Briefspiel:Mission Alarasruh/Unter der Erde grollt etwas
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Unter der Erde grollt etwas
Autor: Erlan
Der Regen hatte den Palasthof glitschig werden lassen, die Fackeln warfen ihr Licht wie gebrochene Scherben über das Pflaster. Als Erlan Sirensteen eintrat, wartete Fürst Ralman von Firdayon-Bethana bereits in seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch des Comto Marschalls war eine Landschaft aus Karten, Berichten und Wachssiegeln.
Ralman (ohne aufzusehen):
Du bist zurück – früher, als ich erwartet habe.
Erlan (verneigt sich leicht):
Ich wollte Euch nicht im Unklaren lassen. Mein Aufenthalt in Schradok verlief … erkenntnisreich, wenn auch nicht im gewünschten Sinn.
Ralman (legt eine Depesche beiseite):
Dann sprich.
Erlan trat näher an den Tisch, nahm das nasse Reisecape ab und sprach leise, wie man es tut, wenn selbst Mauern zuhören könnten.
Erlan:
Die Schradoker waren mir gegenüber höflich und auf den ersten Blick offen, doch ich spürte – unter der Oberfläche verändert sich etwas. Sie wirken in sich gekehrter, aber auch entschlossen. Als bereiteten sie sich auf eigene Vorhaben vor. Man ließ mich spüren, dass sie ihre Angelegenheiten künftig lieber selbst regeln. Ich gewann den Eindruck, dass sie eine eigene Delegation nach Alarasruh entsenden wollen.
Ralman:
Dann also keine gemeinsame Vertretung?
Erlan:
Das ist noch nicht ausgeschlossen. Ich erwäge, ihnen eine gemeinsame Anreise vorzuschlagen. Es wäre ein Signal des Vertrauens.
Ralman (nickt langsam):
Ein guter Gedanke. Ich fürchte jedoch, sie werden ablehnen – doch der Versuch zählt.
Erlan ging zum Fenster, blickte hinaus in die regennasse Stadt.
Erlan:
Das alles kommt zu keiner guten Stunde. Sag, Ralman – wer führt nun die horasische Delegation?
Ralman:
Comto Icaro ya Lionessa, der Kronsekretär für Diplomatie, der Herr von Lupercalia. Offiziell wird er die Gesandtschaft leiten.
Erlan (verzieht kurz die Lippen):
Ah, der Arangencomto.
Ralman (grinst wissend):
Das hast du jetzt gesagt. Eine Bezeichnung, die diese Räumlichkeiten nicht verlassen sollte.
Erlan (trocken):
Da kommst du zu spät mit. In gewissen allaventurischen Kreisen ist das doch schon bekannt.
Ralman schüttelte den Kopf, halb amüsiert, halb besorgt. Dann wurde sein Blick wieder ernst.
Ralman:
Genau deswegen brauche ich dich dort. Offiziell reist du als Teil der Delegation – in Wahrheit wirst du in meinem Namen dort eine Mission für das Horasreich erfüllen.
Er griff nach einem versiegelten Schreiben.
Ralman:
Drei Dinge, Erlan, haben oberste Priorität. Erstens – finde heraus, was unter der Erde vorgeht. Zweitens – achte darauf, dass unsere Handelsrouten mit den Zwergen offenbleiben. Und drittens – dieser Basalt.
Erlan:
Der Koschbasalt?
Ralman:
Aber auch der Blaue Basalt. Unsere Gelehrten sagen, der Stein verliert seine wichtigste Eigenschaft. Ich muss dir nicht sagen, welche Konsequenzen das hat. Wenn jemand weiß, warum – dann die Zwerge. Und hoffentlich finden sie auch eine Lösung. Wenn wir dabei unterstützen können, dann wird ein ganzes Kaiserreich dabei helfen.
Er reichte Erlan das versiegelte Schreiben.
Ralman:
Hier – nimm dies. Es ist mein offizieller Auftrag an dich. Es mag klüger sein, dass du als mein Bevollmächtigter reist, nicht unmittelbar im Namen des Horas. Die Angroschim beurteilen den Horas dieser Tage vielleicht etwas problematischer. In meinem Namen aber öffnet sich vielleicht die eine oder andere Tür, die sonst verschlossen bliebe.
Erlan:
Ich werde sehen, was sich finden lässt – ohne die Ehre des Reiches zu beschädigen – oder die Geduld der Zwerge.
Ralman legte ihm die Hand auf die Schulter.
Ralman:
Ich vertraue dir. Und sollte der Arangencomto sich einmal zu sehr von seiner Begeisterung tragen lassen – sei nachsichtig und lächle; man erkennt darin nur den vertrauten Oikaldiki-Schwung.
Er hielt inne, dann fügte er hinzu:
Der Vorteil wird sein: Der Name Firdayon-Bethana ist bei den Zwergen bekannt. Und der Name Sirensteen dürfte bei den Schradokern seit – für uns – Generationen einen Klang haben. Mit Arangen hatten sie bisher nicht wirklich zu tun.
Erlan:
Dann will ich hoffen, dass alte Namen noch Gewicht haben.
Für einen Moment herrschte Schweigen, nur der Regen prasselte gegen die Fenster.
Erlan:
Ich überlege übrigens, Gareno mitzunehmen.
Ralman (überrascht, dann belustigt):
Warum? Willst du älter erscheinen, als du bist?
Er lachte leise – ein Scherz auf Kosten des Comto.
Erlan:
Danke für den Scherz. Nein – aber ich ahne, dass er etwas weiß, das mit alldem zu tun haben könnte. Erinnere dich, er war doch damals im Kosch.
Das Lächeln wich aus Ralmans Gesicht; er wurde nachdenklich.
Ralman:
Ich erinnere mich. Ich habe die Akten des Direktoriums gelesen. Was dort über die … eh … Geschehnisse … im Kosch berichtet wurde, war selbst für die nüchternen Schreiber der Artefaktabteilung erstaunlich – das war geradezu euphorisch formuliert.
Doch Gareno sollte in einer hinteren Reihe agieren. Du weißt, wie die Zwerge auf Leute seiner Art reagieren.
Erlan (grinsend):
Meine Idee ist, dass er formal nur meine Leibgarde ist. Irgendwer muss ja auf mich aufpassen, wenn man im unsicheren Mittelreich reist.
Beide lachten, und für einen Moment wich die Schwere der Stunde.
Ralman:
Geh nun. Und schreib mir, sobald du etwas erfährst. Ich fürchte, dies wird mehr als nur ein Geburtstagsfest. Und andere haben auch ihre Interessen –
Dabei hielt er eine Abschrift eines Artikels aus Al'Anfa in der Hand.
Erlan verbeugte sich, wandte sich zum Gehen. Als die Türen hinter ihm zufielen, blieb nur das Ticken einer Uhr und das gedämpfte Rollen des Regens auf den Dächern Vinsalts.
Unter der Erde, so dachte er, grollt etwas – aber es war nicht der Klang der Hämmer.