Der Schacht
Das Briefspiel Der Schacht handelt von der wirtschaftlichen Erschließung der bis dahin ungenutzten Eicheninsel, die durch die Entdeckung und Ausgrabung eines eigenartigen Schachtes kompliziert wird.
Teil 1
- Sewamunder Seewind: 2. Rahja 1031 BF - Beteiligte: Novacasa, Van Kacheleen, Continio
...
67. Tag: Beginn der Entwässerung
68. Tag: Ankunft von Raka di Mhoremis
73. Tag: Fortsetzung der Ausschachtung
Teil 2
- (diese Seite) - Beteiligte: Novacasa, Vesselbek
Personen
Haus Novacasa
- Jacop Rahjamor Novacasa, Familienoberhaupt
- Raka di Mhoremis, seine Ehefrau
- Oro Masut, Leibdiener
- Gui La Flor, Advokat
- Kerkimasab und Luan, Söldnerpaar von den Bruderschwestern
Familie van Kacheleen
- Aurelio van Kacheleen, Familienoberhaupt
- Pexje van Kacheleen
- Brunella van Kacheleen
- Travinus van Kacheleen
- Ungalf ter Goov, Hausdiener
- Culried Trachlon, Seemann
- Tassania Kleeblatt, Travinus' Ex-Geliebte, Kontor-Angestellte
- Hlufino Sewamunder, jugendlicher Laufbursche
Familie Continio
- Alfredo Continio, Familienoberhaupt
- Carlo Continio, Mathematicus und Mechanicus
- Francesco Continio, Trunkenbold und Unruhestifter
Familie dilli'Kathoren (Teremon)
- Grikolokos dilli'Kathoren, Familienoberhaupt
Familie Vesselbek
- Ildeberta Molthaus, Matriarchin
- Erlan Vesselbek, vielseitig erfahrener Baumeister und Deichspezialist
- Sverynus (Svenske) Roongstrog, Erlans Meisterknecht, Nostrier
Peraineblume
- Praiostobal Yonnes, Kapitän
- Trischa Polgar, ♥ Matrosin
- Furro Unterweger, Schiffszimmermann
- Farrel, Brutzel, Darius, Leichtmatrosen
Arbeiter/Holzfäller
- Minervé Skeboserin, ♥ Vorarbeiterin
- Sokrato aus Teremon, Holzfäller
- Themisto Thelos, Holzfäller
- Talia Telopulini, Holzfällerin
- Ugdalf Luginger, Zimmermann
Sonstige
- Landrenka Trullinger, Hesinde-Geweihte in Teremon
- Arombolosch Sohn des Torombolosch, Erzzwerg, Bergmann
- Alrik Sturmbringer, Halbelf, Beobachter
- Ingerydos Kyrkandros, Händler in Teremon
74. Tag, Travinus in Not
Schon früh am Morgen ist Travinus van Kacheleen wieder am Schacht zu finden und feuert die Arbeiterschaft an, noch schneller zu graben. Seine Schwester Brunella kümmert sich derweil um den finanziell einträglichen Teil der Expedition: Bäume müssen gefällt und für den Abtransport bereit gemacht werden. Das scheint der junge Held mehr als einmal zu vergessen.
Die Ungeduld des Jünglings geht den Leuten zunehmend auf die Nerven, bis die Vorarbeiterin Minervé Skeboserin sich Widerworte herausnimmt: "Wenn ihr alles besser wißt, dann macht es doch selbst!" Das läßt Travinus sich nicht zweimal sagen und nimmt den Platz am Grund ein. Er buddelt und wühlt, begierig endlich das zu finden, was auch immer er zu finden erwartet. Unglücklicherweise ignoriert er in seinem Übereifer die Hinweise von Minervé, Arombolosch und anderen Professionellen, und Brunella ist anderweitig beschäftigt. So geschieht, was womöglich geschehen mußte: Mit einem dumpfen Geräusch sackt das untere, zu wenig gesicherte Ende des Schachtes zusammen. Ein Stützbalken löst sich und stürzt auf Travinus herab, der blutend zusammensinkt und von weiter nachrutschendem Erdreich begraben wird. Zum Glück ist die Panik nur kurz, denn Brunella eilt herbei und übernimmt das Kommando. So kann Travinus schließlich gerade noch lebend aus seiner bedrohlichen Lage gerettet werden.
Ein studierter Medicus ist nicht vor Ort, aber immerhin reichen die versammelten Kenntnisse der Anwesenden aus, um Travinus' lädierten Dickschädel und andere Knochen wieder einigermaßen zu richten. Er wird wohl beizeiten wieder zu Bewußtsein kommen, aber in der Zwischenzeit faßt Brunella einen Entschluß: Dieser Irrsinn muß ein Ende haben, denn der Verlust eines Angestellten wäre schlimm genug, aber den Verlust ihres Bruders will Brunella auf keinen Fall weiterhin riskieren. Wie konnte sie sich nur breitschlagen lassen, Travinus damit durchkommen zu lassen?
Entschlossen geht die Kaufherrin zur Edlen von Mylamas. Raka di Mhoremis hat den Unfall gebührend und mitfühlend zur Kenntnis genommen und sich ansonsten darauf beschränkt, niemanden bei der Rettungsaktion im Wege zu stehen, sich im Schatten zu halten und sich anscheinend kaufmännisch nutzlosen Tätigkeiten hinzugeben.
"Wir kündigen," sagt Brunella und erklärt, daß sie die feste Absicht habe, ihre Familie aus dem Schacht-Projekt zurückzuziehen. Beide Damen sind zeichnungsberechtigt, und Raka ist gern bereit, sofort Brief und Siegel hervorholen zu lassen, tut das dann auch und hat bereits das für diesen Fall vorbereitete, einfache Formular signiert, da wird Brunella mißtrauisch. Das geht zu einfach. 'Gemäß den Bedingungen des Vertrages...' Was heißt das? Sie nimmt sich noch einmal den Vertrag vor und sieht die Summe der für diesen Fall vorgesehenen Konventionalstrafe. Öha. Saftig! Theoretisch könnte sie das vor dem Familienoberhaupt verantworten, aber nur theoretisch. Verdammt! Diese auch hier in der Wildnis völlig unpassend blumig und flitternd aufgeputzte Salondame mit ihrem charmanten Lächeln und dem freundlichen und überaus entgegenkommenden Habitus hätte sie eiskalt ins finanzielle Messer laufen lassen! Brunella versucht zu feilschen, aber darauf läßt sich Signora Novacasa nicht ein: "Wir sind gänzlich auf Eurer Seite, was die Sorge um Euren kühnen Bruder angeht und würden Uns mit Freuden in den Ruin treiben, um ihn zu retten. Aber da letzteres bereits gelungen ist, geht es nur noch um eines: Pacta sunt servanda. Unser Gatte und vor allem unser Advokat würden uns finanzielle Eskapaden niemals verzeihen, und Wir sind auch gänzlich inkompetent, derlei Feinheiten auszuarbeiten und zu verantworten." Da hat Brunella mehr Zweifel als je zvor, ist aber zu höflich, um sich in dieser Weise zu äußern. Und dann schon wieder Bosparano. Damit ist ihr schon dieser eigenartige Halbelf gekommen. "Verstehe. Ich muß noch einmal über alles nachdenken."
"Aber gern," sagt die Edle von Mylamas. "Vielleicht ein Keks?" Sie reicht mit strahlendem Lächeln eines der zarten Gebäckstücke, aber Brunella lehnt dankend ab und verabschiedet sich.
Nach einigen ziellosen Schritten hierhin und dahin setzt Brunella sich schließlich an den Strand und richtet ein Gebet an Phex und Efferd, ihr doch jemanden zu schicken, der willens und fähig wäre, das Problem zu lösen.
- Erlan Vesselbek war eilends von der Absicherung des provisorischen Deichs zur Rettungsaktion am Schacht gerufen worden. Sein handwerkliches und planerisches Geschick steht dem des Zwergen kaum nach. Auch nach der Rettung von Travinus gibt es noch etliches an Arbeit, um den eingestürzten Teil wieder freizulegen und abzustützen. Doch bald ist das Wichtigste getan, Meister Arombolosch ist nun mal der Kundigere im Löcher graben und seine Untergebenen sind mittlerweile eingespielt. Sodaß Erlan beschließt sich wieder zurückzuziehen, man kommt hier ohne ihn zurecht.
- Auf dem Weg zur Bucht bleibt Erlan stehen und überlegt kurz. Er späht hinüber ins Zeltlager. Unter einem Sonnendach sieht er den bandagierten Travinus liegen. Alles scheint ruhig und unaufgeregt, da der Verletzte versorgt ist und schläft. Es wäre jetzt angemessen sich nach dem Befinden des Kacheleensprosses zu erkundigen, denkt Erlan. Doch er kann weder Brunella van Kacheleen noch den Leibdiener der Beiden entdecken. Wen könnte er fragen?
- Als er überlegt, wo er suchen könnte, sieht Erlan abseits des Lagers unter einer Eichbaumkrone, das Lager der Edlen Raka di Mhoremis. Diese hat ihn und wohl auch seine Ratlosigkeit bemerkt. So winkt sie ihm zu und zeigt dann zum Strand hinüber. Tatsächlich dort hinten kann er Brunella den Strand entlang gehen sehen. Dankbar nimmt er seinen Hut und schwenkt ihn grüßend zurück, nickt dazu verstehend, um schlußendlich der jungen Kaufherrin hinterherzueilen.
- Da sitzt sie nun auf einem großen Stein und schaute betrübt und irgendwie ratlos auf's Meer. Erlan wollte sich nicht an dieses scheinbare Häuflein Elend heranschleichen. So räuspert er sich schon von Weitem und ruft Brunella zu: "Wie schön, daß ich Euch hier finde, Signora van Kacheleen!"
- Als die Angerufene aufschaut, fährt Erlan fort, während er sich zugleich weiter nähert: "Mich treibt die Sorge um den Zustand Eures Bruders hierher. Wenn ich jetzt Euer Gesicht sehe, dann muß ich wohl das Schlimmste befürchten."
"Vielen Dank für Eure Sorge, aber es wird schon werden. Wenn wir doch nur einen richtigen Medicus hier hätten. Meine Schuld, niemand hat daran gedacht. Und dann der vermaledeite Vertrag. Wenn ich da doch nur hinauskönnte, ohne meinen Vater zu düpieren oder von den Novacasas finanziell entkleidet zu werden." Brunella seufzt.
- Erlan setzt sich neben Brunella auf einen Stein. Er überlegt schon seit er hier auf der Insel angekommen war, was die so kühlen Kalkulatoren der van Kacheleen dazu bewegt hier wochenlang zu graben, einen Deich zu bauen und sogar eine ganze Bucht leerzupumpen. Der Enthusiasmus von Travinus war bislang der Schlüssel. In Sewamund als Nichtsnutz und Schwerenöter verschrien hat Erlan ihn hier aber als zielstrebig und ernsthaft kennengelernt, wenn auch für sein Alter recht unerfahren, was das echte Leben angeht. Was er von dem sogenannten Schacht gesehen hat, läßt ihn auch glauben, ja wissen, daß es etwas zu finden geben muß. Das dies kein Hirngespinst eines Familientaugenichts sein kann. Die Gier zu wissen, was da unten liegt, hat auch ihn längst gepackt.
- Darum fagte Erlan nach einem nur kurzen Grübeln auch direkt: "Ich würde das Vorhaben an diesem mysteriösen Schacht nur ungern im Sande verlaufen lassen. ... Welche Summe wäre nötig , Euren Anteil zu ersetzen? "
- Brunella und Erlan sitzen noch eine ganze Weile dort unten am Strand. Nach einer sehr angeregten Unterhaltung werden sich beide einig. Sie erheben sich und reichen sich die Hand. Brunella scheint deutlich erleichtert als Erlan bekräftigend sagt: "So sei es! Ich kaufe Euch die Continio-Pumpen ab. Ich übernehme mit dem heutigen Tag alle Kontrakte der Grabungs- und Deicharbeiter inclusive dem von Meister Arombolosch. Und ich erlasse euch die Verpflichtungen aus meinem Kontrakt."
- Brunella erwidert den Händedruck und besiegelt das Geschäft: "So sei es! Ihr habt mein Leben gerettet. Mit den bisherigen Ausgaben kann ich umgehen, die Stämme hier werden die Verluste weitgehend minimieren."
- Augenzwinkernd fügt er hinzu: "Vergeßt das Vorkaufsrecht für das Steineichenholz für meinen Vetter Voltan nicht! ... Diesen Bonus mußte ich Euch abringen, damit mir nicht bald ebenfalls droht, finanziell entkleidet zu werden."
- Kurz auflachend stimmt Brunella zu : "Natürlich, natürlich! .... Wir sollten jetzt mit der Edlen von Mylamas reden. Kommt!"
Brunella und Erlan tragen Raka die Änderung und Erweiterung des Vertragswerkes Novacasa-Kacheleen vor. Die Edle zeigt wachsende Anzeichen von Verwirrung und Verständnislosigkeit und meint schließlich: "Das alles scheint Uns unnötig weitläufig zu sein. Pumpen, Arbeiter-Kontrakte, Vorkaufsrechte... alles viel zu kompliziert für Unseren simplen Verstand. Warum schreibt Ihr nicht einfach nieder, daß die Familie Vesselbek mit allen Rechten und Pflichten an die Stelle der Familie van Kacheleen tritt und regelt den Rest untereinander?" Sie sieht sich die Gesichter ihrer beiden Gegenüber ein wenig unsicher lächelnd an, und als nicht sogleich jemand antwortet, legt sie ein auf einem Beistelltischchen bereitliegendes Dokument vor, das erstaunlich wenig Text aufweist und bereits genau den vorgeschlagenen Inhalt hat. Man bräuchte nur noch unterzeichnen und siegeln. "Etwa so wie das hier. ... Eine Erfrischung gefällig?" Raka läßt kleine Schälchen mit Gelato reichen. Mögen die Götter wissen, wie sie es zuwege bringt, die Köstlichkeit hier zubereiten zu lassen. "Und wir sind uns wohl einig, daß die Familien van Kacheleen.." - sie strahlt Brunella entgegenkommend an - "..und Vesselbek.." - sie gewährt Erlan einen vielversprechenden Augenaufschlag - "..dem Haus Novacasa aufgrund des Verzichts auf Poenale und Ablösesumme einen Gefallen schuldig wären?"
"Ach ja, und da wäre noch die Frage der Prokura. Solltet ihr.." - sie blickt Erlan an - ".. zeichnungsberechtigt sein, ist alles gut. Ansonsten müßte das Scripum natürlich noch in Sewamund ratifiziert werden."
- Erlan greift nach dem hingehaltenen Dokument und meint: "Wir wollten Euch nicht langweilen, indem wir unbedingt jeden Punkt unserer Rechnung ausführen. Letztlich wird es Euch, Verehrteste, fast egal sein, zu welchem Preis der Anteil der van Kacheleens an uns verkauft wird. Die Familie Vesselbek in meiner Person übernimmt ihn! Für das, was bisher gezahlt wurde und wohl noch fällig wird, kann ich gerade stehen. So weit reichen meine Vollmachten."
- Brunella wird wieder hellhörig,: "Welchen Gefallen meint Ihr Euer Edelgeboren? ... Der Kontrakt bleibt doch erhalten, nur mit einem neuen Partner! Welchen Paragraphen zaubert ihr jetzt wieder auf das Vertragspapier? Ich bin nicht ..."
- Erlan versucht Brunella zu beruhigen, die wieder kurz davor zu sein scheint, den Kopf zu verlieren: "Signora Brunella, hört doch erst einmal zu, was für ein Gefallen gemeint ist ."
- Mit einem freundlichen Lächeln nickte er der edlen Dame zu.
Raka lacht. "Aber nicht doch, ich bitte Euch. Keine Paragraphen. Ihr.." - sie blickt wiederum beide nacheinander an - ".. wäret mir ganz einfach eine Gefälligkeit schuldig. Irgendwo, irgendwann habe ich vielleicht eine Bitte an Euch. Vielleicht morgen, vielleicht niemals. Wer mag das wissen? Manus manum lavat."
- "Ich sagte es doch, Signora Brunella! Eine Gefälligkeit nichts weiter. Wie es unter Compagnos üblich ist.", versucht Erlan zu beruhigen. Das bereitstehende Schreibzeug ergreifend unterschreibt und siegelt er dann das Dokument, um es schließlich Brunella hinüberzuschieben. Nach einem Blick in Erlans optimistische Augen unterschreibt und siegelt auch sie leicht widerstrebend. Ihr ist bei alldem nicht wohl, doch ist ihr jetzt ein schneller Rückzug aus dem Projekt wichtiger als ein späterer Gefallen. Schnell verabschiedet sie sich mit etwas blassem Gesicht und läßt die neuen Compagnos der Ausgrabung allein.
"Na dann." Raka schiebt dem Vesselbek ein Glas Bosparanjer hinüber und hebt das ihre. "Auf den Erfolg!"
- "Ja, auf den Erfolg!" Erlan nimmt das Glas Bosparanjer und stößt mit der adligen Dame an.
Während Erlan wieder an die Arbeit geht, spaziert Raka nach einer Weile zum Krankenlager des jungen Kacheleen und kümmert sich um ihn. Gegen Abend sieht Erlan sie am Waldrand eine Weile mit dem schwarz gekleideten Südländer im Gespräch. Auch wenn die leuchtende Erscheinung über der linken Schulter des Halbelfen recht farbenfroh ist, wirkt sie selbst aus der Ferne irgendwie beunruhigend.
- Welche Rolle dieser Magier bei der Expedition spielt, ist Erlan immer noch unklar. Auch in wessen Auftrag er hier weilt, ist ihm nicht bewußt. Darüber muß er bei Gelegenheit noch einmal mit Raka di Mhoremis reden. Vielleicht ist es sogar gut, den mysteriösen Kerl selbst zu fragen, was er hier tut und was er möglicherweise schon über die Insel und diesen Schacht herausgefunden hat. Es gibt viel Arbeit und noch viel mehr zu bereden. Dort drüben konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und Zeit sparen.
- Nach einigen weiteren verstohlenen Blicken zu Raka und dem Magier kann sich Erlan überwinden und verläßt seinen Tisch voller Skizzen, um zu den beiden hinüberzugehen. Doch mit jedem Schritt wird Erlan langsamer, das leuchtende Ding scheint ihn irgendwie abzubremsen. Erlan beobachtet die beiden und wartet. Nur worauf?
Das Gespräch zieht sich hin, und der Halbelf schüttelt mehrmals den Kopf. Die beiden scheinen sich über irgend etwas nicht einig zu werden. Schließlich macht Raka eine resignierende Geste und die beiden verabschieden sich höflich voneinander. Während Raka zu ihrem Zelt hinübergeht, verschwindet der Südländer wieder im Wald.
- Irgendwie erleichtert, daß der Halbelf nun doch gegangen ist, setzt sich Erlan nun wieder in Bewegung und geht auf Raka zu. "Verzeiht Edle, wenn ich störe!", ruft er ihr aus gewisser Entfernung zu, damit sie nicht erschreckt.
- "Ich sah Euch mit dem Herrn Magier reden. Eigentlich wollte ich mit Ihnen beiden sprechen. Doch war ich wohl nicht schnell genug. Mir geht nämlich die Frage durch den Kopf, zu welchem Zweck und in wessen Auftrag er hier auf der Insel weilt. Gehört seine Anstellung auch zu unserem Kontrakt?"
Raka erwidert die Begrüßung. "Der Herr ist im Rat der Merkantilen Allianz und auf eigenen Wunsch und eigene Rechnung hier. Wir haben ihn gebeten, dem jungen Herrn van Kacheleen mit seiner Kunst auf die Beine zu helfen, aber zu einem mildtätigen Akt war er nicht bereit, und seine Preisvorstellung lag außerhalb dessen, was Wir für hinnehmbar halten. Er sprach von 30 bis 40 Dukaten, je nach Schwere der Verletzung. Man hat Uns gesagt, daß Signor Travinus auch so wieder gesund wird, und so müssen Wir wohl hinnehmen, daß es etwas länger dauern wird."
- Erlan ist erleichtert ob des Gehörten: "Dass Signor Travino ohne größere Schäden gesunden wird, ist sehr beruhigend. Vielen Dank für Eure Fürsorge!"
- Dann grübelt er kurz: "Merkantile Allianz, davon habe ich schon gehört. Berichtigt mich, wenn ich mich irre, Edelste! Es handelt sich um eine Loge, die Handel und wissenschaftlichen Fortschritt zu verbinden sucht. Sehr löbliche Idee. Denn meist mangelt es an Geld für Forschungen. Obwohl mit den meisten Erkenntnissen der modernen Wissenschaften viel Geld verdient werden kann. Wirklich interessant, daß diese Loge sich für diese kleine Insel und ihr Geheimnis interessiert. Sagt, ist Euer Gatte nicht auch Mitglied dieser Loge?"
"Er ist sogar einer der Gründer, aber Loge ist wohl nicht das richtige Wort. Habt Ihr Interesse an einer Mitgliedschaft?" Raka läßt sich munter plaudernd über die Merkantile Allianz aus und spaziert wieder zu ihrem schattigen Platz zurück. Sie bietet Erlan ein bequemes Sitzmöbel an und legt ihrerseits die Füße hoch, was Erlan einen Blick auf weiß seidenbestrumpfte Abschnitte zwischen Lackschuhen und dem Saum des Kleides bietet. Eine Dienerin erscheint. "Ich wünsche, daß Signor Vesselbek in jeder nur möglichen Hinsicht zufriedengestellt wird."
"Aber selbstverständlich, Signora." Die junge Maid macht einen Knicks und gewährt Erlan einen Blick in ihr Dekolleté, als sie der Dame die edlen Schühchen auszieht, damit sie von einigen kaum sichtbaren Spuren der Landschaft gereinigt werden können.
"Was kann ich denn für Euch tun, Signor?" fragt sie, schelmisch lächelnd.
- Erlan hat den Faden verloren. In seinem Gehirn dreht sich urplötzlich alles um neethanische Seidenstrümpfe und Miederwaren aus Kuslik, und die Körperteile für die sie geschaffen wurden. Auch seine Augen wandern unwillkürlich immer wieder hin und her. Als die junge Dienerin ihn etwas fragt, ist er fast unfähig etwas Vernünftiges zu antworten.
- "Ähe...hemm!", Erlan tut so als müsse er sich räuspern. "Ein kühles Getränk wäre für den Anfang nicht verkehrt. ... Es ist ganz schön warm hier, und mein Hals ist etwas trocken." Natürlich wird sein Wunsch prompt erfüllt.
- Doch irgendwie kommt kein vernünftiges Gespräch mehr zustande. Immer wieder schweifen Erlans Gedanken ab, zu schlanken Beinen in Strümpfen und Ausschnitten, die mehr preisgeben als verhüllen. Auch seine Augen suchen zu oft bei den anwesenden Damen einen weiteren prächtigen Ausblick. Bald bricht Erlan das abendliche Gespräch ab und verabschiedet sich.
- "Dies war heute ein langer Tag mit vielen Wendungen und Überraschungen. Mir scheint, meine Aufmerksamkeit ist nicht mehr die Beste und ich möchte dieses Gespräch nicht mit stupidem Gefasel abwürgen. Gestattet mir, daß ich mich zurückziehe, Edelste!"
Das wird gewährt, wenn auch unter Symptomen und Äußerungen größten Bedauerns. "Beehrt Uns recht bald wieder," sagt Raka, streckt die Rechte aus und gewährt Erlan die Gunst, einen Handkuss darauf hauchen zu dürfen. Nach seinem Weggang unterhalten die beiden Frauen sich anscheinend über etwas Lustiges, denn Erlan hört noch eine Weile fröhliches Lachen und albernes Kichern.
75. Tag, die Elefantenpille
- Erlan ist früh aufgestanden. Nur zwei der Arbeiter sind ebenfalls schon munter und beginnen gerade das Frühstück zu bereiten. Währenddessen schlafen die anderen scheinbar noch.
- Auf einem Tisch im Freien sind etliche Pläne und Skizzen ausgebreitet und der Baumeister stellt gerade mit einem Rechenstab Berechnungen an. Ein klitzekleinwenig unzufrieden verzieht er den Mund. Die provisorische Absperrung der Bucht macht ihm immer noch Sorgen. Es würde einige Zeit und die Arbeit vieler Leute kosten bis aus der Spundwand ein halbwegs stabiler auch einem richtigen Unwetter trotzender Deich geworden ist. Eine andere Lösung mußte her.
- Erlan schreibt einige Notizen in ein Büchlein. Dann packt er die Schriftrollen zusammen, sucht aus einer Kiste einige Meßgeräte wie Lot, Maßband und einen Winkelmesser, einen sogenannten Quadranten, heraus. Danach macht er sich auf das Gelände zwischen abgesperrter Bucht, Schacht und Strand genauer zu erkunden. Einige Maße fehlen ihm noch.
Nach einer Weile wird die Vorarbeiterin bei ihm vorstellig: "Mir wurde gesagt, daß Ihr jetzt der Boss seid. Was soll denn nun mit dem Schacht geschehen? Und wie gehen wir mit dem jungen Travinus um, sobald der spitzkriegt, daß er ausgebootet wurde?
- "Einen Moment, ich bin gleich fertig hier. .... Sooo. Jetzt hab ich's!", erwidert Erlan leicht abgelenkt. Aber als er den Quadranten in eine kleine samtgefütterte Kiste gelegt und danach eine Zahl in Notizbüchlein gekritzelt hat, wendet er sich vollkommen aufmerksam der Vorarbeiterin zu.
- "Was heißt ausgebootet? Das er nicht mehr Teil des Ausgrabungs-Projektes ist? ... Mmmh? Wenn er in der Lage ist zu sprechen, werde ich mit ihm reden." Erlan wird einen Moment nachdenklich.
- Die Vorarbeiterin wischt diese Gedanken aber schnell beiseite: "Welche Anweisungen habt Ihr für die Arbeiter?"
- "Los gehen wir zum Schacht! Ich muß dort nur noch eine Messung mit dem Lot machen und dann weiß ich mehr. Ist Meister Arombolosch schon dort?" Erlan packte alle seine Sachen, drückte sie der verdutzten Minervé in die Hand und machte sich an den steilen Aufstieg vom Strand zum Schacht hinauf.
Der Schacht liegt verlassen da, nachdem Brunella alle Arbeiter vorläufig anderen Aufgabenfeldern zugeteilt hat. Nur Arambolosch sitzt bei Bier und Pfeife vor seinem Zelt. Von 'niederen' Tätigkeiten steht nichts in seinem Kontrakt. Der Grund des Schachtes sieht nach wie vor ziemlich wüst aus, ansonsten hat Brunella alles säuberlich aufräumen lassen.
- Erlan läßt sich von der Vorarbeiterin das Lot geben und beginnt seine Messung.
- "Trotz des Einsturzes gestern... Mmmh! Wir sind eigentlich schon recht weit. So tief runter kann es nicht mehr gehen. Eigentlich fehlen nur noch die paar Schritt Wassertiefe in der Bucht.", murmelt Erlan mehr zu sich selbst, aber deutlich hörbar.
- Als er das Lot wieder hochzieht, sagt er zu der Vorarbeiterin: "Der Boden ist sehr weich. Kein Wunder wir sind ja kurz vor der Grundwasserlinie. Wenn wir weiter arbeiten wollen, müssen wir mehr als vorsichtig zu Werke gehen. Vor allem die Abstützungen sollten jetzt noch sorgfältiger gesetzt werden. ... Wo ist Meister Arombolosch? Holen Sie ihn bitte her! Ich würde gern seine Meinung hören, ob und wie wir weitermachen können."
Tatsächlich ist es Travinus gelungen, den Schacht etwas tiefer zu graben als bisher, wenn auch nicht mit der gebührenden Sorgfalt. Arombolosch nimmt seine Gerätschaften zur Hand und zieht auch noch Landrenka Trullinger zu Rate. Dann gräbt er eine Weile und meint schließlich zu Erlan: "Von Grundwasser kann natürlich schon lange keine Rede mehr sein. Es handelt sich hier wie zuvor schon festgestellt um Meereswasser. Wir sind hier auf der Höhe des abgesenkten Wasserspiegels der Bucht, was beweist, daß die Verbindung nach wie vor besteht und daß die Absenkung Erfolg hat. Wenn wir den Zugang finden, können wir ihn womöglich verstopfen und sind das Schlechtwetter-Risiko los. Arombolosch legt eine behelfsmäßige Zeichnung vor und erklärt, daß die Sohle des Schachtes sich momentan gute zwei Schritt unterhalb des Meeresspiegels befindet.
Ansicht von der Seite ¿ 26. Tag Der Flaschenzug ______________ Erdboden ╤════╤ Der Deckel |<1m>| 10 m ╪════╪ 28. Tag Meeresspiegel | | 10 m ╪════╪ 32. Tag 20 m, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | |
- "So ähnlich hatte ich mir das auch gedacht!", jubiliert Erlan innerlich. "Wie groß ist das Risiko, wenn Ihr, Meister Arombolosch, hier weitermacht? ... Und ich begebe mich derweil mit meinem Meisterknecht und zwei weiteren Leuten zur Bucht. Irgendwo muß diese Öffnung ja zuerst auftauchen."
Zum Weitergraben hat der Zwerg eine eindeutige Meinung: "Es hat keinen Sinn, tiefer zu buddeln, als der Wasserstand in der Bucht es zuläßt." Er macht sich daran, die Verschalung zu überprüfen und ggf. weiter zu verbessen. Erlan geht derweil ans Wasser und sieht sich mit seinen Leuten um. Abgesehen vom gesunkenen Wasserstand sowie den jüngst hinzugefügten Bauwerken und Gerätschaften fällt nichts Ungewöhnliches auf.
- Ungeduld macht sich ganz kurz in Erlan breit. Dann vergibt er an die Arbeiter einige wenige Arbeiten, vorwiegend zur Inspektion der Stauwand und der Pumpen oder zur Unterstützung des Zwergen. Aber letztlich muß Erlan sich eingestehen, daß man erstmal nur abwarten kann, damit man das Ganze nicht gefährdet, wie es Travinus van Kacheleen gestern getan hatte. Beim Gedanken an den Kaufherrensproß kommt er zu dem Entschluß, das aufgeschobene Gespräch mit ihm nachzuholen.
- Erlan begibt sich in die kleine Zeltstadt zum Lager des Verletzten. Wie es ihm wohl gehen mag? Ob er überhaupt bei Bewußtsein ist?
Travinus schläft. Sein Kopf ist dick verbunden, ein vermutlich gebrochener Arm ist geschient. Erlan erfährt, daß Brunella Anweisung gegeben hat, ihren Bruder von allem abzuschirmen und ihm nur eine Auskunft zu geben: Alles sei gut und gehe seinen Gang. Sobald er aufwacht, wird ihm regelmäßig ein schmerzstillender und beruhigender - und anscheinend auch einschläfernder - Trunk verabreicht. In regelmäßigen Abständen sieht Signora van Kacheleen ins Zelt und vergewissert sich, daß es keine Probleme gibt. Erlan bittet darum, Travinus sprechen zu dürfen. Brunella ist einverstanden, verlangt aber, daß Travinus nichts von der Vertragsänderung erfährt, und auch sonst nichts, was ihn aufregen könnte.
Zwei Stunden später erwacht Travinus. Er fühlt sich zwar einerseits bestens, ist aber andererseits so kraftlos, daß es ihm nicht gelingt, sich zu erheben. "Mannomann, snlosey...?" Sein Pfleger erklärt ihm, daß er einen gesunden Trunk und eine noch viel gesündere Pille bekommen habe. Und genau davon müsse er nun noch mehr einnehmen, um ganz schnell wieder auf die Beine zu kommen. "Mannomann, wasne Superpille. Bin sowas von zugedröhnt... " Er bemerkt Erlan. "Auch hier? Eishokey. Kanugehn. Mussu Elefannnenpille auchma nehm."
- "Äh...Nein, Danke!", erwidert Erlan innerlich schmunzelnd. "Die ist mir, glaub ich, etwas zu stark."
- Anschließend versucht er den eher weniger aufnahmefähigen Travinus vom Fortgang der Arbeiten zu unterrichten, und das man Geduld haben müsse. Immer wieder muß Erlan unterbrechen und sich irgendwelche unzusammenhängende Worthülsen anhören. Doch geduldig versichert er, daß man in ein paar Tagen sicher mehr wüßte.
- "Dann seid Ihr sicher auch wieder auf dem Damm, Signor Travinus, und Ihr könnt mit eigenen Augen sehen, was der Schacht verbirgt."
- Als Brunella hinter dem Rücken von Travinus beginnt heftig mit dem Kopf zu schütteln und abwehrende Handbewegungen zu machen, begreift Erlan, daß er wohl etwas zu viel geplaudert hat. So verabschiedet er sich auch recht schnell. Beim Weggehen zischt ihm Brunella empört etwas zu:
- "Wie konntet Ihr ihm nur so etwas versprechen, Signor Erlan? Auch wenn er in seinem Zustand nicht viel von dem begreift, was um ihn vorgeht. Aber ich fürchte, wenn er in drei Tagen von hier fort soll, wird er sich an Eure Versprechung erinnern und hier bleiben wollen."
- "Es tut mir leid, Signora Brunella. Doch die Ausgrabung dieses Schachtes ist das Projekt Eures Bruders. Ich will das es dies auch bleibt, selbst wenn er oder besser gesagt seine Familie es finanziell nicht mehr trägt. Doch habt Ihr recht! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, ihm dies zu erklären, auch wenn ich das gern so hätte!"
- Erlan nimmt seinen Hut ab und neigt kurz den Kopf zum Abschied.
76.Tag, ein Besuch bei Meister Sturmbringer
- Erlan ist wieder sehr früh aufgestanden. Zwar gilt es immer noch abzuwarten bis das Wasser vollständig abgepumpt ist, doch Erlan spürt Unruhe in sich und möchte den Tag nutzen, für irgendetwas. So sitzt er vor seinem Zelt und beobachtet die Sonne, die sich gerade hinter den Bäumen hervorschiebt. Vielleicht ist dies ein guter Tag für Gespräche. Die letzten Tage waren stets von Arbeit bestimmt gewesen. Da ist wenig Zeit geblieben.
- Vielleicht sollte er mit dem mysteriösen Magier, diesem Alrik Sturmbringer, sprechen. Doch die meiste Zeit des Tages und womöglich auch der Nacht ist dieser auf der Insel unterwegs als suche er etwas. Ein wenig furchteinflößend wirkt er schon. Vor allem, wenn das seltsame Lichtwesen auf seiner Schulter hockt. Doch ganz sicher weiß er mehr über das Rätsel dieser Insel, als die anderen. Doch wo steckt der Kerl nur wieder?
- Ein ausführlicheres Gespräch mit der Hesindegeweihten Landrenka Trullinger kann sicher auch nicht unnütz sein, sagte sich Erlan. Als er bemerkt, das sich in ihrem Zelt etwas regt. Scheinbar steht sie gerade auf. Doch hätte sie ihre Erkenntnisse nicht geteilt, wenn sie schon welche hätte?
- Erlan schaut wieder grübelnd zur Sonne und zum Wald.
Tatsächlich ist die Geweihte alsbald auf den Beinen, beteiligt sich wie alle anderen am Frückstück und spricht Erlan dann an: "Ihr seht die ganze Zeit zu mir herüber. Ist was?"
- "Verzeiht, Euer Gnaden, ich wollte Euch nicht belästigen. Wir hatten noch nicht das Vergnügen eines ausführlichen Gesprächs. ... Darf ich Euch etwas fragen?"
- Als die Geweihte nickt, fährt Erlan fort: "Sagt an, was ist Euer Spezialgebiet? In welcher Wissenschaft, die die Allweise uns geschenkt hat, seid Ihr am bewandertsten?"
"Ich bin keine Wissenschaftlerin," sagt sie, "nur eine einfache Dienerin der Göttin, doch ich hoffe immer, niemandem eine zumindest halbwegs vernünftige Antwort schuldig zu bleiben." Sie lächelt. "Privat gilt mein Interesse vor allem der Derographie und der Meereskunde, und so habe ich dieser Tage mehr als sonst in mein Buch der Schlange zu schreiben."
