfte er Waffen tragen und Rüstungen und ganz gefährlich aussehen, auch wenn es hier niemanden interessierte. Ja, es war oftmals langweilig, aber eben gut bezahlt. Einzige Voraussetzung war, dass er niemandem von diesem Ort erzählen durfte. Aber naja… das war einfach, hier war ja auch sonst niemand.
Er ging seinen ersten Patrouillerundgang des Tages. Langsam erkannte er erste Sonnenstrahlen am Horizont. Der Himmel war…. Purpurfarben.
„Hm. Namenlose Tage?“ wunderte sich Khadovan. Er hatte über die letzten Wochen an diesem Ort doch etwas sein Zeitgefühl verloren. Er merkte, wie ihm urplötzlich ein starker Wind um die Ohren blies. Überall stieg Laub auf und wirbelte umher. War das ein entferntes Grollen? Jetzt also auch noch ein Gewitter? Khadovan entschied sich, seinen rundgang zu beschleunigen, um bald schon wieder in der Wachhütte sein zu dürfen. In der nähe eines kleinen Brunnen sah er auf einmal eine Gestalt stehen. Oder mehr eine Silhouette. War das denn die Möglichkeit? Ein Einbrecher?
„Halt! Stehenbleiben.“ senkte Khadovan seine Hellebarde. Da war eindeutig ein… Schatten. Er schien jedoch nicht zu reagieren.
„Jüngelchen, ich kann dich sehen! Was machst du da?“ Bald schon erkannte der Wächter die Person etwas besser. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht, es wirkte wie ein in Fellkleidung gehüllt. Schüttete die Person etwa etwas in den Brunnen? Dabei war dies gar kein Brunnen, sondern der Einstieg in die Krypta. Noch einmal ermahnte Khadovan die Gestalt.
„Geh da mal schön weg, du hast hier nichts verloren!“
Keine Reaktion. Aber auch kein Fluchtversuch. Khadovan setzte die Hellebarde ab und griff zu seiner Sturmlaterne. Kaum, dass das Licht der Laterne die Gestalt traf, bemerkte der Wächter, dass hier etwas nicht stimmte. Er leuchtete die Gestalt vor dem Brunnen direkt an, doch im Lichte der Laterne konnte er den Brunnen trotzdem sehen. Spielten ihm seine Augen einen Streich? Er stellte die Laterne auf den Boden und griff nun mit beiden Händen zur Hellebarde. „Was… bist du?“ Khadovan bemerkte, wie neben der Person etwas aus dem Boden stieg. Bald schon hatte sich dieses „etwas“ manifestiert und wirkte wie eine zweite Person in einem dunklen Fellumhang. Beide drehten sich nun herum und Khadovan musste mit erschrecken feststellen, dass sich die Optik der Gestalten nicht geändert hatte. Die beiden setzten sich in Bewegung.
„Halt! Kein Schritt weiter!!“ Ein Kommando, dass die beiden Gestalten offensichtlich ignorierten. Als sie in Reichweite seiner Hellebarde angekommen waren, stich der Wachmann zu. Doch sein Stich gings in Leere. Jetzt erkannte er, dass die beiden Gestalten schemenhafte Gesichtszüge besaßen. Da waren zwei tot dreinblickende, rot leuchtende Augenpaare. Man konnte immer noch durch sie hindurch blicken, aber sie selbst blickten tief in Khadovans Seele. Als würden sie ihn mustern und sich von all seinen Sünden ernähren. Wieder stocherte er mit seiner Hellebarde in deren Richtung, doch da war kein Widerstand. Und es stoppte den Weg der beiden Gestalten auch nicht. Als die Beiden direkt vor seinem Gesicht angekommen war, ließ sich Khadovan zu einem Schrei hinreißen und kauerte sich zusammen. Doch die beiden Gestalten gingen einfach nur durch ihn hindurch und weiter. Es dauerte eine Weile, bis sich der Wächter aus seiner gehockten Stellung wieder richtig auf beide Beine begab.
Er schüttelte sich. „Geister…“ er drehte sich um und sah so direkt in Richtung der aufgehenden Sonne. Sie war bereits zum Teil von dunklen Wolken verhüllt. Was er aber noch sah, war, dass es nicht bei zwei Gestalten geblieben war. Hinter ihm waren sicher zwei dutzend dieser Silhouetten aus dem Boden gestiegen und bewegten sich gen Südwesten, in Richtung Efferdas. Verdattert sah Khadovan ihnen hinterher, während ein weiterer Schemen durch ihn durchwanderte. „Das… sollte ich vielleicht melden…“
Haus di Malavista
Unruhe im Revier
Was mochten nur all diese übergroßen Zweibeiner hier wollen? Seit gestern trieben sie sich, übellaunig und übel riechend, in MEINEM Revier herum! Und einer von ihnen hatte es gar gewagt, nach mir zu treten. Nach MIR! Natürlich hatte ich diesem Großling eine Lektion erteilt, als der übel riechende Zweibeiner nur wenig später schon schlafend zu Boden lag. Aus dem Tonkrug neben ihm war das Zeug, das manche dieser Großlinge in sich hinenschütteten, noch zu riechen - widerlich! Jetzt stank er nicht mehr nur nach Mensch und Fusel, so!
Meine Leute waren alle ganz aufgeregt, das konnte ich spüren. Irgendwas war anders als sonst. Und vor allem: alle Menschen ignorierten mich! Wo waren meine mir zustehenden Streicheleinheiten? Der Schoß, auf dem ich mich zusammenrollen und ein Schläfchen halten konnte? Was immer das war - wenn ich den- oder diejenige erwischte, die dahintersteckte, dann würde diese Person meine Krallen zu spüren bekommen, jawohl!
Schon gestern Nachmittag hatte ich mich gefragt, wo mein Lieblingsmensch war - der alte Mann, den sie Cordovan nannten. Bei ihm auf einem seiner Sessel lag ich abends ganz gern, um mich noch ein wenig auszuruhen, bevor ich meine zahlreichen Verehrerinnen aufsuchte und mein Revier kontrollierte. Unter anderem auch deswegen, da es dann gelegentlich noch ein paar Leckerlies gab, die ich huldvoll entgegen nahm. Eine kleine Stärkung war immer willkommen, waren meine zahlreichen Verehrerinnen doch stets ausgehungert und fordernd… Letzten Abend war er allerdings nicht da und erst in der Nacht hatte ich ihn in seiner komischen Decke gesehen. Gerade wollte ich mich zu ihm gesellen und ihn zur Rede stellen als ich sah, dass er gemeinsam mit anderen unterwegs war, die auch solche Decke trugen, die wiederum von anderen Menschen mit langen Stöcken begleitet wurden. Mit solchen Menschen musste man vorsichtig sein, das wusste ich zu gut.
Die Gruppe ging zu einem anderen dieser großen Menschengebäude. Dort roch es ganz merkwürdig… harzig? Glücklich wirkte er nicht und um seine Hände lag ein Halsband. Ein Halsband?
Ich versuchte, meinem Lieblingsmenschen etwas näher zu kommen und stellte dabei fest, dass auch einige der anderen Halsbänder um die Hände trugen. Sie wirkten auch alle unglücklich, teils ängstlich, teils wütend. Was war denn da los? Was machten denn diese Großlinge schon wieder?
Oh, da hinten war ja noch einer seiner Menschen! Ich huschte herüber und maunzte leise, als ich meinen zweitliebsten Lieblingsmenschen erreichte. Selbiger strahlte eine gesunde Vorsicht aus, auch wenn man ihn meilenweit riechen konnte. Doch das konnten diese Großlinge ja nicht so gut, schien es. Gut für ihn. Ich strich ihm um die Beine und ließ es zu, dass er mich kraulte - jaaaaa, da im Nacken, das ist gut! Die anderen Menschen verschwanden dann in diesem anderen Haus mit dem merkwürdigen Gerüchen - Moment! Waren das die mit den… aber ja doch! Zufrieden schnurrte ich und schlug einen neuen Weg ein, um meinen Lieblingsmenschen vielleicht doch noch zu sehen. Ich kannte mich ja aus.
Ein Tag als Bauer
Palazzo di Malavista - Residencia, Efferdas
“Aurelio, was ist mit dir passiert? Du bist ganz außer Atem!”, rief Donatella aufgeregt, als der Angesprochene durch die Tür zu einem Sessel wankte und sich in eben diesen fallen ließ, dabei laut seufzend.
“Ah, dieses feige Lumpenpack! Überall in der Stadt lungern sie rum - und den Palazzo belagern sie auch! Sie sind überall, diese Verräter? Diese ganzen d’Oros, sie lungern überall herum, drangsalieren jeden und jede, die ihnen über den Weg läuft. Anstand? Patrizische Tugenden? Keine Spur! Was sind das nur für Leute!”, rief dieser, noch immer empört.
“Wo warst du denn überhaupt? Du siehst ja aus wie ein Bauer!”
“Genau das war der Plan, Donatella. Ich hatte gehofft, dass ich verkleidet etwas mehr Ruhe hätte vor den Halunken, die uns hier seit gestern belagern. Doch weit gefehlt! Auf dem Hinweg bin ich so viele Umwege gelaufen, dass ich dreimal so lange gebraucht habe wie sonst. Einen der Häscher konnte ich erst dadurch abschütteln, indem ich einen Abstecher in den Efferdtempel gemacht habe. Wobei das auch noch einen interessanten Nebeneffekt hatte, aber das muss ich nachher Adaon berichten. Es war auf jeden Fall gar nicht so einfach, dieses Packvolk abzuschütteln. Aber ein Lutenente der Garde ist nunmal kein phexischer Schleicher, das habe ich wohl bemerkt - und es hat mich einen guten Teil Zeit gekostet. Die eigentlichen Besuche bei meinen guten Männern und Frauen von der zweiten Eskadron waren eher ernüchternd. Viele sind verunsichert. Nachdem die Garde schon seit Wochen keinen Sold mehr erhalten hat, mussten sich einige meiner Leute nach neuen Anstellungen umsehen. Andere sind irritiert und wissen nicht, was sie von den Vorwürfen halten sollen, die auf einmal in der Stadt die Runde machen. Die Senatoren Verräter? Ihr Cordovan ein Verräter? Das wollten viele nicht glauben, dazu verehren sie den Alten viel zu sehr. Mit den meisten von ihnen konnte ich reden, ihnen mitteilen, dass nichts dran war an den Lügen, die diese Aufrührer verbreiten und ganz im Gegenteil dieser Thirindar und der d’Oro sich des Hochverrats schuldig machen mit ihrem Umsturzversuch. Das sind ja Zustände wie in Al’Anfa! Ich werde morgen und übermorgen weitere Leute besuchen. Der eine oder andere hat heute schon signalisiert, dass er bereit steht, wenn er oder sie gebraucht wird, andere wiederum sind noch zögerlich. Einen großen Teil von denen können wir vielleicht überzeugen wenn sie sehen, dass sich auch andere anschließen. Das Gefühl, etwas tun zu können, fehlt vielen von ihnen. Ein beherzter Griff in die Familienkasse wird das seinige beitragen, den einen oder anderen zu überzeugen und den fehlenden Sold auszugleichen!”
“Glaubst du, das bringt was? Die Garde hat man schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Da draußen herrschen Chaos und Aufstand.”
“Ich bin mir sicher, dass wir diesem Wahnsinn etwas entgegenstellen können. Die Gardistinnen und Gardisten sind gute Leute mit dem Herz am rechten Fleck. Viele von Ihnen brauchen nur ein wenig Führung, jemanden, hinter dem sie sich versammeln können. Und das sind besser wir als die d’Oros. Viele von den Leuten sind gute Leute, sie stehen treu zur Republik, zum Haus Efferdas - und zu Cordovan und mir. Das wird helfen.”
“Und wie geht es weiter?”
“Als nächstes werde ich mich mit Adaon zusammen setzen und Ideen austauschen, außerdem möchte ich gerne hören, wasa unsere Boten, die wir zu den anderen verbliebenen Senatorenfamilien geschickt haben, berichten. Morgen werde ich eine weitere Runde drehen, wenn ich die Halunken wieder abhängen kann. Ich werde noch ein paar weitere Angehörige der Garde besuchen und dann mal sehen, ob ich einen Blick auf das Arsenal werfen und sehen kann, ob sie es besetzt haben. Wenn wir einen Widerstand aufbauen, brauchen wir Zugang zu den Waffen. Aber das ist ein Problem für den morgigen Tag - einen Schritt nach dem nächsten.”
Haus ya Pirras
Im Senatsgebäude
In einem Zimmer des Senatsgebäudes saßen sich Valerio ya Pirras und Serafanos Thirindar gegenüber. Während auf dem Gesicht des Zyklopäers ein siegessicheres Lächeln das sonnengebräunte Gesicht zierte, schaute der Efferdier seinen Gegenüber misstrauisch an.
"Verzeiht dieses Treffen zu so früher Morgenstunde und unter diesen Umständen, Senator ya Pirras." Dabei deutete er auf die Hand- und Fussfesseln, welche durch eine Kette miteinander verbunden waren und Valerio in seinen Handlungsfähigkeiten einschränkten. "Was wollt ihr, Thirindar?", fragte dieser unwirsch.
Serafanos nahm sich eine Karaffe Wein und füllte seinen Becher damit auf. Dann prostete er Valerio zu. "Nun." Theatralisch machte er eine Pause und ging in langsamen Schritten um den Sessel, in dem sein Gast saß, herum. "Wir sind hier, weil ich Euch die Möglichkeit dazu geben möchte, Teil einer neuen Zeitrechnung in Efferdas zu werden." Valerio lachte auf. "Das Haus ya Pirras soll sich auf Eure Seite stellen? Auf die eines Verräters? Unsere Häuser hatten bisher nichts miteinander zu tun und werden das auch weiterhin nicht. Außerdem seid ihr nicht das Oberhaupt und habt daher…." ".... trotzdem alle Fäden in der Hand.", brüllte ihn Serafanos an und kippte den Sessel halb um. Dabei starrte er Valerio in die Augen. Er fing an zu Lachen und richtete den Sessel wieder auf. "Und so ganz stimmt es nicht. Unsere Häuser hatten schon miteinander zu tun." Fragend schaute Valerio ihn an. "Oh. Ihr wusstet davon nichts? Solltet ihr noch einmal die Möglichkeit dazu bekommen, haltet einmal eine Unterredung mit Eurer Schwägerin. Sie war damals Feuer und Flamme, als ihr Verwandter sie um Unterstützung bat. Ja, der gute Stoëllios . Sein Ableben hat uns alle sehr getroffen." Er nippte noch einmal an seinem Wein. "Aber seid beruhigt. Eure Dukaten fanden eine andere Verwendung. Ein Teil davon ist in unsere Truppen geflossen."
Serafanos lachte wieder auf. "Da wir also schon einmal unbewusst einen guten Anfang hatten, biete ich Euch noch einmal einen Platz an unserer Seite an. Euer Haus war doch bisher nicht gut auf die Volksherrschaft hier in Efferdas zu sprechen und auch mit dem Haus Efferdas gab es zuletzt einige Differenzen. Ich biete Euch hiermit die Möglichkeit Neues zu schaffen. Nicht als Exilanten oder als ungeliebtes Haus innerhalb des Senats. Überlegt doch einmal. Euer Haus wäre prädestiniert dafür, die Judikative zu führen. Eure Standfestigkeit und Euer Gerechtigkeitssinn sprechen für sich."
Diesmal war es Valerio, der ein schiefes Grinsen aufsetzte. "Und Eure Bagage soll die Legislative und die ruchlosen D'Oro die Exekutive sein. Verzeiht, aber ich glaube ihr überschätzt Euch maßlos. Ihr denkt, Ihr kommt mit allem schadlos davon? Wegen der gewaltsamen Entmachtung des Senats müsst Ihr dem Volk Beweise vorlegen, welche Ihr nicht habt. So viele könnt ihr überhaupt nicht haben, selbst wenn Ihr den Fuchs höchstselbst auf Eurer Seite hättet. Vor Gericht wird nichts davon standhalten." "Da spricht der Justitiar. Euer Lachen wird Euch aber noch vergehen. Wer weiss, vielleicht wird kein Prozess benötigt. Ein wütender Mob. Ein Unglück." "Das wagt ihr nicht." "Seid Euch da nicht so sicher." "Auch den Baron werdet ihr nicht ewig verstecken können." "Wir verstecken ihn nicht, wir schützen ihn. Vor den Menschen, die ihm nach dem Leben trachten." "Und der Gipfel der Unverfrorenheit, ihr nutzt die unheiligen Tage zum Schutz Eurer Machenschaften, weil Ihr Angst habt Euch vor der Wahrheit und dem Herrn Praios zu verantworten. Schande über Euch." Mit einen Aufschrei warf Serafanos den Weinbecher an die Wand. Die Tür zum Amtszimmer wurde aufgerissen und zwei Soldaten der Republikanergarde stürmten mit gezogenen Waffen hinein. "Schande über mich. Nein, Schande über Euch. Ich habe Euch die Hand gereicht und Ihr schlagt sie auf Eure arrogante Art und Weise aus. Ihr scheint Eure Situation nicht so recht einschätzen zu können. Aber das kann man ändern." Er schnappte schwer nach Luft und wandte sich an die Soldaten.
"Begleitet unseren Gast zu seinem neuen Transportmittel. Und schickt mir Euren Kommandeur."
Umsanft zogen die Soldaten Valerio aus dem Sessel hoch. Mit kleinen Stößen trieben sie ihm den Gang entlang bis zur Eingangshalle. Dort deutete man ihm an stehen zu bleiben. Ein kurzer Tumult entstand, als die noch verbliebenen Senatoren aus ihren Zellen gebracht wurden. Rondrigo d'Oro betrat die Halle. Er zwirbelte an seinem Schnurrbart. "Werte Herren Senatoren, wir sind dazu übereingekommen Euch, zu Eurer eigenen Sicherheit, von hier zu deportieren. Wir werden Euch jetzt die Augen verbinden, damit ihr keinerlei Rückschlüsse auf Euren neuen Aufenthaltsort bekommt." Dettmar Gerber begehrte lautstark auf. Mit einem Schlag in die Kniekehlen wurde dieser zum Schweigen gebracht.
Rondrigo trat langsam auf den am Boden liegenden Senator zu. "Nur Eurem Stand als Senatoren habt ihr es zu verdanken, bisher so wohlwollend behandelt worden zu sein und nicht wie gemeine Verräter, die Ihr allesamt seid. Verscherzt es Euch also nicht und verhaltet Euch dementsprechend. Er reichte dem Gerber die Hand und half ihm auf. "Wie gesagt, wir werden Euch nun die Augen verbinden. Soldaten." Er klatschte in die Hände und die Soldaten setzten sich in Bewegung.
Deportation
Dünne Nebelschwaden zogen durch die Gassen der Stadt und erschwerten die Sicht. Die Luft war, obwohl es Nacht war, drückend und stickig. Ein seltsamer Geruch wie faulende Algen kam vom Meer her und legte sich über die Stadt.
Die meisten seiner Soldaten hatten sich, auf seinen Befehl hin, zur Ruhe begeben. Nur jeweils zwei Paare hielten den Hafen und das Senatsgebäude unter Kontrolle.
Erdano grübelte. Die Schiffe standen, der Flaggen nach, unter dem Kommando der Hylailer Seesöldner. Natürlich hatten diese eine Kaserne in der Stadt und sie hatten schwere Verluste durch den Piratenüberfall erlitten, aber so recht konnte er sich diese starke Präsenz mit zwei solchen Schiffen nicht erklären. Außer, dass sie in Diensten der Usurpatoren standen. Aber das würde er hier nicht in Erfahrung bringen können.
Er stand auf und begab sich in das Zimmer mit Blick auf das Senatsgebäude. Die wachhabenden Soldaten nahmen kurz Haltung an. "Ich wollte Euch gerade holen, Capitan. Dort scheint etwas vorzugehen. Seht…" Der Soldat deutete auf den Platz der efferdischen Libertät. Aus dem Nebel schälen sich drei vergitterte Karren, mit denen normalerweise Verbrecher vom Gefängnis zum Gericht gebracht werden. Diese hielten vor dem Eingang des Senatsgebäudes und das große Tor öffnete sich. Heraus traten Soldaten, die anhand ihrer Uniform der Republikanergarde angehörten. Sie bildeten das Geleit für sechs Gestalten deren Augen verbunden waren und nun auf die Karren verteilt wurden. "Weckt die Kameraden", zischte Erdano. "Sie bringen die Senatoren im Schutz der Dunkelheit an einen anderen Ort. Beeilt Euch." "Jawohl, Capitan." Schnelle Schritte entfernten sich und Erdano beobachtete die Situation weiter. Es versammelten sich knapp fünfzehn Soldaten auf den Platz und deren Anführer betrat gerade die Szenerie. Erdano knirschte mit den Zähnen. Rondrigo d'Oro. Selbst auf diese Entfernung war er zu erkennen.
Schwere, schnelle Schritte waren auf dem Gang zu hören. "Achte weiter auf die Geschehnisse auf dem Platz.", wies er seinen Getreuen an und wandte sich dann den ankommenden Soldaten zu. Mit kurzen knappen Worten erklärte er die Situation und seinen Plan diesen Trupp zu verfolgen, um vielleicht eine geeignete Möglichkeit zu bekommen die Senatoren zu befreien, auch wenn der Feind zahlenmäßig überlegen war.
"Capitan, der Zug bewegt sich. In Richtung Residencia."
Heimlich und mit genügend Abstand folgte man dem Tross. Dieser bahnte sich seinen Weg über die Silem-Horas-Straße. War diese bis vor kurzem noch Schauplatz heftiger Straßenkämpfe, war es jetzt mit Anbruch der Namenlosen Tage totenstill. Nur die Folgen davon waren noch zu sehen. Es dauerte nicht lange und man erreichte Residencia. Linker Hand erhob sich die Residenz. Auch dort waren Spuren des Aufstandes zu sehen. Scheiben waren zerstört und Möbelinventar lag zertrümmert auf der Straße. Auch eine ausgebrannte Kutsche des Postendienst Pertakis war zu sehen. Hinter einigen noch intakten Fenstern sah man Kerzenschein und flüchtige Bewegungen. An der vorderen Front des Gebäudes patrouillierten Söldner der Rondrikan-Löwen, welche den Sohn ihres Condottiere sofort nach dem Erkennen grüßten. < br>
Diesen offenen Weg konnten Erdano und seine Soldaten nicht gehen. Sie schlugen einen Bogen und umrundeten den Hesinde-Tempel. Dieser war anscheinend verschont geblieben. Es waren keinerlei äußerliche Beschädigungen zu sehen. Das Eingangstor war verschlossen. Dies beruhigte Erdano etwas, denn schien seine Schwester bei ihren Glaubensbrüdern in Sicherheit zu sein.
