Archiv:Comto ante portas (BB 41)

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Auge-grau.png Quelle: Bosparanisches Blatt Nr. 41, Seiten 18-20
Aventurisches Datum: Anfang Boron 1038 BF



Comto ante portas

Ein Porträt des Grafen von Harderin

von Alverano ya Paredo


Kuslik / Rigalento. Comto Aurention von Harderin machte zuletzt durch seine spät zu Tage getretene Beteiligung an einer Uthuria-Expedition (BB#40) in Kuslik auf sich aufmerksam. Er ist der einzige Hochadlige, der in der städtischen Versammlung der Notabeln einen Sitz hat – seit fast einem Jahrzehnt. Und doch ist er vielen Kuslikern bislang ein Mysterium geblieben, ein Mann, dessen Qualitäten oder Ambitionen man kaum einschätzen kann. Im Gespräch mit niemand geringerem als Hauce von Radoleth, dem Meister der Nanduriaten, versuchen wir Licht ins Dunkel einer verschlungenen Vita zu bringen.

Alverano ya Paredo: Signor Radoleth, ich freue mich, gerade euch als Gesprächspartner gewonnen zu haben. Darf ich meinen Lesern verraten, dass das gar nicht mal so teuer war, wie zunächst befürchtet?
Hauce von Radoleth: [lacht] Besser nicht. Am Ende will noch jeder Mann, jede Frau in dieser Stadt seine Informationen über die Nachbarn direkt bei mir erfragen … Ich freue mich aber auch, denn ihr habt euch immerhin ein spannendes Thema ausgesucht.
AP: Findet ihr? Ich fürchtete schon, am Ende nur hinter die Fassade eines farblosen Aristokraten mit hochadligem Titel zu blicken. Denn was ich bisher sicher über ihn in Erfahrung bringen konnte, hält sich doch in Grenzen: Aurention heißt er, nicht Aurentian, obwohl auch häufig so geführt, weil dieser Name verbreiteter ist.
HR: [nickt beiläufig] Ein gerne gemachter Fehler, ja.
AP: Er ist Oberhaupt seiner Familie, Vater von drei Kindern, Witwer, Graf von Harderin, als solcher Herr des Schilfgrasschlosses von Rigalento, und irgendwie auch ein Patrizier Kusliks. Stimmt es, dass man ihn auch den ‘Comto Notabel’ nennt?
HR: Das kommt darauf an, was ihr unter ‘man’ versteht?
AP: Inwiefern?
HR: Nun ja, es stimmt schon, dass es diese Bezeichnung für ihn gibt, die natürlich von seinem Sitz in der Versammlung der Notabeln herrührt, und der klanglichen Verwandtschaft zum Comto Connetabel aus dem Kronrat. Diesen Spott erlauben sich aber nur höchste Mitglieder der anderen Notablengeschlechter mit ihm zu treiben – und selbst die nur hinter vorgehaltener Hand.
AP: Hat er in der Versammlung denn Feinde? Und warum?
HR: Die hat er ganz sicher, auch wenn sie sich selten offenbaren. Sein Aufstieg in den Hochadel war dabei wohl der entscheidende Auslöser.
AP: War er das? Ich konnte leider nicht einmal wirklich in Erfahrung bringen, ob er nun länger Graf oder Notabler Kusliks ist …
HR: Er ist länger Graf. Dieser Titel wurde ihm direkt nach dem Frieden von Arivor 1030 BF verliehen. In die Versammlung der Notabeln zog er einige Wochen später ein.
AP: Aber dann wussten doch alle anderen Patrizier, dass er ein Graf ist, als sie ihn ihre Reihen aufnahmen.
HR: Nein. Der tatsächlichen Aufnahme in die Versammlung gingen damals langwierige Verhandlungen voraus, und währenddessen war er es eben noch nicht. Die Verleihung der Grafenwürde ausgerechnet an ihn hat im Grunde jeden in Kuslik damals überrascht, die Patrizier nicht minder denn die Popoli. Die Verhandlungen waren aber schon zu weit vorangeschritten, als dass es noch jemand wagte sie scheitern zu lassen. Seitdem sehen viele in ihm einen ‘Ungleichen unter Gleichen’, einige sich sogar von ihm verraten.
AP: Wusste er denn überhaupt, dass der Comto Protector ihn zum Grafen machen würde?
HR: [zieht die Augenbraue hoch] Glaubt ihr ernsthaft, dass in diesem Land jemand Graf wird, der das nicht selbst entscheidend vorangetrieben hat?
