Archiv:Palazzo Salicum (BB 27)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 27, Seiten 17-21
Aventurisches Datum: um 1027 BF



Palazzo Salicum

Ein Rundgang durch das Sommerpalais der Galahans mit Signor Tarin Salquirio von Salicum-Selzin.

von Gerilian von Torrem


Einer der größten und schönsten Sommerpalazzi aus der Zeit der Kusliker Herzöge ist eindeutig der Palazzo Salicum. Hoch über dem Amphitheater der Stadt thront das alte Gebäude mit seinen großen Fenstern und zahlreichen Balkonen. Einst residierten hier die Kusliker Fürsten während der Sommermonate. Heute ist der Palazzo auch der Stammsitz der Salicumer Signore. Und eben jener Signor von Salicum, der allseits bekannte Tarin Salquirio von Salicum-Selzin, einstiger Comto Schatzkanzler des Lieblichen Feldes öffnet für uns heute die Tore zu seiner Wohnstatt.

Das Seepferd der Selzins

Nach langer Zeit und wie stets mit klopfendem Herzen, stand ich wieder vor dem großen schmiedeeisernen Tor vor den Gärten des Palazzos. Das Tor, das lange nicht so alt wie das Hauptgebäude selbst war, zierte die Wappen zweier Familie: Den Seegreifen der Galahans und das Seepferd der Selzins. An einem der Torpfeiler befand sich der Glockenzug, den ich nun schon zum dritten Mal zog. Wieder erklang das scheppernde Klingeln der alten Glocke und nun endlich öffnete sich die Tür im Haupthaus. Heraus kam der junge Erbe und Neffe des Signors Cavalliere Reon und er stürmte auf das Tor zu. Mit einem Ruck riß er es auf, so daß es nur so schepperte, als es an den Pfeiler stieß und brauste mit einem „Viel Spaß Gerilian, der Alte ist heute bester Stimmung“, an mir vorbei.
Ich war mir sicher, daß er es nicht wörtlich gemeint hatte und ging gemessenen Schrittes an dem kleinen Springbrunnen auf das Hauptportal des Palazzos zu. Die Fassade des schloßähnlichen Gebäudes war mit allerlei Ornamenten verziert und der weiße Putz hob sich von den roten Dachziegeln ab. Über dem Tor waren wieder zwei Wappentafeln mit den Figuren der Familien angebracht. Ich stieg die wenigen Marmorstufen zum Portal hinauf und zwängte mich unbehaglich durch die offenstehende Flügeltür hindurch, die reich mit Intarsien verziert war.