Im Schatten der Villa Vinarii konnten sie sehen, wie der Zug vor dem Palazzo Thirindar zum Stehen kam. Das Haupttor öffnete such. Mehrere Söldner erschienen und nach einer kurzen Unterredung wurden die Gittertüren der Karren geöffnet und die Senatoren mehr oder weniger grob in den Palazzo gezerrt. Ihr Begleitschurz betrat ebenfalls das Gebäude. Das Tor wurde wieder geschlossen und zwei Rondrikan-Löwen bezogen dort Position, während vier weitere begannen um den Palazzo zu patrouillieren.
Viele Gedanken rasten durch Erdanos Kopf. Wenn es bei dieser personellen Stärke im und außerhalb des Palazzo bleibt, und wenn das überhaupt alle sind, werden sie es alleine nicht schaffen die Senatoren zu befreien. Zumindest nicht offen und frontal. Sie brauchen ganz dringend Verbündete und am Besten welche mit einer eigenen Hausgarde. Auch benötigen sie einen neuen Stützpunkt, von wo aus sie ihre nächsten Züge planen können.
"Hört zu, Kameraden. Zwei Freiwillige von uns, werden hier genauso wie unsere Freunde dort drüben patrouillierten und den Palazzo so lange im Auge behalten, wie es die Dunkelheit und die Witterungsverhältnisse zulassen. Der Rest kommt mit mir. Es wird Zeit meine Familie zu beruhigen. Der Palazzo ya Pirras ist unser neues Hauptquartier."
Freund oder Feind?
"Niccolo……. Niccolo……." Vom Gefühl her war es mitten in der Nacht, als seine Schwester Irinja rücksichtslos seine Zimnertür aufriss und in den Raum stürmte. Dann war sofort Stille. Niccolo sah seine Schwester im Nachthemd mit großen Augen dort stehen. Er selbst, gerade aus tiefem Schlaf gerissen, musste sich auch erst einmal sammeln. "Irinja, was hat dich denn geritten. Um diese Zeit.", murmelte er. Dann spüre er neben sich eine Bewegung und hörte einen kurzen Laut des Erschreckens. 'Oh, nein.', dachte er nur und dann hörte er auch schon die leise Stimme seiner Schwester. "Wer ist das, Niccolo?"
Rahjadis richtete ihren Oberkörper auf und bedeckte mit der Bettdecke notdürftig ihre Blöße. "Du weisst das Mutter es verboten hat, dass du deine Gespielinnen nach Hause bringst. Und dazu noch über die unglückseligen Tage." Barsch winkt Niccolo ab. "Das tut hier nichts zur Sache. Was machst du hier?" "Vater ist zurück. Und einige Soldaten seiner Einheit. Komm." Dann wandte sie sich Rahjadis zu. "Und Ihr auch. Meine Eltern sollten von Eurer Anwesenheit wissen." "Das liegt nicht im Ermessen eines kleinen Kindes.", entgegnete Niccolo. Er stand bereits auf und griff nach seinen Sachen. Rahjadis schaute Irinja und dann Niccolo an. Dann stand sie auf uns griff ebenfalls nach den Sachen, die ihr Niccolo bereitgestellt hatte. "Und doch hat sie recht, Liebster. Genug des Versteckspiels." Und an Irinja gewandt sagte sie "Ich bin Rahjadis. Rahjadis A'Temelon." Irinja warf ihr einen abschätzenden Blick zu. "A'Temelon." Damit drehte sie sich um. "Ich warte vor der Tür auf euch."
Irinja führte beide schnellen Schrittes in den Empfangssalon ihres Vaters. Nachdem die erste Freude über das Wiedersehen abgeklungen war, wandte man sich überrascht dem Gast aus fremden Hause zu. Freundlich, aber bestimmt führte man Rahjadis aus dem Salon in ein anderes Zimmer des Wohnflügels unter Beobachtung zweier Soldaten des Chintûrer Banners. Sie blickte aus dem Fenster. Es war schwer auszumachen welche Tageszeit es war. Dunkle, tief stehenden Wolken kamen vom Meer her und brachten eine drückende Schwüle mit sich. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.
Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür und eine Dame, in einem edlen Hausmantel über ihrer Nachtgewandung gekleidet, betrat das Zimmer. Ihre Haut hatte den gleichen Teint und die Haare von prächtigem schwarz wie bei ihrer Familie. Elphya dylli Garén musterte Rahjadis mit ihren braunen Augen. Sie nahm in einer Sitzgruppe Platz und deutete Rahjadis an, sich ihr gegenüber zu setzen.
"Ihr seid eine A'Temelon . Euer Haus unterstützt den Seekönig und das schon seit Generationen. Dies missfällt uns und daraus machen wir auch keinen Hehl. Und auch die Geschäfte mit der Pestbeule des Südens finden nicht unser Wohlwollen. Nichts desto trotz erfordern ungewöhnliche Situationen ungewöhnliche Maßnahmen. Daher frage ich jetzt ganz offen, wie es mit den Beziehungen Eures Hauses mit denen der Thirindars und D'Oros steht. Hattet ihr in der letzten Zeit häufiger Besuch oder anderweitigen Kontakt mit ihnen? Gibt es gar familiäre Bande?"
"Wie, man hat zwei Geweihte der Göttin Rahja in den Palazzo eingelassen." Erdano ya Pirras schaute den Soldaten ungläubig an. "Was hat das denn zu bedeuten? Nicht nur das die Verlegung in den Palazzo Thirindar keinen Sinn ergibt, jetzt hat die Rahja-Kirche noch irgendwie ihre Finger im Spiel?" Wütend schlug Erdano mit einer Faust auf die vor ihm liegende Karte von Residencia. "Gehe zurück auf deinen Posten und seid weiterhin aufmerksam. Sollten die Geweihten den Palazzo wieder verlassen, wird einer von euch sie zu ihrem Ziel verfolgen und mir dann genau Bericht erstatten wohin sie gegangen sind. Und schick meinen Sohn zu mir." Der Soldat nahm Haltung an und verließ den Raum.
Kurze Zeit später klopfte es und Niccolo ya Pirras trat ein. "Du wolltest mich sehen, Vater?" "So ist es. Ich möchte jetzt nicht mit der kleinen A'Temelon anfangen.Vielleicht kann sie das Zünglein an der Waage sein. Daher bleibt sie noch unser Gast. Deine Mutter nimmt sich ihrer gerade an." "Aber Vater…." "Nichts aber. Ich habe eine Aufgabe für dich. Begebe dich zu deiner Tante in den Hesinde-Tempel. Dort müssen irgendwo die Baupläne des Palazzo Thirindar liegen. Es muß einen Grund geben, warum die Senatoren dorthin gebracht worden sind, anstelle sie im Senatsgebäudes in den Zellen zu lassen. Nimm zwei meiner Soldaten als Bedeckung mit. Und beeil dich, die Zeit ist gegen uns."
Niccolo hatte gerade das Zimmer verlassen, als Isida Legari sich räusperte. “Capitan, “, begann sie zaghaft. “Capitan, ich würde gerne helfen. Mein Onkel Rahjalin, der Bruder meines Vaters, ist Teil der Glaubensgemeinschaft der Herrin der Morgenröte hier in Efferdas. Wenn ich ihn dort aufsuchen würde, könnte ich vielleicht etwas in Erfahrung bringen.” “Du kannst nicht während der dunklen Tage alleine durch die Straßen schleichen. Zudem in dieser Situation. Ich habe Deiner Familie und Dir gegebenüber eine Verantwortung. Außerdem kann ich keinen meiner Soldaten mehr entbehren, um Dich zu begleiten. “Aber ich könnte doch einen Boten schicken und ihn bitten uns hier aufzusuchen.” Erdano war zwiegespalten. Und er musste zugeben, dass sie recht hatte. Damit der Verdacht gegen die beiden Geweihten bei den Thirindar entkräftet wurde, brauchten sie Informationen. “Nun gut Isida. Setzt ein Schreiben auf. Dein Onkel muss sich aber nicht unnötig in Gefahr begeben. Eine Nachricht über die Vorgänge im Tempel reicht.” Isida strahlte. “Jawohl, Capitan.”
Familie Trenti
Die Weidenloge
Lessandero Trenti atmete tief durch. Es sollte nicht zu schwer werden, obwohl sich die Weidenloge damit rühmte, politisch neutral zu sein. Doch er hatte es geschafft, viele Mitglieder von der heutigen -- außerordentlichen und überaus kurzfristigen -- Versammlung zu überzeugen. Vielleicht hätte er sich doch eine Rede zurecht legen sollen. Dann grinste er. Cassiopeia hatte schließlich auch keine gehabt, als sie vor ihre Familie trat und sie war sehr überzeugend gewesen. Nun galt es also, seine Logenbrüder vom Widerstand zu überzeugen. Viele von ihnen waren doch ohnehin schon gegen die Schergen d'Oros auf die Straße gezogen. Mit diesem Gedanken schlug er die Augen wieder auf, hob den Kopf und blicke in die Gesichter der Handwerker von St. Parvenus im großen Versammlungsraum der Loge. Vor ihm zwei lange Tischreihen, nahezu voll besetzt, er mit dem Rest des Vorstandes am Tisch quer vor Kopf. Es hingen laute Gespräche in der Luft, jeder wollte etwas zur aktuellen Situation sagen und wissen. Alle Gesichter waren zornig und aufgebracht. Er erblickte auffallend viele frische Verbände und Blessuren und fürchtete, dass er seinen Freunden und Kollegen in Kürze noch weitere abverlangen würde. Er läutete die Glocke und die Gespräche verstummten.
„Meine lieben Logenfreunde, zunächst noch einmal danke, dass ihr euch an den namenlosen Tagen hier zusammengefunden habt, um unsere Situation zu besprechen. Ich denke, ich muss hier keinem sagen, wie ernst die Lage hier ist. Die Rondrikan-Löwen machen nicht einmal an den Namenlosen Tagen halt, um uns zu knechten und inzwischen überspannen Sie den Bogen. Wir sind also hier, um eine, wie ich finde sehr einfache Frage zu stellen. Können wir uns das noch weiter gefallen lassen?“
Es folgte sofort ein wütendes Stimmengewirr, jeder preschte sofort mit seiner Meinung hervor und kaum ein Wort war zu verstehen, Lessandero bimmelte noch einmal mit der kleinen Glocke und beruhigte die Logenmitglieder vor ihm. „Nicht alle auf einmal… Dettmar.“ Er deutete auf einen Heiligenschnitzer zu seiner linken. „Mich haben die Bastarde der D’Oros nun bereits zum vierten mal für nichts und wieder nichts verprügelt. Beim letzten mal haben sie schon bezweifelt, dass ich meiner Tochter ein paar Silberknöpfe kaufen könnte, jetzt gabs ne Schelle, weil ich vor dem Senatsgebäude auf das Ergebnis der gestrigen Sitzung gewartet habe. Das sollte eigentlich ein Fest werden in der Hoffnung, dass der Senat wieder geöffnet wird. Stattdessen gabs von diesen Bastarden ne Bauernkelle. Ich hab die faxen dicke!“
„Ja, meine Familie wohnt in der Korkschneidergasse, die haben den Teil des Parvenusgrund abgeriegelt, ich durfte nicht mehr nach Hause. An den Namenlosen Tagen! Ich hab die Nacht in einer Palisade verbracht!“ klagte ein bis auf die Knochen durchnässter Hersteller von Flaschenkorken zu Dettmars linken.“
„Wir müssen die aufhalten.“ schlug eine weitere Person mit seiner Faust laut auf den Tisch. “D’Oros raus!“
Die Masse der Weidenloge stimmte sofort ein und bald schon gab ein Chor ein Entschlossenes „D’Oros raus! D’Oros raus!“ von sich. Lessandero schmunzelte und wartete einen Moment, bis der Chor wieder zur Ruhe gekommen war. „Schön, dass wir uns einig sind. Das bringt uns zur nächsten Frage. Wie tun wir das?“
Dem Chor folgte ein schweigen. Vereinzelt war ein „Öh… joa…“ zu hören, hier ein hüsteln, gemischt mit „hmms“ und Achselzucken. Die Mitglieder der Weidenloge schauten sich vorsichtig untereinander an.
„Also… die haben natürlich Waffen, die haben wir nicht.“ fasste Parvellino, der Nägelschmied seinen Mut zusammen, um die Stille zu durchbrechen. „Das ist schon ein Problem. Zudem sind das trainierte Kämpfer.“
„Ja, das stimmt natürlich. Es sind die Namenlosen Tage und die fackeln unsere Stadt ab. Die haben es nicht mal mit den Göttern, die bringen uns wahrscheinlich einfach um, wenn wir uns denen Gegenüber stellen.“ hörte man eine Stimme aus dem Hintergrund.
„Ich gebe zu, die momentane Lage macht auch mich etwas nervös.“ erlaubte sich nun auch Dettmar wieder das Wort. Soweit ich das alles mitbekommen habe, haben sich die Löwen an der Belhankaner Münze breit gemacht, haben zudem die Korkmachergasse und Silem-Horas-Gasse völlig unter der Knute, da kommt keiner mehr durch. Den Schmiedewinkel können wir quasi vergessen.“
„Ja, und angeblich sind sie auch in den Heiligenschnitzerhof eingebrochen. Wir können nicht mal zum Pistazienmarkt. Vom eisernen Haus ganz zu schweigen.“ Gab wieder eine Stimme im Hintergrund weitere Statusberichte.
„Was kümmert uns das Eiserne Haus?“ maunzte ein Schornsteinfeger in der linken Ecke. „Das ist das Gebiet der Ankerzunft. Bei denen rasseln doch eh nur die Ketten an der Hauswand.“
„Ich bin mir sicher, die Mitglieder der Ankerzunft haben auch ein Interesse, die Löwen aus der Stadt zu vertreiben.“ Versuchte Lessandero das Thema wieder zurück zur eigentlichen Frage zu leiten, aber das war gar nicht so einfach.
„Ach, mit denen kannst du doch nichts anfangen, seitdem die Slinwerft im Wasser versunken ist, sind die doch nur noch wie heulende Kinder. Und sowas nennt sich Handwerker.“ Fing wieder eine Konkurrenzdebatte an, dieses Mal aus der rechten Ecke. Wieder entwickelte sich ein lautes Stimmengewirr, was kurz mit „Anker raus“-Sprechchören lautstark kommentiert wurde, dann aber von Lessanderos Glocke sofort unterbunden wurde. „Können wir bitte zum Thema zurückkommen?“ wurde die Stimme des Trentis nun deutlich lauter und ungehaltener. „Ja, die D’Oros sind bewaffnet, gewalttätig und zu allem bereit, das wissen wir…“
„… und keine 50 Schritt von unserem Logenhaus entfernt…“ kassierte er noch einen Zwischenruf aus der hinteren Reihe.
Lessandero seufzte. „… und bewegen sich auf unsere in ihren Augen illegale Versammlung langsam zu, ja. Auch wenn ihre Hauptaufmerksamkeit derzeit wohl angeblich eher dem Quarto Novo gelten soll. Sie werden aber auf jeden Fall zu uns kommen. Aber wir sind doch nun wirklich nicht ohne Einflussmöglichkeit.“
„Ihr meint, wir sollten mit Ihnen etwas aushandeln?“ fragte der Mann zu Dettmars linken.
„Nein. Ich meine, wir sind Handwerker. Wir haben Hämmer, wie haben Nägel, wir haben die Gabe und den Verstand, um aus einem Stuhlbein eine schmerz zufügende Keule zu basteln. Und wir sind hier an der Miserimauer zuhause. Wir kennen die toten Punkte der engen Gassen hier und sind in der Lage, Dinge zu Basteln, die ihnen den Durchgang verwehren und dabei wirklich weh tun. Von daher sage ich – schnappen wir uns unser Werkzeug und riegeln den nördlichen Parvenusgrund ab. Machen wir aus der Piazza Avellana einen Ort, den ein Löwe nicht betreten kann, ohne eine gewaschene Handwerkerrechnung zu erhalten!“
Zustimmende Rufe aus dem ganzen Saal. Die Entscheidung war Einstimmig. Die Weidenloge würde sich den Rondrikan-Löwen entgegenstellen und dafür sorgen, dass ihnen die Linke Flanke des Turmwinkels verwehrt bliebe. Noch einmal ließ Lessandero die Glocke erklingen. „Dann beende ich diese Sondersitzung. Lasst uns da raus gehen, lasst uns unser Werkzeug nutzen und lasst uns diesen D’Oros den Leitspruch unserer Loge hören!“
„Das wird teuer?“ hörte er eine irritierte Stimme zu seiner rechten. Der Werkstattleiter des Hauses Trenti blickte irritiert. Er hatte eigentlich einen anderen Spruch gemeint. Aber die Bande war gerade auch zu diskutierfreudig, um dieses Fass nun auch noch zur Abstimmung zu bringen. Daher nickte und lächelte er nur und wiederholte. „Ja. Das wird teuer!“ Mit einem vielstimmigen „Das wird teuer! Das wird teuer!“ stampften die Mitglieder der Weidenloge dann aus dem Logenhaus und machten sich ans Werk.
Die Legende
Cassiopeia hatte soeben mit den di Camaros besprochen, welchen Ort man als Treffpunkt der Widerständler nutzen konnte. Die Wahl war auf den Freiheitsgong gefallen. Allein schon von der Symbolik war dieses Monument nicht zu übertreffen, aber auch -- eine Bemerkung ihres taktisch offenbar begnadeten Gatten -- der gute Überblick über Stadt und Umland, die Einsehbarkeit des Platzes der Freiheit und die noch andauernde Verteidigung der Barrikaden um selbigen waren Pluspunkte, die man nutzen wollte. Nun war sie zurück auf dem Weg zu den Trentis, um die Nachricht weiterzutragen. Währenddessen grübelte sie vor sich hin: ihr Onkel versuchte die Handwerker auf ihre Seite zu ziehen, die di Camaros versuchten ihr Glück bei den Familien in Residencia... Das war gut, aber ob es reichen würde? Sie bräuchten einen Fürsprecher, der dem Volk bekannt war, einen Helden, der Vertrauen genoss. Einen... "BINDER! Hierher! Hier ist noch einer!" scholl es aus der Gasse zu ihrer linken. Cassiopeia blickte Neugierig hinein. Ein Trupp von drei Personen machte sich an einer der Barrikaden zu schaffen, warf Möbel und Trümmer beiseite. "Kollaborateure!" schoss es Cassiopeia durch den Kopf und sie wollte schon verschwinden, als sie sah, das der größte von ihnen einen jungen Mann aus den Trümmern hob. "Er lebt noch! Nur sein... Handgelenk sieht scheiße aus. Götterverflucht, das ist Ole! Ole! Hey, Ole!" der Große schüttelte den jungen Mann unwirsch "Komm zu dir. Sonst schaffst du nie deine vier Renze." Alrik Binder drehte sich zu den anderen um. "Baut die Barrikade wieder auf. Und dann sehen wir zu, das wir das hier" er zeigte auf Oles Hand "wieder in Ordnung bringen."
Cassiopeia eilte zu ihnen, nachdem sie nun erkannte, das dies Verteidiger und keine Kollaborateure waren. "Wohin bringt ihr ihn?"
"Nach Hause, Parveneo. Seine Mutter soll sich um ihn kümmern. Hier kann er so nichts tun."
Cassiopeia schüttelte den Kopf "Der Haselnussmarkt liegt näher. Kommt mit."
Alrik legte den Kopf schief. "Du bist doch die Trenti, die keinen Plan von Blumen hat?"
"Das war einmal, Meister Binder. Dennoch habe ich heute leider keine Nelke für Euch."
Alrik lachte schallend. "Na du machst mir spaß! Also auf! Der Fisch ist im Wasser."
In der Casa Trenti in der Nähe des Haselnussmarkts angekommen, wurde Ole erst einmal versorgt. Derweil fragte Cassiopeia Alrik, wie er zum Widerstand gekommen ist.
"Die Jungs da in der Gasse, das sind Delphinocco-Freunde von mir. Ich war in der Nähe, als die Barrikade angegriffen wurde. Ich hab die Faxen so dicke! Die verfluchten Söldner greifen wahllos alles an, was denen im Weg steht. Wir müssen was tun."
Cassiopeia grinste ihn an.
„Hört mal zu, Jungs!“ Alrik Binder hatte sich in der Casa Trenti am Haselnussmarkt auf eine kleine Bank gestellt, damit ihn seine Delphinocco-freunde besser sehen konnten, aber bei solche einer Lichtgestalt war das eigentlich nicht nötig, man sah eh immer nur auf ihn. „Erst noch einmal Danke für unser Mädchen Cassiopeia hier. Einen zentralen Anlaufpunkt zu haben, von wo aus wir den Widerstand organisieren können, hilft enorm weiter. Ich denke, dass wir alle Läufer hier behalten werden, um die Piazza Avellana zu sichern. Für die Wühler und Schwimmer, ich denke, die Aufgabe ist klar, wir müssen hier für ein Symbol sorgen. Ein Zeichen, dass wir es den Löwen nicht erlauben können, dass sie uns unsere Republik nehmen. Entsprechend wird es an uns sein, den Freiheitsgong schlagen zu lassen, so lange, bis der Feind am Ende ist, bis zum Schlusspfiff. Die Treppen zum Turmwinkel werden wir verstärken, halten, wir werden sie anlocken und scheitern lassen. Das wird der Ort, den wir verteidigen, mit unseren Schlägern und Fischen. Aber ich will euch nichts vormachen. Das hier wird unser schwerstes Spiel. Nie war der Preis höher. Manche von uns werden keine vier Renze mehr in einem Spiel machen können. Ja, manche von uns werden vielleicht nie wieder Delphinocco spielen können. Ich kann nicht ausschließen, dass wir bald alle unser letztes Spiel auf der Parven-o-mar machen. Aber seht es auch so, bei Efferd, manche von uns werden auf Grund unserer heutigen Taten niemals den Fehler einer Ehe eingehen.“ Kurzes Gelächter, dann setzte Alrik Binder mit seiner Rede fort.
