Briefspiel:Stille Wasser/Akt If

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Übersicht   Prolog   Akt I   Akt II   Epilog  
Graue Himmel und Grablegen   Ankunft im Regen   Albträume im Bergfried   Testamentsverlesung und Verlesungen im Testament   Auslegungssache   Suppengenuss   Suppensucht   Suppengift    

Gorrada Altmeister und Geronya Menaris

Stärkendes Suppengrün

„In der Tat, ein weiser Vorschlag.“ Olwid Halthera schien seine Sprache wiedergefunden zu haben, nachdem er nach der Testamentsverlesung schweigend die Deutungen der Anwesenden verfolgt hatte. „Dem ich einen weiteren hinzufügen darf. Meisterin Gorrada, welche Speisen hat die Küche vorbereitet, womöglich hilft es den Geistern, wenn die Bäuche sich erst einmal zu füllen beginnen? Und da die ehrenwerte Frau Yelaya der guten Vanossa ohnehin zur Hand geht, können wir sie dann sogleich über dem ersten Gang zu diesen Dingen befragen!“ Olwid blickte sie erwartungsvoll an und dann, um Zustimmung bittend, in die Runde. Mit einer leichten Verbeugung trat Gorrada Altmeister von ihrem schattigen Platz an einer der Säulen nach vorne. „Zunächst ist eine Zuppa Belhancani mit den besten Stücken der Terrinder Forelle zubereitet worden. Dann wird es waldpilzgefüllte Diankanudeln geben und abschließen möchten wir mit einem Klosterbrot an Ziegenkäse!“ Sie erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln. Die Auswahl der Speisen war weit davon entfernt, als bürgerlich bezeichnet werden zu müssen, war aber andererseits traditionell genug, um den Gastgeber zufriedenzustellen und dem Hause Halthera zur Ehre zu gereichen. „Ich werde mich sogleich darum kümmern, dass die erste Speise gebracht wird, Monsignore Halthera!“ Damit verließ sie den Ribatsaal.

Eine alptraumhafte Kutschenfahrt

Von Träumen geplagte Geronya

Geronya Menaris klappte den Redeschacht der Kutsche nach unten und beugte sich vor, behutsam darauf bedacht, Gyldarion, der endlich eingeschlafen war, nicht zu wecken. „Kutscher lasst die Peitsche sprechen! Wir sind ohnehin schon viel zu spät, ich will nicht in Wanka ankommen, wenn die Signora längst im Grabe und das Erbe längst verteilt ist!“ Der Kutscher brummte seine Zustimmung und ließ die Peischte knallen, der Regen, der auf das Kutschendach prasselte, ließ sie vermuten, dass auch der Mann nichts gegen eine baldige Ankunft einzuwenden hatte.
Einmal mehr fluchte sie im Stillen über diese jüngste Bitte ihres Onkels und Patriarchen. Der Bote hatte sie in Kuslik angetroffen und schon zu diesem Zeitpunkt war eigentlich zu wenig Zeit für die Anreise gewesen. Gyldarion und Asmodean hatten gerade erst begonnen, sich von ihren schlaflosen Nächten zu erholen. Den beiden Kleinkindern war es besser gegangen, je weiter sie von Shenilo weggekommen waren. Es war keine Überraschung für Geronya. Wenn schon die Erwachsenen mit Unwohlsein ein Ende der kalten Wintermonate im Palazzo Carolani herbeisehnten und mit düsteren Blicken die grauschwarzen Brandflecken maßen, die an einigen Stellen noch immer zu sehen waren, wie sollte es dann erst den Kindern gehen? Sie hatten feinere Sinne als viele Erwachsene, manchmal spürten sie Dinge, die der Verstand eines Mannes oder einer Frau längst beiseite geschoben hätte. Und – sie erinnerte sich nur zu gut an ihre eigene Kindheit – der Palazzo der Menaris mochte ein Ort des Geistes, der Gelehrsamkeit, der Magie und der Traditionen, der Magier und Geweihten sein – aber er war kein Ort für Kinder.
Geronya warf der Amme einen kurzen Blick zu, die beruhigend auf den immer noch quengelnden Asmodean einredete. Dann strich sie ihrem Sohn sanft über die blonden Haare und ließ den Kopf an die Kutschenpolsterung sinken. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Obwohl sie froh war, dass es den Jungen besser ging, war sie immer noch besorgt. Da war etwas gewesen, in einer Nacht kurz vor ihrer Abreise. Auch wenn die Magia Clarobservantia ihr leicht von der Hand ging, so war es doch immer schwieriger, die noch ungebändigten Astralkräfte um den Leib eines Kindes, das Madas Gabe in sich trug, zu ordnen und zu verstehen. Dennoch war sie sicher gewesen, dass da etwas gewesen war, in einer Nacht, als Gyldarion besonders viel geweint hatte. Etwas, das sich um ihn gelegt hatte. Doch sie hatte es nicht identifizieren können. Sie hatte mit einigen Magiern in Kuslik sprechen können, der Name Menaris öffnete dort noch immer so manche sonst verschlossene Pforte. Aber niemand bestätigte ihre Befürchtung, die arkane Berührung – wenn sie denn überhaupt jemals da gewesen war – war verflogen.
Gyldarion war eingeschlafen. Das erkannte sie an der Art, wie seine kleinen Fäuste sich öffneten und sein Leib die Anspannung verlor. In den vergangenen Wochen hatte diese Ruhe nur kurze Zeit gedauert, bis er – verängstigt – aufgewacht war. Geronya spürte ihre eigene Müdigkeit kaum, als sie ihren Sohn betrachtete und sich im Geiste auf das Lied konzentrierte, das sie ihm manches Mal vorgesungen hatte. Ein Lied, das zuvor ihre Mutter Fiaga ihr vorgesungen hatte, als sie selbst noch ein Kind gewesen war.