AP: Ähm … eigentlich nicht. Ich weiß aber ehrlich gesagt auch gar nicht, warum er überhaupt Graf wurde.
HR: Tja, das ist mithin eine der spannendsten Fragen bei ihm …
AP: Wisst ihr das etwa auch nicht?
HR: Das habe ich nicht gesagt.
AP: Aber erhellen wollt ihr mich auch nicht?
HR: Habe ich das gesagt? [macht eine kurze Pause] Der Weg zur Erkenntnis bedarf eben auch eigener Anstrengung … Ich bin mir sicher, dass ihr noch das eine oder andere Detail mehr aus seiner älteren Vergangenheit erfahren habt. Seine Verwicklung ins ‘Unternehmen Weinlese’ und die damaligen großfamiliären Verhältnisse der Harderins spielen hier eine Rolle.
AP: Ähm … der Valvassor von Clameth, Ulim Marciero, sein Vetter, war eingangs des Thronfolgekriegs noch Familienoberhaupt, wenn man so will. Er nannte sich ‘Selzin-Harderin’, war im Grunde aber ein Harderin.
HR: Aber schon auch ein halber Selzin
AP: Mehr wohl als Aurention, der aber auch mit einer Salicum-Selzin verheiratet war.
HR: Und was für einer …
AP: Wollt ihr darauf hinaus, dass sie eine Urgroßnichte Ferenos Galahans war, des Fürsten von Kuslik?
HR: [nickt] Komplizierte Verhältnisse, ich weiß. Entscheidend ist aber die Frage, welche Bedeutung diese verwandtschaftlichen Bande Aurention innerhalb der Galahanisten-Parteiung … und in seinem eigenen Haus gaben.
AP: Keine tragende, soweit ich weiß.
HR: In der Tat. Was nicht zuletzt ein Verdienst seiner Gemahlin war, die immer zum Valvassor hielt.
AP: Halt, wartet, wollt ihr auf das hinaus, was ich gerade denke …
HR: Woran denkt ihr?
AP: Daran, dass seine Gemahlin angeblich vergiftet wurde. Inmitten des Thronfolgekriegs, kurz vor dem Zusammenbruch des Unternehmens Weinlese.
HR: Das hatte für unseren späteren Grafen bestimmt eine befreiende Wirkung …
AP: Meint ihr, dass er sie ermordet hat?
HR: [macht eine abwehrende Geste] Das habe ich nicht gesagt. Das kann ich gar nicht sagen, weil ich es nicht beweisen kann.
AP: Aber was hat das jetzt mit der Tatsache zu tun, dass er später Graf wurde?
HR: Für sich genommen nicht viel. Dazu bedarf es größerer Zusammenhänge. Tatsächlich war Aurention damals Herr der familieneigenen Feste Harderin, auf die auch Ulim floh, als es mit den Galahanisten bergab ging.
AP: Wo ihn dann aber die Ardariten belagerten …
HR: Bis ihnen jemand die Tore öffnete …
AP: Nein, sie haben die Feste gestürmt, soweit ich weiß.
HR: [zwinkert] Das ist die rondragefälligere Version …
AP: Oha … also wenn das wahr sein sollte, wirft das ja ein ganz neues Licht auf die damaligen Ereignisse. Aber warum macht Ralman jemanden zum Grafen, der gar nicht mal ihm selbst die Tore öffnete?
HR: Er konnte nicht riskieren, dass ihm Ulim in den Rücken fiel, als er die übrigen Galahanisten in Westenende ausräucherte. Wobei ihm das allein sicherlich keinen Grafentitel wert gewesen wäre, wohl aber der Beginn einer heimlichen Allianz für den Rest des Krieges gewesen sein könnte …
AP: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ihr mir darüber auch noch einiges erzählen könntet … gleichwohl dürfte das den Rahmen hier endgültig sprengen, und ich wüsste lieber, was den Grafen in der jüngeren Vergangenheit so umtrieb?
HR: [lehnt sich zurück] Ein Stichwort müsst ihr mir da schon geben.
AP: Ich denke etwa an den Terubiser Baronsstreit und an seine angebliche Erzfeindschaft zum Haus Westfar.
HR: Was beides zusammenhängt.
AP: Das dachte ich mir schon. Aber warum hat er sich dort überhaupt eingemischt, wenn es die Westfars nur gegen ihn aufbringen konnte?
HR: Die Westfars und die Harderins konkurrieren schon länger um die Vorherrschaft in der Region zwischen Kuslik und Arivor. Dass Aurention das begründet hat, kann man nicht behaupten. Er hat es als erster Harderin seit langem aber geschafft, die Westfars so schwer zu treffen, dass sie im Grunde nur noch die zweite Geige spielen. Dass denen das nicht schmeckt, und der Ton sich zuletzt weiter vergiftete, kann niemanden verwundern.
