Briefspiel:Urbasi nach dem Verrat (5)
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Der Pöbel und die Treue
'Mir hat die Schicksalsgöttin, die ohne Trug ist, nur ein kleines Landgut und den zarten Anhauch der bosparanischen Muse gegeben, und Verachtung für das boshafte Volk', kam Alessandero dell'Arbiato in den Sinn, als die von ihm angeheuerten Schreier mit ihrem Werk begannen und wie geplant die Masse des Pöbels dankbar in das Gebrüll einstimmte. Wahrlich, die alten Dichter hatten recht: Ein Wurm war intelligenter als ein hundertköpfiger Mob. Eigentlich hatte Alessandero geplant, den guten Leomar noch ein wenig in die Enge zu treiben, der sich nicht nur von dem Torrem hatte vorführen lassen, sondern immer noch von "Vertragstreue" faselte. Ganz zu schweigen von dem Irrglauben, Alessandero würde seine Einstellung zu dem "republikanischen Geist" teilen, was immer Leomar auch darunter verstand. Quae te dementia cepit, welcher Wahnsinn hat von Dir Besitz ergriffen, Leomar?
Aber nunmehr schien es vergnüglicher, sich das Wortgefecht zwischen dem della Pena und Ehrwürden Auricanius anzuhören. Und wahrscheinlich würde der Praios-Geweihte noch etwas zu den merkwürdigen Auffassungen dieses Ritterklüngels sagen. Alessandero fragte sich nur, ob Leomar, welcher den Grundsatz der Vertragstreue angesprochen hatte, wohl auch mit einem anderen Grundsatz vertraut war:
Mors omnia solvit. Der Tod löst alles auf. Und nach Alessanderos Ansicht war dieser "Sikramtaler Ritterbund" ante mortem, kurz vor dem Tode.
Mit diesen Gedanken wandte sich Alessandero dem nächsten Redner zu, der hoffentlich weiterhin zu diesem nunmehr höchst vergnüglichen Geplänkel beitragen konnte, während das Geschrei des Pöbels in die Sala drang ...
„Exzellenzia“, wandte sich Auricanius trotz des aufkommenden Lärms draußen betont förmlich wieder an Priore Leomar, „dieses 'noch' geruhe ich an dieser Stelle wohlwollend überhört zu haben, denn nicht ich scheine hier die unbedachten Worte zu wählen. Auch seid versichert, dass ich nicht nach eurer Feindschaft strebe – die hat schon anderen Mitgliedern meines Hauses nicht gut getan, wie es heißt …“
Der Geweihte räusperte sich kurz – nun gut, diese Spitze war vielleicht auch unnötig gewesen.
„Doch verkennt eben ihr die Lage, wie es mir scheint, in der sich die Fürstliche Gemeinde – und ihr – befindet. Die verräterischen Umtriebe eures Bundesgenossen kosten Urbasi vertraglich zugesicherte Anteile am Brückenzoll Torremunds, vom Hohn dem Gonfaloniere und damit der gesamten Stadt gegenüber ganz abgesehen … Und da sprecht ihr von unrechtmäßiger Aneignung von Landbesitz, die erst wir begingen? Es hat sich hier ein Haus auf Kosten Urbasis mit Privilegien gleich welcher Natur in Torremund versorgt und ihr wollt unserer Gemeinde nun das Recht absprechen, dagegen vorzugehen? Oder geht es euch nur darum, dass es ja nur Urbasi getroffen hat, nicht jedoch eines der Geschlechter eures Ritterbunds und man daher nicht von Verrat innerhalb desselben sprechen kann? …“
Abermals zügelte sich der Geweihte selbst, besann sich, dass die Erläuterung der offensichtlich nicht von allen Beteiligten gesehenen Zusammenhänge nicht zur reinen Ausbreitung von Vorwürfen werden durfte.
„Ihr sprecht von Travia und ihren Geboten, und ich sage euch, dass wir diese sehr wohl achten, mehr als unser Bruder, der ihren Namen trug. Schon dieser achtete jedoch darauf, sich nicht in Verpflichtungen zu verstricken. Verpflichtungen gegenüber den Torrems habe ich keine! Keine zumindest, die derzeit ausführbar wären, denn festgeschrieben steht im Travienvertrag meines Bruders allein, dass seine älteste Tochter, die Erbin des Hauses Torrem, am Hof meiner Familie hier in Urbasi aufwachsen soll. Dies einzufordern sehe ich mich nun gezwungen – und sollte dem nicht nachgekommen werden, geht die Missachtung Travias und Praios’ beileibe nicht von meiner Familie aus.“
Er schweifte ab …
„Indes, um zu den nun zu ergreifenden Maßnahmen zurückzukommen, nach denen es auch die Urbasier außerhalb dieses Saals zu erfahren verlangt, wie es scheint … was also stellt ihr euch da vor? Eine Sperrung der Handelswege scheint dem Bündnispakt, an dem hier noch immer festgehalten werden soll, also nicht zu widersprechen? Darauf sollen wir Rücksicht nehmen, nur die strafen, die zufälligerweise nicht mit jemandem aus diesem Kreise im Pakt stehen, selbst wenn sie selbst den eigentlichen Verrat noch nicht einmal begangen haben mögen?“
Irgendwie kam Auricanius doch immer wieder darauf zurück, was half es also weiter um die Wahrheit herumzureden:
„Es tut mir leid, euch dies so deutlich sagen zu müssen, Exzellenzia, aber der Sikramtaler Ritterbund ist Geschichte. Zumindest dann, wenn ihr ernsthaft behaupten wollt, noch treu zu eurer Heimatstadt zu stehen!“
Da Leomar es nicht für nötig hielt sich zu einer weiteren Erwiderung extra zu erheben, ergriff er im Sitzen das Wort, schlug aber nun auch einen förmlicheren Ton an:
„Da Ehrwürden scheinbar nicht im Stande war, unseren vorigen Ausführungen mit all ihren Implikationen gänzlich zu folgen, wollen wir den Umstand, den wir bereits zuvor ausführlich dargelegt hatten, um unser Wohlwollen und Entgegenkommen zu zeigen, ein weiteres Mal kurz explizieren:
Ad Primum: Es nimmt uns immer noch Wunder, dass ein Diener des Gerechten einen Eidbruch fordert, denn ein solches sollte ihm ein Gräuel sein – gleich, ob er auf der Verbündeten Seite steht oder auf der des Antagonisten.