Die Eingangshalle

Hinter dem Portal lag, wie ich bereits von meinen früheren Besuchen wußte, die große Eingangshalle. Und völlig ungerührt, mit seinem einschüchternden Funkeln in den Augen, stand Signor Tarin und schien auf mich gewartet zu haben.
„Willkommen im Palazzo Salicum, Gerilian.“ Der weishaarige Mann lächelte mich herausfordernd an. „Ich hoffe, die kleine Vorstellung meines Neffen, hat Euch nicht die Sprache verschlagen.“
„Nicht im mindesten“, konterte ich gekonnt und bedankte mich höflich für den Empfang und den bevorstehenden Rundgang. Wieder huschte dieses unergründliche Lächeln über das Gesicht des Signors. „Dann bewundert zunächst einmal die Fresken hier in dieser Halle.“ Er zeigte mit seinem Stock auf das sternförmige Gewölbe, das eine Krönungsszene zeigte. „Angebracht wurden die Deckenmalereien zur Zeit Königin Kusmaras und sie zeigen auch die Krönung der einzigen Kusliker Königin des Lieblichen Feldes. Interessant an diesem Bild ist im übrigen, daß die Krone sowohl vom Götterfürsten, als auch von der Allwissenden berührt wird. Ein eindeutiger Bezug auf die Kusliker Kaiser, auf die sich heute sogar das Haus Firdayon beruft. Wie sich die Zeiten ändern können,“ bemerkte er mit einem leichten Kopfschütteln.
„Und wer sind all die anderen Personen auf dem Bild“, fragte ich mit Interesse.
„Nun, ich hatte eigentlich gehofft, Ihr hättet sie längst erkannt“, versetzte er mir den ersten Seitenhieb. „Einige Gesichter scheinen sich über die Jahrhunderte einfach nicht verändern zu wollen.“ Er nahm seinen beinernen Stock mit dem Silberknauf und deutete auf einzelne Personen. „Mal abgesehen davon, daß es diese Szene so nie gegeben hat, waren vermutlich auch niemals alle Abgebildeten bei der Krönung anwesend. Mit Sicherheit aber mein Urahn Salarino, sowie der Graf von Marvinko. Seht ihr“, er deutete auf einen untersetzen Mann, „unglaublich, diese Ähnlichkeit mit Graf Croenar, findet Ihr nicht auch?“ Und in der Tat war das breite Gesicht mit den schmalen Lippen unverkennbar.
„Oder hier“, der Signor deutete auf eine kleine Wappentafel, „zwar hat er mit Baron Ariano allenfalls die Nase gemein, aber an den drei Lilien ist Alricilian von Veliris-Tuffino, der spätere Comto Seneschall gut auszumachen. Leider sind die Farben mittlerweile etwas verblaßt, so daß man viele andere Schilde nicht mehr erkennen kann. Tja, seit dem Sturz der Fürstin fehlt leider das nötige Gold zur Erhaltung der Farbenpracht.“ Versonnen blickten wir auf das beeindruckende Deckenfresko, das tatsächlich an einigen Stellen bereits verblichen war und ich erinnerte mich an den sprichwörtlichen Geiz des Signors.
„Bevor wir in die oberen Stockwerke gehen“, Signor Tarin deutete auf eine prächtige marmorne Treppe, „zeige ich Ihnen zunächst noch den Kusmara-Saal.“


Der Kusmara-Saal

Grundriss des Erdgeschosses

Wir gingen durch eine große Flügeltür aus der Halle hinaus und gelangten in einen weiteren, riesigen Saal, dessen hohes Gewölbe von einer einzigen hellmarmornen Säule, mit allerlei Steinschnitzereien getragen wurde. Durch drei hohe Mosaikenfenster fiel allerlei buntes Licht auf den glatten weißen Boden.
„Dieser Saal hieß früher einmal der Yuminsaal, nach dem ersten Herzog von Kuslik.“ Der Signor wies auf die vier hervorgehobenen Buchstaben Y im Gewölbe, das ansonsten sternförmig von der Mittelsäule ausging, um dann in den vier Ecken jeweils quadratisches auszulaufen.
„Beeindruckend“, entfuhr es mir als mein Blick von der Decke zu den Fenstern glitt.
„In der Tat und bedenkt bitte, daß dieses Gewölbe bereits über 400 Jahre alt ist“, führte Tarin aus, bis er bemerkte, daß mein Blick auf den Fenstern hing. „Die Fenster sind allerdings jünger und stammen ebenfalls aus der Zeit von Königin Kusmara. Die beiden äußeren Fensterbilder zeigen alle Kusliker Herzöge und in der Mitte ist die Regentschaft der Königin selbst abgebildet. Beginnend beim Bürgerkrieg bis hin zu ihrem Tod im Jahre 2315 Horas.“
„Ist das dort König Alborn“, fragte ich immer noch gebannt dieses meisterliche Werk betrachtend.
„Alle 12 Galahanfürsten in einem Fensterbild und der Torrem sieht natürlich wieder den einzigen Firdayon“, sagte der Signor mehr zu sich, als zu mir. „Ja, das ist die Abdankung König Alborns“, erklärte er mir. „Seine zweiten Regierungsjahre läßt das Fenster jedoch aus.“ Jetzt mußte sogar der Signor aus Salicum kurz lächeln.
„Ihr solltet den Saal erst einmal sehen, wenn der Herr Praios im Meer der Sieben Winde versinkt. Ein unbeschreiblicher Anblick. Ich denke, bis dahin seid ihr noch hier. Nun laßt uns aber mit dem Rundgang fortfahren.“ Mit diesen Worten zog mich der Signor sanft von den Fenstern weg. „Während man durch die Seitentüren auf die unteren Balkone gelangt, führt diese Tür hier in die Arangerie.“


