Archiv:Der Eherne Landtag (BB 7)

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Der Eherne Landtag
(PHE 2510 Horas/1018 BF)

Höret! Höret! Höret! Was sich alldieweil im Grangorer Lande zugetragen. Die Botenreiter tragen es bereits ins Reich, doch sind's Gerüchte nur, eins ums andere ungeheurer an Gehalt. Von der Stände Tag zu Bomed, wahrlich, und allem, was dort gesagt und offenbar, und auch von dem, was da beschlossen und gesiegelt, will ich euch nun getreulichst künden. Leset dessenthalben den Bericht aus meiner, des Corto di Gaviani, Feder, wie ich alles mit eignen Augen gesehen und mit eignen Ohren alles gehört habe.

Von des Garlischgrötzens Ansinnen und seines treuen Kanzlers Rat

Auf Burg Windhag, der Herzöge Residenz zu Grangor, hat es sich begeben, daß Seine Hoheit Cusimo Garlischgrötz, Herzog von Grangor und trefflicher Streiter für Ihro Horaskaiserliche Majestät, des jüngst verschiedenen Grafen Kalman von Farsid gedachten. Dieser war am 21. PRA dieses Jahres vor der mittelreichschen Feste Eslamsberge in einem waghalsigen Angriffe gefallen, das ist wohl bekannt. Nicht über Schuld und Treuebruch sannen Seine Hoheit, das wär' wohl müßig, es mögen denn die Götter droben nun bescheiden, aber wohl des schweren Erbes, welches der Hochwohlgeborene Ihr hinterlassen. Denn Phecadien, stolze Grafschaft, war verwaist nach des kinderlosen Grafen Tod, und dort dräute schon der Streit, den jener vom Zaum gebrochen, als Krieg vom Mittelreiche her mit aller Macht und Gewalt in das Land der Horas einzufallen.
Allein, die Heerscharen zu sammeln und die Lande stark zu befestigen, ermangelte es der Ducaten, hatten doch die Ereignisse der letzten Monde die Herzogskasse arg geschröpft. Drum faßten Seine Hoheit den Entschluß, die phecadische Provinz dem herzoglichen Eigengute zuzuschlagen und ferner eine Herzogssteuer zu erheben, auf diese Weis' das Säckel wieder mit Golde zu füllen.
Nun, wie die Hoheit Ihren Kanzler rufen, den alten Comto Chiranor Tegalliani, ihm die Ausführung unverzüglich aufzutragen, gemahnet dieser Einhalt. Seiner Hoheit sei's wohl gerad entfallen, daß zu erwähntem Zwecke die Landstände des Herzogtumes einzuberufen seien, wie ein altes Gesetz aus der Zeit des Herzogs Odoardo Garlischgrötz, Seiner Hoheit Urahn, eindeutig besage. Zwar sei es richtig, daß jene Verordnung seit langer Zeit nicht mehr zur Anwendung gelangt sei, zuletzt im 2451. Götterlaufe seit HORas Erscheinen, als es gegen die Novadischaren ging, doch altes Recht sei gutes Recht, so sprach der Kanzler.
Dem Herzog Cusimo war's gleich, mochten die Landstände ruhig beraten und bereden, und dann beschließen, was sein Wunsch war. Also haben Seine Hoheit den Comto Tegalliani angewiesen, in Ihrem Namen die hohen Herrschaften des Herzogtumes zur Ständeversammlung nach Farsid zu laden. Alldieweil werde der Herzog nach Arivor reisen, den Theaterfestspielen beizuwohnen, dann zu Kuslik schon erwartet, wenn die Fürstin Kusmina der Vermählung ihres Cousins zu Ehren drei Bälle gebe, er sei ergo zu entschuldigen. Der Kanzler aber tat, wie ihm die Hoheit geheißen, und bestellte die Damen und Herren auf den 20. RON 2510 in den nämlichen Ort.

