Briefspiel:Verschollen (5)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: Ende Rahja 1039 BF bis Anfang Praios 1040 BF Schauplatz: Urbet, Umland Aldan und Arivor, Burg Quellstein Entstehungszeitraum: 2018-2024
Protagonisten: Sanjana ya Malachis, Rondrigo Pelargon, Lorian di Salsavûr, Timor Sâl d. J. di Salsavûr und andere Autoren/Beteiligte: Familie ya Malachis.png Cassian, Haus di Salsavur.png Rondrastein
Zyklus: Übersicht · Ein besorgniserregender Brief · Eine zufällige Begegnung · Eine unerfreuliche Begegnung · Gefunden · In Sicherheit · Ein Schrei


Der letzte Tag Tagen des Rahjamonds 1039 BF, in einem Gasthaus an einer Straße im Umland Arivors

Am nächsten Morgen brachen die Montarener beizeiten auf. Timor wurde auf einen Karren gebettet und in die Mitte genommen. Da man erwartete, dass Sanjana ebenfalls in der Mitte ritt, konnte sie ein Auge auf ihren Geliebten halten, der allerdings nicht wirklich zu Bewusstsein kam. Laut der Medica hatte er viel Blut verloren.
Genau aus diesem Grund bewegte sich der Trupp auch sehr langsam. Auch das kam Sanjana entgegen, denn sie spürte deutlich, dass sie sich in den letzten zwei Tagen zu viel abverlangt hatte, ihr Rücken schmerzte und gelegentlich zog ein unangenehmer Schmerz durch ihren Unterleib.
Rondrigo hingegen schien sich zunehmend zu fangen. Er entwickelte sehr schnell einen Instinkt dafür, was seine neue Herrin brauchte, und war auch sonst sehr anstellig.
Auch wenn es nach Montarena nicht weit war, brauchten sie aufgrund des langsamen Tempos, doch zwei Tage und erreichten die Burg Quellstein am letzten Tag des Rahjamonds.
Sanjana hatte unterwegs nichts gesagt aber ihre Rückenschmerzen waren eher schlechter, denn besser geworden und auch der ziehende Unterleibsschmerz trat häufiger auf. So langsam beschlich sie der Verdacht, dass mit dem Kind etwas nicht passen könnte und so rang sie sich schließlich dazu durch, nachdem der Trubel der Ankunft verebbt war, Lorian darum zu bitten nach einer Hebamme zu schicken.
Die Frau mittleren Alters war etwas untersetzt und strahlte Ruhe und Erfahrung aus. Sie hatte ihre in etwa vierzehnjährige Tochter dabei und gab dieser während der Untersuchung gemurmelte Erklärungen. Außerdem stellte sie Sanjana Fragen nach dem Verlauf der Schwangerschaft. Nach ungefähr einer halben Stunde erklärte sie der werdenden Mutter: „Signora, ihr steht kurz vor der Geburt, das wisst ihr ja selbst. In den letzten Tagen ist das Kind in den Geburtskanal gerutscht. Reiten ist da sehr hilfreich, genau wie Treppen steigen. Ich rate Frauen, bei denen sich die Geburt verzögert immer dazu. Euer Kind hat das sehr gut gemacht, es liegt völlig richtig. Was ihr spürt, sind die ersten Probewehen, es will in den nächsten Tagen geboren werden.“

