Briefspiel:Das Erbe des Siegelmeisters (Rondra 1046 BF) (1)

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Beteiligte (irdisch)
Familie Bolburri.png Philburri
FamiliaAranjuez1.jpg Der Sinnreiche Junker

Auf dem Yaquir, 8. Rondra 1046 BF

Autor: FamiliaAranjuez1.jpg Der Sinnreiche Junker

Dumpf klatschten die Ruderschläge über die nächtlichen Fluten des Yaquirs, als eine Barkasse im Schein des Madamals den ruhig gewordenen Flusslauf querte. Rafik von Aranjuez saß auf der vorletzten Bank, hinter ihm nur noch der Steuermann am Ruder und die kleine Positionslaterne, welche hell genug schien den wenigen anderen Schiffen, welche ihren Weg kreuzen mochten, ihre Position anzuzeigen, aber abgeblendet genug war, um die Insassen des Bootes nicht zu blenden. Vorne stand seine Leibwächterin im schmalen Bug des Wassergefährts und hielt mit zusammengekniffenen Augen Ausschau nach Untiefen. Viel zu früh und gänzlich überflüssig, schmunzelte Dom Rafik, waren sie doch noch weit vom Ostufer entfernt. Er legte diese Strecke beinahe jede Nacht zurück, und wusste daher, dass die Sorge der Mercenaria reichlich übertrieben war. Sein Sippgeselle, Tego Colonna, spottete regelmäßig in seinen derben Worten über die nächtlichen Bootsfahrten hinüber nach Coriolenne – und warum er nicht gleich ihm seine Amtsgeschäfte von Schloss Tsadanja aus besorgte. Doch die prachtvolle Zimmerflucht dort nutzte Rafik von Aranjuez lediglich um sein ergrautes Haupt einige Stunden zur Ruhe zu betten. Davon abgesehen, davon war der umtriebige Advocatus überzeugt, war seine Person im Palazzo della Signoria und den Amtsstuben der Stadt gleichermaßen absolut unabkömmlich, wie es auch seinen Anliegen geschadet hätte sich allzu fern von den Zentren der städtischen Macht zu halten. Und letztlich genoss er auch den kurzen Spaziergang hinüber zum Flusshafen und die frische, kühle Nachtluft auf dem Strom, nachdem er den ganzen Tag in stickigen Stuben, muffigen Archiven und verwinkelten Korridoren verbracht hatte.

Seufzend rieb er das steife Knie, welches ihm beim Sitzen auf dem niedrigen Brett gerne Schmerzen bereitete, und sann über die Nachricht nach, welche ihn kurz vor dem Aufbruch noch erreicht hatte: Therengar Bolburri war tot. Und das war verdammt noch eins auch Zeit gewesen, dass Gevatter Boron den alten Rechenschieber abberufen hatte. Sie waren alles andere als Freunde gewesen und der hochgewachsene Siegelmeister hatte ihm, ebenso wie sein Bruder Bassiano in der Signoria, beständig in seine Belange hineingeredet. Und vor allem hatte er es niemals verwunden, dass Dom Rafik nach seiner Wahl zum Centenario von Unterfels im Nachgang des Yalsicor-Aufstandes das Zehntamt gesäubert hatte. Der Neubeginn nach dem Ende der Schreckensherrschaft Romualdo ya Cantarras war ein willkommener Vorwand gewesen sich von zahlreichen echten oder vermeintlichen Sympathisanten der vormaligen Herren zu trennen. Wobei dem tabula rasa in den Amtsstuben auch zahlreiche Parteigänger und Clientes der Bolburri zum Opfer gefallen waren. Kollateralschäden. Die Entlassungswelle war nichts Persönliches gewesen, sondern schlichte Notwendigkeit. Vom Söldnerwesen abgesehen, hatte das Haus Aranjuez keine Wurzeln in Unterfels. Man verwaltete keine Gelder wie die Telmian, man besaß keine Manufakturen wie die Saldinhus oder Pintor, man verfügte nicht über die alten Handelsbeziehungen der Cirrention und weder gebot man über umfangreiche Güter im Umland wie Veliris, della Trezzi oder Sirensteen, noch war man Gefolgsleute und Ministeriale in Diensten der Feudalherren von Bomed oder Grangor. Ihnen – oder vielmehr ihm – blieb alleine das Amt. Und dort konnte er keinen Schatten-Centenario dulden, dessen Leute ihn behinderten oder gar untergruben. Zumal auch das Haus Aranjuez Clientes hatte, welche bedacht werden wollten. Das alles war zu Lasten der Stellung der Bolburri gegangen und hatte ihr Verhältnis über die Jahre stark getrübt. Zumal es ihm auch nicht gelungen war sich ihrer gänzlich zu entledigen, da er es nicht gewagt hatte Therengar Bolburri aus dem Amt des Siegelmeisters zu entlassen. Was dann erwartungsgemäß in unschöner Regelmäßigkeit zu Reibereien geführt hatte. Doch dieses Ärgernis hatte sich nun von selbst erledigt, indem der ungeliebte Amtsträger den Weg allen Irdischen beschritten hatte. Und die Karten waren damit neu gemischt worden.