Von der Landstände Aufzug

Es war nicht mehr denn ein sanfter Hauch vom Meer zu spüren, als am 18. RON die ersten Edlen im stillen Farsid eintrafen. Ach, solch eine Pracht ward im Herzogtume am Phecanowald schon lang nicht mehr gesehen! Es zogen auf die hohen und niederen Adligen der Provinz, das sind die Gräfin von Bomed (vertreten durch ihren Hofsecretario) und die Barone von Sewamund und Tikalen, weiter die Landherren von Schradok und Venga, der Herzögliche Vogt zu Veliris, dann auch die Signori, die Cavallieri und Castellani. Auch die waren gekommen, die seit altersher das Wort in der Versammlung erheben dürfen, wiewohl sie keine Stimme ihr eigen nennen: Das sind die Horas-Castellani der kaiserlichen Pfalzen Durindal, Phecanostein, Gugellabrück, Naumstein und Leomarensteyn sowie die Secretarii der Grangorer Hofkanzlei und die Mitglieder des Hofgerichtes.
Hinzu kamen die Vertreter der Kirchen: Nach alter Regel entsenden diese Geweihte den Einnahmen an Spenden und Zehnt entsprechend, die ihre Tempel in der Provinz über die vergangenen fünf Götterläufe verzeichnet haben. Das Wort erhalten zudem die Meister der Ordensbünde, die ein Haus im Grangorschen unterhalten: Das sind der Sanct-Aldigon-Orden zu Veliris, der Therbûniten-Orden zu Venga sowie der Orden der Cavallieri vom gyldenen Passe und der Orden der Hl. Noiona von Selem zu Tikalen.
Schließlich sind noch die gewählten Vertreter der Städte zu nennen, die sich laut Privileg „ihr eigen Herr" heißen mögen: Zufürderst die Freie Stadt Grangor, aber auch Sewamund und Venga.
Summa summarum kamen da 71 Adelsleut, 53 Geweihte und 25 Bürgerliche zusammen, eine stattliche Zahl, bedenkt man zudem das Gefolge der Herren und die zahlreichen Schreiberlinge, dürften's wohl an die tausend Frauen und Mannen gewesen sein, just soviele und noch einige mehr, wie Farsid Bewohner zählt! Das ist ein Nichts gegen den Hoftag des Garethischen Prinzen drei Götterläufe zuvor, wahrhaftig, das ist mir wohl bekannt, doch für nur eine einz'ge Provinz unseres Reiches war's ein stattliches Ereignis und denkwürdig dazu.

