Briefspiel:Königsturnier/Kellerflüstern
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Die Briefspielhandlung Kellerflüstern beschreibt das Treffen von fünf Frauen und Männern im Vorfeld des Königsturniers von 1038 BF und deren Planungen, einen besonderen Verlauf des Lanzenreitens zu bewirken. Ihre Handlungen gipfelten schließlich im Angriff auf den Erzherrscher.
Arivor, 18. Rahja 1038 BF, Stadtteil Morgunora
Die Straßen von Arivor und besonders die von Morgunora waren an diesem Abend voll. Seit Tagen schon kamen aus allen Himmelsrichtungen Gäste zum diesjährigen Königsturnier in die Stadt und ließen Herbergen, Tavernen und Kellerlokale anschwellen. Auch mancher, nicht nur der Rondra zugetaner Turnierstreiter, wollte die noch ungefährlichen Stunden dafür nutzen, um dem Rahjengetränk zu frönen.
Überall auf den Straßen hatten Ausrufer, die Kostproben von Wein an die Passanten ausschenkten, Gäste in die Kellerlokale zu locken versucht. Zu fortgeschrittener Stunde näherten sich nun zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau, einem Ausrufer mit hellroter Gewandung, der südlich des St-Rahjalina-Tempels gen Stadtmauer vor einem Kellerlokal stand. Mit verblassenden Farben war ein Mann an die Wand gemalt, der mit traurigen Augen einen Weinkelch in die Höhe reckte.
Eines der Augen des Ausrufers verengte sich, während das andere, von eingefallenem Lid halb bedeckt, die sich Nähernden zu ignorieren schien. „Kostet vom Wein, Signori. So köstlich vermag man in nur im traurigen Trinker zu schmecken!“ Der Mann, schmal und bärtig, neigte dankend den Kopf, bevor er nach einem Kelch griff. Er verzog nur kurz das Gesicht. Der Wein war sauer. „Ein Geschmack, der das Herz dieser Stadt widerspiegelt. Bitte, Freund, weist mir den Weg, wo ich solche Sinneseindrücke vertiefen kann!“
Im Inneren des Lokales, am Fuße einer ausgetretenen Treppe, sorgte ein leidlich begabter Leierspieler für Musik. Allerdings waren die meisten Gäste ohnehin schon zu betrunken, um die Füße zum Tanz zu erheben. Kein Wunder, würden sie sonst von dem Wein kosten, dachte der neue Gast und bedeutete seiner Begleiterin, dem Ausrufer zu folgen, der am hinteren Ende des Raumes in einen Gang bog. Ein paar glasige Blicke folgten ihnen, aber der Mann war sicher, dass keiner von sich in einigen Augenblicken an sie würde erinnern können. Ein Vorzug des Weins.
Einige Zeit später, die drei hatten einen Weinkeller durchquert, in dem zu solch später Stunde noch immer ein Winzer zu arbeiten schien, der sie mit wachsamen Blicken verfolgte, standen sie vor einer niedrigen, schmucklosen Holztür. Der Ausrufer verneigte sich und wies auf die Tür. „Der Herr erwartet Euch, bitte entschuldigt mich, während ich nach weiteren Suchenden sehe.“
Die beiden tauschten einen Blick und schritten nun durch die niedrige Holztür. Dahinter erwartete sie Dunkelheit, von wenigen Kerzen in der Mitte kaum erhellt. Der Raum mochte kreisförmig sein, so ließ zumindest der Blick an die Wände erahnen, die an Boden und Decke eigentümlich nach innen gewölbt waren. Er war überdies ungewöhnlich groß.
Neben der Tür waren zwei steinerne Bänke zu finden, deren Rückenlehne allerdings in den Raum hinein, während die Sitzfläche zur Wand wies. Noch während sich der Mann setzte, hörten beide, dass an der anderen Seite des Raumes eine Tür geöffnet wurden. Ein Blick über die Schulter zurück verriet nur das Flackern der Kerzen, dahinter war Dunkelheit. Aber die Stimme, die sie nun hörten, hätte auch ihnen gegenüber sitzen können.