- "Derographie und Meereskunde?", Erlan ist für einen kurzen Moment leicht enttäuscht. "Mit Magie kennt Ihr Euch wohl nicht so gut aus? ... Dieser Magier, Magister Sturmbringer heißt er wohl, scheint hier die ganze Zeit etwas zu untersuchen. Vielleicht ist er dem Geheimnis dieser Insel schon dichter auf der Spur. Als wir mit unserer Graberei. Was meint Ihr?"
"Was er genau tut, entzieht sich meiner Kenntnis, und angesichts seiner Herkunft gibt es natürlich generell Grund zur Aufmerksamkeit. Mir sind aber keine Vorfälle bekannt, die nicht mit Recht und Gesetz zu vereinbaren wären." Landrenka erzählt Erlan alles, was sie aus Gesprächen mit Signora Brunella und den beiden Söldnern von den Bruderschwestern vom Nemezijn weiß. "Für den Schacht interessiert er sich womöglich nur am Rande, gibt sich damit zufrieden, gelegentlich bei Signora Novacasa nach dem Stand der Dinge zu fragen. Viel eher scheint er sich für die veränderten Lebensbedingungen auf der Insel zu interessieren, für fehlende Kreaturen und einige verschwundene Bäume."
- "Ja seltsam, diese verschwundenen Bäume. Auch dies ist ein großes Rätsel, das diese kleine Insel birgt." Erlan kratzt sich nachdenklich am Kinn. "Ist es möglich, daß beide Rätsel, der Schacht und die Bäume, zusammengehören? Mich würde die Meinung des Magiers dazu gern hören. Doch wahrt er immer den Nimbus des Gefährlichen und Mysteriösen. So als wolle er gar nicht reden."
- Erlan schaut der Geweihten unverwandt in die Augen: "Würdet Ihr mich begleiten? Nicht das ich Angst vor diesem Mann hätte. Aber vielleicht sind mir manche Worte von denen er reden könnte fremd. Magierbosparano halt! Und er macht nicht den Eindruck, daß er gerne und ausführlich redet und alles erklärt."
"Sieh mal einer an. Endlich mal wieder jemand, der meine Bosparano-Kenntnisse benötigt." Die Geweihte freut sich. "Hoffentlich blamiere ich mich nicht. Es ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt Vokabeln gelernt habe."
Landrenka geht zu den beiden Bruderschwestern, die wie meistens in Sichtweite des Lagers auf Streife gehen. Ja, den Brabaker haben sie gesehen, er habe sich inzwischen im Hochmoor eine Art Lager eingerichtet. "Erstmal diese Richtung 100." Die Söldnerin zeigt nach Norden. "Rechts an den Dornen vorbei, dann aufwärts dem Verlauf des Baches folgen, erste Abzweigung links, zweite Abzweigung rechts bis zur Quelle. Da sollte er zum Feierabend wohl sein."
"Das sind gut und gern zwei Meilen, eher mehr." Landrenka kennt sich anscheinend aus, zumindest theoretisch. Sie packt einen Beutel mit Proviant, wechselt das Schuhwerk, nimmt noch ein langes Hackmesser mit und macht sich mit Erlan auf den Weg.
Die Gegend ist unwegsam, aber Erlan und Landrenka folgen einer Spur, die auch für Laien sichtbar ist. Anscheinend sind sie nicht die Ersten, die hier entlanggehen. Für Erlans Geschmack geht Landrenka etwas zu langsam und sieht sich etwas zu oft um, aber sie ist ja auch schon etwas älter.
Schließlich erreichen die beiden ihr Ziel, ohne sich auch nur ein einziges Mal verlaufen zu haben. Die dünne Rauchfahne eines Lagerfeuers weist ihnen den restlichen Weg. Je näher Erlan kommt, desto mehr hat er das Gefühl, von irgendwem oder irgendwas angestarrt zu werden. Er dreht sich mehrmals überraschend um, entdeckt aber nichts. Oder doch? Erlan hat mal in der Schule eine Brabaker Bilderpostille mit einer haarsträubenden Geschichte über einen Fledermausmann in die Hand bekommen, aber er wurde dringend ermahnt, sich von solchem Schund fernzuhalten. Nein, einen Fledermausmann hat er nicht gesehen.
Schließlich sind die Besucher nahe genug heran. Der Magier dreht ihnen den Rücken zu, doch Erlan hat das Gefühl, das bunte Etwas auf der Schulter des Südländers würde ihn unablässig anstarren. Landrenka geht nun einen Bogen und nähert sich dem Magier von vorn, gefolgt von Erlan. Meister Sturmbringer überläßt den Ankömmlingen die Eröffnung des Gesprächs. "Hesinde zum Gruße, hochgelehrter Herr." Auch Erlan wird seinen Gruß los. Der Angesprochene läßt sich einen Augenblick Zeit, bis er sich zu einem halblauten "Boron zum Gruße" bequemt. Erlan ist sich sicher, daß die bunte Erscheinung sich nicht gedreht oder sonstwie bewegt hat, und dennoch sieht sie genauso aus wie vorher und starrt ihn an. Wie ist das möglich? Die junge Tulamidin blickt währenddessen unablässig auf einen über dem Feuer hängenden Topf und rührt ein nach Fleisch duftendes Gericht um.
"Ihr erhebt Euch nicht? Seid Ihr verletzt?" Landrenka wirkt ein wenig zu besorgt, und der Magier erhebt sich daraufhin ein wenig zu mühsam. "Rücken..."
"Boron zum Gruße, Euer Gnaden, und Euch ebenso" sagt er dann zu Erlan. "Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches?" Ein neben dem Sitzkissen des Magiers liegender Stab schwebt empor und schmiegt sich in die ausgestreckte Hand seines Besitzers. Die sich bereits dem Horizont nähernde Praiosscheibe malt durch das Geäst der Bäume eigenartige Muster auf die bleiche Haut des Halbelfen.
- "Nun,ja.", sagt Erlan ein wenig zögernd. "Signora Raka und auch meine Begleiterin meinten, als ich sie nach dem Grund Eurer Anwesenheit hier fragte, daß Ihr auf eigene Rechnung Studien hier betreibt, und nach dem Geheimnis der Insel suchen würdet. ... Auch wir sind, wie ihr wisst einem Geheimnis dieser Insel auf der Spur, nämlich diesem seltsamen Schacht. Mittlerweile erscheint es mir fast so, daß die Seltsamkeiten der hiesigen Vegetation und unsere Ausgrabungen Teile ein und desselben Rätsels sind. Nun wollten wir in Erfahrung bringen, was Ihr herausgefunden habt, und ob diese Vermutung möglicherweise stimmt."
"Da bin ich anderer Ansicht." Landrenka und Erlan sehen ihn an. Kommt da noch was? Anscheinend nicht.
"Ist das etwa schon alles?"
"Euer Gnaden, Meister Vesselbek, Ihr wollt an meinen Forschungsergebnissen teilhaben? Seid Ihr denn auch bereit, meine Gebühren zu bezahlen?"
Landrenka wirkt überrascht. Der Gedanke, für die Vermittlung von Wissen Geld zu verlangen, scheint sie zu befremden. Erlan hat dagegen inzwischen eine Vorstellung von der Denkweise der Merkantilisten erlangt, und sein Gegenüber scheint nicht nur Schwarzkünstler, sondern auch Geschäftsmann zu sein. Meister Sturmbringer macht eine Geste mit der Linken, woraufhin - als hätte sie es geahnt oder wäre darauf dressiert - die bereits bereitstehende junge Tulamidin Erlan eine Mappe im Octavo-Format überreicht. Er sieht hinein. Lauter Tabellen. Handgeld. Zwei Dukaten pro Tag, Extra-Kosten für Zauberei, Materialien und Spesen. Merkantilistenrabatt. Skonto bei Barzahlung und so weiter. 27 Tage ist der Magier bereits auf der Insel. Nach kurzem Kopfrechnen schätzt der Baumeister einen Betrag, der dem Magier für einen Monat den Lebensstil der Oberschicht sichern würde.
"Und selbstverständlich bleibt eine eventuelle Publikation allein mir vorbehalten," ergänzt der Magier noch.
- Wenn es stimmt, daß er auf eigene Rechnung hier weilt, ist es sein gutes Recht für Auskünfte zu seiner Arbeit Geld zu verlangen. Für einen Monat Arbeit würde Erlan auch nicht viel weniger verlangen. Allerdings wären in diesem Preis der Lohn für einen Baumeisterknecht und einen weiteren Gehilfen inbegriffen. Aber alles in allem kein Wucher, wenn man wüßte, ob der Andere halten kann, was er verspricht.
- "Eine stolze Summe, Hochgelehrter Magus, allerdings sicher gerechtfertigt. Ich verlange für meine Arbeit auch nicht gerade wenig. Und Magierarbeit ist auch die Arbeit eines gelehrten Spezialisten. Doch wenn ein Kunde zu mir kommt, dann kennt er meine Arbeit schon, er weiß um meine Referenzen, der Kunde kauft nicht die Katze im Sack." Erlan druckst ganz kurz herum, bevor er weiter redet. "Nun ... ja ... äh nein, ich will Euch nicht beleidigen. Aber wie kann ich als Laie sicher sein, daß eure Erkenntnisse Eure Preise rechtfertigen? Ich bin beileibe kein Magier."
"Ich sagte bereits, daß ich bezüglich eines unmittelbaren Zusammenhangs anderer Ansicht bin als Ihr. Wie Ihr nach dem Studium meiner Aufzeichnungen über den Preis denkt, kann ich natürlich nicht wissen."
- "Ach dies meintet Ihr mit: anderer Absicht sein!" Erlan weiß nicht so recht, ob er der Aussage des Magiers vertrauen soll. Aber andererseits glaubt er auch nicht, daß ihm das Studium der Aufzeichnungen wirklich etwas brächte. Dort würde sicher keine allgemein verständliche Erläuterung zu allem drin stehen, was er herausgefunden hat, sondern ein Wirrwarr aus Magierphrasen und uralten Sprachen, wie bei allen Magiern. "Ich war von der Knappheit Eurer Antwort irritiert. Verzeiht!"
- Erlan schüttelt den Kopf und deutet der Geweihten mit einem Fingerzeig an, daß er gehen wolle.
- "Verzeiht nochmals, daß wir Eure Zeit in Anspruch genommen haben, hochgelehrter Herr Magus! Aber ich glaube, daß wir erfahren haben, was wir wissen wollten. Vielen Dank! ... Wenn wir noch Fragen haben sollten, greifen wir sicher wieder auf ihre Hilfe zurück."
"Keine Ursache." Man verabschiedet sich voneinander, und Erlan und seine Begleiterin machen sich auf den Rückweg. Landrenka meint nach einer Weile "Ein ziemlich kurzes Gespräch für einen so langen Weg" und läßt sich seinen Enschluß erklären. "Ich hätte auch nicht so viel Geld bezahlt, zumal mir im Gegensatz zu Euch dazu die Mittel fehlen. Mit Bosparano könnte ich dagegen durchaus aushelfen. Aber Ihr werdet wohl die richtige Entscheidung getroffen haben."
Im Gegensatz zum Hinweg hält Landrenka diesmal durchaus mit Erlans Tempo mit, aber als die Praiosscheibe unter dem Horizont versinkt, sind die beiden noch lange nicht im Lager angekommen. "Wir sollten uns einen einigermaßen geschützten Platz suchen und bis zum Sonnenaufgang ruhen. Mit Waldungeheuern und Räuberbanden ist wohl nicht zu rechnen, und Fledermäuse dürften uns kaum gefährlich werden."
- Erlan hebt fragend die Augenbraue. "Es ist bestimmt nicht mehr weit zum Lager. Warum wollt Ihr dann hier draußen nächtigen, Gnädigste? Hier auf diesem hartem Waldboden?"
"Wir haben noch ein ordentliches Stück vor uns. Der Wald ist zu dicht, um im Dunkeln weiterzugehen. Wir würden die Gewänder zerreißen oder uns verletzen. Womöglich verirren wir uns sogar. Es wäre wohl besser gewesen, am Lagerfeuer zu bleiben oder erst morgen früh loszugehen. In dieser Jahreszeit ist die Nacht nicht allzu lang. Wenn wir beim ersten Licht wieder aufbrechen wird es schon gehen. Zudem bin ich rechtschaffen müde."
- Widerstrebend einsehend, daß die Geweihte recht hat, gibt Erlan nach: "Nun denn, ich habt recht, heute wird das wohl nichts mehr. ... Aber trotzdem bin ich mir nicht sicher, was mir teurer ist, mein Rücken oder meine Kleider."
- Erlan tut so, als suche er ratlos nach einem Platz zum Hinlegen. Insgeheim beobachtet er aber vielmehr die Umgebung, ob nicht das seltsame Leuchtedings des Magiers ihnen gefolgt ist.
Alles ist ist ruhig, abgesehen von den üblichen Geräuschen des Waldes. Landrenka sammelt Feuerholz und findet dabei eine moosige Stelle, die sie noch mit Blättern auspolstert. Sie scheint ein wenig unruhig zu sein, arbeitet aber unverdrossen weiter. Schließlich trinkt sie ihre Wasserflasche leer, füllt den Behälter am Bach auf und legt sich neben den Holzhaufen. Erlan beteiligt sich schließlich an alledem, um nicht als Faulpelz dazustehen, sieht sich aber weiter intensiv um. Nichts, und dennoch will das Gefühl nicht weichen, beobachtet zu werden.
- Wozu hat die Hesindegeweihte Holz gesammelt, wenn sie es nicht anzündet? - denkt Erlan bei sich. Dabei fällt ihm ein, daß er auch kein Feuerzeug bei sich hat. Einen Ausflug in die Wald sollte er in Zukunft besser planen. Es kann immer etwas dazwischen kommen. Immerhin brauchte es nicht unbedingt Feuer. Es warm genug. Und Nachts sieht man eigentlich besser, wenn kein Feuerschein verhindert, das sich die Augen an das Dunkel gewöhnen können.
- So hockte sich Erlan auf die andere Seite des Holzhaufens und schaut, was sich Wald so regt. Auch horcht er ganz genau, nach Geräuschen. Vielleicht verriet sich der geheime Beobachter ja doch noch. Als Erlan sich umschaut, fällt ihm eine relativ starker gerade gewachsener Knüppel auf, der aus dem Holzhaufen herausragt. Er zieht ihn heraus und legt ihn neben sich. Dann lauscht und späht er weiter grimmig in den Wald hinein, dabei ein Gähnen unterdrückend.
"Ich rate Euch, ebenfalls ein paar Stunden zu ruhen. Wenn es zu kühl wird, haben wir wohl Holz genug, aber es wäre mir lieber, kein Feuer zu machen. Ich bin nicht oft in der Wildnis und habe bei sowas immer Angst, den Wald anzuzünden." Landrenka spricht noch ein Gebet, wünscht Erlan eine gute Nacht und ist ist nach einer Weile tatsächlich eingeschlummert.
77.Tag
Beim ersten Licht sind Landrenka und Erlan wieder auf den Beinen. Die Geweihte drückt ihm eine Hälfte ihrer letzten Butterstulle in die Hand und meint. "Schade, daß wir uns keinen Tee machen können, aber wenn wir uns beeilen, kriegen wir vielleicht noch etwas vom Frühstück ab."
Zwar kommen die beiden zu spät zur gemeinsamen Morgenmahlzeit, aber es gibt trotzdem noch etwas zu essen. Landrenka legt sich danach noch etwas hin, während Erlan an die Arbeit geht. Der Klerus hat halt so seine Vorrechte.
78.Tag, Travinus kehrt heim
Die Peraineblume verläßt zum wiederholten Mal mit voller Ladung die Insel und nimmt u.a. auch Travinus van Kacheleen mit.
- Mit auf die Reise gehen auch einige Briefe von Erlan Vesselbek. Die Adressaten sind Voltan Vesselbek und Travinus van Kacheleen. Ein weiterer Brief geht an den Calculator der Sewamunder Gildenbank, um gewisse Geldbeträge aus den Einlagen Erlans freizumachen und eine Überweisung an das Haus van Kacheleen zu tätigen.
83.Tag, 20 Schritt Tiefe (zum zweiten)
Die Bucht ist nahezu leer und der Wasserdruck im Schacht hat aufgehört, so daß man in letzter Zeit schneller und tiefer graben konnte als bisher. Nun wird die Stelle erreicht, an der Travinus vor Wochen (32. Tag, 20 Schritt Tiefe) schon einmal in Lebensgefahr geriet. Arombolosch legt das Ganze frei und sieht sich an, was Travinus seinerzeit so eilig liegenlassen mußte. Es handelt sich um eine stabile und an der Unterseite abgedichtete Lage Balken aus Steineiche, die von Travinus weit genug aufgebrochen wurde, um den Wassereinbruch zu ermöglichen, der die ganze Grabung wochenlang aufhielt. Arombolosch beendet die Arbeit vorläufig, wendet sich an Erlan, schildert die Situation und fragt: "Wie weiter?"
- "Wir sollten, die Balken wie die anderen zuvor ausgraben und herausheben. Aber natürlich mit äußerster Vorsicht!", meint Erlan mit mühsam überspielter Ungeduld.
- "Fangt schon an, Meister Arambolosch! Ich werde noch schnell zwei weitere Arbeiter holen." Schon im Gehen ruft er noch etwas ins Loch:"Die Hesindegeweihte, der Magier und auch die Edle Dame sind bestimmt gespannt, was sich unter dieser Lage Balken verbirgt. Ich benachrichtige sie auch geschwind."
- Schnell ist Erlan wieder zurück. Die Antworten der Herrschaften hat er gar nicht abgewartet. Er hat nur wie versprochen weitere Arbeiter herangeholt.
Durch die personelle Verstärkung können die Arbeiter am Flaschenzug sich abwechseln und das von Arombolosch ausgegrabene Material etwas schneller nach oben bringen. Sauber bearbeitete Balken und Erdreich, mehr ist nicht dabei. Vermutlich ist Erlan nicht der Einzige, der mehr erwartet hat. Das Erdreich unter der Sperre ist vollständig durchfeuchtet, kann aber durchaus gefördert werden. Arombolosch kommt nach oben und schildert die Situation. Erlan steigt nun seinerseits in den Förderkorb, fährt hinab, sieht sich alles an und findet den Bericht des Zwergen bestätigt. Wo Arombolosch noch keine Verschalung gesetzt hat, ist die ursprüngliche Wand des Schachtes gut zu erkennen, da die Beschaffenheit des natürlichen Bodens sich optisch gut vom Füllmaterial abhebt. Die Zusammensetzung ist allerdings nach wie vor die gleiche. Erlan kommt wieder nach oben, wechselt die verdreckte Kleidung und erteilt neue Anweisungen.
- "Meister Arombolosch!", sagt Erlan wichtig. "Ich bitte euch vorsichtig weiterzugraben. Vorsichtig! Achtet auf jede Änderung des umliegenden Erdreichs. ... Es könnte sein, daß der verfüllte Schacht nicht nur in die Tiefe führt, sondern irgendwann seitlich abgeht. Es könnte auch sein, daß wir weiter unten wieder auf Wasser stoßen, ... ähm, nein ... das muß ich Euch ja nicht erklären ...", winkt Erlan diesen Gedanken ab. "Nehmt euch so viele Arbeiter wie ihr braucht! Ich werde nochmals unten an der Bucht alles genau untersuchen. Vielleicht ist jetzt eine Öffnung zu sehen, die sicherheitshalber gegen eindringendes Wasser verschlossen werden sollte, falls die Wand nicht hält."
- Der Zwerg zeigt auf insgesamt drei Arbeiter, die er als brauchbar erachtet. Zu den restlichen Arbeitern gewandt sagt Erlan nur kurz: "Mitkommen! Wir gehen runter zur Bucht!"
Während Arombolosch sich wieder an die Arbeit macht, suchen Erlan und seine Leute die nunmehr weitgehend trockengelegte Bucht ab. Eine erste Übersicht fördert keine Erkenntnisse zutage. Eine zweite Begehung - Rechtschritt für Rechtschritt - bleibt ebenfalls ergebnislos. Ein Arbeiter verknackst sich auf einem besonders glitschigen Teilstück beinahe einen Fuß, kann aber nach kurzer Behandlung weitermachen. Die meisten Meerestiere sind bereits in den Kochtopf gewandert, aber ab und zu wird noch eine Krabbe oder eine Muschel entdeckt. Erlan überlegt. Man könnte jetzt anfangen, jeden Stein einzeln umzudrehen, aber auch wenn die Bucht nicht allzu groß ist, kann sich das ganz schön hinziehen. Erstmal Mittagessen und dabei nachdenken.
- Erlan schüttelt den Kopf. Doch dann schickt er die Arbeiter zum Mittagessen. Es soll wohl Belhanker Suppe geben. Er bleibt noch zurück und schaut grübelnd über den Boden. Während er sich genauer umsieht, sagt er zu seinem Knecht gewandt: "Was meinst Du, Svenske? Irgendwie muß doch das Wasser von hier bis in den vermaledeiten Schacht gelangt sein. Da müßte man doch etwas sehen. Irgendetwas. Meinst Du nicht auch, Svenske?"
- Svenske nuschelt in seinem kaum verständlichen nostrischen Dialekt zurück: "Ik denk het ook. ... De vedomme Schligg överal!"
- "Das stimmt. Aber wir können nicht auch noch den Schlick überall abtragen."
- Während Erlan weiter die trockengelegte Schlickfläche mit den Augen absucht, schaut der junge Nostrier himmelwärts und sagt: "Mmmh! ... De Zon hal et drogen."
- Mittlerweile hat Erlan gelernt den Kauderwelsch seines Gehilfen zu verstehen, auch wenn es manchmal länger dauert. Dann dämmert es ihm aber: "Klar doch! Der Schlick wird trocknen, zusammen schrumpfen und in einzelne Stücke zerreißen. Dann sehen wir vielleicht mehr. Wenn es etwas zu sehen gibt."
- Beide beschließen den anderen zu folgen und ebenfalls das Mittagessen einzunehmen.
Arbeit gibt es genug, und so werden die eigentlich für den Schacht vorgesehenen Arbeitskräfte zeitweilig anderweitig eingesetzt, vor allem beim Fällen und Stapeln der Bäume. Auch Erlan sucht sich eine Beschäftigung. So braucht die Sperrwand immer wieder Aufmerksamkeit. Kleine Lecks können kalfatert werden, wobei die Qualität natürlich zu wünschen übrig läßt. So etwas macht man ja eigentlich auf dem Trockenen. Für größere Schäden helfen auch schon mal kleinere Lecksegel, Sandsäcke oder einfach ein paar zusätzliche Pfähle. Alles kein besonderes Problem, solange das Wetter hält.
84. Tag, 30 Schritt Tiefe
Ansicht von der Seite ¿ 26. Tag Der Flaschenzug ______________ Erdboden ╤════╤ Der Deckel |<1m>| 10 m ╪════╪ 28. Tag Meeresspiegel | | 10 m ╪════╪ 32. Tag 20 m, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | | ╪════╪ 84. Tag 30 m, minderwertige Dichtung | | 10 m
Nachdem jetzt auch die vorletzten feuchten Stellen der Bucht Zeit zum Trocknen hatten, sieht Erlan sich mit einigen Leuten erneut um. Nichts Besonderes zu sehen. Svenske hatte letztlich Unrecht. Zwar hat sich hier und da durchaus Schlamm in einigen Vertiefungen angesammelt, aber der Großteil des Grundes der Bucht besteht aus Sand, Kies und vor allem mehr oder weniger grobem Geröll. Erlan sieht sich um, ein wenig ratlos. Da kommt Landrenka hinzu, in der rechten Hand eine angebissene Butterstulle, in der Linken einen Korb mit noch mehr davon. Während Erlan den immer wieder von Leckwasser gespeisten Tümpel an der tiefsten Stelle der Bucht untersuchen läßt und auch selbst mit anpackt, meint die Geweihte, dort sei wohl kaum etwas zu finden: "Wenn der Zufluß ganz unten läge oder in einem verschlammten Bereich, wäre er recht schnell zugeschwemmt und verstopft. Ich bin kein Wasserbauer, aber das scheint mir offenkundig zu sein." Sie verteilt die Stullen und informiert Erlan: "Der Zwerg ist auf eine weitere Lage Balken gestoßen und läßt fragen, wie er weiter vorgehen soll."
- Erlan wirkt genervt. Zumal auch ein Anflug von Kritik an seiner baumeisterlichen Erfahrung heranflog. "Natürlich rutscht eine Öffnung zu. Doch hätte es sein können, daß man dennoch unter dem getrockneten und aufgebrochenen Schlick etwas entdeckt. Steine oder Steineichenbalken beispielsweise, die eine Öffnung bedecken. ... Egal! Ihr sagt Meister Arombolosch hätte eine weitere Lage dieser Balken gefunden. Dann sollten wir mal nachschauen, was es dort zu sehen gibt."
- Erlan nimmt sich noch ein Butterbrot aus dem Korb. Dann wischt er sich mit einem Tuch seine verdreckten Sachen grob ab, und begibt sich mit der Geweihten und Svenske zum Grabungsplatz.
Arombolosch hat inzwischen seinen Fund so weit freigelegt, wie er es auf den ersten Blick für vertretbar hält und ist hinaufgekommen. "Wenn Ihr mich fragt, meine ich, dort hätte jemand gepfuscht. Die Bauweise ist ebenso wie zuvor und sollte wohl ebenfalls wasserdicht sein, aber man hat Tannenholz statt Steineiche verwendet. Das Holz ist verrottet und hat dem Wasserdruck nicht standgehalten - zum Glück für Signor Travinus. Hätte der Wassereinbruch ihn hier unten überrascht, wäre es aus gewesen mit dem jungen Helden. Erlan begibt sich nach unten und findet vor Ort alles so vor, wie vom Zwergen berichtet. Irgendwelche Auffälligkeiten sind nicht zu erkennen. Von oben ist die Stimme des Bergmannes zu hören? "Und nu?"
- "Mmmh!" Erlan schaut sich genau um. Das Tannenholz wurde zwar ebenso fachmännisch verarbeitet wie zuvor die Steineiche, aber das Material hat sich als denkbar ungeeignet erwiesen, den Schacht für lange Zeit gegen von unten eindringendes Wasser abzudichten.
- Eigentlich konnte es nicht mehr weit sein. Nicht mehr weit zu dem, was da unten lag.
- "Habt ihr was dagegen, wenn ich hier weitermache, Meister Arombolosch?", ruft Erlan nach oben zu dem Zwergen hinauf.
"Es ist Euer Leben," erwidert der Zwerg. "Solange die Bucht nicht volläuft oder plötzlich von woanders her Wasser kommt, scheint es mir sicher zu sein. Was meint Ihr, ob da jemand seinerzeit die Stämme unterschlagen und minderwertigen Ersatz verbaut hat?"
- "Entweder dies! Oder hier waren keine Fachleute am Werk!", ruft Erlan zurück. "Ich fang jetzt mal an."
- Ganz vorsichtig beginnt Erlan die morschen Balken aus dem Boden herauszugraben. Natürlich zerbrechen diese, sobald man Gewalt anwendet. Bei jedem Bruchstück ist er auf der Suche nach irgendwelchen Zeichen, wie sie schon teilweise auf den Steineichenstämmen weiter oben eingeritzt waren.
- Auch achtet Erlan sehr darauf, was sich unter den Tannenstämmen verbirgt.
Erde, sonst nichts. Erlan ist enttäuscht und hat plötzlich eine intensive Vorstellung davon, warum manche Leute den Schacht bereits Dukatengrab nannten. Er arbeitet weiter und kratzt die Erde besonders am Rand vorsichtig beiseite. Kein Zweifel, der ursprüngliche Schacht führt noch weiter nach unten. "Schalung!" Bretter und Dübel werden im Förderkorb herabgelassen und von Erlan verbaut. Dann geht es weiter abwärts, bis er erschöpft ist und wieder hinaufklettert.
- Erlan bekommt ein anerkennendes Nicken und sogar lobende Worte von Meister Arombolosch: "Ihr könnt nicht nur Anweisungen erteilen. Alle Achtung! Aber jetzt mache ich weiter."
- "Es ist mir immer noch ein Rätsel, wohin der Schacht führen soll und was uns dort unten erwartet.", sagt Erlan grüblerisch. "Wir sollten sehr vorsichtig sein, wenn der Grabende plötzlich einen Hohlraum erreicht, dann könnte er abstürzen, sogar rettungslos verschüttet werden."
- Während der Zwerg sich anschickt selbst hinabzusteigen, grübelt Erlan weiter: "Was meint Ihr Meister Arombolosch? Ich fände es ratsam, daß der Grabende angeseilt wird, und von hier oben gehalten wird. Dazu brauchen wir möglicherweise noch einen zweiten Flaschenzug."
Der Zwerg denkt darüber nach und meint dann, die Maßnahme würde die Arbeit ein wenig behindern und dadurch verlangsamen. Sie würde auch nichts nützen, falls der Schacht einstürzen sollte. Aber bei einem Wassereinbruch von unten oder einem plötzlich einstürzenden Hohlraum könnte die Sicherung in der Tat lebensrettend sein. "Wenn Ihr die Mehrkosten verantworten wollt, habe ich keine Einwände."
- "Soviel mehr wird das auch nicht kosten. Jedenfalls nicht mehr als es kostet, ein Leben zu verlieren!", meint Erlan zuversichtlich. "Ich werde bei allem mithelfen. Die Zeit der Berechnungen sind vorbei. Den Damm kann mein Knecht beobachten und pflegen soweit nötig. Jetzt wird es Zeit in die Hände zu spucken!"
- Erlan beginnt sogleich eine weitere Rolle und Seil heranzuschaffen.
Da bereits alle Beteiligten mehr oder weniger Erfahrung bei dieser Tätigkeit haben, geht die Arbeit ordentlich voran, und das Loch wird tiefer und tiefer.
85.Tag, in Sewamund
- "Was hat dieser Traumtänzer getan? Das glaube ich nicht!", Voltans Stimme schallt aus seinem Arbeitszimmer. Fast gleichzeitig rumort es hinter der Tür. Der Diener der soeben den Brief ins Arbeitszimmer gebracht hat, und mit seinem Ohr an der Tür klebte, um zu lauschen, springt gerade noch rechtzeitig weg, sodaß der Hausherr ihn nicht beim Lauschen erwischt, als die Tür aufgerissen wird.
- "Ah, gut das er noch da ist! Efferdan, rufe er sofort die Hausherrin, Ildeberta, herbei! Es eilt. Es gibt schlechte Nachricht von Erlan!", trägt Voltan dem Diener auf.
- ...
- Kurze Zeit darauf kommt die Dame des Hauses, und geht in das Arbeitszimmer. Sie schickt den neugierigen Diener mit einem Auftrag davon, damit er nicht auf den Gedanken kommt eventuell zuzuhören.
- Drinnen wird ihr gleich Erlans Brief zusammen mit einem strikten "Lest, was mein Herr Vetter geschrieben hat!" entgegengehalten. Während Ildeberta liest, holt Voltan kurz Luft und beginnt vor sich hin zu schimpfen:
- "Ein ganz normaler Auftrag sollte das werden. Einen kleiner Damm sollte gebaut werden und 100 Dukaten waren als Lohn ausgemacht, plus Weiteres, wenn sich der Auftrag als aufwendiger erweist. ... Aber Nein, der schlaue Herr hat beschlossen, den Lohn auszuschlagen und sogar in das Ausgrabungsprojekt zu investieren."
- Ildeberta liest immer noch und Voltan läßt sich weiter über seinen Vetter aus: "Ein Dienst für die Wissenschaft sei das. Das ist ein Faß ohne Boden! ... Eine Gefälligkeit für Travinus van Kacheleen schreibt er. Dieser Tunichtgut jagt jetzt wohl nicht mehr nur jedem Weiberrock hinterher? Scheinbar will er nun auch noch ehrbare Familien in den Ruin stürzen und ..."
- "Jetzt haltet aber die Luft an, verehrter Gatte!", Ildeberta unterbricht ihren Mann. "So schlimm ist seine Kalkulation gar nicht. Der Lohn wurde vom Kaufpreis des Anteils abgerechnet. Und über die Summe die an die van Kacheleens fließen soll, sollte Euer Vetter privat verfügen.", sie hält kurz inne und schaut nochmal auf den Brief. "Was mir eher Sorgen bereitet, ist die Tatsache, daß der andere Teilhaber das Haus Novacasa ist."
- Durch die Worte seiner Frau kurz zur Ruhe gekommen, wird Voltan nun aber wieder blaß. "Die Verträge hat dann ganz sicher dieser Winkeladvocat verfaßt."
- Ildeberta preßt ein: "Genau!" heraus.
- Gerade eben noch kurz vor einem Herzstillstand stehend, faßt sich Voltan schnell wieder und sagt ruhig und bestimmt: "Ich muß mir die Verträge ansehen. Ich hoffe sehr man hat den guten Erlan nicht übers Ohr gehauen."
- Kurz darauf verläßt Voltan die Villa Vesselbek mit ernster Miene.
- ...
- Erst gegen Abend ist Voltan wieder im Haus und bespricht sich mit seiner Gattin.
- "Der Vertrag ist schnörkellos und juristisch einwandfrei. Soweit ich das sehe! Solche Verträge schließe ich wöchentlich.", grummelt der Vesselbek-Patriarch.
- "Aber?" Ildeberta Molthaus schaut ihren Mann fragend an.
- "Bei den van Kacheleen hat er sogar ein Vorkaufsrecht, für die Steineiche herausgeschlagen, die auf dieser Insel geschlagen wird. Das bringt zwar vom Preis her wenig. Aber so wie die Sache aussieht, haben wir einen zuverlässigen Lieferanten mehr für gutes Holz. Da werden einige Arbeiten ohne Verzug fertig. Das ist auch Gold wert.", Voltan schüttelt, während er erzählt, immer wieder bedenklich den Kopf.
- "Wo ist denn jetzt das Aber?" Ildeberta kennt ihren Gatten und wartet weiter auf die Antwort.
- "Ich überlege die ganze Zeit, was alle dort zu finden hoffen. Von den van Kacheleen konnte keiner eine vernünftige Antwort geben. Und von unserem Städtischen Bademeister weiß ich auch nicht, was ich halten soll. Einerseits hat der gute alte Aurelio Geld hinein gesteckt, sich aber dann aus dem Geschäft zurückgezogen. Den Novacasa treibt eigentlich auch stets das Geld, und er hat einen scheinbar unfehlbaren Riecher, wo dies ohne Mühe zu verdienen ist. Irgendetwas muß dort sein, es kann nicht nur eine wirre Idee meines Vetters sein." Immer noch kommt Voltan Vesselbek nicht wirklich zum Punkt.
- "Ich verstehe!", sagt Ildeberta leicht ungeduldig. "Du vermutest trotz aller Unsicherheit ein gutes Geschäft." Voltan nickt stumm. "Du vermutest aber, daß Erlan dabei die Kosten aus dem Auge verliert. Oder daß ihn die Novacasa bei der Geschäftsabrechnung irgendwie über den Tisch ziehen."
- Ildeberta steht auf und sagt resolut: "Dann bleibt nur Eines, wir sollten ihm jemanden zu Hilfe schicken, wenn du ihm das nicht zutraust!"
- Sie schickt sich an hinaus zu gehen, und fragt beim Türöffnen fast beiläufig "Wann ist das Schiff wieder für die Rückfahrt bereit?"
86.Tag, 40 Schritt Tiefe
Ansicht von der Seite ¿ 26. Tag Der Flaschenzug ______________ Erdboden ╤════╤ Der Deckel |<1m>| 10 m ╪════╪ 28. Tag Meeresspiegel | | 10 m ╪════╪ 32. Tag 20 m, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | | ╪════╪ 84. Tag 30 m, minderwertige Dichtung | | 10 m ╪════╪ 86. Tag 40 m, minderwertige Dichtung | | 10 m
Arombolosch stößt auf eine weitere 'Dichtung', bei der ebenso gepfuscht wurde wie bei der vorigen und die noch deutlich beschädigter ist. Nach ausgiebiger Beratung mit Erlan werden die beiden sich einig, wie zuvor zu verfahren und das Hindernis zu beseitigen.
87.Tag, 42 Schritt Tiefe
Erlan übernimmt die erste Schicht und hat bereits eine ganze Weile gegraben. Als er gerade in die Hocke geht, um sich den Boden näher anzusehen, fällt ihm ein ordentlicher Brocken Matsch in den Nacken.
- Erschrocken, das Schlimmste befürchtend, dreht sich Erlan um und schaut nach oben.