Ein dunkler See, finsterer als der wolkenverhangene Himmel darüber, aus dem stetiger, kalter Regen auf die Wasseroberfläche prasselte. Das einfache Gewand längst vom Regen durchnässt, stand sie zitternd am Ufer, unfähig zu gehen, den Blick starr auf das stille Wasser gerichtet, in dem bis auf die Regentropfen keinerlei Bewegung, keine Strömung, kein Tier, kein Blatt zu erkennen war. Und dennoch wusste sie, dass da etwas im Wasser war, etwas, das lange geschlafen hatte, das aber jetzt erwacht war und nun wartete. Auch sie wartete, die einzige Bewegung war ihr Zittern und ein allmähliches Zurückweichen vom stetig ansteigenden Wasser. Eine Flucht hatte wenig Sinn. Die Wasser traten überall über die Ufer, der Regen tränkte schier jedes Fleckchen Erde. Die Balken und Masten der Flussschiffe knarrten, bogen sich und barsten mitunter. Die große Brücke war schlüpfrig und fast menschenleer. Die Weinberge waren verheert, die Wiesen zu Mooren geworden. Dennoch erfüllte sie der Gedanke, hier zu warten, bis die Präsenz im See an die Oberfläche stieg, mit Entsetzen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, erst allmählich begann sie, im Prasseln des Regens eine schwache Melodie zu erkennen. Da war eine Stimme. Eine Stimme, die sang. Vorsichtig, von unerklärlicher Neugier gepackt, ließ sie sich auf die schlotternden Knie herabsinken, um näher an das Wasser zu gelangen, das Geräusch des Aufschlags der Wassertropfen deutlicher zu hören. Das Wasser war trübe, ihre Reflexion kaum zu erkennen. Je näher sie der Wasseroberfläche kam, desto deutlicher verspürte sie ein Ziehen, ein Drängen, etwas drückte von unten gegen das nasse, wallende blaue Kleid des Sees und zog sie zugleich durch dessen Wellen. Ihr Spiegelbild, an den Rändern kräuselnd, in der Mitte wogend, schälte sich aus den Wellen hervor. Es blickte sie aus Augen von der Farbe einer verwehenden Gewitterwolke an. Fremden Augen.


Geronya schreckte auf und stieß ein Stöhnen aus. Die Amme blickte sie sorgenvoll an und lächelte dann. „Das war nur der Kutscher, Adepta.“ Erst langsam gelang es Geronya, die Gedanken in ihrem Geist wieder zu ordnen. Sie hatte geträumt. Nein, Gyldarion hatte geträumt und sie mit ihm. Und dann hatte der Kutscher gegen die Wand geklopft. „Was möchte er?“, fragte sie, noch immer etwas unwirsch. Das Gesicht des Kutschers erschien in der kleinen Öffnung, die Augenbrauen vor Besorgnis tief ins Gesicht gesunken. „Da steht ein Mann im Regen, mitten auf der Straße, Adepta Menaris. Nein…, kein Mann, es ist ein Junge!“ Geronya legte Gyldarion sanft in seine Krippe zurück und zog stirnrunzelnd den Vorhang der Kutsche beiseite. Was sie sah, ließ sie erschrocken zusammenfahren.

