Benutzer:Tribec/Baustelle

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Tribec/Baustelle
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Karte der Region

Lage: Die Septimana, einmal mit scharfen, einmal mit unscharfen Grenzziehungen


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Zu horasischen Schiffen eine Sammlung:

  • Siebenwind, Schivone der Reederei Terdilion (Im Dschungel von Kun-Kau-Peh S. 10, S. 11: Bild)
  • Schivonellen Prinzessin Lamea und Gylduria von Bethana, Karavelle Avesfreund (Reise zum Horizont S. 5)
  • Grangorer Schivone Unbesiegbare Talita (Bote 45 S. 1 mit Bild)
  • Methumis Thiwulf Berlînghan, Karracke Prinz Sirlan, Prinz Timor (Bote 46 S. 7)
  • Karavelle Prinz Dyridon (Bote 59 S. 18)
  • Schivone Stern der Meere (Belhanka - Havena, Bote 62 S. 7)
  • Unbeirrt, Schivone, Flaggschiff der Reederei Terdilion (Bote 83 S. 1)
  • Schivonelle Stern von Mhoremis (Bote 90 S. 26)
  • Schivonelle Santa Thalionmel (Bote 90 S. 27)
  • Karavelle Prinzregent Salman (Bote 90 S. 27)
  • Schivonelle Adalida (Bote 90 S. 27)
  • Karavelle Kapitän Jastek (Bote 90 S. 27)
  • Schivone Admiral Sanin (Bote 92 S. 23)
  • Karavelle Horasstolz (Bote 100 S. 50)
  • Schivone Sancta Elida (Bote 100 S. 50)
  • Schivone König Barjed (Bote 105 S. 27)
  • Potte Olruksbraut (Bote 110 S. 27)
  • Kriegsschivone Gierige Gelda (Bote 110 S. 27)
  • Schivone Horasstolz (Bote 128 S. 3)
  • Schivone König Therengar (Bote 128 S. 3)
  • Schivone Horas über den Wellen unter Irizion ya Dalgano (Seefahrt des Schwarzen Auges S. 54 mit Bild)
  • Karracke Fürchtenichts (ehemaliges horasisches Flaggschiff, Seefahrt des Schwarzen Auges S. 52f)
  • Karavelle Willem Kuyfhoff unter Kapitän Hanno Kuyfhoff-Rothstrand (Seefahrt des Schwarzen Auges S. 50)
  • Swafnirs Rache (ehedem Yaquiria, Seefahrt des Schwarzen Auges S. 52)
  • Karracke Wappen von Kuslik (Efferds Wogen S. 109)
  • Schivone Wogenkrone (Efferds Wogen S. 165)
  • Karavelle Schwanenfeder (Zyklopenfeuer S. 28)

Was mal hätte sein können

"Das Fischerstädtchen Sewamund ist ein beschauliches Fleckchen Dere. Die ältesten Fischerhäuschen sollen noch aus bosparanischen Zeiten stammen, und auch die neueren Gebäude der Stadt sind diesem Baustile nachempfunden. In vielen Farben bunt gestrichen, drängen sich die Häuschen am Ufer, sehr schmal und sehr hoch, das Obergeschoß meist nur über eine schmale, morsche, hölzerne Außentreppe zu erreichen, doch die Eingangstüre von steinernen, schmucklosen Säulen getragen, die schwarzen Ziegeldächer weiß vom Möwenmist. Die Gassen führen schmal und düster zwischen den Häusern hindurch ins Hinterland, voll von stinkendem Unrat (was just im Sommer ...), wühlenden Selemferkeln, struppigen, kläffenden Hunden und – vor allem – abgemagerten Katzen: auf der unablässigen Suche nach Fischgedärm ...
Herr über die Stadt, die im Hauslehen derer von Garlischgrötz gelegen, ist Adaon von Veliris, der Sohn des Grafen von Bomed und ein Vetter des Herzogs Cusimo von Grangor. Der Freiherr residiert auf der zweitürmigen Feste Sewakblick, die alt und groß über die windschiefen Fischerhäuschen aufragt. Ein nennenswertes Zentrum Sewamunds ist der gut befestigte Hafen (und der breite Kai die einzig gepflasterte Straße der Stadt), in dem in der Regel elf Schiffe der Grangorer Flottengeschwader vor Anker liegen, der nun aber von großen Handelsseglern wie der »Sausewind« vereinnahmt ist, die sich zuhauf an den alten Kaimauern einfinden. Es scheint, als könne das Städtchen einmal von ihrer Nähe zur großen Schwester Grangor profitieren, denn auf dem Kai tummelt sich allerlei Händler- und Seefahrervolk, und nahebei haben die großen Grangorer Händler notdürftige Kontore angepachtet und inspizieren noch vor Ort – vor der sommerlichen Hitze durch große Sonnensegel geschützt – eifrig die Waren und Güter, die von den Schiffen ununterbrochen an Land geschleppt werden."

Google-Fund

Tanit und Xandros
Die Alanfanischen Prophezeiungen des Nostria Thamos

Durch die dunklen Gänge des Magierwohnturmes der Lehrmeister der Akademie von Shenilo bewegte sich ein älteres Mädchen mit braunen Haaren. Es war die Novizin Tanit Neethling, eine Schülerin der Akademie (und wohl auch die vielversprechendste, wie ihre zwei Magister Andras Marwolaeth und Xandros Wrâcon meinen würden).
Der Winter des Lieblichen Feldes lag in seinen letzten Zügen und die Scheibe des Praios war vor kurzem hinter dem Meer der Sieben Winde versunken. Eigentlich sollte sich Tanit in ihrer Kammer befinden und lernen, aber das Problem, über dem sie brütete, war schier nicht zu lösen, also entschloss sie sich, den Magus Xandros aufzusuchen.

Als Xandros vor etwas über einem halben Jahr an die Akademie gelangte, war das Verhältnis zwischen dem Norbarden und der Elevin bestenfalls als angespannt zu bezeichnen gewesen. Es ging in den ersten Wochen gar schon so weit, dass sie fast gegen seinen Unterricht rebellierte. Doch nachdem er von einem Besuch bei ihrer Cousine, Comtess Yanis von Felsfelden, zurückgekehrt war, wurde all das langsam besser; sicher spielte auch die oftmalige Abwesenheit des Magiers Andras Marwolaeth ihre Rolle, der in Belhanka sein Zweitstudium begann; seitdem musste sich Tanit zwangsläufig an Xandros gewöhnen. Inzwischen zollten sich die beiden bereits gegenseitigen Respekt und kamen gut miteinander aus - auf der einen Seite der Norbarde, der viel Geduld bewiesen hatte, seine Schüler aus seinem reichhaltigen Fundus von Wissen schöpfen zu lassen, auf der anderen die Schülerin, die sich mit Interesse, Aufgewecktheit und beinahe intuitivem Verständnis der Kraft widmete.

Tanit blieb vor einer Tür stehen und klopfte zaghaft an. Nichts rührte sich. Unter der Tür drang jedoch schwaches Licht durch, also musste Xandros wohl in seiner Kammer sein und über magischen Werken brüten. Wahrscheinlich ist er über dem Studieren eingeschlafen, dachte Tanit bei sich, oder der Wein war wieder zuviel gewesen!
Sie klopfte nochmals, diesmal ein wenig kräftiger, aber wieder kam keine Reaktion. Kurz entschlossen öffnete Tanit die Tür und betrat Xandros' Kammer. Der Magier war nicht da!
Tanits Blick schweifte durch den Raum, das Bett war noch unberührt und kein Pokal oder Kelch für den vielen Wein, dem sich Xandros so gerne widmete, waren zu sehen. Allerdings wurde die Kammer von einer dicken Kerze in düsterem Licht beleuchtet. Aufgeschlagen auf dem Tisch lag ein Buch. Neugierig, wie sie nun einmal war, trat die Elevin näher und schlug den Octavo zu, hielt dabei aber die rechte Hand über der aufgeschlagenen Seite. `Etherisches Geflüster' stand in verschlungenen Kusliker Buchstaben in Horathi auf dem dunklen Einband. Von diesem Buch hatte Tanit bisher noch nichts gehört, aber zweifellos war es eines der Werke über Magie, wie sie bei schnellem Blättern feststellen konnte.
Tanit schlug die ursprüngliche Seite wieder auf und las interessiert, was ihren Lehrer zuletzt beschäftigt hatte. `Die Alanfanischen Prophezeiungen, wie einst geweissagt von Nostria Thamos, dem größten Seher aller Zeiten'. Das kam ihr bekannt vor, hatte nicht der Hesinde-Geweihte Thaslinil von Kuslik vor wenigen Tagen einen Vortrag über diese Verse gehalten?

"Phex mit dir, Tanit!" hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Erschrocken fuhr sie herum, während die Schamröte ihr ins Gesicht stieg. Eine hagere Gestalt stand vor der Tür, ein wenig größer als der Türrahmen. Tanit hatte Xandros nicht gehört, aber wer konnte das schon? "Ein interessantes Thema, nicht wahr?" fuhr der Magier fort und seine Augen glänzten in einem leicht verärgerten Schimmer.
Tanit schluckte; jetzt musste sie sich eine passende Ausrede einfallen lassen.
"Nun, hast du bereits eine Antwort gefunden?" fragte Xandros sie erneut, nun wieder freundlicher klingend und mit einem leicht spöttelnden Unterton.
"Ihr hattet die Kerze nicht gelöscht, und da dachte ich...", Tanit unterbrach sich kurz, sprach aber mit fordernder Stimme weiter, "was hättet Ihr denn an meiner Stelle getan?"
Der lange Norbarde bückte sich ein wenig und betrat die Kammer, dabei konnte er sich den Anflug eines leichten Lächelns nicht verkneifen. "Du bist wie immer sehr forsch, junges Fräulein. Pass nur auf, dass Du nicht einmal dem Falschen so kommst!"
"Wie kann es falsch sein, die Wahrheit auszusprechen?" kam Tanits Konter schnell.
Xandros seufzte, seine Schülerin drängte ihn wohl wieder in eine Ecke. "Wenn jemand diese nicht wahr haben möchte, kann es besser sein, davon zu schweigen - auch mag es für mancher Seelenfrieden besser sein, nicht die Wahrheit zu kennen."
Tanits Antwort kam scharf, "so würdet Ihr auch mir eher eine Halb- oder Unwahrheit erzählen, denn mir eine Wahrheit mitzuteilen, von der Ihr annehmet, dass ich sie nicht ertragen könnte? Wie maßt Ihr es Euch an, darüber urteilen zu können!"
Verblüfft starrte Xandros ihr nach, als sie schnellen Schrittes die Kammer verließ und die Tür hinter sich zuschlug. Sie hatte ihn wieder einmal in eine völlig andere Richtung abschweifen lassen und sich geschickt aus der Affäre gezogen! Fast bewunderte er die Leichtigkeit, mit der sie alles Wissen verarbeitete. Schneller und präziser als die meisten in ihrem Alter kam sie zu richtigen Ergebnissen, aber das hätte er ihr gegenüber natürlich nie zugegeben.
Wieder ernster blickte der Magus auf das Buch, das vor ihm auf dem Tisch lag und dachte über seine Treffen mit Thaslinil von Kuslik nach, von denen er wieder einmal kam. Der Hesinde-Geweihte sprach von schlimmen Zeiten in Verbindung mit den Visionen Thamos'.
Vielleicht erfüllen sich die restlichen Prophezeiungen, dachte Xandros, aber Borbarad?
Langsam stellte er seinen Stab in eine Ecke des Zimmers und ließ sich schwer auf sein Bett fallen. Am nächsten Tag wollte er seine düsteren Gedanken weiterverfolgen.

Gegen Mittag des folgenden Tages fasste Xandros einen Entschluss. Alleine kam er bei den Prophezeiungen nicht weiter, er brauchte Hilfe. Aber an wen sollte er sich wenden? Plötzlich sah er das Bild vom Tage zuvor, als sich Tanit über das Buch beugte, das er vor Jahren von der Bettlergilde in Wehrheim für teures Geld gekauft hatte; die Stirn leicht gerunzelt und mit aufgeregt funkelnden Augen, den Mund leicht geöffnet, als läse sie jemanden vor - so hatte sie dagestanden.
Nach Abschluss des vormittäglichen Unterrichts bat er Tanit zu sich, die, ob des Zwischenfalls vom Vortag, etwas unsicher an die Tür des Magus klopfte.

Diesmal war Xandros anwesend, denn es erklang ein ungeduldiges "Herein!". Tanit trat ein und ihr Blick überflog kurz die Kammer. Der Magister hatte ihr den Rücken zugewand und blickte anscheinend in dasselbe Buch, das sie so interessierte. Kein Weinkelch stand auf dem Tisch, wie sie weiterhin zur Kenntnis nahm. Das war ungewöhnlich.
Xandros fuhr bedächtig herum und blickte ihr in die Augen. "Tanit, was weißt du über die Alanfanischen Prophezeiungen?" kam seine überraschende Frage.
Keine böse Miene des Norbarden, keine scharfen Worte und keine Bestrafung? Mühsam brachte Tanit ein "Nichts" hervor.
"Gutgut, ich vertraue dir für die nächste Zeit dieses Buch an. Du darfst es in allen Einzelheiten studieren, aber ich möchte, dass du dich in erster Linie mit den Prophezeiungen des Nostria Thamos beschäftigst!" Der Magier klappte das Buch vorsichtig zu und reichte es mit den Worten "behandle es bitte vorsichtig, das Buch ist selten und sein Wert beträchtlich!" an sie weiter. "So, genug für heute, du hast den Rest des Tages frei!"
Noch immer verwirrt klemmte sich Tanit das Buch unter den Arm und verließ die Kammer, jetzt musste sie erst einmal nachdenken.