Die Arangerie

„Eigentlich gehört dieser Saal schon zum Galahanflügel, wie Ihr auch an diesem kleinen, halb versteckten Durchgang erkennen könnt. Dahinter liegt das Treppenhaus des Südflügels. Doch das werde ich Euch erst später zeigen.“
„Aber?“
„Aber die Arangerie mit ihren großen hohen Fenstern zählt noch zu den gemeinsamen Räumlichkeiten des Palazzos. Einige der Arangenbäume stammen noch von Fürstin Kusminas Onkel, der diese Pflanzen selbst aus Aranien eingeschifft hat. Mehr gibt es hier aber auch nicht zu sehen.“
Ich ließ noch kurz einen Blick über den länglichen Saal mit seinen zahlreichen Bäumen und wenigen Skulpturen streifen, bevor ich Signor Tarin zurück in die Eingangshalle und über die große Marmortreppe in den zweiten Stock folgte.


Die Seegreifenhalle

Die breiten Stufen führten durch ein reich verziertes Treppenhaus direkt in eine riesige Halle, die durch hohe offene Bogendurchgänge mit weiteren Sälen verbunden war. Auf dem Boden war ein riesiges Bild aus einzelnen Marmorplättchen gefertigt, das verschiedene Efferdstiere zeigte. Die hohe Decke war um einiges höher als im unteren Stockwerk, jedoch wieder mit einem sternförmigen Gewölbe ausgestattet. Diesmal zeigte es jedoch den Himmel mit zahlreichen alveranischen Figuren und Symbolen. Direkt in der Mitte der Gewölbedecke, dort wo die Bögen strahlenförmig zusammenliefen, erstrahlte die Sonne als Aureole um den Kopf des Götterfürsten.
„Die Seegreifenhalle“, sagte der Signor nicht ohne Stolz. „Sie ist das Herz des Palazzos. Hier und in den umliegenden Sälen finden die großen Bälle im Efferd statt.“ Signor Tarin wies durch die Durchgänge. „Vor allem sieht es in dieser Halle noch genauso, wie vor 400 Jahren aus, da außer kleinen Wiederherstellungsarbeiten, von keinem Galahan jemals etwas verändert wurde. Schaut Euch nur die Farben an, kaum etwas ist verblaßt. Im Gegensatz zu den Malereien aus den Tagen des jungen Königreiches, wie unten in der Eingangshalle.“
„Wahrlich umwerfend“, konnte ich nur sagen, als ich mir die realistischen Figuren und Malereien ansah. „Von welchem Künstler stammt dieses Fresko?“
„Leider sind die genauen Aufzeichnungen verschollen, aber die Gelehrten gehen davon aus, daß zumindest die Entwürfe von dem Kusliker Maler Rahjalieb Avesstrand gefertigt wurden. Aber er hat vermutlich auch selbst gemalt, denn ich wüßte niemanden aus dieser Zeit, der eine solche Perfektion erreicht hätte. Ihr vielleicht?“
„Nein“, sagte ich schnell, um dann sofort die nächste Frage stellen zu können: „Gehört dieser Teil auch noch zur Greifenhalle?“ Dabei zeigte ich auf einen der hohen Durchgänge und schritt hindurch.


