Briefspiel:Kronkonvent Boron 1041 BF (3)
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Derweil im Vinsalter Stadthaus der Kantra
Autor: Athanasius
„Was ist mit den Seidenhandschuhen, Comto?“
„Desmodena, warum lässt du mich das eine Mal nicht selbst zu Ende packen und kümmerst dich schon einmal um die Kutsche?“ Die Leibdienerin des Comto Schatzkanzlers klimperte mit den Lidern und spitzte die schmalen Lippen, deutete dann aber eine Verbeugung an und zog sich zurück.
Vilemon Kantra öffnete die große Kleidertruhe und holte jene Pluderhose aus grünem Leder hervor, die er einst in Belhanka erstanden hatte. ‚Das Leder wird zeigen, dass ich eilig gereist, gar geritten bin und sieht dennoch nicht unbotmäßig aus.‘ Eine Weile später hatte er die Hose angezogen, sie zwickte etwas am Bauchnabel. Kurzentschlossen holte er auch seinen alten Langdolch samt dem weinroten Gürtel aus einem lange nicht mehr geöffneten Fach seines Ankleideschrankes und legte ihn um. Ein bläulicher Hut mit breiter Krempe und er war angezogen.
Ein Blick in den Spiegel ließ Vilemon schmunzeln. ‚Ein bunter Hund, fürwahr.‘ Dieser Hund würde ihnen allen zeigen, dass er nicht nur kläffte, sondern auch beißen konnte, wenn es Not tut. Der Comto Schatzkanzler war sicher, dass der Horas die Weisheit seiner Handlungen letztlich erkennen würde. Und er war sich ebenso sicher, dass er sich sehr dafür interessieren würde, wie Ralmans Mann – Kantra nannte den Comto Großsiegelbewahrer seit Mantrash’Mor nicht mehr anders – bei den Verhandlungen aufgetreten war. Der Wille des Reiches war hier mit dem Willen des ehemaligen! Comto Protectors gleichgesetzt worden.
Vilemon Kantra verspürte, nach der Tortur die die Debatte im Haus der Edlen für ihn zunächst bedeutet hatte, fast eine Vorfreude auf seine Reise nach Horasia, sein kleines Abenteuer zum Sangreal. Endlich hatte er wieder das Heft des Handelns in der Hand.
Es klopfte, der Schatzkanzler öffnete und seine Leibdienerin stand vor der Tür, einen unruhigen Gesichtsausdruck auf ihren ansonsten nicht zu Gefühlsausbrüchen neigenden Zügen.
„Desmodena, die Kutsche, ist sie da?“ Kantra wedelte ungeduldig mit der Hand, während er das letzte Kleidungsstück in die Reisetruhe packte. Die Leibdienerin räusperte sich. „Unten ist Besuch für Euch, Comto.“
Vilemon Kantra hob den Kopf und musste grinsen, als er den hilflosen Gesichtsausdruck der Frau sah. ‚Ein ungünstiger Zeitpunkt, in der Tat.‘
„Besuch, Desmodena.“
„Welcher Art, wenn du die Frage gestattest?“
Kantra grinste immer noch. Desmodena blinzelte.
„Zwei Herren vom Orden des Goldenen Adlers.“
Sein Grinsen gefror.
„Es geht offenbar um eine ältere Aktennotiz, über die Ihr Auskunft geben könntet, wie der Comto Geheimsiegelbewahrer hofft.“
„Der Comto Geheim…“
Er spürte, wie ihm Schweißperlen auf die Stirn traten.
‚Ruhe bewahren Kantra. Das Ravendoza persönlich seine Leute schickt, ist kein gutes Zeichen, nein. Vermutlich hat jemand die Akte ausgegraben. Und jetzt ist auf Naumstein Panik ausgebrochen.‘
Der Schatzkanzler setzte sein Grinsen wieder auf. „Sag den Herren, dass ich sogleich bei Ihnen bin.“ Kantra schickte sich an, die Tür zu schließen. „Aber, Comto…“ „Gleich, Desmodena“, unterbrach Vilemon die Leibdienerin und schloss die Tür vor ihrer Nasenspitze. Er wartete ein Schnauben und die sich schließlich zögerlich entfernenden Schritte ab, dann schob er die Kleidertruhe vor die Tür und öffnete das doppelflüglige Fenster über seinem Bett und stellte eine der beiden grauenhaften Heiligenstatuetten aus der Gerondrata dazwischen, damit kein Luftstoß sie schließen konnte. Die andere warf er in hohem Bogen in Richtung des Gartens, den man über eine schmale Wendeltreppe erreichen konnte. Schon flogen die Tauben verstört auf und unten wogte das Blätterdach der Ulme, die ein Vorbesitzer des Haues dort hatte pflanzen lassen. Vilemon blieb jedoch keine Zeit, um sein Werk zu bewundern.
Stattdessen eilte hinüber zur kleinen Tür, die sein Schlafgemach mit dem Roten Salon verband. Er eilte hinüber zu dem Erker, wo eine angefangene Partie Rote und Weiße Kamele auf eine – nun mehr als ungewisse – Fortsetzung harrte. „Ein andermal, Niam“ flüsterte Kantra. Dann öffnete er das runde Erkerfenster, fluchte über seinen zuletzt bedauerlicherweise angewachsenen Bauchumfang und kletterte hindurch.
Er warf einen letzten Blick zurück auf Spielbrett, Salon und das verlassene Schlafzimmer dahinter. Er hatte immer gewusst, dass ihm seine kurze Faszination für den dunklen Zwilling in seiner Jugend irgendwann einholen würde.
‚Waren das nicht Stiefelschritte auf der Treppe?‘ Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Mit knirschenden Stiefeln begann Comto Vilemon Kantra, Schatzkanzler des Horasreiches, über die Ziegel seines Hausdaches hinabzuschliddern. Zum Glück hatte er damals nicht darauf bestanden, ein Haus fernab der Nachbarn zu erstehen. Das nächste Dach war längst erreicht, noch ein halbes Dutzend weiterer und er wäre an dem Wehrgang der Stadtmauer
angelangt, als sich unter ihm ein Fensterladen öffnete. „Was bei allen Zwölfen…“
„Ein bunter Hund, Signore“, antwortete Vilemon, „ein bunter Hund auf eurem Dach!“