Briefspiel:Stille Wasser/Akt Ih
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Alexandrian di Selshed, Wardo und Ucuria
Der Efferd-Geweihte legte das Messer mit dem beinernen Griff beiseite und schob sich den Rest des Fisches in den Mund. „Abt Olwid“, sagte er zwischen zwei Bissen, „ich bin beschämt, dass Ihr meine Speisegebote bedacht habt.“ Er deutete mit einer Hand auf seinen Teller und lächelte. „Wiewohl das Reich des Horas den Herren Efferd ehrt ist es mir in all’ den Jahren schon fast zur Gewohnheit geworden, Brot zu essen, während andere Gekochtes genießen.“ Der Abt, dessen Gesicht gegen Ende der Mahlzeit zunehmend bleicher geworden war, so dass es jetzt, unter all den Runzeln, an Birkenrinde erinnerte, setzte zu einer Antwort an, als es an der Tür des Ribatsaales klopfte. Olwid warf einen Blick in Richtung der Haushofmeisterin, die sogleich an die Tür eilte. „Nun, die Ehre gebührt mitnichten mir, Exzellenz. Ich will hoffen, dass die gute Yelaya sich etwas ebenso Feines für den nächsten Gang ausgedacht hat, denn auch das Verspeisen der Diankanudeln würde Euren Geboten widersprechen, habe ich nicht recht?“ Gut, es wäre auch zu einfach gewesen, mit einem Lob seiner Speiseplanungen sein trauriges Gesicht aufzuhellen. Alexandrian war froh, dass wenigstens sein Schwager nicht in die allgemeine Selbstbeweihräucherung eingestiegen war. Wobei mir nicht bewusst war, dass der Arinkel als Erholungsgebiet gilt. Er nahm sich vor, Gregoran auf dessen Kenntnisse anzusprechen. Er holte zu einer eigenen Erwiderung aus, erkannte aber, dass Olwids Aufmerksamkeit jetzt auf Gorrada Altmeister und die Gestalt mit Rüstung und Lederkappe gerichtet war, mit der die Haushofmeisterin an der Tür sprach. Schon hatte der ein oder andere Gast seine Speise beiseite gelegt, um den aufgeregten Worten der beiden zu lauschen. „Frau Altmeister“, erhob Olwid schließlich die Stimme und holte dabei hörbar Luft „was macht Ihr so ein bestürztes Gesicht?“ Der Abt konnte seinen Tonfall nicht von einer gewissen Beunruhigung befreien.
Gorrada Altmeister wandte sich um und ihr tiefes Stirnrunzeln verriet, dass es wahrhaft keine guten Neuigkeiten geben würde. Der arme Abt, dachte Alexandrian und griff nach seinem Kelch, um seine trockene Kehle zu befeuchten.
Händezittern
Wardos Hände zitterten. Es lag nicht an der Kälte, denn er hatte in seinem langen Leben schon weitaus Schlimmeres erlebt. Richtig kalt wurde es westlich der Goldfelsen ohnehin selten. Hin und wieder etwas Schnee, aber keine richtige Kälte. Auch Wind und Regen waren zwar unangenehm, aber ließen ihn nicht frösteln. Die Verwunderung auf seinem alten, von Runzeln, Falten und Furchen überzogenen Gesicht hätte einen Beobachter sicher schmunzeln lassen. Wardo war kein Trinker. ‚Ein alter Mann zittert schonmal. Wenn man alt ist, kann man Manches nicht mehr kontrollieren. Dann besser zittern!‘ So hätte es Ucuria vermutlich ausgedrückt. Wardos Verwunderung wurde aber von niemandem beobachtet. Obwohl er nicht alleine war. Das wusste der alte Knecht. Sonst hätten seine Hände nicht gezittert.
Also hatte er regungslos im Hof gestanden, verborgen von Regen und dem Schatten des abgebrochenen Turms in dem die Grablege der Halthera untergebracht war. Er hatte Barisan und Ucuria nicht helfen können, als sie die beiden hineingetragen hatten. Er war immer noch stark, trotz seines Alters. Daran hatte es nicht gelegen. Aber seine Hände hatten gezittert.
In der Nacht bevor die Signora gestorben war, hatten seine Hände auch gezittert. Nur ein bisschen. Weniger als jetzt. Hätte es einen Beobachter gegeben, so hätte er sich über den bekümmerten Gesichtsausdruck des alten Mannes wundern können. Hätte sich gewundert, warum der alte Mann sich nicht bewegte, nicht aus dem Regen verschwand, einen Platz am Feuer suchte. Wardo war nicht glücklich. Ganz und gar nicht. Und es hatte nichts mit dem Wetter zu tun. Ein letztes Mal betrachtete er seine Hände. Dann ging er wieder hinein, zu den toten Halthera. Draußen prasselte der Regen unablässig in den Burghof. Es gab nichts zu tun. Was hätte ein alter Diener auch tun können?