Von einer feierlichen Eröffnung und einem jähen Ende

So geschah's, daß zur ersten Praiosstund' des 20. RON all die hohen Damen und Herren im Groszen Saale des alten Herzogsschlosses Ardenhain zu Farsid versammelt waren, die Herzöglichen Geleitworte zu erwarten. Alle Augen waren auf die rückwärtige Wand gerichtet. Dort unter den großen Fensterscheiben, zwischen den beiden kleinen Eichentüren, stand der hohe Stuhl mit dem Baldachin des Provinzherren in den Garlischgrötzschen Farben Blau und Hermelin. Zwei Frauen in den Waffenröcken der Herzöglichen Garde standen mit aufgesetzten Hellebarden dem Thron zu beiden Seiten.
Drei feine Stufen im mamornen Boden trennten sie und den hinteren Teil von den Plätzen der anwesenden Stände. Zur Linken des roten Läufers, der sich vom Herzogsstuhl aus geradewegs zu den Flügeltüren zog, warteten die Geweihten, die Tempelherren auf Stühlen, die gemeinen Priester auf beiden Füßen stehend.
Zur Rechten hielt sich der Adel bereit, die Barone und Landherren in Sesseln mit ihres eignen Wappens Zeichen, mit ihrem treuen Schwerte gegürtet die Barone gar, wie es Sitte ist seit altersher. Die Stühle Bomed und Veliris waren verwaist, es standen die Vögte dahinter, gar einsam lag Phecadien dar. Hinter diesen standen wiederum die Signori und Cavallieri all, aufrecht und erwartungsvoll.
Nach diesen Reihen war linker Hand ein Podest aus Bosparanierholze aufgebaut, darauf die Gesandten der stolzen Städte standen, der Hoheit ins Antlitz zu schauen. Darauf querte ein zweiter Läufer den ersten und verband die beiden Türen in Efferds und Rahjas Wand, wohinter beiderseits der Hauptbrücke hölzerne Schranken von Hüfthöhe wohl aufgestellt waren. Und dahinter endlich standen all die Frauen und Mannen, die allein das Wort in dem Landtag hatten, nicht minder voll der Ungeduld.
All über all sah man Wappenschilde bunt und schön, die an den Wänden hingen, und auch Fahnenwerk und Banner hingen von den seitlichen Emporen, auf denen das gemeine Volk, die Knappen, die Schreiber, die Redacteure (also auch meine Wenigkeit), die Gatten und die Schaulustigen all ihren Platz fanden. Voll war der Grosze Saal von Menschen, und wäre nicht der zarte Duft aus Weihrauchbecken aufgestiegen, so hätte einer wohl mancherlei Ding gerochen.
Und nur hier und da ein geflüstert Wort unterbrach die ehrfürchtge Stille in dem Raum, war es doch gleich Zeit. Und wirklich, in dem Moment, als Herr Praios gar strahlend durch die rückwärtgen Fenster hereinschaute und die Spannung schier unerträglich schien, da öffnete sich die linke Türe mit einem vernehmlichen Geräusch, worauf all die Herrschaften, die zuvor gesessen, sich ebenfalls auf ihre Füße erhoben. Fanfaren tönten laut, als der Edelhochgeborene Kanzler Chiranor Tegalliani im schwarzen, von Silberbrokat durchwirkten Ornat die Halle betrat, um seinen Hals die eiserne Kette des Tresimont, seines Amtes Zeichen.
Der weißhäuptige Comto tat einen Schritt beiseite, und alle spähten schon auf die Gestalt, die da kommen sollte, als die Fanfaren zum zweiten Mal erschallten. Doch was für ein Raunen ging da durch den Saal! Ein schmächtiger Page nur im herzöglichen Rock trat durch die Türe, vor seinem Leib auf sammetem Kissen der Grangorer Lande Siegel tragend. Er hob es an und auf den hohen Stuhl, wo es gebettet ward, und der Kanzler stellte sich davor. Just dann war einem jeden klar, daß der Herzog nicht werde kommen, daß all das Gerücht, das Nämliches besagt, wirklich wahr. Und in mancher Kehle wuchs ein bittres Wort.
Doch ehe auch nur einer seine Stimme laut erheben konnte, senkte und hob der Kanzler seinen Kopf in Richtung der Geweihten, darauf ward's wieder ruhig. Denn es ist Brauch, daß sodann der oder die Älteste von diesen vortrete und den Segen der Zwölfgöttlichen Geschwister auf den Ständetag herabrufe. Das war Ihre Hochwürden Lûrinda Jaringer, Schwertschwester der alverianischen Leuin zu Phecanohang, mit ihren dreiundachtzig Wintern. Und sie erhob sich und schritt nach vorn und sprach die frommen Worte über die Versammelten, auf daß sie Rechtes vom Falschen scheiden und keinen üblen Ratschluß fassen wollten, und bei sich tat jeder seinen Schwur. Alsdann kehrte die würdige Schwertschwester an ihre Stelle zurück.
