Briefspiel:Rebenblut (1)
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Ausbrechender Bruderzwist
Im Palazzo der Familie Solivino, zum Ende des Efferdmonds
Unruhig trommelte Rahdrigo Solivino mit den Fingern auf der robusten Tischplatte und ließ immer wieder seinen Blick umherwandern. Wie so häufig hatte sich sein Bruder Rahjalin verspätet.
Das große Zimmer, in dem sich Rahdrigo auf einem seidenbezogenen, thronartigen Stuhl niedergelassen hatte, wurde vom blutroten Abendlicht beschienen. Der junge Signor fühlte sich sogleich an die Farbe des Weines erinnert, den er als Lebenssaft der Solivinos zu beschreiben pflegte. Auch darüber wollte Rahdrigo mit seinem Bruder sprechen. Gerade als sich der Sitzende wieder zur Tür hin umblickte, wurde diese mit einem kräftigen Schwung geöffnet und ein kurzhaariger Mann stand auf der Schwelle.
Das blasse, aristokratische Gesicht nahm die letzten Strahlen der Sonne begierig auf und ließ es vor dem dämmrigen Hintergrund stark hervorstechen. Leichtfüßig durchmaß der drahtige, nicht unattraktive Mann nach diesem Auftritt den Raum und setzte sich Rahdrigo gegenüber, wobei während der gesamten Zeit ein süffisantes Lächeln die geschwungenen Lippen des Fremden umspielte.
„Du kommst spät, werter Bruder“, begrüßte Rahdrigo den lang Erwarteten, bevor er mit gereizter Stimme fortfuhr, „woran liegt es wohl, dass deinem Wesen der Ausdruck Pünktlichkeit fremd geworden ist? Hast du in den ewigen Stunden im Schoße Rahjas vergessen, was sich für einen Solivino gehört?“
Rahjalins Lächeln verblasste und erstarb schließlich ganz: „Der Glauben gehört eben zu denjenigen Dingen im Leben, die sich nicht in terminliche Rahmen und zeitliche Vorschriften zwängen lassen. Das mag in deinem Leben so sein, doch als Tempelvorsteher ist dies nicht so ohne weiteres möglich. Ich frage mich vielmehr, ob es nur diese Lappalie ist, über die du dich eschauffierst, oder ob noch etwas anderes dahinter steckt.“
Rahdrigos Finger hatte derweil einen wilden Tanz auf dem blankpolierten Holz eingeleitet und hielten nun inne. Leise setzte er zum Sprechen an: „Scharfäugig bist du schon seit unseren gemeinsamen Kindertagen gewesen. Ja, es gibt einen Grund, weswegen ich dich um dieses Gespräch bat“, trocken räusperte er sich, „ich bin alles andere als zufrieden mit dem Zustand unserer famiglia. Zu lange habe ich euch gewähren lassen, doch ich glaube, dass es für eine Aussprache an der Zeit ist. Zu Beginn möchte ich feststellen, dass unsere Stärke und Prosperität sicherlich größer wäre, wenn es da nicht einige Dinge gäbe, die jedes Wachstum zwangläufig einschränken müssen. Zuerst einmal zu dir: Du hast zwar als Tempelvorsteher der Rahja-Kirche einiges an geistlicher Macht, doch ist es meine Überzeugung, dass es nicht das klerikale, sondern das wirtschaftliche Engagement ist, das seit je her im Sinne unseres Hauses liegt. Somit bleibst du hinter deinen eigentlichen Möglichkeiten zurück und anstatt dich zu vermählen, um dadurch den Einflussbereich unserer Sippe auszudehnen, vergnügst du dich auch noch als Charmeur und führst ein leichtherziges Lotterleben, was dich nicht groß von unserer Schwester Cerceri unterscheidet. Schließlich demonstriert unsere Ahnherrin ad passato, dass im Weinanbau unser aller Berufung liegt, und nichts lag ihr ferner als der Gedanke sich in banaler Schwärmerei zu verlieren, wie ihr es in solch leichtlebiger Weise tut. Wir sollten wohl als jüngere Generation etwas mehr Verantwortung übernehmen, sonst wird unsere blühende Kelterei spätestens mit dem Tode der zia Lorindya zum Niedergang verdammt sein. Daneben gehen viele Familienglieder zunehmend in eine Richtung der beruflichen Tätigkeit, die geradezu an Prostitution grenzt! Machtausweitung sollte nicht durch den Verkauf des eigenen Körpers, sondern durch ehrliche Arbeit zu erlangen sein.“
Ein Anflug von fleckiger Röte hatte sich auf dem fleischigen Gesicht Rahdrigos ausgebreitet, der sich nun schwer atmend einen schäumenden Sommerwein einschenkte und diesen in einem langen Zug austrank. Sein Blut war während des Redens sichtlich in Wallungen geraten und seine Augen sprühten auch weiterhin Funken.