„Freunde, es geht um nicht weniger als unsere Freiheit. Die Freiheit, uns ohne Sorgen ins Wasser werfen zu können und den Fisch in die Reusen zu kloppen! Wenn wir uns im Wasser gegenüberstehen, dann wollen wir den Gegner zerstören. Das kennen wir, das erwarten wir. Unser heutiger Gegner will uns in einem Meer aus unseren Blut spielen lassen. Und ich sage euch, die Farbe des Meeres macht keinen Unterschied. Die Bewegungen und Abläufe sind die gleichen, die Abläufe sind die gleichen. Spielt dein Gegner dreckig, werden wir dreckig. Kommt er mit Armbrüsten, kommen wir mit unseren Schlägern und mit den Holzfischen und werfen zurück. Wir wissen, wie man zielt. Wir wissen, wie man trifft. Und eine Sache wissen wir, die die da hinten nicht wissen. Wir wissen, wie man gewinnt. Ich sage es euch. Die denken, wir wären Verlierer? Nur, weil wir einen Beruf haben, den wir hassen? Eine Familie, die einen nicht respektiert? Eine Stadt, die den Tag verflucht, an dem wir geboren wurden? Ja, das sind für die vielleicht Verlierer, aber ich will dazu was sagen. Jeden Morgen, wenn wir aufstehen, wissen wir, es kann gar nicht besser werden, bis wir uns wieder schlafen legen. Also stehen wir auf, essen unseren Fisch und trinken diesen grottigen Vinarii-Wein, ziehen uns unsere verranzten Klamotten an, mit den Löchern an der Seite und der billigen Schafswolle, aus dem sie sonst nur Segel machen, ohne die Aussicht, je eine Senatorentoga zu besitzen, wir kämpfen uns durch den Trubel der Silem-Horasstraße und runter zum Hafen, nur um ein paar undankbaren Arschlöchern die Freude zu machen, ihnen ein paar billige Gamaschen an die Hufe zu drücken. Manche von uns werden nie Delphinocco so spielen, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir werden nie wissen, wie es ist von einer wunderschönen Frau gestreichelt zu werden. Eigentlich dürften wir nie wieder durch die engen Gassen hier laufen ohne eine Tüte über dem Kopf zu tragen. Aber wir sind keine Verlierer! Weil wir trotz alldem, wie alle, die nie das sein werden, was sie mal sein wollten, uns da draußen rumtreiben und das sind, was wir nicht sein wollten, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, lebenslang. Und die Tatsache, dass wir uns deswegen nicht an einem Strick aufhängen, das – ihr Puddinghirne von einem Söldner da hinten – das macht uns zu Siegern! Also los. Zeigen wir ihnen, wie hart wir sind!“
Mit tosendem Jubel – oder eher Delphinocco-Kampfschreien zogen die etwa fünfzig - dank dem Angebot von Cassiopeia Trenti nun deutlich besser organisierten - Delphinoccospieler los, um sich mit den Rondrikan-Löwen eine handfeste Prügelei zu liefern. Solange, bis sie gewonnen hatten, kein Tag, kein Leben weniger. Zu ihrer Großen Freude mischten sich bald unter ihren Jubel Sprechchöre, welche den etwas merkwürdigen Chor „Das wird teuer! Das wird teuer!“ anstimmten. Die Weidenloge schien sich bereit erklärt zu haben, diesen Freiheitskampf zu unterstützen. Wenn es jetzt noch gelang, eine Gruppe von Kämpfern zu finden, die den Zugang des Turmwinkels zu den Vorlanden absicherten, wäre der Turmwinkel – und damit das Symbol der Freiheit für die Truppen der Rondrikan-Löwen wohl unerreichbar. Nur zu dumm, dass genau an dieser Stelle die Kaserne des grünen Tors lag, also dem Ort von wo aus die Rondrikan-Löwen agierten. Genau dort benötigte es wirklich stark Bewaffnete Soldaten. Gäbe es doch nur noch so etwas wie die Republikanergarde. So blieb aber die Gefahr, dass die Löwen irgendwann von hinten käme und der Vorteil des höheren Standes genommen würde. Anderseits, vielleicht hatten die Weidner ja noch eine Idee.
Alter Feind, älterer Freund
Es klopfe an der Tür. Cassius warf seine Dokumente auf den Tisch, wo sie alle durcheinandergerieten und brummte ein unwirsches "Herein!". Welchen Sinn hatte es denn, Bauvorhaben für eine Stadt zu prüfen, die auf der einen Seite im Meer versank und auf der anderen Lichterloh brannte? Er sah zu seinem Gast auf und stockte! "DU? Was willst denn ausgerechnet DU hier?" "Ich freue mich auch, dich zu sehen, mein alter Freund." erwiderte Avincenzo Pecuna und grinste. "Was macht die Arbeit? Unbefriedigend in diesen Zeiten, möchte ich meinen." und zeigte auf die Stadt hinaus, wo noch der Rauch des Vortages hing. "Na du hast Nerven!" schnaubte Cassius. "Seit Jahren redest du nicht mit mir, schickst höchstens deine Gesellen vor, um deine Anträge einzureichen und jetzt platzt du hier rein als ob nichts wär?" Avincenzos Blick wurde ernst und streng. Er ballte beide Hände zu Fäusten und stütze sie auf Cassius' Schreibtisch, beugte sich zu ihm herunter und zischte ihn an: "Mitnichten werde ich so tun, als sei damals nichts vorgefallen! Doch ich sprach gestern mit Meister Arnax. Er überzeugte mich, das wir uns aussöhnen müssen. Nicht nur als Erben seines Genies. Dem Hass der hier wütet ist es egal, wessen Gebäude er verbrennt. Welche Familien und Leben zerstört werden. Angesichts dessen sollten wir doch wohl in der Lage sein, über unsere Schatten zu springen und uns wieder zu vertragen. So wie es früher war." "Früher. Du sagst es. Das ist lange her..." Cassius war so überrumpelt vom auftauchen seines früheren Freundes. Seit anbeginn ihrer Ausbildung bei Meister Arnax waren sie zerstritten. Niemand wusste, was damals vorgefallen war. Cassius brauchte Zeit. "Lass uns gemeinsam zum Meister gehen. Ich will aus seinem Mund hören, was er zu sagen hat."
Bei Angrosch
In Arnax' Haus am Pilgertorweg, wo seine beiden Schüler noch einen eigenen Raum nutzten, war noch alles ruhig. Die Haushälterin Tsalina öffnete den beiden. "Der Meister ist in einer der Werkstätten, aber sein Mittagessen ist überfällig. Bringt ihn doch bitte gleich mit ins Esszimmer." Die beiden früheren Freunde begannen mit der Suche. Sie fanden Meister Arnax im Bildhauer-Atelier. In der Mitte des Raumes stand eine wundervolle, unvollendete Statue aus Grangorischem Marmor, die offenbar ein Reiterstandbild werden sollte. Das Gesicht des Reiters wirkte beinahe lebendig, so fein war es gearbeitet. Auch die Flanken des Pferdes waren so geschickt in die Maserung des Steins gearbeitet, das es so aussah, als würde es Atmen, wenn sich der Betrachter bewegte. Doch Meister Arnax bewegte sich nicht. Leblos lag er am Boden, den Meißel in der einen Hand, den Hammer neben der anderen. Die Augen offen, der Blick leer. Er atmete nicht. Meister Arnax Silberfinger war tot!
Familie Legari
Daria Legari saß im Salon und starte auf die Briefe vor ihr, die unterschiedliche Stadien der Zerknitterung aufwiesen. Ihr Sohn Kahadan lehnte am Türrahmen, seine Kleider wirkten als hätte er darin geschlafen und die Haare hatte er nachlässig nach hinten gebunden.
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“, fragte er und deutete auf die Briefe auf dem Tisch.
Seine Mutter seufzte „Ich habe es dir doch schon ausführlich erklärt, es ist einfach nicht klar wer die besten Chancen hat. Die d'Oro haben es geschafft sich auf einen Schlag fast alle wichtigen Familien der Stadt zum Feind zu machen, selbst die di Malavista und die ya Pirras, die ja fast schon offene Feinde der Republik sind, haben sich gegen sie gestellt“, meinte sie und deutete auf zwei der Briefe, „andererseits haben sie alle Trümpfe in der Hand, der Senat ist außer Gefecht, die Senatoren als Geiseln genommen, die Truppen sind übergelaufen und die Tempel schweigen. Wenn wenigstens Efferdobal Positionen gegen sie beziehen würde, aber der sitzt in seiner Höhle und nimmt übel. Ich mag die Familien dieser Stadt und ich mag auch das Konzept der Republik, aber ich bin nicht bereit mit ihnen unterzugehen. Das Problem mit dem Heldentot ist nämlich, egal wie stilvoll oder heroisch man abtritt, man ist danach Tod. Da wir also nicht wissen welches Pferd das Rennen machen wird, setzen wir eben auf alle. Ich habe den di Malavista den Vorschlag gemacht zu den Thirindar zu gehen und mal zu schauen was sie vor haben und den Thirindar werde ich das Angebot machen ihr Ohr in den Reihen des Widerstandes zu sein. Wobei wir offiziell natürlich an der Seite der di Malavista stehen. Also können wir im Notfall immer behaupten, wir hätten für die entsprechende Seite gearbeitet.“
Kahadan seufzte: „Und bietest damit jeder Seite einen Grund dich als Feind zu betrachten. Das was du da vorschlägst ist ein wahnsinnig gefährlicher Balanceakt. Aber ich habe hier ja eh nichts zu melden, also was kann ich tun?“Daria hielt ihre Augenbraue im letzten Moment davon ab sich zu heben. War das eben ein winziger hauch von Verbitterung gewesen?
„Nun ja“, begann sie etwas verunsichert, sie hatte nicht erwartet, dass er sich an der Sache beteiligen wollte, normalerweise ging er jeder sozialen Interaktion aus dem Weg. Vermutlich hätte er auch den Staatsstreich verpasst bis das Dach über seinem Kopf abgebrannt worden wäre, wenn Daria ihn nicht von seinen Büchern weg geschleift hätte. „Ich dachte, du bleibst hier und hältst die Stellung. Jemand muss schließlich auf die ganzen Leute aufpassen und Nachrichten entgegen nehmen.“ Das war noch so ein Punkt, als Daria ihren Bediensteten erlaubte, ihre Familien mit ins Haus zu bringen, hatte sie an Ehepartner und vielleicht Kinder gedacht. Ihre Diener anscheinend nicht.
Es klopfte höflich an die Tür, es war ein Klopfen, das ungefähr folgende Botschaft vermittelte „Wenn es niemanden stört, hätte ich eventuell etwas zu sagen, aber nur wenn es euch gerade passt.“
„Herein“, sagte Daria, es gab nur eine Person die so klopfte. Ihr Leibdiener trat ein. „Die Dame, der Herr, vor der Tür stehen drei Delphinoccospieler, einer von ihnen ist der junge Mann, den sie zum einkaufen geschickt haben, ein anderer ist verletzt, sie möchten wissen ob sie herein kommen können.“
Kahadan nickte: „Bring ihn in die Küche. Dort kann sich Averdane um ihn kümmern.“ Als er die hochgezogene Augenbraue seiner Mutter bemerkte zuckte er mit den Achseln: „Einige unserer Gäste waren ziemlich angeschlagen als sie hier ankamen. Ich musste herumfragen wer Ahnung von Heilkunde hat. Im Haus gibt es eine Wundärztin, das ist Averdane, die Schwester deiner Zofe, einen Zahnreißer und zwei Hebammen. Ach ja und noch einen Bader, den eine der Hebammen empfohlen hat um Averdane zu assistieren. Einer der Söhne des Leibdieners musste ihn herholen, aber er macht seine Arbeit sehr gut. Nur leider haben wir nicht ausreichend Material, also habe ich jemanden losgeschickt, der Kräuter, Verbände und sowas besorgen soll. Anscheinend hat er seine Freunde mitgebracht.“
Darias Augen wurden immer schmaler während sie zuhörte. „Du hast dieses Haus in ein Hospital für Proleten verwandelt?“, fragte sie mit betont ruhiger Stimme.
Ihr Sohn begegnete ihrem Blick mit verschränkten Armen. „Wenn du es so nennen willst. Es sind unsere Gäste, also müssen wir uns so gut wie möglich um sie kümmern und es wäre unmenschlich anderen diese Hilfe zu verwehren, wenn sie sie am dringendsten brauchen. Unsere Leute hier sind vielleicht keine Medici, aber sie können für einige den Unterschied zwischen, Heilung oder dem Leben als Krüppel oder vielleicht sogar dem Tod sein. Außerdem willst du gerade einen Tanz auf der Rasierklinge versuchen. Was immer da am Ende rauskommt, ein paar dankbare Proleten können bestimmt nicht schaden. Wir waren uns noch nie zu schade, jemandem Marmelade um den Mund zu schmieren, also was spricht dagegen?“
Seine Mutter setzte zu einer scharfen Antwort an, überlegte es sich aber anders. „Du bist erwachsen, tu was du für richtig hältst. Versuch einfach nicht aus einem dummen Grund zu sterben.“
Der Verwalter wirkte im ersten Moment überrascht und nickte dann. „Pass du auch auf dich auf. Unter unseren Gästen hier sind auch ein paar kräftige, junge Leute sie können dich auf deinen Ausflug zu den Thirindar begleiten.“
„Du machst dir wirklich Sorgen um mich, oder?“, in die Augen der alten Frau war ein schelmisches Funkeln getreten, „keine Angst ich bin nicht so alt geworden, um jetzt mit eingeschlagenem Schädel im Rinnstein zu landen und dir meine Hunde zu überlassen“, sagte sie und strich einem neben ihr liegenden Exemplar über den schneeweißen Kopf.
Rahjabella Solivino & Rahjalin Legari
Unfähig in jeglichen Kampfsituationen
Rahjabella wich leicht eingeschüchtert dem grimmigen Blick eines bis auf die Zähne bewaffneten Söldners aus. Er starrte sie nun schon die ganze Zeit so an! Als wären sie streunende Hunde, die man gewähren lässt und erst dann wegtritt, wenn sie einem zu nahe kommen. Sie suchte Rahjalins Blick, der so unbehaglich dreinschaute wie sie sich fühlte. Die beiden Priester durchquerten gerade am hellichten Tage, genauer gesagt am ersten Namenlosen, den Senatsplatz. Die Stadt lag heute viel verlassener da als am vorherigen Tag, an dem das Chaos ausgebrochen war. Es war wie ein Schlachtfeld nach einem erbitterten Kampf: Vieles war abgebrannt und zerstört und die herrschende Grabesstille wirkte wie die Ruhe vor dem Sturm. Vor einem erneuten Sturm, dachte Rahjabella verbittert. Die gestrigen Straßenkämpfe und in Brand stehenden Häuser sah sie noch immer vor ihrem inneren Auge. Vereinzelt lungerten noch einige Söldner herum, damit auch ja keiner auf die Idee kam, die seit gestern verhängte Ausgangssperre zu brechen. Die Geweihten hatte man jedoch bisher aufgrund ihres Status bis auf einige bedrohliche Blicke unbehelligt passieren lassen. Doch Rahjabella war sich sicher, dass sie so einfach nicht bis in den Senat kommen würden. Kurze Zeit später stiegen sie die Treppe zum Senatsgebäude hinauf. Vor dem großen Tor standen wie erwartet vier Söldner mit Hellebarden. Zwei von ihnen kreuzten sofort die Infanteriewaffen vor dem Tor, die anderen beiden traten näher, sich bedrohlich vor ihnen aufbauend. “Was wollt ihr hier?”, fragte der eine in unfreundlichem Tonfall. “Geht zurück in euren Tempel, Rahjadiener, ihr versteht sowieso nichts vom Krieg, dort seid ihr sicher und könnt abwarten, bis sich die Unruhen gelegt haben.”, sagte der zweite Söldner. Es klang einerseits herablassend, andererseits auch nach einer ernst gemeinten Aufforderung. Rahjabella setzte ein freundliches Lächeln auf. “Wir sind Rahjalin Legari”, sie deutete auf ihren Begleiter. “und Rahjabella Solivino. Und wir ersuchen Zugang zu den angeklagten Senatoren.” Den Kommentar des zweiten Söldners ignorierte sie. Sie folgte den Blicken, die sich die Söldner daraufhin zuwarfen. Waren die etwa amüsiert? Tatsächlich grinste der erste Söldner ein wenig, als er sich ihnen wieder zuwandte. “Es tut mir wirklich Leid, euer Gnaden, aber das hier ist nicht, wie ihr es euch vielleicht in eurer heilen Welt vorstellt. Natürlich dürft ihr nicht in den Senat, es gibt den ausdrücklichen Befehl, niemanden hineinzulassen.” “Das ist vor allem zu eurer eigenen Sicherheit. Wir wollen nicht, dass solch einer hübschen Dame etwas zustößt, immerhin geht es hier um Beteiligte an einem Mordkomplott!”, fügte der Zweite ironisch hinzu, ohne auch nur im geringsten zu verbergen, dass er sie für vollkommen unfähig in jeglichen Kampfsituationen hielt. Doch das ging Rahjabella jetzt etwas zu weit: Die machten sich doch tatsächlich über sie lustig, taten so, als verstünden sie als Rahjageweihte kein bisschen von Politik und bevormundeten sie, sie sollten schön brav in ihren Tempel zurückkehren. Am liebsten hätte sie diesen vorlauten Söldnern so richtig ihre Meinung gesagt, doch Rahjalin legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und setzte nun seinerseits zum Sprechen an.
Irgendein Gegenstand aus Edelmetall
“Ich glaube kaum, dass uns ein paar Senatoren, die den größten Teil ihrer Zeit mit Faulenzen und Reden halten verbringen, gefährlich werden können, wenn sie unter so guter Bewachung stehen. Außerdem sind wir ja ein bisschen für das Wohlergehen unserer Herde verantwortlich und vielleicht möchte ja einer der Senatoren sein Gewissen erleichtern. Es würde auch ihre Familien bestimmt sehr erleichtern, zu hören, dass sie wohlauf sind. Natürlich würde ich niemals den d’Oro so etwas wie schlechte Behandlung unterstellen, aber diese Patrizier sind einfach unfassbar misstrauisch. Für den Fall, dass ihr wegen dieser Sache Unannehmlichkeiten habt, möchte ich schon einmal im Vorfeld meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen...", freundlich lächelnd griff er an seinen Geldbeutel. “Versucht uns nicht zu bestechen, Priester.", knurrte einer der Söldner, die die Lanzen vor der Tür gekreuzt hatten. Halt die Klappe, dachte Rahjalin, dein Beruf ist eine einzige Bestechung und wenn es jemand laut herausposaunt, kann man es selbst als Söldner nicht mehr annehmen. Dabei wirkte der Rest der Gruppe nicht uninteressiert. Er versuchte möglichst entspannt mit den Achseln zu zucken. “Ihr habt den Baron, einen angesehenen Bürger der Stadt und Freund des Tempels”Eine glatte Lüge, aber es hatte auch Vorteile kein Praiot zu sein “vor einem Mordkomplott gerettet und habt die Möglichkeit, uns dabei zu helfen, ein paar verirrte Pferde unserer Herde, wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Mit der Dankbarkeit eines Priesters der Liebreizenden könnt ihr nicht viel anfangen, also wäre es grob unhöflich, euch nicht mit einem kleinen Geschenk zu bedenken. Aber wenn ihr in dieser Situation davon absehen wollt es anzunehmen, kann ich das natürlich verstehen. Ich werde es in eurem Namen der Göttin opfern und…” “ Nein”, unterbrach ihn der Söldner, der sie schon vorher angesprochen hatte, "natürlich werden wir euch nicht blamieren, in dem wir euer Geschenk zurückweisen.” Er war dem vorlauten Hellebardier einen scharfen Blick zu. “Es ist sehr schön zu wissen, dass wenigstens ein paar Bürger dieser Stadt unsere Bemühungen zu schätzen wissen zu meinem großen Bedauern kann ich euch nicht zu euren verlorenen Pferden”,in diesem Moment lag deutlicher Sarkasmus in seiner Stimme,”bringen, da sie heute morgen in den Palazzo Thirindar verlegt wurden” Rahjalin fluchte innerlich, das konnte sie wirklich nicht gebrauchen. Trotzdem händigte er den Wachen weiterhin lächelt einen schmalen Silberring und drei kleine Lapislazulis aus, die eigentlich für die Herstellung von blauer Farbe, für den Himmel eines Tharvungemähldes gedacht gewesen waren. Die Söldner würden sie bei der nächsten Gelegenheit verspielen oder sowas. Sie verabschiedeten sich und schlenderten über den verwüsteten Platz davon, peinlich darauf bedacht nicht zu schnell zu gehen. “Was sollte das denn?”, zischte Rahjabella als sie außer Hörweite waren, “du hast nicht ernsthaft ein paar unverschämten Söldnern Honigschleim ums Maul geschmiert, um dich dann von ihnen ausnehmen zu lassen oder?” “Leider doch”, murmelte er zurück, “das dumme daran Leute zukaufen ist das man manchmal erst weiß was sie wert sind. Aber das Geld war nicht ganz zum Fenster raus geschmissen. Wir wissen jetzt wo die Senatoren sind…” “Diese Information war aber verdammt teuer”,schnaubte sie, “ wie viel waren diesen Steine wert? Alle zusammen bestimmt zwei, drei Dukaten.” Da Rahjalin wusste, dass sie nur ihre schlechte Laune, die eigentlich gegen die Söldner gerichtet war, rausließ, überging er den Kommentar. “und dass die Kämpfer in dieser Stat genauso blank und damit käuflich sind wie ich dachte.”, fuhr er unbeeindruckt fort. Daraufhin schwieg seine Begleiterin. “Du hast recht.” sagte sie schließlich, “dafür das diese Mistkerle gerade die halbe Stadt geplündert haben, waren sie erstaunlich scharf auf dieses ,kleien Geschenk´. Diese Info ist wirklich einiges wert und er war auch ziemlich freigebig mit dieser Aussage, die er bestimmt eigentlich nicht hätte rausgeben dürfen. Wenn das heute Morgen so eine Nacht-und-Nebel-Aktion war.” Der ältere Priester seufzte “Ich glaube ich weiß auch warum. Dieser Mann hat sich bestimmt einiges von der Plünderung erhofft, aber hast du auf dem Weg hierher auch nur einen ausgebrannten Palazzo gesehn? Ich nicht, die Söldner sind über die ärmeren Viertel hergefallen, aber da gibt es eigentlich nichts zu holen und man hat sie wahrscheinlich zum Schnäppchenpreis gekauft, weil sie von der Republik ja gar nichts mehr gekriegt haben .” “Oh”, meinte Rahjabella, "wahrscheinlich könnte die Signoria in Urbasi den größten Teil der Kämpfer in der Stadt einfach abwerben. Aber hier in Efferdas ist das egal, denn nach dem was man so hört, sind hier alle ziemlich pleite, wenn sie nicht deshalb die Stadt schon verlassen mussten. Entschuldige Rahjalin, das war nicht so gemeint.” Der zuckte wieder nur die Achseln. “Nicht so schlimm, es ist ja wahr. Du weißt nicht, wie viele Künstler sich in den letzten Monaten bei mir ausgeweint haben, weil ihre Mäzen sie auf die Straße gesetzt haben oder es kaum noch Aufträge gibt. Aber die Stadt wird sich erholen und wir sollten uns erstmal auf die Probleme konzentrieren, die wir lösen können. Hast du irgendeinen Gegenstand aus Edelmetall dabei, den wir als Geschenk getarnte Bestechung verwenden können? Mir geht langsam der Krimskram aus.” Sie waren am Palazzo Thirindar angekommen.