„So sind Seine Hoheit wirklich zum Lustspiel gen Arivor gefahren?" , brach sich ein Ruf aus der Signori Reihen Luft.
„Edle Frau, schweigt still,", gebat der Tegalliani Einhalt, „Es ist an Euch noch nicht zu sprechen, alldieweil Wir diese Verhandlung noch nicht eröffnet haben, in des Herzogs Namen." Und finster war sein Blick und brachte Schweigen.
Endlich empfing der Kanzler eine Bulle aus eines Pagen Hand, worauf er das Siegel brach und sie mit Bedacht entrollte. Ein Räuspern, kurz, dann hub er an zu lesen. Und diesen Worten lauschend, erfuhr der ganze Saal, was ich, mit HESindes Freiheit und Verlaub, schon ganz am Anfang meines Schriftstücks dargestellt, und vielerlei Gruß und freundlich' Wort dazu.
„Das ist die Rede des Herzogs, meines Herrn," schloß der Comto Tegalliani und ließ die Rolle sinken. Er streckte sich: „Ihr Stände habt vernommen, was zu beraten Ihr seid einberufen, und was es sonst noch gibt. Bedenkt es wohl! Drum, mit des Herzogs Siegel Macht, erklären Wir diesen Landtag für eröffnet." Ein Tönen hob an. „Das Wort hat der Hofsecretario der Gräfin Bomed."
Mit einer höfischen Geste trat der Genannte vor den Stuhl, sammelte seine Gedanken kurz und sprach „Dank Euch, Edelhochgeboren, Kanzler. Im Namen der..." - weiter kam Herr Selinan ya Guttenberg nicht.
„Nein!", flog die Stimme des Baron Tikalen dazwischen. „Nicht Ihr sollt reden, sondern ich!" Des Hochgeborenen Schwertfaust schlug auf die Sessellehne hernieder.
Ein wütender Blick ging zurück: „Schweigt, Tikalen! Wollt Ihr mir immerfort Ärger bereiten? So muß ich die angedrohten Strafen doch noch..."
„Ruhig, meine Herren, ruhig!" Der Tegalliani hatte laut gerufen. Dann wandte er sich dem just aufgefahrenen Freiherrn zu: „Hochgeboren, haltet ein! Es ist altes Recht im Grangorer Land, daß der Adlige von höchstem Rang als Erster soll im Rat die Rede führen. Das ist, nach dem verwaisten Stuhl Phecadiens die Gräfin Bomed, und dann erst Ihr." Es endete der Kanzler, und viele dachten an Graf Kalman, und was er wohl gesagt.
„Was Ihr sagt, Edelhochgeboren, ist mir wohl bekannt,", entgegnete Tikalen gefaßt, und er stellte sich ruhig hin, die Hände an den Hüften, daß alle sehen konnten, was für ein wohlgebauter und vornehmer Mann er war. „Doch ist's ein ebenso altes Gesetz, daß kein Secretario soll im Rat für einen sprechen und seine Stimme halten."
Dem entgegnete des Herzogs Kanzler unverzagt: „Hochgeboren, Ihr irrt. Es heißt in den Pergamenten, daß nimmer einer soll für einen sprechen und seine Stimme halten, und das im Grangorer Land, so er nicht selbst von Adel ist."
Da stakste ein Geweihter der Hesinde, ein junger Mann noch, auf den Läufer: „Verzeiht mir, Comto Tegalliani, doch Seine Hochgeboren haben recht. Die letzten Worte lauten: So er nicht selbst von Adel ist und Lehensland hält von dem, für den er vor die Stände tritt. Von Adel ist Herr Selinan nun, doch ein Lehen ist ihm nicht zueigen."
Der alte Kanzler legte seine Stirn in Falten und sann nach, dann nickte er: „Gut, Tikalen, Ihr mögt sprechen, und Herr Selinan soll hier schweigen, doch seid Euch sicher, daß Ihr es nicht allein um Eures Zwistes willen tut."
Mißgünstig schielte der Hofsecretario auf den Baron, als er hinter seiner Gräfin Stuhl zurücktrat, aber das Ziel seines Zorns wandte sich nicht zu ihm um. Des Hochgeborenen Blick ruhte fest auf des Comtos Gesicht: „Seid darum unbesorgt, Edelhochgeboren. Ich wollte die Ohren hier auf eine and're Frage lenken,", er strich sich mit der Rechten durch den schwarzen Bart, „Unumwun-den, Kanzler, frage ich Euch, warum der Herzog Garlischgrötz uns seine Achtung verwehrt?"