Eine schockierte Schwangere

„Aber es sind die NAMENLOSEN Tage!“ Sanjana war entsetzt.
„Das ist das Problem“, nickte die Hebamme. „Das Kleine ist zu schnell. Wir können versuchen die Geburt zu verzögern. Das heißt aber für euch so wenig wie möglich bewegen. Ihr müsst liegen bleiben! Ich bereite euch einen Trank, der die Wehen hemmt und verzögert.“
„Die Geburt war auf Mitte Praios errechnet. Ich wollte zu meinen Schwestern fahren und das Kind zu Hause in Marudret bekommen“, wandte Sanjana etwas hilflos ein.
„Werte Signora, das könnt ihr vergessen. Wir haben Glück, wenn wir die Geburt bis nach den sternenleeren Tagen hinausziehen können. Und das klappt nur, wenn ihr strickte Bettruhe haltet!“ mahnte die Hebamme nochmals eindringlich. Sanjana stöhnte, das musste sie erstmal verdauen. „Ich werde jetzt gehen und den Trank vorbereiten. Das dauert zwei, drei Stunden.“
„Wenn ich mit dem Baron spreche, wärt ihr dann bereit die nächsten Tage hier auf der Burg zu verbleiben,“, fragte Sanjana. Sie fühlte sich mulmig und die Frau war ihr sympathisch.
„Sicher. Es wäre nicht das erste Mal“, schmunzelte Gerone. „Immerhin habe ich den Kindern der Baronin ebenfalls auf die Welt geholfen. Ich kann auch mit ihm sprechen, dann könnt ihr etwas ruhen“, schlug Gerone vor und Sanjana nickte zustimmend.

Im Arbeitszimmer

Als es an der eichenen Tür seines Arbeitszimmers klopfte, befand sich Lorian gerade in einem Gespräch mit seiner hochschschwangeren Frau, um sich gegenseitig auf den Stand der letzten Tage zu bringen. „Herein“, ertönte es aus dem Inneren des Gemachs.
Gerone Ayodon öffnete die Tür und betrat das Arbeitszimmer. Sie verneigte sich vor dem Herrscherpaar und grüßte höflich. Es war die Baronin, die fragte: „Nun Frau Ayodon, wie steht es um unseren Gast? Gibt es Grund zur Besorgnis?“
Die Hebamme wiegte den Kopf in einer Geste der Ambivalenz hin und her. „Ja und nein. Mutter und Kind sind wohl auf und in einem gesundheitlich guten Zustand. Die Geburt ist nicht mehr fern. Die Schmerzen, die die Signora verspürt, sind die ersten Probewehen. Stünden nicht die fünf dunklen Tage ins Haus würde ich sagen einer Geburt steht nichts im Wege. So aber würde ich gerne versuchen die Niederkunft zu verzögern. Das lässt sich mit strikter Bettruhe, wenig Aufregung und dämpfenden Kräutern erreichen. Es wäre allerdings gut, wenn ich vor Ort sein dürfte und nicht täglich den Weg zur Burg bestreiten müsste.“

Der Burgherr

Der Hausherr nahm die Aussage schweigend zur Kenntnis. Er war zwar nicht bewandert in der Medizin, aber ihn überraschte die Aussage der Geburtshelferin dennoch nicht. Als seine Frau zu ihm herüberschaute, nickte er kaum merklich. Er erkannte an dem Blick von ihr, welche Frage kommen würde, und stimmte dieser zu, ohne dass sie diese aussprach.
Ardare schmunzelte, ob der Reaktion ihres Mannes und dem blinden Verständnis zwischen ihnen beiden. „Dann soll es so sein, Gerone. Ich lasse euch ein Gemach in der Nähe unseres Gastes herrichten.“ Sie warf noch einen schnellen Blick auf den Baron, bevor sie weitersprach. „Wenn ihr noch etwas anderes braucht, wendet euch gerne an den Knappen meines Mannes. Er wird euch zur Verfügung stehen.“
Lorian verdrehte innerlich die Augen. Calvert war erst ein knappes Jahr hier und seine Frau hatte die Angewohnheit ihn regelmäßig anderweitig einzuspannen. Er hatte es mittlerweile aufgegeben dagegen vorzugehen, da Ardare einen guten Instinkt hatte, wann sie dies tun konnte und wann sie den Malachis besser nicht anders verplante. Abgesehen davon hatte der Junge ein wenig Ruhe auf der Burg verdient. Er war mit den Eisenwölfen und ihm jetzt einige Tage im Sattel unterwegs und hatte sich trotz seines jungen Alters gut geschlagen.

