Dass es die Finalbegegnung im Großen Stechen am Vortag schon gegeben hatte, das war schon bald nachdem die Kontrahenten feststanden jedem Urbasier und auswärtigen Turniergast bekannt. Usvina hatte Yandriga im dritten Lanzengang vom Pferd gestoßen – ein schmerzhafter Sturz der letzteren war die Folge. Ja, man konnte den Abdruck von Usvinas Lanze in der Rüstung der einheimischen Cavalliera sogar noch erkennen, dort wo die Lanzenspitze in deren Schulter einschlug, auch wenn der Stahl danach wieder ausgebeult worden war. Dass die Verletzung selbst keine Rolle mehr spielte, stand gleichwohl außer Frage – sonst hätte Yandriga wohl nicht etwa die besten Streiter Arivors bezwingen können. Usvina indes war nun die einzige noch ungeschlagene Turnierteilnehmerin, hatte jeden ihrer Kämpfe gewonnen – und das auch nicht gegen schwache Gegner, war doch der Turniersieger von 1032 BF immerhin etwa ihr letzter Gegner gewesen. All das zählte nun aber ohnehin nicht mehr: Nur wer den anstehenden Kampf für sich entschied, mochte sich mit Fug und Recht als Sieger dieses Gestechs bezeichnen! Während die Turnierherolde noch die bereits errungenen Siege – hier wie anderswo – Titel, Verdienste und derlei mehr der Kontrahentinnen aufzählten, und das immer wieder jubelnde Publikum weiter anfeuerten, lenkten die Cavallieras ihre Streitrösser auf die Turnierbahn. Ein Verbeugung vor der Ehrentribüne, ein Segen der Rondra-Hochgeweihten, noch eine Verbeugung, und sie lenkten ihre Pferde zu den beiden entgegengesetzten Enden der Turnierbahn. Knappen reichten ihnen Schild und Lanzen, dann ging es endlich los! Usvina, zunächst verhaltener agierend, als wollte sie sich die Gegnerin ausgucken, fing deren ersten Stoß mit dem eigenen Schild mühelos ab. Das Publikum applaudierte. Einmal gewendet, lenkten beide Cavallieras ihre Rösser wieder aufeinander zu. Lanzen splitterten, doch es war zu wenig Kraft dahinter, als dass sie die Reiterinnen in Bedrängnis brachten. Vor allem Usvina schien noch immer auf den günstigen Augenblick zu warten. Wann, wenn nicht im dritten Lanzengang, sollte dieser sein? Und tatsächlich: Die Sheniloerin zeigte nun einen Anritt, der selbst turniererfahrenen Beobachtern als kaum besser zu machen ins Auge fiel. Allein: Yandriga hatte sich nicht ausgucken lassen, diesmal jedenfalls nicht, und stand dem Lanzengang der Kontrahentin in nichts nach. Die Lanzen zerbarsten an den Schilden, doch beide Streiterinnen hielten sich mühelos im Sattel. Der Fußkampf musste die Entscheidung bringen, mal wieder! Und darin waren beide Kontrahentinnen in diesem Turnier noch unbesiegt. Würde Yandriga, die an diesem Tag schon zwei Kämpfe mehr absolviert hatte und sich zuletzt mit dem Amarinto ein Duell bis zur Erschöpfung lieferte, nun schließlich einbrechen? Oder sollten sich die vermiedenen Stichkämpfe sogar eher für Usvina als Nachteil erweisen? Hunderte Augenpaare waren nun wirklich nur noch auf zwei Frauen gerichtet, versuchten jede Regung zu deuten. Usvina, bereits den blau-goldenen Schild ihres Hauses und das polierte Schwert in den Händen haltend, harrte der sich ihren Schild noch umgürten lassenden Gegnerin. "Rondras Wille", begrüßte sie sie dann ein letztes Mal direkt vor der Ehrentribüne. "Rondras Wille", gab diese den Gruß zurück. Dann klirrte nur noch der Stahl. Attacke und Parade, Finte und Ausfall – beide Kontrahentinnen schenkten sich nichts. Doch nur eine würde siegen, und es war nach einer furiosen Serie, wie sie schon die besten Arivorer überrascht hatte, Yandriga! Als die Sheniloerin unter ihren Schlägen zu Boden ging, stand sie, die Siegerin nur noch fassungslos da, schaute sich um, als wartete sie auf die Bestätigung durch das Publikum, das zunächst ebenso fassungslos war ob des so plötzlich entschiedenen Gefechts. Eine kleine Mädchenstimme war es, die die unheimliche Stille erst brechen musste: "Mama!" Und dann brach ohrenbetäubender Jubel aus – eine Urbasierin hatte immerhin gewonnen, auch wenn es eine Schwester des Tyrannen war! Wie im Halbfinale griff die Siegerin selbst nun nach der Hand ihrer unterlegenen Gegnerin, half ihr auf und riss ihren Arm zum gemeinsamen Jubel hoch. Dabei rief sie ihr zu, ohne dass es jemand anderer nun noch hören konnte: "Einigen wir uns auf ein Unentschieden?"
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