„Nach der Ersten Schlacht von Arivor waren viele in der Stadt mutlos in der Niederlage, manche suchten wütend nach neuem Blutvergießen, aber einige wenige, darunter auch meine Vorfahren, hielten es für weise, einen Platz zu haben, wo man sich ungesehen und ungehört vor den Garethern beraten kann. Es scheint mir nur passend, dass wir heute diesen Ort wieder verwenden, um über jene zu reden, die sich in unseren Tagen die Herrschaft anmaßen.“
Der Bärtige beugte sich zu seiner Begleiterin und raunte. „Eine Flüstergalerie. Außergewöhnlich!“
„Ah, ein gelehrter Mann, ich applaudiere Euch.“ Die Stimme am anderen Ende des Raumes schien sie so deutlich flüstern zu hören, wie sie ihn. „Eure Weisheit mag uns noch von Nutzen sein. Aber warten wir, bis auch die anderen eingetroffen sind!“
Es dauerte nicht lange, bis die beiden erneut das Öffnen einer Tür vernahmen, dicht gefolgt von einer weiteren. Die Geräusche mochten von überall her kommen.
Die Begleiterin
Die Frau war dankbar für das weite, dunkle Cape unter dem nicht nur ihre Gestalt sondern auch ihr auffallend helles Haar zur Gänze verschwand.
Ein Gespräch, welches sie vor einigen Wochen mit ihrem Begleiter geführt hatte ging ihr durch den Sinn. „Sicher, ich gebe euch da völlig Recht.“ Waren ihre Worte gewesen. „Man muss Missstände in einer Gesellschaft aufzeigen. Wie sollte sich denn ein altes, überkommenes System erneuern können, wenn niemand daran Anstoß nimmt? Lasst es mich durch eine Metapher verdeutlichen: In einer wohlgewässerten, grünen und blühenden Wiese kann ein kleiner Funke kein Feuer entfachen. Erst wenn das Gras bereits verdorrt ist, wenn die Steppe darbt, dann entsteht ein Buschbrand und zumeist ist danach der Boden fruchtbarer als zuvor. Ich verdamme den Mann mit der Fackel nicht, mein lieber Freund, ich bewundere ihn für seinen Mut.“
Ihr lieber Freund war ob dieses Lobes ein wenig errötet und hatte ihr versichert: „Ich habe nichts getan, was Ihr nicht hättet auch tun können. Verstand und Intellekt, das sind unsere Gaben. Wir sind auch nicht die einzigen die so denken, wir haben mehr Gleichgesinnte als Ihr ahnt. Ich würde Euch gerne mitnehmen zu einem Treffen, ich bin mir sicher Ihr würdet es sehr aufschlussreich finden.“
Sie hatte gründlich darüber nachgedacht und letztendlich zugesagt. Nun war sie hier, in diesem abgedunkelten Kellerraum mit der ausgeklügelten Akustik. Tief in ihren schwarzen Umhang gehüllt. Außer ihrem Begleiter wusste wohl niemand, wer sie war, genau wie sie keine Ahnung hatte, welche anderen Gäste anwesend waren. Die ganze Situation war umweht vom Nimbus des Geheimnisvollen und Verbotenen. Leise lächelte die verhüllte Dame in sich hinein, sie fühlte sich aufgeregt und angespannt, aber auf eine angenehme Art und Weise. „Lebendig“ war das Wort, das ihr durch den Sinn ging, kein schlechtes Gefühl und lange vermisst. Nun, sie würde sich anhören, was hier besprochen wurde, sich wie immer alles genau durch den Kopf gehen lassen und sich dann ein Urteil bilden, sie war zu sehr Verstandsmensch, als sich von ihren Gefühlen mitreißen zu lassen, auch wenn diese angenehm waren.
