Briefspiel:Das Fest der vielen Bösartigkeiten/Hausführung I
|
1. Akt: Die Hausführung – Erster Teil
- Della Pena ä.H.
„Nun da hätten wir doch beinahe Eurer Gemahlin ihr Geburtsrecht vorgehalten? Ein Glück, dass der Herr von Urbet-Marvinko so aufmerksam war. Dann folgt mir doch bitte, Ihr werdet Eure bezaubernde Gattin ja nur kurze Zeit entbehren müssen.“
Mit diesen Worten manöverierte Drakon den leicht derangierten Kontorleiter die Treppe zur Galerie hinauf, während Sanya di Onerdi an der Hand Travianos schnell zur Gruppe der Adeligen aufschloss, die gerade durch das große Portal unter dem vor gut 200 Jahren von Gräfin Tharinda gestifteten Banner hinausmarschierte.
Mit Leomar Romualdo della Pena an der Spitze schritt die Gruppe durch den breiten Gang, von dessen Wänden die Ahnen des Hauses della Pena streng auf die Vorbeipromenierenden herabblickten. Da waren Leomar (717-780 BF) und Lacrimosa (720-767 BF), die Gründer des Hauses, schwer gerüstet abgebildet, Murako der Musikus (752-829 BF), Lutisana della Pena (786-851 BF) mit ihrem berühmten Kriegsmantel. Das Bildnis des zierlichen Shafirio (808-883 BF), bei dem man sich kaum vorstellen konnte, dass er der Vater des imposanten Kriegshelden Ronderik della Pena (844-899 BF) war, hing neben dem Eingang zum Speisesaal, dessen Tür jetzt von Leomar geöffnet wurde, damit jeder schon mal einen Blick auf die lange Tafel werfen konnte, an der sich die Dieneschaft bereits eifrig zu schaffen machte.
„Hier werden wir nachher tafeln“, erläuterte Odina, die Frau des Hausherren, „aber da haben wir ja noch genug Zeit diesen Raum zu würdigen, ebenso wie den nächsten. Den Ballsaal werden wir heute auch noch länger bewundern können, daher hier auch nur ein kurzer Blick.“
Vorbei an Tharinda (866-907 BF), Lacrimosa der Jüngeren (886-958 BF), und Romualdo (924-996 BF), dem Vater Leomars, ging es zur Tür des Ballsalls. Über zwei Stockwerke erstreckte sich der Ballsaal und bedingt durch die Hanglage des Palazzo standen die Adligen hier wiederum auf einer Galerie, von der aus die Gruppe über eine geschwungene Treppe in den Saal hinabstieg. Dies verzögerte sich ein wenig durch den Abstieg Leomars, der von seiner Verletzung in Clameth ein leichtes Hinken davongetragen hatte. Das nur mäßig erfolgreich versteckte hämische Lachen aus der Reihe der Salsavûrs beantwortete der stolze Krieger mit einem bitterbösen Blick in deren Richtung.
An der Kopfseite des Ballsaals war ein Vorhang zugezogen, doch man konnte erahnen, dass dahinter wohl eine kleine Bühne ihren Platz hatte. An den Wänden standen zierliche Tische, die zwischen den Tänzen Gelegenheit zur Erholung geben sollten. Auch hier verweilte man nur kurz und schritt zügig in den angrenzenden Gang, der ähnliche Dimensionen hatte, wie die Ahnengalerie ein Stockwerk höher. Doch war in jenen Gang durch die Fenster zum Innenhof noch das letzte Abendlicht hineingefallen, wurde dieser Gang nur durch Kerzenlicht erhellt.
„Jetzt, liebe Freunde, werde ich euch die Schatzkammer der della Pena zeigen!“
Diese Äußerung Leomars zauberte Aufregung und Verwunderung auf die Gesichter der Anwesenden.
Durch einen schmalen Gang ging es in ein Gewölbe, das wohl direkt unterhalb des Innenhofs liegen musste und von schweren Säulen – eine besonders breite, sicherlich drei Schritt im Durchmesser, befand sich genau in der Mitte – getragen wurde. Doch keine Geschmeide und Kisten voll blinkender Dukaten lagerten hier, nein, Fässer und verschlossene Krüge standen an allen Wänden: Man befand sich im Weinkeller der Familie!
„Hier lagern die besten Jahrgangsweine unserer hauseigenen Weingüter“, erklärte Leomar, der den Raum mit einer Fackel beleuchtete, den verwunderten Adeligen, die sicher etwas anderes erwartet hatten.
- Urbet-Marvinko
„Auch die Dame di Punta amüsiert sich ganz vortrefflich, wie wir sehen“, begrüßte Traviano Desideria, als er mit der untergehakten Sanya zur Gruppe der Adligen aufschloss und des Lächelns der Efferdierin gewahr wurde.