Ihr Weg führte sie - wie immer, wenn sie alleine sein wollte - auf die Spitze des Turmes der Magierakademie. Heute jedoch hatte sie nur einen flüchtigen Blick für die malerische Umgebung übrig, die sich um sie in fleckigem Weiß erstreckte. Stattdessen ließ sie sich im Schneidersitz nieder und legte sich den schweren Octavo in den Schoß. Beinahe andächtig strichen ihre Fingerspitzen über den Schriftzug auf dem Buchdeckel, der sich nur unregelmäßig vom Untergrund abhob. Tanit war sich sicher, dass niemand sie hören könne, dennoch erhob sie ihre Stimme nur zu einem Flüstern, als sie bat: "Oh Allwissende! Mutter der Weisheit! Hilf mir zu verstehen."
Und sprach's und öffnete das wertvolle Buch behutsam.

Die Ermahnung ihres Lehrers wäre gar nicht nötig gewesen - Tanits größtes Interesse lag auch so bei den Alanfanischen Prophezeiungen, über die sie so viele Andeutungen gehört hatte.
Wohl erzittert der Sterbliche..., las sie. Doch sie erzitterte nicht, fürchtete sich nicht vor dem, was war, ist oder sein würde, sondern las jeden der Verse aufmerksam und mit größter Konzentration. Und auch wenn sie begann, die Größe des Unheils zu erahnen, so schreckte sie dies weder ab, noch dämpften diese Ahnungen ihre Neugier.
Bilder lösten sich aus ihrem Unterbewusstsein, stiegen vor ihren geistigen Augen empor. Manche fügten sich nach und nach mit anderen zusammen, andere blieben alleine. Manche verschwanden so schnell, wie sie entstanden, andere verfestigten sich mit jeder Minute. Gemeinsam war ihnen nur eines, sie hatten eine Verbindung zu den Alanfanischen Prophezeiungen des Nostria Thamos.

"Hast Du Tanit gesehen?" Brilokoros' Frage kam für Xandros eigentlich weniger überraschend.
Praios' Antlitz war vor wenigen Augenblicken hinter den Wäldern versunken und die Magister und Schüler beendeten soeben ihr Abendmahl. Tanit war weder zum Nachmittagsunterricht erschienen - auch wenn Xandros zumindest hier für Aufklärung sorgen konnte - noch hatte sie ihr Abendbrot zu sich genommen.
"Seit der Praiosstunde nicht mehr", antwortete der Lange, "keine Sorge, ich kümmere mich darum!"
In der Küche sorgte Xandros dafür, dass die Köchin Travine eine Abendmahlzeit zurückbehielt und machte sich anschließend auf die Suche. Er hatte nicht ernsthaft erwartet, sie in ihrer Kammer oder der Bibliothek zu finden, doch als er wenig später alle Räumlichkeiten der Akademie von den Leersälen bis zu den Vorratskammern durchsucht hatte, fing er an zu grübeln. "Bei Phex, wo steckt sie nur?!" Ziellos schlenderte er einen Gang entlang, als sein Blick zufällig aus dem Fenster fiel. In den meisten Fensteröffnungen des Magierturmes war es dunkel, nur hier und da flackerte eine einsame Kerze. Und von der Turmspitze ging ein ungewöhnlicher, grüner Schein aus, den sich Xandros weder mit Mondphasen noch etwas anderem erklären mochte, denn vielleicht mit... Tanit?

Das grüne Licht stets vor Augen machte er sich stirnrunzelnd auf den Weg. Und tatsächlich, dort oben, wo kein Schüler etwas zu suchen hatte, saß sie und studierte noch immer die Seiten des Buches. Über ihrer linken Handfläche schwebte eine kleine grünliche Lichtkugel, die ein kaltes, unheimliches Licht warf. Xandros stutzte. Interessant, dachte er, den FLIM FLAM FUNKEL beherrscht sie doch nur lückenhaft, und schon gar nicht in dieser Form. Er entschloss sich, sie ein anderes Mal darauf anzusprechen, es gab momentan wichtigeres.
"Tanit?" sprach er sie leise an.
Mit einem hörbaren Plopp verlosch die magische Lichtquelle und Tanit fuhr herum. Xandros' Stab flammte auf, wie um die plötzliche Dunkelheit wieder auszugleichen. Sie blinzelte verwirrt und hielt sich eine Hand über die Augen. "Herr... Magister...", verhaspelte sie sich.
Er hockte sich lächelnd ihr gegenüber. "Bist Du oft hier? Ich habe Dich lange gesucht!"
"Ja. Dies ist... wohl der einzige Ort, an dem man ungestört bleibt." Sie errötete leicht. "Oh... ich meine, nicht, dass Ihr mich stören würdet!"
Xandros lachte leise; es war ein fröhliches Lachen, das Tanit zuvor noch nie an ihm erlebt hatte. Aber normalerweise stand er in einem Unterrichtsraum vor ihr und einigen anderen Jungen und Mädchen, und saß nicht alleine ihr Auge in Auge gegenüber. "Du scheinst aber doch ziemlich in Gedanken versunken gewesen zu sein, jedenfalls hast Du Satinav nicht vorübersegeln gesehen! Wäre es nicht Zeit für ein Abendmahl und das Bett?"
Tanit zögerte, nickte aber schließlich doch mit dem Kopf. "Gebt Ihr mir vorher noch die Antworten auf einige Fragen? Bitte!"
Xandros wollte sich schon erheben, sank aber wieder zurück auf den steinernen Boden. "Hm, ja, meinetwegen, Ungeduld ist der Jugend vorbehalten!" murmelte er ins Nichts, "was möchtest Du wissen?"
Es verging eine kaum merkliche Zeit, so als würde die Novizin nach einer Frage suchen, doch schnell hatte sie eine gefunden. "Wer war Ogeron? Der Schöpfer der Oger?"
"Hm, nicht ganz", setzte Xandros an und zwirbelte an seinem langen Schnurrbart herum. Und dann begann er zu erzählen, von der ältesten Urzeit, als die Sphären jung waren, noch keine Drachen die Länder verwüsteten und Madas Frevel noch nicht vollzogen war. Er erzählte von den Gigantenkriegen, vom Neid der Giganten auf die Götter, wie sie ihre Heere sammelten und wie sie in die Schlacht zogen. Von Ogeron, dem wildesten Sohn SUMUs, wie er nach der Erklimmung von Alverans Mauern die Göttin Travia verschlingen wollte und von Praios, der den Giganten mit seiner Macht zerschmetterte. Wie der getötete Ogeron in hundert mal hundert Stücken auf Aventurien herunterfiel, wie aus diesen Überbleibseln die tumben Oger wurden und wie diese begannen, sich nach Nahrung umzusehen. Vom ersten Griff des Dämonensultans nach den Sphären und wie Götter und Giganten Frieden schlossen, um die Dämonen in ihre Sphäre zurückzuwerfen.
Wie gebannt lauschte Tanit den Worten des Norbarden, und als dieser jene uralte Sage beendet hatte war für längere Zeit kein Laut zu hören. Schließlich brach Tanit die Stille. "So waren es die zwei Züge der Oger, auf die sich Thamos bezog? Aber welche Bedeutung hat das Kreuz des Nordens hierbei?"
"Schwärzeste Magie! Galotta, der alte garethische Hofmagier, wandte ein altes Ritual an, mit dessen Hilfe und einer bestimmten Sternkonstellation die Oger beeinflusst werden konnten. Beim ersten Zug der Oger vor 1900 Jahren wendete wahrscheinlich ein anderer Magier ebenfalls dieses Ritual an. Etwas weiteres ist nicht bekannt geworden, Galottas Unterlagen wurden leider alle vernichtet", Xandros seufzte, "aber das ist wohl besser für uns alle."
Tanit schauderte, konnte ein einzelner Mensch wirklich so skrupellos gewesen sein, die größte Stadt Aventuriens schleifen zu wollen und ihre nach zehntausenden zu zählenden Einwohner den Ogern zum Fraß vorwerfen?
"Dann ist dieser Vers aus Thamos' Prophezeiungen also bereits eingetreten!"
"Ja", stimmte Xandros ihr zu, "und er wird nicht der einzige sein!"

(Fortsetzung folgt...)

Internetarchiv

Das Grauen in der Bibliothek

Einen endlos scheinenden Gang hetzt Cyrene entlang, alle KRAFT war verloren und auch die Kraft beginnt schon nachzulassen. In ihrem Nacken glaubt sie den fauligen Atem des Unwesens, das hinter ihr herjagt, zu spüren. Da plötzlich, die Ahnung eines Lichtschimmers weit vor ihr, hier wird wohl die Rettung zu finden sein. Cyrene beschleunigt ihren Lauf, doch die ungewöhnliche Belastung fordert ihren Tribut - sie knickt mit einem Fuß um und stolpert. Von Verzweiflung gezeichnet dreht sich Cyrene herum, will den Stab zur letzten Abwehr heben, doch das Grauen hat sie schon erreicht...

Der späte Herbst hatte das Land fest im Griff, als die frischgebackene Adeptin Cyrene am Tor der Draconiter-Akademie zu Shenilo um Einlaß bat. Erst vor wenigen Wochen hatte die Magierin ihre Abschlußprüfung an der Halle der Antimagie zu Kuslik erfolgreich abgelegt. Ihre erste Reise hatte sie nach Shenilo geführt, das Städtchen, in dem die Magier bereits seit einiger Zeit gegen dämonische Umtriebe zu kämpfen hatten, hier hoffte sie auf weitere Erkenntnisse in der Antimagie.
Von beiden Spektabilitäten willkommen geheißen wurden ihr mehrere Tage für das Studium der Akademiechronik und spezieller Traktate versprochen, doch Cyrene wollte insgeheim mehr.

Es ging auf die Mitternacht zu, als endlich Ruhe einkehrte. Cyrene wartete noch mehrere Minuten, doch niemand mehr schritt durch das alte Herrenhaus, in dem die Akademie untergebracht wurde. Leise öffnete die junge Magierin die Tür ihrer Kammer, lauschte erneut und trat auf den im Dunkeln liegenden Flur hinaus. Durch die Fenster funkelten Madas Licht und Phexens Juwelen und wunderten sich, was die einsame Gestalt hinter den dicken Mauern suchte. Leise stieg Cyrene die breite Treppe in den 3. Stock hinauf, das Gebälk ächzte ob des Gewichtes des Daches. Leises Trippeln schien aus den dunklen Ecken hervorzudringen, und huschten nicht auch Schatten durch die Finsternis?
Vorsichtig versuchte Cyrene einen der Türflügel der Bibliothek zu öffnen, und sie war tatsächlich wie so oft unverschlossen; nur selten machten sich die Magister die Mühe, sie spät nachts noch abzuschließen, sehr zum Ärger der Bibliothekarin Roana, die spät nachts meist schon schläft. Cyrene schlüpfte durch den Spalt und schloß die Tür hinter sich wieder.
Blauweiß flackerte in ihrer linken Handfläche ein fahles Licht auf und warf zitternde Schatten auf die alten Bücher und die seltsamen Artefakte in den Regalen und zwischen die hoch über ihrem Kopf liegenden Dachbalken. Neugierig sah sich Cyrene um. Trotz des schwachen Lichtscheins war die Bibliothek als solche unverkennbar. In den Regalen stand Buch an Buch, gebunden in hartes Leder, dickes Pergament oder anderes, unbekanntes Material, dazwischen mehrere Figurinen und geometrische Körper, zumeist als Buchständer dienend. Ein dumpfes Grollen drang in Cyrenes Rücken, erschrocken drehte sie sich um, doch da stand zwischen alten Zauberbüchern nur eine knapp doppelt spannhohe Statuette in Gestalt eines geflügelten, aufrecht stehenden Drachens in einem Regal auf Augenhöhe. Nein, kein Drache, mehr wie ein Dämon, korrigierte sich Cyrene. Sie trat näher und nahm die Statuette genauer in Augenschein. Aus irgendeinem dunkelgrauen Gestein war sie gemeißelt, lediglich in den Augenhöhlen funkelten böse die zwei dunkelroten Edelsteine. Ein Knarren hinter ihr und wieder fuhr Cyrene herum, doch lediglich die Regale ächzten unter der schweren Last dicker Folianten.
Nun besinnte sich die Adeptin wieder auf ihr eigentliches Anliegen und begann mit dem Studieren des Bibliothekregisters, welches auf einem der drei Tische lag. Allein dieser Foliant bot genug beschriebene Seiten für viele Stunden des Lesens. Antimagie und Dämonologie waren die zwei Themengebiete, in denen Cyrene sich näher in der Bibliothek umschauen wollte. Ungeduldig begann sie zu blättern, während Satinav auf seinem Schiff durch den Strom der Zeit trieb.
Während die Minuten verrannen wurden Cyrenes Augenlieder immer schwerer. Nur mit Mühe konnte sie sich auf die Buchstaben des Registers konzentrieren, irgend etwas schien ihr die Augen schließen zu wollen. Bevor Cyrenes Kopf auf das Holz des Tisches schlug, fiel ein letzter verschwommener Blick auf die Dämonenstatuette im Regal. Flatterte sie nicht mit den Schwingen, war diese durch und durch böse Fratze nicht von einem unheilvollen Grinsen verzogen, richtete sie sich nicht auf, wie um aus dem Regal zu springen? Cyrenes Gedanken verschwanden in einem Strudel des Nichts.

