Briefspiel:Plötzlich Delegierte/In der Villa Ricarda IV: Unterschied zwischen den Versionen
(Die Seite wurde neu angelegt: „{{Halboffiziell}}{{:Briefspiel:Plötzlich Delegierte}} ==In der Villa Ricarda - Teil IV: Schwieriges Vater-Sein== Rahjalin sah kurz so a…“) |
(kein Unterschied)
|
Aktuelle Version vom 26. Juli 2025, 07:32 Uhr
| ||||||||||
In der Villa Ricarda - Teil IV: Schwieriges Vater-Sein
Rahjalin sah kurz so aus, als wollte er etwas zu Auricanius‘ letzter Bemerkung sagen, doch in dem Moment kam der Diener wieder, der ihnen den Wein gebracht hatte.
„Monsignores, das Mittagessen ist bereit.“
Als wäre das ein willkommener Aufschub des schmerzhaften Themas, stand Rahjalin auf. „Nun, dann wollen wir es nicht erkalten lassen.“
Er ließ Auricanius den Vortritt in die Villa, ein breiter Korridor mit einer hohen Decke und einer verstaubten Ahnengalerie, die aufgrund ihrer geringen Größe wahrscheinlich unvollständig war oder nur die wichtigsten Vorfahren abbildete. Das einzige Gemälde, das wohl regelmäßig auf Hochglanz gebracht wurde und somit geradezu herausstach, war das einer Frau in den besten Jahren mit einer Traubenpresse und einer Weinkaraffe. Weicher Teppichboden dämpfte ihre Schritte. Am Ende des Korridors führten auf beiden Seiten je eine Treppe nach oben in den zweiten Stock und zwischen diesen beiden Treppen befand sich, wie es aussah, ein kleiner Rahja-Schrein, der von Darstellungen der Lieblichen und der Heiligen Ricarda geschmückt wurde und insbesondere den Wein-Aspekt der Göttin in den Mittelpunkt stellte.
Der Bedienstete ging den Gang entlang und öffnete eine der Nebentüren, bevor er den Monsignores bedeutete, hineinzugehen. Der Speisesaal war hell und es war tatsächlich möglich, durch zwei Glasfenster in den Garten zu schauen. Der Tisch war bereits gedeckt, als die Geweihten sich einander gegenüber setzten. Kaum hatten sie das getan, kam auch schon eine Küchengehilfin herein, die noch eine Schürze trug, und eine Platte Bruschetta in der Mitte abstellte.
„Die Vorspeise, meine Herren. Dazu vielleicht ein leichter Rosé?“
„Gerne“, nickte Rahjalin, als der Bedienstete, der sie hergeführt hatte, mit einer neuen Weinkaraffe den Speisesaal betrat. Er wunderte sich einen Moment, warum Aurelia nicht da war. Sie wollte ihn und seinen Gast sicher einfach nicht stören.
Auricanius sah sich in der für ihn neuen Räumlichkeit zunächst um; warf auch einen längeren Blick aus den Fenstern, die dem Speisesaal Licht gaben. Ein Nicken schien Anerkennung für die architektonische Gestaltung ausdrücken zu sollen.
„Um auf Eure letzte Bemerkung zurückzukommen …“
Rahjalin hatte beschlossen, in den sauren Apfel zu beißen. Die Bruschetta-Platte starrte er bloß an, nicht, weil sie ihm nicht schmeckte, vielmehr, weil er erst einmal die richtigen Worte finden musste und gerade nicht an Essen denken konnte.
„An Rahjadas Erziehung und Entwicklung war ich weitaus weniger beteiligt, als ich es gern gewesen wäre. Ich habe sie nicht direkt zu dem gemacht, was sie heute ist, was sie erreicht hat und was Ihr an ihr schätzt. ‚Aus Krämersicht‘ steht Ihr daher nicht in meiner Schuld.“
Seine Mundwinkel zuckten nicht einmal bei seiner letzten Bemerkung, er wirkte ungewöhnlich ernst. Auricanius hatte ihn mit Sicherheit noch nie so gesehen: Der Rahjani war … traurig.
Der Praios-Geweihte hatte sich vom Starren Rahjalins auf die Bruschetta-Platte nur kurz aufhalten lassen und griff, noch während der Gastgeber sprach, nach einer der bereitgestellten Vorspeisen. Zwei Bisse genügten, um die erste ihrem Zweck zuzuführen.
„Köstlich“, lobte er – vielleicht auch um die Stimmung des Rahja-Geweihten aufzuhellen. Dabei griff er nach einer weiteren, hielt sie demonstrativ in die Höhe, als wenn er sagen wollte: 'Ihr lasst euch was entgehen.' Bevor er sie zunächst auf dem Teller vor sich ablegte.
