Briefspiel:Das Erbe des Siegelmeisters (Rondra 1046 BF) (4)
Beteiligte (irdisch) |
Palazzo Cirrention, 19. Rondra 1046 BF
Autor: Philburri, Der Sinnreiche Junker
Auf dem kurzen Weg am Fuße der Grafenhöhe vom Palazzo Bolburri zum Palazzo Cirrention kam Cassius noch einmal das gestrige Gespräch in den Sinn. Er hatte, wohlweißlich erst kurz vorher, seinem Vater von dem bevorstehenden Treffen mit dem Centenario erzählt. Bassiano reagierte, wie so häufig in den letzten Tagen, dünnhäutig und jähzornig, und warf seinem Sohn fehlende Loyalität vor. „Was fällt Dir ein, Dich ohne meine Zustimmung mit diesem ehrenlosen Mann zu treffen? Das haben wir nicht nötig!“ Auch seine Erwiderungen und Erklärungen hatten seinen Vater nicht umgestimmt und er ließ den wütenden Wortschwall über sich ergehen. Seither hatte er seinen Vater nicht mehr gesehen und gesprochen.
Schon seit ein paar Tagen machte er sich Sorgen um seinen Vater. Der alte Mann war zunehmend aufbrausend und jähzornig, vor allem wenn es um die Leistungen von sich und seiner Familie ging. Cassius vermutete, dass ihm der Tod seines Bruders mehr zu schaffen machte als er zugab. Mit eiligen Schritten umrundete Cassius den Palazzo Cirrention und ging die wenigen, großen Treppenstufen zum Eingang nach oben. Der Majordomus persönlich öffnete ihm und brachte ihn direkt in den kleinen Salon im privaten Bereich der Familie. Beim Anblick von Rafik von Aranjuez verspürte Cassius einen leichten Ärger. Er war als letztes gekommen.
Targuin begrüßte ihn freundlich. „Signor Cassius, schön dass Ihr da seid.“ Nach dem Schatzmeister begrüßte Cassius den Centenario, dabei setzte er ein bemüht herzliches Lächeln auf. Danach nahm er den ihm gereichten Pokal Weißwein, setzte sich auf einen der bequemen Sessel und nutzte das Prosit und einen ersten Schluck, um seine Gedanken zu sammeln. Viele Worte wollte er vorneweg gar nicht verlieren.
„Ich freue mich und danke Euch, dass Ihr die Einladung unseres gemeinsamen Freundes Targuin angenommen habt, Dom Rafik. So wie ich es verstanden habe, hat sich mein Vater wohl äußerst respektlos Euch gegenüber verhalten. Deswegen möchte ich mich ehrlich bei Euch entschuldigen und hoffe, dass Ihr meinem Vater seine Worte verzeihen könnt.“ Er blickte den Centenario offen an und hoffte, dass die Schwierigkeiten beim Aussprechen dieser Entschuldigung nicht zu bemerken war.
Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeiten musterte Rafik von Aranjuez den jüngeren Bolburri bei dessen Worten aus seinen ausdruckslosen grauen Augen, welche kaum jemals preisgaben, was der Centenario wirklich dachte. So erreichte auch dieses Mal das Lächeln im Antlitz des Almadaners nicht dessen Augenpartie. „Ich danke Euch für eure freundlichen Worte, Messer Cassius, und will gerne Eure Entschuldigung annehmen. Euer Vater mag sich, insbesondere ob der Örtlichkeit, ein wenig im Tone vergriffen haben. Doch erinnere ich mich vornehmlich daran, dass er mich einen Almadaner und einen Landadligen geheißen hat. Nun ja…“, wechselte er einen schmunzelnden Blick mit ihrem Gastgeber und hob entwaffnend die Hände „…beides entspricht zweifellos der Wahrheit und ich erachte weder das eine noch das andere als schimpflich.“
Er griff zum Weinkelch und hob ihn prostend erst dem Bolburri und dann Targuin Hal Cirrention entgegen: „Daher freue ich mich, dass Signor Targuin so freundlich war diese Zusammenkunft zu arrangieren. Und möchte auch weiterhin auf gedeihliche Zusammenarbeit unserer Familien trinken. Zum Wohle von Unterfels.“ Nur eine Formalität? Ein Friedensangebot? Oder offerierte der Advocatus gar eine Zusammenarbeit? Wie immer verrieten seine Augen nichts von seinen Absichten.
