Briefspiel:Goldfelser Affären (4)

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: ab Ende Phex 1034 BF Schauplatz: Urbasi, Sant'Ageriyano und die Goldfelsen Entstehungszeitraum: ab Herbst 2012
Protagonisten: Tarquinio della Pena, Elfa d'Auspizzi, Pira Rahjalina della Pena, Malvolio della Turani, Carolan della Turani und viele weitere Autoren/Beteiligte: Haus della Pena jH.png Horasio, Haus della Turani.png Turani
Zyklus: Übersicht · Süße Rahjasdienste · Auf dem Weg nach Sant'Ageriyano · Der Salmansforst · Der Keiler · An den Ufern des Mardilo · Weiter flussabwärts · Im Salmansforst (II)

Der Keiler

Am gleichen 2. Peraine im Salmansforst

Mit einem Mal fühlte Pira Rahjalina einen Kloß in ihrem Hals und befreite sich dieses Gefühls durch ein tiefes Schlucken. "Ihr meint, Ihr und ich? Dass wir vor Travia miteinander vereint werden sollen?"
Carolan lächelte ihr aufmunternd zu. "Ich denke schon." Er strich sich mit der linken Hand durch das kastanienbraune Haar. "Ich möchte hinzufügen, dass ich Euch schon lange bewundere.“ Er schwieg kurz und fuhr dann fort. „Nicht mit allem, was mein Vater unternimmt, bin ich einverstanden. Doch an diesen Gedankenspielen habe ich nichts auszusetzen. Um ehrlich zu sein," er wandte seinen Kopf schüchtern, so dass ihm eine Strähne ins Gesicht fiel, "machte mein Herz Sprünge, als mir die Wahrheit des Treffens unserer Familien gewahr wurde."
Sie nickte und blickte ihm unsicher in die Augen, mit denen er sie nun erwartungsvoll ansah. Dann rang sie sich zu einer Antwort durch. "Habt Dank! So etwas zu hören und das aus Eurem Munde, erfüllt jede Frau des Aurelats mit Glück. Immerhin seid Ihr der Erbe eines alten und bedeutsamen Hauses, derweil ich in gänzlich anderen Umständen aufwuchs ..." Er unterbrach sie hastig. "Das bedeutet nichts!"
Sie nickte erneut und lächelte, scheinbar war er ebenso aufgeregt wie sie. Was sollte sie nur sagen? Mit ihren höflichen Floskeln hatte sie versucht, Zeit zu gewinnen, doch um eine Antwort würde sie nicht herumkommen. Doch was war die richtige Erwiderung auf die Worte ihres Begleiters? Ihr linke Hand suchte in ihrer Tasche nach dem Rahjasstein, den sie noch aus Urbasi bei sich trug.

Das Knacken von Geäst bereitete ihr die Hoffnung, die unangenehm eingekehrte Stille würde durch die Rückkehr ihrer Reisegesellschaft aufgelöst. Doch dem war nicht so.
Vor Schreck erstarrt erkannte sie, wie ein riesiger Keiler seinen von imposanten Hauern dominierten Kopf durch das Dickicht des Waldes schob. Seine blutunterlaufenen Augen blickten unruhig hin und her, ehe sie der Menschen gewahr wurden und sie in Augenschein nahmen. Lautes und ätzendes Schnauben entwich den Nüstern des Untieres, als ob der Geruch der zwei Störenfriede es aufwühle.

Auch Carolan hatte den gefährlichen Neuankömmling bemerkt. Auch er schien von der schieren Größe des Tieres beeindruckt, versuchte sich dies jedoch so wenig als möglich anmerken zu lassen.
Er hob seinen linken Arm und hielt ihn vor Pira. „Seid unbesorgt. Euch geschieht nichts,“ flüsterte er und ließ seine rechte Hand zu seinem Schwertgriff an der linken Hüfte gleiten. Leise zog er seine Waffe aus der Scheide, derweil der Keiler die letzten lästigen Äste um sich zur Seite geschoben hatte, ohne dabei die Augen von den beiden Menschen zu nehmen.
„Bei Firuns frostigem Atem!“ entwich es Piras Kehle, als sie ihren Rücken an den Baum hinter sich drückte, ihre geballten Hände vor das Gesicht hielt und tatsächlich ein Zittern ihrer Gliedmaße bemerkte. Der sie durchbohrende Blick des Ebers ließ ihr Herz vor Angst rasen.
„Haltet Euch hinter mir,“ erklärte Carolan und schob sich nun zwischen Pira und die Bestie.