Ein wenig Süßholzraspeln
Rahjabella fasste sich unwillkürlich an den Hals, an dem ein Schutzamulett der Rahja aus ihrem Heimattempel hing. Das nicht! Sie nahm nach kurzem Zögern eine silberne Haarspange aus ihrer Hochsteckfrisur, die sofort in sich zusammenfiel. Die offenen Locken zurückstreichend wog sie das zierliche Schmuckstück in ihrer Hand. „Was ist damit?“ „Perfekt.“, sagte Rahjalin. „Mit welchem Senator würdest du eigentlich gerne sprechen? Ich kenne keinen einzigen.“ „Wenn es geht, wäre ein Gespräch mit Cordovan di Malavista ideal, weil unsere Familien befreundet sind. Außerdem könnten wir unseren Gastgebern eine Freude machen und ihnen Neuigkeiten über Cordovan mitteilen.“ „Gut, versuchen wir es. Die Einschmeicheln-und-Bestechen-Taktik hat so gut funktioniert, das klappt bestimmt noch mal.“ Sie schlenderten betont entspannt auf die gerade den Palazzo bewachenden Soldaten zu. „Rahja zum Gruße!“ Rahjabella setzte ein strahlendes Lächeln auf. Die Soldaten waren genauso irritiert über den Anblick der zwei Rahjapriester wie ihre Kollegen auf dem Senatsplatz zuvor. Doch diesmal beging sie nicht den Fehler, sie zu Wort kommen zu lassen. „Wir sind Rahjalin Legari und Rahjabella Solivino. Eure geschätzten Kollegen vor dem Senatsgebäude haben uns hierher empfohlen. Sie waren äußerst zuvorkommend und haben es sehr bedauert, uns nicht unseren Wunsch, die Senatoren zu sprechen, erfüllen zu können, da diese in den Palazzo Thirindar verlegt wurden.“ Diese Version entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, klang jedoch viel besser als es sich wirklich zugetragen hatte. Tatsächlich wurden dieses Mal keine Lanzen gekreuzt, die Soldaten warfen sich ratlose Blicke zu und schienen sich nicht entscheiden zu können, was sie darauf antworten sollten. "Eure Gnaden, wie ich das verstanden habe, wollt Ihr, dass wir euch zu den Gefangenen lassen? Es tut uns Leid, aber diesen Wunsch können wir euch nicht erfüllen. Aber wir raten euch, so schnell es geht in euren Tempel zurückzukehren. Die Aufständischen machen die Straßen unsicher, weswegen ja auch Ausgangssperre herrscht." Der Soldat klang höflich und wirklich an ihrem Wohlergehen interessiert, nur beim letzten Satz nahm seine Stimme einen tadelnden Tonfall an. Rahjabella machte einen enttäuschten Gesichtsausdruck. "Das ist aber sehr schade. Eure netten Freunde haben uns versichert, dass wir als Götterdiener Zugang zu einem Gespräch bekommen werden. Ihr müsst verstehen, wir möchten im Sinne unseres Glaubens diese verlorenen Pferde wieder zurück zur Herde, zum Glauben geleiten. Dies hat nichts mit weltlichen Interessen zu tun, es dient allein dem Seelenheil der Betroffenen und ist so im Interesse eines jeden Zwölfgöttergläubigen." Eindringlich sah sie jedem der Soldaten in die Augen. "Aber...", hob einer von ihnen an. Ein anderer Soldat schüttelte leicht den Kopf und er verstummte. "Manchmal gilt es, den Göttern Wohlgefälliges über einen weltlichen Befehl zu stellen. Wir möchten nichts als ein Gespräch mit einem der Ränkeschmiede des Mordkomplotts, das ihr der Herrin sei Dank verhindern konntet, um herauszufinden, was die Beweggründe waren und wie wir die Seelen retten können. Und es soll euer Schaden nicht sein." sagte Rahjabella und hielt die Hand mit der fein gearbeiteten Silberhaarspange so, dass die Soldaten sie im Sonnenlicht aufblitzen sahen. "Nehmt dies als Entschädigung für eure Mühen. Ein Geschenk zweier Rahjadiener an euch, die Ihr dem Glaube treu seid." Die Soldaten warfen sich wieder Blicke zu, einer nickte kaum merklich und der Sprecher räusperte sich. „Also gut. Aber wir begleiten euch nach drinnen. Da werdet ihr wohl nichts gegen einzuwenden haben?“ „Natürlich nicht. Ihr dürft gerne alles mitanhören, wenn ihr Interesse an seelenheilkundlichen Gesprächen habt.“ Der Soldat nahm die Haarspange entgegen. „Rondrigan, du geleitest ihre Gnaden hinein. Gib gut auf die beiden Acht.“ Die Zweideutigkeit in dem letzten Satz war der Priesterin nicht entgangen: Ihnen wurde nicht nur ein Beschützer, sondern auch ein Aufpasser mitgegeben. Ein junger Bursche nickte zackig, trat einen Schritt vor und öffnete das Tor zum Palazzo. „Folgt mir, eure Gnaden.“ Rahjabella atmete erleichtert aus, als sie Rondrigan nach innen folgten. Sie warf Rahjalin einen Blick zu, der so viel fragte wie: Habe ich zu dick aufgetragen? Doch der andere Priester hob unauffällig einen Daumen und lächelte anerkennend. Rahjabella musste ebenfalls lächeln. Was eine kleine Verzerrung der Tatsachen und ein wenig Süßholzraspeln doch bewirken konnten… Sie liefen schweigend einige Gänge entlang. „Wenn dies möglich ist, würden wir gerne mit Cordovan di Malavista das Gespräch suchen.“, sagte Rahjalin mit ruhiger Stimme und freundlich lächelnd. Rondrigan gab keine Antwort und vermied es, sie anzusehen. Beunruhigt suchte Rahjabella Rahjalins Blick, dieser zuckte mit den Schultern. Plötzlich hörten sie näherkommende Schritte von mehreren Personen, die sich leise unterhielten. Bevor die Rahjapriester reagieren konnten, bogen vier Soldaten um die nächste Ecke und blieben überrascht stehen. Der vorderste Soldat reagierte am schnellsten, er legte seine Hand an den Schwertgriff und kam misstrauisch einen Schritt näher. „Wer sind die?“, zischte er Rondrigan zu. „Das sind zwei Rahjageweihte, die hier sind, um mit Cordovan di Malavista zu sprechen. Sie möchten, so wie sie es ausgedrückt haben ‚die Pferde zurück zur Herde bringen und ihre Seelen retten‘.“ Der andere starrte ihn ungläubig an. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. „Das haben die nicht wirklich gemacht, oder? Das darf doch jetzt nicht wahr sein! Ihr macht auch wirklich alle, was ihr wollt!” Er wandte sich an die Priester und mühte sich, seinen Tonfall etwas zu beruhigen. “Eure Gnaden, ihr seid widerrechtlich hier eingedrungen. Das wird Konsequenzen nach sich ziehen, wie ihr sicher versteht. Wir bitten euch, keinen Widerstand zu leisten und mit uns zu kommen, so wird es am angenehmsten für alle Beteiligten vorüber gehen.” Er stieß Rondrigan unsanft beiseite und winkte den drei Soldaten hinter ihm. “Im Namen des Hausherren Serefanos Thirindar seid ihr festgenommen!”
Eine Nachricht aus Blumen
Was für ein Mist. Rahjalin hatte nicht so wirklich geglaubt, dass sie hiermit einfach durchkämen, aber er hatte gedacht das sie schlimmstenfalls vor die Tür gesetzte, nicht eingekerkerte. Dafür das sie zwei offensichtlich unbewaffnete und nach dem was sie sein Söldnern vor der Tür erzählt hatten, etwas dämliche Rahjanis vor der Nase hatten, waren diese Wachen ziemlich aufgekratzt. Außerdem wollte ihnen der von der Tür, ihnen schon nicht in die Augen schauen, bevor sie die anderen Wächter traffen. Hatte er geplant sie verhaften zu lassen oder gab es einen anderen Grund? Ganz abgesehen davon, warum wollte der Hausherr nicht das sie die Senatoren trafen?Jeder der ein bisschen Hirn im Schädel hatte wusste, dass das mit dem Attentat eine Lüge war, also was hätte es ihn gekostet sie einfach mit ihnen reden zu lassen? War den Politikern etwas so schlimmes angetan worden, das die Verschwörer verhindern wollten das es ihre Familien erfuhren? Oder ging es einfach ums Prinzip? All diese Gedanken rotierten durch Rahjalins Verstand als sie den Gang hinuntergeführt wurden. Natürlich hatten sie laut und wortreich gegen die Festname protestiert, aber das war den Wachen ziemlich egal. Das ganze endete damit, dass der Anführer der Wachen Rahjabella ins Gesicht schlug was sie eher durch den Schock als den Schmerz verstummen ließ. Jetzt bereitete sich ein sehr unvorteilhafter Bluterguss über ihre Wange aus, der sich langsam lila färbte. Rahjalin fühlte sich scheußlich, sie war in seiner Stadt, bei seiner Familie zu Gast und jetzt paßierte ihr sowas.
Das einzige Positive an der Sache war das sie eine kleine Führung durch die, im zyklopischen Stil, schlichten, aber eleganten Räume des Palazzo Thirindar bekamen, obwohl sie dem Erlebnis in dieser Situation nicht viel abgewinnen konnten. Als sie einen Gang entlang geführt wurden öffnete sich plötzlich eine Tür geöffnet und ein weiterer Lichtblick in dieser vertrackten Angelegenheit erschien und zwar in gestallt eines schlanken, goldhaltigen, jungen Mannes mit blitzenden braunen Augen. Die heitere sei gelobt, Therengar Razori. Der grangorere Liebesdiener blieb überrascht stehen als er die gefangenen Rahjanies sah. „Was macht du denn hier, Rahjalin?“, rief er, „und warum die Wachen?“ Bofor der Priester antworten konnte er griff der Söldner Anführer das Wort. „Die beiden hier haben unbefugt das Haus beteten und werden deshalb eine Weile unsere Gäste sein, bis die Herrschaften entschieden haben was mit ihnen passieren soll. Also nichts worum sie sich kümmern müssten.“ Ein Verzweifelter greift nach jedem Strohhalm, also tat der ältere Priester jetzt genau das. Er setzte ein unschuldiges Lächeln auf und wandte sich an Therengar: „Da ich jetzt ein Bisschen hier sein werde, könntest du vielleicht auf dem Markt einen Strauß für mich abholen? Sonst wirft man ihn noch weck. Er besteht aus voll erblühten Rosen, weißen Iris, Mohn und ist mit grünem Weinlaub umwickelt, vielleicht solltest du noch Nelken dazu kaufen, dass sähe hübsch aus.“ Der Angesprochene schien zu verstehen und nickte: „ Weil ich ja sonst nichts tun kann mache ich das gerne.“ Dann machte er den weg frei und Rahjalin war etwas leichter ums Herz. Rahjatempel, schlechte Nachricht, Gefängnis und Beile dich, er hoffte er hatte alles richtig diktiert und die Wache schienen nichts geschnallt zu haben. Nur ihr Anführer wirkte misstrauisch, aber das war nicht zu ändern. Außerdem musste Rahjabella ein grinsen unterdrücken, dass sah er ganz deutlich.
Operation Brennendes Herz
Therengar bewegte sich aus dem Keller, in die beide "Gäste" gebracht wurden zielstrebig wieder nach oben, stetig auf die Ausgangstür zu, an dieser dann aber vorbei und stattdessen eine Treppe weiter nach oben. Vor einer edleren hölzernen Tür hielt er inne und klopfte. Eine junge Stimme erlaubte den Eintritt. Kaum, dass der alte Rahjani die schwere Tür geöffnet hatte, offenbarte sich ihm auch schon eine ihm wohlbekannte Amtsstube. Große Regale und Vitrinen aus dunklem Holz enthielten diverse Folianten mit Vermerken über Geldgeschäfte, die seit Jahren keiner mehr betrachtet hatte. Doch sie verliehen dem Ort ähnlich viel Ehrfurcht wie der massige Schreibtisch aus Mohagoni und der sich dahinter befindliche mit rotem Samt überzogenen Stuhl, welcher fast wie ein Thron wirkte. Auf ihm saß ein junger Mann und studierte eine auf dem Tisch ausgerollte Stadtkarte, auf dem diverse kleine Figürchen scheinbar das aktuelle Stadtgeschehen wieder spiegeln sollte.
Er tat dies nicht alleine, neben dem Tisch stand auch Giacomo d'Oro und war ebenso in den Plan vor sich vertieft. Entsprechend hatten beide noch nicht groß Beachtung für Therengar gefunden. Was nicht für eine der vier bulligen Wächter der Rondrikanlöwen galt, welcher sofort auf den Rahjani zuging. Als er den neuen Gast erkannte, entspannte sich dessen Körperhaltung jedoch sofort wieder und er ging zurück auf seinem Posten nahe des Fensters in der nähe der Eingangstür. Sein Blick galt sofort wieder dem großen Platz des Quarto Novo, den man von hier bestens überblicken konnte. Er war so menschenverlassen wie vermutlich seit dem Erdbeben nicht mehr.
Der Rahjani hingegen war nicht wegen dem Blick auf den großen Vorplatz vor der Börse hier. Zielstrebig ging er auf Serafanos zu, stellte sich leicht hinter ihn und fing an, seine Schultern zu massieren. Dieser Blickte weiter auf die Karte vor sich, auf der Giacomo zwei drei dieser Holzklötzchen gerade verrückte. Dennoch zeigte seine Körpersprache, dass er Therengar durchaus wahrgenommen hatte. Ein leichtes Lächeln und ein kurzes schließen der Augen zeigten, dass er die Berührung an seinen Schultern durchaus genoss. „Wie läuft es da unten?“ wählte er als Begrüßung dennoch recht nüchterne Worte. „Es gibt gute und schlechte Nachrichten. Und eine Pointe.“ Gab der Rahjani mit einem lächeln zurück. „Wo soll ich anfangen?“ Zum ersten mal blickte Serafanos Thirindar den ihn massierenden Mann direkt an. „Eine Pointe? Die dann bitte zum Schluss. Fang mit dem schlechten an.“ „Der direkte Weg zum grünen Tor über die Unterirdischen Kanäle des Bisciadino sind tatsächlich beim Erdbeben eingestürzt. Ich schätze etwa auf Höhe der Hüttnerstraße. Über diesen Weg werden wir die Geiseln nicht zur Kaserne bringen können.“ Giacomo murrte. „Wir können die Senatoren nicht überirdisch in die Vorlande bringen. Bei der aktuellen Situation ist das zu gefährlich, zumal wir gut daran tun, weiter niemanden genau wissen zu lassen, wo sie sich befinden. „Korrekt. Die gute Nachricht ist jetzt hoffentlich eine Lösung des Problems.“ „Ist sie.“ lächelte Therengar siegesgewiss. „Wir haben eine andere Strecke gefunden, die über die Grotten Residencias führen und einen Ausgang am Tenebroso ermöglichen. Wir können unsere Gefangenen dann über die Porta Viridis wieder in die Stadt führen. Wir müssen nur vorab die Männer von Tarquinio della Pena informieren, dass er den Stausee absichern muss, damit keiner versucht, über die Felder abzuhauen.“ Giacomo nickte. „Wird sofort erledigt.“ Er gab ein Handzeichen an einen der vier Gardisten, welcher auch sofort den Raum verließ, um Befehle weiter zu tragen. „Wie viel Wasser führt der Tenebroso derzeit überhaupt? Es hat doch die halbe Nacht geregnet?“ erkundigte sich Serafanos noch nach den Nebeneffekten des neuen Plans. „Tatsächlich sind die Ufer momentan sehr schlammig. Die feinen Herren Senatoren werden vermutlich alleine wegen dem vielen Matsch kaum zu erkennen sein, wenn sie an der Kaserne ankommen. Und tatsächlich steht ein kleinerer Teil Nahe des Ausgangs am Tenebroso unter Wasser. Nichts Dere Bewegendes, aber wir werden die gefangenen etwas tauchen lassen müssen.“ Serafanos musste wieder schmunzeln. „Wir müssen den alten Dettmar Gerber durch einen Wassergang in eine Schlammgrube ziehen? Ich sehe schon, er wird uns ertrinken.“ „Wenn er tot ist, ist er tot!“ knurrte Giacomo, der wenig Sympathie für den Senator zu hegen schien. Keiner Widersprach ihm.
„Dann ist das die Pointe, von der du gesprochen hast?“ nahm Serafanos das ursprüngliche Thema noch einmal auf. „Nein. Aber unsere Gästeliste ist ungeplant gewachsen.“ grinste der Rahjani. „Stell dir vor, da haben eben zwei Rahjanis an die Tür geklopft und wollten einen der Senatoren sprechen.“ „Was? Wo sind die denn entlaufen?“ lachte Serafanos. Auch Giacomos Kopf schnellte vor Unglaube nach vorne, während er seine Augen zusammenschürzte. „Haben die nicht mitbekommen, was hier in der Stadt gerade los ist?“ „Nachdem eine von ihnen eine Bauernschelle kassiert hat, war ihnen denke ich dann auch klar, dass sie sich in Probleme geturtelt haben. Sie baten mich zumindest darum, ein Hilfegesuch an den Rahjatempel zu übergeben. Ich bin allerdings nicht sicher, ob der Rahjageweihte dort auch ankommen wird.“ gab sich Therengar sarkastisch. „Deswegen bin ich auch gerade vom Keller hier hin.“ „Sie haben da unten natürlich dennoch zu viel gesehen. Sollen wir sie beseitigen?“ fragte Giacomo mit einem Blick auf einen der Wächter. „Die werden harmlos sein. Ich denke, es reicht, wenn wir sie mit den anderen zum grünen Tor bringen.“ winkte Serafanos ab.
Ein Lauter Knall unterbrach das Gespräch. Die drei zuckten vor Schreck zusammen und blickten sich um. Urplötzlich hatte sich ein Fensterladen geöffnet und klapperte nun im Wind lauf auf und ab. Einer der Gardisten eilte zum Fenster und schloss es umgehend wieder, die drei in der Mitte der Amtsstube hingegen blickten vorsichtig umher. Das Gelächter über die zwei Damen war dem Schreck gewichen. Der Rahjani fand bald das Wort wieder. „Es ist natürlich denkbar, dass sie vom Rahjatempel entsendet worden sind, um hier zu spionieren und nur auf Naiv getan haben in der Hoffnung, so an mehr Informationen heran zu kommen. Sie geben sich unpolitisch, aber kein Zweifel, sie mischen sich ein.“ „Das stimmt. Die Situation in der Stadt wäre für uns auch einfacher gewesen, wenn nicht dieser Rhymeo della Pena sich um den Seelenzustand des Efferdobal di Camaros gekümmert hätte.“ knurrte Giacomo. „Die werden zu einem Problem!“ Serafanos winkte ab. „Ach. Was sollen sie denn tun? Ein Weinfest geben?“ Therengar setzte sich auf die Lehne des schweren Samtstuhls und fuhr Serafanos sanft über den Arm. „Und ich auch sage, du unterschätzt sie.“ schüttelte Therengar heftig den Kopf. „Ich sage dir, die Rahjakirche wird wirklich zu einem Problem, um das wir uns längst hätten kümmern müssen. Da wette ich meinen fehlenden Zeh drauf.“ „Kommst du jetzt wieder mit deinem Projekt „brennendes Herz?“ wirkte Serafanos genervt. Er kannte die Pläne des Rahjanis. „Wir müssen. Sie senden offensichtlich ihre Spione!“ blieb Therengar hartnäckig. „Das sehe ich genauso“ stimmte Giacomo zu. Serafanos seufzte schwer und hob offensichtlich weich gekocht die rechte Hand, um mit zwei Fingern eine winkende Bewegung zu machen. „Na wenn ihr meint. Hauptsache ich habe danach von dem Thema meine Ruhe.“ In Therengars Gesicht bildete sich ein düsteres Grinsen. Er stand wieder von der Armlehne auf und nickte den beiden entschlossen zu. „Dann gehe ich nun und starte, was getan werden muss. Iblis mit euch.“ Eine letzte Verbeugung und der alte Mann verließ wieder die Amtsstube.
Mit selbstzufriedenem Lächeln und strammen Schritt ging Hoberto Gerber auf den Palazzo Thirindar zu. Er sah gerade noch eine Gestalt, die aus dem Palazzo gekommen war, um eine Ecke biegen, schenkte dieser aber keine weitere Beachtung. Er hatte seinen bisher wichtigsten Auftrag für Serafanos erledigt und brannte darauf, diesem nun Bericht zu erstatten. Zügig näherte er sich dem Haupteingang, gefolgt von seinen drei Söldlingen. Knapp gab er Anweisung, sie sollten draußen warten, grüßte die Wachen kurz und marschierte die Treppe empor. Vor der Tür zu Serafanos Arbeitszimmer kontrollierte er noch einmal den tadellosen Sitz seiner Kleidung und klopfte dann an. Nach Aufforderung öffnete er die Tür und trat ein. Bei dem Hausherrn stand ein zweiter, deutlich älterer Mann, den der einstige Gerbererbe sofort erkannte und freundlich grüßte. Giacomo d'Oro, der Condottiere der Rondrikan-Löwen, zehn Jahre älter als Hoberto und ein ausgezeichneter Kämpfer und Stratege. Zwar war er ihm gegenüber immer freundlich, doch war der Absolvent der Herzogenschule der Universität Methumis Menschenkenner genug um zu spüren, dass ihn der Cavalliere nicht besonders mochte. Die beiden Männer hatten sich bis eben unterhalten, das hatte er hören können. Jedoch wegen der massiven Holztür kein Wort verstehen können und nun blickten sie ihn nur erwartungsvoll an. “Serafanos, ich muss euch leider mitteilen dass Väterchen Arnax plötzlich und unerwartet vor den Herrn Boron getreten ist!” Seine fast fröhliche Stimme und die Selbstzufriedenheit in seinem Blick wollten jedoch so gar nicht zu einer Todesnachricht passen. “Selbst der alte Baumeister hat nicht mitbekommen, wie ihm geschieht. Du kannst also unbesorgt sein. Es gibt keine Spur, die zu mir oder gar zu euch führt.” Mit breitem Grinsen blickte er von Serafanos zu Giacomo und wieder zurück. “Der gute Meister Silberfinger hätte wohl selbst nicht gedacht wozu man einen Meißel so alles verwenden kann und irgendwie schien es mir passend.” Erwartungsvoll blickte er den sechzehn Götterläufe jüngeren Adligen an.