Ein höhnisch finsteres Lachen ließ Cyrene hochschrecken und noch bevor sich ihre Augen richtig an die Düsternis gewöhnt hatten, wußte sie instinktiv, daß etwas nicht stimmte. Nachdem sie ihre Müdigkeit abgeschüttelt hatte sah sie sich schnell um. Die Bibliothek schien ins bösartig chaotische verwandelt, oder befand sie sich überhaupt noch in der Bibliothek? Boden und Wände schienen auf unmögliche Weise pulsierend zu glühen, von den Dachbalken tropfte zischender Schleim, in den Regalen standen Bücher mit unbekannten, schrecklichen Schriftzeichen und im Kronleuchter hing ein schillerndes Netz wie das einer Spinne, doch auf irrsinnige Weise fremdartig - die Statuette war fort. Wieder erklang aus dem Nichts ein schauriges Lachen und ohne sich weiter umzusehen sprang Cyrene auf den Ausgang zu, das schreckliche Schlurfen und Schmatzen hinter ihr drang durch Mark und Bein.
Ohne Probleme ließ sich der Türflügel öffnen und den Zwölfen dankend eilte Cyrene auf den Flur hinaus und schlug die Tür hinter sich zu, das unbekannte Grauen in der Bibliothek zurücklassend. Das ist nicht das Herrenhaus, kam ihr die niederschmetternde Erkenntnis, ein schier endlos langer Gang lag vor ihr, im Nichts der Dunkelheit verschwindend. Dunkel leuchteten seltsam dünne Flechten - wieder in Art und Weise chaotisch anmutender Spinnennetze - an den unbehauenen Wänden, schwere Tropfen fielen von der Decke und platschten laut in zähflüssige Lachen auf dem Boden. Ein plötzliches Krachen und Splittern sagte Cyrene, daß der unbekannte Verfolger die Tür der Bibliothek durchbrochen hatte und ihr auf den Fersen war. Ohne auf der Flucht innezuhalten drehte Cyrene ihren Kopf, dem Verfolger in die Augen zu blicken. Mit ungläubigen Schrecken stolperte sie, konnte sich aber wieder fangen.
Ein amorphes Etwas floß in atemberaubender Geschwindigkeit auf sie zu, der niederhöllische Gestank verklebte ihr die Kehle. Ohne nachzudenken murmelte Cyrene magische Worte und streckte der dämonischen Masse Zeige- und Mittelfinger entgegen. Die Lanze aus tödlich heißem Feuer fuhr aus den Fingerspitzen und grub sich tief in den fremdartigen Körper - als so etwas mußte man es wohl bezeichnen - des Dämons. Nicht zu beschreibendes Gebrüll drang durch den Gang und schleuderte die Magierin gegen die grobe Wand, von der Decke bröckelte Gestein und mit lautem Tosen wurde das Etwas unter Quadern von Stein und Erde begraben, den Rückweg versperrend. Ekelerregender Gestank trieb durch die nun stille Düsternis, die Magierin übergab sich würgend.

Stunden schien Cyrene schon durch die gewundenen Gänge zu hetzen, selten mußte sie sich an einer Gabelung entscheiden, doch spielte der Weg vielleicht gar keine Rolle? Kein einziges Mal war sie in eine Sackgasse geraten.
Mehrmals schien sie in Fallen zu laufen, der Boden öffnete sich und spie giftgrünes Feuer, die Decke stürzte krachend herunter und begrub sie fast, aus Seitennischen stolperten irrsinnige Wesenheiten und noch immer und überall leuchtete das seltsame Gespinst eines Spinnennetzes an den Wänden. Große Asseln mit grünen Facettenaugen voll bösartiger Intelligenz huschten des öfteren vorbei, grauenvoll verunstaltete Ratten mit schwärenden Wunden kreuzten ihren Weg. Und immer wieder mußte sie sich gegen Verfolger von hinten oder Angreifer von vorne zur Wehr setzen, verschmorte verfaulte Menschenähnliche mit Lanzen von magischem Feuer oder hieb Schattengestalten den Stab zwischen die Augen oder was immer das Leuchten in der Dunkelheit darstellen mochte.
Doch Cyrenes Kräfte ließen spürbar nach.

Der letzte Verfolger war schlimmer, als sie es sich in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen konnte. Als Cyrene kurz verschnaufte fiel er wie aus dem Nichts über sie her. Eine dunkelgrau geschuppte Gestalt mit böse funkelnden Augen in dunklem Rot. Wohl zwei Schritt groß, mit breiten Schwingen und einem langen Schwanz um die Balance zu halten hieb sie mit Klauen wie Krummdolchen auf Cyrene ein, die Konturen der Kreatur schienen verschwommen zu sein. Die Erkenntnis traf die Ma-gier-in wie ein Schlag, dies war ohne Zweifel die Statuette aus der Bibliothek. Mit dem Stab versuchte Cyrene die Angriffe abzuwehren, doch die Klauenhände wurden vom magischen Holz nicht zurückgehalten. Mühsam hob die Adeptin die Hand, doch die KRAFT war versiegt, kein Flammenstrahl wollte sich in den Körper des Dämons bohren. Verzweifelt bohrte Cyrene den Stab in das Gesicht des Grauens, doch er stieß auf keinen Widerstand.
Mit Triumph in den dämonischen Augen hob das Wesen die Klauen zum letzten Schlag, doch sie durchschlugen nur die Luft - mit letzter Kraft hatte sich Cyrene herumgeworfen und raste den Gang entlang. Enttäuschtes Gebrüll hallte ihr um die Ohren, und dann nahm das Grauen die Verfolgung auf.

Ihren Tod vor Augen blickt Cyrene in die blutdürstenden Augen des Dämons, der sich über sie beugt und das abscheuliche Maul zu einem Grinsen verzieht. Geifer tropft zwischen den nadelspitzen Zähnen herab auf Cyrenes Gesicht, brennt ihr wie Säure das Fleisch vom Knochen. Wie in freudiger Erwartung schimmert das verwirrend gesponnene Spinnennetz heller. So nah scheint der Lichtschimmer am Ende des Ganges zu sein, doch Cyrenes letzter Schrei verhallt ungehört, als die Klauen zum tödlichen Schlag herabsausen. Gnädige Dunkelheit umgibt Cyrene und sie spürt nichts mehr.

Keiner der Magister konnte sich einen Reim auf die Vorfälle der Nacht machen, nachdem Roana im Morgengrauen die im Irrsinn brabbelnde Cyrene auf dem Boden der Bibliothek fand. Wohl war die frei gewordene astrale Energie innerhalb der Bibliothek deutlich spürbar und ein seltsamer Geruch hing in der Luft, doch die einzige Zeugin der Vorkommnisse war nicht mehr in der Lage, auch nur ein vernünftiges Wort von sich zu geben oder klar zu denken.

Und im Regal der Bibliothek hockt die dämonische Gestalt mit böse funkelnden Augen. Doch irgendwie scheint das Grinsen der Statuette an diesem Tag greifbarer zu sein...

Bewerbung: Thoron von Löwenfels

oder
DER DRACHE VON TSAKELCHEN

»Das Zeitalter vergeht, der Bann bricht,
Müßt einen fremden Krieger senden,
Rüste Dich, wappne Dich,
Der Drache kommt, verdeckt das Sonnenlicht,
Das nächste Zeitalter zu wenden,
Zerfetzt Dich, verbrennt Dich,
Siegen kannst Du nicht,
Hältst Du nicht sein Herz in Händen.«
-Prophezeiung des Tsakan, Geweihter der Jungen Göttin zu Tsakelchen, ca. 40 BF

Ein gesellschaftliches Beisammensein wie so oft schien es zu sein, und doch ungewöhnlich. Denn an diesem Tage im sonnigen Praios-Mond hatte wieder ein fremder Krieger Gastfreundschaft auf Burg Ask erbeten. Relativ jung schien er zu sein, und die Augen manch einer Dame sahen ihm begehrlich nach, oder galten diese Blicke nur den etwas spitz scheinenden Ohren, die von den langen, dunkelblonden Haaren verdeckt wurden? Und als seine Hochwohlgeboren Graf Wahnfried von Ask den Fremden bat, ein wenig über sich und seinen Weg zu erzählen, wurde es rasch ruhig.

»Nun, ich wurde vor fast 24 Jahren als Thoron von Löwenfels geboren, als Sohn des Targus von Löwenfels - ein Erbe, das schwer wiegt, und ein Schatten, aus dem ich wahrscheinlich niemals heraustreten kann. Meine Mutter Sileta hat zudem ein wenig elfisches Blut in den Adern. Löwenfels, die Stammburg meiner Familie, liegt nahe der Grenzen Thorwals zu den kaum besiedelten Gegenden im Osten. So verwundert es nicht, daß ich als Sohn eines Kriegers ebenfalls eine solche Ausbildung erhielt. Aufgrund der Nähe zum Steineichenwald und damit der Grenze zum Orkland, aber auch als der Zweitgeborene, war mir mein Weg vorbestimmt, und ich zog aus, um dem Familiennamen neuen Ruhm zu bringen.
Mehrere Jahre lang bereiste ich den Westen und die Mitte Aventuriens, von den eisigen Landen um Olport bis hinab an den Sikram. Dort lernte ich eine junge Kriegerin kennen, Thesalla, eine Amazone von Kurkum, die von einem Botenritt nach Neetha zurückkehrte. Wir stehen uns seitdem recht nahe, wenn Ihr wißt, was ich meine...«
Enttäuschte Blicke bei manchen der anwesenden Damen ließen vermuten, daß doch nicht die Ohren des Kriegers das Interessanteste waren...
»Als ich beschloß, nach Ask zu reisen, begleitete sie mich. In Uhdenberg verbrachten wir die verfluchten Tage, doch als ich den Roten Paß überschritt, war sie wieder auf dem Weg gen Süden, nach Beilunk, um in Erfahrung zu bringen, ob die erschreckenden Gerüchte einer fremden Armee stimmen, die derzeit aus Tobrien dringen. Zuerst wollte ich sie begleiten, doch Thesalla wollte nicht. Ich müsse mein eigenes Schicksal erfüllen, sagte sie.«
»Es scheint mir«, warf Graf Wahnfried ein, »daß Euch etwas bestimmtes nach Ask geführt hat. Habe ich Recht?«
»Ja! Irgendein Unheil dräut am Horizont und in allen Landen gehen verschiedene Gerüchte um. Doch es scheint mir, daß einer allein in den vielleicht kommenden schlimmen Jahren nur wenig auszurichten vermag. Eine Gemeinschaft ist meist stärker, und ich habe vom Ruhm des Ordens der Jagd gehört. Einst, als ich dem Lordmagister des Ordens begegnete, lud er mich nach Ask ein. Und so Ihr zustimmt, Euer Hochwohlgeboren, bitte ich um Aufnahme in den Orden der Jagd zu Ask!«
»Vielleicht wißt Ihr bereits, daß es nicht einzig an mir liegt, über einen Bewerber zu entscheiden. Doch erzählt eines Eurer Erlebnisse, das den Statuten unseres Ordens würdig ist!« 

»Das Erlebnis, von dem ich Euch berichten will, geschah vor fast zwei Jahren. Die Akademie des Draconiter-Ordens in Shenilo, ein Städtchen nahe des Yaquir in der Domäne Pertakis im Horasreich, war auf der Suche nach einer Gruppe mutiger Leute. Zusammen mit Thesalla, die ich nur wenige Tage vorher kennenlernte, sprach ich bei der Spektabilität der Akademie vor. Noch zwei weitere Bewerber trafen wir dort an, Connar Babrek, ein Söldner aus den Nordlanden, und die Magierin Ras'Tana Zanta, die irgendwohin in den tiefen Süden zu reisen gedachte.
Spektabilität Defrus und der Magus Mandaron, ein Magier aus Tsakelchen, einem Dorf in den Goldfelsen, gaben uns die nötigen Informationen für unsere Aufgabe.

