Briefspiel:Das Schicksal eines Schinkens (4)
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Leise wie eine Katze erhob sich Sanjana. Wobei diese Vorsicht eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Ihr frisch angetrauter Ehemann schnarchte so laut, als wolle er den gesamten Alicorno-Forst abholzen.
Sie warf sich ein dünnes Gewand über und trat hinaus auf den Balkon. Hier hinter dem Haus war es still. Nur gedämpft drangen die Geräusche der sich verabschiedenden Gäste in den Park. Aufgewühlt lehnte sie sich an die Brüstung und starrte hinauf zu den Sternen, wo das Auge der Stute Sulvo, langsam im Untergehen begriffen war. Sanjana kam es vor wie ein Verrat, dass der Stern der Leidenschaft überhaupt erstrahlte in dieser Nacht.
Noch einmal ließ sie die letzten Stunden an ihrem geistigen Auge vorbeiziehen. Es war unerträglich gewesen… Erst die Zeremonie im Ingerimmtempel. Sie hatte das Gefühl gehabt ganz Sikramara war erschienen um dem Bundschluss beizuwohnen. Mit absolut beherrschter Miene hatte sie ihren Teil gesprochen und auch brav gelächelt, als die Hochrufe des Publikums erschallten.
Danach das nicht enden wollende Festgelage. Ihr Gesicht hatte irgendwann geschmerzt vom unentwegtem Lächeln und ihr waren keine galanten Antworten auf die Gratulationen und Glückwünsche mehr eingefallen. Ihr Gemahl hatte den erlesenen Speisen und den geistreichen Getränken reichlich zugesprochen und war im Verlauf des Abends zunehmend betrunken geworden.
Er hatte zwei kräftige Helfer gebraucht, die ihn mehr zum Schlafgemach seiner Braut trugen, als das er gelaufen war. Nicht dass Sanjana mit Freude dem Vollzug der Ehe entgegengesehen hätte, aber Golpono war nur ächzend und stöhnend ins Bett gerollt, hatte sich einmal über sie gewälzt und ihr mit seinen breiten, feuchten Lippen einen Kuss aufgedrückt. Dann war er schnarchend weg gedämmert.
Nun stand sie hier auf diesem Balkon und ihr war nach Weinen zumute. Eine große Hand legte sich in diesem Moment von hinten über ihren Mund und ruckartig wurde sie an einen muskulösen Körper gezogen. Reflexartig kämpfte Sanjana gegen den stählernen Griff an, versuchte nach dem Mann zu treten, bis sie seine leise, sonore Stimme in ihr Ohr flüstern hörte: „Ganz ruhig mein Kätzchen, dir geschieht nichts.“ Timor! Sofort gab sie ihren Widerstand auf und lies sich in die Umarmung sinken. Lehnte sich an die Schulter des Mannes von dem sie in den letzten Wochen viel zu oft geträumt hatte. Während sein Griff sanfter wurde, die Hand von ihrem Mund verschwand, wurde ihr schmerzlich bewusst, wie einsam diese Wochen gewesen waren. Sie hatte die Sehnsucht, die so nutzlos und unerfüllbar war nicht zulassen wollen. Nun hielt er sie hier umschlungen, auf dem Balkon ihres Brautgemachs und sie teilten einen Moment der innigen Zweisamkeit.
„Warum bist du hier?“ wisperte Sanjana schließlich und wandte sich in seinen Armen um. Der Ausdruck auf seinem markanten Gesicht war schwer zu deuten. „Ist es dir unangenehm? Soll ich gehen?“ fragte er. „Nein! Bitte bleib.“ Erschrocken drückte sich Sanjana an seine breite Brust.
Als Antwort drückte er ihr einen Kuss auf den Scheitel, sog tief den Duft ihres Haares ein, der ihn an Wildblumen und Sommer erinnerte. Seine Hände glitten ihren Rücken entlang und liebkosten die weiche Haut durch den dünnen Stoff. „Ich musste kommen“, erklärte er flüsternd. „Ich musste mir dieses Drama mit eigenen Augen ansehen.“ Tröstend wiegte er sie in seinen Armen. „War es schlimm? Ich bring ihn um!“ „Küss mich lieber und lass mich vergessen, dass es ihn gibt.“ Sanjana hob dem Salsavûr ihr Gesicht entgegen und sie versanken in einem tiefen, innigen Kuss.