Noch einmal schabten die Hufe über den Boden, noch einmal wog der Kopf hin und her, ohne die Augen von ihnen zu nehmen, dann stürmte der Keiler los.
„Lauft!“ schrie Carolan und hob sein Schwert weit über den Kopf. Sie folgte seinem Befehl und sprang sogleich über einige Steine in Richtung eines mächtigen Zedernstammes, der ihr als willkommene Deckung erschien.
Aus dem Augenwinkel erkannte sie wie Carolan versuchte, im letzten Moment über eine schnelle Drehung dem Angreifer auszuweichen. Der Schwung seines Schwertes ließ sie vermuten, dass er vorhatte, das dann ins Leere gelaufene Untier mittels eines hinabsausenden Hiebes zu töten.
Jedoch war er zu langsam. Mitten in der Drehung traf ihn der wuchtige Körper in die Flanke, ein markerschütternder Schrei entrang sich seiner Kehle und das schwere Schwert, dass er über seinem Kopf schwang, sorgte mit dafür, dass er sein Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte.
Der Keiler bremste nach einigen weiteren Schritten ab, schnaubte verächtlich und wandte sich erneut Carolan zu. Pira verbarg sich, soweit sie es vermochte, zitternd hinter der Zeder und blickte aus ihrem Versteck zwischen dem näher kommenden Tier und dem urbasischen Edelmann hin und her. Dieser wälzte sich auf dem Boden, hielt sich seine Seite, rieb sich seinen Kopf und seufzte immer wieder schmerzerfüllt auf. Sein Schwert lag unweit von ihm, doch machte er keinerlei Anstalten danach zu greifen.
Der Keiler stellte sich in einigen Schritten Entfernung auf, er scharrte einige Male mit den Hinterhufen, während sich sein Kopf senkte und aus seinem Maul neben den riesigen Hauern Speichel tropfte. Dann trabte er an und lief schneller werdend auf Carolan zu, der immer noch auf dem Waldboden lag und von der sich nähernden Gefahr scheinbar nichts ahnte.
„Carolan!“ schrie Pira laut auf und konnte zumindest die Aufmerksamkeit des turanischen Erben wieder auf den Keiler lenken. Dieser verlangsamte sich kurz vor seinem Opfer erneut, verlagerte sein Gewicht auf die Hinterhufe und hob die Vorderhufe bedrohlich an. Carolan hatte seine Hände zwar zum Schutz erhoben, doch dem Gewicht des massigen Keilers würden sie nichts entgegenzusetzen haben, wenn dieser sich auf ihn herabfallen lassen würde. Es war ihm, als hörte er bereits Golgaris Schwingen nahen.

****

„Nein!“
Piras Herz zerriss beinahe, als sich die Vorderläufe des widernatürlichen Keilers wie ein Richtschwert über Carolan erhoben. In diesem Augenblick gab es nur noch zwei Dinge, die sie sicher wusste: Er würde sein Leben lassen, und er würde nur sterben, weil er sie zu beschützen versucht hatte. Auch wenn sie vor wenigen Momenten noch zögerlich gewesen war im Angesicht einer möglichen Vermählung mit ihm – den Tod wünschte sie ihm nicht.
Hinterher würde sie nicht mehr berichten können, wie es dazu gekommen war, doch auf einmal fühlte sie den Rahjastein nicht mehr in ihrer Hand. Ein weiterer Schreck lief wie ein eiskalter Schauer über ihren Rücken, als sie das kostbare Kleinod durch die Luft fliegen sah, geworfen mit aller Kraft, die sie in ihrer Verzweiflung hatte aufbringen können.
Er traf das Ungetüm am Kopf, jedoch mit zu wenig Schwung, um ihm ernsthaft zu schaden. Einzig einen Augenblick der Verwirrung, des Taumelns, hatte der Verlust ihres geliebten Steins gebracht – einen Augenblick, den Carolan instinktiv nutzte, um sich zur Seite zu drehen und den todbringenden Läufen des Ungeheuers zu entgehen.
Mit zornesroten Augen wandte sich das Monstrum nun Pira zu. Eine heiße Welle der Angst jagte durch ihren Körper und ließ ihr nur einen Gedanken: Flucht. Sie drehte sich um, stolperte beinahe und floh durch das Unterholz, so schnell ihre Beine sie tragen wollten.