In Höhe seines Kopfes ist ein Brocken Matsch aus der Wand des Schachts gefallen, wo jetzt ein Loch zu sehen ist, aus dem weiterer Matsch hervorquillt. Erlan unterdrückt wie schon zuvor den Alarm und erhebt sich ein Stück, um beweglicher zu sein und sich die Sache genauer anzusehen. Das Loch scheint viereckig zu sein. Er will gerade zugreifen, da quillt ein weiterer Klumpen Matsch hervor, gefolgt von eimerweise Schlamm, gefolgt von schlammigem Wasser.
- Erlan springt geistesgegenwärtig, so kräftig er kann, hoch und greift im Sprung nach dem nur leicht gespannten Seil, das ihn absichern soll. Als er es ergriffen hat, ruft er: "Ziehen! Schnell! Ein Einsturz!" und versucht dabei selbst noch weiter nach oben zu klettern.
Es gelingt ihm, rasch Höhe zu gewinnen, während es unter ihm plätschert. Der schlammige Pegel steigt zwar, aber immer langsamer. Die gurgelnden Geräusche hören auf, bevor Erlan oben ist. "Halt! Ich bin außer Gefahr." Er sieht hinab, kann aber nichts erkennen, da die Grubenlampe überspült wurde. "Licht!" Eine neue Lampe wird an einer Leine herabgelassen. "Was ist passiert?" wird von oben gerufen. Erlan erklärt die Situation und läßt dann die Lampe weiter herunter, um zu sehen, wie hoch das Wasser gestiegen ist. Da Erlan zumindest einen Teil der Verschalung selbst gesetzt hat, kommt er auf eine Schätzung von etwa drei Schritt.
- Das lange Hängen am Seil nicht gewohnt, läßt sich Erlan endgültig nach oben ziehen, als er genug gesehen hat.
- "Poh, das war knapp. Aber ich hatte es kommen sehen. Nur gut, daß das Seil da war.", stöhnt er als er aus dem Schacht herausklettert. Während er sich zumindestens des nassen und vollkommen verschlammten Hemdes und seiner Stiefel entledigt, erklärt er, was er unten gesehen hat. Erklärt nochmals das viereckige Loch an der Seite des Schachtes. Dabei schaut er nochmals prüfend nach unten, doch die Öffnung ist nicht mehr zu sehen. Doch geistesgegenwärtig hat sich Erlan gemerkt, an welcher Wand die Öffnung aufgetaucht ist.
- "Die Höhle oder der Querschlag führt hier weg." Dabei zeigt er in Richtung Meer.
- "Meister Arombolosch, jetzt ist vordringlich wieder Euer Rat gefragt!", fragt der Dammbaumeister den Bergmann. "Was meint Ihr, wie bekommt man das Wasser am Besten aus dieser Tiefe? Die Pumpen der Gebrüder Continio werden uns hier nicht viel weiter helfen. Das ist auf jeden Fall zu hoch."
"Eimer. So wie vorher auch. Aber wenn das Wasser von irgendwoher nachdrückt, haben wir ohnehin keine Chance, egal auf welche Weise wir es fördern." Arombolosch läßt einen Eimer hinab, holt ihn mit Wasser und Schlamm wieder hoch, steckt einen Finger hinein und schmeckt. "Salzig." Er spuckt aus und runzelt die Stirn. "Wenn es eine Verbindung zum offenen Meer wäre, müßte das Wasser wie zuvor sehr viel höher steigen. Danach sieht es aber nicht aus. Bei Angrosch und Efferd, was mag da passiert sein? Die Verschalung hat gehalten?" Erlan bestätigt das zwar, aber die genannte Stelle war noch garnicht verschalt. Sonst wäre das Viereck ja bei der Arbeit bestimmt aufgefallen. Der Zwerg rauft sich den Bart, kommt aber auf die Schnelle zu keiner Antwort. "Ich werde mir etwas zur Beschleunigung der Gedanken genehmigen," sagt er und stiefelt zu seinem Zelt.
- Während der Zwerg sich eine Pause zum Nachdenken gönnt, hockt sich Erlan vor das Loch und späht nochmals kritisch hinab. Die Markierungen, welche die Grabungstiefe an den Verschalungswänden angeben, sind noch zu sehen. Das Wasser verdeckt die 40-Schritt-Marke. Der Punkt an dem sich das Loch befindet ist laut seinen Berechnungen knappe 10 Schritt über Meereshöhe.
- Nein, da gibt es keine Verbindung zum Meer. Allenfalls die Verbindung zu der trockengelegten Bucht. Erlan fühlt dem Geheimnis, das der Schacht birgt, näher gekommen zu sein.
- Nun nimmt Erlan den Eimer mit dem Seil, welcher jetzt immer zum Fördern der Erde benutzt wurde. Er läßt ihn in den Schacht plumpsen, wartet kurz bis der Eimer voll zu sein scheint und untergeht, dann zieht er ihn über die Rolle wieder nach oben. Dabei zählt er leise, aber deutlich an seinem Mund zu sehen, vor sich hin.
- "... 47, 48, 49 ...", mit dem Ausschütten des Eimers bricht Erlan das Zählen ab. "...50, 51, 52!"
- Leicht schnaufend schüttelt der Baumeister den Kopf. Er nimmt sich ein Stöckchen, kritzelt damit mehrere Zahlen in die lockere Erde und überschlägt diese. Dann wiegt er wieder den Kopf hin und her. Er scheint nicht recht zufrieden.
- "Mit einem Eimer kann das ewig dauern. Wenn wir mehrere benutzen könnten.", murmelt er und kritzelt wieder etwas in die Erde. Der Schacht ist zu erkennen, eine Umlenkrolle, ein durchlaufendes Seil mit vielen Eimern daran. Erlan schüttelt wieder den Kopf und streicht die Skizze durch. "Verheddert sich!"
- "Aber wenn der Eimer größer wäre. Mmmh!" Wieder kritzelt er etwas in die Erde. Wieder der Schacht, ein großer Eimer an einem Seil. Wieder schüttelt er den Kopf. "Zu schwer!"
- Erlan rauft sich durch die Haare als er auf seine Skizzen in der Erde blickt.
Arombolosch kommt zurück, in der Linken seine dampfende Pfeife, in der Rechten einen Humpen. Er sieht in den Schacht hinein und meint: "Das kriegen wir schon wieder hin. Vielleicht sollten wir mal über den Bau einer behelfsmäßigen Wasserkunst nachdenken." Er klemmt die Pfeife zwischen die Zähne und streicht sinnierend durch den Bart. "Habt ihr Deichbauer eine Methode, um Lecks zu finden? Ich meine, wie macht ihr das, wenn ihr wissen wollt wo Wasser herkommt oder wo es hinläuft?"
- "Wasserkunst? Nein wollen wir erst ein Wasserrad bauen und von dem kleinen Bächlein dort drüben Wasser herleiten? Dann müßten wir auch dafür sorgen, daß es wieder abfließt. Oh nein, nein, das ist zuviel Aufwand. ... Aber ein einfacher Kran wie diesen, den könnte ein Arbeiter bedienen!" Flink verbessert Erlan jene Erdkritzelei mit dem großen Eimer, um folgende Skizze.
- "Mmmh! Was das Leck angeht, würde ich jetzt nicht sagen, daß von irgendwo eine größere Menge Wasser nachläuft. Dann würde der Wasserstand ja immer noch steigen." Erlan schaut ängstlich nochmal in den Schacht und prüft die Höhe des Wasserstands.
- "Ich denke eher, daß es eine Verbindung zu der trockengelegten Bucht gibt. Und dieser Querschlag oder Stollen oder wie ihr Bergleute das nennt, damals abgesoffen ist. Als unser Schacht nun tief genug war, sind wir auf den Zugang zu diesem Seitengang gestoßen und das darin stehend Wasser hat sich schlagartig in den Schacht entleert. ... Ich hoffe mal, wenn wir das Wasser schnell wegbekommen, wissen wir bald mehr. Vielleicht sind wir unserem Ziel ja schon sehr nahe."
- Wieder wendet sich Erlan seiner Skizze zu. Er kratzt mit dem Stock ein paar Zahlen daneben. Rechnet murmelnd ein wenig hin und her. Und meint schließlich: "So machen wir das! Zwar wird das Heben eines großen Eimers oder eher Wassersacks länger dauern. Aber die Menge an Wasser, das gehoben wird, dürfte sich deutlich vergrößern."
"Für eine Wasserkunst werden wir keine Wasserkraft als Antrieb benötigen, obwohl sie natürlich dafür und auch für andere Belange sehr nützlich wäre.
Was den Stollen angeht, bin ich Eurer Meinung. Da wird sich Wasser gestaut haben, was nun zum Vorschein kam. Da die Bucht momentan weitgehend trocken ist, wird hoffentlich so schnell nichts nachfolgen. Was mir dagegen schon lange Sorgen macht, ist das Wetter. Efferd hat uns schon recht lange mit seinen Launen verschont, aber wenn er seine Meinung ändert, säuft der Schacht unweigerlich ein weiteres Mal ab, selbst wenn die Sperre nicht brechen sollte.
Eine Möglichkeit wäre, nach dem Abschöpfen des Wassers den Zugang einfach so fest wie möglich zu verstopfen. Aber was, wenn es noch einen gibt? Mein Vorschlag wäre, den Schacht so weit wie nötig mit gefärbtem Wasser zu füllen und zu sehen, wo es wieder zum Vorschein kommt." Der Zwerg setzt sich, rückt seine Hosenträger zurecht und ergänzt: "Das ist nicht ganz ohne Risiko für die Verschalung, aber wenn wir vor dem Fortgang der Arbeit alles sorgfältig kontrollieren, sollte es vertretbar sein."
- "Nun ich bin Dilettant in vielen Dingen und Spezialist nur in wenigen. Begrifflichkeiten sind mir manchmal nicht ganz geläufig. Es mag sein das Wasserkünste auch anders angetrieben werden. Egal! zusammen werden wir das schon meistern.", grinst der eher junge Baumeister den Zwergen an.
- "Was die Lecksuche anbelangt, ein guter Vorschlag! Wir füllen den Schacht wieder, färben das Wasser und hoffen, daß es in der Bucht irgendwo herausgedrückt wird. Damit wir endlich den Zugang dort verstopfen können. Brilliant!" Erlan freut sich sichtlich. "Ich lerne hier Tag für Tag etwas hinzu. Im Deichbau gibt es keine Schwierigkeiten herauszufinden wo der Deich undicht ist. Beide Seiten des Damms sind zu sehen und man sieht im Grunde stets, wo der Schaden ist. Der Tiefbau oder Bergbau ist mir neu."
- Dann wird er etwas grüblerischer. "Womit wollen wir eine so riesige Menge Wasser färben?"
"Vielleicht Kalk oder irgendeine Erdfarbe? Einfach mal sehen, was wir haben oder finden können." Arombolosch erhebt sich, geht zur wartenden Arbeiterschaft und erteilt Anweisungen. Dann kehrt er zurück und fragt, ob man zeitweilig Personal von den anderen Arbeitsstellen abziehen könnte, um den Fortgang der Arbeit zu beschleunigen. Erlan hat keine Einwände, aber Brunella will mit dem Schacht nichts mehr zu tun haben und verweigert ihre Zustimmung, solange es sich nicht um einen Notfall handelt. Daher läßt Arombolosch nach einigen Berechnungen kurzerhand die Förderwerke der Continios umsetzen und Meerwasser über hölzerne Rinnen landeinwärts transportieren. Über dem Schacht wird ein eilig zusammengezimmerter Trichter mit einem langen Rohr aus einem ausgehöhlten Baumstamm angebracht. Auf Erlans fragenden Blick hin erläutert der Zwerg: ".. damit das Wasser in einem möglichst geraden Strahl nach unten fällt und nicht hin und her plätschert. Das könnte Erdreich hinter der Verschalung fortspülen."
Erlan sieht sich daraufhin die Sperrwand an und überschlägt, wie lange es wohl dauern mag, bis der durch die kleinen unvermeidlichen Leckagen langsam steigende Wasserspiegel der Bucht einen eventuellen Zufluß wieder überspülen würde. Das Ergebnis kommt ihm besorgniserregend vor und er bespricht seine Bedenken mit Arombolosch. "Der Zufluß liegt wahrscheinlich knapp unter dem Wasserstand bei Ebbe, denn er sollte wohl einerseits stets unter Wasser sein, aber nicht so tief liegen, daß Schwemmsand ihn dauerhaft überspülen würde." Das kommt Erlan zwar einerseits plausibel, andererseits aber auch etwas gewagt vor. "Kein Risiko, kein Spaß!" Der Zwerg erläutert dem Sewamunder, daß der Plan wie alles andere im Leben gehörig danebengehen kann, die Kostenersparnis das Risiko aber aufwiegen würde. Und letztlich, selbst wenn sich die Bucht wieder komplett füllen sollte, würde die hoffentlich hervorquellende Farbe zumindest einen ziemlich guten Anhaltspunkt liefern, wo sich der Zugang befindet.
"Dammich!" sagt Arombolosch plötzlich. "Da hätte man auch gleich drauf kommen können und sich womöglich die mühsame 'Landgewinnung' erspart."
- "Es war halt kein Spezialist anwesend, der sich mit Tiefbauten in Ufernähe auskennt. Ich kenne auch Niemanden im Horasreich mit derartigen Kenntnissen. Obwohl wir uns langsam dazu entwickeln, was?", kumpelhaft klopft Erlan dem Zwergen auf die Schulter.
- Der Zwerg schaut erstaunt auf und brummt dem begeisterten Menschling etwas unverständliches entgegen. Erlan zuckt zurück und erwidert schnell. "Ich sehe, daß Ihr hier wohl ohne meine Hilfe weiterkommt. Ich werde hinab zur Bucht gehen. Da gibt es sicher auch einiges zu tun, falls wir das Loch finden."
88.Tag, ein Zufluß vom Meer
Arombolosch hat die Nacht durcharbeiten lassen, und tatsächlich zeigt sich am Nachmittag der Erfolg. Der Schacht ist nahezu gefüllt und der Wasserdruck befördert zunächst das alte Wasser zurück in die Röhre und dann in die Bucht. Aus einem dreieckigen Geröllfeld quillt zunächst das viele Jahre lang verborgene Wasser hervor, dann gelb-rötlich gefärbte Brühe.
- Auch Erlan ist nicht untätig gewesen, er hat schon am Abend Werkzeuge zur Bucht bringen lassen. Ebenfalls am gestrigen Tag hat er mit Svenske einen Gang am Bach entlang gemacht. Die Suche nach Ton war erfolgreich gewesen. Fließgewässer spülen oftmals lockere Erdschichten soweit weg, daß Tonschichten freigelegt werden. Den ganzen Vormittag haben die beiden damit zugebracht, Ton zu stechen und mit Segeltuchsäcken zur Bucht zu schleppen. Dabei ist ein gehöriger Haufen feuchten Tons angehäuft worden. Daneben ein ebenfalls ordentlicher Haufen von Reisig, die Holzfäller haben der (monetären) Bitte Erlans nachgegeben, und einen Teil ihrer Abfälle zur Bucht getragen.
- Als jetzt das Wasser zu sprudeln beginnt, sind die beiden vor lauter Tondreck starrenden Baumeister froh, diese Vorbereitungen schon erledigt zu haben. Hoffentlich reicht das Material zum Schließen der Öffnung.
- Etwas erschöpft schnappen sich beide eine Schaufel und gehen zu der Stelle, wo das gefärbte Wasser austritt. Dann beginnen sie vorsichtig, den Bereich freizulegen. Das Loch wird dabei langsam größer, sodaß man bald erahnt, wie groß es ist und wo seine Ränder sind.
- "Svenske, los flitz hoch und sag Bescheid, daß wir das Loch haben! Sie sollen aufhören mit dem Wasser reinlassen, ehe wir hier wieder absaufen!"
So geschieht es, und dann macht man sich gemeinsam an die weitere Arbeit. Erlan hat einen unter Sand und Schlick verborgenen einfachen Zugang erwartet. Stattdessen dauert eine ganze Weile, bis das Meisterwerk der Baukunst weit genug freigelegt ist und man den Gesamtplan erkennen kann. Unter einem im Nachhinein auffällig dreieckig angeordneten Geröllfeld im Nordwesten der Bucht befindet sich ein Sammelbecken, von dem aus ein Rohr Richtung Schacht führt.
Arombolosch fertigt eine Zeichnung an und zeigt sie Erlan.
- "Was bei allen Nie..." Erlan beißt sich auf die Zunge und würgt den lästerlichen Fluch ab, der ihm auf der Zunge liegt. "Das ist eine gewollte Verbindung. Aber wozu bauchten die Wasser in dem Schacht? Und wozu Wasser von hier? Wasser aus dem Meer? Der Bach wäre doch auch dagewesen."
- Erlan versteht die Welt nun gar nicht mehr. Dann setzt er sich hin grübelt und spekuliert vor sich hin: "Wenn diese Öffnung künstlich angelegt wurde, und gewollt war, dann muß es unten eine Art Absperrung, einen Schieber oder etwas ähnliches, geben. Denn sicher wurde das Wasser für irgendetwas gebraucht, vielleicht für eine Art Wasserantrieb. ... Oder, es gibt dort einen Abfluß, der nun verstopft ist. Denn irgendwohin muß das Wasser, ja schließlich wieder ablaufen, egal wofür man es gebraucht hat. Ich glaube nicht, daß man dieses kleine Kunstwerk hier gebaut hat, um den Schacht und den Seitengang, den wir gefunden haben einfach nur absaufen zu lassen."
- Mit Blick zu Arombolosch gewandt spricht er weiter: "Ich weiß nicht, was Ihr denkt Meister Arombolosch. Aber ich bin dafür, diese Wasseröffnung erstmal noch offen zu lassen. Wir sollten den Schacht abpumpen und unten zu schauen, wo dort die zugehörige Öffnung ist. Vielleicht gibt es dort einen Absperrmechanismus oder einen verstopften Abfluß. Möglicherweise brauchen wir dieses Wasserrohr noch."
Der Zwerg hat keine Einwände, und so wird der Lauf des Wassers ein weiteres Mal umgekehrt und die Entwässerung der Bucht und des Schachtes wieder in Gang gesetzt. Zwischendurch läßt Arombolosch das Personal nach und nach ein wenig Schlaf nachholen.
89. Tag
Der Schacht ist weit genug entwässert, und einige Eimer buntes Wasser ins Sammelbecken beweisen, daß es von dort eine direkte Verbindung zum Schacht gibt, aus der bei der Gelegenheit noch einige Rückstände herausgespült werden. Das untere Ende der Röhre wurde am Austritt sauber in eine Umrahmung des Schachtes eingefügt und von Erlan nur deshalb übersehen, weil der Arbeitsplatz so tief unten düster und dreckig ist und er auch nicht auf so etwas geachtet hat. Beim Setzen der nächsten Verschalung wäre er wohl von allein darauf gestoßen.
"Was nun?" fragt Arombolosch. "Wir könnten beispielsweise den Schacht vom Becken aus belüften. Das würde die Arbeit etwas erleichtern. Aber was machen wir, wenn die Bucht wieder voller Wasser ist, was - wie ich betonen möchte - eher früher als später geschehen wird."
- "Ich gebe Euch recht, Meister Arombolosch. Bei einem stärkeren Unwetter könnte der Damm brechen. Das wäre fatal!", stimmt Erlan grüblerisch zu. "Doch verweigert etwas in mir den Gedanken, dieses Rohr allzu fest und unlösbar zu verschließen. Wie schon gesagt, vielleicht brauchen wir es noch. Unsere Vorgänger haben nicht umsonst so viel Aufwand getrieben."
- Erlan kommt, als er oben auf der Baustelle einen Eimer halbvoll mit Pech sieht, ein Gedanke: "Würde es reichen, diesen Eimer dort drüben - samt Pech - fest auf den Rohrmund im Schacht zu stülpen und ihn dann über die Henkellöcher mit Holzdübeln am Rohr zu verankern? Weiteres Pech draußen herum könnte dann die endgültige Abdichtung bringen."
- Erlan schaut den Zwergen fragend an.
"Die Abdichtung wäre wohl besser zumindest annähernd so stabil wie die Steineichen-Deckel oder das Rohr. Bei einem Eimer wäre mir garnicht wohl. Das Pech könnte herausquellen, der Eimer könnte undicht werden, und Pech außen herum nützt überhaupt nichts, wenn das Wasser von innen kommt. Dann besser ein langer hölzerner Stopfen, den wir sauber anpassen, mit Pech bestreichen, in das Rohr hineinhämmern und verdübeln."
Der Zwerg zeichnet seine Idee auf den Boden, sieht aber nicht zufrieden aus und zeichnet grinsend einen großen Zapfhahn dazu.
"Wenn ihr so erpicht darauf seid, kontrolliert Wasser in den Schacht leiten zu können oder auch nicht, sollten wir uns eine Art Absperrhahn überlegen, je näher am Einlauf, desto besser."
- "Ich bin nicht erpicht darauf, aber ich vermute dieses ausgeklügelte Rohr hat einen Hintersinn. Sowas baut man doch nicht, um dieses Bauwerk einfach nur absaufen zu lassen. Das würde einfacher gehen, als quer durch Fels und Erdreich ein mehr als hundert Schritt langes Rohr zu treiben. Und dazu bauen die noch diesen Filter hier." Erlan sieht bei all den Grübeleien nicht ganz glücklich aus. Doch dann legt er fest:
- "Ich denke, ihr habt recht. Wir verstopfen das Rohr oben in der Bucht! Wir bauen, wie Ihr vorhin angemerkt habt, einen hölzernen Propfen, der leicht konisch ist, aber paßgenau ins Rohr paßt. Das Wasser würde ihn dann oben ins Rohr hinein drücken, sodaß er sich nicht so einfach von allein löst."
- Nochmals überlegt Erlan kurz: "Damit wir ihn unter Umständen wieder herausziehen können, versehen wir ihn mit einer Kette oder einem Seil. Das müßte natürlich lang genug sein, daß es bis ans Ufer reicht und dort befestigt werden. Damit wir es gleich zur Hand haben."
- Wieder grübelt Erlan unzufrieden: "Es gäbe durchaus elegantere Möglichkeiten, aber fehlen uns hier auf der Insel höchstwahrscheinlich die Zeit, das Material und und die geschickten Handwerksmeister dazu. ... Es mit unseren Möglichkeiten so einfach wie möglich zu machen, ist besser als zuviel zu wollen. Oder?"
Arombolosch ist einverstanden, und so wird das meerseitige Ende der Röhre weit genug freigelegt, um es mit einem hölzernen Stopfen verschließen und mit Werg und Pech abdichten zu können. Das Ende des Stopfens wird quer durchbohrt und mit einem stabilen, auf beiden Seiten herausragenden Zapfen versehen, an dem nötigenfalls von einem Taucher ein Seil oder ein Tau zu befestigen ist. "Wir müssen die Sachen nicht im Dreck oder Meerwasser rumgammeln lassen, solange es nicht nötig ist. Kostet ja alles Geld," meint der Zwerg.
Dann gehen die Arbeiten zur Vertiefung des Schachts weiter, noch sorgfältiger als zuvor, und demzufolge auch etwas langsamer.
92.Tag, 50 Schritt Tiefe
¿ 26. Tag Der Flaschenzug Ansicht von der Seite _______________ Erdboden ╤════╤ Der Deckel |<1m>| ╪════╪ 28. Tag 10 m, Steineiche, erstklassige Dichtung, Meeresspiegel | | ╪════╪ 32. Tag 20 m, Steineiche, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | | ╪════╪ 84. Tag 30 m, Tannenholz, minderwertige Dichtung | | ╪════╪ 86. Tag 40 m, Tannenholz, minderwertige Dichtung | ╪═ 87. Tag 42 m, Zulauf vom Meer ╪════╪ 92. Tag 50 m, Steineiche
Das Wetter hat sich verschlechtert, wie schon lange befürchtet. Ein erster Herbststurm auf hoher See hat die Eicheninsel zwar verschont, aber die durch den Sturm verursachte lange und hohe Dünung macht der Absperrung der Bucht gehörig zu schaffen. Reparatur-Gruppen haben immer häufiger zu tun, und Arombolosch fragt bereits, ob die Arbeit überhaupt noch nötig ist, da kommt vom Schacht eine Meldung. Svenske hat gerade Schicht und ist auf eine Lage Steineichenbalken gestoßen, die den bisher gefundenen gleicht.
- Erlan macht sich selber auf den Weg nach unten, nachdem Svenske hochgeholt wurde, diese Nachricht überbrachte. Der Vesselbek schaut sich die erneute Steineichenlage genau an. Er macht einige Messungen und Notizen in sein kleines Büchlein. Dann läßt er sich selber wieder heraufbringen. Der Aufbau des einfachen Krans, mitsamt Seilwinde und großer Segeltuchtasche, hat nicht nur das Ausschöpfen des Schachts etwas erleichtert. Der Kran ist auch jetzt beim Transport von Aushub, Werkzeug und Arbeitern sehr nützlich.
- Als der Baumeister wieder oben ist, bestätigt er Svenskes Aussagen und läßt die Arbeiten fortführen. "Wir sind immer noch auf dem richtigen Weg. Wir sollten weitergraben. .... Ich bitte aber um äußerste Vorsicht. Irgendwann kann urplötzlich ein Hohlraum auftauchen. Egal, was da unten ist, es besteht ernsthaft die Gefahr , daß nicht alles so sorgfältig verfüllt worden ist wie der Schacht."
- Dann macht sich Erlan auf den Weg zur Bucht. "Was den Damm anbelangt. Sollten wir ihn wirklich langsam aufgeben. ... Svenske komm mit!" Beim Hinabsteigen erklärt er Svenske seinen Plan mit dem Damm. Vielleicht schaffen wir es noch vor Beginn der Flut an einer Stelle einen Überlauf zu schaffen. Die Flut wird dann die Bucht füllen. Wenn innen und außen immer der gleiche Wasserstand herrscht ist auch die Last des Wassers auf beiden Seiten des Dammes gleich. Das sollte helfen, daß der Damm stehen bleibt. Außerdem kommt es nicht zu heftigen Wasserbewegungen, die die Rohröffnung mit Steinen oder Schlick versetzt. Auch ist die Gefahr, daß sich der Stöpsel löst, bei einer allmählichen Flutung geringer. Selbst wenn der Damm einem Unwetter auf diese Weise nicht trotzt, die Bucht ist dann schon voll und der Stöpsel hält besser."
- Zusammen mit Svenske berät Erlan sich unten, an welcher Stelle man am besten Löcher bohrt. Oder ob schon bestehende Undichtigkeiten zwar nicht abgedichtet aber dennoch abgesichert werden müssen, damit die Wand nicht gleich bricht.
Svenske hält das für unnütze Arbeit. "Wenn wir die Absperrung ohnehin aufgeben, ist es am besten, überhaupt nichts mehr zu tun. Das spart Zeit und Geld. Die Bucht wird sich früher oder später von allein füllen und bei der Gelegenheit können wir sehen, wo das Bauwerk womöglich Schwachstellen hat. Vielleicht brauchen wir es irgendwann wieder mal und können dann gezielter vorgehen. Oder wir bauen irgendwo anders etwas in der Art. Aber Ihr seid der Bezahler, also habt Ihr das letzte Wort."
- Als auch Erlan sieht, daß von allein genug Wasser in die Bucht läuft, um sie in absehbarer Zeit zu füllen gibt er Svenske recht. Alles andere wäre vergebliche Mühe.
Beide gehen zum Zulauf. Arombolosch sieht sich die Anlage gerade noch einmal genau an und meint: "Ich finde, es reicht, wenn wir dieses Faserzeug und die Steine einfach wieder drüberpacken. Die Bucht ist ja auch so geschützt, und das Ding hat bisher tadellos gehalten. Und der Stopfen ist sowieso nicht in Gefahr."
- Erlan gesteht sich ein, daß er sich bei neuen Aufgaben zumeist in Sachen hineinsteigert. Aber dabei meist zuviel und manchmal auch das Falsche antreibt. Auch hier gibt er dem Pragmatismus des Zwergen recht.
Kurze Zeit darauf finden sich alle wieder am Schacht ein und Erlan wird wieder in den Schacht hinabgelassen, um die Lage an Steineichenhölzern zu beseitigen.
- Der Vesselbek ist sich der Gefahr bewußt, die dort unten lauern kann. Da Anweisungen und Gespräche über 50 Schritt schwierig sind, möchte er das Ganze lieber selbst erledigen. Er will auch niemanden unnötig in Gefahr begeben. Neben seiner Person hat er sich auch eine Menge an unterschiedlichen Werkzeugen nach unten schicken lassen. Außerdem versucht er sich abzusichern, indem er den Transportsack in gewisser Höhe hängen läßt, damit er bei der Arbeit nicht unbedingt stört, aber mit einem einfachen Sprung erreicht werden und erklettert werden kann. Außerdem hat er sich eine Signalpfeife mitgeben lassen, um ein Alarmzeichen zu geben falls es nötig sein sollte.
- Zuerst kratzt Erlan einen der Spalte zwischen den einzelnen Holzbalken frei. An erfolgversprechender Stelle wird dieser Spalt vorerst verbreitert, indem mit Stechbeitel und Hammer Stück für Stück Späne abgehackt werden. Als der Spalt schließlich breit genug ist, daß eine Eisenstange hindurch geschlagen werden kann, tut Erlan dies. Mit einzelnen kräftigen Schlägen wird die schrittlange Stange zwischen den Steineichenbalken hindurch ins darunterliegende Erdreich getrieben. Nach jedem Schlag hält Erlan inne, und prüft wie tief die Stange hineingerutscht ist. Er will herausfinden, wie fest das Erdreich ist, und ob sich überhaupt fester Boden unter den Balken befindet.
- Bevor er den nächsten Schlag ausführt, lockert Erlan die Stange stets wieder und zieht sie nach oben. Damit sie nicht stecken bleibt, wenn sie tief genug eingeschlagen ist. Dabei prüft er, ob Bodenmaterial an der Stange kleben geblieben ist.
Anfänglich quillt etwas Wasser aus dem kleinen Loch, aber nur sehr wenig.
- Dann wird die Stange wieder in das kleine Loch gefädelt und noch etwas tiefer hinein getrieben.
Erlan arbeitet vorsichtig aber stetig weiter. Die Öffnung wird vergrößert, bis er ungefähr einen Schritt tief bohren und sondieren kann. Schließlich gelangt Erlan zu dem Schluß, daß sich unter den Balken kein Hohlraum befindet, sondern nur Erde.
- Als dies herausgefunden ist, wirkt Erlan erstmal ein klein wenig mehr beruhigt. Als nächstes fährt er fort die Verschalung des Schachts soweit es geht nach unten zu bauen. Gerade soweit, daß man noch vernünftig das Erdreich um die erste Balkenlage herum herauskratzen, und diese lockern kann. Die Verschalung wird so sorgsam und stabil wie möglich gesetzt. Erlan läßt sich dabei durch etwaige Zurufe von oben nicht beirren. die sind sowieso kaum noch vernünftig zu verstehen.
- Als die Verschalung herunter gezogen ist, schlägt Erlan mit leichtem Abstand unter den Rand der Verschalung Holzpfähle waagerecht ins Erdreich. Anschließend schiebt er ein Brett zwischen diese Pfosten und die Verschalung. Damit, wenn das Erdreich neben den Eichenbalken weggekratzt wird, nichts von oben nachrutschen kann.
- Erlan ist schon ziemlich lange hier unten beschäftigt und verschnauft erstmal. Als er bemerkt, daß seine Wasserflasche leer ist, und dafür sein Hemd und seine Hose klatschnass sind, beschließt er sich wieder nach oben zu begeben. Er klettert in den "Förderkorb" und gibt mittels der Pfeife und Zuruf das TZeichen zum Hochziehen.
- Oben erklärt er allen Arbeitern allen voran Meister Arombolosch genau, wie er das Erdreich absichern will, und was er unten schon getan hat. ".... Vielleicht ist es noch nötig dieses waagerechte Verschalungsteil mit Holzpfählen nach schräg unten abzustützen. Bevor man die Balken rausgräbt und hochholt. ... Ich brauch erstmal eine Pause! Wer macht weiter?"
Minervé Skeboserin wäre turnusmäßig an der Reihe, doch Svenske versucht, sich an der Vorarbeiterin vorbeizudrängeln, um vielleicht die Ehre einer besonderen Entdeckung einzuheimsen. Sie packt ihn mit einem schnellen Griff am Hosenbund und hebt ihn halb von den Füßen. Svenske sieht hilfesuchend zu Erlan hinüber, aber der ist gerade in ein Gespräch vertieft. Angesichts ihrer Muskeln und der Schmerzen im Schritt gibt Svenske seinen Versuch auf.
Minervé schuftet ihre Schicht ohne Pause durch, dann im Wechsel die anderen. Schritt um Schritt graben die Männer und Frauen sich immer tiefer in Sumus Leib hinein. Nicht alle sind gleichermaßen neugierig, und mancher ist froh, einfach den Lohn zu bekommen und nicht das Risiko einzugehen, bei diesem Unternehmen mit völlig ungewissem Ausgang finanziell gehörig auf die Nase zu fallen.
95.Tag, Wiederankunft der Peraineblume
- Im Laufe des Nachmittags wird der übliche Trott auf der Eicheninsel und im Arbeiterlager durchbrochen. Die "Peraineblume" ist mit zweitägiger Verspätung endlich wieder da. Der Sturm, der vor drei Tagen draußen auf dem Meer getobt hatte, ließ den Kapitän lieber einen Umweg über den Hafen von Athyros nehmen. In diesem überaus geschützten Hafen hatte man Wind und Wellen abgewartet.
- Doch nun ist man da. Schnell wird das Beiboot klar gemacht. Proviant, Arbeitsmaterialien und Neuigkeiten werden zur Insel geschafft. Erlan Vesselbek ist auch zum Strand gekommen, er hat einige Werkzeuge bestellt, und erwartet auch sonst Neuigkeiten aus dem heimatlichen Sewamund. Wie überrascht ist er, als er seine Base an Bord des Bootes erspäht. Mit solch prompter Antwort auf seinen Brief hat Erlan natürlich nicht gerechnet.
- Es dauerte eine kurze Weile, bis das Boot anlandet. Natürlich hilft Erlan der Frau seines Vetters an Land. Nach einer kurzen Begrüßung kommt Ildeberta Molthaus sofort zum Grund für ihr persönliches Erscheinen.
- "Keine Sorge, Vetter! Mein Gemahl hat der Ausweitung Deiner Anstellung zu einer Teilhaberschaft zugestimmt."
- "Ich danke Dir, verehrte Base. Mir fällt wahrlich ein Stein vom Herzen. ... Aber warum hast du dich selbst hierher bemüht? Doch nicht, um mir das zu sagen?"
- "Es war nicht leicht Deinen Vetter davon abzuhalten, Dich umgehend nach Sewamund zurück zu beordern. Doch glaube ich den Worten aus Deinem Brief, daß Du hier keinem Hirngespinst auf der Spur bist. Darum habe ich mich anerboten, die Finanzen dieser Compagnia für Dich zu prüfen. Und das ist Voltans Bedingung gewesen, dieses Unterfangen darf nicht zu Lasten der Familienkasse gehen." Ildeberta schaut Erlan fest entschlossen an. "Ich habe hier eine Abschrift Deiner Kontoseite bei der Gildenbank, dazu Kopien aller Rechnungen. Ich werde schauen müssen, was hier noch an Papieren herumliegt. Laß uns gleich loslegen."
- "Gemach, gemach, Base! Kommt erst einmal an auf dieser Insel. ... Welch Pech, daß Du das herrliche Wetter der letzten Wochen verpaßt habt. Traumhaft sage ich."