Der Balkon war groß und federleicht hob Timor sie hoch und trug sie weg von der Brüstung hin zu der Wand, wo sie kaum noch zu sehen waren. Sanjana klammerte sich an ihn umschlang seine Hüften mit ihren langen, schlanken Beinen. Ein letztes Mal lächelte sie zu Sulvo hinauf, bevor sie in einem Meer der Leidenschaft versank.
Während das Paar auf dem Balkon der schönen Göttin huldigte, zog sich der stille Beobachter leise zurück. Er wusste nicht genau, was ihn dazu bewogen hatte noch einmal auf die Rückseite des Hauses zu gehen und aus dem Gebüsch heraus das Brautgemach zu beobachten. Sorge wahrscheinlich, um die kleine Schwester, der er das Unbehagen über die Hochzeit überdeutlich angesehen hatte. Was jetzt da oben geschah, war allerdings nicht für seine Augen bestimmt und auch für sonst niemanden. Fulvian beschloss Wache zu halten, damit das Liebespaar ungestört blieb. Besser, von dieser Hochzeitsnacht würde niemand erfahren.
„Du musst gehen Timor.“ Sanjana hasste es diese vernünftigen Worte sagen zu müssen. Nur widerwillig entließ der Angesprochene sie aus seiner Umarmung. Aber er tat es und nickte stumm und bestätigend. Ein letztes Mal küsste er sie mit all der Liebe und Leidenschaft, die er empfand, dann schwang er sich über die Brüstung und begann hinabzuklettern. Sanjana verfolgte ihm mit den Augen und als der Schemen den Grund erreichte hob sie zum Abschied die Hand und flüsterte: „Leb wohl, Geliebter.“ Danach schaffte sie es in ihr Ehebett zurückzukehren und sich unter ihrer Decke zusammenzurollen, das Kissen auf den Ohren, um Golponos Schnarchen zu dämpfen.
Der Salsavûr hatte gewartet bis die schmale Silhouette vom Balkon verschwand, dann erst wandte er sich ab, um durch den Park davon zu schleichen. Plötzlich stellte sich ihm eine Gestalt in den Weg. Im Dunklen erkennbar war nur, dass es wohl ein Mann mit einem weiten Umhang und einem breitkrempigen Hut war. „Wir müssen reden, Salsavûr“, flüsterte der Schatten.
Wäre es nicht dunkel gewesen, hätte man auf Timor Antlitz Überraschung lesen können. In einer fließenden und schnellen Bewegung zog der Salsavûr sein Breitschwert, dass er sich in einer Scheide auf den Rücken geschnallt hatte, damit es ihn nicht beim Klettern behindert. Er nahm eine leicht geduckte Haltung ein, wie es geübte Kämpfer tun und versuchte in der Dunkelheit mehr als nur Umrisse zu erkennen. „Wer möchte reden“, knurrte er die Silhouette bedrohlich an und taxierte derweil seine Chancen für einen schnellen Angriff ab. Auch ließ er seine Augen, für einen Augenblick, über die Umgebung streifen, ob in der Dunkelheit noch mehr Überraschungen auf ihn warteten, die er erkennen konnte.
„Wollt ihr es hier wirklich zu einem Kampf kommen lassen?“ Die leise Stimme klang leicht spöttisch. „Überlegt euch das Timor di Salsavûr. Ich kann euch vielleicht nicht schlagen, aber lange genug hinhalten, bis das halbe Haus erwacht. Also steckt euer Schwert weg und begleitet mich ein Stück. Wie gesagt, wir müssen reden.“ Fulvian war vom Flüstern zum leisen Sprechen übergegangen.
Irgendwie kam dem Salsavûr die Stimme bekannt vor, er hatte sie schon mal vernommen, konnte aber weder einordnen wo, noch von wem sie stammte. Deswegen blieb er erst einmal in der Haltung, die er eingenommen hatte. Recht hatte die Stimme vielleicht, aber Timor würde es darauf ankommen lassen, wenn es sein musste. „Mit jemandem in den Schatten, dessen Gesicht ich nicht sehe, werde ich nichts dergleichen tun! Also zeigt euch...“
Ohne den Abstand zu dem Krieger zu verkürzen, trat Fulvian weiter von dem Gebüsch weg und griff mit der linken Hand, die Rechte blieb am Griff seines Raufdegens liegen nach seinem Hut. Mit leicht theatralischem Schwung zog er ihn sich vom Kopf. „Besser?“
Timor verfolgte, wie ein Raubtier, jede seiner Bewegungen. Als er dass Gesicht sah, ließ er sein Schwert sinken, er entspannte sich etwas und wirkte sichtlich überrascht, den Bruder Sanjanas hier zu sehen. „Hmm... Was macht ihr hier?“ Er musterte seinen Gegenüber, so gut das im Halbdunkel möglich war.