Im Gästeflügel

In einem anderen Zimmer in der Nähe des Schwangeren stöhnte ein Mann vor Schmerzen und schlug einen Augenblick später die Augen auf.
„Ah, ihr seid wach“, stellte Calvert in diesem Moment recht geistreich fest. Er hatte auf einem Stuhl neben dem Verletzten Wache gehalten, weil die Medica das so angeordnet hatte. Nun sagte er auf, was sie ihm aufgetragen hatte: „Wir sind in Montarena, auf der Burg und es ist der Abend des 30. Rahja. Ihr sollt liegen bleiben, bis Carisia euch etwas anderes erlaubt, ansonsten reißt sie euch persönlich den A…, na ihr wisst schon was auf.“
Timor brauchte etwas bis er den Knappen seines Vetters erkannte und schaute sich in dem Raum um, um sich zu orientieren. Danach ließ er seinen Kopf wieder auf das Kissen sacken. Er kannte dieses Zimmer. Es war sein Gemach, wenn er auf Burg Quellstein weilte. ‚Was verdammt nochmal war passiert‘, schoss es ihm durch den Kopf. Er war auf dem Schwerterfeld gewesen, beim Königsturnier… Die Erinnerungen kamen wieder, überall Feuer, ein ohrenbetäubender Schlag, Geschrei von sterbenden Menschen und Rössern…
Kurz schloss er wieder die Augen und atmete ruhig ein und aus, um die Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben. Oder viel mehr versuchte er es, das starke Atmen sorgte für einen Hustenanfall bei ihm. Er hatte sich offensichtlich mindestens eine Rippe gebrochen, diagnostizierte er sich selbst, als er wieder zu Atem kam.
„Wie bin ich hierhergekommen?“ Bei den Worten versuchte er sich mit dem Oberkörper aufzurichten, was ihm erst im dritten Anlauf halbwegs gelang, und fürchterliche Schmerzen verursachte. Sein Blick wanderte zu seinem linken Arm, der bandagiert und offensichtlich versteift worden war. Wieder ließ er sich ins Bett sinken und schaute Calvert fragend an.
Der Knappe hatte erstmal gewartet, bis sich der Gesichtsausdruck des Kriegers geklärt hatte, dann bot er Timor einen Becher Wasser an und während dieser daran nippte, erzählte der Junge: „Vor acht Tagen ist ein Stern auf Arivor gestürzt. Der Feuerschweif war bis hier zu sehen. Die Stadt ist ein Trümmerfeld. Lorian hat sofort einen Trupp zusammengestellt, um nach Arivor zu reiten. Dort ist das totale Chaos. Ein paar Dörfer sind völlig zerstört, in Arivor hat die Erde gebebt und es sind Spalten aufgerissen. Man kam kaum durch. Es war Glück, dass wir diese junge Cavalliera aus Urbasi getroffen haben, sie hat uns zu euch geführt. Ihr wart unter Trümmern verschüttet. Es hat ein bisschen gedauert euch da rauszubekommen und euch erstmal notdürftig für den Transport herzurichten. Richtig verarztet hat euch Carisia dann in einem Gasthaus außerhalb von Arivor.“
Timor hörte aufmerksam zu bei Cavalliera wurde er hellhörig: „Pamina di Bassalo? Sie lebt also? Ist sie auch hier?“
„Nein, sie war nur leicht verletzt und wollte nach Hause zurückkehren, um ihrer Familie zu berichten, aber stellt euch vor, meine Tante ist da. Ich hatte ihr geschrieben was passiert ist und sie hat sich sofort auf ihr Pferd gesetzt und ist losgeritten. Sie kam in dem Gasthaus an, als Carisia euch verarztet hat und...“
„Warte... Tante? ... Sanjana? Redest du von Sanjana?“ Der Gesichtsausdruck des Salsavûr zeigte Verwirrung. Was hatte Sanjana hier zu suchen, wusste er doch um ihren Umstand. War sie denn von allen guten Geistern verlassen sich und dem Kind, was sie unter dem Herzen trug, so einer Gefahr und Anstrengung auszusetzen…
„Wo ist sie?“ Während er die Frage stellte, versuchte er sich erneut langsam aufzusetzen, was ihm wieder erst nach einigen Versuchen gelang. „Jetzt sag schon Junge, wo ist sie!“