Der Kapuzenträger
Verwirrt von den eigentümlichen Lichtverhältnissen sah sich auch ein weiterer Besucher im Raum um. Beinahe wäre der in einen weiten Kapuzenmantel gehüllte Mann im Halbdunkel gestolpert, denn erkennen konnte er nicht mehr als Schemen. Glücklicherweise hatte er sich korrekt an die Worte erinnert, die ihn sein Bekannter zu sprechen eingeschärft hatte, sodass er schließlich den Weg in den seltsam gekrümmten Raum gefunden hatte.
Dies war ohne Zweifel der bisherige Höhepunkt der Erlebnisse, die er seinem neuen Bekannten zu verdanken hatte. Welch merkwürdige Verkettung von Ereignissen! Vor zwei Jahren hatte man ihm endlich einmal einen Auftrag gegeben, bei dem jedoch ein Erfolg beinahe ausgeschlossen war. Doch unverhofft kreuzten sich dabei seine eigenen Wege mit denjenigen eines sehr interessanten Mannes, mit dem er alsbald regelmäßig verkehrte.
Ein gelehrter und gebildeter Mensch war das, das war ihm sofort klar gewesen. Sein Bekannter wusste nicht nur kluge und spannende Dinge zu erzählen, sondern erkannte auch in ihm Talente! Ihm, dem man so selten wirklich Beachtung schenkte, den auch die Familie kaum zu brauchen schien, hatte der gelehrte Herr ihm eine bedeutsame Zukunft vorhergesagt. Er hatte ihm von Pfaden abseits der offensichtlichen erzählt, auf denen nur die Erstgeborenen eine Rolle spielen können. Viele einflussreiche Kontakte habe er, zu angesehenen Personen und zu geheimen Logen. Diese könnten ihm helfen, wie auch er ihnen von Nutzen sein mochte.
Nun, er war klug genug zu wissen, dass Vorsicht angebracht war. Denn oftmals führten Menschen, die in solchen okkulten Kreisen verkehrten, auch Böses im Schilde. Man würde sehen. Einstweilen hatte dieser geheimnisvolle Mann jedoch sein Interesse geweckt. Solange er ihm ermöglichte, einen Einblick in diese Halbwelt von verschwiegenen Zirkeln und Geheimniskrämerei zu erhaschen, war er nur zu dankbar für die Ablenkung vom langweiligen Alltag. Und dieser Abend versprach schon jetzt, eine besonders gute Ablenkung zu werden…
Wirklich, wirklich interessant. Grade gingen ihm nun der Ausrufer und sein lädiertes Auge nicht aus dem Kopf. Sicher, Versehrte hatte der Krieg viele hinterlassen, und dennoch fragte der Mann sich, welches Schicksal diese bedauerliche Erscheinung wohl ereilt hatte.
Er beschloss, sich zunächst einmal einfach zu setzen. Hüte deine Zunge, aber rede, wenn du gefragt wirst, hatte der Bekannte ihm geraten. So wollte er es dann auch halten. Neugierig tastete er an der Wand, um in Erfahrung zu bringen, wie wohl der Raum nach oben hin weiterginge. Doch kaum war er auf Kopfhöhe angekommen, öffnete sich erneut eine Tür.