Beide reagierten mit einem milden Lächeln. “Ohweh, die Bildhauerei ist und bleibt dann wohl ein gefährliches Gewerbe, vor allem wenn man es an den Namenlosen Tagen betreibt.” nickte Serafanos Thirindar zufrieden. “Ja, es scheint, als wäre damit der freien Republik Efferdas ein weiteres Stück Identität verloren gegangen.” nickte ein ebenso vor Sarkasmus triefender Condottiere. “Ich werde sofort zwei Leute hinschicken, um diesen Unfall zu untersuchen. Man stelle sich nur vor, man würde nun Beweise finden, dass er von einem seiner Konkurrenten erschlagen wurde. Oder vergiftet. So wie man es in Mengbilla lernt.” “War euer Bruder nicht einige Zeit bei diesen Giftmischern zugegen?” gab Serafanos die rhetorische Frage an Hoberto zurück. “Korrekt. Mein Bruder Kilian, der über einen Betrug die Leitung der Familiengeschäfte übernehmen konnte, war einige Zeit in Mengbilla. Er gehörte zu dieser Mengbillanischen Loge, denen auch diese verräterischen Kanbassen oder die Hexenmutter der di Camaros angehörte.” Hoberto wurde nicht müde, dies zu erwähnen, auch wenn die beiden gegenüber die Geschehnisse im Hause Gerber sehr wohl kannten. Serafanos blieb diesem Schauspiel treu und schüttelte den Kopf. “Ihr müsst derzeit so viel ertragen, mein Freund. Erst trachtet euer Vater dem Baron von Efferdas nach dem Leben und sein Komplott kann im letzten Moment vereitelt werden, nun das. Welch ein Glück, dass das Haus Gerber einen noch so dem Reich treuen und loyalen Vertreter wie euch hat. Vertraut mir, es dauert nicht mehr lange, dann könnt ihr die Früchte eurer Taten ernten. Dann werdet ihr das Haus Gerber führen, so wie es euer Geburtsrecht vorgesehen hat. Und wenn die Stadt dann im festen Griff des Einen ist, dann wird er sich an euch erinnern und euch zusichern, was euch zusteht!” wurde der Zyklopäer prophetisch. “Ihr könnt dem Seekönig meine unbedingte Treue versichern, in der Tat.” tönte Hoberto und schlug sich auf die Brust. “Der Seekönig, genau.” zwinkerte Serafanos und wandte sich an Giacomo. “Dann entsendet mal einen eurer Inspektoren. Wenn das wirklich ein feiger Mord gewesen sein soll, dann müssen wir Beweise finden, bevor Arnax Werksstube in der Nähe der Kaserne noch im Rahmen der Unruhen Feuer fängt, nicht wahr?” Giacomo nickte zufrieden und verließ den Raum. Es gab Arbeit zu tun.
Hobertos Blicke folgten Giacomo, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann richtete sich seine Aufmerksamkeit wieder auf den Zyklopäer. “Serafanos, habt ihr weitere Aufgaben für mich! Ihr wisst, ich stehe voll und ganz auf eurer Seite und werde nicht zögern zu tun was zu tun ist um die Verhältnisse in Efferdas zu einem Besseren zu wenden.” Seine ganze Körpersprache erinnerte an einen Jagdhund, der gespannt und erwartungsfroh darauf wartete, dass sein Herr ihn endlich von der Leine ließ und auf die Jagd ausschickte. In Gedanken hatte der muskulöse Efferdier schon eine Beschäftigung gefunden, für den Fall dass sein Freund keinen weiteren Auftrag für ihn haben sollte. In den Straßen würden sicher noch genügend Aufsässige herumlaufen und gegen das Ausgangsverbot verstoßen, da galt es mit harter Hand dafür zu sorgen ihnen den nötigen Respekt vor den neuen Herrn einzubläuen und ihren Widerstandswillen zu brechen. Dies ging erfahrungsgemäß am Besten, wenn man den ein oder anderen Knochen gleich mit brach. Seiner Meinung nach war dass die einzige Sprache die die Menschen verstanden, die keinen Respekt gegenüber den Herrschenden zeigten und sich deren Anweisungen widersetzten. Brot und Delphinocco oder Prügel und Efferdossa, der Pöbel hatte die Wahl! Der Zyklopäer wirkte etwas geistesabwesend, als er aus dem Fenster blickend antwortete: “Nein, mein guter Hoberto, im Augenblick nicht! Ihr dürft euch entfernen, ich lasse nach euch schicken, wenn ich eure treuen Dienste wieder benötige!” Hoberto verneigte sich und zog sich langsam rückwärts gehend zur Tür zurück, doch Serafanos war bereits in Gedanken versunken und bemerkte den anderen gar nicht mehr. Etwas enttäuscht verließ Hoberto das Arbeitszimmer, er wusste auch nicht was er genau erwartet hatte, vielleicht noch einmal ein Wort des Dankes, dass er den lästigen Zwerg so schnell und unauffällig aus dem Weg geschafft hatte, oder wenigstens einen freundlichen Blick? Egal, Serafanos war auf seiner Seite und wenn der Seekönig endlich die Herrschaft über Efferdas an sich genommen hatte, dann würde er sich bei ihm erkenntlich zeigen, in dem er seinen elenden Bruder und seine widerliche Cousine samt dem erbärmlichen Rest seiner Familie aus der Stadt jagde und ihm zu seinem Recht als Erben der Besitzungen der Familie Gerber verhalf, ihm einen Posten in der Verwaltung der Stadt gab und ihn zum Cavalliere ernannte. Zufrieden lächelnd verließ Hoberto den Palazzo und machte sich mit seinen Söldlingen auf den Weg für Ordnung in den Straßen Efferdas’ zu sorgen.
Familie Ventargento
Mörder und Plünderer
Auch wenn so mancher seine Meinung nicht teilen mochte, hielt sich Ludolf Timor Tassilo Ventargento, der dazu neigte sich stets mit vollem Namen vorzustellen, für eine bedeutende Persönlichkeit. Entsprechend bewegte er sich, wenn er ging: Er zog die Schulterblätter nach hinten unten am Rücken zueinander, so dass sich seine Brust weitete, dazu reckte er stolz das Kinn und versuchte durch edel zurückhaltende Gesten jene gewisse Noblesse auszudrücken, die dem gewöhnlichen Einwohner Efferdas‘ für gewöhnlich abging. Da er selbst nun, da Aufruhr in den Gassen der Parvenusstadt herrschte, von seinem geckenhaften Auftritt nicht Abstand nahm, fiel er noch mehr als sonst auf. Ein Pfau mag auf einem jährlichen Treffen der Rabenvögel weniger Aufsehen erregen! Er kam auf dem Weg zu seiner bescheidenen Segelmacherei an einigen mitgenommenen Fassaden anderer Läden und Handwerksbetriebe vorbei. Sie mussten am vergangenen Tag bei der Erhebung des Volkes beschädigt worden sein. Sollte er sich doch Sorgen machen? Er schüttelte energisch den Kopf und schalt sich selbst einen Narren. Wer würde es wagen ihm übel zuzuspielen? Trotzdem war es gut einmal in seiner Werkstatt nach dem Rechten zu sehen, auch wenn es der erste Praioslauf der Namenlosen Tage war. Nur noch wenige Schritte und er hatte sein Ziel erreicht, einmal um die Ecke biegen und dann…, ihm stockte der Atem! Eine Handvoll zwielichtiger Gesellen machte sich an der Tür zur Segelmacherei zu schaffen. Er hielt sie für Plünderer, die die Wirren der letzten Zeit wohl ausnutzen wollten und entschloss sich sie lautstark zu vertreiben. „Hinfort! Seid ihr denn vom Dreizehnten besessen ihr elendes Pack!?“, entwich es seiner Kehle und er hielt energisch auf sie zu. Doch obwohl er weitere Drohungen ausstieß, rührten sie sich nicht vom Fleck und setzten ihr schändliches Tun fort. Bei ihnen angekommen ergriff er den Erstbesten von ihnen und versuchte ihn fortzuziehen. Der Bürgerschreck wankte etwas, hielt sich aber auf den Beinen. Nun hatte Ludolf endlich die volle Aufmerksamkeit der Plünderer, die sich zu ihm umdrehten. „Macht euch von dannen! Ihr Gesocks vergeht euch an meinem Eigentum! Schämt ihr götterlosen Gesellen euch nicht?“, plusterte sich der Ventargento auf und versuchte ihnen Angst zu machen. Er legte seine Hand an den Griff jenes Dolches, den er an diesem Tag zu seiner Sicherheit angelegt hatte. „Jetzt nehmt Reißaus!“, schrie er sie an und erkannte erst da im Schatten unter ihren Wämsern kurze blitzende Klingen in ihren Händen. Er schluckte.
Ein Blutiges Mahl
Der Eröffnungsschluck und nun die Vorspeise, eingelegte Oliven, lecker. Nevinia hatte wie üblich auf das Trankopfer in einem Ausmaße, welches überall sonst wo Eliv gewesen war als fürwahr verschwenderisch gehalten worden wäre, bestanden und da sie bei Diskussionen nicht nur immer einen längeren Atem hatte als alle anderen und zudem noch die einzige Geweihte im Raum war, ließ man ihr was das anging wie immer ihren Willen. Ihr war zwar erst erlaubt nach den Herrschaften essen, aber sie freute sich jetzt schon, da sie heute die einzige persönliche Dienerin im Haus war und sich von dem, was übrig bliebe als erstes etwas aussuchen dürfen würde. Das heutige Mahl war schon gestern vorbereitet worden und nur heute wieder aufgewärmt, aber das hieß nicht das es weniger lecker sein würde. Jetzt kam die Suppe eine kleine Schale mit einer klaren Gemüsesuppe. Jemand schlug wild gegen die Tür. Das diese Person dazu in der Lage war, hieß das man sie wohl herein lassen durfte, sonst hätte bestimmt einer der Wächter die Schmierer, wie sie ihn innerlich nannte, mitgebracht hatte angehalten oder mit einem Bolzen durchbohrt. Eliv nahm Eadwins Schüssel und ging mit ihr in Richtung der Küche, um zu sagen das es nun Zeit für den nächsten Gang war. Doch als sie zurück kam hatte sich alles geändert, ein offensichtlich zu größten Teilen schon in Boronshallen stehender, aber immer noch stark blutender Mann lag auf dem Tisch, während alle Anwesenden entweder versuchten ihm zu helfen, den Helfenden hilfreiche Ratschläge gaben, herauszufinden versuchten was geschehen war oder einfach nur hysterisch schrien. Da Eliv gute Ohren hatte, immer schon neugierig gewesen war und keine Angst vor Blut hatte beschloss sie, nach dem sie einige Sekunden in letzterer Kategorie verbracht hatte, in drittere zu wechseln und rannte zum Tisch. Ludolfs Stimme zitterte und war sehr leise, aber mit gespitzten Ohren gelang es Eliv einige seiner letzten Worte zu erlauschen. „Diese verdammten“ ein exorbitantes Husten „einfach durch die Stadt zu ziehen und zu plündern“ den Rest konnte selbst sie nicht mehr verstehen.
Nach dem die Familie das erste Stadium ihrer Problemlösung durchlaufen hatte, entrüstetes Erstaunen: „Wie konnte das bloß passieren?“ erreichte sie das zweite Stadium, welches Eliv innerlich auch in zwei weitere auf einander folgende Teile aufbrach. Innere Schuldzuweisung „Hätte nicht jemand von euch darauf achten sollen das er nicht alleine durch die Stadt zieht“ und erreichte nun die äußere Schuldzuweisung „Hatten wir nicht gesagt das niemand alleine Raus geht? Wer hat ihn heute zuletzt gesehen und hätte das verhindern können?“ in etwa zwanzig Varianten und schließlich die dritte Phase, die daraus bestand das sich die Wichtigen oder die die sich für wichtig hielten, sich von der Hauptgruppe abspallteten, um die nächsten Schritte zu beschließen und diese in die Wege zu leiten.
Im Schatten des Palazzo Changbari
„Was zum ...was weiß ich schon…“ Ein Fluch am Abend des ersten der namenlosen Tage erschien ihm nun doch zu gefährlich. Erst recht hier im unheimlichen Schatten des verlassenen Palazzo, die drückende rauchgeschwängerte Luft atmend und auf die Geräusche dieser Nacht des Aufruhrs lauschend erschien ihm alles nur zu unwirklich. Er senkte seine Stimme noch weiter: „Was tun wir hier, Corporal?“ „Befehle unseres Dienstherren ausführen, Soldat. Erscheint dem feinen Herren aus Vinsalt dies vielleicht zu unbequem oder gar gefährlich?“ Adelmo hörte sofort, dass auch der Corporal sich nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte. „Ich möchte nur erfahren, wohin sollen wir den edlen Signor Niccolo geleiten sollen“, bohrte er weiter nach, was sich umgehend als Fehler herausstellte. „Zum Hesindetempel, Baupläne suchen und du wirst schauen, ob die Luft rein ist. Weggetreten, Soldat.“
„Das war dumm, Adelmo“, schalt er sich selber, „sehr dumm.“ Natürlich hatte dieser kleingeistige Corporal ihn so Macht spüren lassen müssen. Nun musste er also diese Suppe allein auslöffeln. So schlich er auf allen Vieren - seinen schlecht sitzenden Harnisch verfluchend - im Schatten des Mauern um den sechseckigen Tempel herum. Noch gaben ihn der Schatten des Gebäudes ein ein paar Büsche genügend Deckung, um von der Straße oder der dahinter drohend dunkel dastehenden Residenz aus nicht entdeckt zu werden. Doch um wirklich zu sehen, ob die „Luft rein war“ würde er um die Ecke des Gebäudes auf das Tempelportal spähen müssen. Von hinter der er konnte Stimmen aus der Richtung des Tempels hören, aber weder verorten woher genau diese kamen noch verstehen, was gesprochen wurde. Von hinter der Residenz brandete Kampfeslärm auf, was die Stimmen zum Verstummen brachte. Wer immer dort war, war jetzt sicher abgelenkt. Wenn es in dieser Nacht möglich war, dass Phex ihm eine Gunst erwies, dann war es genau jetzt. Er nutzte dieses Geschenk. „Es läuft nicht so wie gedacht, oder?“ sagte die eine Stimme, die nach Adelmos Empfinden einen unzweifelhaften zyklopäischen Akzent aufwies. „Immer noch Aufruhr in der Nähe der Resisdenz.“ „Hm, wohl nur ein kleines Scharmützel nehme ich an“, antwortete eine andere Stimme, deren Sprachmelodie schon eher dem typischen covernischen Singsang entsprach, „Aber es verdeutlicht schon unser Problem. Wir können uns nicht so frei bewegen, wie es sein müsste, um in dieser Stadt der Verräter anständig aufzuräumen. Hoffen wir, dass dieser della Pena bald erscheint. Doch bis dahin müssen wir diese Senatorenbande an einen sicheren Ort verwahren. Und meine Jungs und Mädels halten die Porta Viridis, was der derzeit sicherlich beste Ort ist, dies zu tun. Aber wie kommen wir vom Quarto Novo ohne Zwischenfälle dorthin? Das solltet Ihr vielleicht beantworten.“ Der Zyklopäer antwortete hörbar erbost: „Dass wir uns mit den Verrätern durch die Kanalisation bewegen müssen, damit keine Befreiungsversuche stattfinden können, liegt wohl eher daran, dass eure Jungs und Mädels wohl nicht alle auf der richtigen Seite stehen und mit dieser Kanbassa Efferdas Hexe immer noch den Magistrat halten und wir auf diese della Penas warten müssen, damit sie hier für Ruhe sorgen. Bis dahin aber helft mir gefälligst, diese vamaledeiten Pläne der Kanalisation zu finden. In der Residenz waren sie nicht, der Tempel hat auch keine, in den Magistrat kommen wir nicht hinein und an die Gerber kommen wir zur Zeit nicht heran. Wer außer den unzuverlässigen Ratten, die dort leben sollen, könnte noch etwas wissen? … Nun?“ „Hmm lasst mich überlegen. Baumeister Pecuna hat die letzten Baumaßnahmen geleitet. Der müsste doch etwas wissen.“ Der Zyklopäer lachte gehässig. „Na hoffen wir, dass sein Gedächtnis besser ist, als sein Können Tunnel zu graben, die nicht einfach in sich zusammenfallen, wenn mal ein bisschen die Erde wackelt. Wo finden wir den Mann?“ Die Antwort St.Parvenus erfreute den Zyklopäer hörbar nicht und doch waren nunmehr Schritte zu hören und die Stimmen entfernten sich. Auch Adelmo entschied sich zu seinem Corporal und seinem Signor zurück zu kehren. Er hatte einiges zu berichten.
Landhaus der Familie A'Temelon
„Wen haben wir denn jetzt zu Besuch?“, fragte sich Philumena A'Temelon, als der Diener die Tür zum Saal öffnete. Der Neuankömmling schaute sich im Saal um und nahm dann am Tisch Platz. Serafanos Thirindar begann zu sprechen: „Meine lieben Freunde, es ist schön, endlich hier zu seien. Ich komme mit Nachrichten aus der Stadt und einem Angebot zu euch.“ Philumena schaute die anderen am Tisch an. Ihr Ehemann saß wie immer unscheinbar neben ihr, auch seine Augen sprangen zwischen den anderen Leuten hin und her. Nächster am Tisch war ihr Vater Palamydes, der sich in seinen Sitz zurückgelehnt hatte. Er wirkte, wie eigentlich immer, ruhig, fast schon müde. Pydilion wirkte unruhig, vermutlich machte er sich wegen der Blokade der Bucht Sorgen, das seine Schwester nicht gut zurückkommen würde. Pylades schien sich im Hintergrund zu halten, er wirkte bereit. Normalerweise saßen keine Nichtfamilienmitglieder in ihren Besprechungen, aber heute saß Kalphas Ageira als Vertretung von Admentos da. Ihm schien das noch mehr Unbehagen zu bereiten als ihr. Philumena richtete ihren Blick auf Serafanos. „Den Zwölfen zum Gruße. Ich hoffe sehr, dass euer Angebot die Unannehmlichkeiten ausgleicht, die eure Blokade der Bucht und die Ausschreitungen in der Stadt verursacht haben.“ „Ich bin mir sicher, dass wird es. Wie ihr gewiss gehört habt, haben sich die Senatoren verschworen, gegen die Göttliche Ordnung zu rebellieren und den Baron zu ermorden. Zum Glück haben wir rechtzeitig von diesem Plan erfahren und konnten die Verräter festnehmen. Es kam noch zu einigen Zusammenstößen unserer Männer mit den Fußtruppen der Verräter, aber mittlerweile hat sich die Lage beruhigt. Wir konnten allerdings nicht alle Verräter fassen, also mussten wir leider weitere Maßnahmen ergreifen. Da die Serenissima ganz eindeutig nicht in der Lage war, die Verschwörung aufzudecken und die Ordnung wiederherzustellen, denke ich, dass der Seekönig besser dazu in der Lage wäre, mit schützender Hand über Efferdas zu wachen. Es ist an der Zeit, dass die Zyklopäer diese Stadt wieder zur Ordnung rufen.Und deshalb komme ich jetzt hierher, um euch anzubieten, im Austausch gegen eure Unterstützung, in dieser Stadt Einfluss zu nehmen. Denn, wenn wir mal ehrlich sind: diese Patrizier werden uns doch eh nie als gleichwertig ansehen. Ich biete euch eine Zukunft ohne die, die euch im Weg stehen.“ Philumena suchte den Blick von Palamydes. Dieser blickte Serafanos unbewegt an. Dann sagte er: „ Das klingt ja alles sehr interessant, aber wie würde den unser Beitrag zu eurer Sache aussehen?“ „Und wo wir schon bei Fragen sind, Ich stelle mir auch die Frage, was ihr mit der Stadt überhaupt genau vorhabt.“, meinte Pylades. „Mir stellt sich auch noch die Frage, wie dieser Einfluss, den wir nach der Übernahme ausüben sollen, überhaupt aussieht. Über was für Posten, Land und Einfluss reden wir hier?“, Schaltete sich Philumena ein. „Und überdies, wem habt ihr das noch angeboten?“, hatte auch Pydilion noch seine Sorgen. Serafanos wirkte leicht überrumpelt von den Fragen, die auf ihn einprasselten, fasste sich dann aber. „Was meinen Plan für die Stadt angeht, das wird in Rethis entschieden werden müssen. Ich bin schließlich auch nur ein treuer Diener des Seekönigs. Auch die Posten werden dann entschieden werden, gerade ist schließlich noch viel zu viel im Wandel. Zuerst die Verräter fassen und die Stadt beruhigen. Aber ich bin mir sicher, der Seekönig wird nicht vergessen, wer ihm geholfen hat. Dazu gehören natürlich auch alle anderen, die für die gerechte Sache der Zyklopäer streiten wollen, darunter auch einige der einflussreichsten Familien dieser Stadt. Also, meine Freunde, lasst uns gemeinsam ein neues Efferdas bauen!“ Serafanos blickte Palamydes an, der Rest des Tisches drehte sich ebenfalls um. Dieser sagte: „Ich habe nicht das Gefühl, das alle unsere Fragen beantwortet wurden. Wir würden uns zwar freuen, mit euch zu handeln, aber nicht zu unklaren Bedingungen.“ „Ich glaube, euch ist der Ernst der Lage nicht bekannt, alter Mann. Der Seekönig wird nicht nur nicht vergessen, wer ihm geholfen hat, und ich rate euch, ihn nicht zu verärgern!“, sagte Serafanos kalt. „Ich würde euch bitten, mich nicht in meinem eigenen Haus zu bedrohen. Auf den Straßen könnt ihr solche Dinge im Schutz eurer Schläger rufen, aber hier seit ihr in anderer Gesellschaft. Ich möchte euch bitten, uns jetzt zu verlassen. Euer Angebot ist abgelehnt.“, erwiderte Palamydes mindestens genauso kalt. Serafanos schien etwas sagen zu wollen, als sich hinter dem Stuhl des Hausoberhaupt ein Schatten erhobt. Der aranische Löwe ragte weit über den Tisch und starrte Serafanos genau in die Augen. Serafanos schluckte kurz, stand dann auf und verließ den Raum. Palamydes wandte sich seinen Familienmitgliedern zu und sagte: „Ich denke, wir werden uns nach Verbündeten umsehen müssen. Ein Sturm zieht auf, und alleine werden wir untergehen.“
Familie Gerber
Palazzo Pellioni im Quarto Novo
Stammsitz der Familie Gerber
Es hatte etwas gedauert, bis man am gestrigen Tag die ungeheuerliche Nachricht von dem angeblichen Mordversuch an Baron Eslam von Efferdas und den Umsturtzplänen der Senatoren und ihrer Inhaftierung verarbeitet hatte. Eilends hatten die Frauen beschlossen, den Palazzo Pellioni so gut es ging zu sichern. Dettmar war einst belächelt worden als er alle Fenster im Hochparterre hatte vergittern und schwere, eiserne Läden an sämtlichen Fenstern des Gebäudes anbringen lassen. Jetzt jedoch waren die Bewohner des Palazzo froh um diese Schutzmaßnahmen. Die Nacht hatte man mit beten und sich gegenseitig Mut zusprechen, aber mit wenig Schlaf verbracht.
