Archiv:Der tote Hund von Torneocampo (BB 39)

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Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 39, Seiten 24, 26-27 Schildwacht.png Datiert auf: Rondra 1035 BF


Der tote Hund von Torneocampo
von Torvon Tassilona


Der folgene Bericht ist ein Tatsachenbericht vom Morgen des 8. Rondra 1035 BF aus der Feder eines im Stadteil Torneocampo beheimateten Schreiberlings. Der Bericht spiegelt die Ereignisse rund um den ‘Ausmarsch’ der Mitglieder der Häuser Salsavûr und Urbet wider. Er wurde im Abstand von wenigen Tagen nach der ‘Feuernacht’ verfasst.

Torneocampo ist ein Stadtteil der einfachen Leute, die sich ihr täglich Brot als Handwerker oder Feldarbeiter auf den Ländereien direkt vor der Stadt verdienen. Es sind Leute mit einfachem Gemüt, deren Alltag sich meist um den zentralen Kornmarkt direkt vor dem Cassiener Tor an der äußeren Stadtmauer Urbasis abspielt. Sie beklagen sich selten und haben sich damit arrangiert, dass sie hier zu Füßen der Oberstadt oft im doppelten Wortsinne von oben herab betrachtet werden. Was vielen Bewohnern selbst der benachbarten Stadtteile nicht so bewusst ist, ist aber auch, dass es hier besonders viele offene Feuer gibt. Die Backöfen Torneocampos versorgen die ganze Stadt mit Brot, die Räucheröfen der Fleischer sind die Heimat der urbasischen Sikrami. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet hier in den letzten hundert Götterläufen zu den meisten kleineren Hausbränden gekommen ist.
Unvergessen bei vielen Bewohnern ist der als Rahjabrand in die Geschichte eingegangene Brand des Lagers der Zorgazo-Bäckerei am 1. Rahja 1018 BF. Nicht wegen seiner angerichteten Zerstörung, war doch nur ein kleines Nebengebäude betroffen, sondern wegen der Opfer die er forderte. Hätten die zur Brandbekämpfung geeilten Mitglieder der Nachbarschaft der Lanze von den sieben Waisenkindern gewusst, die in der Bäckerei als Gehilfen arbeiteten und das Dachgeschoss des Lagers als Schlafstätte nutzten, hätten sie das Feuer vermutlich mit mehr Eifer bekämpft. So blieb vielen Marktbesuchern am Morgen des 2. Rahja der Anblick von sieben verkohlten Kinderleichen aber nicht erspart, die man aus den Trümmern zog. Die Geschichte dieses Brands kennt jeder Torneocamper auswendig. Und wegen ihr reagierten sie auf den Brand des Palazzo Casciano in der Oberstadt auch besonders bestürzt.
Beherzt, mutig und in der Bekämpfung von Feuern geübt, waren es organisierte Mitglieder der Milizen aus Torneocampo, die mit als erste am brennenden Palast ankamen. Bereits eine Stunde nach Ausbruch des Feuers war der halbe Stadtteil im Einsatz. Eimerketten wurden gebildet, die Versorgung der Brandbekämpfer organisiert und derlei mehr. Und doch war gegen das gewaltige Feuer zunächst kaum etwas auszurichten. Eher fraß es noch die, die sich ihm entgegenstellten.
Bereits kurz nach Ausbruch des Feuers wurde das erste Opfer aus Torneocampo betrauert. Ein gerade einmal siebzehn Götterläufe alter Junge wurde tot von Helfern zurück zum Kornmarkt gebracht und dort von Angehörigen betrauert. Er sollte nicht der letzte Leichnahm bleiben, der in dieser Nacht an dieser Stelle aufgebahrt wurde. Kurz vor Sonnenaufgang kamen zwei weitere Leichen hinzu. Ein beliebtes Mitglied der ansässigen Nachbarschaft der Lanze wurde zusammen mit seinem Sohn leblos aus den Trümmern gezogen, nachdem ein Teil der Außenmauer des brennenden Palazzos auf eine Gruppe löschender Helfer gestürzt war. Die Stimmung auf dem Kornmarkt war auf dem Tiefpunkt angekommen, als ein Wort die Runde machte und ein dazugehöriges Gerücht. „Brandstifter“, klang es aus vielen Kehlen. Erst geflüstert hinter vorgehaltener Hand, doch bald schon wie eine Welle verbreiteten sich die Neuigkeiten. Brandstifter! Das Gerücht, die Adelsfamilie Salsavûr hätte absichtlich den Palast der verhassten Urbets in Brand gesetzt, ließ die Stimmung von Trauer und Entsetzen schließlich umkippen in Zorn und Hass. Gerade in den Augen der Torneocamper war Brandstiftung so ziemlich das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnten.