In Gedanken ging er geeignete Kandidaten durch, als sie gerade den Pfeiler der alten Brücke passiert hatten und der Rudergänger den Bug der Barkasse in Richtung der Nordwestecke des düsteren Kortempels steuerte. Talent und Befähigung waren wünschenswert – denn man mochte Rafik von Aranjuez vieles nachsagen, aber nicht, dass er ein ineffizientes Regiment führte – bei einem bedeutenderen Amt wie dem Vorsteher der Siegelmeisterei waren aber immer auch die politischen Implikationen abzuwägen. Zweifellos erhofften sich einige kleinere Familien eine Beförderung ihrer Sprösslinge in seinen Amtsstuben, allen voran diejenigen aus dem Almadinquartier. Oder die Arrenio, welche aus der zweiten Reihe ins Patriziat strebten und natürlich die notorisch am Rande des Ruins wandelnden Grisetti, die sich von Ämterwürden eine Stabilisierung ihrer Position in Unterfels versprechen durften. Andererseits konnte die Gelegenheit zum Schmieden eines neuen Bündnisses genutzt werden. Sein Soberan, Hernán von Aranjuez, würde ihm gewiss zu einem der Landadligengeschlechter raten. Doch war sein Vetter was derlei Überlegungen betraf ein Ewiggestriger und gab viel zu viel auf verstaubte Stammbäume und uralte Blutlinien. Limpieza de sangre, schmunzelte der Advocatus ein weiteres Mal. Die Reinheit des Blutes. Damit war sein Verwandter daheim in Almada gewisslich besser aufgehoben, denn in Unterfels. Womöglich sollte er zeitnah Haldane Saldinghus aufsuchen, um stattdessen ein altes Bündnis zu festigen? Heute Nacht würde er wahrscheinlich nur schwerlich Schlaf finden, bei all den Namen, welche in seinem Kopf herumschwirrten.

Sie waren in den Burggraben des befestigten Kortempels eingebogen, wo die Turmwache es längst aufgegeben hatte das nächtliche Boot anzurufen. Und obwohl sie den Burggraben in so vielen Nächten befahren hatten, zog Rafik von Aranjuez noch immer instinktiv den Kopf ein, wenn sie den niedrigen Steinbogen der Brücke des Bluttores passierten. Wirklich aufpassen musste aber nur die Söldnerin im Bug und die Ruderer, die auf Kommando des Rudergängers einige kräftige Riemenschläge anzogen, um dann die Ruder parallel zum Boot anzulegen um nicht das enge Mauerwerk zu touchieren, derweil sie unter der Brücke hindurch glitten. Die Strömung des Bachlaufes hingegen, der sich aus dem östlichen Umland an Schloss Tsadanja vorbei hinab schlängelte und gemeinsam mit Onkelchen Yaquir den Burggraben des Kortempels speiste, war zu stark, um dagegen anzurudern. Daher ließ er sich gegenüber dem Tor des Schwertes absetzen und begann den Anstieg hinauf zum Schloss. Nach einigen Höhenmetern, sobald man die trutzigen Mauern des Tempels überblicken konnte, wehte der Nachtwind Klänge und Gelächter vom südwärts gelegenen Rahjaviertel herüber, doch achteten sie ihrer nicht. Von ihnen selbst ging, neben einem Waffenklirren ab und an, vor allem das monotone Tock-Tock-Tock seines Spazierstockes auf dem Pflaster aus, auf welchen er sich bei jedem Schritt stützte. Dieses Geräusch brach plötzlich ab, als sie den Platz der Hornechse vor dem Schloss erreicht hatten und des Aranjuezers Blick auf den verlassenen Hof der Rûndocca fiel. Nachdem Horasio della Pena Vascal ya Berîsac aus dem Schloss und aus Unterfels vertrieben hatte, hatten die Gefolgsleute des Signors alsbald einen repräsentativen Palazzo im Viertel Yaquirella auf der anderen Flussseite bezogen. Vielleicht war es an der Zeit mit ihnen über eine zumindest teilweise Rückkehr zu sprechen…