Eine unangenehme Erkenntnis
„Ich fürchte, es hat einen Unfall gegeben, Abt Olwid.“ Die Haushofmeisterin wies mit dem Daumen auf Ucuria, die sich um eine ruhige, aber ernste Miene bemühte. ‚Kein Grund die Gäste zu verunsichern, Ucuria’, hatte Barisan gesagt. Kein Grund? Da war sie sich nicht so sicher. „Wir wissen noch nichts Genaues, Signori, aber Barisan, der Hauptmann der Wache hat die Kutsche der Menaris auf halbem Weg vom Dorf hierher im Regen entdeckt. Offensichtlich hat sie einen Baum gerammt, der Kutscher ist tot, die Pferde verletzt oder ausgerissen.“ Die Stimme Gorradas verriet nichts von dem, was sie noch verschwiegen hatte. Aber der Abt schien etwas zu spüren, denn er hielt an, weiter zu reden. „Die Signora Menaris? Ist sie wohlauf? Und die Kinder? Sie schrieb von Kindern…“ Mach ein grimmiges Gesicht, Ucuria. Diese Adligen wollen nicht sehen, dass du dir Sorgen machst. Sonst machen sie sich auch Sorgen. Doch dafür schien es schon zu spät. Fast alle Gesichter, die sich nun Gorrada und ihr zugewandt hatten, waren bleich und beunruhigt. Der einzige, der bestürzt, aber nicht blass aussah war dieser Arinkener. Wie heißt der noch gleich? Gorrada räusperte sich. „Die Signora Menaris ist nicht schwer verletzt, sie schläft aber jetzt. Die beiden mussten durch den Burggraben schwimmen, die Brücke ist überflutet und hebt sich nicht mehr.“ Sie bemühte sich um eine beschwichtigende Geste. „Barisan hat die Signora jedoch in eine Kammer bringen lassen. Genauso wie ihren Sohn.“ Gorrada hielt inne, blickte zu Boden.
Ucuria konnte es ihr nicht verdenken. Die Gardistin straffte sich und trat vor. „Signore Abt, Haushofmeisterin. Leider fehlt jede Spur von der Amme und dem zweiten Kleinkind. Hauptmann Barisan und ich werden sie suchen gehen. Aber bei diesem Wetter…“ Bei ihren Worten war es ruhig geworden. Ein endlos langer Augenblick verging, bis ein ersticktes Keuchen von Ucurias rechter Seite zu vernehmen war. Mit verkrampftem Rücken hatte sich der schmerbäuchige Selsheder, dieser Gabellano, nach vorne gebeugt und ein Schwall dunkle Flüssigkeit – Suppe? – drang aus seinem Mund. Er hustete und keuchte, während die um ihn herum Sitzenden rasch zur Seite rückten, um von seinem Missgeschick unbenetzt zu bleiben. Ucuria schürzte die Lippen. Es schien als würde sie wirklich bei dieser Sintflut ein Kleinkind und seine Amme suchen müssen, sonst würden hier alle durchdrehen.
Der Abt, der eine Weile seinen Blick auf den keuchenden Gabellano fixiert hatte und dabei unverhohlene Abscheu ausstrahlte, nickte jetzt in Richtung der anderen Gäste. „Bitte entschuldigt mich, aber Ihr werdet verstehen, dass ich nach der Dame sehen muss!“ Olwid, auf dessen Stirn Ucuria jetzt Schweißperlen ausmachen konnte, schob seinen Stuhl zurück und machte Anstalten, sich zu erheben. Nun selbst beunruhigt, sah Ucuria, dass der Geweihte Mühe beim Aufstehen hatte. Er wirkt so robust, aber er ist ein alter Mann, dachte die Gardistin noch, als Olwids Rechte zitternd hervor schoss und sich an der Tischkante festklammerte. Ein Stöhnen kam über seiner Lippen und schon war dieser Efferdianer auf den Beinen, ihn zu stützen. Nun eilten auch Andere herbei, die Haushofmeisterin trat zu Olwid, der kraftlos zusammensackte. Währenddessen stand sein Neffe Boronello schwankend auf, sein Atem ging keuchend. Mit einem großen Schritt war Ucuria bei ihm, blickte in das hagere Gesicht mit den kleinen Augen, die sie jetzt weit aufgerissen anstarrten. „Mir ist nicht wohl.“ Ein Stöhnen, dann brach auch Boronello Halthera zusammen, eine schwärzliche Flüssigkeit sickerte aus seinem Mund. Ucuria fluchte, fluchte, bis sie sicher war, dass der Halbgott, dessen Namen sie trug, von der Blasphemie aus seinem alveranischen Palast hinabgestürzt werden würde. Umso besser, vielleicht wüsste der, was diese Scheißdreck hier soll?
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