„Ihr habt's vernommen, Hochgeboren, es ist Bosheit nicht, noch ein Mangel an Achtung, daß Seine Hoheit heut nicht hier sind. Triftige Gründe hat's."
„Und doch vermögen mich die artigen Worte nicht darüber zu täuschen, daß Seine Hoheit diesen Landtag geringer als einen Hofball dünken. Es bleibt ein Affront!"
Beifälliges Rufen aus allen Reihen ließ ahnen, was die anderen Herrschaften davon dachten. Der Comto Kanzler tat den Mund auf, doch der Tikalen fuhr fort, und seine Augen sprühten vor Eifer: „Gerad in diesen Zeiten, die für das Herzogtum nicht einfach sind, sollten sich Seine Hoheit wohl mehr auf Ernst besinnen. Wohin ich schaue, ist nur schlechtes Werk und üble Tat! Der Graf Phecadien gefallen, die Gräfin Bomed an die Lagerstatt gebunden, der Baron Veliris verschollen. Vögte und Schreiber beherrschen das Land, und kein Edler ist da, sie zu halten!" Eine Unruhe entstand unter den Signori. „Und wie sie wirtschaften, diese Schreiber! Sie stecken wohl die Hälfte von allem, was sie eintreiben, in ihre eigenen Säckel. Und all das geschieht..."
„Nehmt das zurück!", rief Herr Firdon Garlischgrötz, der Herzöglich Vogt im Velirischen, und manche Dame und mancher Herr aus Hofkanzlei oder Hofgericht tat's ihm gleich oder ähnlich.
„Und all das geschieht,", der Hochgeborene ließ sich nicht beirren, „während der Feind an unsren Grenzen steht. Bei allen Zwölfen, das darf doch wohl nicht möglich sein!" Der Baron wandte sich zu den Ständen: „Drum, meine Herrschaften, laßt uns nicht lange reden, sondern handeln. Und nicht nur zu Phecadien und Herzogsgeld laßt uns Beschlüsse fassen, sondern zu Veliris, den verdammten Vögten und all den Fehden gleichermaßen. Es muß das Herzogtum in Stärke stehen, sonst mag's dem Garether nicht die Stirn bieten!"
Ein Beifall hier, ein Schmähruf dort, die Stände waren am Rumoren. Die Signora Zyrasia von Sewadâl übertönte alle: „Wenn der Herzog von uns Steuern will, dann soll er kommen, sie zu holen!" Dann ging's so rasch durch alle Ecken, daß ich nicht weiß, wer was gesprochen: „Den Herzog woll'n wir sehen und nicht den Kanzler!" - „Phecadien bekommt er nicht." - „Die Hofkanzlei ist verdorben - hinfort damit!" - „Laßt uns das Herzogsschloß hier verlassen! Mag die Hoheit ruhig nach Venga kommen!" - „Nach Bomed gar ist's weiter von Grangor!"
Den alten Comto Tegalliani, der sich mühte, Ruhe und Ordnung zu schaffen, vernahm man erst, als er fast schrie und drohte, die Verhandlung zu schließen. Da frug ihn die Praiosdienerin Tauralia spitzfindig, ob der Edelgeborene denn selbst ein Lehen von des Herzogs Gnaden halte. Wie der Kanzler darauf heiser verneinte, sprach sie ihm triumphierend das Recht ab, für seinen Herrn zu sprechen und die Versammlung zu behindern, habe er doch mit eigenem Munde vorhin dem tikalschen Baron das Gesetz bestätigt.
So ging es denn lautstark weiter, des verzweifelten Comtos Mahnen ungeachtet, bis die Herrschaften beschlossen, den Herzog in eigener Person nach Bomed zu fordern, wohin sie des Landtages Sitz verlegen wollten. Allein auf diese Weise möge er noch das Veto wider die Entscheidungen der Stände führen, oder mit Waffengewalt, so er sich dazu imstande fühle.
„Aber ihr Damen und Herren, was sprecht ihr da? Ihr könnt doch nicht..." Der Rest von des Tegallianis flehentlicher Rede erging sich in einem Hustenanfall.
Der Baron Tikalen entzog ihm wieder das Wort: „Also dann, auf nach Bomed!" Sprach's und schritt über den Läufer und durch die Flügeltüren aus der Halle hinaus. Und während ihm andere nachfolgten, seinen Ruf aufgriffen und ihre Freunde mit sich zogen, kniete ein Page neben dem armen Kanzler, der sich immer noch wie ein Ertrinkender wand. Und sieh, binnen weniger Augenblicke war der Grosze Saal bis auf ein klägliches Dutzend geleert. Was blieb da dem Edelhochgeborenen, wieder aufgestanden und bei Atem, als seinem Herrn einen berittenen Boten mit der schlimmen Kunde zu senden?