Wenige Jahre nach dem Fall des Alten Bosparanischen Reiches suchten drei Magier ein abgeschiedenes Heim und stießen dabei auf ein fruchtbares Tal in den Goldfelsen. Einer von ihnen war der legendäre Drakhard, der auch der "Geisterschmied" genannt wurde. Ein in einer Höhle gefundener Kelch, scheinbar der Göttin Tsa heilig, überzeugte sie von ihrer Wahl und sie ließen sich nieder. Sie errichteten drei Türme, um die herum sich andere Menschen ansiedelten.
Dann aber kam der Drache Raclador, der in jenen Jahren das Gebirge unsicher machte. Der Sage nach bedeckte sein Schatten das ganze Tal und er wollte nur Tod und Vernichtung über die Siedler bringen. Die wenigen Verteidiger konnten ihm nicht lange standhalten, keine Waffe durchdrang das Schuppenkleid, aber die knappe Zeit reichte aus, damit die drei Magier einen Bann auf den Drachen legen konnten, der ihn für 1000 Jahre in Schlaf versetzen würde. Anschließend schufen sie unter Anleitung Drakhards drei Artefakte, die Raclador bei seinem Erwachen besiegen könnten: eine Rüstung, die vor den Klauen des Drachen schützt, einen Schild, der das Drachenfeuer abhält und eine Lanze, die das Herz des Drachen durchbohren sollte. Doch im Lauf der Jahrhunderte ging eines der Artefakte verloren und ein zweites wurde später verliehen und nicht wieder zurückgegeben.
Heute gibt es nur noch einen Magier in Tsakelchen. Die Nachfahren der beiden anderen waren die Geweihte Tsatalante und Hauptmann Gaarn. Mandaron, der letzte Magier, bemerkte, daß der Bann bröckelte und Racladors Wiederkehr unmittelbar bevor stand, er würde das Dorf in seinem Zorn sicherlich zerstören. Einer alten Prophezeiung zufolge aber würde ein fremder Krieger kommen und gegen den Drachen antreten, dies war die einzige Hoffnung des Magierrates von Tsakelchen, und so versuchte Mandaron Hilfe bei den Draconitern zu finden.
Für uns gab es keine Zweifel, daß wir den Menschen des Dorfes helfen mußten und wir sicherten dem Magier unsere Hilfe zu - einmal davon abgesehen, daß der Söldner auch eine Belohnung in Gold verlangte.

Nach mehreren Tagen zügigen Ritts gelangten wir unter Mandarons Führung nach Tsakelchen. An einer Felswand befand sich der Eingang des Tsatempels, die Felder und Obstbaumwiesen ließen einen wahrhaft idyllischen Ort im Spätsommer vermuten.
In Mandarons Turm lernten wir die beiden anderen Magierräte kennen, Tsatalante und Gaarn. Letzterer machte aber keinen Hehl daraus, daß er gegen das Hinzuziehen Fremder war. Er war im Besitz des magischen Schildes und hatte die Absicht, Raclador alleine zu fordern - entgegen dem Rat der Prophezeiung, die besagt, daß ein fremder Krieger dem Drachen entgegentreten, den Kampf jedoch verlieren wird.

In den folgenden Tagen forschten wir nach dem Verbleib von Rüstung und Lanze. Der Schmied des Dorfes vermutete, daß Rowan der Drachentöter, ein Held aus der Zeit nach Raclador, zusammen mit der Rüstung begraben sein könnte, die Geweihte Tsatalante konnte dies bestätigen. Ich konnte Gaarn später zudem überreden, mir den Schild zu geben, wenn wir die beiden anderen Artefakte gefunden hätten. Ras'Tana suchte in Mandarons Bibliothek in einer Chronik und einem Buch der drei ersten Magier nach Hinweisen und stieß dabei auf die Prophezeiung Tsakans, der Sohn eines der drei ersten Magier. Die Prophezeiung sagte die Niederlage des fremden Ritters voraus, wenn er nicht des Drachen Herz in seinen Händen halten würde. Doch hierüber machten wir uns noch keine tieferen Gedanken.
Die Geweihte Tsatalante hatte keine Einwände gegen die Öffnung von Rowans Grabmal einzuwenden, da die geliehene Rüstung für eine göttergefällige Tat vom Toten zurückgefordert werden sollte. Sie selbst begleitete uns dabei. Auch die Lanze fanden wir schließlich, der Fahnenmast von Mandarons Turm entpuppte sich als diese Waffe. Und Hauptmann Gaarn hielt sein Versprechen und gab mir den Schild. Am nächsten Tag würde der magische Bann von Raclador abfallen und jetzt erst begann sich unsere Magierin Gedanken über das Drachenherz zu machen.« 

Wenn der Drache kommt, dann steht bereit,
Wohl gerüstet, mit Lanze und Schild,
Widersteht der Ritter jederzeit.

Beim ersten Schlag die Lanze bricht,
Die Flügel schlagen wild,
Beim zweiten Schlag im Flammenlicht.

Der Schild erglüht im Drachenhauch,
Der Ritter schlägt,
Doch unverwundbar ist der Drachenbauch.

Der Drache kehrt wieder,
Sein Flügel in trägt,
Zerfetzt den Schild, schlägt den Ritter nieder.

Des Ritters Tod ist nah,
Des Drachen Herz in seiner Hand,
Hält den Drachen wunderbar.

Der Bann ist nicht mehr,
Friede im Land,
Keines Drachen Wiederkehr.

»Am nächsten Tag legte ich Rüstung, Schild und Lanze an und zusammen mit Thesalla und Connar suchte ich eine geeignete Stellung östlich des Dorfes und wir warteten auf Racladors Ankunft. Ras'Tana war schon den ganzen Tag im Disput mit Tsatalente und nicht mitgekommen.
Am Abend erschien am östlichen Horizont ein kleiner Punkt, der rasch immer größer wurde. Bei Rondra! Nie werde ich den Anblick Racladors vergessen, die Abendsonne tauchte seine Schuppen in rotgoldenes Licht, er flog schneller und lauter als der Sturm und sein Schatten bedeckte das Tal. Laut rief Connars Horn die Herausforderung und die Antwort des Drachen ließ die Erbe beben. Er stürzte sich sofort auf mich, die riesige Pranke zerbrach die Lanze wie trocknes Geäst und sein Flügelschlag drängte die anderen zurück. Ein Feuersturm aus seinem Rachen hüllte mich ein und der Schild hing in rauchenden Fetzen herab, nutzlos geworden, doch ich hatte glücklicherweise keinen Schaden davongetragen. Ich zog mein Schwert, doch es zersplitterte ohne eine Wirkung zu zeigen, als ich nach Racladors Klaue schlug, die mir daraufhin die Rüstung vom Leibe riß. Nie stand ich Borons Reich näher als in jenem Moment, doch Thesalla stürzte herbei und stellte sich zwischen mich und den Drachen. Diese Augenblicke waren meine Rettung, denn als der Drache zum letzten tödlichen Schlag ausholte krümmte er sich mit einem Mal vor Schmerz.
Ras'Tana war endlich gekommen und hatte den Kelch aus dem Tsa-Tempel zu Füßen, drohend den Stab erhoben, um ihn zu zerschmettern. Der Kelch hatte in etwa die Form eines großen Herzen, Racladors Herz! Und der Drache wich tatsächlich zurück. Er gab uns im Namen der Zwölfe sein Wort, niemandem ein Leid zuzufügen und Aventurien für immer zu verlassen, im Austausch gegen sein Herz, das er vor tausend Jahren vor den Siedlern schützen wollte. Raclador hielt sein Wort, als wir uns darauf einigten, und war bald am Horizont verschwunden, wir hatten Tsakelchen gerettet.

Der Magierrat ließ ein Fest veranstalten und wir erhielten ein jeder eine Belohnung, die mehr wert war als Gold und Silber. Aus der Schmiede von Drakhard dem Geisterschmied erhielt ich als Ersatz für mein zerbrochenes Schwert diese Waffe hier.«
Der junge Krieger zog seine Waffe, ein altertümliches Breitschwert mit reich ziselierter Klinge.
»Sie heißt "Furchtklinge" und soll im Kampf Angst und Schrecken unter den Feinden verbreiten, nie hatte ich ein besseres Schwert. Ich will es in Euren und des Ordens Dienst stellen! Sofern jemand Zweifel an meinem Erlebnis findet, so werden der Rat von Tsakelchen und meine damaligen Gefährten alles bestätigen können.« 

»Fürwahr eine eindrucksvolle Begebenheit«, beendete Graf Wahnfried nach einer kurzer Pause allgemeinen Nachdenkens das Schweigen, »jetzt liegt es am Ordenskapitel, über Eure Bewerbung zu entscheiden. Seid bis dahin mein Gast!« 

Mein Dank an Ralf D. Renz, für seine Verse, und weil er die vier Helden durch ihr Abenteuer führte

Ein froher Tag für Shenilo:

Von der Eröffnung des Rahjatempels,
und was uns dabei kund getan!

Von Tanit Neethling
Adeptin des Draconiterordens zu Shenilo und
Novizin der Academia Magica am selben Orte

Gar vielerlei Volk hatte sich versammelt, als es hieß, der junge Felsfelder Falk Sivertan hätte soeben seine Weihen erhalten und würde noch am selbigen Tage mit Hilfe der Geweihten aus Belhanka die Zeremonie zur Weihe des Rahja-Tempels durchführen. Scheinbar ganz Shenilo und Umgebung hatte Kunde davon erhalten und sich zum Platz der Göttin aufgemacht, den Praios' Antlitz seit früher Stunde mit warm-goldenem Schein verwöhnte. Sie alle hatten sich aufgemacht, um vor Ort der Einweihung beizuwohnen zu können; manche gar warteten dortens schon seit früher Stunde, als ich noch den Vorlesungen von Meister Defrus lauschte, um Falk ihre Unterstützung zu zeigen.

Vielleicht sollte ich mich dem geneigten Leser kurz vorstellen, bevor ich weiter berichte. Mein Name ist Tanit Neethling. Ich komme wie der Geweihte aus Felsfelden und studiere seit über einem Jahr an der hiesigen Academia die arkanen Künste. Falk kenne ich bereits seit früher Jugend, als er sich entschloß, sein Leben fortan der Schönen Göttin zu widmen, und so mag man es mir verzeihen, wenn bisweilen die nüchterne Berichterstattung von eher subjektiv zu nennender Schwärmerei verdrängt wird. Ich will hier nicht darauf eingehen, welch Quäreleien es wegen Tempel und Geweihten hier in Shenilo gab. Die, die es interessiert und angeht, werden es ausführlich miterlebt haben; allen anderen sei an dieser Stelle nur gesagt, daß es unser aller Wunsch ist, die Streitigkeiten mögen vergessen werden; zu sehr wider Ihrem Naturell sind sie, als daß es der rechte Ort oder die rechte Zeit wäre, darüber zu schreiben, was die Gemüter einstens so erregt hat.
Comtessa Yanis von Felsfelden schrieb mir in diesen Tagen im Zusammenhang mit dem Wesen der Göttin von "himmlischer Hingabe, die kein derisches Übel trüben könne." In diesem Sinne will ich mit meinem Berichte fortfahren!

Gegen Mittag des 01. Rahja fand ich endlich selber Gelegenheit, den Platz der Göttin aufzusuchen, auf dem sich bereits eine erkleckliche Anzahl von Leuten tummelten. Ich selber suchte mir einen Platz in der Nähe des Edlen von Shenilo, von dem ich alles gut würde beobachten können. Ganz in der Nähe standen einige Mitglieder des Stadtrates, Vertreter der Stadtgarde, der Akademie und der anderen Tempel. Der einzige, der mir den ganzen Tag nicht begegnete, war der Geweihte des Sonnengottes, Praiosdan von Lohenfels; eine wichtige Angelegenheit mußte es sein, die ihn von diesem einzigartigen Fest forthielt, wenngleich manche munkelten, er hätte jeden noch so geringen Anlaß als Grund genommen, mit seiner Abwesenheit glänzen zu können.
Daryl Brahl fehlte natürlich nicht - hatte die Weinhandlung Yaquria Shenilo doch einen Großteil der Mittel zum Tempelbau beigesteuert. Wann immer sein Blick auf den ebenmäßigen Rundbau des Tempels fiel, sprach sein zufriedenes Lächeln Bände davon, was dieses Ereignis für ihn und die Weinbauern bedeutete, und wie sehr ihm die Ausführung seiner Bestrebungen gefiel...
Ja, wahrlich, der Baumeister Rukus Oldenport, der den Tempel geplant hatte, war ein Meister seines Faches! Durch seine schlichte Erhabenheit strahlte das Rund eine wunderbare, innere Ruhe aus - es war kein Wunder, daß Oldenport nach seinem ersten Rahja-Tempel in Felsfelden und diesem nun bereits der Bau eines Dritten in Auftrag gegeben war.
Meister Oldenport und die Geweihten der Jungen Göttin waren zu diesem Zeitpunkt wohl die Einzigen, die den Tempel in Gänze von Innen gesehen hatten. Den Sheniloern wie auch mir bot sich bisher nur der Blick auf vier schmiedeeisernen Tore, Durchgänge, die ins unüberdachte Innere des Heiligtum führten, und bisweilen eine Ahnung der Statue, die dort in der Mitte aufgestellt ward - es mochte wohl eine Tanzende Rahja sein, zu der wir bald unsere Gebete schicken würden. Das war alles, was wir sehen konnten, und wenngleich dieser Anblick die Neugier nur schürte, bot sich hier, auf dem Platz um dem Tempel, auch genug, sich die Zeit auf angenehme Art zu vertreiben.
Es grenzte schier an ein Wunder, daß der Garten rings um den Tempeln bereits in Blühten stand! Rukus Oldenport hatte eng mit dem Felsfelder 'Meister der Berge' Hadan Gahldiek zusammengearbeitet, sodaß der Garten die Harmonie des Platzes nur vermehrte. Von einem Platz zu sprechen ist eigentlich nicht mehr die rechte Art. Der Ort, von dem einstens ein Reisender freimütig sagte, er hätte selten einen Platz so ohne jede Bedeutung und jeden Nutzen gesehen wie diesen, nun voller Farben, Süße und Leben überströmt!
Der Gutssekretario ya Cord gesellte sich nun auch in die Gruppe derer, die den Edlen umgab. Dabei dozierte er über Einzelheiten der Bauweise, als hätte er selber Stein um Stein aufgeschichtet; eine Rolle, die sicher nicht die Seine gewesen war. Aber niemand wies ihn zurecht oder nahm ihm seine Worte übel, weder der Baumeister selbst noch andere, um nicht den Frieden zu stören, der langsam aller Herzen ausfüllte.
Etwas abseits erblickte ich nun auch einen kleinen Trupp der Magister der Akademie. Sogar Seine Spektabilität war unter diesen - so war an den Gerüchten, er würde sich in seinem Alter nach einer Frau an seiner Seite sehnen, vielleicht doch mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit. Die Herren Magister Wracon und Marwoleath warfen einander eins ums andere Scherzwort zu; oft fielen die Umstehenden in ihr gelösten Lachen ein.