Und genau hinein in die sich aufheizende Unruhe auf Kornmarkt kam eine weitere Nachricht, die einschlug wie der Blitz. Sie kommen! Die Adelsgeschlechter Salsavûr und Urbet zogen aus der Stadt. Die merkwürdigste Parade, die die Straßen Urbasis jemals gesehen hatten. Nicht hoch erhobenen Hauptes und federgeschmückt wie man es sonst als gemeiner Bewohner Urbasis zu Gesicht bekommt, sondern in einer Formation aus Geiselnehmern und Geiseln, gefolgt von einer Heerschar Gefolgsleuten der unterschiedlichsten Parteien. Einen Anblick, der seinesgleichen sucht, boten die höchsten Würdenträger der Stadt hier dar, gezeichnet von den Ereignissen der Nacht. Viele einst prächtige Gewandungen zeigten deutliche Spuren des Feuers und des Kampfes. Verbundene Wunden. Zerrissene Kleider. Rußgeschwärzte, müde Gesichter überall.
Dem Patrizier Abelmir Zorgazo gelang es mit Hilfe einer Handvoll bewaffneter Mannen eine Gasse auf dem Kornmarkt zu bilden, so dass die seltsame Parade der Adligen ungehindert, aber mit Hassparolen und Spottrufen aus dem Cassiener Tor gelangen konnte. Wohl auch der allgemeinen Verwunderung über den sich bietenden Anblick geschuldet, gelangten alle Angehörigen des Zuges vor die Stadt. Erst danach erhob sich der Zorn des Volkes in einem bisher nie gesehenen Sturm. Todesflüche und die Parole „Kopf ab dem Branstifter“ erklangen aus hunderten Kehlen und prasselten dem Zug der Adligen hinterher. Das von Abelmir und seinen Mannen eiligst verriegelte Tor wurde zu einem Zentrum aufbrausenden Hasses, der sich vor allem gegen die Salsavûr richtete.
Augenzeugen wollen gesehen haben, wie die verwundet aus dem brennenden Palazzo entkommene Patriarichin der Familie Zorgazo, Duridanya am Fenster des Geschlechterturms ihrer Familie gestanden hat, um der brüllenden Menge zu applaudieren. Hierbei handelt es sich wohl aber nur um ein Gerücht. Wie später bekannt wurde, war Duridanya zu diesem Zeitpunkt aufgrund vom heftigem Blutverlust aus einer Armbrustbolzenwunde nicht bei Bewußtsein. Ob es eine andere Dame des Hauses war, die Duridanya eventuell ähnlich sieht, mag spekuliert werden.
Den von Abelmir organisierten Ordnungkräften gelang es jedenfalls stundenlang nicht, der Unruhen auf dem Kornmarkt Herr zu werden. Heftige Verwüstunden waren die Folge. Der wütende Pöbel Torneocampos verrammelte auf seine Art ungehindert das Cassiener Tor, um symbolisch die Familien Salsavûr und Urbet auszusperren. Bis zum Mittag des 8. Rondra stapelte sich vor dem Tor eine Barriere aus Gerümpel, Tischen, Stühlen und Brettern aller Art. Der Platz glich bei wiedereinkehrender Ruhe einem Schlachtfeld. Diebesbanden nutzten das Durcheinander um sich ungehindert zu bereichern und am Abend des 8. Rondra wurde gar eine Leiche aus einem Hinterhof gezogen. Wie sich im Nachhinein feststellen ließ, wurde hier eine noch offene Rechnung eines Nachbarschaftsstreits blutig mit dem Messer beglichen.
Ein deutliches Zeichen ihres Zornes brachten die Torneocamper am Cassiener Tor an. Noch bis zum Mittag des 9. Rondra baumelte von Außen ein an einem Strick aufgehängter Straßenköter. Wohl nur deswegen, weil der Pöbel keinen Wolf auftreiben konnte – um das Wappentier der Salsavûr zu symbolisieren wurde als nächstbestes ein Hund erhängt. Doch was könnte besser die allgemeine Meinung der Bewohner Tornecampos widerspiegeln als ein erhängter reudiger Straßenköter?

Torsten Schult