AP: Sein Sohn sitzt jetzt im Regentschaftsrat, der für den jungen Baron über Terubis herrscht. Aurentions eigentliches Ziel soll es aber gewesen sein, dort ein gänzlich anderes Haus an die Macht zu bringen …
HR: Sein Ziel in diesem Konflikt war – und konnte es nur sein – die eigene Einflusssphäre auszudehnen. Die Grafschaft Harderin allein ist als Machtbasis auf Dauer zu klein, um sich im Konzert der Comites zu behaupten. Deshalb hat er sich ja auch schon ins Kusliker Patriziat eingeschlichen. Aurention ist kein Kalman della Tegalliani, um es mal klar zu sagen. Der Marchese hat in Methumis überhaupt kein Problem damit, als Hochadliger Teil des Patriziats zu sein. Bei Aurention ist es aber nur Mittel zum Zweck.
AP: Glaubt er denn ernsthaft, dass er noch viel weiter aufsteigen kann, als er bis jetzt schon getan hat?
HR: Ich glaube, dass er sich da einfach alle Optionen offenhält, freundlich ausgedrückt. Er ist ein alter Galahanist, auch wenn er die anderen damals aus eigennützigen Motiven verraten hat. Nach dem Tod Horasio della Penas ist er wahrscheinlich sogar der letzte, der hierzulande noch was zu sagen hat. Dass die Galahans noch einmal zurückkehren werden, daran kann auch er nicht mehr glauben … erstrebenswert dürfte es für ihn ohnehin nicht sein. Insgeheim strebt er meiner Meinung nach danach die Harderins zum neuen Haus Galahan zu machen …
AP: Zu Fürsten von Kuslik? Das wird er nie schaffen.
HR: [grinst] Wie heißt es so schön: ‘Man soll niemals nie sagen.’ Nein, im Ernst: Ich behaupte nicht, dass er dabei nur an sich selbst denkt. Jedenfalls nicht, solange er nicht davon ausgeht, noch ein halbes Jahrhundert länger zu leben, trotz seines fortgeschrittenen Alters. Wenn seine Kinder diesen Aufstieg dereinst schaffen sollten, würde er sich als erster hochadliger Ahnherr dennoch unsterblich machen.
AP: A propos Kinder. Mir kam über sie, gerade die älteren beiden auch so manches Gerücht zu Ohren. Es heißt, dass die sich untereinander nicht ausstehen können, aber auch zum Vater kein innig-liebevolles Verhältnis haben.
HR: [schulterzuckend] Wer hat das schon? Zumal, wenn die eigene Mutter vergiftet wurde …
AP: Rondravia, die Ältere, übt sich ja nun als Titularbaronin von Fulni schon im Regieren, auch wenn sie eigentlich andere Interessen haben soll, während Argelion, der Mittlere, seines Vaters Vertreter in Terubis ist, dem dort Ambitionen zur Ausweitung der Macht der Harderins aber auch seiner ganz persönlichen in der nach wie vor umkämpften Baronie nachgesagt werden. Ist diese Konstellation für den Grafen nicht auf Dauer gefährlich? Einerseits die designierte Erbin, die nicht so richtig will, andererseits der überehrgeizige Nachgeborene, der schon heute am liebsten Herr seines Hauses wäre?
HR: Ehrgeizige Kinder sind für jeden regierenden Fürsten gefährlich.
AP: Aber dennoch glaubt ihr, dass er ihnen das Feld bereiten will?
HR: Haltet ihr die andere Variante für wahrscheinlicher? Dass auch Aurention wie so viele andere derzeit dem Mythos der ‘Uthurischen Rose’ hinterherjagt, damit er seinen eigenen weiteren Aufstieg planen kann?
AP: Er hat sich immerhin an dieser Expedition der ter Gruchens beteiligt, wie jüngst bekannt wurde …
HR: Aus Großmannssucht, wegen des Prestiges, zur Selbstbeweihräucherung – aus demselben Grund, aus dem er auch diese anstehende Kunstausstellung am Cerebornstag veranstaltet.
AP: Meint ihr?
HR: [zwinkert] Eigentlich meine ich, dass ich euch für euer Honorar jetzt genug Zündstoff für euren Artikel gegeben habe …
AP: Ähm … ja, ich fürchte, das habt ihr. Vielen Dank!

(ab)