Ein widerspenstiger Verletzter

Je drängender Timors Worte wurden, desto zögerlicher antwortete Calvert. Langsam dämmerte dem Jugendlichen, dass er hier ein paar Feinheiten im Verhältnis zwischen den Erwachsenen wohl nicht richtig verstand. Irgendetwas Wesentliches schien ihm zu entgehen. Jedenfalls hatte der Tonfall und der Gesichtsausdruck von Timor sehr viel gemeinsam mit dem `Calvert-Fedor-ya-Malachis-komm-sofort-in-mein-Arbeitszimmer!-Gesicht´ seiner Mutter, dass ihm immer ein Donnerwetter verhießen hatte.
„In ihrem Zimmer“, antwortete er vorsichtig unbestimmt. „Ich kann ihr ja Bescheid geben, dass ihr wach seid. Das wird sie freuen. Signor Timor? Was macht ihr da? Ihr dürft nicht aufstehen, die Medica hat gesagt, die Naht geht sonst wieder auf. Ihr müsst bitte liegen bleiben.“ Calvert legte eine Hand auf Timors gute Schulter und drückte sacht. Mit der anderen angelte er nach dem Glockenzug für die Dienstboten.
Der Salsavûr ignorierte die letzten Worte des Jungen und stand dennoch auf. „Was heißt das ‚in ihrem Zimmer‘?“ Nussbraune Augen fixierten den Knappen. „Wo ist das Zimmer? Und hilf mir auf oder bring mir irgendwas, worauf ich mich stützen kann!“
Er schien einiges verpasst zu haben in den Tagen, die er weg war. „Liegt sie hier im Gastflügel?“ Timors Fragen sprudelten aus ihm heraus, er hatte wohl einiges nachzuholen, was das Wissen um die vergangene Zeit anging. Zwischenzeitlich hatte er die Hand des jungen Malachis weggedrückt und seinerseits die Hand auf dessen Schulter gelegt, um sich abzustützen. „Bring mich zu deiner Tante!“
„Sie würde mich erschießen, wenn ich euch helfe euch selber zu verletzen“, versuchte Calvert eine andere Strategie. „Und euch kratzt sie die Augen aus, wenn ihr eure Wunden wieder aufreißt. Signor Timor, seid doch vernünftig!“ Gleichzeitig versuchte Calvert den großen Mann aber auch zu stützen, dass dieser nicht fiel. „Legt euch hin, ich geh sie holen.“
„Geh vor, ich stützte mich auf dich“, der Krieger schien die Worte des Malachis überhört zu haben oder bewusst zu ignorieren. Mit diesen Worten schob er Calvert vor sich her in Richtung der Tür, auch wenn ihm das Gehen starke Schmerzen bereitete.
Kurz erwog Calvert seine Chance Timor mit Gewalt daran zu hindern das Zimmer zu verlassen, bis eine stolpernde Bewegung des Kriegers ihn zwang all seine Kraft aufzuwenden, um nicht mit diesem auf dem Boden zu landen. „Ihr könnt doch kaum stehen“, presste er stattdessen hervor.
„Dann sollten wir uns beeilen“, war die grollende Antwort.
Calvert gab auf. Die Sturheit dieses Mannes übertraf eine ganze Eselherde. Also klemmte sich der Junge unter Timors unverletzten Arm, um ihn wirklich stützen zu können und gemeinsam wankten sie auf den Gang hinaus. „Es ist nicht weit. Nur davor und dann links“, gab er das Ziel vor.