Der Efferdsaal und die Loggia

Grundriss des ersten Obergeschosses

Der Saal dahinter war ähnlich, wie die Greifenhalle gestaltet und es standen nur wenige kleine Seitentische an den Wänden auf denen Büsten und Skulpturen präsentiert wurden. Die Wände waren mit feinem Tuch verkleidet und das besonders auffallende war der tiefblaue Marmorboden.
„Das ist der Efferdsaal“, rief mir der Signor hinterher, ohne mir zu folgen. „Er gehört zwar nicht unmittelbar zur Greifenhalle, aber natürlich ist er auch einer der Festräumen des Palazzos. Genauso, wie die Loggia, von der aus man auf die Balkone gelangt. Sie bieten eine tolle Aussicht, aber die konntet Ihr ja schon einmal genießen, nicht wahr, Gerilian?“
„So ist es“, erwiderte ich und folgte dem Signor zurück durch die Greifenhalle und die kleine luftige Loggia, deren Flügeltüren jetzt im Frühling weit geöffnet waren und eine sanfte Brise in das Gemäuer einließ, auf den großen Hauptbalkon.
„Das ist noch die wahre Seeluft“, schwärmte Signor Tarin, „nicht so, wie in Kuslik, wo es überall nach Fisch, oder weitaus schlimmeren Dingen riecht. Seht, man kann heute sogar die Stander der Karracke erkennen.“
Und in der Tat, weit vor dem Hafen Salicums lag die große Karracke der Stadt. Die „Stolz von Salicum“ diente zum Schutz der Stadt, war aber mehr Abschreckung, wie mir ein Beamter der Admiralität erzählt hatte, denn das Schiff war schon seid Jahren ohne die nötige Stammbesatzung. Wir blickten beide noch einige Zeit stumm auf das weite Meer hinaus und hingen unseren Gedanken nach, als der Signor die Stille plötzlich durchbrach: „So, genug geträumt. Jetzt zeige ich Euch den Galahanflügel. Den habt Ihr schließlich noch nie gesehen. Kommt mit.“


Der Galahanflügel – Südflügel

Zusammen mit Signor Tarin Salquirio von Salicum-Selzin ging ich wieder zurück in die Eingangshalle, wo wir vor einer seitlichen Flügeltür stehenblieben. Der Signor holte einen Schlüssel hervor und öffnete damit das kleine Schloß an der hohen Tür. Doch bevor wir eintraten, hielt er noch einmal inne.
„Leider sind viele Möbel mit weißem Tuch verhangen, da diese Räumlichkeiten in letzter Zeit nicht mehr sehr häufig benutzt wurden. Aber einiges ist vom alten Glanz vergangener Tage noch zu erkennen. Laßt Euch daher nicht abschrecken.“ Mit diesen Worten drückte er die goldene Klinke hinunter.


Die Hesindehalle

Hinter der Tür lag eine große Halle. Von der Decke hing ein gewaltiger Lüster mit vielen Kristallstücken über einem riesigen Tisch. Sämtliche Stühle, und es mußten wohl über zwanzig sein, waren verhangen.
„Dies ist die Hesindehalle, der große Bankettsaal des Palazzos. Seinen Namen hat er von diesem großen Gemälde, das die Erzheiligen Cereborn, Canyzeth und Argelion porträtiert. Natürlich sind das keine echten Porträts“, kam mir der Signor meiner Frage zuvor. Das Bild war aber beeindruckend. Es nahm die gesamte Westfront der Halle ein und war bestimmt vier mal vier Schritt groß.
„Und werft bitte auch einen Blick auf das Gewölbe, denn dort windet sich eine Schlange über die verschiedenen Bögen.“ Der Signor umrundete den großen Tisch und wies auf einen hohen Lehnstuhl an der Frontseite. „Hier saß zuletzt Fürstin Kusmina, nur wenige Tage vor dem berühmt-berüchtigten Blutkonvent zu Arivor. Die Tafel war mit weißem Linnen bezogen und mit goldverziertem Porzellan gedeckt. Ich rieche den Fasanenbraten, als wäre es gestern.“
„Ihr wollt sagen, daß Fürstin Kusmina hier kurz vor ihrem Sturz mit Getreuen zusammensaß und ihr einer davon ward?“, stieß ich hervor. Mein journalistischer Sinn regte sich plötzlich. Doch der Signor schüttelte nur milde mit dem Kopf und blickte mich mitleidig an.
„Natürlich nicht“, zwinkerte er mir zu. „Ich habe auch keine Erinnerung mehr an die Gästeliste von diesem Tag. Da ich aber auch zufällig in diesem Palazzo wohne, konnte ich den Geruch des gebratenen Vogels bis in das entfernteste Zimmer, dessen Läden ich geschlossen und in das ich mich eingesperrt hatte, riechen.“
Ich schalt mich selbst einen Toren, denn hätte ich meine Neugier zügeln können, hätte er vielleicht ein unbedachtes Wort getan. Diese Gelegenheit war natürlich für heute vergangen. Jetzt würde er auf der Hut sein, der alte Fuchs. Ich folgte ihm etwas niedergeschlagen in einen kleinen Raum.