Auch wenn Cassius die Absichten des Centenario nicht einschätzen konnte, hoffte er, dass Rafik aufrichtig war. Er freute sich erst einmal, dass der emotionale Ausbruch seines Vaters augenscheinlich keinen weiteren politischen Schaden verursacht hatte. Dennoch nahm er sich vor, vorsichtig zu sein.
Cassius prostete lächelnd den beiden anderen zu. „Ich freue mich über Eure Worte der Vergebung. Lasst uns nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander zum Wohle der Stadt – und auch unserer Familien.“ Er sah den Centenario direkt an. „Nun, Dom Rafik, habt Ihr inzwischen schon jemanden für das Amt des Siegelmeisters vorgesehen?“
Rafik von Aranjuez ließ sich ausnehmend viel Zeit und schien zunächst lieber dem Geschmack des Weines auf seiner Zunge nachzukosten. „Ein exzellenter Tropfen, Signor Targuin“, lobte er dann dementsprechend auch mit einem anerkennenden Nicken in Richtung des Gastgebers, ehe er sich wieder an den Bolburri wandte. „Es wird bald eine Entscheidung geben, Messer Cassius - ja, ich möchte soweit gehen zu sagen, dass die Entscheidung beinahe schon gefallen ist. Allerdings wurde mir noch ein weiterer Kandidat angekündigt, dessen Bewerbung bislang leider noch nicht eingegangen ist. Eine ehrenwerte Familie, welche sich seit Generationen um Unterfels verdient gemacht hat. Die Höflichkeit gebietet es hier noch zwei, drei Tage abzuwarten.“ Der Centenario lächelte süffisant, ob sein Gegenüber wohl verstand.
Sollte Cassius sich über den Kommentar des Centenarios ärgern, so merkte man es ihm nicht an. Er zeigte ein einladendes Lächeln und erwiderte: „Ich kann nicht erwarten, dass Ihr die Verdienste der Familie in der Historie der Stadt würdigt. Aber, verehrter Dom Rafik, es freut mich zu hören, dass Ihr unsere Leistungen und unseren Wert in der heutigen Zeit seht und uns berücksichtigen wollt. Und, um Euch die Entscheidung ein wenig zu vereinfachen, möchte ich Euch vorschlagen, das Amt des Siegelmeisters an meinen Vetter Malvolio zu geben. Er ist ein exzellenter Jurist, vor allem im Vertragsrecht. Er wird Euch ein zuverlässiger und gewissenhafter Siegelmeister sein. Solange Ihr ihm ein gerechter Herr sein werdet, wird er Euch ein loyaler Diener sein. Ich hoffe, dass wir so wieder ein besseres Verhältnis miteinander haben werden und beide Familien davon profitieren.“ Er prostete dem Centenario zu und war auf seine Antwort gespannt.
„Ah“, hob der Centenario mit hintergründigem Lächeln die Augenbrauen und erwiderte das Zuprosten, wenngleich er beim Trinken mehr über den Kelchrand hinweg seinen Gegenüber im Auge behielt, als dass er den soeben noch gelobten Tropfen genoss. „Wenn mich nicht alles täuscht, so liegt dem Ufficio della Centena bislang keine Bewerbung aus dem Hause Bolburri vor.“ Mit gespieltem Bedauern hob er die Hände, den Weinkelch somit kurze Zeit nur noch mit zwei Fingern umfassend. „Selbstverständlich können nur Bewerbungen berücksichtigt werden, welche auch rechtzeitig eingehen. Und wie gesagt, die Entscheidung ist beinahe schon gefallen…“ Es gelang ihm tatsächlich einen bedauernden Unterton in die Stimme zu legen und wäre da nicht das wohlwollende Lächeln ihres Cirrention’schen Gastgebers, so könnte man beinahe meinen, es handele sich mitnichten um eine Scharade. „Aber davon einmal abgesehen, begrüße ich Euer Ansinnen einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Zweifellos ist Unterfels und seinen Bürgern am Besten gedient, wenn man zusammen und nicht gegeneinander arbeitet.“ Nun war es an ihm den Weinkelch wie zur Bekräftigung seiner Worte prostend anzuheben.