„Monsignore“, begann er dann förmlich, wohl auch um sich die richtigen Worte erst noch zurechtzulegen, „meiner Erfahrung nach ist es nicht immer die direkte Tat, die den stärksten Einfluss hat. Für manche ist es eine größere Herausforderung, etwas geschehen zu lassen, Vertrauen zu haben in die Entscheidungen anderer. Auch das Fehlermachen manchmal zuzulassen. Wie sich Menschen unter verschiedenen Begleitumständen entwickeln, kann faszinierend … und überraschend sein.“
Seine Worte klangen mitfühlend, nicht belehrend.
„Empathie ist dabei ein ganz wesentlicher Ratgeber … und wenn ihr mir diese Einschätzung erlaubt: eine eurer größten Stärken. Darum: Seid stolz auf eure Tochter, die intelligent ist und das Herz am rechten Fleck trägt! … unabhängig davon, wie groß ihr selbst euren Anteil daran seht.“
Dabei nahm er das schon zurechtgelegte zweite Stück Bruschetta, hob es nochmal einladend und biss dann genussvoll hinein.
Rahjalin ließ die Worte des Praios-Geweihten erst einmal auf sich wirken. Als Auricanius ihn lobte, sah er kurz ein bisschen verzweifelt aus. Er blickte auf.
„Ihr denkt zu gut von mir. Ihr … ihr wisst nicht, was ich getan habe oder eher, was ich nicht getan habe.“
Er schluckte schwer.
„Es gibt einen guten Grund, warum ich Euch frage, wie es dazu gekommen ist, dass meine Tochter Eure Delegierte ist. Warum ich nicht einfach sie fragen kann und warum sie es mir von sich aus gar nicht erzählen will.“
Erneut stockte er.
„Euch ist sicher nicht entgangen, dass wir nicht das beste Verhältnis zueinander haben … Das ist ganz allein meine Schuld, weil ich als Vater versagt habe.“
Es war irgendwie ernüchternd und erschreckend zugleich, sich diese Feststellung laut sagen zu hören. Eine Welle Selbstverachtung traf Rahjalin, warf ihn beinahe um. Das Gefühl war so heftig wie schon lange nicht mehr.
Im gleichen Moment erschrak er. Bei den Zwölfen, was tat er hier! Warum erzählte er ihm das alles? Der praiosgeweihte Baron hatte sicherlich besseres zu tun, als sich das gefühlsduselige Gejammer eines Rahjanis anzuhören. Halb erwartete Rahjalin, in Auricanius Gesichtsausdruck so etwas wie Langeweile zu erkennen.
Der Praios-Geweihte sah vor allem betroffen aus. Der Gedanke ans Essen war auch ihm ob der so erschreckend offenen Selbstkritik seines Gastgebers vergangen. Und Auricanius wusste damit – ganz ehrlich – gar nicht recht umzugehen. Hätte er seine Schwester oder seinen Bruder vor sich gehabt, hätte er sie in diesem Moment wohl umarmt. Aber Rahjalin stand ihm einfach nicht so nah, dass er das in dieser Situation für angemessen oder richtig halten konnte.
„Glaubt mir, Monsignore“, fing er dann an, „das Vater-Sein ist manchmal auch meine schwerste Aufgabe. Ich habe … mehrere Kinder, wie ihr sicher wisst.“ Er stockte kurz, zwang sich aber weiterzureden. „Und leicht ist das Vater-Sein bislang nur beim jüngsten, meinem Sohn Ageriyano, der ein halbes Jahr alt ist … und bei dem ich mir auch schon Vorwürfe zu machen anfange, ihn nicht häufig genug zu sehen.“
Auricanius schluckte. Seine Worte schienen rundheraus aufrichtig zu sein.
„Ich habe aber auch eine jüngere Tochter … Ignigenie … deren Mutter bei der Geburt verstarb. Und bei ihr habe ich immer das Gefühl, ihr nicht die Liebe geben zu können, die das Schicksal ihr mit dem Tod der Mutter genommen hat. Tsabella war eine aufopferungsvolle Frau, der selbst gegenüber ich wahrscheinlich zu wünschen übrig gelassen habe.“
Der Praios-Geweihte richtete seinen Blick dabei nach unten, als müsse er sich fürs Verhalten seiner ersten Gemahlin gegenüber schämen.
„Mein erstes Kind aber ist eine Geschichte für sich. Ihm gegenüber habe ich mich nie öffnen können, bis zum heutigen Tage nicht … obwohl ich es liebe …“
Er stockte abermals.