Die Reiterin
Eine Frau in guter Reitkleidung stand in einem Hauseingang und blickte hinüber zum traurigen Trinker. Ein breitkrempiger Hut bedeckte ihren Kopf, um die helle Haut vor der sommerlichen Sonne zu schützen. Sie beobachtete den Ausrufer nun schon seit einigen Augenblicken, hatte sich aber noch immer nicht entschlossen, ob sie sich ihm nähern sollte. Die Anweisungen in dem Brief, den sie vor einiger Zeit erhalten hatte, waren deutlich gewesen und waren nicht Anlass ihres Zögerns. Sie spähte wieder einmal die Gasse entlang, die alles andere als Menschenleer war, konnte aber kein bekanntes Gesicht erkennen – zu ihrer Erleichterung. Sie hatte ohnehin geglaubt, dass die Reisegruppe, mit der sie nach Arivor gekommen war, sich nicht hierher verirren würde. Aber glauben war bekanntlich nicht wissen. Kopfzerbrechen machte ihr ohnehin eher ihr Bruder. Sie hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, wusste aber, dass er ebenfalls auf dem Turnier sein würde. Sie hoffte nur, dass er Anderes zu tun hatte, als so kurz vor Turnierbeginn dem Wein zuzusprechen. Sie nahm den Handspiegel aus ihrer Gürteltasche, den ihr die Dienerin gegen ihren Widerstand zugesteckt hatte und verzog verdrießlich das Gesicht, bevor sie sich die Hutkrempe in eben jenes zog. Mit einem heftigen Ausatmen überquerte sie schließlich die Straße.
Der Bärtige
Zum dritten Mal hatte sich eine Tür geöffnet und der Bärtige lächelte in der Dunkelheit. Sie waren alle gekommen. Nun erschallte die Stimme, die ihn und die verhüllte Dame begrüßt hatte, erneut. „Damit sind wir versammelt.“
Der Bärtige konnte wenig über den Sprecher sagen, er war sich lediglich darin sicher, dass es sich bei diesem um einen Mann handelte.
„Über uns bereitet sich die Stadt auf das vielleicht größte Königsturnier seit der Wiedereinrichtung nach dem Kriege vor. Es wird gefeiert und getanzt, in Vorfreude auf noch weit größere Spektakel im Lanzengang. Die Rondrianer reden von Tapferkeit, Ruhm, Kampfesmut – in Wahrheit dürstet der Popolo hier wie andernorts nach Ablenkung von seinem trüben Dasein. Nach dem Brechen von Holz, dem Wiehern von Pferden, dem Geräusch von Stahl auf Stahl und dem Tropfen von Blut in den Sand des Schwerterfelds!“
„Und – muss es uns wundern?“ Die Frage hallte durch den dunklen Raum – nur das Flackern der Kerze gab eine unbestimmte Antwort.
„Während die reichen Weinbarone und die hochedlen Schwertadligen in Arivor und auf ihren Burgen sich im Ruhm vergangener Taten und dem Reichtum, den andere erarbeitet haben, suhlen, darben die guten Leute auf dem Lande.“
„Das Spektakel, nachdem sich der Popolo sehnt, wird in diesem Jahr nach unserem Willen aber ein anderes sein!“ Die Stimme war etwas lauter geworden, dennoch ließ sie der Hall des Kellerraumes eigentümlich hohl klingen.
„Heuer zielt unsere Lanze nicht darauf, den Schild der Pflücker und Wanderarbeiter zu stechen, um die Trübsal des Popolo zu lindern. Unsere Lanze zielt auf das Herz Arivoriens! Auf ihre Hybris, die sie an gottgegebene Tapferkeit glauben lässt. Wir werden beweisen, dass nicht allein Rondrens Mut oder Mythraels Wut zum Siege führen.“
Dieses Bild von der Lanze. Ist der Mann selbst ein Krieger? Der Bärtige grübelte. Es war weise, einander nicht zu kennen, aber er hatte die Neugier auch in dieser Angelegenheit nie ablegen können.