Die Rahjanien verbreiteten einen betörenden Duft, und dem Spiel eines fahrenden Sängers lauschend, warteten wir weiterhin geduldig. Die einen andächtig sinnierend, die anderen in fröhliche, scherzende Gespräche vertieft.

Am frühen Nachmittag kam dann der langersehnte Augenblick: Falk trat mit glücklichem Lächeln und beinahe seliger Bedächtigkeit vor das Tempelgebäude. Schon nach wenigen Augenblicken verstummten die vorher so geschäftigen Geräusche fast völlig; eine gespannte Ruhe lag über dem wohlgefüllten Garten; die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf ihn. Celine, die Geweihte aus Belhanka, die Falk nur kurz zuvor seine Weihen gegeben hatte, hielt sich nun bewußt im Hintergrund, doch fiel mir dies erst später auf; nicht nur mein Blick hing wie gebannt an dem jungen Mann in den leichten, roten Gewändern, dessen Blick von heiliger, ernster Freude sprach.
Als es so still war, daß man Weinreben hätte reifen hören können, erklang Falks wohltönenden Stimme; und nur, wer ihn wahrlich gut kannte, vermochte das leichte Zittern in seinen Worten zu bemerken - sicher war es die Anspannung der vergangenen Stunden, die an ihm zehrte... "Unsere heilige Herrin Rahja hat ihr neues Heiligtum angenommen. Diese Tore sollen Euch von nun an zu jeder Stunde offen stehen..."
Erster Jubel hob an, und mit ihm erklangen erste "Hurra!"-Rufe, als Falk mit der zeremoniellen Geste den zweiten der Torflügel öffnete und die Menschen damit einludt, einzutreten.
Die einfachen Bauern hielten sich noch zurück, als einige der Stadtoberen bereits auf den Eingang zustrebten, allen voran Asfatio ya Cord.
Ich stand in erster Reihe, ein paar Schritte vom Edlen Nestor entfernt, welcher ruhig abgewartet hatte und sich nun gar anschickte, den Jubel etwas zu bremsen.
"Sheniloer!" hob er mit dunkler, sicherer Stimme an. Die Hände erhoben ging er ein paar Schritte auf den Eingang zu, auf daß ihn jeder sehen könne. 'Was mochte er vorhaben?' fragten sich die Leute ringsum.
Der hochachtbare Herr ließ sich von dem überraschenten Getuschel nicht beirren und fuhr fort: "Einen kleinen Moment der Aufmerksamkeit erbitte ich mir, Sheniloer! - Der Rahja-Tempel ward eröffnet und Freude erfüllt Eure Herzen wie ebenso die meiner Familie. Die Gunst dieses Augenblicks nutzend sei Euch vor allen anderen Bürgern des Feldes kund getan: Endor, mein einziger Sohn und Erbe, wird heiraten! Bei seiner Versprochenen handelt es sich um eine jüngere Schwester der Comtessa von Felsfelden, Yasinai Neethling!"
Wer vorher nur verhalten geklatscht hatte, warf nun jubelnd seinen Hut in die blaue Weite; wer vorher gejubelt hatte, fiel seinem Nachbarn juchzend um den Hals und bedeckte ihn mit Küssen! Falk selber schien vor tiefem Glück die ganze Welt umarmen zu wollen, und auch mich riß die Glückseligkeit mit sich. Im Effekt fiel ich dem Edlen um den Hals, doch der hochachtbare Herr Nestor duldete es mit einem milden, nachsichtigen Lächeln.

Dies war nur der Beginn der wohl wundervollsten Feier, die Shenilo je gesehen. Wein und Bierfässer wurden geöffnet, Fackeln und Lagerfeuer entfacht, und schon nach kurzer Zeit packten Musikanten ihre Instrumente aus und spielten auf. Eine Sharisad, die sich selbst 'Yshija Die Zu den Sternen Tanzt' nannte, verzauberte uns mit ihrer Kunst. Wein und Gerstensaft floß lachende Kehlen hinab, doch nur zum geringen Teil war es derer lösender Wirkung zu verdanken, da man sich in den Armen lag und glücklich und sorglos war, wie nie zuvor.
Hier sprachen Nachbarn miteinander, die sich ernsthaft verstritten hatten; dort war es ein verzagtes Lächeln, das einer befreienden Umarmung wich. Eröffnende Blicke, sorgende Gesten - Shenilo fand zu sich selbst zurück!
Den größten Eindruck hinterließ bei mir jedoch ein Blick in die Augen des Edlen. Vieles hörte man in Shenilo von dem Verlust, der er erlitten hatte, von der Trauer und dem Schmerz, in denen er sich für lange Zeit vergraben hatte.
Doch als ich ihn ansah, da lächelte er wie ein zehnjähriger Junge, dem nie Übles widerfahren. In seinen Augen spiegelte sich Erfüllung, die allen Schmerz vergessen läßt... - Rahja schütze ihn und uns!

Der Schuster von Svafdûn

(und warum er keine Schuhe anhat)

Die güldne Scheibe des Praios versank gerade am Horizont, als der Fremde das kleine Landgasthaus "Zum grünen Eber" auf der Strecke zwischen Pertakis und Bethana betrat.
Tesden, der noch sehr junge Wirt, er hatte das Gasthaus erst vor wenigen Wochen übernommen, blickte kurz auf und nickte dem neuen Gast zu, gleichzeitig an einen freien Tisch deutend.
Der Magier, denn um einen solchen handelte es sich offensichtlich, setzte sich und zog die Kapuze seines fast schwarzen Umhangs zurück. Er schien ebenfalls noch recht jung, das etwas überschulterlange Haar war noch voll und tiefschwarz, ebenso der prächtige Kaiser-Rohal-Bart. Ein Blick in die leuchtend grünen Augen ließ jedoch vermuten, daß er schon so manches erlebt und gesehen hatte; es war, als blicke man in einen tiefen Brunnen, der durchgehend mit hellem Moos bewachsen war. Etwas über acht Spann war er nur groß, seine Gesichtszüge waren eindeutig tulamidisch, wenn auch der Kapuzenumhang keine genaueren Blicke auf seine Kleidung erlaubte. Erst bei näherem Hinsehen, fiel das kleine, dunkelgraue Geschöpf auf, das sich um seinen Hals und Nacken gelegt hatte und mit neugierigen, echsenartigen Augen durch den Raum spähte. Bei allen Göttern, dieses Wesen von vielleicht der Größe eines Raben sah eindeutig nach einem Drachen aus!
Ein paar Gäste zogen sich möglichst weit von diesem Fremden zurück, einer verließ gar schnell den Raum, doch andere sahen gespannt ihm hinüber - sollte er ein umgänglicher Vertreter seiner Zunft sein, war vielleicht die eine oder andere spannende Geschichte zu erwarten.
Tesden eilte nach kurzer Zeit zu seinem Neuankömmling. "Travia zum Gruße, Gelehrter Herr. Ich bin Tesden, seit kurzem der Wirt dieses Gasthauses. Was darf ich Euch bringen?" Etwas hastig wendete der kleine Drache seinen Kopf dem Wirt zu, der zurückzuckte und schnell noch ein "und Eurem kleinen Freund?" hinzufügte.
"Nennt mich einfach...", der Magier schien kurz nachzudenken, "Mouhuk. Ansonsten, mit einem guten Rinderbraten und einem Krug guten Bieres wäre ich zufrieden." Trotz tulamidischen Aussehens sprach er das Garethi mit dem typischen Akzent des Lieblichen Feldes. Als der Wirt zurück an seine Theke wollte, flatterte der kleine Drache aufgeregt auf. Ein deutlich vernehmbares "Fleisssch!" zischte durch den Raum und die meisten Gäste zuckten erschrocken zusammen, das Biest konnte doch tatsächlich sprechen!
"Ach ja, ich vergaß", rief Mouhuk den Wirt zurück, "Dorkan möchte ein Stück rohen Fleischs!"

Nachdem der Tulamide seine Mahlzeit zu sich genommen hatte - der Meckerdrache hatte sich mit seinem Stück Rindfleisch auf einen hohen Balken unter der Decke zurückgezogen; hin und wieder fiel ein blutiger Tropfen von dort herunter, während das kleine Wesen den Fleischbrocken nach und nach in Stücke riß und verschlang - wandte sich ein anderer Gast an ihn, ein grauhaariger Söldner von gut fünfzig Jahren und mit einem prächtigen Bastardschwert an den Tisch gelehnt, und der scheinbar keine Furcht vor dem Magier hatte.
"Erzählt uns doch eine spannende Geschichte", rief er ihm zu, "Ihr seht aus, als hättet Ihr bereits so manches erlebt."
Gespannt blickten noch andere auf. Würde der Zauberer den Verwegenen mit Blitzen in ein Häufchen Asche verwandeln oder doch eine Erzählung zum Besten geben?
Mouhuk blickte von einem Gast zum anderen. "Hm, kennt vielleicht jemand die Geschichte vom Schuster von Svafdûn? Nein? Nun denn...

Es geschah zwei Jahre vor der Brandschatzung Mengbillas durch die Thorwaler, ich erinnere mich, daß es ein warmer Tag im Boron-Mond war, für das Wetter in Thorwal und den umliegenden Gebieten ziemlich ungewöhnlich.
Zu dieser Zeit lebte in Svafdûn, einem größeren Dorf etwa in der Mitte zwischen Thorwal und Salza, ein nicht mehr ganz junger Schuster, der zwar eine hübsche Frau, aber keine Kinder hatte. Da durch das Dorf eine relativ gutausgebaute Straße führte, die für die zu Land Reisenden die einzig gute Verbindung des Südens nach Thorwal ist, betrieb er ein gutgehendes Gewerk. Jedes Jahr konnte er der Kiste, die unter der Feuerstelle seines Hauses vergraben lag, wieder so manche Münze hinzufügen. Der Schuster und seine Frau hatten also ein gutes Leben, nur eines hatten sie nicht: einen Erben, der eines Tages das Geschäft übernehmen könnte.

An diesem Tag im Boron-Mond fügte Hesinde es so, daß ein weitgereister Magier in das Dorf kam, und den so mancher Bauer und so manche Fischerin um Rat fragte. Auch der Schuster trat vor ihn, und stellte ihm die Frage, warum er und seine Frau keinen Erben bekämen. Der Schuster bot dem Magier mehr Geld, als manch ein Leibeigener in seinem ganzen Leben zu sehen bekam, wenn er ihm und seiner Frau fruchtbaren Rat geben könne.
Der Zauberer sicherte zu, daß er am nächsten Tag vorbeikommen und versuchen wolle, eine Lösung für das Problem zu finden.

Der Magier hielt Wort und trat am nächsten Morgen vor das Paar. Lange Zeit sprach er mit den Beiden, machte geheimnisvolle Handbewegungen und sprach hin und wieder Worte in einer seltsamen, unbekannten Sprache.
"Ich kann euch helfen", meinte er schließlich, "aber wir müssen einen nicht ungefährlichen Weg beschreiten, und ich fordere eine Bezahlung meiner Wahl!"
"Wir werden alles tun und Euch alles geforderte geben, sofern es in unserer Macht steht und wir endlich ein Kind bekommen können", versprach der Schuster.
"Gut", bekräftigte der Zauberer, "ich werde eine Woche benötigen, um das notwendige Material zusammenzusammeln, dann werde ich euch nach Kräften helfen."