Die kleine Galerie und der Firunsaal

Der kleine Raum war über und über mit Bildern geschmückt, auf denen ich Königin Kusmara, Fürstin Kusmina und Prinz Romin wiedererkennen konnte.
„Das hier ist die kleine Galerie“, klärte mich der Signor auf. „Hier hängen einige bedeutende Galahans. Das dort drüben ist zum Beispiel Herzog Broinho, der vierte Herzog von Kuslik. Er soll übrigens eine Liebschaft mit Baronin Rahjina von Veliris gehabt haben und sogar der Vater ihrer Tochter gewesen sein.“
„Das würde bedeuten, daß die Veliriser Galahans sind“, fragte ich etwas ungläubig. Signor Tarin zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob es die Wahrheit ist. Das ist immerhin schon mehr als 400 Jahre her. Aber ich möchte ohnehin nicht wissen, wie viele Dynastien auf falschen Annahmen fortgeführt wurden. Oder, wie erklärt Ihr Euch den Sohn Aldares?“
Ich starrte ihn sprachlos an.
Der Signor winkte ab. „Schließt Euren Mund wieder, Gerilian. Manch einer glaubt, Herzog Cusimo könnte der Vater sein. Wenn ihr mich fragt, dann ist das aber sehr unwahrscheinlich, oder habt Ihr jemals etwas von einem Bastard des Herzogs gehört? Ich nicht, aber von Hunderten von Liebeleien weiß ich bestimmt. Das ist im übrigen ein Bild von Herzog Midor.“
„Dem Schlächter von Grangor.“
„So kann man es auch sehen. Aber nun folgt mir in den Firunsaal. Das ist der große Salon des Südflügels.“
Ich folgte Signor Tarin in einen großen Raum mit einem großen Kamin, über dem allerlei Geweihe und andere Trophäen hingen. „Ist das dort etwa ein Säbelzahntiger?“
„Es soll Herzog Hilbert gewesen sein, der den letzten erlegt hat.“ Der Signor zuckte unwissend mit den Schultern und ging auf eine alte Kommode zu. „Unter den Tüchern stehen übrigens schwere Ledersessel, hier habe ich Prinz Romin ‚Rote und Weiße Kamele’ beigebracht. Ah, hier ist es ja.“ Mit diesen Worten zog der Signor einen länglichen Kasten aus der Kommode. Nachdem er ihn etwas vom Staub befreit hatte, öffnete er den mit tulamidischen Symbolen verzierten Kasten und zum Vorschein kam eine kleine Teppichrolle.
„Das müßt Ihr Euch ansehen“, Signor Tarin entrollte den Teppich auf einem kleinen Tischchen. „Das ist ein uraltes Spiel, das bestimmt 300 Jahre alt ist. Schaut Euch nur diese herrlich gearbeiteten Warenbällchen an.“ Und in der Tat war es das schönste Rote und Weiße Kamele Spiel, das ich jemals gesehen hatte. Das Spielfeld war trotz des Alters noch gut zu erkennen und die Spielsteine allesamt aus edlem Bein gefertigt. „Es stammt direkt aus Rashdul und gehört eigentlich Prinz Romin. Aber ich schwelge zu sehr in Erinnerungen. Jetzt zeige ich Euch die anderen Zimmer des Südflügels.“


