Briefspiel:Kaiserjagd/Wiedersehen von Rahjas Recken
Wiedersehen von Rahjas Recken
2. Firun 1046 BF morgens, im Zeltlager zwischen Vanca und Persenciello
Die Praiosscheibe ist noch nicht lang über den weit entfernten Horizont aufgegangen, schon herrscht bereits geschäftiges Treiben im kaiserlichen Zeltlager. Von überall her eilen Knappen an einem vorbei, allein getrieben von der Furcht vor Tadel ihrer Herren. Das Wiehern der Pferde ist von Weiten bereits vernehmbar und kündigen wie Fanfaren Großes an.
Der zweite Tag der großen Kaiserjagd hat begonnen!
Die anwesenden Adligen und Würdenträger sind bedacht an dem heutigen neuen Morgen sich mit Firuns Segen sonnen zu können.
Ebenso hat sich bereits der am Vortag frisch ernannte Kroncastellan der Albornsburg, Verian di Cerrano, aufgemacht, um seinem Yaquirtaler auf den anstehenden Jagdausflug seiner horaskaiserlichen Majestät vorzubereiten. Während der junge Signor bei seinem Ross aufsattelt, entgeht ihm dabei jedoch nicht, dass sein Page und Knappe kurz inne hielten als wäre jemand von Stand an das Zelt herangetreten ...
„Welch eine Überraschung und Freude, Euch hier anzutreffen, Signor di Cerrano.“
Der junge, blonde Mann war anscheinend im Vorbeigehen stehengeblieben, um ihn zu grüßen. Aus seiner Stimme war nicht herauszuhören, ob die Begegnung wirklich nur Zufall war oder geplant.
„Ich wollte Euch zu Eurer Ernennung zum Kroncastellan der Albornsburg gratulieren.“
Er kam Verian bekannt vor, sie hatten sich schon einmal irgendwo unterhalten, da war er sich sicher. Auf einem Fest der Freuden in Belhanka vielleicht? Genau, das war dieser urbasische Cavalliere, Rahjesco Solivino.
Sofort huschte ein freundliches Grinsen über sein Gesicht. "Signor Solivino!", bemerkte Verian, "Welch Freude Euch zu sehen! Zu viele Monde sind seit dem letzten Mal vergangen. Ich hoffe Euch und Eurer bezaubernden Schwester Rahjabella geht es gut?"
Ebenso nahm Verians Yaquirtaler die Präsenz des rahjafrommen Edlen war und strahlte eine ungeduldige wie ebenso heitere Präsenz aus.
"Sieht so aus als würdet Ihr heute mit ausreiten, was? Die Herrin hat gesprochen", lachte Verian laut auf.
"Vielen Dank für die nette Einladung. Sehr gerne würde ich Euch auf Eurem Ausritt begleiten." Rahjesco wandte sich kurz um und sagte zu einem Bediensteten, der sich bisher unauffällig im Hintergrund gehalten hatte: "Würdet Ihr mein Ross aus dem Lager der Aurelassen herholen?"
Mit einer knappen Verbeugung und einem "Selbstverständlich, Herr." eilte der Angesprochene davon.
Der junge Solivino sah mit einem entschuldigenden Lächeln wieder zu Verian. "Ich hoffe, Ihr habt es nicht allzu eilig und könnt noch einen Moment warten, bis mein Pferd da ist. Meiner Schwester und mir geht es übrigens ausgezeichnet. Soll ich ihr Euren Gruß ausrichten? Sie wird sich sicher freuen, von Euch zu hören."
Rahjesco zwinkerte Verian verschmitzt zu, das Angebot klang jedoch durchaus ernst gemeint.
"Wie geht es Euch und Eurer Familie, Signor di Cerrano?"
Das Zwinkern nahm Verian mit einem kurzen Grinsen auf, ehe er seinem Diener ein Handzeichen gab.
