Ein Hilfegesuch
Die ältere Dame sah Lissa über den abgenutzten Tisch an. Ihre Gesichtszüge schienen schon vor Jahren in einer ernsten Maske erstarrt zu sein, aber ihre grauen Augen verrieten allerlei Gedankensprünge. „Nur damit ich euch richtig verstehe, ihr sucht was genau für ein Artefakt?“
Die Hesindegeweihte setzte ein sanftes Lächeln auf und erwiderte: „Der Löffel der Hesinde ist ein schon lange verschollenes Artefakt. Ich habe Aufzeichnungen gefunden, die zurückreichen bis vor zweihundert Götterläufen. Anschließend wurde es nie wieder erwähnt, was wohl am Archivbrand von ...“
„Bitte nur die Kurzfassung“, unterbrach Gylduria Deraccini sie.
Lissa atmete tief ein, und erklärte dann weiter: „Jener Löffel soll ein mächtiges Artefakt gewesen sein, das es einem erlaubt durch Benutzung neue Weisheit zu erlangen.“
Gylduria strich mit ihren knochigen Fingern durch das graue Haar: „Warum soll es ausgerechnet ein Löffel sein? Das klingt mir doch sehr nach einem Scherz, ihr kennt sicher die Redewendung, wenn jemand ...“
„Ja, die kenne ich“, warf Lissa schnell ein. „Aber es könnte sein, dass die Redewendung auf eben diesen Löffel zurück geht. Ihr wisst doch, dass alle Phrasen und Redewendungen einen wahren Kern haben.“
Die Dame bedachte Lissa mit einem langen Blick. Nur zu klar erkannte die Geweihte das übliche Bild in ihren Augen. Immer wieder wurde sie dank ihrem Äußeren für naiv gehalten. Warum nur? Waren die blonden, schulterlangen Haare daran Schuld? Oder lag es eher daran, dass sie sich bei ihren Ausführungen doch manchmal unsicher vorkam? Es war in jedem Fall mehr als nur unangenehm. Selbst ihre Kirche hatte ihr nach ihren Erläuterungen im Grunde nur die Reise bezahlt.
Nervös strich sie über ihren schlangenförmigen Halsreif. Sie rechnete schon fast mit einer fadenscheinigen Ablehnung, als Gylduria ihre Maske zu einem Lächeln verbog.
„Gut, ich denke, ich habe für eure wichtige Suche genau den passenden Begleiter. Ein echter Ritter und edel in Wort und Tat. Ich bin mir sicher, er wird euch mit seinem Leben beschützen.“
Irgendetwas kam ihr falsch daran vor, dennoch war sie ja gerade für Unterstützung hergekommen. Freundlich erwiderte sie: „Ich danke euch vielmals, mir gleich einen Ritter mit auf den Weg zu senden.“
Das verzogene Lächeln verlor langsam den Halt und verschwand wieder unter der ernsten Miene, während Gylduria erklärte: „Antonius wird deswegen zwar ein Treffen mit den Silbertalern versäumen, aber der Fund eines solchen Artefaktes ist sicher wichtig und bedarf sofortiger Untersuchung. Ich werde mich um alles kümmern. Schon morgen früh könnt ihr aufbrechen.“
Lissa nickte dankbar und Gylduria entließ sie mit einem Handzeichen. Die Geweihte hoffte, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Gleich einen Ritter mit zu bekommen war alles andere als üblich, immerhin erwartete sie keine übermäßigen Gefahren, sondern nur eine Ruine, bei deren Erkundung etwas Hilfe gut wäre.
„Das klärt sich bestimmt alles morgen“, murmelte sie zu sich selbst, während sie in Gedanken durch das Haus ging. „Bestimmt wird er sich irgendwie als nützlich erweisen, immerhin ist er ein Ritter.“
In ihrem Gästezimmer widmete sie sich ihren Aufzeichnungen und ergänzte ihr Buch der Schlange, wobei sie jede Notiz beim Schreiben mitsprach und manchmal auch kommentierte.