Rahjalins Züge hingegen waren wie versteinert und seine Arme lagen wie zwei schlaffe Weinschläuche auf seinen Oberschenkeln, während er blicklos in die Leere starrte.
Knallend donnerte Rahdrigo seinen Weinpokal auf das Tischholz, als er erkannte, dass sein Bruder wohl schweigen würde und polterte mit unverhohlener Wut: „Hast du deine Stimme verloren. Du, der du doch als Schönredner bezeichnet wirst. Kannst du dich nicht wenigstens zu deinen Dummheiten bekennen. Es kann doch nicht sein, dass ich der einzige bin, der ernsthaft am Fortbestand des Namens Solivino interessiert ist. Rede endlich, bevor ich mich noch vergesse.“
Sein Zorn vermischte sich mit Unglauben über die beharrliche Schweigsamkeit Rahjalins.
Der Angesprochene saß auch nach dieser scharfen Zurechtweisung noch einige Wimpernschläge kerzengerade in seinem Lehnstuhl, dann stand er auf und richtete seine dunkelgrünen Augen langsam auf die feiste Gestalt seines Bruders. Immer noch in absoluter Geräuschlosigkeit begann der dunkelhaarige Herr langsam seinen Kopf zu schütteln, wobei sich eine tiefe Enttäuschung in seinem Gesicht abzeichnete.
„Wie konnten sich deine Gedanken dermaßen verklären, dass du selbst dem göttergefälligen Dienst auf solch fürchterliche Art lästerst.“, setzte er mit brüchiger Stimme zu sprechen an, „ich werde für dich beten, dass du wieder zur Besinnung kommst. Es muss eine Namenlose Gier dein Herz vergiftet haben, sonst kann ich mir diese Verwandlung nicht erklären. Es ist doch gerade Rahja, die alles hier ermöglichte. Sie war uns die Schutzherrin und begleitete uns auf unserem erfolgsbeschienenen Weg. Kannst du das in deiner Verblendung denn überhaupt nicht erkennen. Es geht uns besser denn je und du wirst der elenden Klage nicht müde. Du scheinst der Liebe abgeschworen zu haben, dass du dermaßen hart über mich und unsere Schwester urteilst.“
Glitzernd rollte eine Träne über die Alabaster-Haut Rahjalins, wie ein einziges Zeichen einer unendlichen Trauer, denn die Lippen und die dunkelgrünen Augen schienen von jedweder Regung unberührt. Neben der Träne war es einzig und allein das leichte Beben des Körpers, was den inneren Aufruhr widerspiegelte. Die Sonne war mittlerweile komplett hinter den Goldbergen versunken und zwischen den Arkaden des Saales nistete die erste Dunkelheit.
Finster war auch die Miene Rahdrigos, der zusammengesackt in seinem prunkvoll verzierten Thronsessel saß und seinen Bruder mit Blicken fixierte. „Dann sei es so, dass sich der Liebling Rahjas jetzt zurückziehe. Und habe er seine Meinung nicht geändert, so soll er sich in Zukunft brieflich mit mir austauschen, denn einen solchen Narren will ich mir nicht anschauen müssen.“
Sein Ton war frostig, doch schien noch immer ein stummer Kampf in ihm zu wüten: „Wisse nur dies. Es lag niemals in meinem Sinn euch zu kränken, sondern ich wollte euch einzig und allein den richtigen Weg aufweisen. Es macht mich wütend und traurig zugleich, dass ihr keine Einsicht zeigt. Doch denke daran, Rahjalin, dass ich Zeit meines Lebens immer nur für das Wohl der Solivinos gehandelt habe und es auch zukünftig tuen werde. Vielleicht werdet ihr es noch erkennen, oder wir werden uns wohl nicht mehr sehen. Lasst mich nun allein.“
In energischem Verweis deutete er auf das Portal, obwohl seine Wangen schlaff herabhingen und die fleckige Röte zugunsten einer ungesunden Blässe gewichen war. Schatten umlagerten die geschwollenen Augenlieder und die Mundwinkel zeigten kraftlos nach unten. Alles an ihm wiederstrebte dieser Geste, die seine Hand in geschäftlicher Härte durchführte. Er hatte es nicht soweit kommen lassen wollen, doch die heiße Wut hatte ihn zwischenzeitlich übermannt.
Rahjalin leistete dem Befehl des Bruders keinen Widerstand und vollkommen wortlos und schnurstracks steuerte er dem Ausgang entgegen.
Nicht mal ein Wort des Abschieds brachte er über die weichen roten Lippen und nur einen Windhauch ließ sein schwarzer Umhang zurück, wie der Traum einer Erinnerung, der Rahdrigo fiebernd erzittern ließ ...