Ildeberta würde sich jetzt gern vor allem alle Notizen und Dokumente zu dem Schacht-Projekt ansehen, aber ein Bursche meldet die in Kürze bevorstehende Begrüßung durch Raka di Mhoremis, sobald Signora Vesselbek dazu bereit sei. Für einen Wechsel des Gewandes sieht Ildeberta keinen Grund und für besondere Wartezeiten auch nicht, daher läßt die Matriarchin sich nur ein wenig herrichten und geht dann zum unlängst fertiggestellten Blockhaus hinüber, in das die Edeldame inzwischen umgezogen ist. Der Weg führt über einen Bretterweg zum Gebäude. Noch einen Steinwurf entfernt hört Ildeberta die Stimme der Hausherrin: "Es ist einfach furchtbar! Ich habe in dieser Einöde nichts anzuziehen, um der Signora Vesselbek auch nur halbwegs angemessen gegenüberzutreten. Nur uralte Lumpen! Was soll man nur von uns denken? Man wird uns für Hinterwäldler halten!" Ildeberta hat die Tür fast erreicht, da tritt zunächst eine junge Zofe hervor, dann eine attraktive, nach Maßstäben der Patrizierin übertrieben elegant und der Umgebung keineswegs angepaßt gekleidete Dame, in ein luftiges fliederfarbenes Kleid gehüllt, darüber ein offener Sommerpelz, Lackschuhe an den Füßen. Man begrüßt einander, die Gastgeberin bittet den Besuch hinein und entschuldigt sich ein ums andere Mal, sie habe keinen passenden Hut finden können, und wie grauenhaft und furchtbar unaufgeräumt alles sei. Hinter einem kleinen Windfang mit Garderobe wird Ildeberta in einen Raum geführt, der das vordere Drittel des Blockhauses einnimmt und einem Salon ähnlicher sieht als einem Wohnraum. Fliederfarbene Wandbehänge und weiße Gardinen verdecken das Holz der Wände und das dünne Pergament der Fenster. Die Damen setzen sich. Getränke, Gebäck und andere kleine Leckerbissen werden gereicht. Nach dem Austausch der üblichen Artigkeiten verweilt das Gespräch eine Weile bei Neuigkeiten aus Sewamund, wobei Raka ein ums andere Mal nach der neuesten Mode fragt und beklagt, wie sehr man hier doch davon abgeschnitten sei. Als man beim Kleinsprech anlangt, verweist Ildeberta entschuldigend darauf, daß sie noch viel zu erledigen hat und das weitere Gespräch gern auf den Abend verschieben würde: "Die Pflicht ruft." Raka äußert einerseits tiefes Bedauern, zeigt sich aber andererseits überaus verständnisvoll und öffnet dem Gast sogar persönlich die Tür: "Es war Uns eine Freude. Beehrt Uns recht bald wieder."
- Erlan hat inzwischen angeordnet, ein weiteres Zelt herzurichten.
Die Arbeit hat noch nicht begonnen, da bekommt er das Angebot, er könne das zuvor von Signora Novacasa bewohnte Zelt in Anspruch nehmen.
- Als Ildeberta zurück ist, begutachtet sie in Erlans Zelt alle Notizen und Dokumente zu dem Schacht-Projekt und stellt eine Liste nach Soll und Haben auf. Erlan selber hat sich erstmal wieder zur Baustelle verzogen.
- Gegen Abend begibt sich Ildeberta erneut zu Raka di Mhoremis.
Der Empfang ist bereits bestens vorbereitet. Man setzt sich und Ildeberta stellt fest, daß das Abendessen ziemlich genau dem entspricht, was sie sich gemessen an den Ressourcen der Insel selbst hätte auftischen lassen, wobei die Auswahl allerdings viel zu umfassend für zwei Damen ist. Nach den ersten Bissen kommt Ildeberta zur Sache:
- "Phex mit Euch, Signora, nun möchte ich doch gern etwas Geschäftliches besprechen."
"Aber gern, Signora, nur zu, frei von der Leber weg, auch wenn Unsereins in diesen Dingen kaum kompetent ist und sich diesbezüglich wohl kaum mit Euch messen kann."
- "Keine Sorge, Signora Raka! Ich habe kein Anliegen, welches zuviel verlangt ist. Es ist folgendermaßen: Ich bin gerade dabei ein wenig Ordnung in die Finanzen dieser Unternehmung zu bringen. Mein Vetter ist ein guter Baumeister, doch läßt er die Gelder schnell aus den Augen, wenn es viel anderweitige Arbeit gibt. Ich habe jetzt alle Unterlagen studiert, die er zusammengetragen hat. Doch ... "
- Ildeberta legt ihr Besteck auf den Teller und schaut Raka nun unverwandt aber dennoch freundlich in die Augen. "... mir fehlen allerdings hier und da einige Angaben zu manchen Posten. Ich dachte, es könnte sein, daß ihr vielleicht noch über einige Unterlagen verfügt."
Raka schaut völlig hilflos und verwirrt drein. "Irgendwo in diesem furchtbaren Durcheinander liegt wohl der Vertrag mit den Kacheleens herum, und dann natürlich der Änderungs- und Ablösevertrag. Über Einzelposten informiert Ihr Euch am besten im Bauzelt. Meister Arombolosch, Frau Skeboserin und natürlich Euer Meister Vesselbek dürften alles parat haben."
Ildeberta sieht sich wie zufällig um. Durcheinander? Wohl kaum. Aber es gibt ja noch einen hinteren Raum, oder vielleicht zwei. Vielleicht sieht es dort aus wie bei Hämpels unterm Sofa. Bevor Ildeberta etwas sagen kann, erhält die Zofe einen kleinen Wink und bietet ein besonders vielseitig dekoriertes Häppchen an.
"Mit einheimischen Kräutern, ein Gedicht, Ihr solltet das unbedingt mal probieren." Raka beißt stattdessen in ein Gebäck, so luftig, daß Ildeberta sich fragt, welche Messerspitze klein genug ist, um diese winzige Portion Teig auf ein Backblech zu applizieren.
"Oder interessiert Ihr Euch für irgendetwas Spezielles, das ihr nicht gefunden habt? In die Details der Arbeit ist Unsereins nicht eingeweiht und versteht auch garnichts davon."
- Ildeberta ist sichtlich verdutzt ob dieser Antwort. Sie führt dennoch die Gabel zu dem dargereichten Häppchen und genießt es erstmal langsam kauend. Diese Zeit nutzt sie um ihre Gedankens zu ordnen.
- "Ihr versteht gar nichts davon? Dann tut es mir vielmals leid, daß ich Euch so überfallen habe. Ich hatte ja keine Ahnung, daß es Euch ähnlich geht wie meinem Vetter."
- Ildeberta lächelt jetzt leicht: "Nebenbei bemerkt, dieses Häppchen ist wirklich etwas ganz Besonderes. In der Tat, auch der Rest dieses Mahls! ... Ist Euer Koch ein Magier? Wer könnte sonst in der Lage sein hier am Rande der Welt solche Kunstwerke zu schaffen."
"Ein Magier nicht gerade, denn wer könnte sich so etwas leisten, wo doch bereits der kleinste Luxus Unsummen verschlingt." Raka deutet einmal in die Runde und seufzt bekümmert. "Unsereins muß ja geradezu in Lumpen einhergehen, um sich bei den heutigen Preisen und Steuern überhaupt Kleidung zum Wechseln leisten zu können. Aber Unsere Köchin ist immerhin recht begabt, und sie kann Euch bei Bedarf gern aushelfen."
Ildeberta nimmt einen weiteren, etwas größeren Bissen, um - weil man ja mit vollem Mund nicht sprechen soll - Gelegenheit zu haben, sich etwas genauer umzusehen und nachzudenken, während ihr Gegenüber munter weiter daherplappert. Signora Novacasa versteht nichts von Finanzen?? Ildeberta hat sich gerade erst von Brunella van Kacheleen erzählen lassen, wie sie beinahe aufs Kreuz gelegt worden wäre. Warum wäre Raka denn dann wohl hier? Denn diese teure "Hof"haltung kostet wahrscheinlich mehr als die Graberei. Oder etwa nicht? Das Haus Novacasa ist für seine Extravaganzen bekannt und soll andernorts angeblich sogar schon Kredite von gen Alveran schreiender Höhe aufgenommen haben, aber von Überschuldung hat Ildeberta nie etwas gehört. So ein Blockhaus ist schnell errichtet, wenn die Materialien vor Ort sind. Wer sagt überhaupt, daß die Wände aus Steineiche sind? Beim Hineingehen hat Ildeberta nicht darauf geachtet, also will sie es jetzt tun und steht kurzerhand auf.
"Ihr entschuldigt, mein Mieder wurde beim Schnüren nicht auf eine so unwiderstehliche Mahlzeit eingerichtet. Etwas frische Luft..." Um garnicht erst Widerspruch aufkommen zu lassen, geht Ildeberta selbst zum Fenster, zieht die Gardinen zurück und öffnet es. Dabei fällt ihr bei genauem Hinsehen auf, was beim bisherigen, eher romantischen Licht nicht zu sehen war: Die Gardine ist keineswegs neu, und auch der Wandbehang nicht. Offenbar hat man daheim bereits ausgesondertes Material neu verwendet, um hier ohne übermäßige Kosten Eindruck zu schinden. Anscheinend ist doch niemand im Hause Novacasa so verrückt, erstklassige Materialien für ein Blockhaus in der Wildnis zu verschwenden, jedenfalls nicht hier und jetzt. Und nein, Wände und Fensterrahmen wurden nicht aus Steineiche gezimmert. Soviel sieht Ildeberta auch ohne besondere Kenntnisse von Holz und Holzbearbeitung. Sie dreht sich um und betrachtet demonstrativ durchatmend das Gewand ihrer Gastgeberin. Nein, da ist auch bei besserem Licht kein Makel zu entdecken.
Raka hüstelt und entschuldigt sich für ihre schwache Gesundheit, was Ildeberta veranlaßt, das Fenster wieder zu schließen.
"Entschuldigt bitte tausendmal, wie spontan, unbedacht und unhöflich von mir, nicht einmal um Erlaubnis zu fragen." Ildeberta setzt sich wieder und greift zum nächsten Häppchen. Das Gespräch dreht sich eine Weile um gesundheitliche Themen, wie leicht man sich doch erkältet und dergleichen, dann leitet Ildeberta wieder zum Grund ihres Besuches und einer Frage über, die sie beschäftigt: "Nun, Eure Anwesenheit kostet sicherlich den einen oder anderen Dukaten, und allem Anschein nach wärt Ihr lieber auf einer Festivität oder bei Eurer Familie als hier in der Wildnis - wer wäre das nicht? Warum seid Ihr dann hier?"
Raka lächelt verschmitzt. "Nun, Ihr habt sicher schon die eine oder andere Geschichte gehört. Gelegentlich ist es angezeigt, dem Gemahl ein paar zusätzliche Kosten aufzuerlegen. Umso mehr weiß er Unsere Anwesenheit wieder zu schätzen."
Solche Finessen sind Ildeberta fremd und sie schaut ein wenig ungläubig drein. Andererseits, wenn später neue Gardinen auf der Rechnung stehen, kann man sich leicht ein Paar extravagante Stiefeletten oder einen extra Spion leisten. Ildeberta ist ja nicht mit dem Klammerbeutel gepudert. Solche Tricks kennt sie zur Genüge.
Raka mustert Ildeberta eine Weile und lächelt. "Na gut, Ihr habt Euch die Gardinen ein wenig zu gründlich angesehen. Euch kann man es wohl sagen, ganz im Vertrauen natürlich. Wir sind ja schließlich auf derselben Seite, und wir Frauen müssen zusammenhalten. Es sind vor allem zwei Gründe: Einerseits ist es immer interessant, einen Schatz an... äh... auszugraben. So eine Gelegenheit kann man doch nicht verstreichen lassen oder zweitklassigen Angestellten überlassen. Warum sonst wärt Ihr persönlich hier? Zweitens ist dabei natürlich Aufsicht gefordert. Das Volk schwingt zwar Hammer und Spaten, aber man muß doch darauf achten, daß währenddessen nichts verschwindet. Wenn keine Aufsicht da ist, wird der Pöbel übermütig. Wenn die Aufsicht zu streng ist, wird der Pöbel aufmüpfig. Am besten, man ist vor Ort und wirkt inkompetent und desorientiert. Das führt die Ehrlichen nicht in Versuchung und macht die Unehrlichen unvorsichtig."
Raka lächelt schelmisch und greift zu einem von ihrer Zofe dargereichten Tablett mit einer Süßigkeit, die sie Ildeberta darbietet: "Praliné?"
- "Gern!" Ildeberta nimmt eine der süßen Kleinigkeiten von dem Tablett. Während sie diese genüßlich in ihrem Mund zergehen läßt, kommt sie wieder zu Tisch und setzt sich.
- "Jetzt verstehe ich." Ildeberta nimmt einen Schluck aus ihrem Weinglas. "Ich werde immer wieder darin bestätigt. Wenn zwei Geschäftsleute zusammen zu einem Abschluß kommen wollen, müssen sie nur miteinander reden. Ich wünschte mein Gemahl wäre öfter dieser Ansicht. Aber Ihr könntet sicher ein ähnliches Lied singen."
- Nach einem weiteren Bissen und einem weiteren Schlückchen fragt Ildeberta: "Gab es denn schon Unregelmäßigkeiten?"
"Nichts von Bedeutung. Aber wie Ihr vielleicht erfahren habt, haben die Erbauer der Anlage an mindestens zwei Stellen gepfuscht. Da hat wohl jemand bestes Bauholz unterschlagen. Der junge Herr van Kacheleen kann dafür sehr dankbar sein, denn wäre es anders gewesen, hätte der Wassereinbruch ihn viel tiefer erwischt und höchstwahrscheinlich umgebracht." Raka lehnt sich in ihrem Lehnsessel etwas zurück und überlegt einen Moment.
"Wenn Ihr schon so direkt fragt, kann man wohl dem Beispiel folgen. Meister Erlan macht seine Arbeit doch recht ordentlich. Warum also seid Ihr hier? "
- "Es hat nichts mit Mißtrauen zu tun! ... Es ist so, daß mein Gemahl ihn sofortigst zurück beordern wollte. Den ursprüngliche Auftrag, für die van Kacheleens hier einen Damm zu bauen, ist erledigt. Für finanzielle Abenteuer hat Voltan nichts übrig. Da gerät er ganz nach seinem Großvater."
- Ildeberta schiebt den Teller etwas von sich weg, und legt beide Hände auf den Tisch.
- "Auch mir liegt nichts an Abenteurerei, wenn es ums Geld geht. Doch ich weiß, daß Erlan viel begabter ist, als man es ihm zutraut. Er hat auf seinen Reisen sehr viel gesehen. Und er weiß, das, was er gesehen hat, auch zu nutzen. Ich habe vollstes Vertrauen in seine Arbeit, er wird keinem Hirngespinst nachjagen. Er weiß, was er in dem Loch tut."
- Ildeberta schlägt wie zur Bestätigung sanft und unhörbar mit der Faust auf den Tisch.
- "Was mir in Sewamund Sorgen machte, war der Gedanke, daß Erlan den Überblick über die Finanzen verliert. Dafür hat er nichts übrig. Dies ist der einzige Makel an seiner Arbeit. Bislang konnte ihm seine Familie immer behilflich sein, dies auszugleichen. Für derlei Hilfe ist eine Familie da. Und nun bin ich eben hier, um ihn zu unterstützen, damit er allein auf die Bauarbeiten acht haben kann."
- Nach der Wirkung ihrer kleinen Rede forschend blickt Ildeberta Raka nun ins Gesicht. Die Vesselbeks halten immer zusammen, das wollte sie klar zu verstehen geben. Auch wenn sie selbst "nur" angeheiratet ist. Das schlechte Beispiel ihrer eigenen Familie, die während des Thronfolgekrieg zerbrach, ist ihr stets eine Warnung.
Raka lächelt fröhlich. "Jaaa, da ist durchaus eine gewisse Übereinstimmung mit dem kessen Travinus zu bemerken. Es gibt ein paar sehr unterhaltsame Berichte über die Reaktionen seiner Schwester und seines Vaters in Sewamund. Wenn es euch beruhigt... Wir richten Unser Augenmerk natürlich auf alle Anwesenden, auch Herrn Erlan. Bisher gibt es keinen Grund zur Klage. Er ist einfallsreich, sorgt sich um das Personal und hört durchaus auf guten Rat, wenn beispielsweise eine Idee Meister Arombolosch oder sonstwem zu teuer oder unnötig erscheint. Wenn es da unten in dem Geldloch etwas zu finden gibt, wird die Belegschaft es wohl finden. Es ist nur zu hoffen, daß Wir bis dahin nicht zahlungsunfähig sind." Raka seufzt ein wenig besorgt. Dann wechselt sie das Thema und erkundigt sich nach der Qualität der Unterbringung und bietet ihre Hilfe an, falls irgendetwas fehlen sollte.
- Ildeberta hat durchaus genug gehört: Die Signora Novacasa ist nicht so naiv, wie sie vorgibt. Auch sie hofft hier auf ein gutes Geschäft, befürchtet aber gleichzeitig Verluste. Man kann durchaus im Geschäftssinne von einer Compagna sprechen. Das ist beruhigend. Alles weitere wird sich zeigen.
- Sie parliert noch ein wenig mit Raka über die Unterkunft, dankt für das Angebot zur Hilfe, hofft auf besseres Wetter.
- "Es war ein sehr erbaulicher Abend, Signora Raka. Vor allem die Bewirtung war vom Allerfeinsten. Es tut mir leid, daß ich dies hier auf dieser Insel nicht im Entferntesten wieder gut machen kann. Aber wenn wir beide wieder in Sewamund sind, dann werde ich Euch und natürlich Euren Gatten in unser bescheidenes Haus einladen. Dies ist das Mindeste!"
Dagegen hat die Signora Novacasa natürlich keine Einwände, besteht aber darauf, bei jeder Gelegenheit Besuch zu bekommen, um gepflegt miteinander plaudern zu können, denn... "Ihr müßt zugeben, daß es nicht einfach ist, in dieser ... ähem ... ländlichen Umgebung angemessene Unterhaltung zu bekommen." Dann verabschiedet man sich höflich voneinander. Ildeberta geht im letzten Licht der Dämmerung zum inzwischen hergerichteten Zelt und legt sich zur wohlverdienten Nachtruhe.
96. Tag, 60 Schritt Tiefe
¿ ╔═╗ 26. Tag Der Flaschenzug Ansicht von der Seite ____¿_║________ Erdboden, Kran ╤════╤ Der Deckel |<1m>| ╪════╪ 28. Tag 10 m, Steineiche, erstklassige Dichtung, Meeresspiegel | | ╪════╪ 32. Tag 20 m, Steineiche, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | | ╪════╪ 84. Tag 30 m, Tannenholz, minderwertige Dichtung | | ╪════╪ 86. Tag 40 m, Tannenholz | ╪═ 87. Tag 42 m, Zulauf vom Meer ╪════╪ 92. Tag 50 m, Steineiche | | ╪════╪ 96. Tag 60 m, Steineiche
Zehn Schritt ging es in den letzten Tagen weiter abwärts, ohne auf ungewohnte Hindernisse zu stoßen, dann entdeckt Minervé die nächste Lage Balken. Steineiche, wieder einmal. Arombolosch hat sich von Erlan genau erklären lassen, wie der Meister beim letzten Mal vorging und wiederholt die Prozedur erfolgreich. In den letzten Tagen gab es bereits einige Anfälle von Raumangst. Nur wenige Menschen wagen sich derart tief in Sumus Leib hinein, und von so einem Schacht - noch dazu auf einer Insel - hat auch der Angroscho noch nicht gehört. Selbst ihm ist ein wenig unwohl, denn um ihn herum sind nur Erde und Holz, kein schützender Fels. Und das Meer ist in beunruhigender Nähe. Welcher unvorstellbare Wasserdruck mag gegen die Insel drücken? Einige der Zyklopeninseln haben Feuerberge. Was, wenn einer ausbricht, die Erde beben läßt und der Schacht einstürzt?? Oder es wird eine Welle ausgelöst, die über den Schacht hinwegspült. Wie es wohl sein mag, hier unten elend zu ersaufen??? Oder ein Sturm weht diese Welle herbei. Oder ein Sturzregen spült Erde aus den abgeholzten Gebieten heraus und der Schlamm läuft in den Schacht hinein. Oder...
Arombolosch bemerkt, daß er viel zu schnell atmet. Ruhe bewahren. Er steckt sich eine Pfeife an, greift dann zu Spachtel und Bürste, sieht sich die verschiedenen Erdschichten im Licht der Grubenlampe noch einmal genau an und vergewissert sich erneut. Hier waren Leute, die diesen Schacht gegraben und wieder verfüllt haben. Und wenn die überlebt haben, kann er das erst recht. Das wäre ja gelacht.
Als Arombolosch am Ende seiner Schicht den Schacht verläßt, sieht er beunruhigt nach oben. Leichter Nieselregen. Keine Drachen.
- Als Erlan Vesselbek sieht, wie der Zwerg atemlos und leicht durcheinander aus dem Schacht nach oben klettert, wird seine Miene ernster. Der Schacht wird mit jedem Tag tiefer. Und eine neue Schwierigkeit scheint aufzutauchen. Erlan ist kein Bergmann, darum will er sich mit Meister Arombolosch beraten. Er bittet den Zwergen zur Seite, reicht ihm seinen Humpen mit frisch eingeschenktem Bier und sagt: "Ich bin kein Bergmann. Doch habe ich gehört, daß in Bergwerken, welche zu tief gegraben wurden, die Luft immer dicker wird. Diese dicke Luft wird immer schwieriger zu atmen, sodaß die Arbeiter weniger leisten, wirr im Kopf werden oder gar tot umfallen. Auch Ihr als Zwerg, der die Tiefe gewohnter sein müßte als ein Mensch, scheint damit mittlerweile zu kämpfen."
- Erlans Blick wird ernster: "Ich möchte keinesfalls, daß dort unten jemand erstickt. Auch wenn es wieder Umstände macht und Geld kostet. Wir müssen sehen, denke ich, daß wir den Schacht belüften, daß wir die dicke Luft dort unten herauskriegen. Die schnellste und billigste Lösung wären wohl Wetterhut und Lutte oder sowas."
Der Zwerg sieht für einen winzigen Augenblick ein wenig ertappt drein, weiß den Humpen aber sehr zu schätzen, nimmt einen ordentlichen Zug und meint dann: "Ein beachtenswerter Hinweis, aber es geht schon noch eine Weile ohne Bewetterung. Ich sehe, daß Ihr Euch gut informiert habt und Euch um Euer Personal sorgt. Alle Achtung." Arombolosch versetzt Erlan einen leichten, anerkennenden Knuff in die Seite. "Alles gut. Ich war nur einen Moment etwas.. ähem.. abgelenkt. Auch für mich ist das alles ungewohnt. Das viele Wasser. Wer denkt sich bloß so etwas aus? Wer hat es gebaut? Und wozu in Ingerimms Namen ist das alles gut?"
Das weiß Erlan auch nicht zu sagen. Während die Ablösung in den Schacht steigt, sieht Arombolosch sich die Umgebung noch einmal an. Wo würde der nächste Regen Schlamm fortspülen, der den Schacht gefährten könnte? Größere Gefahrenstellen entdeckt er nicht, gibt aber den Handwerkern dennoch die Anweisung, die Umrandung etwas zu erhöhen und einen ordentlichen Deckel zu zimmern, mit dem nötigenfalls das Loch abzudecken ist. Dann besticht er die Zofe der Signora Novacasa, ihm eines dieser unvergleichlichen Pastetchen zu stibitzen und legt sich mit dieser Leckerei im Bauch zur wohlverdienten Ruhepause. Eine Weile wälzt er sich auf dem Lager hin und her, steht wieder auf und sieht aus dem Zelt nach oben. Keine Drachen. Alles gut. Beruhigt legt er sich wieder hin und döst ein.
- Erlan kann sich nicht so leicht beruhigen. Auch ihn beschäftigt der Zweck dieser Anlage. Auch die ganzen Umstände erscheinen ihm mehr und mehr seltsam. Mittlerweile sind 60 Schritt Tiefe erreicht und immer noch wühlt man sich durch Erdreich. Nichts deutet darauf hin, was man finden könnte.
- Seit gestern ist auch noch seine Base hier. Sicher sie meint es gut damit, daß sie hergekommen ist und die finanziellen Angelegenheiten der Schachtgrabung untersuchen will. Er will gar nicht daran denken, was er machen soll, wenn sie ausrechnete, daß seine Ersparnisse nicht länger reichten, um diese Unternehmung zu bezahlen.
- Erlan will noch nicht schlafen gehen. Er muß sich noch etwas ablenken, greift sich eine Handsäge, Hammer und Nägel und geht den Arbeitern zur Hand, die wie von Meister Arombolosch angeordnet die Umrandung des Schachtes etwas erhöhen, wie man es bei Ziehbrunnen ebenfalls tut. Zwar sind die Regenströme den Hang hinab gering. Doch sicher ist sicher, und er muß sich noch nicht zur Ruhe begeben, wenn er hier arbeitet. Hoffentlich begräbt sich hier auch die Angst vor dem nächsten erfolglosen Tag.
- Doch irgendwann ist auch diese Arbeit beendet. Die Arbeiter ziehen ins Lager hinunter. Nur einer der beiden maraskanischen Söldner hält noch etwas lustlos Wache am Schacht. Da der Wind gerade wieder etwas stärker wird und den eigentlich nicht starken Regen aufpeitscht, beschließt nun auch Erlan diesen Tag zu beenden. Vielleicht würde sich wenigstens das Wetter morgen wieder verbessern.
100. Tag, 70 Schritt Tiefe
¿ ╔═╗ 26. Tag Der Flaschenzug Ansicht von der Seite ____¿_║________ Erdboden, Kran ╤════╤ Der Deckel |<1m>| ╪════╪ 28. Tag 10 m, Steineiche, erstklassige Dichtung, Meeresspiegel | | ╪════╪ 32. Tag 20 m, Steineiche, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken | | ╪════╪ 84. Tag 30 m, Tannenholz, minderwertige Dichtung | | ╪════╪ 86. Tag 40 m, Tannenholz | ╪═ 87. Tag 42 m, Zulauf vom Meer ╪════╪ 92. Tag 50 m, Steineiche | | ╪════╪ 96. Tag 60 m, Steineiche | | ╪════╪ 100. Tag 70 m, Steineiche, Wassereinbruch nach dem Durchstoßen der Balken
Wieder mal Steineiche. Als Erlan benachrichtigt wird, überlegt er bereits, den Durchstich jemand anderem zu überlassen, aber dann entscheidet er sich doch anders. Er selbst hat hier die Verantwortung, und Routine kann schnell zu Schlamperei werden, wenn man nicht ständig aufmerksam ist. So begibt er sich mal wieder selbst in den Schacht, trifft alle Vorsichtsmaßnahmen und beginnt mit der Arbeit, legt das Hindernis sorgsam frei und schlägt schließlich wie die Male zuvor eine eiserne Stange hindurch, um den Untergrund zu testen. Die Stange läßt sich nur wenig hin und her bewegen und Wasser quillt hervor, also hat er wohl wieder mal keinen Hohlraum gefunden, doch als er die Stange herauszieht, spritzt ihm ein Wasserstrahl unter erheblichem Druck zunächst mitten ins Gesicht und versaut ihm dann den Arbeitsanzug und alles andere mit Dreck und kalter Nässe!
Wasser marsch
- Ein kurzer heftiger Aufschrei entfleucht Erlan, als in der Wasserstrahl trifft. Oben scheint man ihn gehört zu haben und ruft etwas hinunter. Die Stimme von Minervé Skeboserin ist hörbar:
- "Alles in Ordnung Meister Vesselbek?"
- Erlan schüttelt sich kurz und wischt sich mit einem eilig gegriffenen Tuch Wasser und Schmutz aus dem Gesicht. Bevor er etwas antwortet, beobachtet er noch ein kurzes Weilchen den Wasserstrahl. Wird der Strahl kleiner. Läßt der Druck nach? Wie schnell füllt sich der Schacht? Ist es besser, sich erstmal zurück zu ziehen? Wenn ja wie schnell?
Nach einigen Augenblicken ist Erlan einigermaßen sicher, sich nicht in akuter Lebensgefahr zu befinden, aber der Wasserstrahl tritt unter erheblichem Druck aus und wird mit der Zeit stärker. Bereits nach kurzer Zeit reicht der Strahl höher als Erlans Scheitel und das Wasser steht kniehoch im Schacht.
- Erlan ruft etwas Beruhigendes nach oben und beginnt in aller gegebenen Ruhe das Werkzeug und die Lampe in den Förderkorb zu packen. Dann überlegt er nochmal kurz. Er schnappt sich den Spaten mit dem angebrochenen Stiel, der ihn vorhin schon die Arbeit erschwert hat. Er bricht den Stiel nun endgültig ab. Anschließend spitzt er ihn notürftig mit einem kleinen Beil an und schlägt ihn mit der stumpfen Beilseite wie einen Stopfen ihn das Loch. Er beschaut sich nochmals sein Werk, ob und wieviel Wasser jetzt noch hervordringt.
- Dann klettert er selbst in den Förderkorb. Mit einem Pfiff auf der Bootsmannpfeife und einem anschließenden Ruf nach oben, läßt er sich wieder den Schacht hinauf holen.
- Oben angelangt berichtet er: "Wieder ein Wassereinbruch. Nur gut, daß ich nur ein kleines Loch geschlagen hatte. Dort unten scheint eine ordentliche Menge Wasser zu sein. So hoch wie das gespritzt hat. Es scheint aber erstmal wieder dicht zu sein."
- Zu Minervé, der Vorarbeiterin, gewandt, gibt er folgende Anweisung: "Jetzt ist wieder Wasser schöpfen angesagt. Bevor wir mit der Arbeit beginnen, berate mich erstmal mit Meister Arombolosch."
- Dem Zwerg zunickend, geht er zu dem Baumeisterunterstand, wo wind- und regengeschützt nunmehr einige Zeichnungen auf einem Tisch liegen, wo auch die wertvolleren Werkzeuge und Meßgeräte lagern. Der Zwerg folgt ihm und fragt: "Was ist Meister Vesselbek? Gibt es ein Problem?"
- "Ich hoffe es nicht." antwortet Erlan. "Ich hoffe mal, daß da unten nur eine Wasserblase ist. Die wir hoffentlich in kurzer Zeit abschöpfen können. ... Wenn nicht, dann gibt es einen weiteren Zugang zum Meer! Dann haben wir echte Schwierigkeiten."
- Erlan spült seinen trockenen Mund erstmal mit einem Schluck verdünnten Weins aus, bevor er weiterspricht. "Ich hab, das Loch erstmal notdürftig verschlossen. Vielleicht hält mein Stöpsel es ja aus, wenn wir ihn mehrmals einschlagen. Ich schlage vor, daß wir vorsichtig immer wieder ein wenig Wasser in den Schacht lassen, gerade genug daß die Erde nicht zu sehr aufweicht. Dann schöpfen wir es jedesmal ab, und wiederholen das Spiel. Hauptsache es ist nicht zuviel Wasser."
- "Oder habt ihr nicht einen anderen Vor..." Erlan schaut zu Meister Arombolosch, sich gerade einen Humpen Bier eingelassen und dabei den Ausführungen Erlans gelauscht hat. Beim Anblick des Bier zapfenden Zwergen mit der Hand am Zapfhahn, kommt ihm der helfende Gedanke. "...schlag! Natürlich das ist es. Danke Meister Arombolosch, ein sehr guter Vorschlag."
- Verdutzt schaut ihn der Zwerg an. "Ich hab doch noch gar nichts gesagt."
- "Haben wir noch einen solchen Zapfhahn?" Als Arombolosch begreift fährt Erlan fort. "Ich denke das bestehende Loch könnte den Hahn durchaus halten. Oder? Den könnten wir ins Loch treiben und dann das Wasser nach Bedarf ablassen. Wollt Ihr den Anstich an dieses seltsame Faß wagen oder soll ich das machen?", meint Erlan verschmitzt.
Während die Vorarbeiterin eilig ins Loch steigt, um mit dem Wasserschöpfen zu beginnen, erklärt Erlan dem Zwerg noch einmal etwas ausführlicher, was unten vorgefallen ist und die Idee mit dem Zapfhahn. Arombolosch hat keine Einwände und lobt Erlans Geistesgegenwart, das Loch gleich wieder zu verschließen, meint aber, zunächst müsse man sich darum kümmern, es professionell abzudichten, ansonsten könne man sich den Zapfhahn gleich sparen, denn dann würde von allein immer weiter Wasser hervorquellen, und mit der Zeit eher mehr als weniger. "Vielleicht haben wir auch Glück und das Holz des Spatens quillt so weit auf, daß es das Loch völlig verschließt. Darauf wetten würde ich aber lieber nicht."
Dann erklärt er noch, daß ein normaler, mit einem Hammer eingeschlagener Zapfhahn nicht auf Dauer in der Bohrung halten würde, und auch der Spatenstiel sei eine höchst unsichere Sache. "Wenn der Wasserstrahl dermaßen hoch steigt, obwohl der Boden des Schachtes bereits von Wasser bedeckt ist, steht ein erheblicher Druck dahinter. Viel stärker als aus einer Leitung, die von einem städtischen Wasserturm gespeist wird."
- Erlans Begeisterung beginnt nachzulassen. Wasserdrücke so tief unter der Erde sind doch etwas anderes als die Last von Wassermengen, die an Deichen oder an Kanalbefestigungen drückt.
- "Dann dichten wir das Loch erstmal richtig ab. ... Ich geh nochmal runter! Mein Fehler meine Arbeit! Mmmh! Werg und dann ein Brett drauf, damit es nicht rausrutscht. Vielleicht sollte ich die anderen Fugen auch gleich überprüfen und nötigenfalls abdichten.."
- Als alles zusammengepackt ist, löst Erlan die Vorarbeiterin ab und geht wieder hinunter, schöpft das noch vorhandene Wasser mit einem Eimer in den Segeltuchförderkorb, und läßt es hochfahren. Als alles weitgehend wasserfrei ist, und man die Balkenschicht begutachten kann, sieht Erlan, daß doch noch Wasser hervorquillt. Er legt sich alles zurecht, sägt den provisorischen Stöpsel ab und schlägt ihn mit der Stange etwas tiefer hinein. Sofort spritzt wieder etwas mehr Wasser in die Höhe. Beim Versuch, Werg hineinzustopfen, beginnt das Wasser natürlich überall hin zu spritzen. Schnell ist Erlan völlig durchnäßt. Doch nach einigen vergeblichen Versuchen gelingt es ihm aber irgendwie einen Batzen Werg hineinzustopfen, bis das Spritzen nachläßt. Schnell greift er sich das vorbereitete Werkzeug, stopft weiteres Werg hinein und klopft es fest. Den Abschluß bildet ein besser, genauer eingepaßter Stopfen, der vorher in Pech getränkt wurde.
- Jetzt kann Erlan erstmal wieder Wasser schöpfen und schlußendlich das sichernde Brett anbringen. Weitere Abdichtungen an den Fugen sind nicht nötig. Offensichtlich wurde damals gut gearbeitet, und das Holz ist mittlerweile sehr dicht zusammengequollen. Erlan wartet abschließend noch etwas ab, einfach nur um sicherzugehen, daß wirklich alles dicht ist, und um zu überlegen, wie es weitergeht.
Dabei leuchtet er die verschalte Seitenwand des Schachtes ab und stellt fest, daß Wasser aus den Ritzen zwischen den Brettern hervorquillt. Zwar nur wenig, aber immerhin. Das Erdreich dahinter ist fest, das wurde bereits festgestellt, aber es ist nicht gänzlich undurchlässig. Dieses Phänomen kennt Erlan aus dem Deichbau. Ein Deich unter permanentem Druck wird früher oder später weich. Dann zeigt sich, wo die Schwachstellen sind, beispielsweise Gänge von Ratten oder dergleichen. Erlan hat schon mehrmals von Fällen gehört, wo Deiche bei Hochwasser zwar gehalten haben, das Wasser aber durch Straßenpflaster nach oben kam. Und modernen Städtern mit Kanalisation kam schon mal die Kacke entgegen geschwommen. So etwas dürfte es hier kaum geben, aber stetes Wasser höhlt den Stein, wie nicht nur die Deichbauer wissen. Dieser Boden dürfte schon sehr lange durchweicht sein, und der Schacht bietet jetzt die Möglichkeit, dem Druck nachzugeben. Es ist kein Zufall, daß auch bei ganz normalem Verlauf der Arbeit stetig Wasser geschöpft werden muß. Und wer mag wissen, was mit dem Durchstich dieser Sperre in Bewegung gesetzt wurde?
Erlan sieht nach oben. Von hier unten sieht das Licht von oben nur noch wie ein kleiner Punkt aus, und ohne Lampe wäre es finster. Nicht nervös werden. Der Mensch ist nicht für den allgegenwärtigen durchfeuchteten Dreck und die Enge dieses Ortes gemacht, aber es ist des Menschen Aufgabe, sich über Widrigkeiten zu erheben. Die akute Gefahr ist vorerst gebannt, und mit Ideen, Werkzeug und Muskeln wird auch dieses Problem zu lösen sein.