Zuppa Belhancani

Während Gorrada die Türe zum Ribatsaal öffnete, trugen Yelaya und die Magd Vanossa den ausladenden Topf aus rötlichem Ton hinein, der die dampfende Zuppa barg. Vanossa, an deren schmalem Gesicht neben den geschwungenen Augenbrauen wenig Auffälliges war, hatte eine beachtlichte Kraft in ihren schmalen Handgelenken, wie die Haushofmeisterin zum wiederholten Male feststellte. Dennoch war das zweite Paar Hände mehr als willkommen, wie Gorrada wusste, wenn Vanossa sich auch niemals beschwert hätte. Sie schürzte die Lippen, als Yelaya den nun abgestellten Topf vom Deckel befreite, um sogleich dem hungrigen Blick Ilmordro de Maltris’ zu begegnen.
Gebt nur Acht, Signore.“ Sie drehte die lederbehandschuhten Hände nach außen. „Der Topf ist heiß, verbrennt Euch nicht!“ Ein kühler Blick der Frau, die ihre fünfte Dekade gerade begonnen hatte, deren leicht aufgeschwemmtes Gesicht aber auch einer Jüngeren gehören konnte, beantwortete den bestürzten Gesichtsausdruck des Sodanyers. Die Haushofmeisterin warf Yelaya einen missbilligenden Blick zu, wiewohl sie Ilmordro die Zurechtweisung gönnte. Dann seufzte sie. Die Frau war eben keine Dienerin, nicht ausgebildet für einen solchen Anlass. Aber das ist nicht der Grund, warum du sie nicht magst, Gorrada. Immerhin, jetzt zog sich die Kräuterfrau angemessen zurück, während Vanossa die Zuppa zu schöpfen begann. Sie hat sich wochenlang, fast ohne Pause um die Signora gekümmert. Ist es nicht so? Und ist es da so verwunderlich, dass die Signora die Frau, die ihr die Stirn tupft, den Nachttopf leert und den Sud braut als Zeugin bestellt und keine andere? Sie runzelte die Stirn über ihre eigenen Gedanken. Sie war nicht eifersüchtig. Es stand ihr nicht zu, die Entscheidung der Signora, die Götter mögen sie gnädig aufnehmen, in Frage zu stellen. Gewiss stand ihr das nicht zu.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Abt Halthera Yelaya mit einer Handbewegung davon abhielt, den Saal zu verlassen. „Frau Yelaya, auf ein Wort.“ Der hutzelige Olwid räusperte sich während sich die Kräuterfrau, offenkundig überrascht umdrehte. Sie hielt sich den Handrücken vor den Mund und hustete zweimal trocken. Ein Geräusch, das Gorrada schon fast nicht mehr zur Kenntnis nahm, so häufig hatte sie es von einem der Gäste in den vergangenen Stunden vernommen. „Der Erbenrat“, fuhr Olwid nach kurzer Unterbrechung fort, „wünscht einen etwas genaueren Bericht über Eure Zeugschaft der Nachträge im letzen Willen der Signora Ismiane, Frau Yelaya.“
Er blickte sie mit bärtigem Lächeln an. „Nur zu, niemand hier zweifelt an Eurer aufrichtigen Fürsorge für die Signora!“ Die Frau zögerte noch einen Augenblick und nickte dann und begann zu sprechen, ohne zunächst jemand Bestimmtes im Raum anzublicken.

Berichtet von den letzten Tagen Ismianes - Yelaya, ihre Heilerin

„Ich weiß nicht, was ihr hören möchtet, ihr Herren und Damen. In ihren letzten Tagen hat die Signora viel an die gedacht, die sie zurücklässt. Die Leute im Dorf, auf der Burg – auch an ihre Familie. Sie sagte einmal zu mir ‚Yelaya, wie kann ich mein eigen Blut, meinen Vetter übergehen? Wer sagt mir, dass die Familie meines Mannes“, Yelaya blickte jetzt zum ersten Mal in Richtung Rahjadas und Horasios, „‘dass die Familie meines Mannes besser dazu imstande ist, das Wohl der Menschen zu wahren, als Boronello, der diese Lande kennt, der von meinem Blute ist? Und wie kann ich die Gnade der Herrin zurückweisen, die ihn bis zu diesem Tage am Leben gehalten hat und ihm vor der Zeit abschreiben, als habe der Tod ihn bereits zu sich geholt?‘“
Der Blick der Kräuterfrau wanderte hinüber zu Boronello, der beim Essen innegehalten hatte und jetzt langsam den Blick senkte. „Nun, Herr Olwid, ich maße mir nicht an, die Gedanken der Signora zu kennen. Aber ich glaube, sie wollte sichergehen, dass ihr Erbe auf festen Füßen steht und mit der Familie und den Verwandten im Reinen ist und sich nicht allein auf alte Verträge stützen muss.“ Der Abt nickte nachdenklich. „Daher der Rat?“ Yelaya zuckte die Schultern. „Ich weiß nichts von diesen Dingen, Herr Olwid.“ Abt Halthera winkte ab. „In Ordnung, gute Frau. Ich denke, ihr habt uns weitergeholfen. Wir werden uns jetzt dieser so vortrefflich duftenden Zuppa zuwenden, denke ich!“