Der Magier sprach tatsächlich eine Woche später wieder beim Schuster vor. Bei sich hatte er einen Beutel voll allerlei seltsamer Sachen, unter anderem verschiedene Pflanzen und sogar einen großen Opal. All diese Sachen zerstieß er entweder zu Pulver, zerschnitt sie in kleine Stückchen oder preßte sie aus. Er vermischte alles in einem kleinen Kessel und gab auch mehrere Tropfen Blut der Eheleute hinzu, die sich hierzu in die Handfläche schneiden mußten. Über dem Feuer ließ er danach die Flüssigkeiten verdampfen und zerstampfte die trockene Masse zu einem feinen Pulver, das er schließlich in ein kleines Fläschchen gab. Dieses überreichte er dem Schuster.
"Gib dieses Pulver am ersten Tag im nächsten Tsa, keinen Tag früher oder später, in ein Maß Quellwasser. Trinke dann Du die eine Hälfte, Deine Frau die andere. Und danach macht ihr zwei euch eine schöne Nacht. Haltet euch daran, sonst könnte ein Unglück geschehen. Ich werde genau ein Jahr danach wieder hier sein und mir meine Belohnung abholen!"

Der Schuster und seine Frau hielten sich genau an die Anweisungen des Magiers, und tatsächlich: schon kurze Zeit nach dem folgendem Tsa-Mond stand fest, daß die Frau ein Kind erwartete, und im Boron-Mond des nächsten Jahres brachte sie schließlich einen kräftigen Jungen zur Welt. In den Wochen bis zum ersten Tag der Tsa, an dem der Magier ja wieder erscheinen wollte, machte sich der Schuster viele Gedanken, welche Belohnung er wohl zu entrichten hätte. Er betete zu den Göttern, daß es nicht das Kind sein würde.

Im Morgengrauen des vereinbarten Tages stand denn tatsächlich der Zauberer vor der Tür des Schusters. Nachdem er auch die Frau und das Kind gesehen und die Eheleute beglückwünscht hatte, verlangte er seine Belohnung.
"Ich fordere ab jetzt und solange, wie Du und Deine Nachkommen das Handwerk eines Schusters ausüben und Du, sie und ich über Dere wandeln, in jedem Götterlauf zum ersten Tag im Mond der Tsa die Schuhe, die Du und Deine Nachkommen im jeweiligen Jahr bei der Arbeit tragen werden; seien es nun wirklich Schuhe, Stiefel, Sandalen oder Sonstiges!" die Stimme wurde drohender, "sollte ich nicht bekommen, was ich gefordert habe, wird Deiner Familie Schreckliches widerfahren!"
Dem Schuster fiel ein Stein vom Herzen, war dies doch eine Forderung, die er leicht erfüllen konnte und die auch nicht teuer sein würde.
Nach einigen weiteren Worten des Erklärens und der Verabschiedung zog der Magier wieder weiter.

Jahr für Jahr klopften der Magier oder ein von ihm gesandter Bote an die Tür des Schusters, forderten und bekamen all-jährlich das Paar Schuhe, das der Schuster im jeweiligen Götterlauf getragen hatte.

Erst nach mehreren Jahren begann der Schuster, über die ungewöhnliche Forderung nachzudenken, und bekam es immer mehr mit abergläubischer Angst zu tun. Heißt es nicht, daß ein Wesen bereits verflucht oder verhext werden kann, wenn ein Zauberer ein Körperteil oder auch nur ein Kleidungsstück des Opfers hätte?
Schließlich traf er eine Entscheidung: im sechsten Jahr überreichte er dem Boten wieder das Paar Schuhe, benutzte in den folgenden Monden allerdings keine mehr, sondern lief, lebte und arbeitete nur noch barfuß.
Im siebten Jahr stand wieder der Magier vor seinem Haus und forderte die ausgemachte Belohnung. Der Schuster konnte ihm natürlich nichts geben, da er ja in diesem Jahr keine Schuhe getragen hatte. Dies sagte er dem Magier auch und hoffte dabei, alles überstanden zu haben.
Der Zauberer jedoch begann mit unheilvoller Stimme zu sprechen: "Das werden Du und Deine Familie bereuen, wie ich es einst sagte!" Doch sprach er weder einen Zauber noch zückte er den Dolch oder hob den Stab. Er wandte sich um und verließ Svafdûn. Erst als das Haus des Schusters sieben Wochen danach bis zum Grund mit blauem Feuer niederbrannte und alle Bewohner dabei umkamen, rief dies der Bevölkerung wieder den Magier in Erinnerung, und seine geforderte und zugesagte, aber nicht erhaltene Belohnung für einen lange zurückliegenden Dienst.
Da das Gewerbe aber einträglich war, ließ sich einige Monde später wieder ein Schuster im Dorf nieder, und auch in den nächsten Generationen bis zum heutigen Tag war dieses Handwerk in Svafdûn zu finden. Doch die Geschichte um das tödliche Schicksal des alten Schusters geriet nicht in Vergessenheit, und sie wurde geglaubt und weitergegeben. Damit sich so etwas nicht wiederholen würde, verzichteten seitdem alle Schuster des Dorfes auf Schuhe oder andere Fußbekleidung. Das ist auch heute noch so, nach bald achtzig Jahren seit dem Brand, und so wird es wohl noch lange bleiben.

... ja, das war die Geschichte vom Schuster von Svafdûn, und warum er keine Schuhe anhat."
Der Magier leerte seinen Krug bis auf die Nagelprobe und lehnte sich zurück, viele der Zuhörer starrten nachdenklich ins Leere, besonders der Wirt schien die Geschichte gespannt aufgesogen zu haben, und der kleine Drache im Gebälk krächzte seinen Beifall.

Nach und nach zogen sich die Gäste auf ihre Zimmer zurück und auch der Wirt bekam schläfrige Augen, bis er schließlich über der Theke einschlief. Nur der fremde Magier, sein kleiner Begleiter und der alte Söldner, der um die Geschichte nachgefragt hatte, befanden sich noch im Schankraum und hielten die Augen offen.
"Ich war schon einmal in Svafdûn", begann der Söldner zu sprechen, "und hörte diese Geschichte bereits einmal. Ich sah auch die Grundmauern des abgebrannten Gebäudes und glaube, was erzählt wird. Doch vergaßt Ihr eine Kleinigkeit zu erwähnen, wie sie mir damals miterzählt wurde." Er machte eine kurze Pause und fuhr leiser fort. "Der Magier, der sich damals in Svafdûn aufhielt, hatte eine Art Haustier, ein kleiner Drache, wie man mir erzählte", mit blitzenden Augen starrte das angesprochene Geschöpf auf den Sprecher. "Es gab nur sehr wenige Magier, die einen Drachen einen engen Begleiter nennen konnten, und sie sind in dieser Zeit nicht häufiger geworden." Der Magier lächelte sein Gegenüber überlegen an, und dieser sprach weiter. "Und dann fiel mir auch noch auf, daß Ihr ganz zu Beginn der Geschichte sagtet 'Ich erinnere mich, daß es ein warmer Tag war'."
Die Frage lag unausgesprochen im Raum, als der Magier zu seiner Antwort ansetzte. "Die Wege und Absichten der Götter und Dämonen sind für die meisten undurchsichtig und Dere ist voller Rätsel. Ich bin müde und werde mich jetzt zur Ruhe legen."

All die Jahre seit dieser Erzählung, damals herrschte noch Kaiser Reto über das Neue Reich, fand niemand die schrecklich zugerichtete Leiche eines älteren Mannes, die in einem Wäldchen nahe des Landgasthauses "Zum grünen Eber" verscharrt wurde und nach und nach vermodert, und die ein ehemals prächtiges Bastardschwert besessen haben mußte.

Auch heute noch ist Tesden der Wirt des Landgasthauses "Zum grünen Eber", und auch wenn seitdem schon viele Jahre vergangen sind, ist die Geschichte vom Schuster von Svafdûn eine seiner wenigen und die meisterzählteste, auch wenn in seiner Fassung kein Drache, ob groß oder klein, erwähnt wird.

Noch immer betreibt in Svafdûn ein Schuster sein Handwerk. Doch auch wenn die Geschichte nach über hundert Jahren langsam zur Sage wird, trägt dieser keinerlei Fußbekleidung.

Im südlichen Thorwal sagt man auch in unserer Zeit noch "wie der Schuster von Svafdûn", wenn jemand einen gebräuchlichen Gegenstand des täglichen Lebens nicht benutzt, obwohl er durchaus in der Lage wäre, dies zu tun.

Niedergeschrieben von Peter Diehn im Phex-Mond des Jahres 1017 nach dem Falle des Hunderttürmigen Bosparan, bzw. im Mai 1995, auf das Drängen - ob verdeckt (Antje) oder halbwegs offen (Ralf) - von guten Freunden hin. Meinen besten Dank an die zwei.

Geschichte 2

Der vorgegebene Anfang (kursiv):

Der Mann blieb auf dem Waldweg stehen und drehte sich um. Niemand verfolgte ihn - aber was hatte das schon zu bedeuten, wenn die anderen über Pferde verfügten? Er ging weiter, bis er eine Weggabelung erreichte, an der ein kleiner, unbedeutend scheinender Pfad vom Hauptweg abging. Er kannte sich hier nicht aus - dieser Weg konnte sich leicht als Falle erweisen, andererseits übersahen ihn eventuelle Verfolger vielleicht auch.
Der Mann spähte den Weg entlang. Es sah aus, als würde er leicht bergab führen - was durchaus den Absichten des Mannes entsprach, doch irgendwie sah ihm das alles zu einfach aus. Schließlich grinste er, als ihm eine List einfiel:
Er ging einige Schritte zurück und wandte sich dann dem kleinen Pfad zu, wobei er im Laub eine Spur hinterließ, die jeder halbwegs erfahrene Spurensucher nicht übersehen konnte. Er blieb etwa dreißig Schritte auf dem kleinen Pfad, wobei er seine Erfahrungen immer mehr zum Einsatz brachte - er versteckte seine Spuren immer besser. Dann schließlich kehrte er unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen auf den Hauptweg zurück und ging weiter. Vielleicht war dieser Trick sinnlos, vielleicht verschaffte ihm die gelegte Spur mehr Zeit, als er dadurch verloren hatte. Oder aber... es konnte auch vollkommen überflüssig sein, da er bisher noch keine Anzeichen einer Verfolgung bemerkt hatte. Es gab da lediglich dieses Gefühl... und Gründe, auf das Gefühl zu achten.
Die Praiosscheibe stand schon sehr tief, als der Mann erneut stehenblieb. Er hatte sich vom Ort seiner List schon mehr als ein Dutzend Meilen entfernt, und er hatte auch den Waldweg schon verlassen. Momentan stand er auf einem kaum erkennbaren Pfad mitten im Wald und lauschte. Es war an der Zeit, sich um ein Lager für die Nacht zu kümmern, und das, was er vor kurzem vernommen hatte, klang verheißungsvoll: Das Plätschern von Wasser. Er hatte Durst, und seine kleine lederne Wasserflasche enthielt kaum noch etwas.
Endlich - jetzt hörte er das Plätschern erneut und ging weiter. Es schien so, als würde ihn der Pfad direkt in die entsprechende Richtung bringen, was eigentlich auch kein Wunder war.
In den Tiefen des Waldes wurde es ziemlich rasch dunkel, und der Weg bis zum Wasser offenbar doch noch etwas weiter, als es zuerst schien. Der Pfad bog um ein Gebüsch, und dann sah der Mann im schwachen Licht der schon weit vorangeschrittenen Dämmerung das Wasser endlich: Ein kleiner Bach - vielleicht zwei Schritt breit, schlängelte sich durch die Landschaft.
Ein Grinsen überzog das Gesicht des Mannes, und er wollte gerade losgehen, als er ein helles Lachen hörte - ziemlich nahe, anscheinend von der anderen Richtung des Baches.
Lautlos zog er sich wieder ein Stück zurück und suchte sich eine bessere Beobachtungsposition ein kleines Stückchen bachabwärts hinter einem Gebüsch.
Das Lachen wiederholte sich nicht, aber dann roch er Rauch und sah kurz danach den Schein eines Feuers. Stimmen und typische Geräusche eines Lageraufbaus begleiteten das ganze.
Konnten das die Verfolger sein? Es erschien ihm sehr unwahrscheinlich, zumal diese Leute offenbar von der anderen Seite des Baches kamen. Dennoch: Es war zu gefährlich, dies als gegeben vorauszusetzen, und es wäre dumm, die Chance nicht zu nutzen, unbemerkt mehr herauszufinden.
Er verlagerte seinen Standort noch einmal, so daß er schließlich das Lager sah. Es handelte sich um drei Wesen - vielleicht Menschen - vielleicht auch Elfen, das war im Dunkeln nicht so genau zu erkennen. Und sie unterhielten sich leise. Er verhielt sich vollkommen still, und schließlich gelang es ihm, Worte zu verstehen.
»Du bist dir sicher, daß du das willst?«
Die Stimme war weiblich, und den Worten folgte das schon bekannte Lachen. Der Mann im Gebüsch versuchte, von der Sprecherin etwas zu erkennen, doch alles, was er sah, waren lange rote Haare - vielleicht aber auch nur eine Täuschung, die das Feuer verursachte. Dann gab ihr Gegenüber - ein Mann, der etwas älter als sie schien - eine Antwort:
»Du brauchst nicht zu lachen. Natürlich will ich das. Und es wäre gut, wenn ihr beide das auch so sehen würdet.«
Die dritte Person - der Stimme nach noch eine Frau - antwortete leise etwas - zu leise, um von dem Lauscher verstanden zu werden. Der Mann antwortete in verständlicher Lautstärke:
»Das beruhigt mich aber. Wir können das auch zu zweit machen, weißt du das?«
Die Frau, die gelacht hatte, war nun plötzlich wieder ernst.
»Ihr braucht mich! Und ich werde mitmachen, aber zu meinen Bedingungen.«
Nun sagte wieder die leise sprechende Frau etwas, das nicht zu verstehen war. Der Lauscher beugte sich weit vor und strengte sich an. Er verstand nur Fetzen, aber offenbar war die zweite Frau mit dem Mann einer Meinung, während die andere irgendwelche eigenen Vorstellungen verwirklichen wollte. Dann kam wieder die andere weibliche Stimme:
»Meinetwegen. Dann bin ich aber nicht diejenige, die zuerst eindringt.«
»Damit können wir leben. Was meinst du? Kannst du in das...«
Er brach ab, denn genau in dem Moment brach ein Ast unter den Füßen des lauschenden Mannes, der in der Hoffnung, daß niemand dem nachging, reglos sitzenblieb. Eine sinnlose Hoffnung, wie sich sehr bald zeigte.