"Natürlich nicht und wenn Ihr erlaubt, lasst uns einen guten Schluck Wein trinken bis Euer Bediensteter zurückkommt. Vielleicht findet Ihr unseren familieneigenen Wein interessant. Es ist ein schwerer Rotwein mit einer leicht würzigen Note. Ich freue mich Eure Meinung dazu dann zu hören", sprach der junge Cavalliere und verschränkte seine Arme. "Der Familie geht es gut. Es gibt zwar viel zu tun gerade auch mit meinem Jungen Phelizzio. Ich freue mich, wenn mich meine Frau und der Kleine mal im Aurelat besuchen werden. Eure Familie hat Glück in dieser Gegend ihre Wurzeln zu haben. Jedoch gibt es auch dort viel zu tun. Bevor Ihr meine Grüße Eurer Familie ausrichtet, würde ich mich freuen, Euch in der Albornburg bewirten zu dürfen."
Der schwarze Yaquirtaler Verians wieherte auf als würde er nun darauf bestehen, auszureiten. Mit einem Apfel beruhigte der Besitzer seinen Hengst.
"Ruhig, Comto, ruhig", flüsterte er. Augenblicklich wurde das Pferd ruhig. In der Zwischenzeit kam der Diener mit zwei Silberkelchen an und füllte sie sofort mit Wein.
Rahjesco nahm einen der Silberkelche und stieß mit Verian an. Er trank einen kleinen Schluck des Rotweins und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen.
"Ein würziges Aroma, da habt Ihr Recht. Es bringt den Rotwein sehr gut zu Geltung. In einem Weiß- oder Mischwein würde es wahrscheinlich nicht so passen, aber hierbei. Famos, einfach famos. Ist diese Art von Wein in der Gegend um Vinsalt üblich? Ich meine, bisher kaum so schwere Weine mit gleichzeitig einem würzigen Beigeschmack probiert zu haben. Auf jeden Fall ist es eine besondere, sehr gute Idee."
Der Cavalliere nahm noch ein, zwei größere Schlucke.
"Eigentlich mag ich ja mehr die Mischweine, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mit dem Cassianti aufgewachsen bin. Doch gerade mit diesem gewürzten, schweren Rotwein kann ich mich gut anfreunden. Natürlich nicht alltäglich, sondern eher zu besonderen Anlässen, dazu ist er dann doch etwas zu schwer."
Verian setzte kurz den Kelch ab.
"Ich begrüße Eure Meinung und schätze sie sehr. Der Wein verlässt tatsächlich die Grenzen der Baronie nicht, sondern ist leider noch in meinen Stammlanden gefangen. Ihr kennt das ja, wenn man in einer Winzerregion plötzlich eine gute neue Weinsorte auf den Markt bringt, scheucht das die Händler auf. Daher die Vereinbarung zum eingeschränkten Verkauf. Dafür lassen mich die Händler auch in Ruhe und meine Freunde können bei Besuchen den Wein allein genießen", sprach der Signor und nahm am Ende ernstere Gesichtszüge an. "Nun als Kroncastellan kann ich leider nicht mehr jeden Weinkeller mit Euch leeren."
Nach einigen Momenten fing Verian an zu lachen und überraschte sein Gegenüber gleich ein zweites Mal.
"Nicht mehr *jeden*?", lachte Rahjesco mit. "Heißt das, jeden zweiten?"
Er wurde wieder etwas ernster.
"Wahrscheinlich sind diese Zeiten wirklich vorbei. Schade, dass wir uns nicht als draufgängerische Jugendliche, sondern bereits als Erwachsene mit Verantwortung auf unseren Schultern kennengelernt haben. Neuerdings in eurem Fall eine sehr große, ehrenvolle Verantwortung, Signor."
Etwas nachdenklicher nahm er noch zwei Schlucke.
"Ist das der Grund, weshalb ihr nun nach Urbasi kommt? Damit ihr euren Wein besser verkaufen könnt?"
Er sah sein Gegenüber forschend an, beinahe ein wenig zu ernst ... Es war nicht zu erkennen, ob er nur Spaß machte oder nicht. Doch schon einen Moment später entkräftete ein freundschaftliches Lächeln seine eher misstrauischen Worte.