Selbst wenn das Gesicht des Sängers nicht beschattet gewesen wäre, Fulvians Miene verriet nichts von seiner momentanen Gefühlslage. „Ich bin Gast auf einer Hochzeit, zufälligerweise die meiner Schwester. Aber was ihr hier tut... nun, darüber müssen wir reden. Wenn ihr mir also folgen wollt?“ Demonstrativ wandte der Malachis dem Mann mit dem Breitschwert den Rücken zu und machte Anstalten loszulaufen.
Der Salsavûr bliebt erst noch stehen und schaute dem ungebetenen Beobachter kurz hinter her. Er schüttelte den Kopf und fluchte leise auf Thorwalsch, während er seine Schwert wieder in der Rückenscheide verschwinden ließ. Kurz darauf folgte er dem Malachis mit schnellen Schritten um neben ihn zu kommen. „Die Frage bezog sich eher auf, was macht ihr hier im Garten, wo die Gäste den Abend verlassen oder schon verlassen haben....“ Timor hatte jetzt ebenso, wie Fulvian eine ausdruckslose Miene aufgesetzt. Innerlich war er allerdings alles andere als ruhig und ausdruckslos. 'Verdammter Mist... Dieser verdammte Balkon! Zu den Niederhöllen mit diesem Ruccia...' Timors Gedanken rasten, während er auf eine Reaktion des Malachis wartete. Zum einen, um sich Flüche und Verwünschungen einfallen zu lassen und zum anderen wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskam.
Der Sänger strebte dem Rand des Gartens zu, dahin wo ein Baum nahe genug an der Mauer stand, um als Kletterhilfe zu dienen um den Park heimlich zu verlassen. Wäre er hier der unerlaubte Eindringling, er hätte es so gemacht. Auf die Frage des Salsavûr ging er nicht ein. Erst als er sein Ziel erreicht hatte, lehnte er sich mit verschränkten Armen gegen den Baumstamm und musterte Timor streng und eindringlich. „Warum ich durch den Park flaniere dürfte von minderem Interesse sein“, eröffnete er frostig. „Interessant ist, warum wart ihr auf jenem Balkon? Und um Missverständnissen vorzubeugen, ich will nicht wissen, was ihr dort getan habt, das ist mir bereits bewusst. Ich will den Grund dafür wissen, Salsavûr.“
„Ich war auf diesem Balkon, einfach weil ich darauf kommen konnte...“ gab Timor ebenso frostig zurück. „Falls ihr darauf wartet, einen anderen Grund von mir zu bekommen, so lasst es lieber. Ihr werdet ihn nicht bekommen.“ Dem Gesicht des Salsavûrs war zu entnehmen, dass er seinen Worten nichts mehr hinzuzufügen hatte. Sein Antlitz verriet nichts weiter, aber in seinen Augen ließ sich, für einen einfühlsamen Menschen, erkennen, dass deutlich mehr hinter dem Gesprochenen steckte, als reine Sturheit.
Fulvians Augenbrauen zogen sich düster zusammen und seine Stimme bekam einen schneidenden Unterton: „So, so, weil ihr konntet....Sanjana hätte euch nie mit offenen Armen empfangen, wenn sie nicht der Meinung wäre euch zu lieben. Und Ihr spielt also nur ein Spiel? Bringt die Ehre meiner Schwester für euer Vergnügen in Gefahr, ohne Rücksicht auf Verluste. Nur weil ihr könnt... wie ein verwöhnter Junge, der Kirschen aus Nachbars Garten stiehlt. Ist dem so?“
Timors Kehle entrann ein gefährliches Knurren und seine Augen wurden zu Schlitzen. „Wagt es nie wieder, meine Ehre oder meine Aufrichtigkeit in den Schmutz zu ziehen!“ Seine Stimme war leise, hatte aber einen bedrohlichen Unterton angenommen. Der Salsavûr schien kurz davor erneut seine Klinge zu ziehen und es darauf ankommen zu lassen, entdeckt zu werden.
Fulvian rann durchaus ein Schauer über den Rücken, er wusste, dass er knapp davor war mit seinem Leben zu spielen. Dennoch blieb er äußerlich gelassen und zeigte seine Angst nicht, denn sein Anliegen war ihm zu wichtig. „Erstaunlicherweise vertraue ich genau auf das, eure Ehre und eure Aufrichtigkeit. Sagt mir, dass ihr nicht nur aus kleinlicher Vergnügungssucht mit dem Herzen meiner Schwester spielt oder entpuppt euch als Wüstling und rammt mir euer Breitschwert in die Brust.“ Fulvian löste sich von dem Baumstamm und trat bewusst mit erhobenen, leicht ausgebreiteten Armen in die Reichweite von Timors Schwert.