„Hier geblieben!“, durchbrach Carolans Stimme den Wunsch des Keilers, die flüchtende Frau zu verfolgen. Er hatte seine Waffe wiedergefunden und baute sich nun mit der Tapferkeit eines Todgeweihten hinter dem Ungetüm auf. „Stell dich mir! Ein zweites Mal wirst du mich nicht besiegen!“
Der Keiler drehte sich zu ihm um. Seine Augen waren Untiefen voll Bosheit und Wahnsinn, mit denen er Carolan voller Vernichtungswillen anstarrte. Er nahm Anlauf. Der junge Mann atmete einmal tief durch, bevor er sich mit einem lauten Schrei dem Monster entgegen warf.
Er riss seine Waffe nach vorne und spürte, wie sie im Sprung mit der ledrigen Haut des Ungeheuers in Berührung kam, wie sie sich durch sein zähes Fleisch grub. Das Schwert gegen diesen Druck zu halten kostete ihn Kraft, zu viel Kraft, und so wurden seine Hände vom Knauf gerissen. Carolan taumelte und suchte nach Halt, während seine Sinne sich mit jedem Wimpernschlag mehr und mehr schärften. Alle Sinne - bis auf einen.
Carolan spürte nicht, wie schwer ihn der Hauer des Ungetüms getroffen hatte, und er sah nicht, wie dunkelrotes Blut aus seiner Seite quoll wie ein tödlicher Wasserfall. Sicher, er fühlte einen unangenehmen Druck, doch die Hitze des Kampfes vernebelte jeglichen Schmerz vor ihm.

„Ahhh!“
Seine geschärften Sinne hätten ihre Stimme über Meilen gehört. Pira!
„Ahhhh!“
Sie war in Gefahr! Verzweifelt versuchte Carolan, die Herrschaft über seinen Verstand zurückzuerlangen, um einen Rettungsplan schmieden zu können, doch alles was er begriff war, dass ihm seine Waffe erneut abhanden gekommen war. Nun stand das Untier zwischen ihm und dem Schwert.
„Hilfe!“
Er hatte gar keine andere Wahl. Carolan machte kehrt, wandte sich dem Baumstamm zu, hinter den sich Pira zuvor geflüchtet hatte, und rannte. Er sprang ohne Rücksicht auf die Bauchwunde, die er noch immer kaum wahrnahm, und stolperte den abschüssigen Weg hinunter. Das Unterholz war dicht und feindlich gesonnen, es ließ ihn mehrmals fallen und trieb tiefe, blutige Risse in seine Haut. Schließlich sah er sie und bremste abrupt ab.
Der Fluss!
Vor ihm lag der Mardilo, schaumig und gurgelnd, und er hatte Pira mit sich gerissen. Sie klammerte sich mit aller Kraft an einen morschen Ast und wurde doch immer wieder von der Strömung unter Wasser gezogen.
„Hilfe!“
Hinter ihm kam das Schnauben des Monstrums bedrohlich näher und vor ihm lag nichts als der reißende Fluss und das ferne Tosen eines Wasserfalls. Welche Wahl hatte er schon?
Carolan sprang. Nicht, weil es das Richtige war, nicht, weil man es von ihm erwarten würde, nicht einmal, weil die Frau, die zu ertrinken drohte, womöglich bald seine Frau sein würde. Er tat es, weil er ein Soldat war, dem man in jahrelanger Arbeit anerzogen hatte, im Angesicht des sicheren Todes nicht zu zögern und sein Leben zu opfern für jene, die sich selbst nicht helfen konnten. Es war keine bewusste Entscheidung, kein Abwägen – dafür fehlte ihm schlicht die Zeit, denn der Keiler schoss bereits aus dem Unterholz. Es war nichts als ein Instinkt. Er tat es, weil es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn es jemand anderen zu retten galt.
Carolan sprang.