Cervi
| |||||||||||||||
|
Cervi ist ein kleines Dorf vor den Belcramer Hügeln auf der malurischen Uferseite des Sikram. Es lebt im weitesten Sinne von der Fluss- und Waldwirtschaft sowie von dem hier entlang des Stromes passierenden Leinpfad.
Holzfällerei und Köhlerei
Der Holzeinschlag ist eines der zentralen Gewerbe von Cervi. Außerhalb der Kernsiedlung finden sich immer wieder Holzfällerhütten und -siedlungen, die, mehr und mehr den Belcramer Hügeln sich nähernd, mit ihren rötlich-braunen Dächlein vor den offenen, lichten Driftwäldern sich abbilden. Die Holzfäller verlassen gewöhnlich auf das erste Praioslicht diese ärmlichen Behausungen und marschieren in kleinen Kolonnen in den dichteren Wald hinein. Wer sich dort naht, der hört gewöhnlich unter dem Schlagen der schweren Äxte ihren geselligen Arbeitsgesang. Dann aber verstummt der Sung unter einem Befehlswort, und man hört also das Ächzen eines Baumstammes und das streichende Geräusch von Ästen und Laub, die sich im Fall an den Nachbarbäumen vorüberzwingen. So geht es, bis man den nackenen Stamm sieht, wenn die Arbeitsleute ihn aus dem Walde herausfördern und nach Cervi verbringen.
Einer dieser Holzfäller ist Bortan, ein bärtiger Mann und Familienvater. Der kärgliche Ertrag seiner Arbeit muss für eine Familie von sieben Mäulern reichen. Und so mag man ihn sich denken, wie er, die Glieder zermürbt, allabendlich nach Hause stapft, die Türe aufschwingt und auf Weib und Kinder blickt. Auch seine liebe Gemahlin in Travia hat den Tag über nicht säumen dürfen, und so findet man sich an einem schweren Holztisch wieder, auf dem ein schweres Mahl bereitet steht. Die Suppe, die man hier löffelt, ist gleichsam vom Schweiß eines entbehrungsreichen Daseins gesalzen.
Nicht selten gattet sich das Dasein des Holzfällers mit dem des Köhlers. Und so finden sich nicht weit von den Waldrändern und auf einigen unbestellten Flurstücken oftmals die aufgeschichteten Werke der Kohlenmacher. Der Duft des groben Holzes und das trockene Rauchgewölk, bisweilen je nach Jahreszeit und Stand des Windes in der Nase der Umwohner, - sie sind eine unveräußerliche Eigenschaft von Cervi. Der Holzfäller und der Köhler teilen nicht selten ein Dach, denn die Familien setzen zu ihrem Lebensunterhalt einander ein, und mancher Knabe schon muss, kaum dass er die ersten Sprünge über die Wiesen gemacht hat, über Köhlerhütten oder Ziegen und Schafe wachen.
Da wollen wir jedoch noch Perval Groppa nennen, einen alten und tüchtigen Vater aus diesem Menschenkreise. Als Jüngling hat er mit den wunderbaren und wunderlichen Belcramer Hügeln so enge Bekanntschaft geschlossen, dass er noch heute die Steigen, Hügelzüge und gar die mächtigen und uralten Baumgreise in sein Gedächtnis eingebrannt trägt. Wer des Ortes unkundig ist, der wird, wie es bisweilen geschieht, von den anderen Genossen also zu Perval geschickt. Und dann kann es geschehen, so er sein Misstrauen gegenüber den Fremden zu überwinden weiß, dass er als ein wege-, stege- und waldeskundiger Begleiter eintritt.
Sägemühle Poltefreund
Dem Holzfäller nahe verwandt ist der Sägemüller. Und so betreibt Denswer Poltefreund, ein Mann von mittlerem Alter, geradewegs an einem kleinen Zufluss des Sikram eine Sägemühle. Und indes die Mühlräder im Strom des Bächleins unermüdlich klappern, wartet er auf die gehauenen und gelagerten Baumstämme, dass er sie seinen Sägen zuweisen könne. Sodann sieht man ihn über einem groben Holzgetriebe, wie er einen schweren Hebel umlegt, die Kraft des Mühlrades auf das Sägewerk überträgt und also - auf und ab und auf und ab - die Blätter in Bewegung setzt. Da gibt es ein Geklapper und ein schroffes Eindringen des Metalls, wenn er einen Stamm auf die Sägen dirigiert hat.
Die meiste Zeit, wenn es der Zufuhr mangelt, sieht man Denswer mit Wetzstein und Metallfeile über seinen gebrauchten Blättern sitzen, wie er sie erneuert. In einer Kammer, die sich hinter einer sperrenden Holztüre jenseits der Sägeanlage findet, sammelt sich so ein Allerlei von Metallteilen und Gerät. Hinter dem Mühlhause endlich findet sich, stets in den Duft von Spänen und Harzen gehüllt, das gearbeitete Holz in festen Stapeln.
Spezerei Erburaia
Die lokale Schönheit von Cervi kann am eindrucksvollsten bewundern, wer auf Rahela Erburaia trifft, die Kräutermaid, Heilerin und Hebamme. Unlängst verwaist, hat sie die Heilkunde ihrer Mutter aufgegriffen, dass nun sie selbst, an vielen Götterläufen der Beobachtung und Assistenz geschult, den Menschen von Cervi hilfreich zu sein versucht. Nicht selten sieht man das zarte Geschöpf, wie es, mit einem Rückenkorb ausgestattet, in den Wald zieht, um Heilkräuter zu suchen. Dabei ist Rahela ganz allein, und man möchte meinen, einen rahjenwidriges Vergehen dreue ob ihrer Schöne, - doch halt: Wer die Holzfäller von Cervi kennt, der ist auf die derbste Form der Rache vorbereitet und wird sich zu enthalten wissen.
Die Maid wird verehrt, wie andernorts Heilige gepriesen werden. Die Weiber, kaum dass sie niedergekommen sind, pflegen ihrer Hebamme mit allerlei Viktualien und um den letzten Rahjentag des Götterlaufs mit einer großen Gabe der Gemeinschaft zu danken. Wer unter den Männern ein Leid erfuhr - was da unter den Holzfällern leicht geschieht -, der ist auf die Heilerin eingeschworen, dass er sie trotz ihres jungen Alters mit "Mutter" anzusprechen gewohnt ist.
Man weiß hier, dass der tolle Drago Ariando Torrem, ein Lüstling aus dem Kreise der efferdischen Aristokratie, unlängst als Dienstmann der Frau Rahja versucht hat, die schöne Hebamme von Cervi mit verlockenden Worten und allerlei Versprechungen zu gewinnen. Anstatt dass sie ihm den Schoß geöffnet haben würde, eilte sie jedoch unter einem Vorwande zu einer nächst ihrer Kotte wohnenden Familie, um Schutz zu suchen. Und da musste der Edelmann der Ortschaft schmachvoll den Rücken kehren.
|