Von dem Landtag zu Bomed

So geschah's, daß am 25. RON die Ständeversammlung im Schlosse Hausbach zu Altbomed wieder zusammentrat, diesmal zu tagen, „bis daß Signum und Siegel unter den Beschlüssen seien" (Stadtmeister Pêr Fröhling). In den Tagen zuvor hatten eifrige Diener und Mägde die weiten Flure und Hallen der selten genutzten und darum leerstehenden Grafenresidenz in eine würdige und wohnliche Stätte verwandelt. Und nun, am neuen Ort, folgten die Entschlüsse Streich auf Streich.
Zuerst ward der Tikalen zu des Ständetages Vorsteher erwählt, dann, noch am ersten Abend erging der Ruf nach einem allgemeinen Landfrieden. Am 26. ward dem Velirschen Herzogsvogt das Recht, ein solcher zu sein, abgesprochen, worauf dieser gar heftig protestierte. Der Signor Romualdo ya Cantarra möge die Herrschaft an seiner Statt und einstweilen bis zu des Landtages Schluß verwesen. Phecadien, die wehrhafte Grafschaft, solle nimmer an den Garlischgrötzschen gehen. Die Versammlung bestimmte die Signora Alvana di Yaladan von Unterfels zu Lûmian zur Landt-Vogtin auf Widerruf. Am nächsten Tage forderten die Stände für sich vermehrte Competencen und ein Kammer-Gericht zu Venga, unabhängig von des Herzogs Hand. Die beiden folgenden Praiosläufe gingen mit Streit um Hofkanzlei und Hofgericht dahin. Am 30. erklärten die hohen Herrschaften die gerade genannten Einrichtungen für aufgelöst, ihre Mitglieder hatten die Versammlung umgehend zu verlassen. Am 1. EFF beging man gemeinschaftlich den Tag des Wassers. Zur ersten Perainestund des 2. bliesen die Fanfaren: Der Herzog war gekommen.

Von dem zähen Ringen

Das Aufeinandertreffen der Hoheit und der Stände verlief, sehr zum Mißmut der zahlreichen Spectatoren, in beschaulichen Bahnen. Des Herzogtums Beherrscher hielt mit seiner Wut, so er sie denn verspürte, zurück, zumal die Herrschaften auf der anderen Seite ihm den gebührenden Respekt zollten. In Seiner Hoheit Beisein schritten die Beratungen voran, bis der Baron Broderico und fünf weitere Gesandte Ihr zur zweiten Boronstund des darauffolgenden Tages die Forderungen des Bomeder Landtages vorlegten. Der Herzog Cusimo versprach, es zu beschauen und sich gut zu beraten, drum er sich auch sechs Praiosläufe Bedenkzeit ausbat. Die möchte man ihm wohl gern gewähren, sprach Tikalen, und allen war es recht.
Derweilen kamen die Stände zu diversen Lustbarkeiten zusammen, von denen der Rotrosenball am 9. EFF im Schlosse Hausbach selbst wohl die prächtigste war. Am zehnten Tage dann fanden sich die Abgeordneten, wie besprochen, in dem Palazzo Teffalura nahe der Stadt ein, wo Seine Hoheit Sitz bezogen. Freundlich wurden sie durch den Herzog empfangen, doch mit freudloser Kunde kehrten sie zurück. Nämlich, daß die Hoheit weitere sechs Praiosläufe verlangt, die Zwölfzahl zu erfüllen. „Denn schwierig ist's und langwierig, und jede Hilfe von droben möchte gern willkommen sein,", hatte sie gesagt.
Da gingen die Tage der Muße weiter und die Herrschaften zur Jagd, zur kleinen Velirschen Messe oder zum Ball auf Yaquirwacht, und hie und dort wurde schon die Unruhe laut. Böse Zungen munkelten gar, nur dies sei die Absicht des Garlischgrötzschen gewesen, doch darauf muß man nichts geben.
Zu Teffalura am 16. EFFerdtage traten die Gesandten wiederum vor der Hoheit Antlitz, das herzögliche Urteil zu erfahren. Es war kaum ein Staunen dabei, als der Herzog von Grangor den ständischen Postulaten sein Siegel verwehrte. Abfällig habe er beschieden, so redete der Herzog Cusimo, nicht weil sie frech und ohne Berechtigung seien (und ließ damit offen, ob er denn so von ihnen dünkt), nein, weil sie dem Herzogtum allein Übles einbrächten. Und darum und im Weiteren hätten er und seine erprobten Räte - ein Blick zum Comto Tegalliani - ein ausgefeiltes Dokument aufgesetzt, daß die Stände ihrerseits nur noch zu siegeln bräuchten. Der Tikalen empfing's aus der Hoheit Hand, tat sich knapp verbeugen und zog sich zurück, die Anderen folgten nach.
In der Hausbachschen Halle ward des Herzogs Schrift dann verlesen, und zum Unfrieden der anwesenden Damen und Herren war's, einige Itzelchen unbesehen, genau das, was der Garlischgrötz bereits zu Anfang verlangt. Zudem, daß Herr Firdon aus seinem Geschlecht wieder zum Vogt und auch alle, die zur Kanzlei oder zum Gerichte gehörten, wieder in ihre vormaligen Ämter bestallt werden. Da war's ein Toben und Zahnknirschen im Landtage und einem jeden klar wie ein sonniger Firunstag, daß die Verhandlungen zu keinem raschen Abschluß kommen würden.