„Ihr werdet morgen direkt eine Bewerbung erhalten, damit sie dann sicherlich fristgerecht eingereicht ist – auch wenn gar keine Frist veröffentlicht wurde. Aber es sei wie sei.“ Cassius machte eine wegwischende Geste. „Ich würde gerne noch einen anderen Punkt mit Euch besprechen. Zusammenarbeit ist da ein gutes Stichwort.“ Seine folgende Geste schloss auch den Gastgeber mit ein. „Es ist nicht mehr lang zum Arindontag und die Familie Bolburri würde sich gerne an der Ausrichtung der Feierlichkeiten beteiligen. Was haltet Ihr von einer Beteiligung? Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns an den Feierlichkeiten auf dem Arindonsplatz direkt am Palazzetto Bolburri beteiligen.“
Lächelnd stellte Rafik von Aranjuez den Kelch beiseite und legte die Fingerspitzen aneinander. „Nun ja, ich will doch davon ausgehen, dass ein jeder, welcher ernsthaftes Interesse daran hat seiner Stadt in der Position des Siegelmeisters zu dienen, zeitnah vorstellig wird. Und dann weiß man es, wenn man die Bewerbung, den Kandidaten, vor sich hat. Natürlich…“, seufzte er gespielt „…kann man immer noch länger zuwarten, ob nicht doch noch ein noch fähigerer Kandidat vorstellig wird. Aber was soll ich von jemandem halten, der erst mehr oder weniger lange Zeit verstreichen lässt? Ist er – oder sie – dann wirklich mit dem Herzen dabei? So wie es Messer Therengar war?“ – „Auf Therengar Bolburri“, sprach Targuin Cirrention, welcher eigenhändig den Kelch seines Gastes aufgefüllt hatte. Pflichtschuldig erhob der Centenario prostend den Kelch und konnte so einige Augenblicke über den Vorschlag seines Gegenüber nachsinnen. „Gewisslich wäre eine Partizipation der Familie Bolburri eine Bereicherung für die Festivitäten an unser aller schönem Feiertag. Gleichwohl…“, neigte er sich leicht nach vorne und senkte die Stimme ein wenig ab, als gelte es Staatsgeheimnisse zu parlieren „…könnte sich darüber hinaus auch noch ein Platz im Kreise der Stifterfamilien finden. Was meint Ihr, Signor Targuin?“
Der Angesprochene stellte seinen Weinkelch ab. „Ich denke, für das Gedenkfest sowie die Feierlichkeiten wäre es ein Gewinn, wenn Eure Familie sich beteiligt. Und auch für Euch sollte sich die Beteiligung lohnen. Sicherlich könntet Ihr auch noch mit Signor Madadan sprechen und Euch die Feierlichkeiten auf dem Arindonplatz aufteilen. Vorausgesetzt, Ihr bevorzugt eine Beteiligung direkt vor der Haustür. Die Stifterfamilien treffen sich regelmäßig, um die wichtigsten Absprachen zu treffen. Es wäre uns eine große Freude, wenn Ihr bei der nächsten Zusammenkunft teilnehmt.“ Cassius verneigte sich vor dem Centenario und auch vor Targuin. „Ich danke Euch für Eure Fürsprache!“
Der Centenario legte nachdenklich das Haupt mal in die eine, mal in die andere Richtung. „Der Arindonplatz wird freilich kaum umsonst zu haben sein. Auch nicht eine Hälfte. Das wird etwas kosten, dass die Rûndocca eine solche prestigeträchtige Lokalität die eigenen Clientes zu bewirten, teilen.“ Schmunzelnd hob er den Kelch zu den Lippen, trank aber nicht, sondern sprach etwas gedämpft, wie nebenbei, in das Gefäß: „Wenn mich nicht alles täuscht, mein lieber Signor Targuin, ist Euer Verhältnis zu Signor Madadan etwas…unterkühlt, nicht wahr? Nachdem Eure Familie es mit Veliris hält, die Rûndocca aber mit Berîsac?“ Genüsslich trank er dann doch einen Schluck uns ließ seine Worte ihre Wirkung entfalten. Wer da wohl behilflich sein könnte? Oder würde sich der Bolburri mit einer weniger prominenten Ecke der Sternenstadt zufrieden geben?
