Archiv:Von Weißen Hirschen und Hohen Hatzen (BB 45)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 45, Seiten 27-28
Aventurisches Datum: Herbst 1046 BF



Von Weißen Hirschen und Hohen Hatzen

Ein waidmännischer Blick auf Ymra und Fatas

von Shafirio ay Ankhraio


Vinsalt. Die Kaiserjagd im anstehenden Winter hält das Reich in Atem. Seit beinahe einem halben Jahrhundert hat es im Lieblichen Feld keine mit ähnlichen Erwartungen verbundene waidmännische Veranstaltung mehr gegeben. Höchste Zeit, einen Blick auf das zu werfen, was wir wissen und was uns bevorstehen könnte – mit niemand geringerem als dem Vorsitzenden der höchst ehrenwerten Kaiserlich Vinsalter Hofjagdloge selbst: Baron Delgado Ardismôr.

Shafirio ay Ankhraio: Signor Ardismôr, erlaubt mir euch mit der hohen Gesellschaft Vinsalts wenig bewanderten Lesern zunächst vorzustellen …
Delgado Ardismôr: [nickt wohlwollend] Natürlich, nur zu.
SH: Ihr seid der Baron von Haldurias, ein Titel, der einst auch als ‚Baron von Vinsalt‘ firmierte, mithin der höchstdekorierte Vertreter des Patriziats im Horasreich und derjenige, der etwa im Kronkonvent zu Beginn jedes Regnums als Erster im Haus der Edlen zum Horas spricht. [Delgado winkt ab.] Und ihr seid zugleich Großjagdmeister, das heißt Vorsitzender, einer der exklusivsten Logen der Metropole, der Kaiserlichen Hofjagdloge nämlich. Wäre es falsch, euch als den Experten der höfischen Jagd in unserem Reich überhaupt zu bezeichnen?
DA: [lächelt] Belasst es bei „einem der“ und ich werde euch nicht widersprechen, Shafirio.
SH: Wohlan, einer der Experten. Ihr kennt euch auch mit der Kaiserjagd gut aus. Wie oft ward ihr bereits Teil davon?
DA: [überlegt kurz] Bei jeder der vergangenen dreiundzwanzig. Einmal vereitelte ein dringlicher Wunsch Kaiserin Amenes mein Kommen. Insgesamt sind es beinahe vierzig gewesen.
SH: [überrascht] Ein Wunsch der Kaiserin selbst hat euch einmal abgehalten? Da ward ihr wohl entschuldigt, will ich meinen. Aber ist die Kaiserjagd nicht für gewöhnlich eine sehr exklusive Veranstaltung?
DA: [seufzt] Ja.
SH: Höre ich da Bedauern über die Verlegung und den diesmal sehr weitreichenden Aufruf des Horas heraus?
DA: Oh, nein … keineswegs! Natürlich fällt es manchmal schwer von liebgewonnenen Traditionen zu lassen. Das Schwert ist zweischneidig. [zwinkert] Ich bin aber Optimist, Shafirio … und Loyalist. Natürlich vertraue ich in die Weisheit des Horas, dass diese Kaiserjagd in der Form und auch vom Ort her die richtige ist.
SH: Ihr habt bereits verlauten lassen, dass der Horas dem Erbe seiner Großeltern nun gerecht wird. Warum waren die Jagden der frühen Regentschaft Amenes so besonders?
DA: Die Königin und der Prinzgemahl liebten das Waidwerk gleichermaßen und ließen den Adel an dieser Liebe teilhaben. Das konnte jeder spüren, der dabei war. Auch als Jagdhelfer … ich war ja damals noch ein Page am Königshof.
SH: [staunt] Ihr seid wahrlich in den Wäldern von Baliiri groß geworden …
DA: [lächelt] Unter anderem. Ich habe aber auch so ziemlich jeden anderen der Kernlande schon gesehen.
SH: Wie gut kennt ihr den Alten Bosparan?
DA: [verengt die Augen] Den Wald, dessen Ausläufer bis in meine Baronie reichen? An dessen Rand etwa Ardismôr liegt?
SH: [betreten] Oh … entschuldigt, Baron, ich wollte eure Ortskenntnisse nicht in Frage stellen. Sondern eigentlich auf den Ort der anstehenden Jagd überleiten …
DA: [gönnerhaft] Ihr seid entschuldigt.
SH: Unter Firunsjüngern wird gerade oft vom ‚Biancervo‘ gesprochen. Was hat es mit dem auf sich … und habt ihr selbst bereits versucht diesen zu jagen?
DA: Ja, sicher! Eine Sichtung war mir nur noch nicht gegönnt. Unter Jägern ist der Weiße Hirsch des Alten Bosparan eine Legende, von der schon Quellen aus der Zeit weit vor dem Unabhängigkeitskrieg künden. Dabei sind Weiße Hirsche an sich zwar selten, am Ende häufig jedoch sogar leichter zu jagen als gewöhnliches Wild …
SH: Wegen ihrer auffälligen Färbung?
DA: [nickt] Genau! Für die Exemplare im Alten Bosparan galt dies allzu häufig jedoch gerade nicht. Die stellten sich vielfach als schwer zu erjagen heraus und konnten immer wieder über mehrere Jahre jedem Waidmann entwischen. Sie gaben dadurch der Legende des ‚Biancervo‘ stets neue Berechtigung.
SH: Seit sieben Sommern soll der Hirsch diesmal bereits unterwegs sein. Aber es ist ja nicht der erste … und frühere Hirsche wurden am Ende doch erlegt, richtig?
DA: Es wurden in der Vergangenheit mehrere Weiße Hirsche im Alten Bosparan erjagt, das stimmt. Bisweilen hörten die Sichtungen aber auch auf, ohne dass je ein Jagderfolg vermeldet wurde.