»...Kannst du in das Schwarzental eindringen, ohne daß du entdeckt wirst?« setzte der Mann seine Frage fort.
»Natürlich«, erwiderte die Frau und drehte den Kopf in die Richtung des stillen Lauschers. »Warum kommst du nicht einfach heraus? Wir wissen doch alle, daß du da bist.« Bei diesen Worten sah sie genau in seine Richtung. Etwas zögernd trat der Mann aus dem Gebüsch.
»Nanu, ist das nicht Flarion d'Azenar, der Bibliothekarsgehilfe am Draconiter-Institut zu Shenilo?« fragte mit leiser Stimme die Frau, die bisher im Verborgenen gesessen hatte.
Flarion sah überrascht auf die blonde Frau. Sie trug lederne Jagdkleidung, bestehend aus engen Hosen, einem leinernen Hemd mit weiten Ärmeln, einer eng geschnürten Weste und kniehohen Stiefeln. Das Wappen mit der gewundenen goldenen Schlange auf grünem Grund an ihrer Weste erkannte er sofort.
»Travia zum Gruße, Hochachtbare Dame ya Satara«, begann Flarion und verneigte sich vor ihr. Ihr Lächeln zeigte, daß sie genau verstanden hatte, daß er sich mit dem Traviasgruß Schutz am Lagerfeuer erbitten wollte.
Die Esquiria Helaya ya Satara gehörte zum Adel der Signorie Elmantessa und war die Herrin über den Flecken Satara an der Straße durch den Arinkelwald. Ihr oblag der Schutz der Reisenden vor Räubern und anderem Gesindel, das im Dickicht des urtümlichen Zauberwaldes den Reisenden auflauerte. Sie war es auch, die die Jagden organisierte, wann immer es den Signor von Elmantessa danach gelüstete. Demzufolge war der schwarzhaarige Mann mit der sonnenverbrannten Haut niemand anders als Jagdmeister Firman.
»Ihr müßt Firman sein«, fuhr Flarion fort und neigte seinen Kopf vor dem spöttisch lächelnden Mann, der jedoch nichts sagte. Seine Aufmachung irritierte Flarion etwas. Normalerweise behängte sich ein Jäger doch nicht mit seinen Jagdtrophäen, sei es ein Wolfsfell mit Schädel, der auf seinem Haupt ruhte, die Halskette mit den Krallen des Arinkelbären oder die vielen bunten Beutelchen, die teilweise mit Federn geschmückt waren und an seinem Gürtel hingen. Ein Langbogen und ein Köcher mit Pfeilen lagen in Reichweite neben Firman. Flarion wandte sich der rothaarigen Frau zu.
»Euch, meine edle Dame, vermag ich zu meinem Beschämen nicht zu benennen, doch ich hoffe, ihr vergebt mir mein Unwissen und verratet mir, unter welchem Namen ich eure Schönheit preisen darf.«
Sie lachte wieder mit diesem vollen Lachen, das ihn ursprünglich heran gelockt hatte.
»,Edel’ hat mich noch niemand genannt. Ich bin Desatinava.«
»Desatinava? Etwa die bekannte Hexe von Satara?« Flarion näherte sich interessiert und seine Augen glänzten lüstern, während seine Blicke über die aufreizende Kleidung streifte, die sie trug. Lange, enganliegende Lederstiefel, ein kurzes Röckchen, das sich nicht in den Dornenbüschen verfangen konnte, eine nur halb geschlossene Bluse, die mehr zeigte als schicklich war.
»Ihr kommt aus dem Süden, stimmt's?« fragte Desatinava. Sie war auf ihrem Hexenbesen schon kreuz und quer durch Aventurien gereist und wußte, daß es Leute mit so wenigen Vorurteilen gegenüber Hexen nur in den feucht-heißen südlichen Stadtstaaten gab. Allerdings deuteten auch das rabenschwarze Haar und die leicht gebräunte Haut, die selbst durch die ständige Arbeit in der Bibliothek nicht verblaßt war, auf Waldmenschenblut in seinen Adern - und die lebten nun einmal im Süden.
»Ja«, bestätigte Flarion einsilbig. Offenbar war ihm seine Herkunft unangenehm. Esquiria Helaya bemerkte sein Unbehagen und fiel ein.
»Setzt euch doch zu uns und erzählt, was euch mitten in der Nacht in den Arinkelwald führt.«
Flarion tat, wie ihm geheißen und dankbar nahm er einen Schluck aus dem Weinschlauch, den ihm Firman anbot.
»Das tut gut. - Nun denn. Gestern reiste ich von Shenilo nach Rahjensgart, dem großen Gestüt der Göttin in Elmantessa. Ich hatte beschlossen, der Göttin zu opfern und außerdem wollte ich mir vielleicht ein Pferd kaufen. Die Pferde von Rahjensgart sind mit die besten in der Domäne, wie Ihr wohl wißt. Doch soweit sollte es gar nicht kommen. Ich war gegen Mittag in Rahjensgart eingetroffen und wollte den Tempel betreten, als drei Männer angeritten kamen. Ich erkannte sie sofort wieder. Agenten der Hand Borons. Ich bin ihnen einmal in Al'Anfa begegnet. Sie erkannten mich leider auch, bevor ich mich verstecken konnte. Ich konnte etwas Verwirrung stiften und in den Wald fliehen, aber sie sind mir bestimmt noch auf den Fersen.«
Helaya, Desatinava und Firman blieben einen Augenblick lang stumm, nachdem er geendet hatte.
»Die Hand Borons...«, sagte Helaya, während ihre Gedanken wanderten. »Die Hand Borons. Das ist doch der Geheimdienst von Al'Anfa. Was suchen ihre Agenten in einem Haus der Göttin Rahja?« Sie wandte sich an Firman. »Jagdmeister, der weiße Hirsch muß wohl warten, es gilt ein anderes Wild zu stellen! Desatinava, ich habe schon eine Idee, wie man diese Agenten dazu bringen kann, die Verfolgung aufzugeben. Ich will auf alle Fälle wissen, was sie hier vorhaben!«
»Da vorne«, zischte der Mann, »dieser Dummkopf hat sogar ein Lagerfeuer angezündet« und lachte. Seine beiden Begleiter schlossen näher auf und schlichen vorsichtig näher ans Feuer. Ihre Schritte blieben leise wie der Tritt einer Katze, keine Zweige knackten und keine Blätter raschelten, als sie näherkamen. Sie bogen die Zweige eines Gebüsches leicht beiseite und sahen auf den Lagerplatz. Flarion lag dort, in seinen zerfetzten Umhang eingewickelt und schlief. Der Attentäter zog ein langes Messer. Im Schein des Feuers leuchtete die Klingenspitze grünlich auf - Gift! Lautlos überwand er die zwei Schritt Entfernung und kniete neben Flarion nieder.
»Stirb und tritt vor Boron« sagte er und stach zu. Flarion war augenblicklich tot. Die anderen beiden rückten näher. Einer von ihnen gab dem Toten noch einen Tritt in die Seite.
»Du hast uns lange genug Ärger gemacht« kommentierte er und wandte sich an den Mörder: »Laß uns umkehren, Korandino. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Der Angespochene nickte. Gemeinsam verließen die drei das Lagerfeuer und den Toten. Nur wenige Herzschläge später war von ihnen nichts mehr zu hören. Eine Eule rief ihr »Schuhu« durch die Nacht. Der Westwind strich über die Wipfel. Eine Wolke wanderte am Madamal vorbei.
»Sie sind weg«, sagte Desatinava und tauchte aus der Dunkelheit wieder auf. Ein Laubhaufen bäumte sich auf und gab Firman frei. Äste knackten, als neben ihm Helaya und Flarion aus einem Baum kletterten. Flarion hob seinen Umhang auf, den sie um ein Bündel aus Laub und Ästen gewickelt hatten.
»Ich kann nicht glauben, daß es funktioniert hat. Ich stehe tief in eurer Schuld«, wandte er sich an Desatinava.
»Es ist ganz einfach. Man muß den Leuten nur das zeigen, was sie sehen wollen. Eigentlich ist nicht einmal Magie dafür notwendig«, erklärte sie. »Aber ich werde den Gefallen, den ihr mir schuldet, bei Gelegenheit gerne einfordern«, fügte sie hinzu und grinste.
»Vorher werden wir aber noch diesen Agenten auf die Finger klopfen«, mischte sich die Esquiria ein, »außerdem habe ich den Eindruck, daß Ihr mir etwas verschwiegen habt.«
Flarion sagte nichts. Seine dunklen Augen widerstanden wie tiefe dunkle Seen ihrem fordernden Blick.
»Hier entlang«, sagte Firman höflich. Helaya wandte ihre Augen ab und seufzte.
»Ich erwarte euch am Tempel«, sagte Desatinava und ging in die entgegengesetzte Richtung in den Wald.
Die anderen drei eilten durch den dunklen Wald. Sie mußten vorsichtig sein, um sich nicht die Zähne an einem vorstehenden Ast einzuschlagen. Wurzeln schnappten immer wieder nach ihren Füßen. Ab und an warf das Madamal einen silbernen Speer in die Tiefe, doch zumeist wichen die Wanderer in der schwarzen Nacht noch schwärzeren Stämmen aus. Firman ging voraus und zögerte kein einziges Mal. Er kannte den Wald wie seine Westentasche. Flarion wurde jedoch rasch müde.
»Wir können auch eine Pause einlegen«, meinte der Jäger, als er einen Blick zurück warf, »die Agenten werden im Wald nicht sehr schnell vorankommen. Und falls doch, nun, dann kann Desatinava ihnen Steine in den Weg legen.«
Binnen weniger Augenblicke hatte Firman ein kleines Feuer entzündet. Müde kauerten die drei Wanderer an den Flammen.
»Ihr kommt doch aus Al'Anfa«, fing Helaya noch einmal an.
»Jaaa«, sagte Flarion gedehnt. Er merkte, daß er die Esquiria so leicht wohl doch nicht los wurde. Er seufzte.
»Ich wurde in Al'Anfa geboren, als freier Mann. Mein Vater war Kartograph. Ich lernte das Kartenzeichnen und mußte für ihn auch häufig in die Bibliothek der Universität, um Reiseberichte und Legenden nach Anhaltspunkten für weitere Karten zu durchforsten. Den Zugang bekam ich aber nicht umsonst. Ich mußte dafür arbeiten. Ich kopierte Schriften, durchstöberte die kleinen Läden und kaufte Abenteurern und Seefahrern ihre Bücher und Dokumente ab, die sie irgendwo gefunden hatten. An der Universität fand ich auch interessierte Abnehmer, die bereit waren, viel Geld zu zahlen. Meinen Einstieg ins große Geschäft schaffte ich, als ich eine ganze Kiste voll erotischer Zeichnungen aus Thalusa in die Finger bekam. Ich kann hier keine Namen nennen, aber einer der Herren vom Silberberg wurde mein regelmäßiger Auftraggeber. Er hatte meist spezielle Objekte im Auge, deren Besitzer nicht gewillt waren, sie zu verkaufen. Bei sensiblen Aufträgen arbeitete ich manchmal auch mit Agenten der Hand Borons zusammen. Sie haben spezielle Kenntnisse und werden meist bei schwierigen Beschaffungsaufträgen eingesetzt, wie bei Magiern oder Tempeln. Damit hatte ich aber nie etwas zu tun. Einmal bin ich gegen einen Magier angetreten. Ich war der einzige Überlebende und mußte fliehen. Auf meinen Kopf ist immer noch ein Preis ausgesetzt, behaltet diese Geschichte also für euch.« Dann schwieg er und starrte in die Flammen.
»Es ist nicht gut, das Wild zu sein«, warf Firman ein, »Das Wild ist immer auf der Flucht, bis es strauchelt und getötet wird. Ihr müßt die Rollen vertauschen. Seid der Jäger. Dann habt Ihr eine Chance.«
»Ihr wißt nicht, was Ihr da sagt.«
»Ich bin Jäger.«
Flarion lächelte schief.
Die Hexe hatte ganze Arbeit getan. Sie wirkte sehr vergnügt, als Firman, Helaya und Flarion aus dem Wald traten.
»Was ist so lustig?« fragte die Esquiria.
»Ich habe dafür gesorgt, daß die Agenten noch ein Weilchen brauchen werden. Ihre Pferde waren jedenfalls einverstanden. Ich glaube nicht, daß sie vor Mittag hier auftauchen werden.«