Das Oberhaupt der Familie Cirrention schien sich über die Erwähnung des Hauses Berîsac nicht zu freuen und lächelte dem Centenario müde zu. „Unterkühlt… das trifft es ganz gut. Eigentlich habe ich mit der Familie keinen Streit, aber leider seid Ihr nicht der Einzige, der immer wieder betonen muss, dass Rûndocca mit Berîsac verbandelt ist. Wenn Madadan dies nicht ständig jedem und jeder unter die Nase reiben müsste, könnten alle Beteiligten ganz gut miteinander leben.“ Er seufzte. „Aber deswegen habe ich aber auch gesagt, dass Signor Cassius sich an Madadan wenden soll.“ Cassius nickte Rafik von Aranjuez zu. „Richtig, Dom Rafik, die Familie Rûndocca wird den Ort sicherlich nicht umsonst hergeben. Ich werde mal mit Madadan sprechen. Entweder, wir werden uns einig. Oder die Bürger von Tuffino bekommen für das Arindonsfest ein besseres Angebot an einem anderen Ort.“ Er lächelte süffisant. „Targuin, Ihr wisst nicht zufällig, woher die Familie Rûndocca ihren Weinvorrat für das Fest bezieht? Von Euch sicherlich nicht, oder?“
„Wohl kaum“, grinste der Angesprochene schief. „Aber wohl auch nicht von den Rinaldo.“ Das zweite bedeutende Handelshaus in Unterfels galt gleichermaßen als mit dem Hause Veliris verbandelt, sodass sich die Situation für die Rûndocca am Ende nicht anders darstellte wie gegenüber den Cirrention. „Wenn Ihr es wünscht…“, warf Rafik von Aranjuez ein „…so kann ich Erkundigungen einholen, ob sie ihren Wein in Almada einkaufen. Allerdings gehe ich davon aus, dass ich es mitbekommen hätte, wenn dem so wäre.“ Offensichtlich nachsinnend drehte er den Weinkelch in den Händen, um dann hinzuzufügen: „Marktherr oder Zensor könnten Gewiss in Erfahrung bringen, woher der Wein stammt. Leider unterstehen sie dem Senescalio, welcher bekanntlich niemand anderes als Drugon Rinaldo ist. Gewisslich würde Signor Rinaldo misstrauisch, wenn die Konkurrenz…“, sein Blick fiel kurz auf den Cirrention „…diesbezüglich inquirieren würde. Aber vielleicht Messer Arrenio als Erster Gildenmeister? Er vertritt auch die Gilde der Yaquirschiffer im Kleinen Rat und die Schauerleute dürften wissen, woher größere Ladungen stammen…“
Unschlüssig schaute Cassius in seinen Weinkelch. „Sicherlich gibt es einige Amtsträger, die von den Lieferungen für das Arindonsfest wissen. Aber wenn zu viele Fragen gestellt werden, wird dies eben auch schnell auffällig.“ Cassius nahm sich ein wenig Zeit für seine Gedanken. Er konnte sich über die Loyalität des Centenarios nicht sicher sein, deswegen war es vielleicht unklug, allzu offen in dieser Angelegenheit zu sein. Auf der anderen Seite war dies auch eine Möglichkeit, sich anzunähern und Vertrauen aufzubauen. Er trank einen Schluck, dann nickte er Rafik zu. „Über die Arbeiter am Hafen etwas herauszufinden ist vielleicht eine gute Idee. Dem gehe ich mal nach. Wenn Ihr der Spur nach Almada nachgehen könntet, wäre ich Euch dankbar. Und wenn Euch noch andere Informationen zufallen, lasst es mich gerne wissen.“ Sein Neffe Sertorius wusste bestimmt etwas darüber, aber das wollte er hier jetzt nicht kundtun. Er seufzte. „Aber vielleicht braucht es diese Intervention gar nicht und ich kann mich mit Madadan einigen...“