Briefspiel:Fest der Freundschaft/Stehenbleiben!
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Stehenbleiben!
Autoren: Bella, Nebelzweig
Rahjalin Legari
Rahjalin Legari fuhr beim Geräusch des Glöckchens herum und eilte mit zwei schnellen Schritten zur Tür, die zum Verkaufsraum führte. Es wäre doch ein verdammt großer Zufall, wenn ausgerechnet jetzt... Und da stand sie. Mittelgroß, schlank und in eng anliegende rote Seide gehüllt, die nicht viel verbarg. Seine Schritte hatte sie schon gehört und sich mit einem Lächeln in seine Richtung gedreht, vermutlich um dem Verkaufsjungen zu sagen, dass er nicht so rennen musste. Aber als er das Regal umrundete, weiteten sich ihre großen, grünen Augen vor Schreck und sie stieß einen kleinen spitzen Schrei aus, als er sie am Arm packte. „Oh nein“, knurrte der ältere Priester, „ihr bleibt schön hier, Yandriga.“
„Es ist nicht so wie ihr denkt“, antwortete sie, „ich…ich kann alles erklären.“ „Dann hoffe ich, dass es eine gute Erklärung ist“, sagte Rahjalin Solivino, der gerade hinter dem Regal erschien. Er hatte die Stimme nicht gehoben, aber es lag etwas kühles darin, dass seinen Worten mehr Nachdruck verlieh, als er es mit Geschrieben hätte erreichen können. „Es ist nur dem Segen der Götter zu verdanken, dass der Rahjakavalier noch lebt. Ihr habt auf einem der höchsten Feste der Lieblichen versucht jemanden zu ermorden und dafür werdet ihr euch verantworten müssen.“ Er ging auf sie zu, vermutlich um sie ebenfalls am Arm zu packen, aber sie hatten Verkaufsjungen vergessen.
Sie waren beide so auf die beinahe-Mörderin fixiert gewesen, dass sie seine leichtfüßigen Schritte in den weichen Schuhen, einfach überhört hatten. Er war hinter die Theke geeilt und während Rahjalin Solivino sprach, hatte er darunter eine kleine Flasche hervor gezogen, die er nun auf Rahjalin Legari warf. Leider traf er ziemlich gut.
Es zerschellte an der Schulter des Priesters, einige Splitter bohrten sich in seinen nackten Oberarm, der nicht von seiner Weste geschützt wurde und die Wange. Außerdem kam ein dunkles Pulver zum Vorschein, welches die Flasche enthalten hatte. Der Getroffene taumelte zurück und riss die Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen. Gleichzeitig versuchte er krampfhaft, nicht das Pulver einzuatmen. Dabei ließ er Yandriga los.
Die-hoffentlich-nur-Hochstaplerin erkannte ihre Chance sofort, warf sich in einem Sturm aus roter Seide herum und stürzte zur Tür. Rahjalin Legari hörte noch einen sehr würdelosen Fluch von seinem Freund, als der auch schon an ihm vorbei zur Tür stürzte. Seine Roben schienen eine Art Brongsegong zu schlagen. Aber bevor er sich darüber wundern konnte, begann sich die Welt zu biegen wie in einem Hohlspiegel und er musste sich an einem Regal abstützen, um nicht umzukippen. Dabei fegte er einige Flaschen herunter, die am Boden zerbrachen. Moment, sollte man Gerüche sehen können? Er war sich recht sicher, dass nicht, aber das malvenfarbene da war recht eindeutig Minze. Außerdem schien seinen Brustkasten enger geworden zu sein. Verdammt, was war in dieser Flasche gewesen? Und wie viel davon hatte er eingeatmet? Nur bei einem war er sich sicher, er musste hier weg sonst würde er noch mehr davon in die Lunge bekommen und das konnte nicht gut sein. Diese Gedanken arbeiten sich durch etwas was sich wie ölig schillernder Schleim anfühlte. Aber hatte genügend Erfahrung mit Drogen, um zu wissen wie weit er seinen Körper noch so in etwa trauen konnte. Kein Zustand in dem man sich an gefährlichen Orten aufhalten sollte, wie zum Beispiel einem mit Giften gefüllten Parfümladen, dessen Besitzer vielleicht Zeugen beseitigen wollte. Mit einer großen Willensanstrengung, setzte er sich in Richtung Tür in Bewegung. Die Holztöne um ihn herum klangen wie ein Streichorchester mit den Bläsertönen der Flakons dazwischen. Zum Glück hatte sich die Tür hinter Rahjalin Solivino nicht geschlossen, so dass er einfach nach vorn aus den Laden fallen konnte, dem nach einer Harfe klingenden Pflaster entgegen.