Langsam, aber stetig bewegte sich das Gespann in die von Calvert vorgegebene Richtung. Timor drückte ab und an den Arm des Jungen stärker als er wollte, wenn ihm bei einem Schritt Schmerzen durch den Körper schossen. Aber er biss die Zähne zusammen, um keinen Ton von sich zu geben. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen aus dem Bett aufzustehen. Möglicherweise hätte er sich an die Worte des Jungen halten und das Bett hüten sollen. Aber das würde er nicht zugeben und jetzt waren sie sowieso schon fast da.
Sie erreichten die Ecke und Timor brauchte eine kurze Verschnaufpause, bevor es weiter ging. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten die beiden dann endlich die gewünschte Zimmertür und Calvert klopfte an dieser.
Nachdem die Hebamme gegangen war, hatte sich Sanjana brav hingelegt, die Augen geschlossen und gedöst. Mehrmals war sie in Versuchung gewesen zumindest nach Timor zu sehen, aber wenn sie wollte, konnte sie auch tun, was man ihr sagte. Als es klopfte, rief sie ein freundliches: „Herein.“
Damit, dass ein kreideweiser, schweißüberströmter Timor daraufhin ihr Zimmer betrat, na ja hereingeschleppt von einem ebenfalls schweißgebadeten Calvert traf es eher, hatte sie nicht gerechnet. Das Gespann sah aus, als würde ein Luftzug genügen, um es aus dem Gleichgewicht zu bringen und Sanjana, der vor Überraschung der Mund offenstand, brachte nur ein. „Bei den Göttern! Timor!“ heraus.
Calvert bemerkte, dass sein Läuten endlich einen Effekt hatte, denn eine Magd bog um die Ecke. „Hol die Medica und den Baron, presste er noch, in Richtung der verdutzten Frau, hervor, ehe Timor der Zimmertür einen Tritt versetzte und sie zufiel. Bevor die Zimmertür zuging, war noch eine Magd zusehen, die wieder um die Ecke verschwand.
Nachdem der Salsavûr zu etwas Luft gekommen war, schleppte er sich zu dem Stuhl herüber, oder viel mehr dirigierte er den Knappen dort hin, der neben dem Bett stand und setzte sich dort drauf, nur um erneut schwer zu atmen. Er schaute Sanjana an und versuchte sich dabei halbwegs ordentlich hinzusetzen, was nur leidlich gelang. „Was machst du hier“, Sorge und auch ein vorwurfsvoller Unterton schwangen in der Stimme des Kriegers mit. In seinem Blick waren, neben Schmerz, Besorgnis zu erkennen.
Er sah furchtbar und gleichzeitig wunderbar aus. Sanjana schwankte innerlich zwischen Lachen, Weinen, Wut und Freude ihn zu sehen. Wahrscheinlich war es diese absurde Mischung, die sie ausnahmsweise mal nicht mit dem erstbesten Gedanken herausplatzen ließ, sondern zunächst wandte sie sich an ihren Neffen: „Calvert, bitte geh nach draußen.“
Der Junge wechselte mehrmals mit den Augen zwischen den beiden Erwachsenen wurde aber aus deren Gesichtern nicht sonderlich schlau, schließlich nickte er. Irgendwie auch froh aus der Sache rauszukommen und ging.
„Was ich hier mache? Mir Sorgen um dich. Ich bin mir sicher du gehörst viel mehr in ein Bett als ich. Timor, du warst kurz davor zu sterben, du solltest noch nicht auf den Beinen sein.“ Sie schaffte es exakt seinen besorgt vorwurfsvollen Ton von gerade eben zu treffen.