Von einem falschen Baron und einem rohalschen Urteil

Als die Stände und der Herzog über die velirischen Lande im Zank lagen, wo Letzterer an seinem Anverwandten festhalten und die Ersten ihren Verweser mit der Freiherrenkrone schmücken wollten, trat am 21. EFF unvermittelt ein Fremder im Wappenrocke vor die Versammlung, worauf ein Raunen durch die Reihen glitt. Der zog den Hut vor Hoheit und Herrschaften und nannte sich Paladûr von Balther, rechtmäßiger Prätendent auf den Velirischen Stuhl aus der direkten und unverfälschten Linie des letzten Barons, frei von Schuld an irgendwelchen Intrigen und Conspirationen und ergo erbberechtigt.
Da hielten die Signori den Atem an und erstaunten, daß der hitzige Wettstreit der Worte auf diese Weise sollte beendet werden. Doch noch ehe dem Neuankömmling allzuviel Achtung zugekommen war, fuhr der Tikalen, der ein Nachbar und Freund des alten Barons gewesen war, Herrn Paladûr in einer Weise an, daß ihm vor Angst und Bange der Hut vom Kopfe fiel.
Was er sich wohl dünke, hier vor der Hoheit und allen Ständen ein schändliches Lügenspiel zu wagen, habe Seiner Hochgeboren Name doch auf Bandor von Balthar gelautet und keinesfalls anders, und zudem, wo Herr Paladûr bis auf das blonde Haar nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Verschollenen aufweise! Und auch mit einigen unschönen Ausdrücken bedachte der Baron den Fremdling, aber doch in Maßen, wie es sich in Seiner Hoheit Beisein geziemt.
Und diese, der Herzog Cusimo, sprang auf vom hohen Stuhl und wollte gerade Rede und Antwort verlangen, da machte der Aufschneider auf dem Absatze kehrt, nahm die Beine unter die Achseln und entschwand durch den Tumult und ein offenstehendes Fenster ins Freie. So hat er wohl die Rechenschaft verweigert und doch abgelegt.
Die Debatten aber gingen noch einige Tage weiter, und kein Ende mochte in Aussicht scheinen. Da gab ein Signor aus Schradok, ein Zwergling, Beregram, Sohn des Badatosch mit Namen, den Rat, beide Vorschläge und auch all' die anderen bis dahin vorgebrachten ruhen zu lassen und zu prüfen, ob nicht der jüngste und letzte Zweig des alten Velirischen Hauses doch frei von Schuld und Arg sei, und ob er einen rechten Erben besäße, diesem das Lehen Veliris zur Verwaltung anzuvertrauen. Die Verblüffung war zunächst ungeheuer, hatte doch niemand mehr an eine solche Lösung gedacht, und waren die Fehden und Prozesse der Velirischen alter Linie, der drauf durch Richterspruch enterbten, doch in aller Munde gewesen. Das sei dann der Signor Ariano von Treuffenau, sprach Baron Broderico der Münzreiche, er kenne ihn wohl und wolle den Antrag auch stützen. So wurden die Akten erneut geprüft, und niemand vermochte einen Makel auf den Treuffenau zu werfen, den Signor Beregram und andere Rechtskundige und auch der Tikalen nicht zu zerstreuen wußten. Also tat sich dann ein nues Tor auf, daß für alle gangbar war. Und da ward's beschlossen, am 24. EFFerd, daß Signor ya Cantarra Reif und Siegel dem Treuffenau, alsbald Baron, übergebe.