Wasser stop
- Wenn man nur wüßte, ob dies einfach nur eine in sich geschlossene Wasseransammlung hier unter der Erde ist. Oder ob es doch wieder einen Zugang zum Meer gibt. Wie hatte der Zwerg das gemacht? Er hatte einfach gekostet. Auch Erlan entschließt sich, das zu tun. Er läßt sich ein wenig hervorquellendes Wasser in die hohlen Hände tropfen, und kostet es dann.
Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten, aber Meerwasser ist das hier mit Sicherheit nicht. Kein Salz. Nicht gerade frisch, aber auch nicht jahrzehntelang abgestanden.
- "Päääh!", trotz des wenig aufregenden Geschmacks spuckt Erlan das Wasser angewidert aus. Nach einem Schluck aus der Wasserflasche fühlt er sich wieder wohler.
- Zum Teil kommt etwas Freude in ihm auf, denn hier sickert kein Salzwasser ein, sodaß es sich wirklich um eine Schicht oder eine Blase mit Grundwasser handeln könnte. Dennoch ist Erlan immer noch ratlos. Die Wassersäule, die hier unten in den Schacht und gegen die Verschalungen drückt, muß enorm sein, so wie das Wasser vorhin dort unten aus dem Loch geschossen kam.
- Nachdenklich überlegt Erlan. So schlecht ist sein Gedanke mit dem Zapfhahn gar nicht. Natürlich ist ein Bierfaßhahn nicht dafür gefertigt, um in dicke Eichenbohlen getrieben zu werden und solche enormen Kräfte auszuhalten. Für einen wirklich stabilen Hahn braucht man eigentlich mehrere Spezialhandwerker. Zumindest muß eine gut ausgestattete Schmiede und ein herausragender Schmied verfügbar sein. Der für den Bedarf der Holzfäller engagierte Schmied ist mehr auf Äxte und Sägen spezialisiert. An die Kosten denkt man dabei lieber auch nicht.
- Als Erlan den Rest des Spatenstiels in die Hand nimmt und die grob geschnitzte Spitze betrachtet, kommt ihm die Idee für ein Provisorium. Natürlich muß alles viel genauer gearbeitet sein als diese Spitze, die in schierer Eile innerhalb weniger Augenblicke fertig werden mußte.
- Ein hölzerner Kegel aus relativ weichem Holz in eine genau angepaßte konische Öffnung gedrückt, sollte sich zum Wasser einlassen heben und zum Verschließen der Öffnung wieder senken lassen. Welche Konstruktion die Kraft haben soll, den Kegel ins Loch zu drücken, daß weiß Erlan noch nicht. Sie muß ebenfalls möglichst einfach werden - eine Hebelvorrichtung oder eine Art Weinkelter vielleicht. Auf jeden Fall muß es recht wenig Platz einnehmen, denn im Schacht ist es so schon eng genug.
- Erlan läßt sich zum wiederholten Male nach oben holen und überbringt die Botschaft, daß der Schacht erstmal gegen allzu schnelles Wassereindringen gesichert ist. Und er unterbreitet den Arbeitern - allen voran Meister Arombolosch - seine Vorstellungen für ein einfaches Ventil zum gezielten Einlassen des Wassers.
Der Zwerg sieht sich die Zeichnung an, nickt zunächst beifällig und brummt dann eine Weile zweifelnd vor sich hin. "Holz?" Er holt seine Schiefertafel, einen Griffel und einen Abakus, variiert die Zeichnung mehrmals und stellt einige Berechnungen an. "Könnte funktionieren," meint er dann, "wobei wir die Bohrung dort unten leider kaum so genau hinbekommen werden, daß der Verschluß vollkommen dicht wird. Wozu brauchen wir eigentlich so ein Ventil?
Erlan erklärt ihm, daß er eine starke wasserführende Schicht oder eine Blase mit Grundwasser vermutet. Mit der vorgeschlagenen Apparatur könnte man das Wasser kontrolliert ablassen und nur soviel fließen lassen, wie auch nach oben gefördert werden kann.
Arombolosch zweifelt erneut. "Die Erbauer sollten sich auf einen Wasservorrat verlassen, von dem sie kaum wissen konnten, wie groß er ist und inwieweit er überhaupt auf Dauer ihren Zwecken dient? Wäre das nicht zu riskant? Kann es so tief unten und gleichzeitig so nahe am Meer überhaupt stehendes Wasser geben, das nicht salzig ist?"
Der Zwerg rauft sich den Bart und gibt zum wiederholten Mal zu, daß er so etwas wie das hier noch nie gesehen hat und ihm seine Erfahrung mal wieder nur begrenzt weiterhilft.
"Es ist zum verrückt werden! Die Anlage soll ja vermutlich keine Todesfalle sein. Was auch immer da unten liegen mag, soll irgendwann wieder nach oben kommen, sonst hätte das alles keinen Sinn. Nichts für zufällige Finder. Nichts für eine Handvoll ahnungslose Schatzgräber, sondern nur für Leute mit 'Gewußt wie'. Sonst hätte man sich die ganze Mühe sparen können und es besser auf hoher See versenkt oder sich zumindest diesen ganzen Schnickschnack erspart. Schacht auf, Ding rein, Schacht zu. Und dann einen Baum drauf setzen. Und vor allem keinen Flaschenzug vergessen. Wenn der Bauleiter von damals noch lebt und hiervon erfährt, wird er seinen Vollpfosten wohl eine ordentliche Abreibung verpassen."
Erlan läßt Arombolosch noch eine Weile lamentieren, wie schwer gutes Personal zu kriegen ist und was alles schiefgehen kann, wenn man nicht alles selber macht. Das gibt ihm Zeit, darüber nachzudenken, woher das Wasser sonst noch kommen könnte.
- Diese Frage hat sich Erlan tatsächlich in den letzten Tagen öfter gestellt. Klar, hier auf der Insel gibt es dieses Regenmoor. Der wenige aber dennoch gleichmäßige Niederschlag dieses Meeresklimas und eine Bodenformation, in der sich das Regenwasser sammelt, hatten es gebildet. In der Tiefe in der sie sich mit dem Schacht nun befinden, läßt darauf schließen, daß die ganze Insel scheinbar vollgesogen ist wie ein nasser Schwamm. Höchstwahrscheinlich ist dies der Grund für das ungewöhnliche Wachstum der Steineichenbäume auf dieser Insel. Eichen brauchen zumeist sehr viel Wasser. In trockenem Klima wurzeln sie sehr tief. Auf felsigen Eilanden, die trotz ausreichend Regens kein Wasser speichern können, wachsen sie gar nicht. Aber hier ist alles anders, anders als auf den anderen Zyklopeninseln. Aber wenn man es genau betrachtet, ist es dennoch erklärbar.
- Erlan ist in seine Grübeleien versunken und erinnert sich schließlich an den Bach, an dem er vor kurzem mit Landrenka Trullinger entlang gegangen ist. Offensichtlich ist es so, daß immer noch Wasser aus dem Moor ins Meer abfließt. Es zeugt von der Unmenge an Wasser in diesem Boden. Oder ist es doch nicht so eindeutig? Das Bächlein liegt verdammt nah an der Ausgrabungstelle. Mit Absicht der Erbauer dieses Schachtes? Floß es früher anderswo lang, und diese Stelle war früher trockener? Gibt es eine Verbindung von dem Bächlein zu dem Schacht?
- Auch wenn es Erlan nicht recht einleuchtet, warum man zwei verschiedene Verbindungen braucht, um einen einzigen Schacht zu fluten. Die Verbindung vom Meer ist schon eine sehr aufwendige Meisterleistung. Warum hätte man noch eine zweite von diesem Bächlein aus bauen sollen? Eigentlich wäre das zuviel des Guten. Doch wie sagt man so schön, doppelt hält besser.
- Erlan läßt seinen Plan, ein Ventil zu bauen, erstmal ruhen. Er ruft seinen Meisterknecht Svenske Roongstrog heran. Gemeinsam mit dem intuitiver aber manchmal effektiver denkenden Nostrier will er den Bachlauf in Augenschein nehmen. Er will einen Hinweis auf Veränderungen von Menschenhand suchen. Ob es einen ähnlichen Zulauf wie unten in der Bucht gibt? Oder gar den Hinweis darauf, daß der Bach ursprünglich woanders lang lief und umgeleitet wurde? Zwar glaubt er nicht etwas zu finden, doch sicher ist sicher, so scheint es ihm.
- Als Erlan überlegt, ob er noch ein paar seiner Meßgeräte mitnimmt, hört er immer noch den Zwerg fluchen. Er beschließt ihm von seinem Verdacht um den Bach zu erzählen, bevor er wieder unbedacht losstürzt.
Aromobolosch hört sich die Theorie geduldig an und überlegt eine Weile. "Doppelt hält besser," bestätigt er, und auch eine Zufuhr von daher kommt ihm anscheinend nicht abwegig vor. "Aber bevor wir durch die Wildnis marschieren, sollten wir uns überlegen, wo wir überhaupt hinwollen und was wir suchen. Einen Moment bitte..." Er geht zum Zelt der Hesinde-Geweihten und kommt nach kurzem Aufenthalt mit der Geweihten und einer von ihr gezeichneten Karte zurück, die er Erlan in die Hand drückt. "Keine Ahnung, ob Ihr das hier schon mal gesehen habt, aber es lohnt sich möglicherweise, mal einen Blick darauf zu werfen."
Landrenka bittet darum, ebenfalls ins Bild gesetzt zu werden und Erlan erklärt seine Überlegungen ein weiteres Mal.
"Von diesen technischen Sachen verstehe ich nicht viel, aber ich glaube, die eigenartige Existenz der Eichen in dieser untypischen Region hängt eher mit der früheren Bewohnerschaft dieser Insel zusammen. Soviel habe ich mir jedenfalls aus den Äußerungen des Magus zusammengereimt und -geraten und aus dem, was ich von Signora Brunella und anderen über den Magus gehört habe. Er könnte diesem Geheimnis auf die Spur kommen wollen, bevor es womöglich dafür zu spät ist. Aber einen Zusammenhang zum Schacht scheint er ja nicht zu sehen. Sonst wäre er sicherlich mehr an der Buddelei hier interessiert und wäre bei unserem Besuch womöglich etwas mitteilsamer gewesen."
Arombolosch grummelt etwas von "Spitzohren und Spitzbuben, wo ist der Unterschied?" Und ein Freund von "Magierschnickschnack" scheint er auch nicht zu sein. "Was kann schon Gutes aus einer Stadt kommen, wo ein Heiliger Strohsack verehrt wird?"
- Beim Blick auf die bemerkenswert gute Karte kommt Erlan ins Grübeln. Natürlich hatte er diese Skizze schon gesehen, auch mehrmals das Gelände um den Schacht begutachtet. Aber irgendwie waren die Gedanken stets wie durch Scheuklappen abgelenkt nur auf die Ausgrabung gerichtet gewesen.
- "Laßt uns mal von weiter oben einen Blick auf den Bach werfen"
- Er weist den anderen den Weg zu dem höchsten Punkt der Anhöhe zwischen Strand und dem "Tal" des Bächleins. Schon bald ist diese erreicht. Erlan zeigt erst auf die Kartenskizze, dann auf das jetzige Bachbett und dann auf eine andere Vertiefung, die sich durchaus als Bachbett eignet, die vielleicht sogar das einstige Bachbett war.
- "Warum ist Uns das nicht gleich aufgefallen! ... Ich müßte einige Messungen vornehmen, um sicher zu gehen, aber eigentlich sieht man es auch so. Dort befindet sich ein zweites Bachbett."
- Zielstrebig geht Erlan die Anhöhe hinab. Er möchte das vermeintliche zweite trockene Bachbett begutachten. Einen Damm zu bauen und den kleinen Bach umzuleiten sollte ein vertretbarer Aufwand sein, denkt der Deichbauer beim Hinabgehen.
Erlans Annahme erweist sich als richtig. Arombolosch hat in weiser Voraussicht einen Spaten mitgebracht und gräbt an einigen Stellen die oberste Humusschicht ab. Darunter findet er den typischen Untergrund, über den zumindest eine Zeitlang Wasser geflossen ist. Erlan sieht auf Landrenkas Karte: 'Trockenrinne'. "Eine Trockenrinne," sagt er. "Sag ich doch," sagt sie. Die drei gehen zum Wasser hinüber und sehen sich um. In der Nähe einer besonders großen Eiche liegen drei Felsen, auf der anderen Seite des Baches noch einer. Wenn Erlan den Auftrag hätte, den Bach umleiten, würde er es hier tun.
- Erlan schüttelt selbst den Kopf. Es ist eigentlich alles so einfach. Genau hier ist eine natürliche Stelle für einen Damm, und hier mußte auch seinerzeit einer gewesen sein.
- Der Zwerg und der Deichbauer beraten sich eine kurze Weile, wie die Arbeiten nun aufgeteilt werden. Ein Großteil der Arbeiter soll nun genug große Baumstämme suchen und herbringen. Erlan macht derweil mit Svenske noch ein paar Messungen, um alle Beobachtungen zu untermauern und den richtigen Damm zu planen. Ausrichtung und Höhe müssen stimmen.
- Als dies besprochen ist, dankt Erlan der Hesindegeweihten für die Hilfe.
- "Übrigens diese Karte ist außergewöhnlich gut, Euer Gnaden. Ohne sie wären wir wohl immer noch am Rätseln, was wir tun könnten. ... Ihr scheint Einiges von Kartographie zu verstehen. Wollt Ihr uns nicht bei der Vermessung helfen? Es wäre mir eine Ehre jemanden mit solchem Geschick im Kartenzeichnen an der Seite zu haben."
Landrenka freut sich über das Lob, gibt aber zu bedenken, daß ihre Karte weit von dem entfernt ist, was richtige Kartographen als außergewöhnlich gut bezeichnen würden. "Außerdem... Die Höhenlinien wurden bereits eingezeichnet. Was wollt Ihr denn noch vermessen haben? Und die Seelsorge darf schließlich auch nicht zu kurz kommen."
- "Nun denn, wie ihr meint! Ich wollte euch nicht lange von Euren Tätigkeiten abhalten. Es geht mir bei meiner Messung nur darum, wie hoch der Damm werden muß, also wieviele Stämme wir benötigen und wie lang sie werden müssen. ... Meine Base hält mir sonst wieder eine lange Predigt, wenn abermals das wertvolle Holz der Insel für dieses ungewisse Projekt benützt wird, anstatt in den sicheren Verkauf zu gehen."
Die Arbeiten gehen in den nächsten Stunden zügig voran. Zwei Reihen dicker Pfosten zeigen bereits an, wo die Absperrung verlaufen wird. Nebenan werden schon Faschinenbündel zurecht gebunden.
Brunella hat in der Zwischenzeit die Baustelle inspiziert und sich beschwert, daß Eichen verbaut wurden. Schließlich stimmt Erlan zu, von nun an nur noch andere Sorten und Resthölzer zu verwenden. Zwischen die Pfosten sollte sowieso Bündel aus Buschwerk, Gezweig und dergleichen. Da es hier keine Meeresbrandung gibt und die Sperre auch nicht jahrelang halten muß, ist diese Bauweise ausreichend. Mit dieser Aussage gibt sie sich dann auch zufrieden.
Als ein weiterer Pfahl in den Grund des Baches geschlagen werden soll, verhindert ein Hindernis den Fortschritt. Die Arbeiter suchen nach dem vermeintlichen Stein und stellen fest, daß an dieser Stelle ein abgebrochenes Stück Holz im Grund steckt. Allein schon aus Neugier läßt Arombolosch das Ding noch etwas mehr freigraben und schließlich mit einer Kette, einem Hebebaum und ordentlich Muskelkraft herausziehen. Mit dem Stumpf geht er zu Erlan und sagt: "Na, was meint Ihr? Wir sind auf der richtigen Fährte, oder?" Er zeigt den Holzrest vor, oben abgebrochen und unten angespitzt, von vielen Jahren im Wasser gezeichnet, aber immer noch nicht vermodert.
- Erlan lächelt dem Zwerg zu. "Ich denke auch. Nur gut, daß wir noch darauf gekommen sind, bevor wir Tage oder gar Wochen damit verschwendet hätten, Wasser zu schöpfen, das nie versiegt."
- Der Vesselbek notiert noch schnell etwas in sein Büchlein und ruft dann zu den Arbeitern hinüber: "Noch drei Dutzend Bündel! Das müßte reichen!"
- Danach wendet er sich wieder dem Zwerg zu. "Selbst wenn dieser Zulauf dann bald versiegt sein sollte. Wir werden dennoch viel Wasser zu schöpfen haben. Sollte ich den Damm lieber meinem Gehilfen Svenske überlassen? Und an diesem Ventil tüfteln, von dem ich Euch erzählt habe?"
"Ihr seid der Boss," meint Arombolosch. "Tut, was Ihr für das Beste haltet." Er rauft sich eine Weile den Bart und fährt dann fort: "Die beste Lösung dürfte wohl sein, wenn wir ein dickes Eisenrohr mit Holzgewinde hineinschrauben, und oben drauf ein richtiger stabiler Wasserhahn. Man könnte sogar einen Eimer drunterstellen. Aber dafür werden wir einen richtigen Klempner benötigen. Früher oder später brauchen wir hier sowieso einen. Vielleicht kann ja die Peraineblume einen mitbringen."
Er sieht Erlan an, aber der überlegt noch und so redet der Zwerg weiter.
"Heute passiert sowieso nicht mehr viel. Es wird bald dunkel. Der kleine Staudamm dürfte morgen fertig werden. Wenn Ihr wollt, könnten wir dann den Zufluß suchen. Der dürfte nicht allzu weit weg sein. Vielleicht können wir uns dann sogar Absperrventil oder Wasserhahn ersparen."
- "Ihr habt recht immer schön der Reihe nach." Stimmt ihm Erlan zu. "Erst der Damm, dann nach Möglichkeit der Zulauf und dann wieder der Schacht. So werden wir es morgen angehen."
- Dann läßt er die Arbeiter ebenfalls ihre Arbeit beenden.
- Anschließend packt er seine Werkzeuge zusammen. Nimmt seine Unterlagen und geht zum Zeltlager zurück.
Abendliches Gespräch
- Natürlich bleibt die veränderte Tätigkeit an der Ausgrabungstelle nicht unbemerkt. Ildeberta Molthaus beobachtet die Arbeiter und ihr neues Ziel genau. Eigentlich ist sie hierher gekommen, um sich von ihrem Vetter über den Stand der Ausgrabungen unterrichten zu lassen. Sie hat vor noch heute die Vorausschau zu beenden, wie lange bei den derzeitigen Kosten Erlans private Geldmittel für dieses Ausgrabung noch reichen. Doch was sie hier sieht, wirft alle bisherigen Rechnungen über den Haufen.
- Die Vesselbekmatriarchin schaut sich nach Erlan um. Sie erspäht ihn im Tal des Bachs zusammen mit der Hesindegeweihten und Svenske, dem nostrischen Deichbauer. Die Gruppe scheint irgendetwas auszumessen. Dabei will sie nicht stören. Es wird schon wichtig für den Schachtbau sein. Sie beobachtet noch eine Weile das Geschehen, bis eine auffrischende Böe eine Regenwolke herantreibt, und sich ein kurzer Regenschauer über die Insel ergießt. Ildeberta beschließt, Erlan am Abend nach der Änderung der Arbeiten zu fragen. Tropfnaß und etwas mißmutig kehrt sie zu ihrem Zelt zurück.
- Nachdem sich Ildeberta in trockene Sachen umgekleidet hat, nimmt sie sich wieder einige Listen und Unterlagen und rechnet an den Zahlen herum. Zwar wollte sie nicht so lange darüber sitzen, nur ein Gedankenspiel sollte kurz durchgerechnet werden, doch irgendwann bemerkt sie, daß es dunkel wird. Das Tageslicht, welches das Zeltinnere immerhin in schummeriges Halbdunkel taucht, reicht nun zum Lesen nicht mehr aus. Doch was sie durchrechnen wollte, hat sie geschafft. Drum schnappt sie sich einige der Notizblätter, packt sie in eine Mappe und geht hinaus.
- Tatsächlich ist es kurz davor Nacht zu werden. Die Arbeiter sitzen schon am Feuerplatz, essen und unterhalten sich. Auch das Wetter ist wieder aufgeklart und recht angenehm. Die letzten Strahlen der Sonne wärmen den steinigen Strand noch etwas auf. Der Wind weht nur unmerklich.
- Als sie ein wenig umherschaut, bemerkt Ildeberta, Raka di Mhoremis die sich ihr Abendessen auf einer einfachen Veranda vor dem Blockhaus hat anrichten lassen, und nun dort speist. Sie winkt kurz zum Gruße. Doch Ildeberta sucht Erlan. Da kommt er auch schon den Abhang vom Schacht her hinab. Auch er trägt eine große Mappe für seine Unterlagen in der Hand. Er gähnt recht deutlich als er fast das Lager erreicht.
- "Vetter Erlan, wie gut, daß ich Euch sehe. Wir müssen über die Finanzen dieser Unternehmung reden."
- "Einen wunderschönen Abend, verehrte Base." Erlan sucht offensichtlich nach irgendeiner Ausrede. Er will nicht schon wieder ein Gespräch übers Geld führen. Zudem ist er müde. "Es ist schon spät. Wie wäre es morgen?"
- "Nein, ich denke, es muß heute noch sein, Vetter Erlan."
- "Wenn Ihr meint, verehrte Base. Doch sollten wir dies nicht hier am Feuer tun, wo alle es hören." Erlan schaut müde, was Ildeberta wohl dazu meint. Diese nickt. "Gut, dann laßt mich etwas essen, und mich frisch machen. Ich komme dann zu Eurem Zelt."
- "Wir sehen uns in einer halben Stunde!", sagt Ildeberta resolut und beendet das Gespräch hiermit. Sie geht wieder hinüber in ihr Zelt.
- Für einen kurzen Augenblick ist Erlan froh, das Gespräch erstmal beendet zu haben. Verbleibt ihm doch etwas Zeit, sich gewisse Dinge zu überlegen. Doch die Freude währt nicht lange. Grübelnd geht er in seine Zelt, wohin ihm Svenske kurz darauf eine Schüssel mit Wasser nachträgt und vor dem Zelt auf einen Schemel stellt. Waschen und Umkleiden dauern nicht lange.
- Vom Abendmahl, das der nostrische Knecht ihm zwischenzeitlich auf einem Tischchen vor dem Zelt hingestellt hat, nimmt Erlan nur einen Becher verdünnten Wein und einige Happen Brot und Fisch. Während Svenske das Waschzeug forträumt, kaut und grübelt Erlan vor sich hin. Im Zelt seiner Base ist inzwischen eine Laterne entzündet worden, ihr Schein dringt nach außen. Es wird Zeit Ildeberta aufzusuchen.
- Als Erlan sich draußen bemerkbar macht, ruft Ildeberta ihn herein. Im Zelt ist nicht viel Platz. Doch im Gegensatz zu den Arbeitern hat sie ein Zelt für sich allein. Darum hat neben der Schlafstatt noch eine Truhe für die Wäsche und ein klitzekleiner Tisch samt Stuhl platz. Dennoch wird es eng als der großgewachsene Erlan eintritt.
- Ildeberta weist ihrem jüngeren Vetter den Stuhl am Tisch. Auf diesem liegen wohl sortiert etliche Listen. Währenddessen läßt sie sich selbst auf der Liege nieder. Als Schlafstatt ist es annehmbar und bequem, doch zum Sitzen taugt das niedrige Möbel wenig, schimpft die Vesselbekkerin innerlich. Um dies zu bewerkstelligen zieht sie ihren langen Rock etwas hoch. Beim Sitzen stellt sie mit Erschrecken fest, daß nun recht unschicklich das Strumpfband unter dem Saum hervorlugt. Hoffenlich bemerkt ihr Vetter nichts, denkt Ildeberta. Einer Frau wie Raka di Mhoremis ist dies sicher nicht peinlich, ganz im Gegenteil, doch sie ist nicht Raka. Eine leichte Röte steigt in ihrem Gesicht auf.
- Doch scheint Erlan keinen Anstoß daran zu nehmen, höflich wie immer dankt er: "Vielen Dank hochverehrte Base, daß Ihr mir den bequemeren Sitzplatz anbietet." Er mustert kurz Ildeberta, die etwas verkrampft da sitzt. Sein Blick senkt sich plötzlich und wendet sich hastig den Papieren zu. "Weswegen wolltet Ihr mich so dringlich sprechen? Hat es mit diesen Papieren zu tun?"
- 'Er hat es bemerkt!', schießt es Ildeberta durch den Kopf und ihr Gesicht bekommt rote Flecken vor Aufregung. Sie versucht schnell abzulenken und zum Geschäftlichen überzugehen. Sie zieht ihren Rock wieder ein wenig herunter und beugt sich dann etwas vor, um auf auf die Listen zu zeigen. Dabei erklärt sie: "Ich habe versucht die Rechnung so einleuchtend wie möglich zu machen. Oben auf dieser Liste seht Ihr Euren Kontostand, wie er war, bevor ich in Sewamund abgereist bin. Darunter habe ich alle Ausgaben abgerechnet, deren Quittungen und Vermerke ich in Euren Unterlagen vorgefunden habe. ... Es scheint alles lückenlos zu sein. Es war nur recht ungeordnet."
- Der Vesselbekbaumeister stößt einen leisen Seufzer aus, der auf Resignation hindeutet. Mit fragendem Blick wendet er sich von den Papieren ab und blickt Ildeberta an. Doch kommen seine Augen nicht in das Gesicht, der vor ihm auf der Liege Sitzenden. Sie bleiben im Ausschnitt ihres Kleides hängen!
- Irritiert schaut Ildeberta auf Erlan, als es ihr siedendheiß einfällt, daß sie tiefer sitzt als er. - Zwar ist der Ausschnitt in septimanischer Manier recht weit oben gehalten. Nicht einmal den Ansatz ihres Busens zeigt ihr recht züchtiges Kleid normalerweise. Doch verzichtet sie seit sie auf dieser Insel weilt auf ein enges Korsett, es ist einfach zu schweißtreibend in diesem Klima. Nun hatte sie sich etwas vorgebeugt, um auf den Tisch zu zeigen, und der nicht mehr so eng am Brustkorb liegende Stoff gibt dem nichtsahnenden von oben schauenden Erlan einen ungewohnt tiefen Einblick auf zwei üppige Brüste. - Mit einem Ruck richtet sich Ildeberta wieder auf. Ihr verschämter Blick trifft nun den ihres Vetters, der seinerseits etwas überrascht erscheint. Jedoch auch froh ist, daß ihm der verfängliche Anblick entzogen wurde.
- 'Meine Güte, wie peinlich kann das noch werden?' Dieser und tausend andere ähnliche Gedanken schwirren Ildeberta durch den Kopf. Sie beschließt fürs Erste stocksteif sitzen zu bleiben und sich nicht mehr zu bewegen. Sie schließt kurz die Augen, lächelt und setzt dann betont freundlich mit ihren Aussagen fort, um Erlan den Inhalt der vor ihm liegenden Listen zu erklären.
- Erlan lauscht Ildebertas Worten und versucht dabei seinen Blick auf den Blättern zu behalten. Nicht das er die Gemahlin seines Vetters als unattraktiv bezeichnen würde. Aber es ist nicht üblich in den alteingesessenen Sewamunder Kreisen die Reize seines Geschlechts so stark zu betonen. Vor allem nicht bei den Vesselbeks und vor allem nicht bei Ildeberta.
- "In Reihe 5 stehen die täglichen Ausgaben für die löhne der Arbeiter.", hört er Ildeberta weiter sagen.
- Erlan wagt einen Seitenblick und stellt erleichtert fest, daß kein verfänglicher Anblick auf ihn lauert. Sicher ist Ildeberta fülliger als Raka, auch ist sie mit ihren 41 Jahren keine junge Frau mehr. Doch macht sie das nicht weniger anziehend, wenn sie als Frau ihre Reize gekonnt einsetzt. War das Absicht eben Absicht gewesen? Oder war es ein Mißgeschick?
- "In Reihe 6 ist eine Hochrechnung, der täglichen Ausgaben für Material und Werkzeuge.", erklärt Ildeberta weiter. Erlan nickt und schaut wieder auf die Liste vor ihm.
- Niemals war das ein Mißgeschick! - Geht es es Erlan wieder durch den Kopf. Sie ist stets so gefaßt und wandelt immer fehlerfrei auf dem Feld der Etikette. Nochmals schaut er von der Liste weg, hinüber zu Ildeberta, die vor ihm auf der Liege saß. Gerade zupfelte sie wieder an ihrem Rocksaum herum, der wieder etwas hochrutschte. Zwar war nicht viel von ihrer runden wohlgeformten Wade zu sehen gewesen. Doch Erlan lächelt und sagt beiläufig: "Ein unbequemes Sitzmöbel diese Liegen, nicht wahr?", bevor er sich wieder der Liste zuwendet.
- Die Vesselbek-Matriarchin zuckt innerlich entsetzt zusammen als sie wieder in Erlans lächelndes Gesicht blickt. Gerade ist sie fertig damit den aufmüpfigen Rocksaum wieder hinunterzuziehen, da schaut der freche Kerl schon wieder zu ihr her. Sind das nicht genug beschämende Einblicke gewesen? Dennoch kann sie ihm seine Blicke nicht übel nehmen. Sie beschämen sie zwar, doch irgendwie gefällt es ihr auch, daß er sie wahr nimmt. Schon manchmal hatte sie in Sewamund gewünscht Erlans verträumte Augen würden öfter einmal bei ihr hängen bleiben. Hier und jetzt geht dieser Wunsch in Erfüllung und sie schämt sich dafür. Wie Vesselbeksch sie doch in all den Jahren an Voltans Seite geworden ist!
- "Alles in allem ist zu sagen: Dein Geld reicht noch für zwei Wochen!", beendet Ildeberta ihre Erklärungen zu der Liste.
- Eigentlich hatte dieser Satz gewohnt resolut klingen sollen. Doch er haucht ungewohnt schüchtern fast flehend aus ihrem Mund. Erlan hatte gerade wieder seinen Blick auf die Liste gewendet, und Ildeberta wünscht sich jetzt, daß er wieder zu ihr schaut, sie ansieht und nicht diese Liste.
- "Zwei Wochen?", fragt Erlan ohne seine Augen zu heben.
- "Nun sagen wir, wenn die Kosten noch etwas gesenkt werden können, vielleicht auch drei Wochen.", erwidert Ildeberta immer noch ein wenig jungmädchenhaft.
- "Dreeeiiii Wochen!", entsetzt springt Erlan von seinem Stuhl hoch und schaut fragend zu seiner Base.
- Endlich schaut er mich wieder an, schießt es Ildeberta durch den Kopf. Oh nein der Ausschnitt! Ist ihr nächster Gedanke, und sofort springt sie ebenfalls nach oben.
- "Mehr ist da nicht schön zu rechnen. Es tut mir leid.", immer noch klingt ihre Stimme wie ein entschuldigendes Flehen als eine schlechte Nachricht.
- Erlan schaut Ildeberta tief in die Augen. Was will sie hier mit ihm machen? Dort auf dem Tisch liegt der Beleg für seinen Bankrott. Und sie verwirrt ihn dauernd mit ihren weiblichen Reizen und schmachtender Stimme. Erlan weiß nicht mehr, was er tun soll.
- Langsam wandern Erlans Augen von den Augen abwärts, über Ildebertas Mund den Hals hinab zu ihren Brüsten, die nun natürlich nicht mehr offen vor ihm liegen. Doch sie sind unter dem Stoff des Kleides deutlich erahnbar. Sie ist eine recht üppig gebaute Frau. Auch ihre anderen Körperrundungen zeichnen sich gut ab. Schlußendlich wandert sein Blick langsam zum Rocksaum hinab, natürlich sind keine entblößten Waden mehr zu sehen. Erlan denkt nochmals an die schöne gerundete Wade, die er vorhin erblicken durfte.
- Soll er diesem offensichtlichen Werben Ildebertas nachgeben? Ist es das, was Ildeberta will? Sie ist die Gemahlin seines Vetters, des Familienpatriarchen! Ist das Schachtprojekt einen Ehebruch, einen Vertrauensbruch dieser Art wert? Würde er es sich verzeihen können, sich ihr dafür hinzugeben? Eigentlich ist sie eine recht ansehnliche Frau. - Erlans Gedanken kreisen wild umher.
- Ein lauter Seufzer entfährt Erlans Mund. Er schaut hoch. Seine Augen verlieren sich für einen kurzen Augenblick wieder in Ildebertas Augen. Er öffnet den Mund um etwas zu sagen.
- Doch mehr als den Mund leicht zu öffnen vermag er nicht. Ildeberta ist schneller und ergreift ihrerseits mit gewohnt fester Stimme das Wort: "Ich Danke Dir! Genau das habe ich jetzt gebraucht, Vetter." Dann geht sie einen halben Schritt von ihm weg, mehr ist in dem kleinen Zelt nicht drin.
- Erlan ist nun endgültig verwirrt, über den Tonfall seiner Base und auch ihr Fortrücken. Unfähig klar zu denken schaut er zum Tischchen und nimmt dann die Listen. Schaut sie sich an und wendet sich langsam zum Gehen.
- "Willst du schon gehen? Wir haben noch gar nicht über eine Lösung der Finanzprobleme deiner Ausgrabung gesprochen?", ist Ildebertas Stimme zu vernehmen. Erlan schaut nur auf. Er ist immer noch unfähig etwas zu sagen, er weiß nicht mehr was los ist.
- Ildeberta sagt mit ruhiger aber fester Stimme: "Es tut mir leid, daß ich Dich so durcheinander gebracht habe. Ich mag Dich sehr, Erlan. Doch ist es nicht richtig dies zu tun." Sie lächelt und betont den Rest des Satzes wieder mit diesem seltsam schüchternen Hauchen wie vorhin. "Auch ich war nahe dran. Das gerade war ein ganz besonderer Augenblick. ... Doch hier und jetzt kann dies nur schädlich sein. Es geht für Dich um zu viel und nicht allen Leuten hier kann man trauen."
- Erlan nickt und schaut wieder auf die Listen, die er in der Hand hält. Er schluckt den Frosch im Hals herunter rund fragt mit kratzender Stimme: "Das sehe ich genauso, Base. ... Aber wirst Du mir helfen? Drei Wochen reichen nur mit viel Glück."
- Ildeberta überlegt kurz und sagt dann: "Ich werde in zwei oder drei Tagen wieder von hier abreisen, wenn das Schiff kommt, um das Holz zu holen." Nach einem verzweifelten Blick aus Erlans Richtung spricht sie schnell weiter: "Ich kann für Dich hier nicht mehr tun. ... Nimm die Listen mit! Sie werden Dir beim Überlegen helfen. Senke die Kosten! Ich gehe zurück nach Sewamund. Dort werde ich mit Voltan reden und in beruhigen. Und dort kann ich möglicherweise auch etwas tun, um diese Zahl dort zu verbessern." Beim letzten Satz beugt sich Ildeberta vor und zeigt in der Liste, die Erlan vor sich hält, auf die Zahl, die Erlans Kontostand in Sewamund darstellt.
- Ein großer Stein plumpst Erlan vom Herzen. Das war es gewesen, was er zu hören gehofft hatte. Der junge Meister Vesselbek ergreift Ildebertas Hand, die noch auf die Liste zeigt. Er hält sie sanft aber fest, und während seine Augen langsam über den Arm und über die Brüste bis zu ihren Augen wandern. Senkt sich sein Mund zu einem Kuß, den seine Lippen fest und deutlich auf den Handrücken drücken.
- Für eine Moment leuchten Ildebertas Augen auf. Sie lächelt. Dann zieht sie ihre Hand weg.
- "Geh jetzt, verehrter Vetter!" Ihre Stimme ist wieder resolut und scheinbar hartherzig. Doch ihr Lächeln spricht eine andere Sprache. Mit leicht übertriebener Lautstärke fährt sie fort: "Denk daran! Senk die Kosten. Dann kann ich Dir helfen. ... Gute Nacht!"
- "Erlan wünscht ebenfalls: "Eine Gute Nacht, verehrteste Base! Ich werde mir Deine Worte zu Herzen nehmen."