„Wenn ich euch vorstellen darf - die Dame Desideria di Punta“, wandte er sich wieder an seine neue Begleiterin.
Diese wollte soeben zu einer höflichen Begrüßung ansetzen, als es Traviano bereits weiter zog: „Aber es gibt wahrlich Wichtigeres …“ Womit er Desideria den Rücken zukehrte und mit Sanya in die Ahnengalerie der della Pena trat.
„Berühmter Vorfahren kann sich das Haus della Pena wohl rühmen“, kommentierte der Gransignore die ersten Eindrücke der Führung gegenüber seiner Begleiterin. „Aber das dürfte bei Eurem Geschlecht doch nicht anders sein, nicht? Wie kommt es dann, dass Ihr ein Leben als Gattin eines einfachen Kontorleiters in unserer … nunja … bescheidenen Stadt fristen müsst?“
- Di Onerdi
Sanya genoss die Aufmerksamkeit der anderen, eben noch eine Fremde, nun von jedem gesehen. Nur halbwegs aufmerksam folgte sie der Führung. Domenico konnte sie vor allem damit zu diesem Besuch überreden, dass die della Pena durchaus Kunstverständnis besaßen, tatsächlich war sie sehr angetan von manchem Detail. Bei der Vorstellung der Dame di Punta jedoch war sie hellwach – und tief beeindruckt ob solcher Kaltschnäuzigkeit seitens des Urbeters. Faszinierend, wenn auch in der Tat ein Zeichen von beträchtlicher Selbstgefälligkeit.
Ein wenig überrascht wurde sie jedoch danach von Travianos Frage an sie. So einfach war ihr Stolz jedoch nicht zu kränken, wie es wohl das Ziel dieser Spitze war.
„Im Gegensatz zu Euch, Hochgeboren Traviano, schätze ich nicht die Untertreibungen."
Ein wenig tadelnd sah sie den Gransignore an, bevor ein verschmitztes Lächeln ihr Gesicht erhellte.
„Und weil dem so ist, kann ich mir kaum einen besseren Ort in unserem Lande wünschen. Noch dazu, wo meine Kindheit darin bestand, von einer Festungsmauer aus den Sikram zu beobachten."
Einen Moment lang schien die junge Dame in Erinnerungen zu schwelgen und strich sich versonnen eine Haarsträhne aus dem hübschen Gesicht, bevor sie abermals spitzbübisch den Silberherrn anblickte.
„Sagt, Hochgeboren, Eure Stadt besitzt etwas, das mich an Burg Ankhello erinnert – imposante Türme nämlich. Was ist es, das Männer an himmelhohen Turmbauten finden? Man sagt, der Eure soll der Größte hier werden?"
- Urbet-Marvinko
Die überraschend schlagfertige Replik seiner Begleiterin würdigte Gransignore Traviano mit einem bewusst entsetzt wirkenden Gesichtsausdruck, bevor er wieder lächelnd antwortete: „Es ist die Götterfürchtigkeit, die uns unsere Türme so gen Alveran strebend bauen lässt. Den Zwölfen nah zu sein, ihren Worten lauschen und ihren Forderungen an uns und unsere Tugend Folge leisten zu können, sollte wohl das Motiv sein, das dahinter steckt. Oder meint Ihr nicht?“
Den ungläubigen Blick Sanyas mit einer zutiefst getroffen wirkenden Geste erwidernd, setzte er verschmitzt fort: „Aber wenn Ihr uns nicht glauben wollt, so nehmen wir Euch gerne auf einen dieser Türme mit, um Euch vom Gegenteil überzeugen zu können. Der Campanile des Rahja-Tempels ist besonders schön – und von unserer derzeitigen Residenz ohne einen Fuß auf die Straße setzen zu müssen erreichbar …“
Den dabei im Hintergrund soeben präsentierten Bankettsaal würdigte Traviano keines Blickes – er würde ihn heute ohnehin noch besichtigen können – sondern achtete nur auf die Reaktion seiner Begleiterin auf seine letzten Worte.
- Di Salsavûr
„Lorian, geselle dich mal zu der di Punta …"
Lorian schaute seinen Großvater, der das eben gesagt hatte, fragend an.
„Mach schon …"
Lorians Gesicht zeigte etwas Unwohlsein, was aber kurz darauf wieder verflogen war, und er ging zu Desideria. Langsam näherte sich der junge di Salsavûr dieser mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht.
- Di Punta
Desideria gewahrte, dass sich der Gransignor, nun in Begleitung der jungen di Onerdi, ihr näherte.
"Auch die Dame di Punta amüsiert sich ganz vortrefflich, wie wir sehen", begrüßte dieser Desideria.