Horasio und Rahjada ya Papilio

Ein vernehmliches Magenrumpeln aus Richtung des Herrn ya Papilio pflichtete „Großonkelchen“ Olwid bei, und alsbald stand vor jedem der Gäste ein dampfender Teller. Trotzdem merkte zumindest Rahjada an der Unruhe ihres Halbbruders, dass in ihm Gedanken danach drängten, ausgesprochen zu werden.
Nach ein paar Mundvoll Suppe legte Horasio den Löffel weg, strich die Enden seines Arbalettierbarts zu den Seiten und ergriff wieder das Wort: „Bitte seht’s mir nach, geschätzte Versammelte, dass ich auf einiges bislang Gesagtes zurückkomme; der Austausch unserer Runde wurde meinem Gefühl nach fast ein wenig zu schnell zugunsten der Speisen beendet.“ Rahjada rührte betreten in ihrer Forellenterrine und überlegte ergebnislos, wie sie den Rededrang Horasios hätte bremsen können. Nur gut, dass sie – wie so oft – niemand so recht beachtete, solange der ältere Sohn ihrer Mutter das große Wort führte.
„Zum ersten kann ich es mit etwas Wohlwollen so sehen wie der College Leophex und könnte mich darauf einlassen, dass wir hier Versammelten einen Erbenrat konstituieren, der über das weitere Prozedere der Testamentsvollstreckung beraten möchte. Von der Richtigkeit meiner bereits ausgeführten Interpretation des Niedergelegten werde ich Euch gerne überzeugen. Indes und zum zweiten halte ich es aber für angebracht, für diese Beratung – dies ist ja Sinn eines Rates – ganz formell einen Vorsitzenden, eine Protokollantin und eine Redeleitung zu bestimmen. Selbstverständlich werde ich gerne nach dem Mahl meine Vorschläge für diese Funktionen benennen, damit wir uns darauf einigen können.“
Horasio holte an dieser Stelle nach Rahjadas Gefühl zum ersten Mal überhaupt Luft, um den am anderen Ende der Tafel sitzenden Dozmano Kaltrek anzuschauen: „Zum dritten erscheint es erst einmal durchaus als naheliegende Wahl, einen Einheimischen zum Verwalter der Feste zu bestimmen. Die Kaltrek beispielsweise – welch Fügung, dass einer von Eurer Familia in dieser Runde weilt! – kennen sich fraglos mit alten Mauern und Villen aus. Ich offenbare Euch jedoch nichts Unerwartetes, wenn ich daran erinnere, dass das Haus Papilio weithin als verlässliche Verwalter bekannt ist – auch unter unserer Verwandtschaft würde sich wohl eine geeignete Person für eine solche Aufgabe finden, sollte diese Aufgabe uns zufallen oder angetragen werden.“ Der wohlgenährte junge Mann blickte suchend, ob er die Köchin sehen könnte, die Ismiane als Zeugin der Testamentsergänzung benannt hatte, und die so suggestiv ihre Sicht der Dinge zum Besten gegeben hatte. Sie war wohl schon wieder am Herd: „Noch eines und zum vierten bin ich der gleichen Ansicht wie Cavallerie Francidio di Côntris: Wir sollten uns, ob rechtsgelehrt oder schlicht mit gesundem Geist gesegnet, an das halten, was schriftlich fixiert ist, nicht an möglicherweise gefärbte Meinungsbekundungen, und vor jeder weiteren Debatte als erstes prüfen, ob formal und aus Sicht der Schriftenkunde mit dem Testament alles zum Rechten steht.“
Er griff wieder zum Löffel, schaute dann verwundert seine Halbschwester an, ehe er noch einmal in die Runde lächelte: „Bitte die Unterbrechung zu entschuldigen“, sagte er verlegen, und aß nun endlich weiter, wobei er nach bestem Vermögen versuchte, sein schmerzendes Schienbein zu ignorieren.