Briefspiel:Urbasi nach dem Verrat (7)
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Galeas Einwürfe und Leomars Rückkehr
Langsam hatte sie genug. All die Herren mit den Heldengeschichten ihrer Ahnen, ihrem Ehrenwort, ihren Bündnissen und dem Glauben sie hätten das Recht auf Generationen gepachtet. Galea erhob sich.
„Ich bin kein Wolf und kein Lamm, doch habe ich beiderlei das Fell gegerbt. Mich adelt nicht die Länge meines Stammbaums oder die Heldentaten meiner Vorfahren. Ich kann voll Stolz von mir behaupten, das Recht in dieser Versammlung zu sprechen, hab ich mir mit meiner eigenen Hände Arbeit verdient und sollte eines meiner Kinder das selbe Recht für sich wünschen, so wird es - genau wie ich – sich mit seiner Hände Arbeit dieses Recht verdienen müssen.“
Die Zunftmeister, die ihr Handwerk selbst ausübten und ihr Amt nicht den inneren Streitigkeiten der Zunft, der sie vorstanden, zu verdanken hatten sowie einige Geweihte nickten zustimmend.
„Und … so meine ich … ich habe Respekt verdient. Ich habe Respekt verdient, weil diese Versammlung Respekt verdient hat, ihr alle habt Respekt verdient, weil diese ehrenvolle Versammlung Respekt verdient – weil fürstlich Urbasi Respekt verdient und ein jeder“, mit einem Blick in Richtung Miguels, „der für diese Versammlung spricht …
UND WIR DÜRFEN NICHT DULDEN, DASS UNS DIESER RESPEKT VORENTHALTEN WIRD!
[Fast flüsternd mit erhobenem Zeigefinger] Weder hier und erst recht nicht efferdwärts.
Es ist genug sage ich, bläuen wir den Fischköpfen Demut vor fürstlich Urbasi ein! Und wenn es nötig ist … schwingen wir KORs Hammer, bis sie Einsicht zeigen.
So danke ich den weitsichtigen Herren, die unsere Stadt vor dem Feind gerettet haben. Wir müssen dem Verrä… äh, Verleger der Truppen danken, der uns vor einer torremsch-efferdischen Invasion bewahrte – eine wahrhaft prophetische Gabe, die die fehlende Konsultierung dieser Versammlung oder des Consiglios sicher entschuldigt.
Danken wir dem Veruntreu… äh, Flottenbauprogramm, dessen Initiator leider just entschwand … Nur Rotzen am Ufer? Nein eine Flotte ist das Mindeste für Urbasi. Die Herren tun wahrlich recht ihre Taten in Erinnerung zu rufen … denn der Vorschlag der im Raume steht, ist nicht die Verlängerung der Amtszeit des Gonfalonieres Flaviora.
Der Vorschlag der im Raume steht ist die Verlängerung der Amtszeit ALLER, die im Amte durch Gnaden dieser fürstlichen Versammlung stehen.
Der Gonfaloniere ist, verzeiht Miguel, nur unser – hochverehrtes - Sprachrohr und er war es auch zu jeder Zeit.
Verhandlungen? Nur in unserem Auftrag. Frieden? Nur auf unseren Wunsch.
Und was immer Signore Flaviora in den letzten Wochen sagte, war seine geschätzte Meinung als Signore oder … in unserem Auftrag und das war: Wir sind uns nicht einig!
Nicht aber die Priori! Geht es unseren Bürgern wohl an Körper Geist und Seele dank Priore curatoris? Herrschen Recht und Gerechtigkeit in Urbasi dank des Priore iuris? Hat uns der Priore militaris vor äußeren Feinden bewahrt? Ist die Stadtkasse dank des Priore pecunis gut gefüllt?
Hat der Priore ruris die städtischen Güter mit Umsicht geführt und … besteuert?
Hat der Priore structuris sich um die Gebäude und Bebauung der Stadt gesorgt? Hat der Priore urbis uns allen eine gute Heimstatt ermöglicht?
Dies sind die Fragen, die zu stellen sind und nur der Glaube, dass all diese Pflichten von ihren Trägern erfüllt werden, sollten uns unter normalen Umständen erlauben mit 'Ja' zu stimmen – nur … dann würden wir nicht vor dieser Entscheidung stehen, sondern würden zur Ämterwahl gerufen.
Ich schließe mich dem Antrag an. Doch ich sage offen, nur aus der Not des Augenblicks und nicht aus Überzeugung.“
„Ganz recht habt ihr gesprochen, als ihr sagtet, dass jeder, der für diese Versammlung spricht, Respekt verdient“, schloss sich Odina della Pena als Vertreterin der Holzzunft ihrer Vorrednerin an.
„Jeder der hier spricht, verdient Respekt, und jeder hat seine Gründe so zu sprechen, wie er es tut. Nun fragen wir uns, warum unser Gemahl, wenn er dies hier offen anspricht, an den Pranger gestellt oder gar lächerlich gemacht wird.