Gemeinsam gingen sie vom Waldrand aus zum nahe gelegenen Rahjensgart. Weinreben auf der einen Seite und Pferdegatter auf der anderen Seite passierend, kamen sie zu den zentralen Gebäuden: dem Tempel, einem Bau, der mit Türmchen, Erkern und Vorsprüngen gespickt war, dem Gutshof, dem großen Pferdestall und dem Wirtshaus, in dem Reisende eine Pause einlegen konnten.
»Bringt uns zu Ihrer Gnaden Khabladija«, befahl Esquiria Helaya einem Novizen des Tempels. Den Rang Helayas erkennend, verneigte sich der Novize und führte die kleine Gruppe in den Tempel. In einem kleinen Vorraum hieß der junge Mann sie zu warten und trat durch die Tür eines Büros. Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür erneut und der Novize hieß sie einzutreten.
Das Büro, das die vier betraten, war das reinste Chaos. Auf einem großen Eichentisch stapelten sich Listen und Briefe, gemischt mit rahjaischen Zeichnungen und Berichten aus der Ferne. Aischa Khabladija, die Hochgeweihte des Tempels, wartete schon auf sie. Die dunkelhäutige Schönheit aus dem fernen Tulamidenland war in weite, rote, durchscheinende Seidengewänder gehüllt, die mehr vermuten ließen als schicklich war. Mit zwei Schritten trat Aischa auf ihre Gäste zu, umarmte sie und küßte sie zur Begrüßung.
»Im Namen Rahjas, seid willkommen in Ihrem Haus. Was führt euch zu mir?«
»Wir kommen, Euch zu warnen, Euer Gnaden«, begann Esquiria Helaya, »Agenten der Hand Borons sind unterwegs zu diesem Tempel.«
»Die Hand Borons? Was wollen die Agenten des südlichen Raben in diesem Haus?« wunderte sich Aischa. Flarion hüstelte.
»Ähem. Ich könnte mir vorstellen, warum. Habt Ihr vielleicht irgendwelche heiligen Schriften in diesem Tempel? Bedeutende Exemplare?«
»Das Buch Sulva befindet sich in diesen Mauern. In seinem Einband ist eine Strähne von Sulvas Schweif eingearbeitet.«
»Dann werden die Agenten dieses Buch stehlen wollen«, sagte Flarion zuversichtlich.
»Wie kommt Ihr darauf?« hakte Aischa nach.
»Äh. Ich kenne diese Leute von früher. Sie wurden häufig damit beauftragt, im Namen des einen oder anderen Wißbegierigen vom Silberberg seltene Schriften zu organisieren.«
»Ich verstehe.« Aischa sah dem jungen Bibliothekar forschend ins Gesicht und ließ dann die Sache auf sich beruhen - vorerst. »Aber wir sind hier keine Rondrianer. Wie sollen wir uns gegen diese Agenten schützen?«
»Wir werden Euch helfen«, warf Helaya energisch ein. Ein kurzes Lächeln huschte über Aischas Gesicht. Die Geweihtenschaft der Rahja mochte vielleicht den Ruf genießen, keine Kämpfer zu sein, doch sie waren durchaus in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Aber wenn man Helden gerade einmal zur Hand hat... »Ich danke Euch. Habt Ihr einen Plan?«
»Ja, den habe ich.«
Es war kurz vor Mittag, als die Agenten der Hand Borons zum Tempel kamen. Flarion hatte sich hinter einem Vorhang im Tempel versteckt, durch den er sehen konnte, was vor sich ging, ohne selbst gesehen zu werden. Früher, in Al'Anfa, war er mehrmals auf dem Silberberg gewesen und hatte wüste Orgien gesehen und auch selbst daran teilgenommen. Die netten Versuche der Geweihten hier, den braven Liebfeldern Rahjas Ekstase näherzubringen, waren harmlos gegenüber den Silberberg-Orgien. Immerhin mußte er zugeben, daß die Rahjageweihten recht einfallsreich und begabt waren. Desatinava, die Hexe, hatte sich unter die Besucher gemischt und vergnügte sich recht lebhaft, ja, sie schien hier in ihrem Element zu sein.
Dann zogen plötzlich rosa Dunstschleier durch die Halle. In einem Anfall von Ekstase verausgabten sich alle Anwesenden und sanken gleich darauf erschöpft zu Boden. Flarion selbst, der hinter dem Vorhang stand, merkte, daß hier etwas nicht stimmen konnte. Er registrierte einen merkwürdigen Geruch, der ihm bekannt vorkam. Borons ekstatischer Schlaf, dachte er, als er selbst einschlief.
Korandino und seine zwei Kumpane betraten die Halle. Der Agent war für einen Südländer recht hoch gewachsen, hatte rötlich schimmerndes, kurz geschnittenes Haar und trug unauffällige liebfeldische Kleidung. Ohne die gebräunte Haut hätte man ihn für einen Thorwaler halten können. Zu seiner Linken schritt ein kleinwüchsiger, dicker, aber muskulöser Mann. Er war in eine alte Lederrüstung gerüstet, die sich über seinen Bauch spannte. Zu Korandinos Rechten trat ein hochgewachsener, dürrer Mann in einer grauen Kutte, mit hochgezogener Kapuze.
»Sie schlafen alle fest«, lachte er. »Orvalio, laß die Schlafenden in Ruhe! Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Der kleine Mann murrte kurz und erhob sich. Er ließ es sich aber nicht nehmen, den Goldring, den er einem Schlafenden vom Finger gezogen hatte, einzustecken. Gemeinsam gingen die drei Agenten weiter ins Innere, zum Heiligtum des Tempels. Eine rote Linie auf dem Boden symbolisierte die Grenze, die kein Nichtgeweihter übertreten konnte.
Aus zwei Wandnischen traten Helaya und Firman hervor. Der Jäger hatte seinen Jagdbogen gespannt. Eigentlich sollten Desatinava und Flarion von hinten aufschließen. Doch die beiden waren aus unbekannten Gründen nicht zu sehen. Die Esquiria ließ sich davon aber nicht entmutigen.
»Ihr kommt hier nicht weiter. Ergebt Euch«, forderte Helaya. Firmans Gesicht war todernst.
»Netter Versuch«, höhnte Korandino und schnippte mit den Fingern. Zwei Blasrohrpfeile mit Schlafgift fanden sicher ihr Ziel und ließen Helaya und Firman zu Boden sinken.
»Corvelian, du bist dran«, befahl Korandino und ließ seinen in eine bodenlange Kutte gekleideten Begleiter nach vorne treten. Corvelian schlug seine Kapuze zurück. Aus einem Gürtelbeutel entnahm er ein Stück rote Kreide und fing an, Muster auf den Boden zu malen. Unter ständigem Gemurmel näherten sich seine Zeichnungen immer mehr der Linie und überschritten sie schließlich. Wo Rahjas Rot auf das Kreiderot traf, gab es kleine Funken und Blitze, doch der Magier schien zufrieden. Auch wirkte es so, als ob die Zeichen sich bewegen würden. Ein paar wenige schrumpelten auch unter den Funken zusammen und verwandelten sich in schwarze Asche.
»Wir können rüber. Tretet aber nur auf die Zeichen. Wir haben nicht viel Zeit, dann wird Belkelels Macht sich wieder zurückziehen.«
Kurz darauf kehrten sie zurück, das heilige Buch in ein Tuch eingeschlagen. Mit einem roten Tuch wischte Corvelian langsam unter weiteren Zaubern die Zeichen auf dem Boden wieder weg. Dann ging es zurück in die Haupthalle. Am Boden lagen immer noch die Schlafenden. Alles hatte geklappt. Doch da stockte Orvalio.
»Die Tür ist weg!«
»Was?«
Korandino sah prüfend auf die Wand, doch nirgends war eine Spur der Eingangstür zu sehen.
»Magie!« behauptete er.
»Stimmt«, pflichtete Corvelian bei, »das wird aber nur ein paar Augenblicke dauern. Es ist nur eine simple Illusion.«
Routiniert sprach der Magier einen Illusionen zerstören.
»Die Tür ist immer noch da«, stellte Korandino fest, als Corvelian endete. Der Magier fluchte.
»Ich muß wissen, daß es eine Illusion ist«, brummte er, »Das weiß ich. Aber wo ist sie? Odem Arcanum Senserei, weht da ein Hauch von Zauberei?«
Er starrte auf die Wand.
»Band und Fessel dich umringt...«, begann eine weibliche Stimme hinter ihnen. Korandino und Orvalio drehten sich um. Desatinava schritt langsam um sie herum. Sie war nackt und ihre bloßen Füße verursachten kein Geräusch auf den von unten geheizten Bodenfliesen.
»Eine Hexe«, zischte Korandino.
»Und was für eine hübsche«, fügte Orvalio bewundernd hinzu.
Sie zwinkerte ihnen zu, setzte jedoch ihre Runde fort und sprach weiter: »...und in meinen Bannkreis zwingt.«
»Paßt auf, sie wirkt dunkle Magie«, warnte der Magier, der seine Untersuchung der Wand beendet hatte.
»Warum schläfst du nicht wie die anderen?« wollte Korandino wissen.
»Was wäre das für eine Hexe, die bei Levthans Treiben einschläft?« antwortete sie kryptisch.
Corvelian fluchte herzhaft.
»Ihr beiden Trottel, laßt mich durch.«
Doch es war schon zu spät. Corvelian trat vor, prallte aber von einer unsichtbaren Barriere zurück.
»Du Hexe, was hast du getan?«
»Ich hoffe, ihr habt heute nichts mehr vor. Es gibt da ein paar Leute, die noch Fragen an euch haben.«
Nun warfen sich alle drei gegen die unsichtbare Barriere, doch sie konnten nicht hindurch. Seelenruhig ging Desatinava zu einem Stuhl an der Hallenwand und nahm ihre abgelegte Kleidung wieder an sich. Dann kehrte sie zurück. Corvelian schäumte vor Wut.
»Na warte. Wenn wir deinen Zauber nicht brechen können, müssen wir dich eben töten. - Ignifaxius Flammenstrahl!«
Doch sein Flammenzauber kam nicht zur Geltung, da die Hexe den Kampfzauber störte. Sie lachte sogar! Dann zog sie es aber doch vor, sich außer Reichweite des Magiers zu begeben. Wozu sich auch mit ihm abgeben?
Gegen Abend ließ die Wirkung des Zaubers nach. Büttel des Signors von Elmantessa standen bereit, die Einbrecher abzuführen.
»Sie unterstehen natürlich Eurer Gerichtsbarkeit«, versicherte der Büttelhauptmann, »doch auf Aurandis werden wir sie besser festhalten können. Wir haben Zellen und Ketten dort.«
Aischa, die Hochgeweihte des Tempels, nickte. »Ketten und Möglichkeiten, diese Frevler zu fesseln, haben wir auch. Aber Ihr habt recht, auf Aurandis sind sie besser aufgehoben. Wenn wir über sie richten, werden wir sie kommen lassen. Habt meinen Dank einstweilen.«
Nachdem die Büttel abmarschiert waren, wandte sie sich an die vier, die den Diebstahl des heiligen Buches vereitelt hatten.
»Die Göttin schaut mit Wohlgefallen auf Euch herab. Ihr habt Euch eine Belohnung verdient. Was kann ich Euch nur geben?«
»Der Segen Rahjas ist mir Belohnung genug«, versicherte Helaya etwas steif. Firman nickte zustimmend. Der Jäger war kein Mann, der große Reden schwang.
»Ich denke, wir werden uns noch zu zweit näher unterhalten. Es gibt für uns beide viel zu lernen«, sagte Desatinava mit einem tiefgründigen Lächeln.
»Ich kam eigentlich her, um mir ein Pferd zu kaufen. Vielleicht könnt Ihr mir bei der Auswahl helfen?« bat Flarion.
Aischa Khabladija war überglücklich und strahlte über das ganze Gesicht. Selbst Geweihte sind froh, wenn sie nicht in den Tempelschatz greifen müssen, um Helden auszuzahlen. Sie ließ es sich aber nicht nehmen, Flarion ein Pferd zu schenken. Die bescheidenen Retter wurden zumindest mit einem Ring ausgezeichnet, der Rahjas Symbol trug, auf daß man sie erkenne als solche, die Rahja zu Diensten waren.
Am nächsten Morgen verabschiedete Aischa ihre Gäste, die sich im morgendlichen Lichte des Praiosmals auf den Heimweg machten.