Vom Schluß des Landtages

Und endlich, nach vier weiteren Wochen, kamen Herzogsstuhl und Landtag überein, und die Schreiber setzten auf die Urkunden, die zu siegeln seien. Am 27. BOR zeichnete Tikalen für die Grangorschen Stände, darauf am 4. HES der Rat und Comto Tegalliani für die Hoheit. Am 5. HES ward das Herzogssiegel auf die Schriftstücke appliziert, wonach die folgenden Beschlüsse Kraft und Gültigkeit besitzen:

1tens - Daß ein Landfrieden auf drei Götterläufe in den Grangorer Landen herrsche.
2tens - Daß der Herzog Garlischgrötz Graf Phecadien werde und der Comto Tegalliani, vormals Kanzler, sein Landt-Vogt.
3tens - Daß keiner denn des Signor Treuffenau Anspruch auf die Baronie Veliris rechtens sei.
4tens - Daß die Stadt Veliris ihr eigen Herr werde, mit allen Rechten und Pflichten.
5tens - Daß ein Gemeiner Herzogstaler in den Grangorer Landen erhoben werde, die Kassen zu füllen.
6tens - Daß die Versorgung des Landtages im nachhinein aus der Herzöglichen Kasse übernommen werde.
7tens - Daß die Grangorer Hofkanzlei und das Hofgericht, wiewohl nicht aufgelöst, doch reorganisiert werden.
8tens - Daß noch über der Grangorer Hofkanzlei und nur unter dem Herzog ein Mann oder eine Frau stehen solle, die von den Landständen erwählt und von der Hoheit berufen werde, und der oder die den Titel eines „Connetabels von Grangoria" trage.
9tens - Daß der Connetabel auf Wohl und Wehe des Herzogtumes achtgebe und auch Oberst des Land-Regimentes sei.
10tens - Daß der Landtag in schwierigen Fällen als Instanz über dem Hofgericht stehe.
11tens - Daß der Herzog der Horas den Vorschlag der Grangorer Landstände für das Amt ihres Reichs-Cammer-Richters überbringe.
12tens - Daß der Landtag sich nun in jedem zweiten Götterlaufe versammle, Connetabel und Herzog guten Rat zu erteilen.

Das sind die Beschlüsse des Landtages zu Bomed, der am 7. HES Baron Broderico von Berlînghan-Tikalen zum Connetabel kürte und von diesem am 8. HES verabschiedet wurde, und der bereits jetzt in den Schriften der Schreiber und Gelehrten der „Eherne Landtag" genannt wird.
Eine kleine Nota Bene zum Abschluß: Wem auch immer der sechste Passus der Schlußurkunde unbedeutend erscheinen mag, übersieht dabei die 44 Ochsen und 109 Schweine, die 5 Ox Wein und 6 Ox Bier sowie zwei Gros Hühner und vieles mehr, was die hohen Herrschaften verzehrt haben...

Frank Bartels
mit Beiträgen und Anregungen von:
Günter Borgschulze, Andree Hachmann, Andrej Pfeiffer, Jörg Raddatz und Sascha Wagner.