Sein Schwert blieb dort, wo es war. Viel änderte sich an der Haltung des Kriegers nicht, nur seine Augen hatten sich wieder etwas geöffnet und der Unterton in seiner Stimme hatte an Gefährlichkeit verloren. „Ein Wolf behütet es...“ Timor musterte den Malachis und verlor dabei etwas von seiner Anspannung.
Langsam nickte der Sänger, auch er entspannte sich sichtlich. „Gut, das wollte ich hören.“ Er trat dem Salsavûr aus dem Weg und deutete auf den Baum. „Und nun mein Freund sollten wir dafür sorgen, dass ihr hier ungesehen verschwindet. Ich spare mir jedwede Bemerkung über verliebten Leichtsinn. Zum einen wäre es verschwendeter Atem und zum andern bin ich euch um meiner Schwester Willen dankbar.“
Timor zog die Augenbraue hoch und war froh, dass um sie herum Dunkelheit herrschte, so sah niemand wie sich sein Antlitz rötlich verfärbte. „Hmpf...“ Irgendetwas war an diesem Malachis, das sich der Salsavûr nicht ganz erklären konnte. Aber es sorgte dafür, dass er ein warnendes Kribbeln im Nacken verspürte. Dennoch entspannte er sich deutlich und sein Gesicht wirkte wieder offener. „Besser ist das...“ Der Krieger war immer noch dabei seine Gedanken zu sammeln und zu ordnen. Als er soweit war, musterte er Fulvian erneut. „Ihr habt mir meine Frage noch nicht beantwortet.“ Seine Worte wirkten freundlich und neugierig.
„Ich kann es auch nicht.“ Fulvian zuckte die Achseln. „Es war ein unbestimmtes Gefühl, was mich bewogen hat noch einmal nach dem Rechten zu sehen.“
„Hmm...“, Vorahnungen, dazu hatte er in Thorwal mehr als einmal was gehört. Nun gut, er ließ es damit auf sich beruhen. Bevor er allerdings den Baum hochkletterte, stellte er sich Fulvian direkt gegenüber. „Ich weiß nicht, ob ihr mit eurer Schwester über diesen Abend sprechen werdet, aber wenn dem so sein sollte, dann versprecht mir nur eine Sache.“ Timor schaute dem Malachis direkt in die Augen, so gut das in der Dunkelheit ging. „Erwähnt nicht, dass es das Treffen zwischen uns in dieser Nacht gab...“
„Warum sollte ich Sanjana in Verlegenheit bringen?“ antwortete Fulvian ruhig. „Ich war nicht hier und ihr wart es auch nicht. Seid in Zukunft verdammt noch mal vorsichtiger! Und nein, ich billige nicht was ihr tut, aber ich bin Realist genug, um zu wissen, ich werde es nicht verhindern können.“ Timor genügte das als Antwort und er nickte.
„Aber...“, Fulvians Stimme wurde das erste Mal in diesem Gespräch drohend, „wenn ihr meiner kleinen Schwester das Herz brecht oder politischen Profit aus dieser Sache zieht, dann werde ich Mittel und Wege finden, dass ihr das bitter bereut.“ Der Salsavûr musste ein Schmunzeln unterdrücken, er und politischen Profit irgendwo herausziehen, so was konnte auch nur ein Politiker sagen. Dennoch blieb sein Gesichtsausdruck ernst. Als er zu sprechen begann, hatte seine Stimme einen würdevollen Unterton. „Mein Wort, dein Pfand!“ Etwas weniger würdevoll und wieder mit einem drohenden Unterton, der aber nicht in Fulvians Richtung ging, fügte er noch hinzu: „Sollte das Herz eurer Schwester gebrochen werden, wird derjenige, der die Schuld daran trägt, binnen zwölf Tagen vor dem Schweigsamen stehen...“ Dass er dies wohl nie sein würde, ließ Timor unausgesprochen, da das für ihn selbstverständlich war.
„Dann, Timor di Salsavûr, sind wir uns einig.“ Fulvian streckte seine Schwurhand nach oben, um sie dem halb im Baum Sitzenden zu reichen. Die beiden Männer tauschten einen kräftigen Händedruck, dann verschwand der eine über die Mauer und der andere ums Haus.
Zurück blieb ein friedlicher Garten.