„Stattdessen soll einer der Unsrigen in sieben Tagen auf das Podest am Schwerterfeld steigen und die höchsten Ehren vom greisen Erzherrscher und vom grünen Drachenkaiser in Empfang nehmen! So wollen wir das ‚stählerne Herz‘ zum bluten bringen!“
„Ich habe Euch hier zusammengerufen, weil unsere Freunde mir berichten, dass ihr alle über Fertigkeiten verfügt, die uns bei diesem Ziel unterstützen können. Meisterliche Lanzenreiter sind mit uns im Bunde. Doch nun lasst mich hören, wie ihr unserer Sache zu helfen wünscht!“
Die Begleiterin
Der Sprecher hatte auf jeden Fall eine rhetorische Ausbildung genossen, denn seine Worte waren wohldurchdacht und mit passend modulierter Stimme vorgetragen. Sogar sie, als gebildete Frau, ertappte sich dabei, wie sie, mitgerissen von seinem Plan, darüber nachsann effektiv mitwirken zu können. Doch ihre angeborene Vorsicht ließ sie zögern. Auf den Punkt gebracht wollte man den Sieg des Turniers manipulieren. Das hieße man würde in Zukunft einen Vertrauensmann im direkten Umfeld des Horas selbst haben. An und für sich eine gute Sache, aber wer genau war „man“? Und würde dieser Einfluss auch in ihrem Sinne genutzt werden? Sie vertraute ihrem Freund, ohne Frage, aber dieser – zugegebenermaßen - charismatische Sprecher war ihr fremd.
So beugte sie sich nahe an das Ohr ihres Begleiters und flüsterte möglichst leise um die seltsame Akustik des Gewölbes zu narren: „Ein ambitionierter Plan, der, sollte er gelingen, Einfluss an höchster Stelle garantiert… vertraust du unserem Gastgeber?“
Der Bärtige
Der Bärtige lächelte ein unsichtbares Lächeln. Die Akustik würde die Worte der Frau fortgetragen haben, hätte die Kapuze ihres Umhangs diese nicht verschluckt.
"Vertrauen ist die Grundlage mancher, wertvoller Bekanntschaften. Aber sie ist nicht die einzige Grundlage für eine Zusammenarbeit."
"Zudem setzt unser Unterfangen es gewissermaßen voraus, dass wir nicht allen jenen, mit denen wir zusammenarbeiten, auch tatsächlich bekannt sind."
Ein Luftzug verriet, dass er mit einer Armbewegung den Raum umfasst haben mochte.
"Es ist der Glaube an unsere gemeinsame Sache, der uns heute hier zusammengerufen hat. Und ich habe Vertrauen in unsere Sache."
Der Kapuzenträger
Der Besucher hatte von diesem Geflüster tatsächlich nichts gehört, doch gingen ihm im Kopf ganz ähnliche Fragen um. Genaueres über den Sprecher wusste er nicht, wenn er ehrlich war, hatte er fast keine Kenntnisse von den Umständen oder Hinterleuten des Treffens. Einzig die wenigen, die sein Bekannter ihm gegeben hatte.
Dennoch – ein Sieger des Turniers von seinen Gnaden, das wäre schon etwas Großes. Ihm gefiel der Gedanke, hier den Lauf der Dinge zu beeinflussen, unbemerkt von den aufgeblasenen, eingebildeten Teilnehmern, denen ihr Ruhm meist viel zu schnell zu Kopf stieg. Und die bei einer Niederlage immer vorgaben, in Rondras Sinne gern dem Besseren unterlegen zu sein, wo doch jeder sehen konnte, dass dies bei fast jedem Einzelnen eine plumpe Lüge war. Ehrgeiz kennt keine ehrbare Niederlage, und Preisgelder und Ehrentitel tragen noch ihren Teil dazu bei.
Er spürte, wie sein Herz beim bloßen Gedanken daran, die Stimme zu erheben, schneller schlug. Dennoch fasste er Mut, räusperte sich und sprach, für die Akustik des Raumes vielleicht etwas zu laut. „Gerne würde ich dieser Sache helfen, seid dessen gewiss. Ihr berichtet, dass bereits vortreffliche Streiter für unsere Ziele kämpfen. Ich frage mich daher, ob es womöglich besser wäre, den anderen Teilnehmern gewisse Steine in den Weg zu legen, um unseren Freunden wie von selbst zum Siege zu verhelfen.“
Nach einer kurzen Pause sprach er dann etwas ruhiger weiter. „Nach allem, was ich weiß, ist die erfolgreiche Teilnahme an einem Tjost eine diffizile Angelegenheit. Nicht nur Edelmann, sondern auch Ross und Rüstzeug müssen in einwandfreier Verfassung sein. Bereits kleinste Fehler oder Veränderungen, ein Unwohlsein oder eine Nachlässigkeit mögen hier den Ausschlag geben. Ich würde daher raten, gewisse, aussichtsreiche Streiter in irgendeiner Weise aus dem Tritt zu bringen.“
Gastgeber und Bärtiger
Ein leises Lachen durchdrang den Kellerraum, bevor die Stimme des "Gastgebers" antwortete.