- Dann verläßt er das Zelt.
101.Tag
Am späten Nachmittag wird Erlan geholt, um als Bauleiter die Ehre zu haben, die letzte Lücke in dem kleinen Staudamm zu schließen, der den Bach absperrt. Arombolosch hat sich den Luxus erlaubt und ohne Absprache einen Hubschütz eingebaut, da Erlan bereits mehrmals seine Vorliebe für regulierbare Zuflüsse bekundete und der Zwerg keine Lust hatte, schon wieder mit den Füßen im Wasser zu stehen, andererseits aber nicht tatenlos herumstehen und überflüssige Anweisungen geben wollte.
Erlan schließt nun die Sperre. Es dauert nicht lange, da ist das Wasser davor hoch genug gestiegen, um in die neue Richtung abzufließen. Auf der anderen Seite sinkt der Wasserstand so schnell, daß bereits die ersten kleinen Fische zu sehen sind, die ihre Flucht verpaßt haben und in kleinen Tümpeln umherspringen. Eine Arbeiterin greift beherzt zu und füllt ihre Taschen, andere machen es ihr nach. Einer erwischt sogar einen Aal und wirft ihn an Land, aber das Tier schlängelt sich überraschend schnell zwischen einigen Jägern hindurch, entwischt wieder ins Wasser und löst einen kleinen Tumult aus, als gleich mehrere Leute gleichzeitig vergeblich danach grabschen und dabei mit den Köpfen zusammenstoßen.
- Erlan kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Zu grotesk sieht das Herumgerutsche im Schlamm aus, was die gierigen Möchtegernfischer hier vollführen. Beinahe möchte er ihnen etwas Schelmisches zurufen, doch er unterläßt es, er möchte den Wettbewerb nicht unnötig anfeuern. Es gilt so wenig Zeit wie möglich zu verlieren. Darum ruft er die Massen zur Ordnung: "Leute! Nicht so wild!" Als etwas Ruhe einkehrt, befiehlt er weiter: "Ruben, Andara, ihr holt zwei Eimer und fangt die Fische! Das wird unser Mittagessen. .... Der Rest nimmt sich Haumesser und Äxte. Wir nehmen uns das Dornendickicht dort vorn einmal vor."
- Fragend schaut er zu Arombolosch. "Wenn der zweite Zulauf irgendwo versteckt wurde, bietet sich doch solch Gestrüpp dafür an?"
"Jo," brummt der Zwerg. "Soll ja keiner drauf rumtrampeln." Dann fällt ihm etwas ein und er gibt Anweisung, ausschließlich vom Ufer aus zu arbeiten, und von Südwest nach Nordost, also bachaufwärts. Er sieht zu Erlan hinüber: "Soll ja keiner drauf rumtrampeln." Die Metallwerkzeuge schneiden sich immer tiefer in das Dickicht hinein. Da inzwischen fast alle Beteiligten Erfahrung mit dieser Arbeit haben, geht es gut voran. Arombolosch weist Erlan darauf hin, daß etliche besonders alte und dicke Strünke über das Gewässer hinweg ineinander verschlungen sind. Dann steigt er in das Bachbett und geht langsam hinter dem Rodungstrupp her, stochert mal hier mal da und wühlt auch schon mal mit den Händen im Sand.
Die Rodung erreicht schon fast die Mitte des Dickichts, da bemerken Erlan und Arombolosch nahezu gleichzeitig eine Geröllstrecke, die ein wenig über den übliche Höhe des Bachgrundes hinausragt und wo sich daher kaum Sand halten kann. Arombolosch nimmt einige Steine weg, greift fest zu und holt eine kleine Portion faserigen Materials hervor. "Eine Kokosmatte, wie über dem Sammelbecken in der Bucht," stellt er zufrieden fest.
Erlan weist die Leute an, mit noch mehr Sorgfalt als bisher zu arbeiten, um ja nichts Wichtiges zu übersehen. Es wird aber sonst nichts Bemerkenswertes gefunden.
Zum Mittag gibt es Fisch, wobei die gefangene Menge leider längst nicht für alle reicht und jeder daher nur einen kleinen gebratenen Happen bekommt und die Fischsuppe wie sonst auch auf Stockfisch basiert.
Am Nachmittag ist das Dickicht schließlich ausreichend gerodet und die Fundstelle wird freigelegt, bis erkennbar ist, daß sich an dieser Stelle ein Sammelbehälter befindet, der sich abgesehen von den Abmessungen kaum von seinem Pendant in der Bucht unterscheidet.
- "Na, wer sagt's denn! Da ist der Zulauf!" Erlan triumphiert. "Ich schlage vor, wir verschließen ihn ähnlich wie in der Bucht mit einem Pfropfen, den wir nötigenfalls wieder lösen können. ... Danach geht's im Schacht weiter. Wasser schöpfen!"
- Der Vesselbek Baumeister verteilt die neuen Aufgaben. Dann berät er nochmals mit dem Zwergen.
- "Spätestens heute Abend ist dieser Zulauf trocken. Aber das Wasser ist immer noch unten im Erdreich. Wieviel es ist, weiß wohl niemand zu sagen. Was meint Ihr, Meister Arombolosch: Wie riskant ist es, den Schacht zu fluten und dann auszuschöpfen, bis er trocken ist? Oder ist es besser, meinen Vorschlag von gestern aufzugreifen? Sprich eine Art Ventil zu bauen und das Wasser schluckweise einzulassen und abzuschöpfen."
"Das wird nicht nötig sein," meint der Zwerg. "Wir nehmen einfach einen Bohrer und bohren ein Loch, das klein genug ist, um es bei Bedarf mit einem anständigen Nagel und einem Hammerschlag wieder zu verschließen. Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß wir wieder ein schräg nach unten führendes Rohr finden werden und der Nachschub alsbald ausbleiben wird, wenn wir es dichtmachen." Arombolosch spuckt in die Hände und gibt Anweisungen, wie das Sammelbecken abzubauen ist, ohne die Teile allzusehr zu beschädigen. Vielleicht braucht man das Zeug ja irgendwann wieder.
- 'Das mit dem Nagel ist mal ein Plan?', denkt Erlan bei sich. ,Warum wird bei mir alles so kompliziert? Während die andere so einfache Ideen haben.'
- Erlan seufzt kurz und segnet dann die Pläne des Zwergs ab.
- "Macht das so! Aber wir sollten uns beeilen, daß wir das heute noch schaffen." Mit etwas sauertöpfischem Gesicht fügt er hinzu: "Morgen sollten wir mit allen Leuten weiter graben. Wir haben viel Zeit verloren."
- Erlan beaufsichtigt die Arbeiten, erteilt Ratschläge, greift ständig helfend mit zu und reicht Werkzeuge. Er wirkt schweigsamer als sonst bei der Arbeit. Aber nicht allen fällt das auf.
Am späten Nachmittag erreicht die Karavelle Derisor die Insel, wirft Anker und lädt einige Kisten und Säcke mit Nachschub aus, dazu zwei Fischerboote und die zugehörigen Familien, die auch gleich damit beginnen, sich an einem anscheinend bereits vorbereiteten Platz einzurichten.
Der frei gewordene Frachtraum wird mit Holz gefüllt, darunter ein besonders prächtiger und bereits entsprechend vorbereiteter Stamm, der wohl irgendwann als Mast die Segel und Takelage eines Schiffes tragen wird.
Kapitän Kalman Deriago Torrem überläßt die Aufsicht seinem Bootsmann, macht einen Anstandsbesuch bei Ildeberta und vertreibt sich die Wartezeit bis zum nächsten Morgen in Gesellschaft der Signora Novacasa. Die beiden bechern recht fröhlich und erzählen einander Anekdoten und schmutzige Witze. Wenig später erscheint die Zofe der Signora bei Signora Vesselbek und gibt quasi unter der Hand zu verstehen, daß die edlen Herrschaften schwer arbeitende Leute zwar niemals spontan mit einer offiziellen Einladung unter Druck setzen würden, andererseits etwas mehr Gesellschaft zu schätzen wüßten und nichts einzuwenden hätten, wenn jemand "zufällig" vorbeikäme.
- Ildeberta Molthaus packt gerade ihre Sachen. Sie will mit dem Schiff die Insel verlassen, wenn es wieder absegelt. Doch sie nimmt die Einladung nach kurzer Überlegung an.
- Bald darauf kommt sie frisch umgezogen und in einer recht edlen und gut sitzenden Abendrobe zum Blockhaus, wo sich Raka di Mhoremis und Kapitän Torrem schon recht gut verstehen.
- "Vielen herzlichen Dank für Eure Einladung, Signora Raka!", begrüßt lldeberta zuerst die Hausherrin. Dann wendet sie sich zur Begrüßung dem Kapitän zu. "Schön, auch Euch hier zu treffen, Kapitän. ... Signora Raka ist eine äußerst gute Gastgeberin. Auch ich wollte sie noch einmal genießen, bevor ich sie wieder missen muß."
- Dann setzt sie sich und läßt sich ein Gläschen geben.
- "Darf ich fragen, welch erheiterndes Thema gerade erörtert wurde, bevor ich zu Ihrer Unterhaltung dazustieß?"
"Na was schon," meint der Kapitän kichernd und breit grinsend. "Wir erzählen einander Witze und ziehen über die Hofgesellschaft her. ... Aber bevor ich euch meinen derzeitigen Liebling erzähle, habe ich eine Frage: Wie denkt Ihr über den aktuellen Comto Protector und unseren jungen Horas?"
- Ilderberta zieht die Stirn in Falten und meint darauf kurz und knackig:"Nichts! Ich bin Beiden noch nie begegnet. Wie könnte ich von Ihnen eine Meinung haben?"
- Dann lächelt sie leicht und sagt: "Allerdings habe ich schon die Meinungen vieler Leute gehört. Sagt mir Eure! Vielleicht erhellt sie das Wirrwarr der anderen Aussagen."
"Sehr diplomatisch," sagt Kapitän noch breiter grinsend. "Nur nicht aus dem Fenster lehnen." Er nimmt eine bereits etwas zerlesene Volksausgabe von Schoten, Zoten, Anekdoten vom Tisch, blättert beim Lesezeichen auf und beginnt vorzulesen: "Der aktuelle Comto Protector Ralman von Firdayon-Bethana kümmert sich um alles, ..." Signora Raka kennt die Anekdote anscheinend schon, denn sie beginnt bereits beim ersten Satz zu kichern. "Immer wieder gut" sagt sie immer noch vor Vergnügen bebend, als Kapitän Torrem ausgelesen hat und tupft sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. Sie wendet sich an Ildeberta und meint: "Jetzt Ihr, Gnädigste. Und wenn Ihr euch nicht in die Politik wagen wollt, muß es etwas Schlüpfriges sein." Da stimmt der Kapitän mit ein wenig Weinseligkeit in der Stimme sogleich zu: "Genau, Thema Nummer 1, da warte ich schon lange drauf!"
- "Zoten kenne ich leider wenige. Aber vielleicht bringt Euch Diese doch zum schmunzeln:
- Die Frau eines Adligen, die Frau eines Patriziers und die Frau eines Neureichen sitzen beim Haarkünstler zusammen. Als das Thema angeschnitten wird, erzählt die Adlige: 'Mein Mann geht jede Woche einmal ins Bordell!'
- Die Patriziergemahlin übertrumpft sie: 'Das ist doch gar nichts! Mein Mann schafft es zweimal in jeder Woche.'
- Nur die Neureiche bleibt still, sie schämt sich, daß sie nicht mitreden kann..
- Als sie nach Hause kommt, bestürmt sie sogleich ihren Mann: 'Sag mal, gehst Du eigentlich auch ins Bordell?'
- Etwas bedrückt und leicht ertappt antwortet er: 'Manchmal, aber ...'
- 'Phex sei Dank', entgegnet die Frau des Neureichen, 'Ich dachte schon, das könnten wir uns nicht leisten!' "
Kapitän Torrem schlägt sich krachend auf die Schenkel und lacht dröhnend los, während die Signora haltlos kichert, bis schließlich beide nach Luft schnappen. "Sehr gut," meint der Kapitän, den muß ich nachher gleich meiner Besatzung erzählen" und greift zum Glas. "Ja, der ist nicht ohne und sollte in der nächsten Auflage der Zoten unbedingt dabeisein," stimmt Raka zu und erhebt ihr Glas ebenfalls. Man prostet einander zu, trinkt aus und läßt noch mehrmals Nachschub kommen. Dann werden Karten und Würfel gebracht, und es zeigt sich, daß auch feine Damen die Tricks kennen, Seeleuten ihr Geld aus der Tasche zu ziehen.
Am Abend zeigt sich, daß Erlan mit seiner Voraussage recht behalten hat, ebenso Arombolosch. Der gesamte Zulauf ist freigelegt und abgebaut, wo es nötig ist. Das Rohr ist gefunden und verschlossen. Alle können zufrieden ins Bett gehen.
- Doch nicht alle tun es. Erlan sitzt noch eine ganze Weile im Schein einer Laterne und kritzelt auf der Liste herum, die er gestern Abend von Ildeberta bekommen hat. Den ganzen Tag hat er überlegt, wie er die Kosten senken soll, wie es Ildeberta fordert. Er hat alle Arbeiten und alle Arbeiter genau beobachtet. Er muß einige abgeben. Der Holzfällertrupp würde sicher liebend gern welche annehmen.
- Und noch jemanden will er ziehen lassen. Diese Entscheidung war ihm nicht leicht gefallen. Er hatte sie sich den ganzen Tag überlegt. Neben einigen Arbeitern würde auch noch Svenske gehen. Er würde Ildeberta sagen, das sie den nostrischen Baumeisterknecht wieder mit nach Sewamund nehmen soll. Nicht das ihm Vetter Voltan seine Arbeit noch in Rechnung stellte.
- Mit festem Handstrich zieht Erlan zwei Linien unter das Ergebnis seiner Rechnung. Ildeberta würde es morgen zu sehen bekommen. Dann geht auch er zu Bett.
Ildeberta hat sich inzwischen ebenfalls zur Nachtruhe begeben. Nur Kapitän Torrem und Signora Raka sitzen immer noch beisammen, bis der Seemann schließlich von einigen seiner Leute abgeholt und zurück zum Schiff getragen wird.
102. Tag
Beim ersten Licht geht die Arbeit im Schacht weiter. Arombolosch bohrt ein neues Loch, dann wird in aller Ruhe Wasser geschöpft. Es dauert eine Weile, und das Loch wird mehrmals vergrößert. Schließlich kommt fast nichts mehr nach und man kann sich sicher sein, das Problem gelöst zu haben.
Die Sperre wird beseitigt, dann geht es wieder los mit dem anstrengenden, stupiden Graben. Schritt um Schritt wühlt man sich tiefer in Sumus Leib. Besonders Arombolosch wünscht sich manchmal, auf richtigen Fels zu stoßen, um sich daran abarbeiten zu können. Erlan dagegen fragt sich eher, woher er die Dukaten nehmen soll, falls die Reserven nicht mehr reichen sollten.
- Doch sobald seine Base aufgestanden ist, übergibt er ihr mit kurzen Worten die am Vorabend erweiterte Liste. Diese nickt nach kurzem Blick darauf und klopft Erlan aufmunternd auf die Schulter.
- Anschließend sucht Erlan Vesselbek ein Gespräch unter vier Augen mit Svenske Roongstrog. Zumeist redet dabei der ältere Baumeister, während der jüngere Baumeisterknecht nur kurze Antworten gibt. Schlußendlich gehen beide auseinander.
- Während der Nostrier einen kleinen Teil der Werkzeuge und Gerätschaften - offensichtlich seine eigenen - in eine Kiste packt und diese zum Strand hinunter schleppt, kommt Erlan zu Meister Arombolosch: "Ich muß kurz mit Euch etwas Wichtiges bereden!" Dann deutet er auf den kleinen Unterstand, der vordringlich für die Gerätschaften und Unterlagen der Baumeister unweit der Ausgrabungstelle errichtet wurde.
Arombolosch sieht mißtrauisch zu Svenske hinüber, als wüßte er bereits, was sich dort getan hat. Er sagt aber nichts und folgt Erlan.
- "Pfffhhhhhh!", zischt es aus Erlans Mund. "Es ist nicht einfach zu erklären. Doch ich mach's kurz. .... Mein Geld wird knapp, ich hab mich als Teilhaber dieser Ausgrabung verschätzt. Wir müssen die Ausgaben ein wenig reduzieren. Hauptsächlich bedeutet das: keine aufwendigen Anschaffungen vom Festland mehr und die Zahl der Arbeiter muß reduziert werden."
- Betreten schaut Erlan zu dem Zwergen hin: "Ich denke, die Einschnitte sind verschmerzbar. ... Meine Base wird meinen Knecht wieder mit nach Sewamund zurücknehmen. Außerdem müßten wir zwei der anderen Arbeiter zum Holzschlagtruppp zurückgeben."
- Wieder macht Erlan eine kleine Pause, bevor er weiterspricht: "Sicher wird das unsere Grabeleistung verringern, doch läßt sich das folgendermaßen ausgleichen. Ich werde mich verstärkt mit in den Schacht begeben, nicht nur bei schwierigen Stellen. Außerdem könnte man an dem bestehenden Kran einige kleine Verbesserungen vornehmen. Dann reicht es wenn einer ihn bedient. Ich hab da mal eine Skizze gemacht."
- Erlan beginnt seine eigene Unzufriedenheit und mit der Lage und die sich aufbauende Unsicherheit wegzuplappern.
Arombolosch arbeitet wie immer präzise mit, ist aber wortkarger als sonst und läßt die meiste Zeit Erlan reden. So verläuft der Rest des Arbeitstages in ungewohnt unentspannter Atmosphäre.
Am Ende der Schicht packt Arombolosch sein Werkzeug ein, bringt es zur Aufbewahrung und geht dann zum Nostrier hinüber, der am Strand auf einem Stein sitzt, mißmutig aufs Meer starrt und an einem Stock herumschnitzt. Die beiden unterhalten sich eine Weile, dann holt Arombolosch eines seiner kleinen Fässer, zwei Humpen, zwei Rationen des Abendessens und eine zwergische Pfefferhartwurst aus dem privaten Vorrat. Die Praiosscheibe ist bereits hinter dem Horizont verschwunden, da sitzen die beiden immer noch da und sind inzwischen dazu übergegangen, wehmütige Lieder über die Mühen der Arbeit und die Vorzüge des Alkohols zu singen.
103. Tag
- Kurz vor Sonnenaufgang macht man sich auf der Karavelle 'Derisor' zum Absegeln bereit. Auch Erlan ist am Strand um seine Base und seinen Knecht zu verabschieden, die nach Sewamund zurückreisen wollen. Während Svenkse mithilfe eines Seemanns das Gepäck in das Ruderboot laden, nimmt Ildeberta Erlan kurz beiseite, um ihm noch etwas zu sagen:
- "Mach Dir keine Sorgen, Erlan! Es stimmt zwar, daß Deine Geldresserven fast aufgebraucht sind. Die drei Wochen sind wirklich keine falsche Aussage, um Dich dazu zu drängen hier aufzugeben."
- Erlan seufzt und fährt dazwischen: "Was dann?"
- Ildeberta legt ihrem Vetter die Hand auf die Schulter und beruhigt ihn: "In Sewamund kann ich mehr für Dich tun. Wenn ich ihm alles richtig erkläre, wird Voltan keine großartigen Fragen stellen. Und was das Geld anbelangt, habe ich auch mehr Möglichkeiten."
- Als Erlan erstaunt und halb erfreut seine Augenbrauen hoch hebt, unterbricht ihn seine Base schnell: "Es sollten aber auch keine drei Monate draus werden. Behalt es im Kopf: drei Wochen!"
- Nur zögerlich erwidert Erlan ihr Lächeln. Als er ein schelmisches Augenzwinkern in Ildebertas Gesicht bemerkt, kann er sogar ein wenig Lachen: "Danke, Base! Ich werde es mir merken."
- Noch eine ganze Weile starrt Erlan erst dem Beiboot und dann der Karavelle hinterher, bevor er sich wieder an die Arbeit macht.
105. Tag, 80 Schritt Tiefe
In den letzten Tagen ist alles erstaunlich glatt gegangen, und manche unken bereits, daß es danach folgerichtig nur umso knüppeldicker kommen kann. Der Schacht wurde nach dem letzten Hindernis bereits um weitere zehn Schritt vertieft. Da Erlan damit rechnet, jeden Moment auf eine weitere Sperre zu stoßen, übernimmt er den letzten Abschnitt dieser zehn Schritt wieder persönlich. Plötzlich macht es 'Ding!'. Der Spaten stößt auf etwas Hartes. Erlan legt die Stelle behutsam frei und stellt fest, daß er auf ein graues, bröckeliges Gestein gestoßen ist, durchsetzt von Kieseln.
- Immer noch ist kein Ende dieses Schachtes erreicht. Etwas resignierend schnauft Erlan. Dann schlägt er mit der Spitzhacke etwas von dem Gestein ab und schaufelt das Material mühevoll in den Förderkorb. Als der halbwegs gefüllt ist, gibt er das Signal zum Hochziehen.
- Während der Korb langsam nach oben wandert, stochert Erlan weiter. Er möchte den Rand des Hindernisses finden. Hat man nun eine feste Gesteinsschicht erreicht?
Das Ende des Schachts ist nicht einmal um eine Handbreit mehr als üblich erweitert, da stellt Erlan fest, daß dieses eigenartige graue Gestein rundum von sehr viel härterem Material umgeben ist. Richtiger Fels, womöglich Urgestein, das sich hier bereits seit der Erschaffung der Welt befindet. Der Umriß folgt annähernd dem Umriß des Schachtes, wenn auch mit abgerundeten Ecken.
Der Korb ist kaum oben angekommen, da ruft Minervé Skeboserin hinunter: "Hey, was habt Ihr denn da für ein eigenartiges Zeug gefunden?"
- "Hier ist eine Gesteinsschicht!", ruft Erlan nach oben. "Ich komme auch hoch! Meister Arombolosch soll sich das mal ansehen."
- Während der Förderkorb wieder herabgelassen wird, schlägt und kratzt der Deichbauer noch einige der Steine ab, und türmt sie in der Mitte des kleinen Schachtes auf, sodaß der Rand mit seiner festen Gesteinsschicht noch besser zu sehen ist.
- Dann packt er wieder Steine in den Korb, aber nur so viele, daß er selbst noch mit hochfahren kann. Oben angekommen berichtet er genauer, was er entdeckt hat.
- "Ich denke, daß solltet Ihr Euch selbst ansehen, Meister Arombolosch. Der Schacht wird nun durch eine feste Gesteinsschicht führen. Einerseits macht es das Ausgraben mühseliger. Andererseits brauchen wir wohl auch nicht mehr abstützen. Aber schaut es euch selbst an!"
"Ich habe mir das Zeug bereits angesehen und kann Euch auch so sagen, was Ihr gefunden habt: Batangr, sogar von recht guter Qualität." Erlan schaut fragend drein. Das Wort kennt er nicht. "Zwergenguss, ein künstliches Gestein, von meinem Volk entwickelt. Ein ziemlich widerstandsfähiges Zeug, stabiler als die meisten natürlichen Gesteine, wenn es erst einmal ausgehärtet ist. Unser Schmied kann schon mal darangehen, extra gehärtete Meißel herzustellen.
Bei Angroschs Bart, das kann richtig mühsam werden."
- Meister Aromboloschs Analyse drückt natürlich nochmals auf die Erlans Zuversicht. Aber eigentlich hatte er es unten schon selbst geahnt. Er schnauft mißmutig. Doch dann beherzigt er den Rat, des Zwergs und gibt dem Werkzeugschmied Anweisung alle verfügbaren Werkzeuge in besten Zustand zu bringen.
Der Zwerg holt einige neue Werkzeuge von der Ausgabe, vor allem mehrere Meißel und einen kurzstieligen schweren Hammer, setzt sich in den Korb und läßt sich in den Schacht abseilen. Das dauert mehrere Minuten. Sicherheit geht vor. Von unten ist sein Ruf zu hören, durch die Entfernung gedämpft, aber immer noch verständlich: "Batangr, wie ich sagte!" Dann folgt ausdauerndes kraftvolles Hämmern. Die Ausbeute an zertrümmertem Zwergenguss ist nicht mit dem bisher üblichen Ladungen an schwerem Erdreich zu vergleichen, aber Arombolosch ist anscheinend in seinem Element. Er stimmt mit lautem Dröhnen ein zwergisches Lied an, schnell und treibend beim Hämmern, der Refrain deutlich langsamer in den Pausen, in denen er wohl Trümmer in den Korb schaufelt.
- Zwergenguss! Das hat Erlan schonmal gesehen und auch wie es hergestellt wurde - zumindestens von Weitem. Als vor Jahren auf seiner "Wanderschaft" auch einen Auftrag am Horaswall hatte, jener Grenzlinie zum Mittelreich. Die dortigen zwergischen Meister hatten ein großes Geheimnis um die Herstellung ihres angeblich unzerstörbaren Materials gemacht. Von Soldaten abgeschirmt hatte nicht viel erkennen können, außer daß in eine hölzerne Verschalung Unmengen kleiner Steine und eines ominösen Mörtels gekippt wurden. Das Ergebnis waren dann Wandsegmente aus einem Gestein, daß fast wie Granit aussah, aber das es eben kein Granit war.
- Auch Erlan schnappt sich einige Meißel und einen Klöpfel. Den Umgang damit kennt er. Sein Vater ist Steinmetz. Er versucht sich oben an einigen der Brocken, die er unten abgeschlagen hat. Er probiert an einem größeren Brocken, welche Art Meißel am Besten geht und wie er sie am effektivsten einsetzen soll. So schlägt er eine Weile an dem Brocken herum. Irgendwann bemerkt Erlan auf seiner schwitzenden Haut ein Brenn, das von dem feinen staub herrührt, den er beim Arbeiten aufwirbelt.
- Stirnrunzelnd bricht er die Arbeit ab, und geht sich erstmal am Bach waschen.
Nach einer Stunde sind die Kräfte des Angroscho fürs Erste erschöpft. Er kommt mit dem Korb nach oben, eine Schlupfmütze - also eine bis auf Augenschlitze geschlossene Gugel - auf dem Kopf, dazu eine Schutzbrille, von oben bis unten mit grauem Staub bedeckt, eine Gestalt wie aus einer anderen Welt. Ein junger, zufällig vorbeikommender Holzfäller stößt einen erschreckten Laut aus, als er die Erscheinung erblickt.
Arombolosch nimmt Brille und Kopfbedeckung ab, hustet ausdauernd und spuckt schwarzen Schleim aus. "War nicht klug von mir, ohne Wasser zu arbeiten," murmelt er. Dann schaut er sich um und grinst breit. "Der Nächste bitte!"
- Erlan kommt gerade vom Waschen zurück als der Zwerg oben aus dem Schacht fährt. Die über und über von Staub bedeckte Gestalt läßt das Stirnrunzeln wieder auf sein Gesicht wandern.
- "Wir brachen auch einen Schutz, wie Ihr. Diese Menge Staub ist ja auf Dauer nicht auszuhalten.", murmelt Erlan halblaut. Er besorgt sich noch schnell einige Lederschürzen, von denen er eine um seinen Kopf wickelt. Als Mund- und Nasenschutz soll ihm ein Tuchschal dienen, den er um den Kopf wickelt, und damit gleichzeitig die Lederschürzenkopfbedeckung fixiert.
- "So ich bin bereit. Ich gehe als Nächstes! Ich will mich auch mit eurem Zwergengestein anfreunden!", ruft er. Danach schnappt er sich noch einen ordentlichen Schwung geschärfter und gehärteter Meißel und läßt sich dann hinabfahren.
- Unten angekommen beginnt Erlan ebenfalls zu hämmern und zu meißeln. Nach einem Blick über das durchaus beachtliche Werk des Zwergen, geht er nach folgendem Plan und folgender Schlußfolgerung vor. Harte Gesteine sind von außen her zwar sehr robust. Aber Kräften von innen heraus haben sie nur wenig entgegen zu setzen. Das weiß Erlan aus seinen Beobachtungen in der Werkstatt seines Vaters oder auf den Baustellen der Palazzi, wo Steinmetze arbeiten. Wenn man bei harten Gesteinen viel abschlagen will, schlägt man nicht relativ wahllos an der Oberfläche entlang, man versucht das Gestein zu spalten.
- Wo das ursprüngliche Gestein auf den Zwergenguss trifft, fängt Erlan an und beginnt dort eine Art Rinne zu meißeln. Nicht unbedingt breit aber so tief wie es geht. Dann beginnt er parallel ein gewisses Stück neben der Rinne mehrere Meißel gleichzeitig in das künstliche Gestein zu treiben. Natürlich macht ihm immer mal wieder ein harter Kieselstein einen Strich durch die Rechnung. Aber irgendwann spaltet sich auf diese Weise ein gehöriger Block ab, der fast zu schwer ist, um ihn in den Förderkorb zu hieven.
- Jetzt ist die vormalige Rinne deutlich breiter, und Erlan beginnt das Spiel mit dem Abspalten abermals. Er versucht den nächsten Block abzuspalten, der aber vorher zerbricht, so daß die Reste letztlich doch mühselig herausgeschlagen werden müssen. Doch bei allen weiteren Versuchen ergibt sich die Erkenntnis, das das Spalten zwar nicht so einfach und akkurat ist, wie bei gewachsenem Gestein, man diesem Zwergenguß aber mit dieser Methode recht gut beikommt. Wenn man erstmal eine Lücke geschlagen hat, in die er brechen kann, kann man nämlich erstaunlich große Brocken lösen.
- Erlan belädt den Förderkorb und macht erstmal Pause, während die Last nach oben fährt.
Mit dem Korb kommen auch gleich neue Meißel herunter. Erlan schuftet, bis er nicht mehr kann. Die Muskeln täten es noch, aber er muß immer häufiger husten und bekommt schließlich nicht mehr genügend Luft, um noch ausdauernd arbeiten zu können. Als er oben aus dem Korb steigt, sehen die Umstehenden ihn einen Augenblick erschreckt an, was sich zur Besorgnis steigert, als er anhaltend husten muß. Er wird wohl kaum besser aussehen als zuvor Arombolosch.
Der Zwerg hat sich inzwischen erholt. Er hat einen Ziegenbalg voller Wasser dabei und meint "Ich werde die Baustelle ein wenig wässern, um den Staub zu binden. Etwas Schlamm dürfte angenehmer sein als eine Staublunge." Dann steigt er in den Korb und fährt hinab. Wieder ist eine Stunde lang von unten Gesang und Hämmern zu hören, sogar mit mehr Vehemenz als zuvor. Als Arombolosch seine Schicht beendet und nach oben kommt, sieht er noch dreckiger aus als beim vorigen Mal, aber diesmal ist er von Schlamm und nicht von Staub bedeckt. Sein Atem geht dagegen ruhig, und er ist gut gelaunt. "Es sind schon viele erstickt, aber noch keiner erschmutzt, oder?"
- Während Arombolsoch unten hämmert, gibt Erlan den verbliebenen Arbeitern einige Ratschläge, wie man dem seltsamen künstlichen Zwergengestein recht gut beikommen kann. Er zeigt ihnen an den schon geförderten Brocken, wie man den Meißel am Besten ansetzt, und in das Gestein treibt, damit möglichst große Brocken abbrechen.
- Noch einige Male wechseln sich die verbliebenen Arbeiter bis zum Abend im Schacht ab. Auch Erlan geht noch zweimal hinunter. Der Trick des Zwergen mit dem Wasser hat sich bewährt. Die Leute müssen wenigstens nicht noch gegen den Staub kämpfen. Der Kampf mit dem 'Batangr' ist hart genug. Er frißt an den Meißeln, die zusehends kürzer werden, da sie immer wieder neu angeschliffen werden müssen. Und auch an den Kräften, sodaß man nach einer halben Stunde Arbeit kaum noch die Arme heben kann.
- Dennoch scheint Erlan am Abend zuversichtlicher als noch am Morgen. Er glaubt einfach nicht, daß diese Schicht sich über die bislang üblichen 10 Schritt nach unten erstreckt. Wie dick kann diese Schicht sein? Sie soll wohl den Durchstich vor dem Wasser versiegeln, welches durch die kleineren Schächte eingedrungen ist. Sie sollen wohl ein letztes Hindernis für Schatzräuber darstellen, aber kein unüberwindbares. Denn alles was hier unten liegt, sollte ja offensichtlich erreichbar bleiben.
106. Tag
- Auch der nächste Tag vergeht mit mühseligem Hämmern. Die Arbeit im Schacht verläuft von Stunde zu Stunde schleppender. Erlan hat gerade seine Schicht beendet und entledigt sich seiner vollends verstaubten Sachen, während einer der Arbeiter hinab fährt. Erschöpft wendet er sich dem nahen Bach zu, um sich zu waschen, sein Gesicht ist nicht nur von Staub und Erschöpfung gezeichnet. Wieder beginnt sich Resignation in seinem Gesicht abzuzeichnen. Die leichte Zuversicht des gestrigen Abends weicht scheinbar mit jedem Hammerschlag.
- "Bliiing!" Der Arbeiter ist unten angekommen und versucht dem Gestein beizukommen. Derweil geht Erlan weiter, um sich zu waschen.
- "Bliing!" Wieder ertönt aus dem Schacht das metallische Klingeln des Meißels auf dem harten Gestein. Als Erlan sich bückt, um sein Handtuch ins Wasser zu tauchen, damit er sich waschen kann, entdeckt er im Wasser einen abgebrochenen Hackenstiel. Er ist modrig schwarz und völlig aufquollen.
- "Bliiing!" Ein erneuter Hammerschlag wird vom Wind herüber getragen und treibt sich in Erlans Gehör. Genau wie sich eine Idee in seinen Kopf treibt. Erlan fischt den verquollenen Hackenstiel aus dem Wasser, dreht ihn kurz in seinen Händen, während er ihn betrachtet, und wirft ihn dann wieder ins Wasser. Anschließend schnappt er sich sein Handtuch und kehrt nur halb gewaschen wieder zum Schacht zurück.
- Das "Bliiing!", das jetzt aus dem Schacht hochscheppert, zerteilt Erlans Ruf und seine Forderung, daß er wieder in den Schacht steigen soll. Ungläubig schaut man ihn an. Doch der Vesselbekbaumeister erstickt jede Widerrede: "Jawohl, ich will noch mal runter!" Dann verteilt er seine neuen Anweisungen: "Du holst Ansgar wieder rauf! Und Du holst alle Holzkeile, die du finden kannst!"
- Während Erlan frische Meißel holt, schüttelt Minervé Skeboserin den Kopf und tuschelt mit ihrem Nebenmann an der Haspel des Krans. "Jetzt ist er verrückt geworden! Ansgar ist gerade erst runter gefahren. Warum soll er schon wieder hoch?"
- Doch Erlan ist felsenfest überzeugt von seinem Tun. Er trägt Holzkeile und Meißel zusammen und läßt sich kurz darauf wieder in den Schacht fahren.
- Es dauert schier eine Ewigkeit bis Erlan unten mit Hämmern und Meißeln aufhört. Seine Ausbeute an Gestein ist dabei auch sehr mager. Auf Rufe von oben, die ihn zur Ablöse drängen, reagiert er nur mit unwilligen Aussagen, daß er noch nicht fertig sei. Bis in die Abendstunden hinein arbeitet er in dem Loch.
- Alle sind sich einig: "Der Vesselbek hat den den Verstand verloren!"
- Und tuscheln wilde Vermutungen hin und her: "Das Loch hat ihn nun auch gefangen und wird versuchen ihn zu verschlingen, wie den jungen Kacheleen." "Genau, ein Geist bewacht diesen Schatz da unten!" "Nein, kein Schatz und auch kein Geist. Es ist das Grab von Fran-Horas und der Fluch der Götter wird jeden von uns holen. So wie ihn damals!"
- "Bei Väterchen Angrosch seid endlich still!", braust Arombolosch dazwischen. "Es reicht, wenn der Deichbauer verrückt geworden ist. Jetzt macht ihr auch noch mich verrückt!"
- Dann ruft er in den Schacht hinein: "Hey ha, Meister Erlan! Geht's Euch gut? Sollen wir Euch nicht dochraufholen?"
- Unerwartet ruft es aus dem Schacht zurück: "Ja! Ich bin fertig. Ich brauche nur noch einen Schwung Wasser. Bringt mir Wasser runter!"