"Ich bin sicher, wir können diese Situation so zu unseren Gunsten drehen, dass sowohl die Solivino als auch die di Cerrano einen Vorteil daraus ziehen. Es bringt nichts, als Gleichgesinnte zu konkurrieren und sich gegenseitig zu behindern, wenn man genauso gut zusammenarbeiten kann. Wir halten schließlich alle die Herrin Rahja in Ehren und streben danach, die Kirche zu stärken und den Glauben im Reich zu festigen. Nach allem, was ich gehört habe, seid Ihr ein engagierter Kunstförderer."
Der junge Cavalliere hatte sich vorgenommen, vor seiner Familie zu rechtfertigen, warum man ihn zur Kaiserjagd gesandt hatte und nicht irgendwen anders. Er hatte das Gefühl, dass er sein diplomatisches Geschick dem Familienpatriarchen erst noch beweisen musste.
"Wisst Ihr, ich habe keinerlei Interesse am Weinhandel in Urbasi. Noch weniger trete ich Euch als Konkurrent gegenüber. In der anderen Sache liegen in Euren Worten Weisheit. Eine Zusammenarbeit würde unseren Häusern weitaus mehr bringen als wenn wir uns gegeneinander auszehren. Was haltet Ihr von der Vorstellung gemeinsame Handelsinteressen zu vertreten? Derzeit ist meine Familie stark im Kolonialwarenhandel präsent und führt von Methumis aus die Waren ins Herzland. Urbasi liegt auch auf der Strecke. Ich könnte meine Waren von Methumis aus nach Urbasi bringen und auf dem Weg Eure Waren nach Methumis transportieren. So sparen wir reichlich Silber und arbeiten gemeinsam an der Ausweitung des Handels", antwortete Verian und gelegentlich blitzten bei seinen Ausführungen seine Augen auf.
Einer seiner Diener wollte umgehend nachschenken als der junge Kroncastellan austrank.
"Zu freundlich, aber der Tag soll Firun ehren und nicht Rahja. Geh zurück zum Zelt und packe dem Signor Solivino zwei Flaschen des Weines ein. Wenn wir wieder zurück sind, erwarte ich, dass das bereits erledigt ist", sprach Verian in der üblichen Tonlage der Armee.
"Eine äußerst gute Idee und ein sehr attraktives Angebot. Für beide Seiten. Habt bitte Verständnis, dass ich mich noch mit meiner Familie über die Details absprechen muss, doch ich kann schon jetzt sagen, dass wir sehr an einer solchen Zusammenarbeit interessiert sind. Kolonialwarenhandel, sehr spannend, aber auch sehr risikoreich. Darf ich fragen, welche Art von Waren Ihr handelt?"
Rahjesco leerte mit zwei letzten Schlücken den Weinkelch.
"Vielen Dank, Signor." Er reichte den Kelch dem bereitstehenden Diener.
Denn er hatte seinen Apfelschimmel erspäht, der bereits gesattelt von seinem Bediensteten durch das Zeltlager geführt wurde. Sobald sein Pferd angekommen war, nahm er die Zügel mit einem dankbaren Nicken entgegen, begrüßte seinen Hengst kurz, indem er ihm über die Stirn strich und hinter den Ohren kraulte.
In einer einzigen, fließenden Bewegung saß er auf. "Nun denn, wollen wir?"
Mit einem Grinsen stieg auch Verian auf seinen schwarzen Yaquirtaler, den der Diener an den Zügeln zu seinem Herrn geführt hatte. Umgehend machte das Ross zwei bis drei Trabschritte auf der Stelle als würde es Haltung annehmen wollen und jeden Blick versuchen auf sich zu ziehen.
"Ruhig, Comto. Ruhig, mein Junge", flüsterte der Reiter seinem geltungssuchenden Pferd zu und tätschelte es.
"Selbstverständlich wollen wir."
Im leichten Trab bewegte sich Comto an die Seite von Rahjesco.
"Um auf Eure Frage einzugehen. In den ersten Schritten haben wir lediglich den Schwerpunkt auf Gewürze und Tabak. Phex sei Dank, war uns die edle Familie ya Strozza wohlgesonnen und half beim Aufbau der Handelsunternehmung. Durch meine Zeit im Südmeer habe ich auch einige Lieferanten, die nur allzu gerne die Geschäfte weiter ausbauen wollen. Besucht unser Depot doch in Methumis. Es fällt mir wesentlich leichter über die Zukunft der Unternehmung zu sprechen, wenn die Luft von feinen Düften der kolonialen Welt erfüllt ist. Auf dem selben Wege könnte ich Euch direkt den Weg der gemeinsamen Route skizzieren und die Zwischenstationen markieren."