Palazzo Bolburri, 12. Rondra 1046 BF

Autor: Familie Bolburri.png Philburri, Haus Sirensteen.png Erlan

Die Bibliothek des alten Palazzos war buchstäblich bis unter die Decke mit Büchern vollgestellt. Hier konnte man viele Fachbücher zu juristischen und wissenschaftlichen Themen finden, teilweise von den Familienmitgliedern selbst verfasst. Es roch nach altem Pergament und Kerzenruß. Platz fand in dem Raum nur noch ein Stehpult sowie die alten Polstermöbel von Großmutter Gylvana. Das Interieur war schlicht gehalten, der Ort diente nicht der Repräsentation, sondern der Abgeschiedenheit. Die Bücher dämpften die allermeisten Geräusche der Straße.

Für gewöhnlich liebte Bassiano Bolburri, der Patriarch der Familie, das laute Leben an der Piazza Timon. Er hatte sein ganzes Leben hier verbracht und war die Geräusche und Gerüche der Stadt gewohnt. Auch fand er es wichtig, nah an den Menschen in Tuffino zu sein. Als aus Platzgründen der Umzug in den neuen Palazzo an der Grafenhöhe anstand, rieten ihm sein Sohn Cassius und sein Bruder, auch sein Arbeitszimmer in den neuen Palazzo zu verlegen. Er wollte davon nichts wissen, die Ruhe dort behagte ihm nicht. Zu Fuß ging er jeden Morgen hierher, so kräftig war er noch immer.

Trotzdem kam er auch gerne in die ruhige Bibliothek. Vor allem, wenn er einen Moment der Stille brauchte. So wie jetzt. Der alte Mann saß in dem hohen Sessel und betrachtete betrübt das halbvolle Glas mit verdünntem Rotwein in seiner Hand. Vor drei Tagen, am Wassertag, hatten sie seinen Bruder bestattet. Nun war auch Therengar zu Boron gegangen und Bassiano war der letzte der drei Brüder, der noch lebte. Er dachte an die Trauerfeier in der Boronhalle. Neben der kompletten Familie waren die wichtigsten Klienten und auch viele Mitglieder der Patrizi Popoli gekommen, um Therengar die letzte Ehre zu erweisen. Sogar Comto Tilfur Sâl della Trezzi, dem Therengar ein loyaler Diener gewesen war, und Comto Erlan Sirensteen hatten den Weg auf sich genommen. Dies hatte Bassiano sehr gefreut. Auch Rafik von Aranjuez war gekommen, immerhin. Ob aus persönlicher Betroffenheit oder Pflichtbewusstsein, das konnte Bassiano nicht wirklich abschätzen. Immerhin hatte Therengar sich viele Jahre im Zehntamt verdient gemacht, um diese Ehrerbietung kam der Centenario also nicht drum herum. Darüber hinaus waren einige Potentaten natürlich auch nicht gekommen. Bassiano ärgerte sich maßlos darüber, dass die Anerkennung der Leistungen für die Gemeinschaft der Stadt und der Grafschaft für den einen oder die andere weniger wog als das persönliche Verhältnis.

In diesem Moment beneidete Bassiano seinen Bruder, der nun im Hain der Allwissenden wandelte und sich keine Gedanken mehr über gesellschaftliche Verpflichtungen machen musste. Auch Bassiano sehnte den Moment herbei, da ihn der Ewige abberufen würde. Lange sollte es wohl nicht mehr dauern, so hoffte er. Seine Nachfolge war schon seit vielen Jahren geregelt. Cassius wird die Familie gut führen.

Bis dahin musste er aber seine Pflichten erfüllen, da gab es kein Entrinnen. So hatte er es das ganze Leben schon gehandhabt, deswegen konnte er auch stolz auf das Erreichte schauen. Und dazu gehörte es nun leider auch – Stichwort Nachfolge – möglichst bald mit dem Centenario über den Posten des Siegelmeisters zu sprechen. Bassiano seufzte, erhob sich und machte sich auf den Weg zu seinem Arbeitszimmer. Kurz dachte er daran, sein Tagwerk für heute zu beenden, gab sich aber einen Ruck, um das letzte Licht des Sommertages noch zu nutzen. Er wollte noch den Brief redigieren, den sein Privatsekretär Leonello Piccinino verfasst hatte.