- Arombolosch rauft sich die Haare seines Bartes und brummelt dabei: "Er hätte beim Meer und seinen Dämmen bleiben sollen, dann wäre er nicht verrückt geworden. Ist denn nicht genug Wasser unten, damit es nicht staubt?" Doch dann ruft er zurück: "Geht klar!", und gibt sogleich den Arbeitern Anweisung: "Holt den Korb herauf und bringt Wasser runter. Scheinbar will er sich unten waschen."
- Grummelnd und brummelnd zieht der Zwerg sich dann zurück, auf diese Aufregung braucht er einen guten Schluck. Schließlich will er nun am Ende des Tages nicht auch noch seinen Verstand verlieren.
- Als die Sonne am Horizont untergeht, kommt Erlan Vesselbek aus dem Schacht gekrochen. Erschöpft, durchnäßt, verdreckt und auch an den Händen zerschunden aber ruhig und gelassen begibt er sich ins Lager.
107. Tag, 81 Schritt Tiefe
- Erwartungsvoll läßt sich Erlan nach unten fahren. Niemand denkt daran ihn bald wieder oben zu sehen. Man macht sich wieder für eine längere Pause bereit und tauscht gerade neue Vermutungen über Erlans Geisteszustand aus, als ein Freudenschrei aus dem Schacht ertönt: "Heureka!"
- Sogar Meister Arombolosch wird von ihm angelockt: "Euer verfluchter Zwergen-Batangr hat dem Trick mit Wasser und Holz nicht standgehalten. Hurra! ... Holt mich rauf!"
- Gleich geht das Tuscheln wieder los: "Gestern ist er nicht aus dem Loch zu kriegen. Heute will er nicht mal einen einzigen Handgriff da unten tun. Das soll Unsereiner verstehen." "Er ist verrückt geworden. Sag ich doch!"
- Als Erlan Vesselbek wieder aus dem Loch steigt, sieht man ihm die Freude an.
- "Meine Arbeit gestern war erfolgreich.", berichtet er. "Der Zwergenguss ist gebrochen. Und irgendwas aus Metall ist darunter. Doch um das zu begutachten, müssen das Wasser und die Gesteinsbrocken unten raus. Ist eine ganze Menge Zeug. An die Arbeit, Leute! ... Ruft mich, wenn der Dreck da unten raus ist."
- Mit diesen Worten verzieht sich Erlan erstmal an den Rand und reibt sich seine immer noch vom gestrigen Tag zerschundenen und brennenden Hände mit einer Tarnelensalbe ein. Dann widmet er sich wieder ein paar Zeichnungen und Listen.
Einige Stunden später sind Erlans Anweisungen ausgeführt. Arombolosch geht am Haufen der Batangr-Trümmer vorbei und läßt unauffällig etwas fallen. Dann begibt er sich zum Schacht und läßt sich abseilen. Als er außer Sicht ist, macht sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit. Er ist gerade unten angekommen, da hört er von oben einen Ruf: "Gooold!" Ups, das hätte schiefgehen können. Was, wenn man ihn auf halber Strecke hängenlassen hätte? Das Förderseil schlackert verdächtig. Hätte der Zwerg jetzt jemanden zum Wetten, würde er darauf setzen, daß gerade jemand den Kran verlassen hat. Jedenfalls ist jetzt genügend Zeit, sich in aller Ruhe um die Arbeit zu kümmern. Der Schacht ist von einer runden Kupferplatte abgeschlossen. Arombolosch bohrt ein kleines Loch. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Kein Wasser.
Die Vorarbeiterin wird auf den Tumult am Schacht aufmerksam und sieht, daß die Leute die Trümmer aufgeschichtet haben und systematisch darin herumsuchen. Der durchsuchte Teil wird auf einen weiteren Haufen geschaufelt, wo aber auch schon wieder welche am Suchen sind, darunter auch Holzfäller und sonstige Leute von der anderen Fraktion. Minervé geht näher und sieht sich die bis auf eine Ausnahme unergiebige Tätigkeit an. Sokrato aus Teremon rangelt gerade mit Talia Telopulini um einen blinkenden Kiesel. Minervé versetzt dem Holzfäller einen heimtückischen Tritt und nimmt ihm das Ding ab. Seine Kollegin will daraufhin pampig werden, doch ein drohender Blick läßt sie zurückweichen. "Verpfeift euch. An die Arbeit!" Die beiden Kontrahenten ziehen sich zurück, behaupten aber, höchstoffiziell Pause zu haben. Der Disput zieht sich eine Weile hin, bis die drohend erhobenen Fäuste der Vorarbeiterin dafür sorgen, daß Sokrato und Talia sich zu ihren Kollegen verziehen.
Inzwischen ist auch Signora Novacasa aufmerksam geworden und nähert sich. Das letzte Stück des Weges werden Bretter ausgelegt, damit die schicken Schuhe und der Saum des Gewandes nicht schmutzig werden. Die Dame streckt die Hand aus und Minervé gibt den Stein des Anstoßes ein wenig widerwillig her. Während Raka sich den Fund genau ansieht, läßt sie sich erklären, was vorgefallen ist. "Kleiner Anfall von Goldfieber, was?" Minervé nickt grollend. "Ist gleich wieder vorbei," sagt die Dame, grinst breit und gibt und gibt den golden glänzenden Stein zurück. "Kupferkies... Da hat wohl der Mischer sich damals einen kleinen Scherz erlaubt. Oder vielleicht auch Zufall. Wer weiß?" Sie läßt einen Klappstuhl und ein Tischlein bringen und setzt sich, um den weiteren Verlauf zu beobachten.
Erlan beendet die Sitzung im Toilettenhäuschen und kommt jetzt auch näher. Minervé reicht ihm den blinkenden Kiesel und blickt ihn an, während er sich das Mineral genauer ansieht. Ob er wohl wie vermutlich etliche andere gegen den Gedanken ankämpft, Gold in der Hand zu haben?
- Erlan hat nicht viel Ahnung von Erzen und Gold. Doch auch er hat schon von Katzengold und Gelbkies gehört, die unerfahrene Prospektoren genarrt haben. Er überlegt kurz, wie er sicher gehen kann. Denn vielleicht ist der Schatz in dieser seltsamen Batangr-Schicht eingegossen worden. Grübelnd suchen seine Augen einen Hammer. Als er ihn gefunden hat nimmt er ihn und schlägt mehrmals kräftig auf den kleinen Klumpen. Als dieser beim dritten Schlag in dutzende kleiner Bruchstücke auseinanderbricht, ist auch dem Letzten klar: Dies ist kein Gold!
- Enttäuscht aber auch ein wenig erleichtert, das Ganze aufgeklärt zu haben, schickt er die Leute wieder zur Arbeit: "So genug mit der ganzen Aufregung! Das ist nur Katzengold. Jeder geht wieder an seine Arbeit! Signora van Kacheleen wird mich lynchen, wenn ich ihre Arbeiter vom Holzschlag abhalte! Und wir haben hier auch zu tun."
- Als die ersten widerwillig ihre Arbeit wieder aufnehmen, schaut Erlan sich um. Er sucht eigentlich den Zwergen. Seine ratlosen Augen erspähen dafür Raka di Mhoremis. Er winkt Ihr zu und geht dann zu ihr, um sie auf der Baustelle zu begrüßen.
Arombolosch am Ziel
Arombolosch ist inzwischen weitaus mehr vom Fieber gepackt als die Leute an der Oberfläche. Er will sich diesen Moment auf keinen Fall nehmen lassen und legt die Kupferplatte völlig frei. Alle Sinne und Instinkte sagen ihm, daß er unmittelbar vor dem Ziel ist. Er schraubt einen Haken in das Bohrloch, schlingt sein Taschentuch zu einem behelfsmäßigen Griff und zieht. Mit einem Krächzen und Quietschen löst sich die Platte vom Untergrund. Ein tiefes Loch wird sichtbar. Arombolosch stellt die Platte an den Rand und leuchtet mit seiner Laterne nach unten. Der noch vier Schritt senkrecht abwärts führende Tunnel erweitert sich konisch bis zu einem Durchmesser von zwei Schritt, dann fällt das Licht auf einen etwa kopfgroßen pflanzlichen Gegenstand, der auf einem faßförmigen Zylinder steht, daneben drei Lampen wie aus den tulamidischen Märchen. Arombolosch seilt sich ab und sieht sich die Sache überkopf am Seil hängend aus der Nähe an. Tatsächlich, ein richtiges hölzernes Faß mit metallenen Ringen und metallenem Deckel mit filigranen Intarsien, darauf die drei Lampen und ein Blumentopf mit einer abgesehen von ihrer Winzigkeit ausgewachsen aussehenden Steincheiche, allerdings ohne Blätter. Irgendein magischer Schnickschnack, da ist sich der Zwerg sicher. Das interessiert ihn weniger, dafür aber die Jade, das Silber und andere Metalle in den Farben des Regenbogens. Ob es auffällt, wenn er sich privat eine Lampe einsteckt? Lieber nicht. Er genießt den Moment und kann es sich nicht verkneifen, eine der Lampen kurz mit einem Finger zu berühren. Erster! Wenn er in schweren Stunden jemals dachte, kein richtiger Angroscho zu sein, jetzt weiß er es besser.
Schweren Herzens zieht Arombolosch sich zurück, wobei er sorgfältig darauf achtet, keine Spuren zu hinterlassen. Er schließt den Deckel wieder, drückt alles fest, rührt ein wenig herum, damit die Spalten sich füllen und der Zugang ungeöffnet aussieht. Dann putzt er die Platte blank, setzt sich in den Korb und ruft nach oben: "Hol auf!" Er muß mehrmals und noch lauter rufen, bis jemand reagiert. Während der Fahrt nach oben leert er seinen Flachmann in einem Zug, steckt sich die Pfeife an und beginnt leise und zufrieden zu singen: "Bier Bier Bier Bier, Zwerge trinken Bier. Gold Gold Gold Gold, Zwerge suchen Gold. Reich reich reich reich, Zwerge werden reich."
Oben ist inzwischen Ruhe eingekehrt. Die Welle des Gold-Gerüchtes hat sich ausgebreitet, gefolgt von einer Welle der Enttäuschung.
Erlan ist noch dabei, letzte Neugierige über die goldlose Natur des Fundes aufzuklären, da tritt Arombolosch an ihn heran: "Es ist alles bereit, Meister, ich habe Euch schon einen Griff angebracht, damit ihr den Zugang öffnen könnt."
- Die Aufmerksamkeit des Vesselbek-Baumeisters wird von Arombolosch wieder zum Schacht gelenkt. "Ihr meint, da unten gibt es endlich einen Zugang eine Art Tür oder Luke? Das muß ich sehen! Habt Ihr schon reingeschaut. Nein sonst hättet Ihr doch gesagt, was da unten ist."
- Nur durch starke Anstrengung kann sich Erlan zurückhalten gleich loszurennen. Betont gemessenen Schrittes geht er zum Baumeisterunterstand und holt noch eines seiner Notizbücher und ein Bandmaß. Bevor er in den Förderkorb steigt, fragt er in die Runde: "Möchte mich noch jemand begleiten? Meister Arombolosch? Frau Skeboserin? Vielleicht brauche ich Hilfe. Zwei Augenpaare sehen mehr als Eines."
Bevor die Angesprochenen etwas sagen können, erhebt sich die Signora: "Wartet auf Uns! Einen Moment." Sie gibt ihrer Zofe die Anweisung, einen Arbeitskittel, Schuhe und alles sonstige Zubehör ins Blockhaus zu bringen und begibt sich eiligen Schrittes selbst dorthin. Die Zurückbleibenden starren ihr hinterher. Was mag das nun wieder zu bedeuten haben?
- Erlan schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn. "Natürlich! Den Bauherren gebührt immer der Vortritt. Wie habe ich dieses Privileg der Edlen Dame vergessen können."
- Arombolosch brummt darauf: "Na immerhin zieht sie sich um. Hoffenlich was Richtiges! Mit diesem gewaltigen Stoffberg um ihren Allerwertesten kann man nämlich höchstens die Schachtwände putzen." Er schlägt sich die Hand auf die Oberschenkel und johlt weiter: "Obwohl das eigentlich gar nicht so schlecht wäre. Dann sparen wir uns diese Arbeit."
- Alles johlt und grölt um sie herum. Der Baumeister hat große Mühe die Arbeiter wieder zu beruhigen, und die Scherze auf Kosten der Signora Novacasa zu unterbinden. Es gelingt ihm leidlich. Es wird nur noch leise getuschelt, als die Dame zurückkommt.
Tatsächlich ist sie kaum zu erkennen. Arbeitsschuhe, nackte Fesseln, ein neuer - an der Taille sehr figurbetont gegürteter - Kittel, ein nach Piratenart um die Frisur geschlungenes Kopftuch, Arbeitshandschuhe an den Händen, mit denen sie unternehmungslustig ein kleines Brecheisen schwingt. "Na, was ist?"
"Signora!" Ihre Zofe ist ensetzt. "Ihr könnt unmöglich in diesem Aufzug..."
"Ach was. Papperlapapp! Du weißt genau, in welchem Aufzug wir beim JaGui-Manöver waren. Also tu mal nicht ordentlicher als der Wahrer der Ordnung."
Erlan steht am Förderkorb, als die Dame an ihn herantritt, ein wenig zu dicht womöglich, und ihn anspricht: "Ihr wollt zuerst hinab?"
- "Ei..eigentlich schon!", stottert Erlan ein wenig verunsichert.
"Aber aber, Meister Erlan. Wenn Ihr zuerst unten seid... Euch könnte ganz aus Versehen ein Blick unter Unseren Kittel entfleuchen, .." sie klimpert mit den Wimpern und blickt Ihn an, als ob sie durchaus Verständnis für einen derartigen Fauxpas hätte - ".. und Wir müßten Euch hart bestrafen. Sehr hart."
Minervé feixt, während Arombolosch irgendwas Mißbilligendes in seinen Bart brummelt.
- "Nei..nein, nein, natürlich wollte ich zuerst gehen. Aber mir sollte diese Ehre nicht allein gelten. Ich habe ja gefragt wer mit mir kommen mag. Wenn Ihr dies sein wollt, darf ich Euch dies nicht verwehren. Der, der zahlt, hat das Vorrecht stets als Erster ein neues Haus zu betreten oder eben wie hier einen Schatzhort zu öffnen."
- Erlan mustert Raka ganz kurz, bevor er weiterspricht: "Bitte sehr, Signora! Im Korb ist zwar nicht viel Platz, aber es wird schon gehen."
- Sehr umständlich hilft der Vesselbek-Baumeister der Edlen Dame in den Förderkorb. Als beide neben Laternen, einer Strickleiter, Seil und etwas Werkzeug Platz genommen haben, geht es langsam abwärts
Als schließlich beide unten sind, stellen sie fest, daß es viel zu eng für zwei Personen nebeneinander ist. So kann man nicht arbeiten. Im flackernden Licht der Laterne ist zu sehen, daß die 81 Schritt weiter oben noch so kecke und unternehmungslustige Dame zumindest ein wenig nervös ist. "Ganz schön eng. Zu spät, um wegzurennen, was?" meint sie. "Ihr werdet die Situation nicht schamlos ausnutzen, oder etwa doch?" Erlan kann ihre im Schatten liegenden Augen nicht erkennen, sieht aber, daß sie breit grinst.
- Erlan weiß eine kurzen Augenblick lang nicht, was er tun oder denken oder sagen soll. Siedendheiß umwabern dichte Wolken der Wollust sein Gehirn. Doch schnell wischt er die Schwaden weg und antwortet beherzt: "Schamlos? Natürlich werde ich schamlos ausnutzen, das Ihr hier seid. Dies ist kein vergnügliches Unterfangen! Ich werde Eure Hilfe brauchen."
- Dann ruft er lauthals nach oben: "2 Schritt hoch! ... Bitte, zwei Schritt nach oben fahren!"
- Sogleich wird diese Anweisung ausgeführt. Der Korb aus Segeltuch fährt wieder etwas nach oben, sodaß jetzt unter dem Korb wieder soviel Platz ist, daß einer bequem stehen kann.
- Dann will Erlan nach unten klettern. Er hat gerade ein Seil herabgelassen, um sich nach unten zu hangeln. Der Korb schaukelt ein wenig. Er zögert bevor er hinabklettert und steht schnell wieder auf: "Oha, ich vergaß, daß es eine strafbare Handlung wäre, wenn ich euch von unten sehen würde. ... Wollt Ihr nicht doch lieber zuerst nach unten gehen?"
Die nicht mehr so damenhafte Dame überlegt eine Weile, und gibt Erlan dann einen Stups: "Ach nein," sagt sie, "es wäre wohl doch spaßiger, Euch zu bestrafen, als da unten die Fingernägel abzubrechen.
- "Na gut, möglicherweise ist der metallene Deckel, den ich dort unten erspähen kann, ohnehin etwas zu schwer für Euch. Ich nehme die Gefahr auf mich."
- Erlan seufzt und schwingt sich dann hinab. Er stellt seine Laterne unten hin. Dann begutachtet er den Griff, den Zwerg angebracht hat, und greift dann beherzt zu. Er hebt die schwere Kupferplatte hoch, was sich erstaunlich leicht bewerkstelligen läßt. Nichts, keiner der Steine und kein Rest des Batangr in den Ritzen, hemmt sie. Sie liegt da, als ob sie nicht eine halbe Ewigkeit hier unter Fels und Erde lag. Sie läßt sich anheben, als ob sie schon jemand zuvor gelupft hätte. Erlan denkt nicht darüber nach und rollt die Platte an die Seite.
Erlan und Raka am Ziel
- Das auftauchende Loch ist etwas kleiner als der Schacht. Doch es reicht zum Durchklettern. Erlan leuchtet nach unten und stellt erleichtert fest, daß es sich nach unten hin zu einer kleinen Höhle weitet. Auch das dort unten etwas liegt, kann er erkennen.
- "Ich glaube wir haben tatsächlich etwas gefunden."
- Er bindet die Laterne an ein Seil und läßt sie vorsichtig hinab, um genauer von oben sehen zu können, was da liegt. Er sieht die seltsame Anordnung. Schwer zu sagen, was das Ganze darstellen soll und welchen Wert es hat.
- "Ich weiß nicht, was es sein kann. Ein Bäumchen in einem Topf und drei tulamidische Lampen stehen auf einer Art Faß. Sonst ist wohl nichts da unten."
- Erlan schaut nochmal genauer erspäht aber keine Anzeichen einer Gefahr, einer Falle oder eines weiteren Durchgangs. Er holt die Lampe wieder herauf und zählt dabei die Knoten im Strick.
- "Vier Schritt. Das reicht für unsere Strickleiter. Laßt mich die Strickleiter anbringen und dann können wir hinab und uns unten umsehen. ... Gebt Ihr mir einen der Haken und den Hammer, Signora?"
- Erlan schaut fragend und leicht beschämt nach oben.
"Aachtung! Schweres Gerät kommt!" Die Signora hat ihre Nervosität anscheinend überwunden und reicht das Verlangte herunter. Von irgendwelchen weiblichen Details ist abgesehen von den vom Kittel bedeckten Formen in der Düsternis leider nichts mehr zu sehen.
- Erlan konzentriert sich wieder auf die Arbeit und beginnt, einen Felshaken in die seitliche Felswand zu schlagen. Als dies geschehen ist, murmelt er beim Probeziehen: "Mmmh, ist fest. ... Aber doppelt hält besser!"
- Er läßt sich noch einen zweiten Haken geben und schlägt diesen unweit vom Ersten ebenfalls in einem Gesteinsriß fest. Als auch dieser Haken Erlans Prüfung standhält, bindet er die gereichte Strickleiter an den beiden Haken fest und läßt sie vorsichtig nach unten. Dabei denkt er: Es dürfte schwierig werden die schaukelnde Strickleiter hinabzusteigen, und dabei nicht alles umzuwerfen, was dort unten so sorgsam angeordnet zu sein scheint. So hält er inne und beschließt, sie nicht ganz herab zu lassen.
- "Hmmmh! .... Man müßte auf halbe Höhe steigen und dann irgendwie seitwärts herabklettern. Wir wollen doch dort unten nichts umschubsen.", überlegt Erlan laut.
- Erlan schaut wieder nach oben und fragt: "Könnt Ihr gut klettern, Signora? ... Oder soll ich es wagen, dort hinabzugehen und dabei nichts umzuwerfen?"
"Macht nur," sagt sie. "Ihr werdet schon wissen, was Ihr tut."
- "Na gut, wenn ich zuerst unten bin, kann ich ja die Leiter unten so befestigen, daß man in Zukunft schräg an dem seltsamen Faß vorbeiklettern kann.", merkt Erlan noch an.
"Gute Idee. Ich werde Euch dann folgen." Erlan klettert also bis nach unten und führt seine Absicht aus. Es dauert eine Weile, denn er will auf keinen Fall an diesem entscheidenden Abschnitt einen Fehler machen. Von oben ist zu hören, wie Raka ein Lied singt: "Ich liebte 'nen Jüngling in ..." Erlan kennt den Text nicht auswendig, ist sich aber ziemlich sicher, daß das Original variiert wurde und auch weniger Strophen hat. Ab und zu, wenn die Arbeitsgeräusche nachlassen, fragt die Dame, ob unten alles klar ist und ob sie irgendwie helfen kann. Alles ist klar, Hilfe ist unnötig, und so klettert Raka schließlich sehr gewandt die Strickleiter herunter.
- Dabei flattert jedoch Rakas Kittel etwas auseinander. Im Zwielicht der Laterne ist auf den ersten Blick nur wenig zu sehen. Sicherheitshalber wendet Erlan schnell seinen Blick ab, und er beginnt in seiner Umhängetasche nach Skizzenbuch und Kohlestift zu kramen. Dabei hält er betont seinen Blick gesenkt bis Raka endgültig hinabgestiegen ist.
Dann hocken die beiden sich gegenüber hin und sehen den Fund im Licht der Laterne eine Weile wortlos an.
"Sieht irgendwie magisch aus," bricht Raka schließlich das Schweigen und dreht den Docht höher, damit es noch etwas heller wird. "Und ziemlich wertvoll. Ich glaube, der Aufwand hat sich in jedem Fall gelohnt, auch wenn dieser Bonsaij einen ziemlich toten Eindruck macht." Sie hält Erlan an der Etikette vorbei die ausgestreckte offene Hand hin und sagt: "Glückwunsch, Meister Erlan, das habt Ihr wirklich gut gemacht."
- Erlan hat sofort angefangen etwas in sein Buch zu kritzeln. Auch er schaut immer wieder auf die Anordnung der seltsamen Gegenstände und auch zu Raka hinüber. Doch wirkt er ein wenig abgelenkt, und er erfaßt beinahe ein wenig beiläufig Rakas Hand: "Ich habe wenig mehr Anteil am Ganzen als Meister Arombolosch oder Frau Skeboserin oder jeder andere Arbeiter. ... Aber trotzdem Danke für Eure Anerkennung!" Abschließend lächelt er ganz kurz in ihr Gesicht, bevor er sich wieder seinen Skizzen und Notizen widmet. Das alles hier unten hat ihn anscheinend magisch in seinen Bann gezogen.
Raka sieht sich eine Weile nachdenklich ihre Hand an, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn und beobachtet Erlan bei seiner Arbeit. Schließlich reibt sie sich sehr zufrieden die Hände und fragt: "Was jetzt?"
- Erlan schaut immer noch abwechselnd auf die Szenerie in der kleinen Höhle und in sein Buch, in welches er mit flinken Handbewegungen etwas zeichnet oder schreibt. Er hört mit Auf- und Abblicken sowie dem Kritzeln nicht auf, während er antwortet: "Bevor wir etwas von dieser sorgsamen Anordnung auseinander nehmen, würde ich gerne einen Magier einen Blick darauf werfen lassen. ... Meister Sturmbringer war doch sehr interessiert am geheimnisvollen Wuchs der Steineichen auf dieser Insel. Vielleicht hat dieses Bäumchen etwas damit zu tun. Es ist die Miniatur einer Steineiche. Ein seltsamer Zufall, oder? ... In den Tulamidenlanden werden solche Lampen gern als magische Artefakte benützt. Mmmh! Auch diese eigenartigen Ornamente hier...", Erlan weist mit dem Stift auf die Gravuren an den Metallteilen des Fasses. "...könnten irgendwelche magischen Zeichen sein. Ich denke, wir sollten dies erst klären, bevor wir das Ganze bergen."
"An solche Zufälle glaube ich nicht. Der Zusammenhang ist offensichtlich, aber da dieser Bonsaj tot sein dürfte, hat es sich vielleicht auch mit der Magie erledigt." Erlan nickt ein wenig geistesabwesend, daher wechselt sie das Thema. "Ihr steht Meister Sturmbringer ja bemerkenswert unbefangen gegenüber. Mich beunruhigt er immer ein wenig. Wie er einen ansieht... Und dann seine Art, manche Menschen wie Gegenstände zu behandeln..."
Raka seufzt, während Erlan weiter seine Notizen macht und kaum reagiert. Sie richtet sich auf und ruft nach oben: "He, da oben, Obacht!" Eine Stimme meldet sich und beweist, daß auch dort noch Leben ist. "Bringt mir aus meinem Haus die Pflanze im roten Blumentopf. Aber sehr vorsichtig damit!" Sie setzt sich wieder und meint: "Die Dienste von Meister Sturmbringer gibt es nicht geschenkt. Da kann man vielleicht schon mal ein wenig vorsorgen."
- Erst jetzt schaut er wirklich auf, lächelt Signora Raka einige Augenblicke lang an und fragt völlig überraschend: "Darf ich fragen, wie groß Ihr seid?"
Raka lacht. "Aber Meister Vesselbek! Wie könnt Ihr eine Dame so etwas fragen? Wollt Ihr mir etwa ein Kleid kaufen??"
- Erlan lacht ebenfalls: "Nein, nein! Ich habe hier nur schnell eine Zeichnung der Situation hier unten gemacht. Und da dachte ich ... " Nun fängt er an zu stocken: "... nun ich dachte. Seht selbst!"
- Der Baumeister hält Raka das Skizzenbuch hin. Darin ist auf einer Seite eine erstaunlich detailgetreue und vor allem maßstäblich genaue Zeichnung zu sehen. Sie zeigt in einer Seitenansicht die Höhle in Form eines umgekehrten Trichters, die schräg gehängte Strickleiter, das seltsame Faß samt Bäumchen und Lampen und neben dem Faß jeweils Raka und Erlan. Beide sind deutlich erkennbar und sehr gut getroffen. Erlan Vesselbek scheint ein begabter Zeichner zu sein.
- Interessiert betrachtet Raka die Zeichnung und auf der danebenliegenden Buchseite die kleine Liste, in die Erlan einige Maße eingetragen hat, um die Einzelheiten der Zeichnung zu vertiefen. Unter anderem auch jeweils eine Spalte für Erlans, bei der schon eine Zahl steht, und Rakas Körpergröße, bei der noch nichts eingetragen ist.
- Während Raka noch überlegt, ob sie die gewünschte Antwort geben soll. Oder ob sie Erlan schelten soll, daß er sie in diesem unmodischen Kittel gezeichnet hat. Fragt Erlan erneut etwas: "Ihr laßt eine Eurer Pflanzen holen? ... Ich verstehe, Ihr plant ein Experiment. Was geschieht, wenn man dieses Bäumchen gegen eine andere Pflanze austauscht? Mmmh! Eine gute Idee!"
- Nachdenklich auf die Anordnung weisend, fügt er dann hinzu: "Ich frage mich derweil. Ob man diese Lampen anzünden sollte? Sie sind doch nicht umsonst hier. Sie erfüllen doch auch einen Zweck."
- In seiner Umhängetasche kramend holt er die Reserveflasche mit Lampenöl hervor und stellt sie neben das Faß.
- "Wollen wir es versuchen?"
Raka überlegt und meint dann: "Das scheint mir momentan noch etwas riskant zu sein. Was, wenn die Dinger tatsächlich noch magisch sind? Womöglich gibt es eine Stichflamme und wir ersticken oder verbrennen. Wir haben ja noch nicht einmal etwas angefaßt." Beide denken eine Weile nach, dann sagt Raka: "Todesfallen werden es schon nicht sein. Das hätte nach all dem Aufwand beim Verstecken keinen Sinn." Sie stippt erst mit einem Zipfel ihres Kittels an das Faß, dann nacheinander an die anderen Teile. Nichts. Als nächstes tippt sie mit einem Fingernagel gegen die Metallteile. Ping. Ping. Pingpingping. Nichts. Spontan greift sie zu einer der Lampen, nimmt den Deckel ab und sieht hinein. "Leer. Sieht nicht so aus, als hätte diese Lampe je eine Flamme gespeist. Seht nur. Da ist nicht einmal ein Docht drin."
- Auch Erlan ergreift vorsichtig eine der Lampen, hebt sie vorsichtig vom Faß herunter und betrachtet sie genauer. Er öffnet sie und begutachtet ebenfalls das Innere.
- "Stimmt! Diese Lampen wurden niemals angezündet.", kopfschüttelnd stellt er ratlos die Lampe wieder an ihren Platz.
Raka blickt ein wenig nervös zu Erlan hinüber. "Dann wollen wir mal, der Klassiker." Raka greift zu einem Zipfel des Kittels und putzt die Lampe von allen Seiten. Nichts.
"Ach verflixt, davon hatte ich mir wirklich mehr versprochen."
- "Tatsächlich, eine nette Idee!", raunt Erlan verschmitzt zurück.
"Das mit der Pflanze ist ein kleiner Trick, den mein Gatte auf seiner Kavaliersreise gelernt hat: Blutblatt. Vielleicht habt Ihr schon mal davon gehört."
- "Blutblatt? Gehört habe ich davon. Aber in Botanik und Gartenkunde bin ich nicht so bewandert. Erzählt ruhig mehr!"
Raka erklärt dem Baumeister einiges von den speziellen Merkmalen und Fähigkeiten der Pflanze. "Und wie Ihr nun seht, kann man damit sehr gut das Vorhandensein von Magie feststellen, ohne selbst diesbezüglich begabt zu sein oder einen kostspieligen Zauberer bezahlen zu müssen.
- "Ich glaube, eure Pflanze kommt schon." Erlan deutet nach oben, von wo man ein leises Quietschen vernehmen kann. "Da bin ich mal gespannt."
Die Pflanze wird im Förderkorb nach unten gebracht, der am Rand des Einstiegs in die Höhle stehenbleibt. "Noch drei Schritt tiefer!" ruft Raka nach oben. Als der Korb den Einstieg passiert, bleibt er kurz hängen und wackelt. Ein paar Brocken fallen herunter, mitten auf das Ergebnis der Schatzsuche. Als der Korb tief genug ist, greift Raka zu, zieht ihn zur Seite, setzt ihn neben sich ab und nimmt den Blumentopf heraus. Dann stellt sie eine der Lampen dicht daneben. Beinahe sofort ist zu sehen, daß die Blätter und Stiele beginnen, sich sehr langsam zu bewegen. Sie schwellen langsam an, und die zunächst noch frische Erde im Blumentopf sieht irgendwann trocken aus, bis Raka Wasser aus ihrer Flasche nachgießt. Binnen weniger Minuten ordnen sich Blätter und Ranken in einer Art Schale neben und über der Lampe an, und die zunächst matten Blätter glänzen jetzt in sattem Purpur.
"Tja," sagt die Dame. "Da werden wir wohl früher oder später nicht um die Expertise eines Experten herumkommen. Das treibt die Kosten und die Rendite nach oben. Hoffen wir, daß Letzteres überwiegt."
- "Das bedeutet, das diese Lampe magisch ist. Oder?", fragt Erlan Vesselbek immer noch von dem Anblick des wuchernden Blutblatts fasziniert.
"Genau, eindeutig magisch. Das erhöht den Wert und damit die Rendite. Aber eine magische Analyse erhöht andererseits natürlich die Kosten. Meister Sturmbringer ist ein Merkantilist. Der kennt den Wert des Geldes."
- Das Wort "Kosten" weckt Erlan aus seiner Tagträumerei. Er wirkt einen Augenblick etwas verschreckt. Doch dann wischt er dieses Schreckgespenst in seinem Geiste beiseite.
- "Was würde es ausmachen, diese Pflanze noch ein wenig wuchern zu lassen? Vielleicht zeigt sie uns noch mehr Magie?" Erlan zeigt dabei auf einen kleinen Trieb, der sich vorsichtig schon zur nächsten Lampe vorarbeitet. :"Für Wasser ließe sich sorgen. ... Nicht, das es dem Bäumchen einzig und allein daran mangelt!" Erlan kramt seine Feldflasche hervor und gießt jeweils die Hälfte an das Blutblatt und an das tot erscheinende Steineichenbäumchen.
Seine Hoffnung erfüllt sich nicht. Der Bonsaij sieht auch nach längerer Wartezeit so tot aus wie zuvor, während das Blutblatt weiterhin gedeiht.
Plötzlich ist von oben ein Ruf zu hören: "Signora! Ein fremdes Schiff!" Raka schreckt auf, ruft "Verstanden!" zurück und überlegt einen Moment. "Hoffentlich kein Ärger, thorwalsche Piraten oder ähnliches Gesindel, die Wind von unserem Unternehmen bekommen haben. ... Könnt Ihr kämpfen?"
- "Kämpfen? Natürlich kann ich kämpfen. Auch wenn dies nicht mein Spezialgebiet ist.", erwidert Erlan hastig.
Raka verdreht bei dieser Antwort kurz die Augen, überlegt noch einmal eine Weile und entschließt sich dann: "Ach was, wird schon nicht gefährlich sein." Sie schiebt die kleine Tonne mitsamt Bonsaj beiseite, steckt eine der drei Lampen in eine Tasche des Kittels und schiebt den Förderkorb in die Mitte des Raums.
"Ich muß hinauf. Wollen wir uns vorerst darauf verständigen, daß diese Lampe der einzige Fund ist? Es wäre nicht glaubhaft, wenn ich garnichts mit nach oben bringe. Ich werde behaupten, wir hätten 'eine 'Tausende Jahre alte Dschinnenlampe' gefunden, und vielleicht stimmt das ja sogar. Das wird die Neugierigen auf jeden Fall zufriedenstellen. Ich lasse ein Zelt über dem Schacht errichten, 'Regenschutz', dann können wir später den Rest ohne neugierige Blicke bergen."
- Erlan nickt und meint: "Ihr habt ein untrüglicheres Gefühl für das Geschäft als ich. Euer Plan klingt gut! ... Wir sollten nach oben und schauen, was da für ein Schiff gekommen ist."
- Flink versucht Erlan noch alle Dinge wieder in seine Umhängetasche zu packen.
Währenddessen stellt sich Raka in den Korb und gibt das Signal, um nach oben gezogen zu werden. Wie immer dauert es eine Weile, und immer wieder rieseln kleinere Schmutzteile herab, wenn der Korb beim Hinauffahren den Rand des Schachtes berührt.
- Erlan wird vom plötzlichen Aufbruch der Edlen etwas überrumpelt. Er will noch etwas zum Protest rufen, unterläßt es aber und nutzt die gewonnene Zeit, um eine neue Skizze anzufertigen, die das Muster zeigt, welches das Blutblatt gebildet hat. Anschließend mißt er noch hier und da etwas aus und schreibt die Zahlen in sein Buch.
- Irgendwann ist der Förderkorb erneut unten angekommen, und Erlan läßt sich ebenfalls nach oben fahren.
Als er aus dem Förderkorb steigt, sieht er, wie die Lampe unter Aromboloschs Aufsicht herumgezeigt und bewundert wird. Raka winkt Erlan noch kurz mit einem Augenzwinkern zu und macht sich dann eilig auf den Weg zum Blockhaus. Während Arbeiter damit beginnen, ein aus einem Segel improvisiertes großes Regendach über dem Schacht zu errichten, beginnt es zu nieseln, als würden Efferd und Phex gemeinsam ihren Segen über die kleine Heimlichkeit legen. Erlan sieht sich die Blutblatt-Pflanze erstmals in natürlichem Licht an und stellt fest, daß die zuvor so prachtvollen Blätter bereits etwas schlapper herabhängen und sich wieder dem Zustand annähern, in dem sie waren, als der Blumentopf unten im Schacht ankam.