"Wenn ich euch vorstellen darf - die Dame Desideria di Punta", wandte er sich wieder an seine neue Begleiterin.
"Ich bin erfreut ...", weiter kam Desideria nicht, als sie vom Urbet-Marvinko unterbrochen wurde: "Aber es gibt wahrlich Wichtigeres."
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt der Gransignor von dannen. Ein kurzer Moment der Fassungslosigkeit, dann hatte Desideria sich wieder gefangen.
Im Augenwinkel sah sie den jungen Lorian di Salsavûr, der sie gerade breit anlächelte und auf sie zugekommen war. Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen nickte sie ihm leicht zu und beendete ihren Satz: "... euch hier zu sehen. Ihr hattet eine angenehme Anreise?"
- Di Salsavûr
Lorian hatte wohl bemerkt, während er sich Desideria näherte, dass diese mehr als unfreundlich, vom selbsternannten Silberherrn der Stadt, behandelt wurde. Er ließ sich aber nicht anmerken, was er davon hielt, und behielt sein Lächeln bei.
„Die Anreise war ganz angenehm …"
Wie Desidria nun sehen konnte, hatte Lorian die ein oder andere kleinere Narbe im Gesicht, sah aber dennoch recht gut aus.
„Aber entschuldigt, wenn ich mich noch nicht vorgestellt habe … Lorian Timor Silem d'Alsennin-Salsavûr mein Name. Wenn ich mich recht entsinne, sind wir uns noch nie begegnet. So ein bezauberndes Lächeln, wie das eure, hätte ich sicherlich nicht vergessen.“
- Di Punta
Desideria neigte huldvoll mit einem Lächeln ihr Haupt. Die Endzwanzigerin wusste um ihre Wirkung auf die meisten Herren und pflegte diese mit Gewandung und Düften noch zu verstärken.
„Desideria Salveri di Punta, Esquiria zu Efferdas“, hauchte sie mit sanfter, rauchiger Stimme, „ihr habet Recht, bisher hatten wir noch nicht das Vergnügen.“
Während der Führung parlierte und scherzte sie freundlich mit warmem Klang in der Stimme mit dem jungen di Salvasur, den langatmigen Ausführungen des Hausherren nur mit mäßiger Aufmerksamkeit folgend.
Die Führung ging vorbei an der Ahnengalerie der della Pena, lauter streng dreinblickender Damen und Herren, die missmutig auf die Festgesellschaft herunterblickten. Unwillkürlich musste Desideria an Heiligenbildchen im klassischen bornländischen Stil denken, wahre Farborgien aus Schwarz, Schlammbraun, Gewitterblau und Düstergrün.
Sie neigte sich leicht ihrem Begleiter zu und flüsterte: „Müsste man länger in dieser Gesellschaft weilen, würde wohl selbst der Freitod eine wahre Freude werden.“
Am Stutzen in der Reaktion des di Salvasurs erkannte sie, dass solche Bilder wohl in rondrianisch gesinnten Häusern des Arivorer Raumes üblich waren, doch dann feixte er leise. Wahrscheinlich bezog er ihren Kommentar auf die ausufernden Erläuterungen des Hausherrn.
- Dell’Arbiato
Alessandero dell'Arbiato begann sich zu langweilen. So sehr er den Anblick toter della Penas auch genoß - was bei Rondra war so interessant, die gesammelten Alkoholvorräte der Familie zu sehen?
"Hoffentlich ist das Bankett kurzweiliger als diese Führung", flüsterte er seiner Gemahlin zu.
"Schlimmer kann es wohl nicht werden", kommentierte Aliena leise. Sie schien ebenfalls von dem Rundgang nicht sonderlich angetan zu sein.
Tatsächlich versprach nach Ansicht Alessanderos das Schauspiel wesentlich interessanter zu werden, als er Gransignore Traviano beobachtete, wie dieser Signora di Punta herablassend behandelte. Hatte er zuvor schon die Dame di Onerdi praktisch ihrem Ehegatten entführt, so schien es, als suche er mit aller Gewalt sich neue Feinde zu schaffen.
Entweder war der Urbeter auf der Suche nach einer neuen Gemahlin, die ihm das Bett wärmte, oder dem Marvinko war es egal, wen er hier im Angesicht des versammelten Patriaziats beleidigte.
Alessandero war es einerlei; er erinnerte sich aber an den Ratschlag seines Vaters, den dieser ihm vor Monden auf den Weg gegeben hatte:
"...da es in jeder Stadt Zünfte oder Stände gibt, solltet Ihr auf diese Gruppen Rücksicht nehmen, machmal mit ihnen zusammenkommen und immer ein Beispiel der Leutseligkeit und Freigiebigkeit geben ..."
Ein Ratschlag, den scheinbar niemand dem "Silberherrn" gegeben hatte.