Sicherlich, er hat dargestellt, dass er die Interessen Urbasis gegen solche des Hauses della Pena abwägt. Aber warum wird ihm dieses denn hier zum Vorwurf gemacht? Ist nicht genau dies seine Aufgabe? Baron Leomar Romualdo della Pena, unser Gatte, hat einen Sitz in dieser Signoria als Vetreter des Hauses della Pena, so wie wir hier einen Sitz als Vertreterin der Holzunft haben, ihr, verehrte Galea, für die Lederzunft oder Signor Flaviora, unser Gonfaloniere, für die Familie Flaviora.
Und so wie wir qua unseres Amtes dazu verpflichtet sind, ständig die Interessen der Zimmerer und Dachdecker, Tischler, Armbruster und Instrumentenbauer, gegen die der gesamten Gemeinde Urbasi abzuwägen, so ist Hochwürden Salsavûr gezwungen die Interessen der Kirche der Herrin Rondra ins Gespräch zu bringen und Wohlgeboren Elfa d'Auspizzi muss die Interessen ihres Geschlechtes beständig gegen die der anderen Vertreter abwägen.
Doch damit nicht genug: ein jedes Mitglied der Signoria hat sogar noch eine weitere Aufgabe. Denn die Gesamtheit der Signori aus den Case Nobili hat neben den Plänen ihres eigenen Geschlechtes auch das Interesse des Landadels als Gruppe im Auge zu behalten, so wie wir als Patronin, neben den Tischlern und Fassmachern, auch die Macht der Zünfte überhaupt beachten und beständig gegen die anderen Stimmen ins Felde führen.
Zuvor wurde vom Interesse der Gemeinde Urbasi gesprochen und auch wir haben diese Rede zunächst einmal kommentarlos übernommen, aber nun wollen wir dies doch einmal genauer hinterfragen, denn wenn die Interessen der einzelnen Signori gegen die der gesamten Gemeinde Urbasi abgewogen werden, gegen was genau wägt man dann ab?
Was ist dieses ominöse Interesse der Civita Principessa?
Ist es nicht genau das Zusammenspiel all unserer Partikularinteressen? Die Schnittmenge aus den Vertretern der Patroni, Praetori und der Signori beiderlei Couleur?
Ich sage ja: erst im Diskurs in diesem Gremium kann sich das Interesse der Gemeinde Urbasi konstituieren und erst dadurch, dass jeder deutlich die Interessen derer Gruppe vertritt, für welche er hier spricht.
Insofern ist es uns höchst suspekt, wenn sich selbsternannte Anwälte der Gemeinschaft vor die Versammlung stellen und vom Interesse der Stadt Urbasi als Ganzem sprechen.
Um also noch einmal das Wort unserer Vorrednerin aufzugreifen und gleichsam einen Zirkelschluss zu vollenden, wiederholen wir: ein jeder Vertreter in diesem Gremium verdient Respekt. Er verdient ihn, weil er nicht müde wird, als Sprachrohr seiner Gruppierung zu fungieren. Und ja, diese Versammlung verdient Respekt, da sie das Organ ist, wo sich aus allen artikulierten Einzelmeinungen der Wille Urbasis manifestiert. Und nicht zuletzt: diese Stadt, fürstlich Urbasi, verdient Respekt, weil dies alles hier möglich ist.
Wenn sich aber jemand anschickt, diese Form der Willensfindung zu sabotieren, indem er andere daran hindern will, die Interessen seiner Partikulargruppe in die Diskussion einzubringen, so hat er diesen Respekt verspielt, weil er an den Grundfesten unserer Gemeinschaft sägt.“
Sicher hatte nicht jeder ihren Worten folgen können, darin war sich Odina sicher, aber dennoch war sie zufrieden mit ihrer Rede, und das nachdenkliche Schweigen im Anschluss gab ihr recht.
Als nächste wandte sich Leonore Dalidion, die Matriarchin der gebildeten Druckersfamilie, die seit ewigen Zeiten auch die Hesinde-Hochgeweihten der Stadt stellte, an die Versammlung. Bedächtig erhob sie sich von ihrem Sitz und begann in wohlgesetzten Worten zu sprechen:
„Verehrte und hochgeschätzte Signori, Prätori und Patroni. Viele wahre Worte wurden bereits gesprochen und viele Positionen haben wir angehört. Ebenso wurde uns gerade von Wohlgeboren della Pena noch einmal die Funktionsweise dieses Gremiums erläutert – wiewohl sie die Interessen der Holzzunft noch mit keinem Wort weiter expliziert hat, wie mir scheinen will.
Dennoch haben wir das Gefühl, dass viele Dinge hier zur Sprache gebracht werden, die weder am richtigen Ort noch zur richtigen Zeit geäußert werden.