Nun hatte sich die Familie Gerber, zumindest jene, die im Palazzo waren, im großen Salon eingefunden. Quenia und ihre Tante Nita hatten am Kopfende Platz genommen. Außer ihnen hatten noch Linara,Clarizia, Avedane, Florentina, Melsina und Travinio, der seit den Unruhen mit seiner Frau Madana von ihrem Haus im Handwerkerviertel Sanct Parvenus in den Palazzo umgezogen waren an der Tafel Platz genommen. Im Haus waren zudem noch zehn Bedienstete von denen vier mit Armbrust und Säbel bewaffnet waren und die beiden Kinder von Linara. Quenia blickte in die Runde, in jedem Gesicht waren Müdigkeit, Sorge und Anspannung zu erkennen. „So, nun ist es an der Zeit zu beraten, wie es weitergehen soll. Kilian, Carolus, Efferdane, Yoline und Niccolo sind in der Gerberstadt und Effe…. Mentorin Flava befindet sich im Hesinde-Tempel. Soweit sich das beurteilen lässt sind also alle zumindest halbwegs in Sicherheit.“ Mitfühlend blickte sie zu Nita und legte ihre linke Hand auf Nita’s Rechte und sah dann wieder in die Runde. „Bleibt nur Dettmar um den wir uns Sorgen machen müssen. Doch fürchte ich, können wir für ihn gerade am allerwenigsten tun. Er wird irgendwo in der Stadt mit den anderen Senatoren gefangen gehalten von den Thirindar und d’Oro samt ihren gedungenen Plünderern, Schlägern und Mmm….“ Erschrocken huschte ihr Blick zu ihrer Tante, Nita Origan ehe sie schnell „Mistkerlen!“ sagte. Kurz atmete sie tief durch. „Bei Serafanos Thirindar vorzusprechen macht keinen Sinn, er wird wohl kaum für Bitten oder Argumente zugänglich sein, da er selbst weiß wie absurd und haltlos die Anschuldigungen sind. Für eine gewaltsame Befreiung sind wir bei weitem nicht genug Leute und zudem zu schlecht bewaffnet, hinzu kommt, dass die Rondrikan-Löwen und die Hylailer Seesöldner auch gut ausgebildet und kriegserfahren sind.“ Resignierend blickte sie zu den anderen Familienmitgliedern. Einige Augenblicke war es totenstill, dann ergriff die 68-jährige Ovriolerin das Wort: „Nun dann bleibt ja nur hier zu hocken, zu beten und abzuwarten!“ mit eisigem Blick fixierte sie jede und jeden einen Augenblick. „Ist es das was ihr wollt? Ist dass das wofür die Familie Gerber jetzt steht? Zaudern, ängstliches Abwarten? Habt ihr deswegen einen Schwertkampflehrer für Methelessa eingestellt, damit sie euch beim Hände in den Schoß legen bewachen kann? Auch wenn wir seit mehr als 25 Jahren unseren Familiensitz in das Quarto Novo verlegt haben, Gerber sein bedeutet Gerberstädter sein, dass solltet ihr NIEMALS vergessen! Ja, diese Söldner sind gut ausgerüstet, sie sind sehr gut ausgebildet und kampferprobt, aber sie kämpfen für Geld, dass sind Opportunisten, wenn es für sie nichts zu gewinnen gibt, ziehen sie sich zurück. Für die Menschen in Efferdas geht es um ihre Heimat, um ihre Familien, um ihre Freiheit, sie kämpfen um ihre Existenz. Wenn wir Einfluss und Rückhalt haben, dann in der Gerberstadt! Die Menschen sind loyal, zäh, stark und tapfer. Sie werden an unserer Seite stehen, wenn sie das Gefühl haben dass wir wirklich an das glauben wofür wir streiten wollen.“ Nita blickte ihre Nichte fest in die Augen „Quenia, meine Liebe! Du und Kilian, ihr habt die Verantwortung für das Schicksal, nicht nur der Menschen, die den Familiennamen Gerber tragen. Ihr tragt die Verantwortung für jede und jeden der für uns arbeitet und jeder dieser Menschen verlässt sich darauf, dass ihr klug entscheidet, ihnen ihre Arbeitsplätze und damit ihr Einkommen und eine gute Zukunft sichert. Es gab immer schwere Zeiten, auch wenn ich zugeben muss, dass ihr Beiden besonders schwierige Zeiten meistern müsst. Euer Schlüssel ist die Gerberstadt. Denkst du, es ist Zufall, dass der Palazzo Pellioni steht, wo er steht? Die Gerberstadt ist immer in Sichtweite!“ Nita lächelte milde. „Tante Nita, meinst du damit dass ich die Gerberstadt zur Revolte anstiften soll? Wie soll das gehen? Ich…. ich…“ „Keine Revolte Quenia, zumindest noch nicht! Erst einmal musst Du den Menschen sagen, dass wir nicht damit einverstanden sind, was in der Stadt passiert und wir Widerstand leisten werden und auf ihre Unterstützung hoffen. Du und Kilian, ihr müsst die Leute anführen, sie organisieren, Gruppen einteilen, Anführer festlegen, darauf achten, die richtigen Leute auszuwählen. Man kämpft immer besser, wenn man dem, der die Kommandos gibt, vertraut. Dann sehen wir weiter. Sinnvoll könnte es sein die beiden Stadttore unter unsere Kontrolle zu bringen. Aber zuerst muss einmal die Basis für einen Widerstand geschaffen werden, dann lässt sich weiteres planen.” Quenia war sprachlos, so kannte sie die nette, ältere Dame gar nicht und sie hätte ihr nie zugetraut, zu solchen Überlegungen fähig zu sein. „Aber die Gerberstadt alleine?“ warf nun Florentina ein. Nita schüttelte, mit fast schon mitleidiger Miene den Kopf „Denkt ihr wirklich wir sind die Einzigen die mit dieser Situation unzufrieden sind, die Einzigen deren Geschäfte und Einkommen gerade arg beeinträchtigt sind,die Einzigen, denen man ein Familienmitglied in den Kerker geworfen hat? In der Stadt brennen Häuser, Menschen werden wahllos überfallen und beraubt. Das schafft Angst, ja Panik. Aber es schürt auch den Wunsch nach Vergeltung! Aus Angst wird Wut. Glaubt mir, in vielen Häusern und Palazzi sitzen jetzt Familien, Nachbarn, Freunde zusammen, so wie wir jetzt. Von einfachen Arbeiten bis zu den Patrizierfamilien. Sie alle überlegen was zu tun ist und auf wessen Seite sie sich stellen sollen. Bald schon werden die ersten sich erheben und spätestens dann müssen wir bereit sein ihnen beizustehen, an ihrer Seite kämpfen. Dann und nur dann wird unsere Sache siegen!“ unsicher wurden Blicke ausgetauscht und nun war es Travinio der sich zu Wort meldete: „Es ist Ausgangssperre, wie sollen wir in die Gerberstadt kommen? Wenn wir durch die Straßen schleichen ist es nur eine Frage der Zeit bis sie uns erwischen!“ „Mein lieber Travinio, wir sind die Gerber, unserer Familie obliegt seit Generationen die Reinigung, Instandhaltung und der Ausbau der Kanalisation dieser Stadt! Glaubst du wirklich wir kennen keine anderen Wege um ungesehen von einem Ort zum anderen zu gelangen?“ Die Tochter aus der Viehzüchterdynastie klang inzwischen etwas unwirsch, was war nur aus dieser Familie geworden? Nur Bedenken und Halbherzigkeiten. Es war Quenia die das Wort ergriff. „Gut, dann lasst uns handeln!“ sie sah jeden prüfend an, dann faste sie ihren Entschluss „Avendane, du begleitest mich. Tante Nita, du führst uns in die Gerberstadt, den Weg durch die Kanalisation kenne ich leider noch nicht! Der Rest verbirgt sich hier. Seht zu das hier Niemand reinkommt, der hier nicht reingehört.“ Sie blickte zu ihrer Tante, die sie mit einem anerkennenden Lächeln bedachte.
Der Senat von Efferdas
Dettmar Gerber war wieder zu Bewusstsein gekommen. Er hatte unbeschreibliche Schmerzen. Wie er feststellte, hatten die anderen Senatoren mit Stoffstreifen, welche sie aus einem Tischtuch gerissen hatten, seinen Kopf notdürftig verbunden. Er wollte sprechen, stellte aber sofort schmerzlich fest das er sehr vorsichtig sein musste und seinen Kiefer tunlichst nicht dabei bewegte. Was dazu führte, dass er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht laut und deutlich sprechen konnte. Kurz brachten die anderen Senatoren ihn auf den aktuellen Stand und er war sehr erschrocken, als er erfuhr, dass er über zwölf Stunden in Marbos Armen verbracht hatte. Man gab ihm etwas Wasser zu trinken. Unter Anderem hatte er erfahren, dass kurz vor seinem Erwachen Senator Valerio ya Pirras abgeholt worden war. Was wohl der Hintergrund dafür war? Würde man sie der Reihe nach holen und verhören um ihnen durch Gewalt, Bedrohung der Familie oder Versprechungen Geständnisse über ihre angebliche Beteiligung an der erlogenen Verschwörung zur Ermordung des Barons abzutrotzen und die anderen Senatoren zu belasten? Bevor er dazu kam seine Gedanken den Mitgefangenen kundzutun, war von draußen Lärm zu vernehmen. Augenblicke später wurden die Zellentüren aufgestoßen und die Insassen barsch aufgefordert herauszutreten. Mühsam kam der 69 jährige auf die Beine und trat aus der Zelle. Rondrigo d'Oro betrat die Halle. Er zwirbelte an seinem Schnurrbart. „Werte Herren Senatoren, wir sind dazu übereingekommen Euch, zu Eurer eigenen Sicherheit, von hier zu deportieren.“ Dettmar schnaubte verächtlich ‚Zu unserer Sicherheit oder um uns unbemerkt verschwinden zu lassen?‘ dachte er bei sich. „Wir werden Euch jetzt die Augen verbinden, damit ihr keinerlei Rückschlüsse auf Euren neuen Aufenthaltsort bekommt.“ Jetzt riß Dettmar aber der Geduldsfaden „Was bezweckt ihr mit dieser Schmierenkomödie? Ich bin der Hochrichter von Effe..!“ Weiter kam er nicht, der Wächter neben Dettmar schlug ihm mit dem Schaft seiner Hellebarde in die Kniekehlen so das er mit einem schmerzerfüllten Stöhnen zu Boden ging.
Der Kommandeur des Senatsbanners ging auf den am Boden Liegenden zu. Mit einem leicht überheblichen Lächeln blickte er auf Dettmar herab „Nur Eurem Stand als Senatoren habt ihr es zu verdanken, bisher so wohlwollend behandelt worden zu sein und nicht wie gemeine Verräter, die Ihr allesamt seid. Verscherzt es Euch also nicht und verhaltet Euch dementsprechend.“ Der alternde Senator war fassungslos über diese Anmaßung und Überheblichkeit mehr aus Reflex als willentlich ergriff er die dargebotene Hand und ließ sich auf die Beine helfen. „Wie gesagt, wir werden Euch nun die Augen verbinden. Soldaten!” Rodrigo wandte sich von Senator Gerber ab, klatschte in die Hände und ging von dannen. Die Soldaten machten sich daran dem Befehl nachzukommen. Dettmar ließ es geschehen, sein in die Jahre gekommener Körper hatte in den letzten Stunden genug einstecken müssen und Widerstand war im Augenblick töricht und würde ihm nur weiteren Schaden bringen und kein bisschen helfen etwas zum Besseren zu wenden.
Stadtteil Gerberstadt
Kilian Gerber und seine Schwägerin Efferdane saßen gemeinsam in der Küche beim Morgenmahl! „Ich bin nur froh das meine Kinder in Methumis sind und diesen Wahnsinn nicht miterleben müssen!“ verzweifelt schüttelte sie den Kopf so dass ihre rotbraunen Haare wie ein üppiger Rock hin und her schwangen. Kilian mochte den Anblick, er mochte überhaupt den Anblick und die Gesellschaft seiner Schwägerin. Wie dumm sein Bruder doch war, eine so schöne und kluge Frau sitzen zu lassen nur weil sie nicht aus vornehmen Hause stammte. Ein Idiot war er. Eine ya Pirras oder di Malavista oder am besten gleich eine Dame aus dem Barons Haus Efferdas, ja so eine wäre seinem Bruder würdig, zumindest in dessen Augen. Als ob Eine aus einem solchen Haus einen Gerber auch nur mit dem Schürhaken anfassen würde! Idiot! Diese wunderbare Frau und die beiden tollen Kinder zu verlassen um … ja was eigentlich? Irgendwelchen Herrschaften Möchtegerngernegroß von Trauerumdieprivilegien zu Keinemachtdenpatriziern den Hof zu machen und zu hoffen dass sie ihm ein Stöckchen zu werfen das er dann apportieren durfte um dafür ein Lob und ein Tätscheln auf dem Kopf zu bekommen? Warum konnte sein ach so kluger Herr-Absolvent-der-Herzogenschule-zu-Methumis-Bruder nicht erkennen, daß, wie schon auf besagter Herzogenschule ihn keiner der Nachkommen der ach so angehimmelten alten Häuser je als ebenbürtig betrachten würde? „Wo bist du nur schon wieder mit deinen Gedanken?“ schreckte ihn Efferdane’s liebreizende Stimme aus seinen Gedanken. „Ich…ähhmm…ich….Ja zum Glück sind Simona und Amaldo nicht hier. Ich bin auch sehr froh dass sie in Methumis in Sicherheit sind. Apropos Sicherheit, ich habe zwei Männer abgestellt die auf dich und das Haus achten. Ich werde jetzt meine Morgenrunde durch die Gerberstadt drehen, nach dem Rechten sehen und hören was die Leute umtreibt. Wir müssen jetzt alle zusammenstehen, dann werden die Zeiten auch bald wieder besser!“ er lächelte sie aufmunternd an. Efferdane legte ihre Hand auf seinen Unterarm und ein wohliger Schauer durchfuhr seinen Körper. „Sei bitte vorsichtig! Die Söldner sind überall in der Stadt unterwegs und verprügeln und berauben die Leute. Und Hoberto könnte auch jederzeit mit einem Schlägertrupp auftauchen und für Ärger sorgen.“ Sie blickte ihn aufrichtig besorgt an und ihm war ganz warm ums Herz! Er erhob sich und sie zog ihre Hand zurück. „Keine Sorge hier war es ja zum Glück immer noch recht friedlich und Hoberto ist es in Gerberstadt eh schon immer zu schmutzig und verstunken gewesen. Außerdem, du weißt doch Gerberstädter halten zusammen, wenn hier jemand Ärger macht hat er es ruckzuck mit allem was laufen und einen Knüppel halten kann zu tun.“ Mit einem Lächeln ging er aus der Stube, zog seinen Mantel über, nahm den Gehstock und steckte den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel, dann machte er sich auf den Weg. Die beiden Männer neben der Tür vor dem Haus grüßten freundlich als er hinaustrat. „Alled ruich Meester Gerber.“ Kilian nickte und ging über die Straße zur Segeltuchmanufaktur wo gerade eine Trupp von zwei Männern und einer Frau stand. “Magister Gerber! Praios zum Gruß! Und danke für das Fest! Hat allen gut getan!“ „Praios zum Gruße Gergovie! Das freut mich zu hören. Auch wenn es in diesem Jahr kleiner ausgefallen ist! Aber unser Tänzelfest in der Gerberstadt ist Tradition und wir sollten auch in schwierigen Situationen versuchen, uns unser Brauchtum zu bewahren!” freundlich nickte er auch den beiden Männer zu. „Passt mir gut auf die Segeltuchmanufaktur auf, wir stehen derzeit in Verhandlungen sie zu übernehmen. Hoffe wir können das bald abschließen damit wir hier wieder aufschließen können und die Leute endlich wieder ihr Geld verdienen können.“ Einer der Männer nickte eifrig „Das wäre wirklich sehr gut, Signor! Meine Frau und die beiden Töchter haben da gearbeitet. Das Geld fehlt jetzt natürlich hinten und vorn.“ Kilian sah den Mann verständnisvoll an. „Ja, die Zeiten sind auch ohne diese Räuberbanden schwer genug. Zum Glück sind wir hier in der Gerberstadt weitgehend von deren Schandtaten verschont geblieben. Aber wir müssen weiter wachsam sein!“ Kilian deutete in Richtung der Mühlen „Gehen wir ein Stück gemeinsam.“ Er berichtete dem Trio das es wohl auch schon Interessenten für die beiden Tuchmanufakturen in der Gerberstadt gab. Nicht das es seine Art war Geschäftliches mit den Angestellten zu besprechen, sein Ansinnen war es durch solche Neuigkeiten Hoffnung und Zuversicht unter den Leuten zu verbreiten. Er wusste sehr wohl, wie schwer es für viele der Arbeiterfamilien geworden war, nachdem viele der Patrizierfamilien vor einigen Götternamen Efferdas verlassen hatten. Darunter auch die Familie Changbari, Freunde und Geschäftspartner der Familie Gerber oder die Familie Kanbassa, mit der man zwar nicht unbedingt befreundet war, sich aber gerade in geschäftlichen Dingen gut verstanden und geachtet hatte. Zwar war man in mancherlei Dingen anderer Ansicht und bisweilen konkurrierte man sogar in Geschäftsdingen, aber man hatte sich immer geschätzt und mit Respekt behandelt. „Wir bekommen unsere Gerberstadt schon wieder zu altem Glanz und der Rest der Stadt erholt sich sicher auch. Wir müssen nur daran glauben, weiter hart dafür arbeiten und zur Not werden auch dafür kämpfen.“ Eine Weile ging man still nebeneinander her. Es war Gergovie, die das Schweigen brach: „Das mit eurem Vater hat alle hier sehr betroffen gemacht und ihr sollt wissen, dass es hier niemanden gibt der auch nur den Hauch eines Zweifels an der Unschuld von Signor Dettmar hat.“ Die anderen beiden nickten eifrig. Es tat gut, das zu hören und er konnte spüren, dass es aufrichtig gemeint war.
Während Kilian zum Verwaltungsgebäude ging um sich mit Yoline, Carolus und Niccolo zu treffen arbeiteten sich Quenia und Avedane unter Nita’s Führung, mit Fackeln und Speeren bewaffnet durch die Kanalisation.
„Ist nichts für empfindliche Nasen hier unten!“ Stöhnte Avedane. „Trotz der Fackel sieht man hier unten kaum etwas und Dank dieser Brühe weiß man auch nicht wohin man seinen Fuß setzt!“ Nita schüttelte verständnislos ihren Kopf „Solange die Menschen kein Brot kacken und keinen Wein pissen wird es in den Abwasserkanälen auch nicht besser riechen und was die Sache mit den Füßen betrifft, wofür denkst du ist der Speer in deiner Hand, Quenia? Seid froh, dass es kürzlich geregnet hat. Dadurch steht das Abwasser zwar deutlich höher, aber es stinkt auch lange nicht so wie üblich.“
Wieder schüttelte sie verständnislos den Kopf, aber sie sollte sich nicht wundern, was wollte man von einer Illusionsmagierin und einer Kauffrau auch erwarten?
Die beiden jüngeren Frauen taten es ihrer resoluten Führerin nun gleich und prüften ihrerseits mit ihrem Speer den Boden vor sich, bevor sie den nächsten Schritt machten.
Schweigend ging das Trio vorwärts.
Plötzlich gab Nita Origan das Zeichen, stehen zu bleiben.
Man konnte keine Worte verstehen, aber es waren eindeutig die Stimmen von mindestens drei Männern zu hören, die sich offenbar angeregt unterhielten und sie schienen sich ihnen zu nähern.
Nita lauschte angestrengt in die Dunkelheit.
Die anderen beiden Frauen warteten auf ihr Zeichen, die Fackeln zu löschen.
Avedane hatte sich bereits einen Zauber in Gedanken bereit gelegt, egal ob drei oder zehn Kerle, sie würde ihnen schon das Fürchten lehren. Mit einem Mal entspannte sich die Ovriolerin. Laut und kräftig drang ihre dunkle, warme Stimme durch die Tunnel der Kanalisation: “Verdammt Reochaid! Hast du nichts besseres zu tun als eine alte Frau bei ihrem Verdauungsspaziergang zu erschrecken?” Die eben noch vernehmbaren Stimmen der Männer waren schlagartig verstummt. “Signora Origan?” war nun eine etwas zögerliche Stimme zu vernehmen und ein Lichtkegel kam langsam aus der dunklen, rechten Wand, gut fünfzig Schritt vor ihnen.
“Seit ihr das Signora Origan?” die Stimme des offenbar noch jungen Mannes klang unsicher.
“Reochaid Kevendoch, seit wann so schüchtern?” Der Mann rief seinen Kameraden zu dass sie ihm folgen sollten und dann konnte man hören, wie er seine Schritte beschleunigte.
Kurze Zeit später tauchte eine dunkle Gestalt in einem Lichtkegel auf, die sich kurz orientieren mußte, dann die drei Fackeln bemerkte und auf sie zuhielt. “Was für eine schöne Überraschung euch hier zu treffen Signora!” Ein kleiner, stämmiger Rotschopf stand wenige Augenblicke später vor ihnen.
“Oh Signora Quenia Gerber und Maga Avedane Saba Festina! Mögen die Zwölfe mit euch sein!” Er musterte kurz die drei Frauen, sah zurück und als er die anderen Beiden aus dem Seitengang treten sah, wandte er sich wieder Nita zu. “Signoras, was führt euch hier herab? Es ist gefährlich bei so hohem Wasser!”
