Briefspiel:Kaiserjagd/Firun und Tsa
Firun und Tsa
1. Firun 1046 BF abends, im Zeltlager zwischen Vanca und Persenciello
Autor: Gonfaloniere
Sein Blick schweifte durchs ihm an diesem und – so war die Planung – allen folgenden Abenden als „philosophischer Salon“ dienende Zelt. Der rechteckige, von zwei inneren und zehn äußeren Stangen getragene Raum war großzügig bemessen; der schwere Tisch in der Mitte tatsächlich das sperrigste auf dem Trosswagen seines Hauses mitgeführte Mobiliar. Von den Seitenwänden, die die Geräuschkulisse des umgebenden Zeltlagers nur notdürftig dämmten, hatte er eine der beiden längeren nach kurzer Erwägung gänzlich hochschlagen lassen. So öffnete sich das Zelt allen vorbeiziehenden Teilnehmern der Kaiserjagd und lud mit seinen gepolsterten Stühlen, bereitstehenden Getränken und Süßigkeiten zum Verweilen und Mitdebattieren ein. Zur Veranschaulichung des heutigen Themas aber standen sich auf dem Tisch in der Mitte zwei jeweils halbschrittgroße Statuen Firuns und Tsas nebst weiterer Devotionalien ihrer Kulte gegenüber
Der Baron im Turaniterornat selbst rückte einen der zur Ausstaffierung mitgebrachten Fächer zurecht – ein regenbogenbuntes Exemplar mit kunstvoller Eidechsensymbolik, das seiner Tante Udora einst vom Tempel der jungen Göttin in Silas zum Geschenk gemacht wurde, als sie noch die Geschicke der damaligen Stadtmark führte. Mit einem wohlwollenden, doch auch gespannten Lächeln bedeutete Auricanius schließlich seinen Untergebenen, dass er die Vorbereitungen als zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen sah.
Die doch noch ansteigende Nervosität versuchte er mit einem Schluck des ihm dargereichten leichten Weins zu unterdrücken. Währenddessen fingen seine Bediensteten nun an, vor dem Zelt mit Worten und Leckereien vorbeiziehende Adlige zum Verweilen zu bewegen.
„Mit Verlaub, Signorella, das ist nicht, was ich gesagt habe.“ Trotz der belehrend wirkenden Worte schlug der harodische Cavalliere einen versöhnlichen Ton an. „Die Chirakah mögen noch in mancherlei Hinsicht Wilde sein, aber sie sind Menschen. Menschen mit einem eigentümlichen Götterbild, das manches von den Kirchen gelehrte vermischt. Aber dennoch würde ich auch sie als Anhänger der Jungen Göttin im Herzen bezeichnen.“
Es schien, dass er damit seinen Standpunkt als hinreichend erklärt ansah, denn bei den letzten Worten hob er das Weinglas in die Runde und nahm einen Schluck.
Auricanius hatte indes gesehen, wie wenig begeistert die Erbbaronessa Yolanda aus Kabash schon die verniedlichende Anrede als 'Signorella' aufgenommen hatte, und war darum bemüht den Exkurs Luidario di Sgaggamûs über die synkretistische Glaubenswelt des Wilden Südens wieder einzufangen.
So nickte er diesem kurz zu, nur bestätigend, dass er ihn gehört hatte, und erhob sich selbst: „Denn wo Leben ist, ist auch Tod!“
Er ließ die Worte für einen Augenblick wirken, als er eine weitere Besucherin an diesem Abend in sein halboffenes Zelt treten sah. Sie trug zweckmäßige und doch überaus hochwertige Jagdkleidung. Vor allem aber trug sie das kaiserliche Emblem auf der Brust, was sie unzweifelhaft als Mitglied des kaiserlichen Hofstaats auswies. Auricanius musterte sie einen Augenblick länger, was die Aufmerksamkeit weiterer Mitdebattierender (und auch nicht mitdebattierender, nur den dargebotenen Leibesfreuden zusprechender Zuhörer) auf sie lenkte.
Dann fiel ihm wieder ein, woher er dieses Gesicht kannte: Er hatte die ältere Schwester Cavalliera Ricarda Tharedions, der erst jüngst zur Erbin erhobenen Großnichte Baron Rassuans vor sich. Myryan Tharedion, die Falconiera des Kaisers.
„Signora, seid uns Willkommen!“, unterbrach er deshalb seinen eigentlichen Gesprächsfaden und wollte ihr sogleich seinen eigenen Platz zum Sitzen anbieten.
Die junge Gharena di Megarro, Nichte der Kronvögtin Ferlaths, kam ihm aber noch zuvor.
„Entschuldigt, wenn ich hier so unvermittelt dazustoße“, schien der Falconiera die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit fast unangenehm zu sein. Den angebotenen Platz Gharenas nahm sie gleichwohl dankend an.
„Es ist nicht mein Anliegen, hier etwas zu unterbrechen, fahrt bitte fort“, wandte sie sich direkt an Auricanius, bevor sie sich setzte.
„Ähm … ja, natürlich“, versuchte der sich zu sammeln. Ein Räuspern diente allein zur Überbrückung der kurzen aufkommenden Pause. Dabei flogen ihm Gedanken durch den Kopf: Myryan war nicht einfach nur die Falconiera des Kaisers, sondern eine der ihm privat vertrautesten Personen bei Hofe, wie es hieß.
Dann riss er sich zusammen.
„Denn wo Leben ist, ist auch Tod“, wiederholte er seine letzten Worte vor der Ankunft der Falconiera noch einmal. „Es ist diese Dualität, die im Verhältnis des eisigen Jägers und der ihm im Jahreslauf nachfolgenden Ewigjungen so besonders ist. Als könne es beides nicht unabhängig voneinander geben. Wir wissen alle, dass es Anhänger der jungen Göttin gibt, die jedes Leben gerne für immer bewahrt sähen, das Töten selbst als Frevel betrachten. Und doch ist auch die Erneuerung ein heiliger Aspekt ihres Glaubens. Nur, wo sollte Erneuerung herkommen, wenn nicht etwas anderes beendet wird? Und sei es ein Leben …“
Weiter gedachte er den dargelegten Gedanken erstmal nicht auszuführen, wollte Anderen an seiner Tafel die Gelegenheit geben, an dieser Stelle einzuhaken. Mit einer nur angedeuteten Verbeugung setzte er sich darum … und konnte doch den Blick nicht von der ihm nun gegenüber sitzenden Falconiera lösen, deren Anwesenheit ihn weiter beschäftigte.
Die wandte ihren Blick jedoch scheinbar im ehrlichen Interesse bereits dem nächsten Sprecher zu …