Als der junge Signor aus Valbeno ausgesprochen hatte, gaben beide Reiter ihren Rössern die Sporen und trabten nebeneinander auf dem Lagerpfad in Richtung Ende der Zeltstadt.
"Sehr gerne! Zu der Gelegenheit bietet es sich gleich an, meine geschätzte Cousine Doriana zu besuchen. Sie studiert derzeit in Methumis."
Rahjesco blickte abwechselnd seinen Gesprächspartner und den Weg vor ihm an. Zwischenzeitlich wurden die Reiter ein-, zweimal in ihrem Trab behindert und mussten auf Schritt ausweichen, da das Zeltlager nun immer geschäftiger wurde. Sie schlängelten sich durch die letzten Zeltreihen und ritten in die eher licht bewaldete und von Wiesen geprägte Landschaft. Um einen richtigen Wald zu erreichen, würden sie noch ein wenig reiten müssen.
Die beiden Signores verfielen wieder in Trab und setzten dann zu einem Stück Galopp über ein offenes Feld an. Verians Yaquirtaler, der sich schon die ganze Zeit darauf gefreut hatte, ließ Rahjescos Ross hinter sich und erreichte mit knappem Vorsprung zuerst eine kleine Ansammlung von Bäumen.
Überrascht und doch anerkennend musterte Rahjesco Verian. Es passierte ihm wahrlich nicht oft, dass er ein Wettreiten verlor. Höchstens gegen seinen Verwandten Geromar ...
"Das war beeindruckend. Ich habe selten so ein schnelles Pferd beobachtet. Und Ihr seid wirklich ein guter Reiter!"
Er tätschelte seinen Hengst, während sie im Schritttempo das Wäldchen durchquerten.
"Habt Dank, Signor. Das Lob eines kundigen Reiters bedeutet mir viel. Mein Pferd freut sich ebenfalls über Euer Lob. Der Hengst ist jedoch leider nicht für den Rennsport gezüchtet worden. Vielmehr für einen Einsatz im Felde", sprach Verian und hielt für einen Moment inne.
Schlachtenlärm und die Rufe sterbender Soldaten rauschten durch seinen Kopf. Mit einem Kopfschütteln riss er sich selbst aus den Erinnerungen des Krieges im Südmeer.
"Verzeiht, Signor. Ich war für einen kurzen Moment an einem anderen Ort", entgegnete der Herr von Valbeno mit eiserner Miene.
Die Praiosscheibe schien zwischen den Baumkronen hindurch und für einen kurzen Moment schienen Verians Augen leicht gülden zu leuchten. Rahjesco nahm dies jedoch als Trugbild der ständig wechselnden Lichtverhältnissen wahr und schenkte dem keine weitere Aufmerksamkeit.
"Das sind wir alle manchmal, nicht wahr?"
Rahjesco lächelte leicht, doch es war ein ernstes Lächeln, kein vergnügtes.
"Wir müssen alle unseren Teil für unsere Familie und das Reich beitragen und allzu oft fällt es nicht leicht."
Sie ritten kurz schweigend nebeneinander her.
"Umso wichtiger ist es, dass wir in der Zeit dazwischen das Leben genießen, das uns die Götter geschenkt haben."
Der junge Cavalliere war etwas überrascht über seine eigenen, fast schon philosophischen Worte, doch er hatte direkt aus seiner Seele gesprochen. Ein Kreischen riss die beiden Reiter aus ihren Gedanken. Sie blickten gerade rechtzeitig gen Himmel, um einen prächtigen Jagdfalken keine zehn Schritt von ihnen entfernt herabstürzen zu sehen. Ein Blickwechsel zeigte, dass beide verstanden hatten, was das bedeutete: Die Jagd ging weiter – und sie wollten ein Teil von ihr sein!
Zeitgleich wendeten sie ihre Pferde und trabten zurück ins Lager, dem Klang des in diesem Moment ertönenden Jagdhorns folgend.