Briefspiel:Stille Wasser/Akt Ig

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Übersicht   Prolog   Akt I   Akt II   Epilog  
Graue Himmel und Grablegen   Ankunft im Regen   Albträume im Bergfried   Testamentsverlesung und Verlesungen im Testament   Auslegungssache   Suppengenuss   Suppensucht   Suppengift    

Gregoran Gabellano

Gregoran tauchte den Löffel ein letztes Mal in seinen Teller, führte ihn an seine Lippen und schluckte – geräuschlos – den Rest der Zuppa hinunter. Er dachte langsamer auf leeren Magen und es galt bei all diesen Verwicklungen und Vorschlägen die Gedanken beisammenzuhalten, wollte man eigene Argumente vorbringen. Er hatte sich bisher aber auch deshalb zurückgehalten, weil sein Neffe der Primogenitur folgend einen eher theoretischen Anspruch auf das Erbe vorzuweisen hatte. Aber nun, da der letzte Wille der Verstorbenen sich offenbar nicht weiter an den Traditionen störte – und sogar der Dorfadel Ansprüche anmeldet, dachte er mit einem Schmunzeln über den Rand seines Weinkelches in Richtung des jungen Kaltrek – war es an der Zeit eigene Vorstellungen geltend zu machen. Ein wenig befriedigt war er nun, aber noch nicht gestärkt und ein Blick auf die anderen Suppenesser verriet ihm, dass seine Geschwindigkeit nicht von jedem geteilt wurde. Zudem, so vermutete er, würde vor den weiteren Gängen noch der ein oder andere glühende Appell für Ansprüche und Eignung der eigenen Person oder Familie zu hören sein, was seiner Sättigung ein weiteres Mal im Wege stünde. Daher blickte sich Gregoran suchend nach der Magd um und hob, als er sie gefunden hatte, mit einem entschuldigenden Lächeln seinen Teller etwas an, ein Lächeln, das noch breiter wurde, als sie sogleich begann seinen Teller ein weiteres Mal zu füllen. Zufrieden schlürfend – unhörbar, verstand sich – ordnete der Selsheder seine Argumente.
Er atmete durch und wechselte einen kurzen Blick mit dem voller Begeisterung seinen gepökelten Fisch verspeisenden Erzprior Alexandrian, dessen Glaubenssätze den Verzehr von Gegartem oder Gekochtem verboten. „Nun, werter Signore Horasio, Eure Vorschläge klingen auch für meine Ohren weise. Wiewohl ich nicht darauf warten würde, bis die vorzüglichen Speisen des heutigen Abends den Geist des Rates eher auf Schlaf, denn auf Verhandlungen sinnen lassen.“
„Der Einfachheit halber – und weil ein solcher Schritt im Einklang mit dem letzten Wille der Signora – Boron möge sie segnen – steht, wie mir scheint – würde ich unseren Gastgeber, Abt Olwid, als Vorsitzenden des Erbenrates vorschlagen. Sein Erbverzicht und sein Kirchenamt sprechen ihn vom Verdacht eines unbotmäßigen Eigeninteresses frei, wie Ihr mir sicher zustimmen werdet.“ Gregoran warf dem so Angesprochenen einen kurzen Blick zu und lächelte wohlwollend, dann nahm er einen weiteren Löffel Suppe. „Wenn meine Kenntnisse mich nicht trügen, dann wäre zudem Eure Schwester Rahjada geeignet für die Schriftführung, immerhin ist ihre Erfahrung auf diesem Gebiete unwidersprochen!“ Auch der jungen Signora schenkte Gregoran nun einen Blick, nachdem er einen warmen Mundvoll Suppe heruntergeschluckt hatte. „Ob wir indes einen Redeleiter brauchen, möchte ich bezweifeln, wir sind schließlich nicht im Kronkonvent. Und befleißigen wir uns bisher nicht allesamt der nötigen Umgangsformen?“ Der Gesichtsausdruck Horasio ya Papilios verriet ein schwaches Missfallen, wiewohl Gregoran sich nicht sicher war, ob dieses seinen Worten oder der Suppe galt. Letzteres war gleichwohl eher unwahrscheinlich, ein wenig zuviel Salz womöglich, aber die Zuppa mundete zweifellos. Einerlei, die folgenden Worte werden ihm ohne Zweifel nicht schmecken, Gregoran schmunzelte.
„Was nun die Erbschaft selbst angeht, so scheinen mir die Erben an Eloquenz ebenbürtig zu sein, wenn auch bisher noch niemand den weisesten aller Wege gegangen ist. Wenn vier Fuhrwerke auf eine Kreuzzung zuhalten, und keiner der Fuhrleute den anderen den Vortritt lassen möchte, dann wird die Kreuzzung verstopft. Als Gesandter meines Neffen Yarbosco Aurandis, der als Consiliere Fuldigor für seine Kompromissbereitschaft und Schlichterfähigkeiten bekannt ist, unterstütze ich daher den Geist des letzten Willens und das Erbrecht des jungen Signore Boronello.“ Er ließ den Blick über die anderen Gäste schweifen und blieb beim Vogt von Aperinis stehen, der blass geworden war. Nana, mein Junge, du wirst doch wohl Fürsorglichkeit in deinem Leben kennengelernt haben. „Und wenn ich Euch, werter Signore, noch einen Vorschlag machen dürfte, dann verbringt doch einmal einen Winter auf Castello Siltaleni bei meiner Nichte Ilwene. Die Kräuter in den Auen des Arinkel und die von der Küste herüberwehende Seeluft heilt oder lindert manche Krankheit. Signora Ilwene hat vor einigen Jahren bedauerlicherweise ihren Gatten verloren und ist daher für jede Ablenkung von ihrem Kummer und ihrer Einsamkeit dankbar!“ Wenn wir Wanka jetzt nicht kriegen können, dann auch sonst keines der großen Geschlechter, dachte er. Und wer weiß, vielleicht ja in einer Generation, dieser kränkliche Bursche ist doch noch ohne Travias Segen, warum keine Witwe glücklich machen? Wieder setzte Gregoran zu einem wohlwollenden Lächeln an, das allerdings etwas schief geriet, als sein Bauch einen vernehmlichen Diskussionsbeitrag zu leisten wünschte. Zu viel Suppe.