SH: Könnt ihr Beispiele nennen? Für beide Fälle?
DA: [lacht] Natürlich, aber nur kurzgefasst. Die Legenden findet ihr zum Teil niedergeschrieben in wohlsortierten Jagdbibliotheken. Ein Beispiel für einen Biancervo, der über Jahre immer wieder auftauchte, jedoch nie bekanntermaßen erlegt wurde, gab es während der Herrschaft Königin Kusmaras, als die Galahanisten im Alten Bosparan auch nach widerspenstigen Getreuen des abgetretenen Königs Alborn suchten, die sich trotz seiner Abdankung nicht der neuen Königin unterwerfen wollten.
SH: In Folge der Kusliker Krise?
DA: Exakt. Die hielten damals im Wald aus, bis Kusmara starb und Alborn wieder auf den Thron zurückkehrte. Und der Biancervo damals tat es erstaunlicherweise auch, verschwand nach der erneuten Krönung Alborns aber dann spurlos.
SH: Das ist interessant.
DA: In der Tat, so entstehen Legenden … [zwinkert] Ein anderes Beispiel gab es während der Regentschaft des Comto Protectors Salman für die junge Amene I., als ein Weißer Hirsch im Alten Bosparan wieder über Jahre jedem Jagdversuch trotzte, obwohl damals sogar ein Abzweig der Rondrastraße durch den Wald von Aldyra nach Sibur gebaut werden sollte. Erst eine groß angelegte Hirschhatz brachte ihn damals – neben vielen gewöhnlichen Hirschen – zur Strecke. An der Stelle steht heute das Castello Mortecervi.
SH: Mortecervi? Das große Jagdanwesen, das Traviano von Urbet im Thronfolgekrieg ‚eroberte‘?
DA: [nickt] Genau das. Das war ja eigentlich ein königliches Jagdrevier, bevor es den Urbets zugeschlagen wurde. Da fand über Jahre auch noch die Hohe Hatz statt, in Erinnerung an die Salmansche Jagd. Selbst unter den Urbets noch, bevor sie nach der Feuernacht, glaube ich, eingestellt wurde. Seither soll auch das Anwesen vernachlässigt worden sein.
SH: Aha. Das bringt mich aber zu einer anderen Frage, von der ich nicht weiß, ob ihr da überhaupt was zu sagen könnt …
DA: [interessiert] Welche Frage?
SH: Ob ihr – als Vorsitzender der Hofjagdloge – etwa schon wisst, an welche Orte die ja nun mehrtägige Kaiserjagd führen wird?
DA: [lacht] Ich kann eurem Gedanken folgen, Shafirio. Tatsächlich ist unsere Gemeinschaft in der Vergangenheit schon häufig in Planungen auch zur Kaiserjagd eingebunden worden. Wo wir helfen können, helfen wir gerne. [zwinkert] Es ist in diesem Götterlauf aber noch nicht dazu gekommen, so dass auch wir zum Ab- und Verlauf bislang nur Spekulationen anstellen können.
SH: Ich meine, gerade wegen des Wegfalls von Mortecervi, aber auch ansonsten, ist die Zahl der herrschaftlichen Anwesen am Rand, geschweige denn im Alten Bosparan, die der Krone zur Beherbergung einer gewaltigen Jagdgesellschaft zur Verfügung stehen ja … an sich gibt es gar keine, die in Frage kommen würden!
DA: [nickt] Selbst Mortecervi wäre dafür nicht groß genug. Es steht außer Frage, dass die Jagdteilnehmer auf die Bequemlichkeiten eines Schlosses wie in Baliiri diesmal werden verzichten müssen. Um eine Unterbringung in Zelten wird man nicht herumkommen.
SH: [leicht süffisant] In Zelten? Im Winter?
DA: Ach, Shafirio, wollt ihr uns Liebfelder hochnehmen? Erstmal sind unsere Winter auch überwiegend mild, wie in eurer Heimat Chababien. Und außerdem: Ist es nicht euer Bruder, der als einziger Baron des Reiches das ganze Jahr im Zelt verlebt?
SH: Ihr kennt meinen Bruder?
DA: Djerido? Natürlich. Einer der besten Jäger des Wilden Südens. Mehrfach bei der Chababischen Wolfsjagd ausgezeichnet … Leider bislang nie nördlich der Tovalla gewesen. Wird er dem Ruf des Horas diesmal folgen?
SH: Ich denke nicht. Die Novadis sind dieser Tage wieder unruhig, da wird er kaum abkömmlich sein.
DA: [enttäuscht] Sehr schade. Ich hatte gehofft, das wir uns endlich mal messen könnten.
SH: Nunja, ihr werdet wohl auch so namhafte Konkurrenz im Wettstreit um Ruhm und Ehre haben. Es heißt doch, dass Herzog Cusimo bereits ein Gefolge der besten Jäger Phecadiens versammelt, um vor dem Kaiser eine gute Figur zu machen. Und Gräfin Hesindiane dürfte ihm kaum nachstehen wollen. Wisst ihr, ob Fürst Ralman seinerseits mit großem Gefolge bei der Kaiserjagd dabei sein wird?
DA: Wahrscheinlich nicht. Sein Sohn, Prinz Alborn, wird ihn wohl vertreten.
SH: Mit euch an seiner Seite?
DA: [lacht] Ich bin Loyalist, wie ich bereits sagte …
SH: [lacht ebenfalls] Unzweifelhaft. Nun, Signor Ardismôr, ich will eure Zeit gar nicht weiter stehlen und bedanke mich für die Informationen, die ihr mir geben konntet.
DA: Bittesehr, Shafirio. Aber sprecht nochmal mit eurem Bruder, wenn ihr könnt …

Armin Bundt