"Jene Gedanken beweisen, dass man Eure Fähigkeiten nicht unterschätzt hat. Ihr seid hiermit mit der Durchführung oder Planung dieser Überlegungen betraut. Ihr werdet am Abend des zweiten Turniertages eine Reihe von Namen erhalten. Ersteht dafür eine Karte für die Erstaufführung Mundschenk des Krieges im kommenden Jahr und es wird Euch alles Weitere klar werden. Schickt keinen Stellvertreter."
"Wenn wir Eure Überlegungen früher in die Tat umsetzen, dann schöpfen wir vielleicht unnötig Sahne von der Milch: Wer weiß denn schon, ob das Turnierglück nicht bereits vorher gefährliche Tjoster aus dem Sattel hebt und uns damit aus dem Wege schafft?"
Das Fortkommen entscheidet sich zwischen drittem und fünftem Lanzengang, hatte man ihm mitgeteilt. Der Bärtige nickte stumm, als er den Gedankengang des Anderen nachvollzog.
„Doch Wohl und Wehe unseres Anliegens allein auf den Zustand von Lanze und Ross unserer Widersacher zu legen, erscheint zu wenig. Ich bin sicher, dass es noch weitere Vorschläge gibt."
Die Begleiterin
„Eine weitere Ansatzmöglichkeit, um Jemanden aus dem Gleichgewicht zu bringen, ist die Psyche“, erklang eine weibliche, eigenartig dozierend klingende Stimme in der Stille. „Ein Streiter, der davon überzeugt ist zu verlieren, wird das auch tun. Wo ein fester Wille Berge versetzen kann, sind Selbstzweifel und Unsicherheit ein sicherer Garant für eine Niederlage“, führte sie ihren Gedanken weiter aus. Nur um sofort wieder einzuschränken: „Allerdings erfordert ein solches Vorgehen Hintergrundwissen über die mentale Angreifbarkeit einer Person. Beispielsweise kann man einen abergläubischen Menschen, der an Talismane und Vorzeichen glaubt, recht leicht manipulieren. Oder nehmt jemanden, der zu tiefst göttergläubig ist. Hier wäre es von Nöten einen Turniersieg als der Gottheit ungefällig darzustellen, um den Streiter zu demoralisieren.“
Der Gastgeber
Die Schritte von etwas, das schwere Stiefel sein mochten, waren zu hören, bevor die Antwort des Gastgebers erklang.
„Dieses Wissen zu besitzen, ist erstrebenswert. Es zu erlangen muss erst bewerkstelligt werden. Auf welche Weise soll das aber gelingen, ohne uns zu verraten? Kühn dürfen wir sein, aber nicht tollkühn. Seid Euch bewusst, Gefährten, wir handeln den Augen des Horashofes und des Erzherrschers.“
Die Reiterin
Die erdrückende Stille, die der Nachfrage des Unbekannten folgte, bekümmerte die Dame im Reitkostüm eigentlich nicht weiter. Im Gegenteil, es widerstrebte ihr, sich derart exponieren zu sollen. Ein Gefühl, das offenbar auch die übrigen Anwesenden beschlich. Auf der anderen Seite war die Empfehlung – eher vielleicht: die Bitte – der sie hierher gefolgt war, eigentlich Grund genug, die eigenen Vorbehalte zurückzustellen. Zumindest ein Stück weit. Vielleicht war es auch nur die sinistre Umgebung, die ihren Widerspruchsgeist weckte.