Der Angesprochene zog die Augenbraue hoch. „Ich stehe noch, also war es wohl nicht schlimm.“ Er zuckte mit dem Schultern, um das ganze herunterzuspielen, was dafür sorgte, dass er für einen Augenblick sein Gesicht verzog, als Schmerzen, ob der Bewegung, durch seinen Körper zuckten. Er deutete mit der gesunden Hand auf ihren Bauch. „Du solltest in Sikramara sein, aber nicht hier. Nicht in deinem Zustand reiten…“
„Tja, offensichtlich hat mich die Nachricht, dass du in Arivor verschollen bist, aber genau dazu veranlasst das zu tun!“ Sanjanas Ton gewann an Angriffslust und in ihre Augen stahl sich ein gefährliches Blitzen.
„Wage es nicht mir jetzt Vorwürfe zu machen, denn offenbar geht es dir gut genug, dass ich dir ...“, sie sah sich nach einer Wurfwaffe um, kam aber außer an Kissen an nichts heran, „... irgendwas Hartes an deinen Querschädel werfen kann.“
„Wie du hast eine Nachricht bekommen“, Timor schaute sie fragend an. „Aber egal, dennoch war deine Reise ein großes Risiko! Du bist hochschwanger. Was, wenn das Kind unterwegs das Licht Deres erblickt hätte und keiner da gewesen wäre, der dir hätte helfen können?“ Auch seine Stimme klang sorgenvoll. So gern er sie hatte, daran hatte sie sicherlich nicht gedacht und sowohl das Kind als auch sich selbst in Gefahr gebracht.
„Ja und schau mal einer an, DU bist mir dieses Risiko wert gewesen“, auch wenn ihr Ton weiter aggressiv war, Sanjana war verletzt. Ihre Augen brannten verdächtig. „Aber vielleicht hätte ich es wirklich besser gelassen, wäre in Sikramara geblieben, und über der Frage, ob du lebst oder tot bist komplett verrückt geworden. Ja das wäre wirklich besser für mich gewesen, vor Sorge durchzudrehen. Danke, dass du dich gerade wieder bis an den Rand der Ohnmacht schindest, um mir diesbezüglich Vorwürfe zu machen. Ja Timor, genau das brauch ich jetzt!“
Sanjana biss die Zähne zusammen, zog die Nase hoch und hielt mit aller Macht die Tränen zurück. Was für eine Scheißsituation. Sie wollte weg, durfte aber nicht und ihn konnte sie nicht schicken, er war ja kaum fähig zu sitzen und zu allem Überfluss zog jetzt auch wieder ein Krampf durch ihren Unterleib. Das war zu viel. Sie spürte, wie ihr die Augen überliefen.
Der Salsavûr schaute sie überrascht an. ‚Wo kam, dass den jetzt her?‘ Er machte sich doch nur große Sorgen um Sie. Ohne viel nachzudenken, stand er unter Schmerzen auf und versuchte sich diese nicht anmerken zu lassen, was nur leidlich gelang. Dennoch schaffte er es sich auf das Bett neben die Hochschwangere zu setzen und ihre Worte mit einem Kuss zu erwidern.
„Ich mache mir doch auch nur Sorgen um dich“, sagte er, als sich seine Lippen wieder von den ihren gelöst hatten.
„Dann mach dir aber auf die richtige Art Sorgen“, schniefte Sanja schon viel sanfter, „so wie jetzt.“ Liebevoll streichelte sie ihm über die Wange. „Ich hab mich zu Tode erschrocken als ich dich auf diesem Tisch liegen sah und dachte du bist tot. Verdammt Timor, tu mir das nicht an. Es ist schon schlimm genug von dir getrennt zu sein, aber da weiß ich wenigstens es geht dir gut...“ In diesem Moment klopfte es.