Wir haben keine Muße dazu und wahrlich besseres zu tun, als uns hier einen weiteren kleinlichen Adelsstreit mitanzusehen. Uns ist es herzlich egal, in welcher Altherren-Loge die Signori Salsavûr und della Pena ihren Nachmittagstee einnehmen. Genauso ermüdet uns die Leier des Signor dell'Arbiato, der gleich den Novadis mit ihren Gebetsmühlen in einem fort die Spitze gegen seinen Rivalen, Hochgeboren Leomar, wiederholte, welche uns schon beim ersten Mal nicht mehr als ein müdes Lächeln aufs Gesicht bringen konnte.
All dies hält uns von den wichtigen Fragen, ab die hier heute erörtert werden sollen. Zum einen: sollte angesichts der Krise die Amtszeit des Consiglio verlängert werden? Und zum anderen: Wie sollten wir dem angeblichen Angriff auf Urbasis Ehre begegnen?
Nun, wir wollen zunächst auf den zweiten Punkt eingehen. Und wie zuvor gefordert werde ich dabei das Interesse der Familie Dalidion und die Gesamtinteressen der Case Civili im Fokus halten. Was ist also passiert: Durch das seltsame Adelsgeschacher um Torremund ist der Gemeinde Urbasi der bislang nominell vorhandene, faktisch aber verschwindend geringe Einfluss auf dieses winzige Örtchen verloren gegangen.
In den Geschäftsbüchern unserer Familie macht sich dies im Höchstfall in einem Betrag knapp vor dem Komma bemerkbar, verschwindend klein im Vergleich zu den Summen, die beispielsweise bei der letzten Consigliowahl gerüchteweise den Besitzer gewechselt haben. Wir wagen zu behaupten, dass sich dies bei den übrigen Patrizierhäusern ähnlich verhalten wird und auch der Haushalt der Gemeinde Urbasi wenig davon bemerkt.
Und diese angebliche Beleidigung Urbasis… Wie es sich für uns darstellt, wurden einige Adelsgeschlechter, die sich für Bundesgenossen der Torrems hielten an der Nase herumgeführt und sie haben ihre heissgeliebten Hausgarden vergeblich in Marsch gesetzt.
Aber was ficht dies denn Urbasi an? Gut, das Haus Torrem wollte sich zunächst hier niederlassen, hat gewissermaßen um freundliche Aufnahme gebeten. Wenn wir uns recht entsinnen war hierüber noch keine einvernehmliche Entscheidung in der Signoria gefallen. Bevor also wir uns darüber klar werden konnten, ob wir die Torrems hier haben wollen, haben sie es sich anders überlegt.
Und wo wurde Urbasi jetzt provoziert, wo beleidigt?
Was hat Urbasi verloren? Nichtigkeiten, zumindest im Vergleich zu den Summen, die aufgebracht werden müssten, wenn wir einen Krieg vom Zaun brechen oder die Konfrontation mit den Küstenstädten suchen.
Die Befindlichkeiten des Adels interessieren uns nicht und – mit Verlaub: der Spott auf den Gonfaloniere rechtfertigt nun wirklich keinen Feldzug, da haben wir innerhalb dieser Mauern schon Schlimmeres gedruckt gesehen.
Kurz, Urbasi kann in einer offenen Konfrontation hier nichts gewinnen!
Nun aber zu Punkt zwei: Es besteht der Antrag die Amtszeit des Consiglio zu verlängern. Hierzu ist zu sagen, dass…“
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür geöffnet und der Herold kündigte an: „Seine Hochgeboren Baron Leomar Romualdo della Pena“
Dieser betrat auch umgehend den Saal und begann zu sprechen:
„Wir wollen uns für unseren Abgang und unsere Handlungen, die zuvor geschahen, entschuldigen. Wir haben weder der Würde dieses Gremiums genüge getan, noch unser standesgemäßes Benehmen gewahrt. Doch wir wurden auf Übelste von Signor dell’Arbiato provoziert und unser Blut geriet ob dieser Beleidigungen auf das Heftigste in Wallung.
Aber unser Verhalten ist nicht leicht zu entschuldigen, wir haben unsere Ehre und die des Hauses Arbiato besudelt. Daher sehen wir nur eine Möglichkeit, um die Ehre beider Seiten wieder herzustellen. Wir fordern euch, Wohlgeboren Alessandero, zum Duell auf das zweite Blut!
Morgen, kurz nach Sonnenaufgang erwarten wir euch an der alten Turmruine im nördlichen Weinberg.
Als Geforderter obliegt euch die Wahl der Waffen, als Sekundantin benennen wir Hochwürden Amene di Salsavûr, die, so es ihr genehm ist, auch darüber wachen wird, dass alles zum Gefallen der alveranischen Leuin vonstatten gehen wird.
Und nun wollen wir uns der Versammlung freundlich empfehlen, an den Gründen unserer Abwesenheit hat sich wenig geändert. Als Vertreterin für die Interessen des Hauses della Pena ä.H. benennen wir unsere Tochter Lutisana.“
Sprachs, machte kehrt und verließ den Saal so überraschend, wie er zuvor erschienen war.