Dozmano Kaltrek

Nachdenklich zwirbelte Dozmano mit der linken Hand seinen Schnurrbart, während die Rechte gedankenverloren in der, nunmehr erkalteten, Suppe rührte, wobei sein Blick langsam über die Anwesenden glitt und gerade lange genug auf jedem verharrte, um keinen Anstoß zu erregen. Kurz zuckte sein Mundwinkel, als es ihm nur schwerlich gelang ein amüsiertes Lachen zu vermeiden, als der Herr Gabellano den armen Boronello erst den sicheren Tod in diesem zugigen alten Gemäuer von einer Feste angediehen hatte und ihn dann noch in die Arme dieser vereinsamten Vettel treiben wollte. Vor seinem inneren Auge stieg das Bild einer Kräuterhexe auf, wie sie in den Geschichten vorkamen, die er in seiner Kindheit so geliebt hatte. Mit krummen Rücken und riesiger Warze auf der Nase, aber überaus mächtig und abgrundtief böse. Meist endeten sie im Feuer oder auf andere grausame Art.
Aber, und das muste man dem guten Gregoran lassen, ein interessanter Schachzug, der die Anderen doch überraschen dürfte. Zu diesem frühen Zeitpunkt die eigenen Ansprüche über Bord zu werfen, war an sich schon sehr provokant, sich diese aber nicht abkaufen zu lassen, nur auf die vage Möglichkeit hin, dass man den jungen Adligen mit einer Heirat an das eigene Haus binden könnte war äußerst riskant. Francidios Versuch die Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen war dagegen fast schon lächerlich. Wen interessierte schon die Wahrheit, wenn es darum ging sich ein Stückchen Land anzueignen.
Dozmanos Blick ruhte nun auf Horasio. Du kleiner schmieriger Gierlappen, dachte er, kannst den Hals nicht voll genug kriegen. Von wegen irgendein verweichlichter Verwandter wird schon als Verwalter herhalten, wenn Ihr mir das Lehen nicht gleich geben wollt. Kurz hatte er überlegt ob er auf dessen Provokationen eingehen sollte, sich dann aber entschieden ihn nur mit einem süffisanten Lächeln zu begegnen. „Ein wahrlich interessanter Lösungsansatz“, mit einem feinen Lächeln nickte er Gregoran zu „wenn ich das so sagen darf. Zudem noch mit einem wohlgemeinten Erholungsvorschlag, den ich nur unterstützen kann. Eine wirklich herausragende Gegend, was diesen Punkt betrifft.“ Er machte eine kurze Pause „ganz im Gegenteil zu hiesigen Gefilden muß ich leider zugeben.“