Nita lächelte milde: “Mein lieber Reochaid, ich bin hier schon unterwegs gewesen, da haben sich deine Eltern noch nicht einmal gekannt! Aber du hast schon recht, mir ist bewusst dass es hier nicht ungefährlich ist, aber in der momentanen Situation ist es oben auf den Straßen deutlich gefährlicher!” Der junge Kanalarbeiter nickte.
“Ich weiß was ihr meint Signora! Aber lasst uns zum Haus gehen, da lässt es sich gemütlicher reden!” Nita nickte und der nun sechsköpfige Trupp setzte den Weg in die Gerberstadt fort.
Quenia wurmte es ein bisschen, dass dieser junge Kerl sie zwar erkannt aber nur kurz gegrüßt und danach völlig ignoriert hatte. Statt mit ihr hatte er nur mit Nita Origan gesprochen! Ganz als wüsste er nicht, dass sie inzwischen das Familienoberhaupt war. Naja, genau genommen nur die Hälfte, schließlich teilten ihr Cousin Kilian und sie sich Amt und Verantwortung, aber dennoch fühlte sie sich irgendwie übergangen und es wurmte sie auch, dass sie keine Ahnung hatte, welches Haus gemeint war.
Ohne weitere Ereignisse erreichte man eine Stelle, an der der Kanal etwas breiter und höher war. Quenia konnte eine in der Wand verankerte Metallleiter erkennen, die etwa zwei Schritt empor zu einer Plattform führte, auf der einige Fackeln brannten. Von der wandt sich eine steinerne Wendeltreppe nach oben.
Nacheinander machte man sich an den Aufstieg.
Zu Quenias Erstaunen gab es zwei getrennte Waschräume für Männer und Frauen und in Regalen lag sogar schlichte aber saubere Wechselkleidung. Dank Nitas Anweisungen hatten jede von ihnen in einem Rucksack eigene Kleidung mitgenommen. Erst als sie im Erdgeschoss des Hauses in einem Speiseraum angelangt waren und Quenia einen Blick aus dem Fenster warf erkannte sie dass sie im Gebäude der Kanal- und Stadtreinigung waren. Es gab eine kleine Stärkung und einen sehr kräftigen Kräutertee. Neben dem etwa zwanzig jährigen Reochaid, den sie im Abwasserkanal kennengelernt hatte, trat ein deutlich älterer Mann in den Speiseraum. Er blickte Recht mürrisch von ihr zu Avedane und murmelte jeweils ein knappes „Signora!“ als sein Blick jedoch auf die Gemahlin des Senators traf wurden seine Züge plötzlich weich und freundlich, er verneigte sich sogar: “Signora Nita! Welch eine unerwartete Freude euch hier im Haus begrüßen zu dürfen! Wie kann ich euch behilflich sein?“ Da geschah es schon wieder, sie wurde einfach ignoriert! Nita stand auf, auch ihr Gesichtsausdruck war äußerst erfreut und sie fasste den Mann sogar bei den Schultern. Avedane und Quenia tauschten verwunderte Blicke während Nita den grauhaarigen Mann begrüßte: „Sandro, mein Freund! Du siehst gut aus. Wie geht es Ariodra?“ „Gut Signora! Gut! Ihr seid lange nicht hier gewesen! Den Weg den ihr gewählt habt und eure hochrangige Begleitung verraten mir, dass ihr nicht zum Austausch von Höflichkeiten gekommen seid.“ Noch immer leuchteten seine Augen und sein Gesicht zeigte die anfängliche Freude und Überraschung, doch seine Stimme hatte etwas sehr nüchtern, abgeklärtes, dass so gar nicht zu der Mimik passen wollte. Nita drückte noch einmal seine Schultern ehe sie die Hände zurück zog und laut lachte. „Du hast dich kein bisschen verändert! Aber ja, du hast recht, auch wenn ich lieber zum Plaudern hier wäre.“ Sie blickte zu Quenia und Avedane. „Das ist Sandro Albatre, man kann sagen, er ist seit vielen Jahrzehnten ein äußerst guter und treuer Freund und ein Meister im Beschaffen und Verteilen von Informationen. Außerdem gibt es sehr, sehr wenige die die Unterwelt von Efferdas so gut kennen wie er. Es gibt so einige, sehr sehr alte Gänge und Kanäle, die in keinem Plan verzeichnet sind, doch dieser Mann kennt sie alle. Auch sein Talent, Nachrichten zu beschaffen und zu verteilen, war und ist uns über die Jahrzehnte äußerst nützlich. Und wenn ich das richtig sehe ist unser Freund Reochaid auf dem besten Weg sein Nachfolger zu werden.“ Wieder blickte sie zu dem Grauhaarigen. „Wir werden uns gleich mit meinem Sohn Kilian treffen und besprechen, wie wir vorgehen wollen. Dir muss ich ja nicht sagen, was gerade wo in der Stadt passiert. Es geht nun darum festzulegen, ob und wie wir darauf reagieren. Ich möchte, dass du heute Abend zur Tsastunde deine Leute hier versammelst. Wir werden euch dann mitteilen was beschlossen wurde und welche Aufgaben auf euch warten.“ Sandro nickte und blickte dann zu Quenia „Ihr könnt euch auf uns verlassen, Signora Quenia!“ Dann wandte er sich wieder der Ovriolerin zu. „Lutenente Origan, wir werden hier sein!“ Er verneigte sich, dann drehte er sich zur Tür und verschwand gemeinsam mit Reochaid.
Wenig später machten sich auch die drei Gerberfrauen ebenfalls auf den Weg.
Man hatte sich im Gerberschen Haus zusammengefunden, dem einstigen Familiensitz der Familie Gerber, bevor sie ins Quarto Novo in den Palazzo Pellioni umgezogen waren. Inzwischen gehörte das geschichtsträchtige Haus Efferdane Gerber. Tatsächlich konnte man sich sehr schnell darauf einigen, dass man nicht tatenlos zusehen wolle, wie die republikanische Ordnung, die Freiheit der Bürger und die Stadt jeden Tag ein Stück zerstört wurde. Auch dass es sehr wahrscheinlich nicht mit Worten aufzuhalten war und man alleine nicht lange würde bestehen können war allen bewusst. Nur wen sollte, oder besser wen konnte man ins Vertrauen ziehen? Ein falsches Wort an der falschen Stelle und der Widerstand war gescheitert, ehe er überhaupt begonnen hatte. „Die Vinarii, ganz sicher! Wenn ich auch nicht behaupten will, dass unsere Familien ein Band der Freundschaft eint, so hat man sich doch stets respektiert und sie waren immer zuverlässige und ehrliche Geschäftspartner. Nie würden die Vinarii sich mit solchen Halsabschneidern gemein machen. Ich werde persönlich bei ihnen vorsprechen!“ legte Nita bestimmt fest! Quenia sah ihre Tante ernst an „Versteh mich nicht falsch, Tante, aber wir sind hier zusammengekommen, um GEMEINSAM zu beschließen, wie die Familie jetzt handelt. Die Zeit von Basta-Entscheidungen sind vorbei und zumindest auf Fälle beschränkt, in denen keine Einigung erzielt werden kann. Am Anfang einer Familiensitzung sind sie jedoch völlig fehlplatziert.“ Gerade wollte Nita etwas entgegen als Kilian das Wort ergriff: „Quenia hat vollkommen recht Mutter und bisher hatte noch niemand die Gelegenheit auf deine Argumente zu reagieren geschweige denn sie ablehnen zu wollen. Es hat mich immer sehr gestört dass bei Vater der Ausgang einer Familienberatung bereits bei ihrer Einberaumung feststand. Vater hatte bereits seine Abwägungen gemacht und einen Entschluss gefasst, der Rest der Familie durfte sich seine Argumente und Beweggründe anhören und damit war die Sache erledigt. Das die ganze Familie zusammengekommen war hatte eigentlich nur den Sinn das niemand sagen konnte er oder sie wisse von nichts und dass wir danach oft sehr schöne und gesellige Familienessen hatten. Wirkliche Einwände hat Dettmar Gerber in den Jahren die ich an diesen Sitzungen teilgenommen habe nicht wirklich gelten lassen und nie ist er von seiner Entscheidung abgerückt.“ Er merkte wie seine Mutter zunehmend bemüht war ihm nicht ins Wort zu fallen. Er lächelte und hob beschwichtigend die Hände. „Ich sage nicht dass Vater schlechte Entscheidungen getroffen hat, ganz im Gegenteil, aber er hat einsame Entscheidungen getroffen und damit den Sinn einer Familienbesprechung ad absurdum geführt. Quenia und ich werden dass ändern. Nicht mehr und nicht weniger! Im übrigen denke auch ich dass die Familie Vinarii, seit dem Weggang der Familie Changbari wohl als bester Geschäftspartner und in gewisser Weise Verbündeter gelten kann.“ Nita entspannte sich sichtlich und Quenia ergriff wieder das Wort: „Tatsächlich bin auch ich von dem Vorschlag überzeugt. Seit dem so viele der einflussreichsten Patrizierfamilien Efferdas verlassen haben bin ich gerade in der Efferdischen Handelskompanie oft mit Hesindio Vinarii im Gespräch um einen Zusammenbruch des Unternehmens zu verhindern und ich kann nur sagen dass die Gespräche immer sehr konstruktiv und zielführend verlaufen sind. Keine sinnlosen Schuldzuweisungen an irgendwen, kein Gejammer, immer sehr auf die Probleme und deren Lösung fokussiert. Einzig im Punkt wer zum Palazzo Vinarii geht möchte ich widersprechen. Tante Nita, die letzten Stunden haben mir mehr als eindrücklich gezeigt dass wir dich hier in der Gerberstadt brauchen. Die Meister und Vorarbeiter kennen Kilian und mich, aber Respekt und vor allem Vertrauen haben sie in dich, Nita. Und hinzukommt dass du die Leute kennst, nicht wie ich, die bestenfalls die Namen kennt und selbst da bei den meisten kein Gesicht dazu. Du kennst ihre Geschichte, ihre Familien, ihr Leben. Ich habe heute auch gelernt dass ich das dringend ändern muss und werde.“ Quenias Worte entlockten Nita dann sogar ein mildes Lächeln und ein zustimmendes Nicken. „Gut, somit sind die Vinarii unsere ersten möglichen Bündnispartner, aber wir sind uns wohl einig dass auch zwei Familien nicht genug sind! Ich bin dafür dass wir das Gespräch mit der Familie Lysandros suchen!“ es war nun die Halbtulamidin welche sich in das Gespräch einbrachte. „Die Lysandros? Das sind Zyklopäer! Denen kann man doch nicht trauen!“ entrüstete sich Carolus. Avedane lächelte sarkastisch: “Uhh… böse Zyklopäer, gut dass es unter den Angestellten und Arbeiterinnen der gerberschen Betriebe keine gibt und unter den Huren der Bordelle die du so gerne aufsuchst sind ganz sicher auch keine Schönheiten der Zyklopeninseln!“ „Die Zyklopäer, die für uns arbeiten, leben alle in Miseria oder Novalia und ich plaudere keine geschäftlichen oder familiären Dinge in den Etablissements…“ „Oh, unser geeintes Efferdas! Die Zyklopäer, die Bewohner von Miseria, die Tobrier in Parveneo, sie dürfen die dreckigen, schweren und gefährlichen Arbeiten, die schlecht bezahlt werden machen, aber sie gehören nicht zu uns, den tollen und stolzen Efferdasi. Und da machst du den di Malavista und ya Pirras einen Vorwurf dass sie die Gerbers nicht für ebenbürtig erachten? Sie haben den selben Blickwinkel auf uns wie du auf die Zyklopäer. Und ganz nebenbei, wenn ich mich recht entsinne stammen die Gerber doch auch aus Grangor, auch wenn sie nun schon gut 200 Jahre in Efferdas leben.“ Noch bevor Carolus etwas entgegnen konnte ging Quenia dazwischen „GENUG! Dieses Gezanke bringt uns nicht weiter! Ich für meinen Teil unterscheide nicht nach Herkunft, Rang oder Wohnort und es steht auch nicht für unsere Familie Standesdünkel oder sonstige Vorurteile zu haben und schon gar nicht sie zu befeuern. Und jetzt zurück zu der Familie Lysandros. Ich muss zugeben ich hatte bisher keinen nennenswerten Kontakt zu Vertretern der Lysandros und kann sie daher auch nicht einschätzen. Hat jemand mehr Erfahrung mit ihnen?“ die Geschäftsfrau blickte abwartend in die Runde. Als sich keiner zu Wort meldete sprach die schwarzhaarige Schönheit erneut: „Auch ich kann nicht behaupten dass ich die Familie Lysandros kenne, aber sie sind eine fleißige und engagierte Familie die sich in Efferdas etablieren will und sicher nicht abgeneigt ist wenn man ihnen die Hand reicht und ihnen zeigt dass man sie als einen Teil der Stadt und Republik Efferdas anerkennt.“ Kilian nickte, doch ehe er etwas sagen konnte sprach Nita. „Man muss ja nicht gleich von Widerstandsplänen und irgendwelchen Details sprechen, aber es kann nicht schaden herauszufinden, wo die Familie Lysandros steht. Bei den ya Pirras und di Malavista müssen wir uns, denke ich keine Gedanken machen, sie werden in der momentanen Entwicklung ebenfalls eine Bedrohung ihrer Interessen und Geschäfte sehen und sich dem entgegenstellen, auch wenn es vernünftiger ist wenn ein Vertreter des Hauses Vinarii mit ihnen spricht. Ich bin dafür, dass Avedane, wenn es für sie in Ordnung ist, bei der Familie Lysandros vorspricht. Zumal einer talentierten Illusionsmagierin auch am ehesten gelingen wird ungesehen zu deren Werft im Stadtteil Novalia, ganz am anderen Ende der Stadt zu gelangen.“ Ihr Blick suchte den der Magierin. Als sich ihre Blicke trafen lächelte diese zufrieden. „Wenn der Familienrat dem zustimmt will ich dies gerne tun!“ Man diskutierte noch so mache Namen. Zum Schluss hatte man sich darauf geeinigt dass Quenia zur Familie Vinarii, Avedane zur Familie Lysandros, Niccolo zur Familie A'Temelon und Yoline zur Familie Ventargento gehen werden.
Während die Botschafter der Gerbers auf ihren gefährlichen Missionen waren, blieb man in der Gerberstadt nicht untätig. Nita Origan war in das Haus der Kanalisationsinstanthaltung gegangen, um mit den Männern und Frauen zu sprechen. Kilian und Carolus hatten die Meister und Vorarbeiter der übrigen Betriebe in das Alchemielabor bestellt, um sich mit ihnen zu besprechen. Efferdane schließlich hatte sich auf den Weg ins Waisenhaus gemacht, auch wenn die Verhandlungen über die Übernahme noch liefen und nicht gewiss war, ob man den Zuschlag erhalten würde, hatte die Familie Gerber den Unterhalt für das Waisenhaus und die Betreuung der Kinder übernommen. Eine Schließung hätte die armen Kinder in die Obdachlosigkeit getrieben und die fünf Frauen, die sich um das Wohl der Kinder kümmerten, ihres Einkommens beraubt. Efferdane hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, den Jüngsten vor dem zu Bett gehen eine Geschichte zu erzählen.
Es war spät geworden und das Madamal stand schon im zweiten Namenlosen Tag, Aphestadil, als man das Alchemielabor verließ und in das Gerbersche Haus zurückkehrte. Kilian war zufrieden, es war ihnen gelungen, die Meister und Vorarbeiter für die Sache zu gewinnen. Jetzt war er gespannt, ob Avedane, Quenia, Niccolo und Yoline schon zurück waren und was ihre Gespräche ergeben hatten. Dass seine Mutter bei den Männern und Frauen der Kanal- und Stadtreinigung erfolgreich war, stand für ihn außer Frage, er machte sich eher Sorgen, dass seine Mutter bereits über das Stadium der Planung hinaus war.
„Heilig Brigon über den Wogen“
Stadtteil Residencia
Mentorin Flava ging die Treppe vom Obergeschoss hinab in die Sakralhalle. Heute war Isyahadin, der erste der fünf Tage des Namenlosen. Gestern hatten sie das Reinigungsfest begangen, wobei Fest für die meisten Menschen wohl irgendwie irreführend klang, aber zumindest für sie war es eine schöne Arbeit. Alles auf Vollzähligkeit, Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit überprüfen und die rituelle Reinigung verbunden mit kirchlichen Gesängen und Gebeten. Ja, wenn man liebte was man tat war es um ein Vielfaches leichter.
Früher war sie gerne auf einen der zahlreichen Bälle in der Stadt gegangen, doch heute lockte sie dererlei nicht mehr.
Efferdane Flava Gerber ließ sich zum stillen Gebet nieder. Sie bat die Allweise, sie möge alle Menschen, vorallem jene in der Stadt und Republik Efferdas mit Erkenntnis segnen. Mit der Erkenntnis dass Gewalt nie den Boden für Wachstum, Frieden und Gemeinsamkeit war. Mochten sie doch einsehen dass nur mit Respekt, Vertrauen und Zusammenarbeit eine gute Zukunft für alle geschaffen werden konnte.
In den folgenden Stunden waren, wie schon am Vortag, immer mehr Menschen gekommen, zum Teil verletzt, zum Teil verängstigte, verunsicherte Menschen, die nicht wussten, wohin sie gehen konnten oder was sie tun sollten oder überhaupt tun konnten und nun göttlichen Trost und Beistand suchten. Die Novizen, Geweihten und einige der Akoluthen und freiwillige Helfer und Helferinnen waren vollauf beschäftigt, die Wunden der Verletzten zu versorgen und allen, die es brauchten Mut und Trost zuzusprechen und mit den Menschen zu beten.
Avedane saba Festina bei der Familie Lysandros
Stadtteil Novalia oder Neolea wie die Zyklopäer sagen
Avedane saba Festina gelangte Dank ihrer illusionsmagischen Fähigkeiten ohne unangenehme Begegnungen in den Stadtteil Novalia. Rasch war das Onerdi-Tor passiert und die Halbtulamidin verließ die Via Escoba direkt dahinter und ging die innere Stadtmauer entlang. Bald war die Werft erreicht. Sie konnte niemanden entdecken und ließ den Zauber fallen. Sie stand zwischen gestapeltem Holz und ging nun auf ein Haus zu: „Praios zum Gruße! Ist jemand aus dem Hause Lysandros zu sprechen?“ Nachdem sie gerufen hatte, war es wieder totenstill, sie wartete ab.
Es blieb eine ganze Zeit still, doch aus dem Haus drangen angeregte Stimmen heraus. Dann wurde die Tür geöffnet und eine junge Frau mit pechschwarzem, gelocktem Haar, leicht dunklerer Haut und einem blauen hübschen Kleid trat heraus. “Ale…”, hob sie an und stockte augenblicklich, als sie ihre Gegenüber erblickte. “Oh”, machte sie da, “Ähm.” Etwas überrascht von der Besucherin braucht die Lysandros einen Moment, um sich zu sammeln. “Wie kann ich Euch helfen, Signora? Habt Ihr Euch … hm … etwa verlaufen oder wollte ihr vielleicht doch ein zyklopäisches Schiff kaufen?”
Die vierzigjährige Halbtulamidin verneigte sich und lächelte ihr Gegenüber freundlich an: „Die Zwölfe mit euch Signora! Nun ob ich mich verlaufen habe wird sich gleich zeigen, aber eure Frage ob ich ein Schiff zyklopäischer Bauart erwerben möchte lässt mich hoffen das dem nicht so ist. Ich bin Avedane saba Festina und bin auf der Suche nach der Werft der Familie Lysandros. Mit wem habe ich die Ehre und Freude zu sprechen?“
“Ianthe Lysandros”, stellte sich die Fremde vor und straffe sich dabei, “Freut mich, Euere Bekanntschaft zu machen, Signora. Und in der Tat befindet Ihr Euch auf der Werft der Familie Lysandros. Mein Bruder baut hier die besten zyklopäischen Schiffe weite und breit.” Energisch nickte sie. “Derzeit ist er leider nicht zu sprechen, aber vielleicht kann ich Euch helfen?” Nun zuckte sie mit den Schultern. “Ach ja, vielleicht kommt Ihr erst einmal herein. Verzeiht, meine Unhöflichkeit, aber im Moment herrscht nicht nur da draußen großes Chaos, sondern auch hier drinnen. Die Zeiten sind … gerade schwierig. Möge uns Praios beistehen!” Mit einer Geste gab sie ihrem Gast zu verstehen, dass sie eintreten solle und führte sie in einen einfach eingerichteten Salon hinein. Zwei gemütlich aussehende und mit blauem Stoff bezogene Sessel luden zum Verweilen ein. Dazu gab es ein kleines Tischchen. “Zenaida”, rief Ianthe und wechselte ins Zyklopäische, “Bring uns Wein.”
Avedane nickte: „Ja, die Zeiten sind…sagen wir herausfordernd. Und seid unbesorgt, es gibt bisher nichts, was ich Euch verzeihen müsste, Signora Ianthe.“ Froh das freie Gelände verlassen zu können und somit der Gefahr von unliebsamer Entdeckung zu entgehen, folgte sie dankbar der wohl etwa halb so alten, schwarzhaarigen Schönheit. Ein schlichter, aber durchaus heimeiliger Salon war das Ziel. Avedane schätzte Schlichtheit und verzichtete selbst meist auf protzige Kleidung und Schmuck, nur zu Festen, Empfängen und wenn es ihren Zielen diente, unterstrich sie auch mit Brokat und teurem Geschmeide ihre weiblichen Reize. Während die Zyklopäerin mit der Bediensteten sprach, musterte die Halbtulamidin sie kurz. Sehr, sehr hübsch und sie hatte die Jugend auf ihrer Seite, wenn Ianthe einen Festsaal betrat, gab es wohl keinen Mann, der ihr keine bewundernden Blicke schenken würde. „Wo befindet sich denn Signore Aerelaos zur Zeit?“, fragte Avedane ihre Gastgeberin als sie sich ihr wieder zuwendete.
Seufzend ließ sich die Zyklopäerin auf einen der Sessel fallen und hob zur Antwort an: “Signora, es ist wie ich sagte. Derzeit ist er nicht zu sprechen.” Ernst nickte sie. “Er ist mein Bruder und derzeit ist alles etwas zu … kompliziert. Habt Ihr Geschwister?” Doch Ianthe wartete keine Antwort ab. “Mit Geschwistern sind komplizierte Dinge immer nur noch weitaus komplizierter.” Die Lysandros machte eine abwehrende Geste. “Wollt Ihr mir nicht zuallererst sagen, worum es geht? Vielleicht kann ich Euch ja weiterhelfen?”