Die Herzogsgemächer

Über ein kleines Treppenhaus führte er mich wieder in den nächsten Stock. „Hier und auf der anderen Seite der Treppe, befinden sich jeweils zwei Gemächer. Diese standen entweder Gästen, oder Personen aus dem Hof der Herzöge und Fürsten zur Verfügung. Im Moment ist dort jedoch alles abgedeckt.“ Er öffnete eine Tür und ich sah in ein geräumiges Gemach mit einer hohen Decke und schönen Wandverhängen. Ein großes Himmelbett, sowie einige Möbelstücke standen dort unbenutzt im Raum. Der Signor zog die Tür wieder zu und führte mich in das nächste Obergeschoß.
„Hier rechts ist ein weiteres Gemach, in dem die Hofdamen Fürstin Kusminas schliefen, während wir nun in die Herzogsgemächer kommen. Der alte Name blieb auch nachdem die Herren von Kuslik zu Fürsten ernannt wurden erhalten.“ Wieder nahm er einen Schlüssel zur Hand und öffnete eine reich verzierte und mit Blattgold belegte Tür. Wir traten in ein Zimmer ein, das nicht größer als das untere Gemach war, dafür stand hier aber ein riesiges Himmelbett mitten im Raum. Die Wände waren mit dunklen, rötlichen Stoffen verkleidet und trotz der weißen Tücher über einigen Möbelstücken, konnte man den Prunk des Raumes noch immer sehr gut erkennen. „Normalerweise sind hier auch die Fensterläden geschlossen“, sagte Signor Tarin, „aber ich ließ sie heute Morgen für Euch öffnen. Neben den Fensterläden gibt es aber auch noch die Möglichkeit alle Fenster im Palazzo mit Tüchern zu verhängen. Diese Erfindung stammt aus neuerer Zeit und wurde von der Marchesa Daria Berlînghan erfunden, weswegen man diese Tücher auch Markisen nennt.“
„Aha“, brachte ich nur hervor und sah mir das Holzgestänge an, mit dem man diese ‚Markisen’ auf-stellen konnte. Der Signor war jedoch bereits in den nächsten Raum gegangen, von wo ich ihn sagen hörte: „Und dieser Raum gehört ebenfalls noch zu den Herzogsgemächern. Hier soll Fürstin Kusmina einige der belastenden Briefe geschrieben haben, die zu ihrem Untergang führten.“ Mittlerweile war ich auch nachgekommen und sah mich in dem Raum um. An einer Seite stand ein verzierter Schreibsekretär, sowie weitere Sitzmöglichkeiten und vermutlich Sessel, wenn ich die Umrisse der Tücher richtig deutete.
Wir verließen den Raum durch eine weitere seitliche Tür, durchschritten einen kleinen Flur von dem aus man auch wieder zum Treppenhaus gelangen konnte und betraten dann einen weiteren Raum, in dem abgedeckte Sessel standen. An den Wänden hingen Bilder, die die umgebende Landschaft zeigten, wie ich annahm und von der Decke hing einer dieser unermeßlich teuren Kristalleuchter. „Und das hier ist wahrscheinlich der Salon der Fürstin“, mutmaßte ich laut. „Ganz Recht“, bestätigte mich Signor Tarin, der dem Raum wenig Bedeutung beizumessen schien, denn er war bereits dabei die große Tür auf der anderen Seite des Zimmers zu öffnen. „Nun kommt ein weiterer Höhepunkt des Palazzos“, sagte er geheimnisvoll und zeigte mit der Hand in den nächsten Raum.


Der Rahjasaal und die Avesgalerie

Grundriss des zweiten Obergeschosses

Doch dahinter lag kein weiterer Raum, wie ich zunächst annahm, sondern eine großer Saal, der in Form und Ausmaß der Eingangshalle glich. Doch waren der Boden und die Wände mit rötlichem Marmor ausgekleidet und vom Deckengewölbe hing ein dermaßen gewaltiger Kronleuchter, daß es mir die Sprache verschlug. Der Leuchter war annähernd zwei Schritt breit und fünf goldene aufsteigende Pferde, die sich allesamt an ihrem Schweif berührten und anscheinend schwerelos in den Raum sprangen, bildeten das Hauptgerüst. Dazwischen waren rosenförmige feine Goldarbeiten angebracht. Zwischen den Pferden verliefen drei nach außen hin aufsteigende Ringe, in denen zahlreiche Kerzen steckten.
„Ich gebe zu, daß man den Leuchter eigentlich bei Nacht sehen müßte“, lächelte Signor Tarin, „aber er verfehlt auch so seine Wirkung nicht, wie ich sehe. Das hier ist im übrigen der Rahjasaal, oder auch das Musikzimmer.“
Nachdem ich meinen Blick von dem unglaublichen Kronleuchter wenden konnte, sah ich die verschiedenen Hörner, sowie die großen Polsterstühle an den Wänden. „In diesen Saal gelangt man übrigens nur über die Privaträume, so daß nur ausgewählte Gäste des Hauses in dieses obere Stockwerk eingeladen werden.“ Der Signor schritt durch einen von zwei hohen Durchgängen in einen Nachbarraum.
„Und das hier ist die Avesgalerie, von der man einen wunderbaren Ausblick über die Stadt und aufs Meer hat. Aber nun zeige ich euch den Nordflügel, oder auch Signorsflügel. Das sind die Räume des Hauses Salicum-Selzin.“ Und noch bevor ich einen richtigen Blick aus den großen Fenstern werfen konnte, war Signor Tarin durch eine hohe Seitentür verschwunden.