Praias, der Büttel, und Ilmordro de Maltris

Der Regen prasselte unaufhörlich auf die mit grau-braunem Gras bewachsenen Steine vor seinen Füßen. Obwohl er sich einen Platz an der Mauer ausgesucht hatte, der ihn vor dem Wasser schützte, hatten Wind und nasse Spritzer ihn längst durchgeweicht, sein braunes Haar klebte wie Auenschilf an seiner Stirn. Ihm war kalt und er war hungrig. Es war auch immer das gleiche – Ucuria, diese vom Götterfürsten verlassene Betrügerin, gewann das Boltanwürfeln noch jedes Mal gegen ihn. Zumindest dann, wenn es darum ging, wer bei solchem Wetter auf dem Burgfried Wache zu halten hatte. Barisan hätte das niemals geduldet, dass ich schon wieder hier hoch muss. Ich werde mir noch den Dumpfschädel holen, jawohl! Praias seufzte elend und ließ den Kopf gegen die Steine hinter sich sinken. Nur war Barisan im Dorf, immer noch damit beschäftigt die Kaltrek zu beruhigen – und hoffentlich etwas über den Mord am armen Olweimo zu erfahren. Praias hatte den alten Kaltrek immer gemocht, was er von seinem jungen Sohn, auf den er nur einen Blick im Burghof hatte erhaschen können, halten sollte, wusste er nicht.
Bestimmt essen sie jetzt unten schon die Diankanudeln! Wenn man ihm wenigstens einen Pott mit der Zuppa hochgebracht hätte. Er trappelte wütend mit den Füßen, die sich in seinen Stiefeln klamm und schwammig anfühlten. Dann stutzte er, war da nicht etwas gewesen, ein Krachen oder Pochen. Ja, am Tor! Das Geräusch war jetzt noch einmal zu hören, lauter. Wo ist der verdammte Ardo! Andererseits konnte man dem Alten auch nicht verübeln, dass er sich bei diesen Wassermassen nicht im Burghof oder beim Torhaus aufhielt. Mittlerweile, so vermutete Praias, musste der Graben der Feste über die Ufer getreten sein. Mit einem Mal stieg seine Laune wieder merklich: Jemand musste dem Abt Bescheid geben. Vielleicht ist Barisan endlich aus dem Dorf zurückgekehrt. Schließlich waren alle Gäste eingetroffen. Oder nicht? Ohne diese Gedanken zu Ende zu bringen hastete Praias bereits die Stiege des Burgfrieds hinab. Zuppa! Ich werde Vanossa um einen kleinen Teller bitten. Bestimmt gibt sie mir wenigstens ein Schluck mit dem großen Löffel aus dem Bottich! Sein Lächeln wurde breiter.
Auf der Höhe des Gästetraktes begegnete er Ucuria, die ihn mit spöttischer Miene anblickte. „Na, Praias, ist’s dir zu kalt geworden.“ Sie zuckte die Schultern. „Das nächste Mal gewinnst du bestimmt!“ Praias ließ sich durch das unverschämte Grinsen nicht beirren, sondern räusperte sich und stellte sich gerade vor sie hin. „Jemand ist am Burgtor, Gardistin. Du wirst nachsehen und ich werde den Abt informieren. Er hat mir aufgetragen sofort Bericht zu erstatten, wenn noch ein Gast eintrifft!
Hat er nicht, aber das weiß sie hoffentlich nicht. Er bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht und wedelte mit der Hand, als Ucuria sich zunächst nicht rührte. „Du willst doch wohl nicht, dass ein Gast der hier ankommt um der Signora die letzte Ehre zu erweisen sich in Kälte und Regen selbst den Tod holt, weil du zu faul warst, zum Tor zu eilen, Ucuria!“ Ihre Miene verdüsterte sich. Der empörte Unterton war zuviel gewesen, Praias verfluchte sich innerlich. Dann ächzte die Gardistin, schob sich die Lederkappe aus der Stirn und nahm ihre Waffe an sich. Ohne ein Wort drängte sie sich an ihm vorbei. Mit erleichtertem Seufzen ging Praias in den Rittertrakt hinab. Er erreichte den Treppenabsatz, der ihn zum Ribatsaal führen würde, hielt aber inne, als das Geräusch von Töpfen und Pfannen aus der Küche zu ihm hinaufdrang. Oder doch erst einen Löffel Suppe? Bis sich Ucuria mit ihrem Panzer über den Burghof gequält hat bin ich längst zurück! Praias grinste und eilte den Düften entgegen.