Im Stillen verabscheute sie den Hang vieler Ihres Glaubens zu Geheimnistuerei, ihrem Bund mit Finsternis und Schatten. Wenn Ihr Gott auch aus dem Verborgenen wirkte, so war sein Anliegen doch die Befreiung des Geistes und die Schaffung einer neuen Ordnung und Gerechtigkeit. Freiheit, Ordnung und Gerechtigkeit würden seine Diener aber nicht in finsteren Hinterzimmern, düsteren Spelunken und rottenden Ruinen finden. Sie gehörten in die Salons der Gesellschaft, die lichten Tempel des Geistes, die Akademien, Institute und Bibliotheken. Die Verfolgung und Unterdrückung über Jahrtausende aber hatte die Ihren das Licht und die Offenheit fürchten gelehrt. Es war eine Schande.
Seufzend riss sie sich von ihren Gedanken los. Sollte sie das Opfer ihrer eigenen Vorbehalte werden, wäre sie nicht besser als diese alten Narren. So sehr sie die freie Welt des Geistes liebte – erst durch die Tat würde eine neue Freiheit geschaffen. Sie gab sich also einen Ruck, räusperte sich und sprach so leise, dass man ihre Worte ohne das wundersame Wirken des Gewölbes noch kaum in einem Schritt Entfernung vernommen hätte: „Unsere schärfste Waffe sind nicht Schwert, Dolch oder Gift, sondern die Ungerechtigkeit der herrschenden Ordnung und die Ungeduld der Menschen. Ich würde raten, nicht allein auf Gewalt und Hinterlist zu vertrauen. Sondern auf die Verlockungen der Freiheit und der Gerechtigkeit, wie nur unser Herr sie den Menschen bieten kann.“
Sie zögerte eine Sekunde, schwankend, wie weit sie sich vorwagen sollte; das Unverständnis, das sie im Raum zu spüren glaubte, bewegte sie jedoch dazu, den Sprung zu wagen. Sie hatte sich vorgewagt, jetzt konnte sie nicht stehen bleiben. Und so sprach sie denn weiter, langsam, als ob ihre Worte sich über einen unsicheren Grund bewegen würden, der sie jeden Augenblick verschlingen könnte:
„Finden wir also eine Seele, die auf Ihn wartet. Eine Seele, die wir aufrichten, die wir zu Ihm und in seinem Namen zum Sieg führen können. Oder die sein Werkzeug sein soll, um einem Streiter seiner Wahl den Weg zum Sieg zu ebnen.“
Der Bärtige
Der Bärtige lächelte über die Frage des Gastgebers. Endlich etwas, was meinen Talenten entgegenkommt. Unterdessen hatte die andere Frau einen Vorschlag gemacht, der ihm einen Schauer der Vorfreude bereitete. Wo so viele Gefährten wachen Geistes und einträchtigen Sinnes beisammen waren – was war da zu erreichen, was nicht anzustreben?
Doch erst galt es, den Einen zu finden, dem man Stärke bescheren wollte und diese Vielen auszuwählen, denen es Schwäche einzuflößen galt.
„Wenn sich ein Hund am Ohr kratzt, denken alle an Flöhe. Wenn sich eine Katze über das Fell leckt, denkt jeder an geschmeidiges Fell und sanfte Bewegungen – die Flöhe sind vergessen. So gibt es auch unter den Menschen jene, die fragen können, wie die Katze sich das Fell leckt. Weil es in ihrer Natur liegt.“
Der Bärtige hob die Stimme. „Während Ihr unter den Streitern nach einem Funken suchen wollt, Gefährtin, den Ihr schüren könnt, will ich nach jenen Abgründen suchen, in die keiner ein Licht dringen lassen möchte.“
Damit wandte er sich an seine Begleiterin. „Wenn Ihr mir helfen wollt, werden wir jene fragen, die vieles sehen, aber nicht gesehen werden und mit jenen sprechen, die dies gerne tun.“