Avedane hob die linke Augenbraue, die Zyklopäerin wich aus, warum wollte sie ihr nicht sagen, wo der Bruder war? Dass er nicht zu sprechen war, hatte sie ja durchaus verstanden, sie wollte ja nur den Grund erfahren. Aber sie würde die junge Frau nicht bedrängen.
Avedane lächelte verständnisvoll: „Ich weiß, was ihr meint, ich bin zwar als Einzelkind aufgewachsen und war mit meiner Mutter alleine und dann kam ich von Zorgan nach Efferdas und fand mich plötzlich in einer riesigen und sehr fürsorglichen Familie wieder. Trotzdem eine sehr gewöhnungsbedürftige Situation, wenn man zwanzig Jahre gewohnt ist, nur auf die Bedürfnisse einer Person Rücksicht nehmen zu müssen und nun plötzlich mit einer Vielzahl von unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Meinungen, Bedürfnissen und Persönlichkeiten konfrontiert zu sein. Einerseits ist es wahnsinnig anstrengend, aber anderseits auch unglaublich schön eine so breite Unterstützung zu haben. Aber ich bin nicht gekommen, um Euch mit meiner Lebensgeschichte und meiner Familie zu langweilen.“ Sie winkte ab, dann wurde ihr Blick etwas ernster. „Tatsächlich führen mich zwei Dinge zu Euch. Zum einen geht es tatsächlich um den Auftrag für eine Trireme oder Dromone, da würde ich mich auf die Beratung einer Frau vom Fach verlassen.“ Sie lächelte Ianthe an. „Der zweite Punkt ist dann von etwas heiklerer Natur!“, sie blickte kurz an der Zyklopäerin vorbei zur Tür, dann sah sie der jüngeren Frau fest in die Augen: „Der zweite Punkt betrifft die aktuelle Situation in der Stadt und die Frage, wo steht ihr?“ Die Halbtulamidin neigte ihr Haupt zur linken Schulter und blickte Ianthe abwartend an.
“Das ist recht einfach, Signora”, hob die Lysandros da an, nachdem ein Dienstmädchen mit ebenso pechschwarzem gelockten Haar herein gehuscht war und den beiden Damen Wein gebracht hatte, “Wir Zyklopäer halten zusammen. In der Heimat. Aber vor allem in der Ferne.” Mit kräftigem Nicken versuchte sie ihre Worte zu bekräftigen. “Wir stehen auf der Seite Serafanos’.” Sie nickte, wobei ihre Locken mitwippten. “Es gibt einen Grund, warum unsere Werft ausgerechnet in diesem Viertel liegt, Signora. Der Grund ist nicht etwa, weil wir Zyklopäer nur unter uns bleiben wollen. Der Grund ist vielmehr, dass wir uns nur hier ansiedeln konnten und durften. Hier im zyklopäischen Viertel Neolea.” Einen Moment hielt sie inne und trank einen Schluck Rethisina, um ihre Kehle zu befeuchten. “Versteht mich nicht falsch, ich verurteile das aktuelle … rauben und morden aus dem tiefsten meines Seines, doch ist das nicht ein Ausdruck der Verkommenheit, die hier Einzug gehalten hat? Erst dieses schreckliche Seebeben, dann das? Das ist alles gewiss kein Zufall, sondern Fügung!” Aus ihr sprach die Schicksalsergebenheit, wie sie Zyklopäern zu eigen war. “Die Götter, zuvorderst der Herr Praios, wollen uns damit etwas sagen und hätten die Obersten in Efferdas vielleicht früher auf dieses Zeichen gehört, dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen. So haben die Götter jedoch für uns alle hier entschieden. Mit allen Konsequenzen, die jeder von uns nun tragen muss, ganz gleich an welcher Stelle wir nun in dieses Spiel gerieten.” Erneut trank sie von dem Wein. “Und was Eure erste Frage angeht, so kommt es darauf an, ob Ihr gedenkt, mit diesem Schiff Seeschlachten zu schlagen oder doch auch Waren zu transportieren.”
Die Vierzigjährige hörte interessiert zu. Es war klar dass sie überzeugt war von dem was sie sagte und nicht nur irgendjemandes Weltsicht nachplapperte. Sie ergriff ihren Rethisina und nahm ihrerseits einen Schluck. Tatsächlich kannte sie den zyklopäischen Wein und mochte den eigenwilligen Geschmack. Genüsslich ließ sie nach einigen Augenblicken das Getränk die Kehle hinab rinnen. Nachdem Ianthe geendet hatte, nahm Avedane noch einen Schluck, ehe sie antwortete: „Sehr guter Tropfen, ich habe einige Amphoren Rethisina Zuhause und ich muss zugeben, er hat nicht ganz die Qualität eures Weins. Aber das nur am Rande. Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich keine Freundin von Ausgrenzungen bin, wie sie den Zyklopäern hier entgegengebracht werden. Tatsächlich kenne ich dieses Verhalten auch aus eigener Erfahrung. Eine Tulamidin unter all diesen tollen Efferdiern, das ich Bosperano besser lesen und schreiben kann als viele der ach so gebildeten Herrschaften und daraus kein Geheimnis gemacht habe hat auch nicht gerade dazu beigetragen meine Beliebtheit zu steigern. Zwei Dinge haben es mir dann aber doch möglich gemacht hier Fuß zu fassen. Zum einen ist die Familie der ich angehöre horasisch, zum anderen bin ich so ziemlich die einzige Tulamidin in Efferdas geblieben. Fremdes, unbekanntes macht den meisten Menschen Angst, wenn sich dann auch noch zeigt dass diese Fremden ebenbürtig und vielleicht sogar besser sind, wird aus Angst Abneigung und man beginnt die vermeintliche Gefahr einzudämmen. Hier in dem sich Zyklopäer nur in Neolea ansiedeln dürfen. Doch sind wir ehrlich, würden sich Tulamiden oder Zyklopäer anders verhalten, wenn mehr und mehr Horasier sich in einer ihrer Städte ansiedeln würden?“ Avedane nahm einen weiteren Schluck und fuhr dann fort: „Aber nun zum Schiff, ein Handelsschiff soll es sein. 60-80 Quader Fracht muss es transportieren können und über leichte Bewaffnung verfügen, um es Piraten nicht ganz so einfach zu machen! Eine weitere Frage wäre, wie viele Ruderer würdet ihr empfehlen? Wie ihr bemerkt, ich bin keine Seefahrerin und bin daher auf eure Beratung angewiesen.“ Erneut nahm Avedane einen Schluck Wein.
“Euch schwebt also etwas Großes vor”, meinte Ianthe da nickend, “Ein wirklich großes Schiff.” Und ein großer Auftrag, dachte sie bei sich. “Wisst Ihr, Signora, was uns Zyklopäern von den anderen unterscheidet?” Doch anstatt ihrer Gegenüber Zeit für eine Antwort zu geben, fuhr sie sogleich wieder fort: “Wir können uns auch mit wenig zufriedengeben. Dafür werden wir oft verurteilt. Und sollte es je dazu kommen, dass sich andere in meiner Heimat ansiedeln und unsere Arbeit besser, schneller oder gar billiger machen, so sollten wir, die wir Zyklopäer sind, uns fragen, wie wir gegenüber der Götter gefehlt haben.” Energisch nickte sie. “Doch wo steht Ihr und Eure Familie in dieser unsäglichen Tragödie?”
„Nun, das Schiff ist nicht gedacht um zwischen zwei Häfen zu pendeln sondern es wird mehrere Häfen bis hoch nach Prem, eventuell auch Olport anlaufen und erst dann wieder den Rückweg, ebenfalls über diverse Häfen nach Efferdas antreten. Deswegen ist ein etwas größerer Frachtraum notwendig, zumal, bedingt durch die Ruderer auch eine gewisse Menge an Frischwasser und Proviant mitgeführt werden muss.“ Erneut trank sie von ihrem Rethisina. „Es ist in meinen Augen eher eine Stärke denn eine Schwäche genügsam zu sein und aus wenigen Ressourcen möglichst viel zu machen. Aus dem Überfluss heraus kann der größte Narr etwas großes vollbringen, aber aus Mangel heraus erschaffen nur wahre Meister etwas.“ Sie lehnte sich etwas zurück „Seht ihr hier begeht ihr den gleichen Denkfehler wie unter anderem die Efferdier. Ich denke nicht das die Menschen in Efferdas gegenüber den Göttern gefehlt haben. Statt sich zu fragen, warum Zyklopäer für einen geringeren Lohn arbeiten, sie sind genügsamer, arbeiten oft schneller, sie wollen sich beweisen, zeigen, dass sie mindestens ebenbürtig sind und in einigen Dingen einfach bessere Arbeit abliefern, sie haben eine andere Technik und ein größeres Wissen. Alles Eigenschaften, die man nicht verurteilen und bekämpfen sollte, sondern davon lernen. Die Götter sind ein sehr wichtiger Aspekt, doch sich nur auf sie zu verlassen und selbst die Hände in den Schoß zu legen wird nicht funktionieren. Wenn ich bei Sturm ins Hafenbecken stürze, wird mir Schwimmen sicher mehr helfen als beten.“ Während sie sprach, hatte sie ihr Weinglas in den Händen leicht geschwenkt und beobachtet, wie die Flüssigkeit sich darin bewegte nun blickte sie ihre Gastgeberin wieder an. „Zu eurer letzten Frage, ich stehe auf der Seite von Efferdas, mir liegt das Wohl und Gedeihen der Stadt am Herzen. Ob als Republik oder unter …. sagen wir dem Seekönig, ist mir im Prinzip gleichgültig. Und hier sehe ich den größten Fehler, die schlimmsten Versäumnisse des Senats und letztlich die Ursache für die jetzige Situation. Statt das Potenzial der Menschen die aus Tobrien, aus Arivor und der Coverna und von den Zyklopeninseln hierher gekommen sind zu nutzen und sie zum Wohle der Stadt und Republik in den Wiederaufbau und das Wachstum einzubeziehen war man nur darauf bedacht seine eigene Macht und Einfluss zu erhalten und auszubauen und damit die Lebenssituation der Mehrzahl der Einwohner kontinuierlich zu verschlechtern. Im Übrigen unterscheidet sich hier euer Serafanos Thirindar in keinster Weise vom Rest des Patriziertums dieser Republik. Auch er hat hauptsächlich seine eigenen Interessen im Blick. Wenn eines gewiss ist, dann, dass auf dem Fundament von Gewalt, Mord und Unterdrückung noch keine blühende, glückliche und friedvolle Zukunft erwachsen ist. Gewalt wir immer Gewalt, Unterdrückung immer Widerstand erzeugen. Egal auf welcher Seite man stehen mag, es wird noch mehr Blut fließen und mit jedem Toten werden die Aussichten auf eine friedfertige, wohlwollende Gemeinschaft geringer. Wer möchte schon der freundliche Nachbar des Mörders des Vaters oder des Schänders der Tochter sein?“, sie prostete Ianthe zu und leerte dann ihr Weinglas.
“Oh”, machte die Zyklopäerin da, “Versteht meine folgende Frage nicht falsch, aber … “ Sie biss sich auf die Lippen. “Ihr glaubt schon an die Zwölfe, nicht wahr? Denn die Geschichte mit dem Hafenbecken verhält sich wie folgt: Seid ihr bei den Göttern in Ungnade gefallen, so wird Euch schwimmen keineswegs retten, vielleicht erbarmen sie sich jedoch, wenn Ihr sie in Euren Gebeten um Verzeihung bittet. Der andere Fall ist nicht weniger interessant. Steht Ihr nun in ihrer Gnade, so waren sie es, die dafür gesorgt haben, dass Ihr das Schwimmen erlerntet und Euch so retten könntet, denn die Zwölfe setzte auch von Euch ein gewisses Maß an Einsatz voraus. Dabei ein Gebet auf den Lippen zu haben, kann gewiss nicht schaden. Verlasst Ihr Euch nur auf das Beten allein, so könnten sie Euch erretten, vielleicht würden sie Euch aber auch für Eure Anmaßung, dass ihr Euch als so wichtig erachtet, dass sie Euch schon erretten würden, mit dem Ertrinken strafen.”
Ianthe trank einen großen Schluck: “Ihr sagt also, Ihr steht auf der Seite von Efferdas. Aber welche genau soll das sein?” Sie zuckte mit den Schultern. “Dass all die Gewalt keine Lösung ist, ist offensichtlich. Wir - und das möchte ich klarstellen - heißen sie weder für gut, noch beteiligen wir uns daran, aber ist sie vielleicht notwendig, um diese Stadt endlich auf das zu stoßen, was in ihr seit geraumer Zeit gärte? Was also ist Eure Lösung, Signora.” Etwas provokant blickte sie ihre Gegenüber an.
Avedane lächelte milde: „Natürlich glaube ich an die Zwölfe, verzeiht wenn ich mich etwas unglücklich ausgedrückt habe, aber eure Erläuterung trifft, was ich damit sagen wollte, beten alleine wird mir vielleicht einmal helfen, aber wenn meine einzige Leistung im Leben aus beten besteht und ich nichts unternehme, um etwas zu erreichen, werden mir die Götter ihre Gunst versagen. Eigene Leistung und die Verehrung der Zwölf müssen miteinander einhergehen. Das Eine wird ohne das Andere auf Dauer keinen Segen bringen.“ Avedane stellte das leere Weinglas ab. „Wenn es wirklich so offensichtlich ist, dass die Gewalt keine Lösung ist, stellt sich die Frage, warum Signore Serafanos Thirindar und seine d’Oro-Freunde so sehr darauf setzen?“ Avedane lehnte sich wieder etwas vor. „Ich denke nicht, dass es Mord, Raub und Brandstiftung bedurft hätte, um jemanden darauf zu stoßen, dass es massive Probleme in der Stadt gibt. Es macht für mich auch wenig Sinn, die Probleme zu vergrößern, um auf sie aufmerksam zu machen. Und egal welche Seite als Sieger hervorgeht, es wird nicht dazu führen, dass Zyklopäer in Efferdas besser gelitten sind. Vielleicht wird man unter ihnen dienen, vielleicht wird man sie aus der Stadt jagen, aber mehr Achtung und Respekt wird es ihnen so oder so nicht einbringen. Klüger wäre es gewesen, die nächste Senatswahl abzuwarten und eigene Kandidaten aufzustellen.“ Kurz überlegte die Halbtulamidin, ehe sie weitersprach. „Nach meiner Lösung fragt ihr? Das ist nicht ganz einfach, zumindest halte ich es für keine gute Idee dem Rüpel, der auf dem Marktplatz die Leute anrempelt und herum pöbelt, auch noch zu applaudieren und ihm meine Unterstützung zuzusagen. Es wird ihn ganz bestimmt nicht dazu bewegen sein Verhalten zu überdenken, im Gegenteil, mit jedem Sympathisanten wird er brutaler und rücksichtsloser werden und obwohl ich niemanden herumgestoßen und angepöbelt habe, bin ich durch meine Untätigkeit genauso verantwortlich!“
“Ein korruptes System, Signora, kann nicht durch logischen Verstand, so wie den Euren, überwunden werden, weil dazu diejenigen, die von diesem System profitieren, fortan nicht mehr profitieren würden. Und was die Senatswahl angeht”, sie machte eine abweisende Handbewegung, “sind es die Rahmenbedingungen, die jene so abgesteckt haben, dass sie vor allem von den Ansässigen erfüllt werden können. Von uns …” Sie vollführte eine ausladende kreisende Bewegung mit ihrem Arm. “... kann sich keiner aufstellen lassen. Niemand von uns befindet sich bereits mehr als drei Jahre in Efferdas.” Da nickte die Zyklopäerin ernst. “Dann wäre da noch die nicht ganz unerhebliche Kandidatensteuer, die wir aber gewiss aufbringen könnten. Doch wer sollte uns wählen, Signora? Die Senatoren werden durch die Bürgerschaft gewählt. Die meisten Zyklopäer sind aber gar keine Bürger. Ich denke, Ihr versteht so langsam, wo genau das Problem liegt. Und jene, die uns als Bedrohung für ihr Efferdas empfinden, werden uns ganz sicher nicht wählen. Einzige Möglichkeit war durch Gewalt, die ich wie gesagt absolut nicht gutheißen kann, das System zu brechen. Denn sonst wäre alles so geblieben, wie es schon immer war.” Sie holte Atem. “Da Ihr die Gewalt verurteilt und auch ich, gibt es also nur eine Möglichkeit: Ein Kompromiss zwischen allen Beteiligten. Und vermutlich wird es einer sei, der keinem von uns so recht schmecken wird. Logischerweise steht meine Familie auf Seiten der Zyklopäer und damit auf Seiten der Thirindar, was allerdings für Euch bedeutet, dass Ihr vielleicht einen Fuß in der Tür Serafanos’ habt, ganz gewiss allerdings ein Ohr. Was meint Ihr dazu?”
Avedane, wog nachdenklich ihren Kopf hin und her. „Eure Argumente, meine geschätzte Ianthe Lysandros sind nicht von der Hand zu weisen. Ihr seid eine kluge und gut informierte Frau, ich hoffe zyklopäische Männer können damit besser umgehen als der durchschnittliche Horasier oder die tulamidischen Männer!“ Sie lächelte ihrer Gegenüber herzlich zu. „Nun ich verstehe und respektiere eure Loyalität zu euren Landsleuten. Menschen mit Werten und Idealen bewundere ich sehr, egal ob ich diese teilen kann. Es gibt heute zu viele Menschen, die ihre Fahne in den Wind hängen, das mag ich überhaupt nicht, man weiß bei solchen Leuten nie woran man ist.“ Sie spielte nachdenklich mit einer Haarsträhne, während ihr Blick zur Decke ging. Nach einem Moment der Stille richtete sich ihr Blick wieder auf die ebenso intelligente wie schöne Zyklopäerin: „Ihr seid sehr klug und ihr seid eine Geschäftsfrau, also kommen wir zu der entscheidenden Frage, was erwartet ihr im Gegenzug für das Ohr oder den Fuß?“ Interessiert musterte sie die jüngere Frau.
Ein zufriedenes Lächeln legte sich über die Wangen der Zyklopäerin: “Uns eint etwas, Signora, wovon viele Alteingesessenen hier in Efferdas nichts verstehen – wie es ist, wenn man nicht dazugehört.” Sie stockte und mühte sich eilig hinzuzufügen: “Zumindest nicht so richtig.” Langsam nickte sie. “Ich erwarte also von Euch dasselbe. Ziel ist, wie ich sagte, ein Kompromiss. Mir ist klar, dass wir Zyklopäer nicht alles bekommen werden, was wir uns wünschen, ebenso sieht es auf der Seite der anderen aus. Natürlich will jeder das best mögliche für sich herausholen, Ihr für Euch selbst und Eure Familie, ich für mich und meine Familie. In all dem einen Kompromiss zu finden, den jede Seite akzeptieren kann, wird nicht leicht. Doch alles ist besser als diese Gewalt. Ihr solltet also ebenso Ohr und Fuß sein.” Erneut nickte sie. “Ich kenne meinen Bruder gut genug, um ihn mit den richtigen Argumenten in die richtige Richtung zu stoßen, auch wenn er gerade sehr … störrisch ist. Blut ist eben manchmal doch dicker als Wasser. Genügt Euch das? Oder schwebt Euch etwas anderes gar vor?”
Avedane erwiderte das zufriedene Lächeln: „Euer Preis erscheint mir gerecht. Es würde mich sehr freuen, wenn es uns gelingt, weiteres Blutvergießen zu verhindern und die Gesamtsituation in der Stadt für alle und im Besonderen die Situation der neuen Einwohner, woher auch immer sie nach Efferdas gekommen sind, zu verbessern. Gerade sie müssen eine Stimme im Senat bekommen und Ämter im Magistrat erhalten. So wollen wir versuchen, auf unsere jeweilige Seite einzuwirken und die Parteien an den Verhandlungstisch zu bekommen. Ich werde euch auf dem Laufenden halten wohin sich die Situation aus der Sicht unserer entwickelt und euch dementsprechend bald wieder aufsuchen.“ Die Halbtulamidin schüttelte grinsend ihren Kopf „Hätte nicht gedacht, einmal ein Ohr und ein Fuß zu sein, aber zu zweit sind wir ja komplett!“ gerade wollte sie sich erheben, da fiel ihr noch etwas ein: „Die Anfrage nach einem Schiff aus eurer Werft war im Übrigen durchaus ernsthafter Natur. Vielleicht wollt ihr mir bis zu unserem nächsten Treffen zwei Entwürfe vorbereiten. Einen mit einer Trireme in der Dimension wie ihr sie gewöhnlich bauen würdet und den Zweiten dann mit einem Frachtraum von 70 Quader inklusive leichter Bewaffnung. Das Wichtigste sind für mich die Informationen über den Preis, die Dauer der Bauzeit und wie groß die Besatzung sein wird, samt der Ruderer und der Bediener von Aalen, Skorpionen oder was immer ihr sonst als Bewaffnung für richtig erachtet.“ Die Zorganerin zuckte kurz mit den Schultern „Ich würde dergleichen ja gerne mit euch in einem Gasthaus oder einer schönen Taverne besprechen, aber in Anbetracht der augenblicklichen Situation ist das wohl nicht möglich. Wenn es euch also recht ist würde ich eure Gastfreundschaft morgen zur selben Zeit wieder in Anspruch nehmen?“
Abwartend sah sie die Zyklopäerin an.
Ianthe erhob sich: “Signora, seid gerne auch am morgigen Abend mein Gast im Haus meiner Familie und auch an unserer Tafel. Ich werde veranlassen dass wir bei zyklopäischen Köstlichkeiten und reichlich Rethisina über Geschäftliches sprechen. Gewiss wird sich auch mein Bruder bis dahin gefasst haben.” Damit machte sie sich daran zur Tür des Zimmer zugehen.
"So wollen wir es halten Signora Ianthe!" Die Graumagierin folgte ihrer Gastgeberin und ließ sich zum Ausgang geleiten. An der Tür verabschiedeten sich die beiden Frauen die einerseits so unterschiedlich waren und sich andererseits so sehr ähnelten.
Nach dem Avedane den Stapel mit Hölzern erreicht hatte wirkte sie ihren Zauber und machte sich in seinem Schutz auf den Rückweg in die Gerberstadt.
Sie freute sich bereits auf den nächsten Tag und ein Wiedersehen mit Ianthe und darauf ihren Bruder den Bootsbauer kennenzulernen.
Ob dieser wohl auch so attraktiv war?