Ausgerechnet Fischsuppe

Mag keinen Fisch - Ilmordro de Maltris

„Ausgerechnet Fisch“, murmelte Ilmordro und ließ den Löffel etwas lustlos in seinem Teller umherstreifen. Er griff nach dem dunklen Brot, das die Magd zuvor auf der Tafel verteilt hatte und aß stattdessen von diesem. Kauend schaute er sich unter den Essenden im Ribatsaal um. Eigenartigerweise hatte er fast Mitleid mit dem Abt, der mit blassem, vor Kummer, ja, Schmerz gezeichnetem Gesicht immer stiller werdend dem Gerede lauschte. Dem Gerede derjenigen, die zu einer Totenfeier angereist waren und jetzt das Fell des bereits erlegten Bären für sich beanspruchten. Von einer Verteilung kann ja keine Rede sein, sieht man einmal vom gabellanischen Vorschlag ab, dachte der Gesandte des Waldes. Und auch der Vorschlag war doppelbödig. Er mochte die Halthera nicht, seine Familie, die de Maltris, war seit Jahrhunderten in Rivalität und Feindschaft mit ihren Wohlgeborenen Nachbarn verbunden. Aber es musste schlimm für den alten Olwid sein, dieser Veranstaltung beizuwohnen. Ismiane war immerhin eine wohltätige Frau. Wenn sie darüber auch ihr Land hatte verkommen lassen. Das Ganze geht sogar soweit, dass der sheniloer Adel in Eintracht mit diesem Francidio, der doch ein Überläufer und Pertakkerfreund ist, was man so hört, um den Tisch sitzt und Suppe löffelt!
„Und ausgerechnet Fischsuppe“, murmelte Ilmordro wieder. Den Blick seines Tischnachbarn auffangend, der ebenfalls kein Freund der Meeresfrüchte – oder in dem Falle wohl Mooresfrüchte, er verzog das Gesicht – zu sein schien, wandte er sich an den Kaltrek. „Verzeiht, wenn ich bisher schwieg, aber ich war zur Trauerfeier für die Herrin von Wanka, nicht eines ihrer Untertanen geladen. Aber ich möchte Euch dennoch meine aufrichtige Bestürzung und mein Mitgefühl für Euren Verlust aussprechen. Ich habe immer nur gut von Eurem Herrn Vater gesprochen.“ Sprechen und denken sollten auch immer voneinander geschieden sein. Er lächelte Dozmano vorsichtig an.

Dozmano Kaltrek

Dozmano lächelte gewinnend, nicht aber ohne ein gewisses Maß der Trauer zum ausdruck zu bringen, zurück. „Ich danke für Eure Anteilnahme und die guten Worte über meinen Vater. Dieser Schicksalschlag hat uns alle überrascht und auch ich bin noch nicht dazu gekommen in angemessener Weise den Verlust unserer Familie zu betrauern. Aber, ich bin mir sicher, mein Vater hätte es so gewollt, nach all dem was die Verstorbene für Wanka getan hat.“ Er seufzte theatralisch, „für Wanka wird eine harte Zeit folgen, nun nachdem diese beiden nicht mehr da sind.“