Rapport
„Nun?“
Irgendwie hatte Lissa sich mehr erhofft, als das kühle Auftreten von Gylduria, die mit gefalteten Händen und starrer Miene an dem alten Tisch saß. Sie wirkte einfach distanziert, als wenn der ganze Auftrag sie eigentlich nichts anginge. Vielleicht war das ja auch so.
Die Geweihte merkte, dass sie wieder mit ihrer Halskette gespielt hatte. Sie zuckte davon weg und brachte den Löffel aus einem Tuch hervor. „Meine Suche war erfolgreich. Der Löffel der Hesinde wurde gefunden. Er verleiht tatsächlich neues Wissen an denjenigen, der ihn benutzt.“
Gyldurias Züge blieben in Stein gemeißelt, während sie den Löffel durchdringend anstarrte. Dann sah sie zu Antonius, dessen Gesicht mittlerweile wieder sauber war.
„Er ist schön gearbeitet, ja. Aber wie soll der Löffel neue Weisheit geben? Das kann ich nicht glauben.“
Lissa lächelte daraufhin nur und legte den Löffel mit dem sauberen Tuch auf den Tisch. „Nun, es spricht nichts dagegen, dass ihr ihn ausprobiert.“
Antonius schaute Lissa fragend an, die jedoch Gylduria im Blick behielt. Die alte Frau verriet Skepsis mit ihrem Blick. „Und mit diesem Löffel soll man tatsächlich Wissen erhalten können?“
Die Hesindegeweihte nickte freundlich und gespannt. „Wie gesagt, ihr könnt ihn ruhig benutzen.“
Gylduria sah sich den Löffel genau an, konnte aber nichts erkennen. Sie putzte ihn mit dem sauberen Tuch noch einmal und steckte ihn in den Mund. Für ein paar Sekunden verharrte sie so. Dann nahm sie ihn wieder heraus. „Was für ein Schwindel.“
Lissa setzte ein betroffenes Gesicht auf. „Das war kein Schwindel. Ganze Generationen von Hesindegeweihten haben von seiner Lehre profitiert. Ich habe ihn selbst versucht und bin weiser geworden! Er lehrt, dass Wissen nicht von irgendwo kommt und der reine Glaube daran reicht auch nicht, man muss es schon selbst suchen und dafür arbeiten.“
Die alte Frau sah Lissa weiter an, aber kein Lächeln verbog ihr Gesicht. „Ein philosophisches Konstrukt also. Damit ist nicht viel anzufangen. Er ist nur schön gearbeitet, aber nicht einmal verzaubert.“
Die Geweihte schüttelte den blonden Kopf. „Er ist verzaubert, nur...“, sie lief ein wenig rot an. „Also die Verzauberung, das ist ein einfacher FlimFlam, der gerade genug glüht, um in den Augen Madas im magischen Licht zu schimmern.“
Gylduria schürzte die Lippen. „Ein glühender Löffel also. Wie überaus praktisch.“
Lissa nahm den ihr dargebotenen Löffel an sich und erklärte: „Immerhin ein Kultgegenstand der Hesindekirche mit geschichtlichem Wert!“ Die Funktion als geheimer Schlüssel verschwieg sie lieber und hoffte, dass auch Antonius schwieg. Den Rubin wollte sie gar nicht erst erwähnen.
„Und dennoch“, setzte Gylduria ungeduldig fort „ein Gegenstand ohne wirklichen Nutzen. Die Reise war wohl umsonst.“
„Nicht ganz, Mutter“, schaltete sich nun Antonius ein und erntete dafür einen angesäuerten Blick von Gylduria. „Dort gibt es eine alte Kultstätte der Achzen … Achtas …“
„Achaz“, verbesserte Lissa und nickte bekräftigend, ehe sie schnell fortfuhr „Unter der Ruine befindet sich der Eingang zu einer Tempelanlage, die ich gerne näher untersuchen möchte. Es könnte ein Schlüssel zu der früheren Geschichte von Urbasi geben. Hierfür hätte ich gerne erneut eure Unterstützung.“
Gylduria wartete lange mit einer Antwort. Lissa spielte nervös mit ihrer schlangenartigen Halskette und wünschte sich inständig, dass Antonius nichts von dem Rubin erzählte. Nachdem die Signora offenbar einige Gedanken hin und her gerollt hatte, erklärte Gylduria schließlich. „Gut, ihr sollt Unterstützung haben. Aber Antonius hat andere Aufgaben wahrzunehmen. Zum Glück habe ich jemanden, der gerade eine Schuld abarbeiten soll. Denkt daran, den guten Einfluss des Hauses Deraccini in euren Aufzeichnungen zu erwähnen, immerhin unterstützen wir mit Freuden die Hesindekirche.“
Irgendetwas an dem Tonfall von Gylduria gefiel Lissa nicht, aber sie wagte es nicht etwas einzuwerfen.
„Sobald ihr aufbruchbereit seid, könnt ihr euren neuen Begleiter mitnehmen. Ich denke, er wird euch gefallen.“
Wieder verbog ein Lächeln die ernsten Gesichtszüge und Lissa schwante nichts Gutes …