Im Gang des Gästeflügels

Ein pflichtbewusster Knappe

Draußen vor der Tür war Calvert noch einen Moment unschlüssig stehen geblieben, aber jetzt wo die Stimme seiner Tante lauter wurde, drehte er sich um und begann in Richtung des Arbeitszimmers seines Schwertvaters zu rennen. Hier brauchte es seiner Meinung nach gleich die Kavallerie.
Dabei rannte er fast Lorian als auch die Medica hinein, da die Magd wohl schneller als er gewesen war. „Was in allen Niederhöllen machst du hier“, kam es ihm in einem strengen Ton entgegen, es war nicht der Salsavûr, der sprach. „Ich hatte dir doch aufgetragen, dass du bei Timor bleiben sollst!“
Lorian schwieg vorerst und beobachtete das Ganze erstmal, während er seinen Weg fortsetzte und seinen Knappen mitnahm. Der Junge konnte Carisia auf dem Weg erklären, warum er hier und nicht an der Seite seines Vetters war.
„Da war ich ja“, antwortete er leicht atemlos, „und dann wollte er unbedingt zu Tante Sanjana und ich konnte ihn nicht aufhalten, wirklich ich habe es versucht!“ Auch wenn ihn niemand schalt, Calvert hatte das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. „Und jetzt haben sie mich rausgeschickt und ich denke sie streiten. Ich verstehe das alles nicht.“
Der Baron verdrehte innerlich die Augen und musste sich ein Schmunzeln aus mehrerlei Gründen verkneifen. Neben ihm holte die Medica gerade Luft, wurde aber unterbrochen, bevor sie anfangen konnte.
„Lass gut sein, Carisia. Calvert hat seine Aufgabe sicherlich gut gemacht, wir wissen beide, wie stur Timor sein kann.“ Die Stimme des Salsavûr war ruhig, aber bestimmt. „Du kannst aber gerne gleich Timor ein paar Takte sagen…“
Die Augen der Angesprochenen funkelten, aber sie nickte und stapfte nun erst recht in die Richtung ihres Patienten, der konnte was erleben. „Wurden nach Arono oder Argeliorian geschickt? Dann können sie sich um diesen Unbelehrbaren kümmern!“
„Ja, aber ich glaube nicht, dass sie kommen werden, die dunklen Tage stehen bevor, also wirst du weiterhin die Freude mit dem Patienten haben.“ Jetzt wurde Lorian ein böser Blick zu geworfen, während sie auf den Gang mit dem Zimmer Sanjanas einbogen.

Zurück in Sanjanas Zimmer

Es klopfte an der Tür. Timor versuchte sich wieder zu erheben, schaute zu Sanjana und zog eine Grimasse. „Ich komme nicht mehr hoch…“
In dem Moment öffnete sich die Tür und Carisia trat, gefolgt von Lorian und Calvert, ein. Sanjana fuhr herum und brachte einige handbreit Abstand zwischen sich und Timor, während das Dreiergestirn ins Zimmer kam.
Lorian betrachte die beiden mit einem kritischen, wissenden Blick, aber Carisia war es, die als Erste das Wort erhob: „Du solltest in deinem Bett bleiben, nicht in einem anderen Bett!“
Timor öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, sah dann den Blick seines Verwandten und machte den Mund wieder zu. Er betrachte die drei Neuankömmlinge einen Augenblick.
„Kannst du mir hochhelfen“, sagte er an den Baron gewandt, was dieser mit einem Nicken quittierte und ihm wieder auf den Stuhl half. Zurück blieb ein Blutfleck auf dem Bettlaken, wo Timor gesessen hatte.
„Wir werden uns später unterhalten“, sagte Lorian leise zu seinem Vetter, während er half.
Carisia trat an den Vogt von Garlák heran und begutachtete die Wunde. „Wunderbar… die Naht ist gerissen… schon wieder…“
Sanjana nutzte den Augenblick, in dem die Aufmerksamkeit nicht auf ihr lag, um wenigstens ihr Gesicht zu trocknen. Lorian hatte die Situation mit Sicherheit zwar längst durchschaut, aber die Tränen waren ihr peinlich.
Während Carisia Timor untersuchte, wandte sich der Baron an die Dame Malachis: „Frau Ayodon war bei mir. Sie wird das Zimmer nebenan beziehen.“
„Ich danke euch. Die Unannehmlichkeiten tun mir leid, wenn nicht...“
Der Baron winkte ab. Die Medica und er halfen Timor auf die Füße und schleppten ihn wieder zurück in sein Zimmer.