„Geliebt habe“, ergänzte er dann noch, als seine Gedanken zu Novarizio wanderten – und weg von Aureliana …
„Ihr habt Euer erstes Kind verloren und … und konntet ihm nicht einmal sagen, dass Ihr sein Vater seid?“, missverstand Rahjalin Auricanius' Worte. Sein selbstverachtender Ausdruck wich tiefer Bestürzung. Auch er hatte mit einem Mal das starke Bedürfnis, Auricanius zu umarmen. Das einzige, was ihn davon abhielt, war der Tisch zwischen ihnen.
„Das tut mir so leid, ich kann mir den Schmerz kaum vorstellen.“
Er senkte den Blick, dann sah er wieder auf – glitzerten da etwa Tränen in seinen Augen?
„Rahjada wusste bis zu ihrem sechsten Lebensjahr nicht, dass ich ihr Vater bin. Ich hatte Angst davor, so viel Verantwortung übernehmen zu müssen, dass ich ihr nicht gerecht werde, nicht genug Zeit für sie haben würde… ich war so unfassbar dumm, mich verfolgt dieser Fehler seither. Als ihre Mutter gestorben ist …“
Rahjalin biss sich auf die Lippe, der Schmerz tat gut, er war aushaltbarer als diese furchtbar stechende Trauer, die ihn durchfuhr, als er an seine ehemalige Geliebte dachte … Ihr fröhliches Lachen, ihre funkelnden Augen.
„… habe ich sie anerkannt, weil sie sonst ja als Waise aufgewachsen wäre und ich mich nicht länger vor der Verantwortung drücken konnte. Ich bereute niemals, es getan zu haben, nur den Zeitpunkt. Jeden Tag, den ich gewartet habe, jede einzelne Sekunde, vervielfacht die Qual nur. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich jemals jemandem begegne, der vor einer solchen Wahl steht, muss ich ihn vor dieser Qual bewahren. Nichts rechtfertigt die Geheimhaltung solchen Wissens. Nichts.“
Sein Blick wechselte von durchdringend zu weich. Sanft nahm er Auricanius Hand zwischen seine Hände, er hielt den Praios-Geweihten einen Moment fest.
„Tut mir Leid, das war unsensibel, mit diesen Worten habe ich sicher alte Wunden aufgerissen. Für Euch muss es so viel schlimmer sein. Wenn ich mir überlege, welche Vorwürfe ich mir gemacht hätte, wenn ich Rahjada nie anerkannt hätte … wenn die Chance irgendwann verstrichen wäre.“
Ein Schaudern durchfuhr seinen Körper.
Auricanius schluckte abermals, blieb dann aber eine ganze Weile still. Seine Gedanken kreisten, soviel war sicher, auch wenn sein Blick am Rahja-Geweihten vorbeizugehen schien.
Als Rahjalin schon wieder etwas sagen wollte, ob der unangenehmen Stille wohl, räusperte sich sein Gegenüber aber.
„Ich habe mich ihm nie öffnen können, Monsignore, aus ganz eigenen Gründen …“, sprach er Rahjalin auch wieder mit dessen Anrede an, die ihm im bisherigen Gesprächsverlauf schon das Sortieren seiner Gedanken ermöglicht hatte, hier aber womöglich mehr dazu diente, die Distanz zu wahren.
„Keines meiner Kinder lief je Gefahr, zum Waisen zu werden, wofür ich den Göttern zu danken habe. Ich kann mir deshalb gar nicht anmaßen, vor einer solch schweren Entscheidung wie ihr gestanden zu haben. Natürlich ist Rahjadas Geschichte schon deshalb eine besondere … an sich wie jede Vater-Kind-Beziehung, denn hinter jeder stehen verschiedene Persönlichkeiten.“
Auricanius' Worte klangen versöhnlich, auch wenn man sie schlimmstenfalls sogar für abwertend oder abschmetternd halten konnte.
„Dass eure Tochter mit ihrer Vergangenheit selbst nicht ganz im Reinen ist, ist mir in den … sechs? … Götterläufen, die ich sie nun kenne, aber ja auch nicht entgangen. Über die Gründe konnte ich lange nur spekulieren. Eure bisherigen Worte allein haben mir dahingehend vielleicht schon mehr Hinweise gegeben als mir über Jahre zuvor anvertraut wurde. Und dennoch könnten ihr natürlich andere Gründe wichtig erscheinen als euch …“
Seine Argumentation erschien ihm selbst plötzlich zu analytisch zu werden, weshalb er den Blick seines Gegenübers suchte, um ihm ein aufrichtiges Angebot zu machen: „Sehr gerne würde ich euch … beiden … helfen, wenn es in meiner Macht steht.“
Fragend sah er Rahjalin an.