Der Signorsflügel – Nordflügel

Er wartete auf mich in einem kleinen Salon, in dem ein kleiner Tisch, sowie kleine Sessel standen. Die Wände waren mit hellblauem Stoff verkleidet. „Das hier ist der obere Salon, der aber in erster Linie von Reon benutzt wird. Hinter dieser Tür liegt auch sein Gemach. Das werde ich Euch allerdings nicht zeigen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß die Zofen länger für sein Zimmer brauchen, als für den ganzen restlichen Palazzo.“ Er zog die kurz die Brauen hoch und schüttelte dann mit dem Kopf. „Ich zeige Euch lieber meine Gemächer.“ Mit diesen Worten verließen wir den Salon und ich machte mir über das gerade Gesagte so meine Gedanken. Denn nach alledem, was ich von Reon Sal von Salicum-Selzin gehört hatte, war ich mir nicht sicher, ob die Zofen tatsächlich nur das Zimmer säuberten.


Die Signorsgemächer

In dem Raum, in den mich der Signor nun führte, standen ein wunderschöner großer Schreibsekretär, sowie einige hohe Lehnstühle. Darüber hinaus waren im ganzen Zimmer zahlreiche Statuen und Figuren auf Sockeln und Regale verteilt. Die meisten konnte ich als alte bosparanische Werke erkennen, aber einige blieben mir unbekannt.
„Wie ich sehe, bewundert Ihr meine Statuensammlung. Die meisten Stücke stammen aus Bosparan, oder dem frühen Kuslik. Einige wenige sollen sogar echsischer Herkunft sein und diese hier“, er deute mit dem Finger auf einen Kopf aus Alabaster, “habe ich als güldenländische Kunst erworben. Phex alleine mag wissen, woher diese Skulptur wirklich stammt.“ Er seufzte leicht und öffnete dann die nächste Verbindungstür. „Dies hier ist mein Schlafgemach, aber es ist heute leider etwas unaufgeräumt.“ Mit Unglauben blickte ich in das große Zimmer mit dem schönen Himmelbett, denn für mich sah es sehr ordentlich aus. Überhaupt kam es mir in den Räumen des Signors so vor, als hätte alles seinen Platz und nur göttliches Einwirken könnte hier etwas verrücken. Bevor ich jedoch darauf eingehen konnte, zog mich Signor Tarin bereits wieder hinaus und ging mit mir die Treppe hinunter.
„Im zweiten Stockwerk gibt es drei Gemächer“, sagte er und wies mit der Hand jeweils auf einige Türen. „Die Zimmer werden nicht regelmäßig benutzt und stehen als Gästezimmer zur Verfügung.“


Salon, Speisesaal und Geschirrzimmer

Aufteilung des Palazzos in gemeinsame Räume (grün), Galahangemächer (gelb) und Selzingemächer (rot)

Wieder im Erdgeschoß angekommen, führte mich Signor Tarin in ein recht dunkles Zimmer in dem einige Sessel standen. „Dies hier ist der untere Salon. Leider etwas dunkel, da er keine Fenster hat, aber genau richtig um Gäste warten zu lassen. Nicht wahr, Gerilian?“ Der alte Mann grinste mich spitzbübisch an. Mir war dieser Raum nur allzubekannt. Denn in der Tat hatte mich der Signor dort bestimmt ein halbes Stundenglas warten lassen, bevor er mich bei meinem ersten Besuch empfangen hatte. Und als er die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete drang strahlend gleißendes Licht durch die Fenster, so daß ich regelrecht geblendet vom damaligen Comto Schatzkanzler war.
„Direkt hinter dem Salon“, hörte ich ihn fortfahren, „liegt der Speisesaal.“ Wir betraten einen Raum mit einem großen Tisch, an dem mehrere Stühle standen und über dem ein silberner Kronleuchter hing. „Hier geruhe ich meine Mahlzeiten einzunehmen“, erklärte er mir förmlich. „Viel interessanter als dieser Saal ist jedoch das Nebenzimmer“, sagte er weiter und führte mich in einen kleineren Raum, in dem ein großer Schrank, sowie einzelne Kommoden und Vitrinen standen. „Das ist das, sogenannte Geschirrzimmer. Hier werden das edle Porzellan, die feinen Karaffen und die teuren Platten aufbewahrt. Schaut, in dieser Vitrine steht eine Gebäckschale aus der Zeit Herzog Jubans.“ Interessiert blickte ich mir die verschiedenen Stücke an und sann mehr über ihren unermeßlichen Wert, als über die feine Kunstarbeit nach.
„Ja, ja“, sagte er, als errate er meine Gedanken, „diese Stücke müssen ein Vermögen wert sein.“