Rahjalin Solivino
„Stehenbleiben!“ Rahjalin Solivino stürmte der Verbrecherin hinterher. Der Abstand vergrößerte sich zusehends, als er um eine Ecke bog und sie einen Haken schlug, die Richtung änderte. ‚Herrin, bitte, gib mir die Kraft diese dich verhöhnende Mörderin zu fassen!‘, schickte er ein stilles, aber um so inbrünstigeres Gebet an seine Göttin. Er zwang sich, noch schneller zu rennen und sprintete mitten durch eine kleine Gruppe Feiernder. „Haltet sie!“, schrie er die Leute an, die jedoch zu überrascht waren, um Yandriga zu schnappen.
‚Dann eben anders.‘, dachte er und streckte seinen Geist nach seiner Herrin aus. „Rahja, Liebliche, lass es gelingen!“, murmelte er keuchend. Noch immer ganz in einem Gebet versunken, blieb er stehen und holte tief Luft. Dieses Wunder musste gelingen und er spürte, es würde gelingen.
„BEI RAHJA! Bleib STEHEN! Das ist ein BEFEHL!“, brüllte der Tempelvorsteher der Flüchtenden einen Heiligen Befehl entgegen. Eine Liturgie, die er von einem mütterlicherseits verwandten Rondrageweihten gelernt hatte, und die sich jetzt zum ersten Mal als nützlich erwies. Die geradewegs durch ihn hindurch strömende göttliche Macht zwang ihn in die Knie, erst langsam kehrte sein Bewusstsein zu ihm zurück.
Erschöpft hob er den Blick und tatsächlich – einige Schritte weiter war Yandriga stehengeblieben und starrte ihn fassungslos an. Er stand schwer atmend auf und näherte sich ihr schwerfällig. Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie sah wie kurz vor einem Zusammenbruch aus. „Ich habe SIE gespürt…“, schluchzte sie und warf ihm einen angsterfüllten Blick zu. „SIE war da…“
Rahjalin Solivino nahm noch einen tiefen Atemzug, er fühlte sich fürchterlich schwach und müde. „Sie ist immer da.“, sagte er mit der ruhigen Stimme, für die er normalerweise bekannt war.
Er sah sich um. Um sie herum hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, die sie ehrfürchtig anstarrte und nicht wagte, näher als zwei Schritte heranzutreten. „Bringt sie zum nächsten Rahjatempel und erzählt ihnen dort, dass sie eine Betrügerin und versuchte Mörderin ist, die beinahe einen Rahjakavalier umgebracht hätte.“, sagte er in dem bestimmtesten Tonfall, den er aufbringen konnte. Die Worte kosteten ihn mehr Anstrengung, als er sich eingestehen wollte. Ohne weitere Erklärungen trat er aus dem Kreis der Menschen heraus, die respektvoll eine Gasse für ihn bildeten. Er musste nach einem Freund sehen. Bei dem Gedanken an Rahjalin Legari, der vielleicht in die Hände der Gifthändler gefallen war, kam ihm ein ganz schlechtes Gewissen und er beschleunigte seine Schritte. Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte der Verkaufsjunge ein Fläschchen mit unbekanntem Inhalt auf ihn geworfen. Kein gutes Zeichen!
Kurze Zeit später stand er wieder vor der Parfümerie. Ein ‚Geschlossen‘-Schild hing an der Tür. Oh nein, ich bin zu spät!, dachte er verzweifelt und hämmerte gegen die Tür. Zu seiner Überraschung wurde diese fast augenblicklich geöffnet. „Ah, Herr Solivino. Euer Freund erwartet euch schon. Folgt mir, Euer Gnaden!“ Der Geschäftsführer stand mit einem breitem, etwas zu vertrauenserweckendem Lächeln in der Tür. Zögernd trat der Rahjapriester ein und sah sich vorsichtig um. „Er ist im Büro. Folgt mir!“ Der dickliche Mann war schon weitergelaufen, doch Rahjalin Solivino schüttelte den Kopf. „Nein, bringt ihn hierher.“
„Ach was, das Atemgift wird bald abklingen und dann ist euer Freund wieder ganz der Alte.“ Der Mann grinste überlegen und nickte lässig in seine Richtung. „Was!?“ Der Tempelvorsteher fuhr herum, doch es war zu spät. Er sah gerade noch, wie der Verkaufsjunge, der sich von hinten angeschlichen hatte, einen Holzknüppel auf seinen Kopf heruntersausen ließ. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.