Im Zimmer Timors

Als sie dort angekommen waren, schaute sich Carisia erneut die Verletzungen an, war aber offensichtlich mit dem Stand zufrieden und ließ die beiden Salsavûr allein in dem Gemach zurück.
„Dir ist klar, dass uns das Probleme bringen kann und bringen wird, sollte es herauskommen“, sagte Lorian mit ruhiger Stimme.
„Was meinst du“, kam prompt die Erwiderung Timors.
„Deine Affäre mit der Malachis und das mögliche Ergebnis daraus…“, der Baron musterte seinen Verwandten, während er sprach. „Sollte dass herauskommen, wird uns das möglicherweise in eine schwierige Lage bringen. Dein Bruder wird toben, sobald er es erfährt…“
Der verletzte Salsavûr schaute seinen Vetter fragend an. Lorian verdrehte innerlich die Augen, wie konnte Timor das nicht bemerken oder besser noch die Beweise, die augenscheinlich auf dem Tisch lagen, zusammensetzen. Er schüttelte den Kopf bei seinen Gedanken. Der Vogt von Garlák war sonst gut in solchen Dingen, aber für diese eine Situation scheinbar blind.
„Affäre hin oder her, hast du mal darüber nachgedacht, dass es dein Kind sein könnte, das unter dem Herzen der Malachis heranwächst?“ Nach wie vor beobachtete er seinen Vetter und so entging ihm auch der überraschte Gesichtsausdruck nicht, der wohl die Antwort auf seine Frage war.
Timor öffnete den Mund, um ihn direkt darauf zu schließen und wieder zu öffnen. Der Heller war wohl gefallen, schoss es Lorian durch den Kopf und er kam nicht umhin zu schmunzeln.
„Das…“, Timor fand immer noch nicht die richtigen Worte, „wow… ähm… das habe ich nicht erwartet… Woher…“ Er schaute den Baron wieder fragend an und wirkte aktuell weniger wie ein gestandener Krieger, als vielmehr wie ein Halbstarker, dem Dere erklärt wurde.
„Woher ich das weiß“, Lorian schüttelte den Kopf, „ich weiß es nicht, ich vermute es. Aber hast du eine andere Erklärung, warum Sanjana sich und dem Kind so ein Risiko aussetzt, um dich zu finden?“
„Kannst du mir ein Glas Feuer bringen? Das brauche ich erst mal auf die Neuigkeit…“
„Nichts bekommst du, erstens, weil ich keine Lust habe, Carisia noch mehr schlechte Laune zu machen und zweitens, du das nüchtern ausbaden kannst! Du sollst ja einen klaren Kopf behalten, wenn du über die Folgen und so weiter nachdenkst und am besten eine Lösung findest, bevor es herauskommt…“ Der Herr von Montarena konnte nicht ganz ernst bleiben, während er sprach, zu gut war der Gesichtsausdruck seines Gegenübers.
„So ich lass dich jetzt auch allein. Du solltest dich ausruhen… und beten, dass Sanjana bis nach den dunklen Tagen durchhält. Das Kind hat es offensichtlich eilig das Praiosmal und Dere kennenzulernen.“ Er klopfte Timor, mit amüsierter Miene, auf die gesunde Schulter und ließ diesen dann allein in dem Raum zurück.
Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah und war augenscheinlich ein wenig überfordert mit der Situation. Weswegen ihm auch keine Erwiderung einfiel und er nur mit offenem Mund seinem Vetter hinterher starrte.