Ankunft des Signor dyll Arkis
- Der Bojer Altanus wirft vor der Bucht im Süden der Insel Tyllos Anker und das Anlanden mittels Ruderboot erregt zunächst nur wenig Aufmerksamkeit. Aramir A'Risa dyll Arkis und seine beiden Begleiter, zwei Leibwächter zyklopäischer Herkunft, verschaffen sich einen ersten Eindruck und folgen dann dem keine hundert Schritt langen Pfad, der sie in Richtung Inselinneres führt. Bald fällt ihnen die kleinere Menschenansammlung auf, welcher sich Aramir schließlich nach kurzem Innehalten langsam alleine nähert und er erkennt schnell, dass sich diese um einen Schacht versammelt hat. "Die Gerüchte stimmen also und es scheint so, als wäre ich im richtigen Augenblick vor Ort, denn hier ist offensichtlich etwas geschehen !" denkt sich Aramir und entschließt sich, das Geschehen erst einmal zu beobachten. Er rekapituliert noch einmal vor seinem geistigen Auge: Vor etwa einem Monat wurde er von seinem Onkel Alrikos A'Risa dyll Arkis, dem amtierenden Einokraten von Arkis aus dem dort heimischen Adelsgeschlecht dyll Arkis kontaktiert und beauftragt, diversen Gerüchten um einen geheimnisvollen Schacht nachzugehen, welcher sich auf der Insel Tyllos bzw. der Eicheninsel befinden soll. Die Familien Novacasa, van Kacheleen und Vesselbek sollten maßgeblich in diese Unternehmung involviert sein (neben dem Handel mit Steineichen) und viel Geld soll investiert worden sein. Anlass genug, diesem Sachverhalt nachzugehen!
Obwohl Aramir bereits nahe am Ort des Geschehens steht, dauert es nach seinem Empfinden recht lang, bis man von ihm Notiz nimmt. Die um den Schacht herumstehenden Leute diskutieren aufgeregt miteinander und beklagen sich mit Ausnahme eines Zwergen wiederholt, noch nicht erfahren zu haben, was denn nun gefunden wurde. Aus einiger Distanz nähern sich zwei Bewaffnete, ein Mann und eine Frau, dem Äußeren nach zu urteilen maraskanischer Herkunft. Sie mustern den nach Art eines einheimischen Edelmanns gekleideten Aramir nach seinem Empfinden etwas zu lang, bevor die Frau ihn nach einen lässigen militärischen Gruß anspricht: "Mögen die friedlichen Schwestern mit Euch sein. Wir sind Kerkimasab und Luan von den Bruderschwestern. Wie uns scheint, seid Ihr nicht angemeldet. Wer - mit Verlaub - seid Ihr denn und was habt Ihr hier zu schaffen?"
- "Nun, ich darf mich vorstellen: Aramir A'Risa dyll Arkis, Advocatus iuris utriusque und Vertreter des Einokraten von Arkis. Alles andere würde ich gerne mit einem Mitglied der Familien Novacasa, van Kacheleen oder Vesselbek besprechen".
"Haus Novacasa, wenn's recht ist, Signor", sagt Kerkimasab. Die beiden Söldner sehen einander an. "Kennst du die?" murmelt Kerkimasab. "Die von Arkis eben. Mehr weiß ich auch nicht", erwidert Luan.
"Vergebt unsere Unwissenheit, daß wir Euch nicht gleich erkannt haben. Wenn Ihr bitte folgen wollt." Mit diesen Worten geht Kerkimasab voraus, während Luan noch stehen bleibt.
- "Alles, was recht ist! Und nun führe Sie den Vertreter des Hauses dyll Arkis zu einem Mitglied des Hauses Novacasa !"
- Erlan Vesselbek hat von der höher liegenden Ausgrabungstelle aus das Schiff begutachtet. Es scheint kein Kriegsschiff zu sein, dazu ist es zu niedrig und zu breit. Die beruhigend vom Hauptmast flatternde "Zyklopen"-Fahne tut ihr Übriges keine Bedrohung zu erzeugen.
- Nachdem er sein Werkzeug und seine Gerätschaften aus dem Förderkorb geräumt hat. Nimmt er sich den Topf mit dem Blutblatt. Den er sicherheitshalber nicht unten lassen wollte. Die vielen langen Triebe sehen nun sehr welk aus. Nur der Haupttrieb wirkt frisch und kräftig. Erlan wirkt etwas ratlos. Dann nimmt er ein Messer und schneidet die absterbenden Triebe einfach ab. Mit der nun nicht mehr so traurig aussehenden Pflanze macht er sich auf den Weg zu Signora Novacasas Blockhaus, um sie ihr zurückzugeben.
- Auf dem Weg nach unten zum Lager sieht er, daß die Söldner der Novacasas drei Fremde ebenfalls zum Blockhaus eskortieren, einen Edelmann und zwei Kämpfer. Neugierig ist Erlan schon, wer das sein mag. Er legt unmerklich ein paar Schritte zu, sodaß er fast gleichzeitig mit der Eskorte am Blockhaus ankommt. Die vorangehende Kerkimasab grüßt ihn knapp: "Meister Vesselbek!" Dann fragt sie: "Wünscht Ihr zuerst die Signora zu sprechen?"
- Erlan Vesselbek schaut die Ankömmlinge interessiert von Nahem an. Dann erhebt er laut und deutlich seine Stimme: "Eigentlich wollte ich nur dieses nützliche Pflänzchen zurückgeben." Er wendet seinen Blick direkt zu dem fremden Edelmann und fährt unversehens fort: "Doch wenn Euer Besuch von größerer Wichtigkeit als meiner ist, dann muß ich Euch den Vortritt gewähren. ... Mit wem habe ich die Ehre? Erlan Vesselbek mein Name."
- "Vesselbek ? Sehr interessant ! Es freut mich, Euch kennenzulernen. Mein Name ist Aramir A'Risa dyll Arkis, Advocatus iuris utriusque und Vertreter des Einokraten von Arkis. Ich bin auf dem Weg zu einem Vertreter des Hauses Novacasa, um einige Angelegenheiten zu besprechen !"
- "Sehr erfreut, Signor dyll Arkis!", Erlan Vesselbek deutet eine Verbeugung an, indem er dem zyklopäischen Edlen leicht zunickt. "Angelegenheiten sagt Ihr? Dann werde ich nur schnell dieses Pflänzchen zurückgeben und mich dann zurückziehen."
- Erlan klopft an die Tür des Blockhauses. Dabei hält er mit dem anderen Arm den Topf mit einer Pflanze mit kleinen purpurfarbenen Blättern.
Die Zofe der Signora öffnet so schnell, als hätte sie bereits gewartet und macht eine einladende Geste. "Tretet ein, edle Herrschaften." Von außen ist durch die Tür das Innere des Windfangs mit Garderobe zu sehen.
- "Nur zu, Meister Vesselbek !" entgegnet Aramir und überlässt ihm den Vortritt.
- "Äh! Oh ja! Danke sehr, Signor dyll Arkis!", bedankt sich der Vesselbekbaumeister.
- Während er eintritt, wendet er sich an die Zofe: "Meine Garderobe ist leider nicht geeignet allzu lange zu verweilen." Erlan deutet dabei auf seine etwas eingestaubten Arbeitssachen. "Doch empfand ich es als wichtig diese Pflanze Eurer Herrin zurückzugeben, dabei bin ich unterwegs auf diesen Herren getroffen. ... Er scheint wichtige Angelegenheiten besprechen zu wollen. Nicht wahr, Signor dyll Arkis?"
- Dabei spricht Erlan immer noch ein klitzeklein wenig zu laut, sodaß man auch im hintersten Winkel des Blockhauses alles hören kann. Nun wartet er auf irgendwelche Reaktionen.
- "Dem ist so und ich freue mich sehr darauf, die werte Signora persönlich kennenzulernen !"
Die Zofe beobachtet mit wachsendem Vergnügen die Bemühungen der Herren, dem jeweils anderen den Vortritt zu lassen. Sie greift zum Blumentopf, nimmt mit einiger Irritation die fehlenden Triebe zu Kenntnis und meint dann: "Platz ist in der kleinsten Hütte." Sie zwinkert Aramir verschwörerisch zu: "Wenn Meister Vesselbek vorher noch das Gewand wechseln möchte, so werden wir beide uns wohl zu unterhalten wissen."
- "Nun, Meister Vesselbek, dann ergreife ich nun die Initiative."
- "Natürlich, macht ihr nun den Anfang, Signor dyll Arkis! Ich werde mich vorerst zurückziehen und meine Kleidung dem Anlaß entsprechend ändern.", mit diesen Worten verläßt Erlan das Blockhaus.
- Darauf tritt Aramir ein, verweilt einen Augenblick und legt dann seine Garderobe, sprich den Mantel, ab. "Ein Interieur, dass den Besucher überrascht !"
"Überrascht, so so." Die Zofe schmunzelt. Sie komplimentiert Aramir in einen der Sessel hinein. Die Tür zu einem der Nebenräume öffnet sich einen Spalt weit, eine Hand winkt kurz um Aufmerksamkeit und eine weibliche Stimme ist zu hören: "Bin gleich soweit. Wenn du mir kurz helfen könntest, Kleines?
Aramir bekommt eine Karaffe mit Wein, einen gläsernen Kelch und eine Schale mit diversen Leckereien auf den neben ihm stehenden kleinen Tisch gestellt, dann läßt ihn die Zofe mit diversen Entschuldigungen und Anzeichen des Bedauerns allein. Von nebenan ist die Signora zu hören: "Es ist einfach furchtbar! Ich habe in dieser Einöde nichts anzuziehen, um Signor Aramir auch nur halbwegs angemessen gegenüberzutreten. Nur uralte Lumpen! Was soll man nur von uns denken? Man wird uns für Hinterwäldler halten!"
- Nie hätte Aramir eine solches Interieur erwartet, doch die Signora versucht wohl aus den gegebenen Umständen das Beste für ihren Geschmack zu machen. Wie heisst es so schön: "De gustibus (et coloribus) non est disputandum !" denkt sich Aramir und schmunzelt ein wenig.
Endlich tritt zunächst wieder die junge Zofe hervor, dann eine attraktive, nach Maßstäben des Signors übertrieben elegant und der Wildnis der Insel keineswegs angepaßt gekleidete Dame, in ein luftiges fliederfarbenes Kleid gehüllt, Lackschuhe an den Füßen.
- Aramir erhebt sich aus seinem Sessel.
Man macht sich miteinander bekannt, und die Gastgeberin entschuldigt sich ein ums andere Mal, sie habe keinen passenden Hut finden können, und wie grauenhaft und furchtbar unaufgeräumt alles sei.
- "Es ist alles in bester Ordnung und ich freue mich, Euch persönlich kennenzulernen, Signora. Ich bin der Vertreter des Einokraten von Arkis."
Nachdem die Begrüßung absolviert ist und die Herrschaften Platz genommen haben, hat Raka di Mhoremis Gelegenheit, sich als erstklassige Gastgeberin zu erweisen. Sie bietet Aramir weitere Leckereien und andere Weine zur Auswahl, macht ihm Komplimente über die Attraktivität seiner Erscheinung und versorgt ihn fröhlich plappernd mit Klatsch und Trasch aus Sewamund, obgleich sie diesbezüglich ausnahmsweise nicht auf dem aller-allerneuesten Stand sein dürfte.
Schließlich - als Aramir erste Symptome zeigt, des Kleinsprechs müde zu sein - kommt sie zur Sache: "Nun denn, Signor, Ihr seid sicher nicht aus Langeweile hier, obgleich wenn Ihr auch in diesem Fall eine gute Wahl getroffen hättet. Was können Wir denn für Euch tun?"
- "Werte Signora, huc ut venirem: Alrikos A'Risa dyll Arkis, dem Einokraten von Arkis, sind Informationen zum Handel mit den Steineichen dieser Insel und auch Gerüchte um einem geheimnisvollen Schacht zugetragen worden, die alles in allem interessant genug waren, um mehr darüber in Erfahrung zu bringen und gegebenfalls selbst Anteil daran zu nehmen. Dies ist der Grund für meinen Besuch !"
- Draußen klopft es an der Tür. Die Zofe öffnet und kurz darauf betritt Erlan Vesselbek den Salon. Er hat seine staubige und lockere Kleidung gegen einen schwarzen Anzug nach septimanischer Manier getauscht. Nur den sonst üblichen Mühlsteinkragen hat er weggelassen. Stattdessen ziert ein feiner weißer Hemdkragen den Aufschlag des Wamses.
- Erlan begrüßt kurz und unförmlich die Anwesenden: "Eine Guten Abend! Ich hoffe, ich störe Euer angeregtes Gespräch nicht. Doch denke ich, daß Eure Anwesenheit - Signor dyll Arkis - auch meine Belange betreffen könnte."
- Auf einen Sessel zeigend, fragt er: "Darf ich mich dazu setzen?"
- "Nun, Meister Vesselbek, ich wüsste nichts, was dagegen spricht, dass Ihr Euch zu uns gesellt, doch da die werte Signora Gastgeberin ist, schließe ich mich ganz Ihrer Meinung an" spricht Aramir und wirft einen fragenden Blick in Richtung Raka di Mhoremis.
"Aber aber, Meister Vesselbek. Ihr seid doch gewissermaßen dauerhaft eingeladen und könnt kommen und euch setzen, wann Ihr wollt!" Signora Raka zwinkert ihm verschwörerisch zu, steht auf, um die Getränke und diversen Kleinigkeiten noch mundgerechter darzubieten, stellt sich dann hinter Aramirs Sessel, beugt sich leicht über den Gesandten und zerstrubbelt seine Haare ein wenig: "Und wie Ihr seht, haben wir" - sie deutet auf sich und ihre Zofe - "und Signor Aramir es uns bereits recht gemütlich gemacht, wenngleich es hier ein wenig ländlich zugeht." Sie seufzt. "Früher war einfach mehr Lametta!"
- Nachdem Erlan Vesselbek Platz genommen hat, wiederholt Aramir nochmals das gegenüber Raka di Mhoremis Erwähnte und fährt fort:"Ich bin befugt, Euch ein Angebot zur Beteiligung am Handel mit den wirtschaftlichen Gütern, momentan in erster Linie Steineiche, und zur wirtschaftlichen Erschließung der Insel zu unterbreiten. Zudem könnte auch eine finanzielle Beteiligung an dem, was der geheimnisvolle Schacht in sich birgt, eine weitere Option sein. Neben schnödem Mammon bietet der Einokrat von Arkis natürlich auch seine Beziehungen auf den Zyklopeninseln an, welche Euch durchaus von Vorteil seien könnten."
- Erlan hört genauestens zu, was Aramir dyll Arkis zu sagen hat. Insbesondere was sein Interesse als Käufer des "Schatzes" anbelangt.
- "Ich wäre sehr dafür unseren Fund an Euch zu verkaufen. Doch bin ich nur zur Hälfte an dieser Unternehmung beteiligt. Was meint Ihr, Signora Raka?", meint Erlan dann und blickt die angesprochene Dame hoffend an.
- "Wollen wir unserem Gast das Fundstück zeigen?"
"Nur zu."
- "Meister Arombolosch brachte es mir vorbei, als ich mich in meinem Zelt umgekleidet habe. Er hat es sogar ein wenig poliert."
- Mit diesen Worten zieht Erlan Vesselbek eine tulamidische Öllampe aus dem Inneren seines Wamses und stellt sie auf den Tisch, sodaß alle das gute Stück bewundern können. Tatsächlich erscheint sie goldglänzend und ist sogar mit verschiedenen kleinen Edelsteinen verziert.
- "Sie ist eindeutig von starker Magie duchdrungen, wie das Blutblatt...", Erlan deutet auf die Pflanze am Fensterbrett. "...bewiesen hat. ... Äh, nein gerade wieder beweist!" Tatsächlich hat sich ein Zweiglein der Pflanze in Richtung des Tisches gewendet und wächst nun langsam aber deutlich sichtbar vom Fensterbrett in den Raum hinein.
- Ehe jemand etwas sagen kann, platzt er folgende Zahl heraus: "FÜNFZIG ... Horasdor, meine ich. Was meint Ihr? Ist das ein Preis mit dem wir alle leben können?" Dabei schaut er abwechselnd und fragend zu Raka und Aramir.
- Nachdem in dem vorangegangenen Gespräch deutlich wurde, dass die ursprünglichen Ziele seines Besuches nicht mehr zu realisieren sind, sieht sich Aramir A'Risa dyll Arkis nun einer vermeintlich magischen tulamidischen Öllampe gegenüber. "Ich darf mir dieses "Fundstück" einmal anschauen ?" Aramir nimmt die Öllampe entgegen und betrachtet sie sehr genau. "Dies ist wahrlich eine sehr gute Arbeit, doch worauf diese Pflanze dort auch immer reagierte, reicht mir nicht als Beweis, dass die Öllampe magisch ist ! Euer Wort, werte Signora di Mhoremis und werter Meister Vesselbek, würde dabei natürlich schwerer wiegen, doch da wir noch keine geschäftlichen Beziehungen pflegen, würde ich gerne die Expertise eines Meisters der magischen Zunft in Händen halten, bevor ich mich zu einem Kauf entschliesse. Deshalb würde ich jetzt einen entsprechenden Kaufvertrag aufsetzen, aus welchem hervorgeht, dass ich diese tulamidische Öllampe erwerben werde, sobald deren Magie nachgewiesen ist. Als Zeichen meines guten Willens würde ich die Kosten für eine detaillierte Analyse übernehmen und im Falle eines positiven Ergebnisses 40 Horasdor für die Öllampe zahlen."
- Es geht noch eine kurze Weile hin und her. Vor allem als das Gespräch auf weitere ähnliche Fundstücke kommt. Irgendwann stimmen alle drei Anwesenden überein, zunächst Meister Sturmbringer zu rufen und ihn eine magische Analyse vornehmen zu lassen. Die Kosten dafür dafür darf gern Signor Aramir A'Risa dyll Arkis tragen. Über den Preis will man nach der Analyse nochmals kurz verhandeln.
Epilog
Wie die edlen Herrschaften früher oder später einsehen müssen, führt kein Weg daran vorbei, Geld auszugeben, um einen Magier mit einer Analyse des Schatzes zu beauftragen. Meister Sturmbringer verlangt 10 Dukaten pro Gegenstand, ohne Erfolgs- oder Qualitätsgarantie. Da Alternativen fehlen, wird die Summe bezahlt.
- Erlan Vesselbek bezahlt mit zwiespältigem Gefühl seinen Anteil. Immerhin sind er und Raka ja gleichberechtigte Teilhaber dieser Unternehmung.
Das Ergebnis wird am nächsten Tag in Form einer schriftlichen Expertise präsentiert. Für zusätzlichen Aufwand (kurze, ergebnislose Suche nach einer Kraftlinie) verlangt der Magier zusätzliche 17 Dukaten.
- Eine magische Dschinnenlampe weitgehend klassischer Natur und individuell kenntlich durch ein Symbol der Luft. In der Lampe gebunden ist ein Dschinn der Luft. Jede magisch begabte Person mit genügend Zeit und Sternenkraft kann die Lampe aufladen. Sobald genügend Kraft versammelt ist, wird der Dschinn erscheinen. (Dies ist die Lampe, die Raka mit nach oben genommen hat.)
- Eine magische Dschinnenlampe wie oben, nur mit einem Symbol des Wassers und einem Dschinn des Wassers.
- Eine magische Dschinnenlampe wie oben, Humus-Ausführung.
- Eine kleine magische Tonne, die auf die unmittelbare Energieversorgung durch eine Kraftlinie angewiesen ist, um einen sehr weitreichenden und umfassenden Verwandlungs-Zauber zu speisen, dessen genaue Natur dem Magier allerdings unbekannt ist.
- Eine Kraftlinie wurde bisher weder im Schacht noch sonstwo gefunden. Es sollte nach Meister Sturmbringers Wissensstand aber eine geben.
Jede Herbeirufung eines Dschinns würde mit weiteren 30 Dukaten berechnet werden.
- Als Meister Sturmbringer zwei Tage nach dem ersten Gespräch das Schriftstück mit seiner Expertise vorlegt, liest auch Erlan Vesselbek sich das Ganze genauestens durch. Wider Erwarten ist das Schreiben in einem gut verständlichen Horathi und nur mit wenigen und allseits bekannten Fachbegriffen durchsetzt. Er nickt zustimmend, und gibt das Schriftstück an den nächsten Interessierten weiter.
- Vor den Anwesenden stehen nun auch die restlichen Gegenstände aus dem Schacht. Selbst das tote Bäumchen ist nach oben gebracht worden. Grüblerisch überblickt Erlan die Anordnung nochmals.
- "Dschinne...Kraftlinie...Humus...Wasser...Luft...", nur einzelne Worte entfleuchen leise seinem Mund.
- "Ich würde gern einen der Dschinne rufen lassen. 30 Dukaten sollten gerade noch in meiner Geschäftskasse sein. Zumal die Ausgrabung ja gerade noch rechtzeitig beendet werden konnte."
- Erlan nestelt einen Geldbeutel vom Gürtel und gibt ihn Alrik Sturmbringer.
- Während der Magier den überreichten Geldbeutel prüfend in der Hand wiegt fragt er kurz und knapp: "Welche Lampe?"
- Erlan schaut ein wenig hilfesuchend zu den anderen: "Ich als Deichbauer würde mich intuitiv für das Element Wasser entscheiden."
- Aramir A'Risa dyll Arkis trägt selbstverständlich die Kosten für die detaillierte Analyse der ihm angebotenen (Luft-)Öllampe, möchte aber, sollte sich diese als magisch erweisen, eine schriftliche Zusicherung auf das Vorkaufsrecht (Aramir ist Advocat, es muss also etwas Schriftliches her !)
Wie Erlan von einnem Dschinn beraten wird
Erlan wendet sich an Meister Sturmbringer und kommt auf das Angebot zurück, einen der Dschinne der Lampe herbeizurufen. Die zusätzlichen Kosten mögen schmerzen, aber es schmerzt noch mehr, nicht zu wissen, was der Sinn der Fundstücke ist.
- Der Vesselbekker nimmt die Angebote von Raka di Mhoremis und Aramir A'Risa dyll Arkis dankbar an, sich auch die Kosten dieser Untersuchung zu teilen.
Also ziehen sich die drei sich in die Blockhütte zurück. Während die Edlen sich an den Tisch im Salon setzen, bleibt der Magier stehen. Er stellt die drei Lampen auf den Tisch und die kleine Tonne nebst Bonsaij auf den Teppich und gibt noch einen Ratschlag, daß die Worte sorgfältig zu wählen sind: "Es ist zwar nicht unbedingt lebenswichtig, da die Dschinnim nicht ganz so kleinlich und vor allem nicht so hinterhältig wie Ifriitim sind. Je besser Ihr Eure Worte wählt, desto zufriedener werdet Ihr sein. Eine Frage wird der Dschinn auf jeden Fall beantworten, so er kann. Vielleicht sogar drei, doch kaum mehr. Vergeßt nicht, daß der Dschinn ein Elementarwesen ist und sich vor allem mit seinem Element auskennt."
- Meister Erlan überlegt nochmals kurz und sagt dann kurz: "Wasser!"
"Nehmt die Lampe in die Hände und konzentriert Euch. Und wenn der Dschinn Euch anspricht, seid respektvoll, bestimmend und charmant. Vor allem charmant."
Viele Worte, mehr als Erlan bisher insgesamt von dem düsteren Magier gehört hat.
- Erlan nimmt, wie ihm geheißen wurde, die Lampe des Wassers. Er bettet sie in seine Hände, und fühlt dabei, wie sie langsam darin wärmer wird. Das Wellenmuster der Gravuren wird vor seinen Augen zu einem echten Wellenkamm. Erlan versucht sich so gut es geht auf das Wasser und Meer einzustimmen, genauso wie er es tut, wenn er einen neuen Deich baut, und erahnen/herausfinden will, wie er am besten ausgerichtet wird.
Der Magier stellt eine Schüssel auf den Boden und füllt sie mit Wasser. Raka gießt noch einen Schluck Wein hinzu: "Für die gute Laune...", dann tritt der Magier zwei Schritte zurück, stippt seinen Stab kurz ins Wasser, streckt seinen Arm aus und berührt die Lampe mit dem Ende des Zauberstabs. Erlan wundert sich noch, wieso am Ende des Stabes eine Tülle mit einem Außengewinde aufgesetzt ist, da setzt ein Gefühl ein, als würden die Spitzen seiner Haare, Finger- und Fußnägel kribbeln.
- Dieses Gefühl wirkt nicht bedrohlich, ganz im Gegenteil empfindet Erlan es sogar als angenehm. Mit einem Mal weicht es aber und macht einem anderen einem frischen Gefühl Platz. So, als ob man in kühles und klares Wasser tauchen würde. Der Deichbauer öffnet die Augen.
- Tatsächlich befindet sich vor ihm Wasser. Doch ist dies keine Wasserfläche vor ihm. Es ist eine Gestalt, wie ein Mensch anmutend, aber aus purem Wasser geformt und aus der Schüssel inmitten des Raumes herauswachsend. Von der Lampe fallen noch einige Tropfen herab.
- Erlan staunt und schaut das glatzköpfige, spitzohrige und mit einem menschlichen Antlitz versehene Wasserwesen verträumt an. Es ist genauso, wie die Märchen aus den Tulamidenlanden stets erzählen.
"Meister der Lampe, was ist Euer Wunsch?"
- Diese Worte donnernd wie Meeresbrandung und und dennoch sanft wie das Rauschen einen Stroms reißen Erlan aus seinem träumerischen Staunen. Er faßt sich jedoch schnell und versucht seine im Geiste schon fertig formulierte Bitte in Worte zu packen und auszusprechen:
- "Seid gegrüßt, Dschinn des Wassers, ich wünsche von Euch Hilfe bei der Lösung eines komplizierten Rätsels. Ich möchte nämlich das Geheimnis dieser drei Lampen, dieses Fäßchens und dieses Bäumchens ergründen." Dabei zeigt er die Anordnung an der einen Seite des Raums. "Wozu dienen sie? Wie benutzt man sie? Wer hat diese Zauberdinge erschaffen und warum wurden sie in einem Erdloch versteckt? ... Es sind viele Fragen, ich weiß das. Doch führen diese Fragen letztlich alle zum gleichen Geheimnis. Darum bitte ich Euch mir bei der Lösung dieses Geheimnisses zu helfen. Da Ihr ja Teil von diesem seid."
- Freundlich lächelnd und mit erwartungsvollem Blick sieht Erlan auf die menschenähnliche Wassergestalt.
Erlan sieht, wie kleine Wellen über die Stirn des Wesens laufen. Zwar mag schwer vorstellbar sein, daß Wasser sich runzeln könnte, aber irgendwie sieht es dennoch danach aus. Die Gestalt schüttelt sich kurz wie bei einem Schluckauf und gluckst: "Ein Schwall von Fragen, sehr sympathisch, doch dafür nicht genügend Wellenschlag, fünfmal vier, keine sehr bedeutungsvolle Zahl."
Neben sich hört Erlan Meister Sturmbringer seufzen und murmeln: "Soviel zum Thema 'Wählt Eure Worte wohl...'". Der Magier zieht seinen Stab zurück und verbeugt sich leicht: "Vergebt dem Mundanier, Dschinn al'Ammah. Er ist Wesen wie Euch nicht gewohnt, und so ermangelt es ihm ein wenig an der Förmlichkeit und Etikette der magischen Welt. Doch ist auch er auf seine Art ein Meister des Wassers und verdient eine Antwort."
Der Dschinn mustert den Zauberer: "Seid Ihr nicht ein Meister der Ifriitim"
"... ein Meister der Magie," betont der finstere Mann, der in diesem Moment noch etwas finsterer wirkt. "Doch ist meine Person hier nicht von Belang. Dort sitzt er, Erlan Vesselbek, Meister des Wassers, und bittet respektvoll um die Erfüllung seines Wunsches. Es dürstet ihn nach allem verfügbaren Wissen über das im Schacht verborgene Werk, und den Durstigen wird gegeben, wie es guter Brauch ist im Dasein der Wesen, welche imstande sind, die Wahre Welt zu sehen."
Erlan hatte bisher nicht vermutet, daß dieser düstere, wortkarte Mann imstande ist, so salbungsvoll daherzureden. "Ja genau," platzt er heraus. "Ich möchte einfach alles darüber wissen, was es zu wissen gibt."
"So bin ich vom einfachen Arbeiter zum Lehrer geworden, welche Ehre," sagt der Dschinn lächelnd. "So sei es also. Ich will Euren Durst stillen und mein Wissen mit Euch teilen." Seine Gestalt blubbert und gluckst einmal von unten nach oben, und ein Duft nach Wein breitet sich im Raum aus.
"Die Namen der Erbauer sind mir Schall und Dunst und vermutlich längst vergangen. Ich wurde wie meine Geschwister gerufen, um dabei zu helfen, Bruder Bonsaij am Leben zu erhalten, so wie es seine Aufgabe war, das Leben der Großen Eichen mit ihren Wesen der Anderwelt zu erhalten, und Tönnchen sollte uns mit nie versiegender Kraft ausstatten. Doch hat wohl die Vorsehung versagt, oder das Wirken des Dunklen Zwillings überwand die Vorsehung. Tönnchen erfüllte den Pakt nicht mehr, und so verschmolz ich wieder mit der Wahren Welt."
- Erlan grübelt einen Moment über die vielen kleinen Rätsel in den kurzen Sätzen des Dschinns. Die Worte, die Meister Sturmbringer in seiner magischen Anaylse wählte, helfen ihm dabei, so daß er glaubt zu verstehen, was die Lampen und der Baum hier machen. Dann versucht er sich noch schnell an die Zurechtweisung und die Worte von Meister Sturmbringer zu erinnern und an seine geringen Kenntnisse des Tulamidya. Er sagt schließlich:
- "Dschinn al'Mayy, Eure Worte sind wie ein Strom klaren Wassers gewesen. Sie haben einiges von dem Schlamm hinfort gespült, der auf meinen Gedanken lag. Jetzt sehe ich mehr von dem Geheimnis, das diese Insel und dieser Schacht geborgen hat. Ich danke Euch dafür. ... Das Treiben des dunklen Zwillings hat dafür gesorgt, daß euer Werk gestört wurde und Bruder Bonsaij sterben mußte. Doch der Dunkle Zwilling ist nicht mehr auf dieser Welt, er wurde gebannt. Zwar sind die Zerstörungen, die er und seine finsteren Diener angerichtet haben, immer noch zu spüren. Doch muß das nicht so bleiben!"
- Erlan schluckt kurz, als sei sein Hals trocken, bevor er weiter spricht: "Sahib al'Orhima eine Bitte noch, spült bitte die letzte Spur von Schlamm hinfort, die meine Erkenntnis trübt: Ist der Pakt, von dem Ihr spracht, unwiederbringlich gebrochen? Ist Bruder Bonsaj wirklich tot? Kann man ihn ersetzen? Was würde geschehen, wenn der Strom der Zauberkraft wieder fließt? Würde Tönnchen wieder Kraft aus diesem Strom schöpfen? Würdet Ihr dann ebenfalls wieder an Euer Werk gehen?"
"Wahrlich groß ist euer Durst, und eine Freude ist es, ihn zu stillen, soweit es mir möglich ist. Doch verstehe ich nichts von der Erschaffung des Werkes. Ich war und bin nur ein Diener. Der Pakt ist gebrochen, doch wenn man mich erneut ruft, so mag es einen neuen geben und ich werde erneut dienen. Bruder Bonsaij scheint mir tot zu sein, doch ist die Welt voller Wunder, und was weiß ich schon über die Wunder des Humus? Was geschehen wird, ist mir fremd, bin ich doch ein Wesen der Gegenwart. Kein Wesen der Vorsehung und vor allem keine Wunschsau. So empfehle ich mich und wünsche Euch, allzeit erfrischt zu sein!"
- Erlan verbeugt sich zum Abschied: "Ich bitte noch einmal um Verzeihung, ehrenwerter Dschinn des Wassers, wenn Euch meine Fragen nun zuviel werden. Doch bin ich zutiefst dankbar über eure Geduld und die Worte der Erhellung, die Ihr mir geschenkt habt. Gehabt Euch wohl!"
Mit einer letzten Verbeugung beginnt die Gestalt in den Farben des Regenbogens zu schillern, verliert ihre Konturen, löst sich in Blasen unterschiedlichster Größe auf, die schließlich wie Seifenblasen nach und nach mit jeweils einem nahezu unhörbarem "Platsch" zerplatzen und eine erfrischende Kühle und leicht klamme Kleidung sowie einen Duft nach Wein zurücklassend.
- Glückselig wendet sich Erlan um und verkündet: "Jetzt hat sich wohl bestätigt, was unsere Mutmaßungen und Meister Sturmbringers Analyse schon nahegelegt haben. ... Jetzt liegt es an uns diese Erkenntnis zu nutzen."
Raka beugt sich ein wenig vor und meint: "Nun, Meister Vesselbek, wir dürften bezüglich unserer Erkenntnisse und Schlüsse vermutlich weitgehend auf einer Linie liegen, doch würde es mich interessieren, das Gesamtbild einmal aus Eurem Mund zu hören. Und aus Eurem - Signor Aramir - natürlich ebenso."
- Erlan schmunzelt ein wenig: "Meister Sturmbringer hat uns in seiner Expertise ja eigentlich fast alles mitgeteilt. Der Dschinn hat dies nochmals bestätigt, uns zudem sogar noch den Zweck von "Tönnchen" verraten." Dabei tippt der Deichbauer an die Tonne aus dem Schacht.
- "So wie ich den Dschinn verstanden habe, müßte es machbar sein, diese Anordnung wieder mit Kraft zu erfüllen. Die Tonne benötigt eine immense Quelle an Astralkraft, sie hat damit die Dschinne und das Bäumchen gespeist. Alle zusammen haben dann durch diese Astralkraft und ihre eigenen Zauberkünste das rätselhafte Wachstum der Eichen auf dieser Insel bewirkt. Ich bin kein Magier, ich kenne die genaue Wirkung der nötigen Zaubersprüche nicht. Doch müßte man diesen ganzen Zauberkram wieder dazu bringen können, Steineichen wachsen zu lassen."
- Erlan holt kurz Luft und fährt dann fort: "Wir brauchen so eine Kraftlinie wie sie Meister Sturmbringer in seiner Expertise nennt. Wir brauchen entweder einen neuen Bonsaj, oder man müßte zusehen, diesen dort wiederzubeleben. Vielleicht vermag der Humus-Dschinn das. Schlußendlich müßten wir die drei Dschinne noch dazu überreden, ihren alten Auftrag wieder aufzunehmen. Wie gesagt: ich bin kein Magier, aber so habe ich das verstanden."
- "Und Ihr interpretiert die Erläuterungen des Dschinnes meines Erachtens nach durchaus richtig" antwortet Aramir und ergänzt "Dann sollte das Vorhaben, eine Kraftlinie zur "Speisung" des "Tönnchens" zu finden, Priorität genießen, um "Bruder Bonsaij" wieder mit "Leben" zu erfüllen, was einen positiven Einfluss auf das Wachstum der Steineichen haben sollte. Ich würde meine Öllampe dann in dieses Projekt einbringen, doch sollte man sich bezüglich einer zukünftigen geschäftlichen Partnerschaft zur Nutzung der wirtschaftlichen Ressourcen dieser Insel zu gegebener Zeit unterhalten."
- Nachdem Aramir seine Ausführungen bestätigt hat, zeigt Erlan ein kurzer Blick zu Raka und Meister Sturmbringer, daß er nicht falsch liegt. Erlan streckt also die Hand in die Mitte und sagt: "Dann laßt uns diese Kraftlinie suchen! ... Geben wir uns also die Hand drauf? ... Diese Unternehmung kann jetzt noch nicht beendet sein. Außerdem haben wir ja nun Verstärkung."
- Fragend blickt er herum, während er die Hand weiter vorgestreckt hält.
- Aramir, der solche Angelegenheiten gerne auf Papier fixiert, hält kurz inne und erklärt schließlich:"Details können wir später noch klären, lassen sie uns nun unsere Zusammenarbeit beschließen!" Dann streckt er seine Hand ebenfalls in die Mitte.
Raka nickt, führt die Hände der beiden Männer zusammen und vereinigt sie zu einem dreifachen Händedruck. "Wie erfreulich, daß wir uns einig sind. Bilden wir von nun an ein Trio, das sich gemeinsam der Mehrung des Wohls unserer Familien widmet."
"So sei es!" antworten Erlan und Aramir nahezu gleichzeitig.