Ad Secundum: Wir haben zu keiner Zeit davon gesprochen, dass sich irgendeiner unrechtmäßigen Landbesitz angeeignet habe. Wir haben lediglich von der Möglichkeit gesprochen, dass einzig in solch einer Situation der Bündnisfall des Ritterbundes greifen würde.
Wenn Ehrwürden in der Hitze der Debatte jedoch unsere Verwendung des tempi conjunktivi überhört haben sollte, so werden wir solch ein Missgeschick natürlich freundlichst entschuldigen. Da ihr aber selbst das Thema anschnittet, so sollten wir festhalten, dass es sich beim ersten Torremundkonflikt im Jahre 1027 um eine Angelegenheit zwischen den Häusern Torrem, Efferdas und Urbet-Marvinko handelte und somit die Stadt Urbasi nebst sämtlicher anderer hier vertretener Häuser daran gänzlich unbeteiligt war. Auch wenn das Schicksal unserer Heimatstadt in der Vergangenheit mit dem Hause Urbet-Marvinko eng verknüpft war, bitten wir dieses doch sorgfältig auseinander zu halten.
Ad Tertium et ultissimum: Wir haben zu keiner Zeit abgelehnt die Entscheidungen dieses Gremiums im vollen Umfang zu unterstützen, daher empfinden wir es als eine persönliche Beleidigung die Treue der della Pena zur Fürstlichen Gemeinde Urbasi in Frage zu stellen. Allerdings wird auch ein Bruch mit den Bundesgenossen der Sikramtaler Rittergeschlechter nicht von unserer Seit ausgehen. Ein Pakt wird gehalten, bis die Bedingungen unter denen er geschlossen wurde, von einer anderen Seite gebrochen werden. Wäre dem nicht so, so wäre die Unterschrift eines della Pena nichts mehr wert.
Der Pakt zwischen den Mitgliedern des Ritterbundes ward bislang durch keine Handlung gebrochen – auch hier bitten wir die Geschäfte unserer hochverehrten Heimatstadt von den Geschäften unserer Hauses doch gütlich zu trennen, so wie wir es eben bezüglich des euren taten. Die Handlungen der Torrems gegen Urbasi sind zu verurteilen, allerdings haben sie in keiner Weise gegen die Vereinbarungen des Bundes verstoßen.
Wenn wir ihr Handeln also auch scharf tadeln, so gibt es uns dennoch nicht das Recht – und wir wiederholen: gerade ihr sollten wissen, dass die Regeln des geltenden Rechts sich dem Unkundigen nicht direkt erschließen – gibt uns also nicht das Recht, von unserer Seite einen Paktbruch zu begehen.
Dass das Haus della Pena sich, falls von anderer Seite die Treueschwüre gebrochen werden, durchaus heftig gegen einen ehemals Verbündeten wenden kann, sollten gerade die Urbet-Marvinko im Kopf behalten – aber uns scheint, ihr habt soeben selbst auf diesen Umstand verwiesen.
Also noch einmal in aller Deutlichkeit, so dass es jeder Esel Urbasis verstehen sollte: Unsere Treue zur Civita Principesca di Sant'Agreppo ist unverbrüchlich und wir werden die Beschlüsse dieser Versammlung vollumfänglich mittragen, soweit es uns möglich ist, so ist es recht und billig und so gebieten es Ehre, Treue und unser Amt.
Aber wann der Sikramtaler Ritterbund Geschichte ist, das entscheidet nicht dieses Gremium, nicht ihr, Ehrwürden, und auch nicht das Volk auf den Straßen Urbasis, sondern einzig allein die Mitglieder des Bundes…“, Leomar nickte den Vertretern des Hauses di Salsavûr zu, „… und zwar auf Grundlage der Pakt-Urkunde, so wie es Recht und Gesetz vor Priaos und den übrigen Alveranischen ist, nicht aufgrund einer plötzlichen Laune oder aufgrund von Druck Dritter.
Wir hoffen, dass sich nun die Debatte wieder relevanten Themen wie den zu ergreifenden Maßnahmen zur Verteidigung urbasischer Interessen zuwendet und es fortan unterlassen wird Familieninterna in diesem Forum zu diskutieren.“