Das Kabinett und die Bibliothek

„Doch kommt“, trieb er plötzlich zur Eile, „jetzt zeige ich Euch einen Raum, den ihr schon einmal gesehen habt.“ Er führte mich in sein Arbeitszimmer. Es war ein heller langgezogene Raum mit zahlreichen Regalen und Gemälden. Auf der einen Seite stand ein Schreibpult, vor den zwei Ledersessel gruppiert waren und auf der anderen Seite reihte sich ein hohes Regal an das nächste, in denen sich Bücher, Folianten und Pergamentrollen stapelten. „Dieser Raum ist das nördliche Gegenstück zur Arangerie, gehört aber zum Signorsflügel. Aber was rede ich, Ihr kennt ihn ja ohnehin zur Genüge.“
„Nun ja, das schon, aber mich würde dennoch interessieren, wer diese ausgesprochen gut sortierte Bibliothek zusammengetragen hat?“ „Nun, einige wenige Bücher stammen aus alten Galahanbeständen, aber das meiste haben die Signores von Salicum über die Jahre hinweg erstanden. Ein paar Bücher wurden auch aus den Archiven unserer Stammburg aus Selzin hierhergeholt. Das Klima in diesem Raum ist nämlich deutlich trockener, als im feuchten Selzin. Aber jetzt kommt mit, die Sonne geht unter, und ich hatte Euch doch noch einen unbeschreiblichen Anblick versprochen.“
Ich folgte dem Signor von Salicum und als er erneut die Tür zum Kusmara-Saal öffnete, blieb mir der Atem stehen. Das rötliche Scheinen der untergehenden Sonne tauchte die Halle in unwirkliches Licht. Die Mittelsäule erstrahlte in einem tiefen Rot, denn anscheinend waren einige Glasstücke extra so geschliffen, daß sie das abendliche Licht des Götterfürsten direkt auf die Säule leiteten. Der Signor wies auf eine bestimmte Stelle der Säule, die ungewöhnlich flach war und die ich erst jetzt bemerkte. Und dann sah ich es: Das Licht der Sonne zeichnete die Umrisse eines Gesichtes auf die Stelle. Ganz deutlich konnte man die hohen Wangenknochen und die kleine Nase erkennen.
„Das ist Königin Kusmara.“
„Aber, wie haben sie das gemacht?“
„Nun, ich weiß es auch nicht ganz genau, aber ich glaube etwas Magie ist auch dabei.“
Und zum Abschluß des Rundgangs blickten wir beide stumm auf die Fenster, die immer mehr im dunklen Rot erstrahlten. „Euer Wohlgeboren, habt Dank dafür, daß Ihr Eure Tore für uns geöffnet habt.“
„Es war mir wie immer eine ganz besondere Freude und hoffe Euch und Euren Lesern hat der Rundgang gefallen.“


Mit diesen Wünschen endet auch meine getreuliche Wiedergabe des Gesprächs mit dem Signor von Salicum-Selzin, der mich anschließend noch zum kommenden Efferdball eingeladen hatte. Eine Ehre die nicht nur mir, sondern natürlich auch den Lesern des Bosparanischen Blattes zuteil werden wird, denn ich werde nicht nur meine festlichen Gewänder, sondern auch meinen Schreibstift zum Efferdstechen mitnehmen.

Andree Hachmann