Briefspiel:Valvassorenaudienz

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Stadt Urbasi klein.png Briefspiel in Urbasi Stadt Urbasi klein.png
Datiert auf: irgendwann nach dem Zweiten Massaker von Urbet Schauplatz: Stadt Sikramara Entstehungszeitraum: September 2014
Protagonisten: Rondralio von Urbet, Gonzolo Ruccia, Kedor Voscari Autoren/Beteiligte: Haus Urbet-Marvinko klein.png Gonfaloniere

Die vorliegende Briefspielgeschichte Valvassorenaudienz handelt vom Besuch des Valvassors Rondralio von Urbet bei seinem Amtskollegen in Sikramara, Podestat Gonzolo Ruccia. Sie setzt in gewisser Hinsicht die Ereignisse der Schwarzen Tage fort.

Valvassorenaudienz

“Wieviele Gäste, sagte Signore Ruccia, seien zu erwarten?”
“Nur ‘der Valvassor und ein kleines Waffengefolge’ waren seine Worte … was auch immer das heißen mag.”
“Kleines Waffengefolge sind drei oder vier Begleiter, höchstens, wahrscheinlich nur die Waffenknechte. Dann sollte das kleine Bankett aber auch reichen. Deck die Tafel dementsprechend ein.”
“Mach ich sofort.”


“Brrr!”
Das Kommando des vorweg Galoppierenden an sein Ross brachte den ganzen ihm folgenden Zug zum Halten. Der Reiter wendete noch in derselben Bewegung, die sein Pferd zum Abbremsen vollführte, und sah in fragende Gesichter.
“Ich liebe diesen Ausblick einfach”, erklärte er überschwänglich, “von dieser Kuppe hat man mit den besten Blick auf die Lindwurmfelder. Padragûr und die Einhornwälder im Norden, Trevisio im Nordwesten, nichts scheint von hier wirklich außer Reichweite zu sein. Und doch lässt einen die Weite der Ebene schaudern.”
“Ich sehe vor allem einen alles überragenden Tafelberg im Westen, mit einer Festung drauf, von der wir gerade her kommen”, wandte einer der Begleiter ein.
“Ja, die gehört auch ins Bild”, gab der Erste mit einem Grinsen zurück. “Vor allem weil sie so majestätisch über allem wacht!”
“Und wir in ihr … was uns ehrt”, griff ein dritter schwer gerüsteter Reiter den Gedankengang auf, darauf bedacht ihn rasch abzuschließen. “Aber sollten wir uns nun nicht beeilen, wenn wir den Podestaten nicht warten lassen wollen?”
Wenn wir ihn nicht warten lassen wollen …”, antwortete wiederum der Erste, und zwinkerte dabei dem Zweiten zu.
“Nein, ihr habt ja recht, man sollte es auch nicht übertreiben. Vor allem, da ja noch wichtige Gespräche geführt werden sollen … so wichtig, wie Krämerkram eben sein kann …”
Ein Zeichen des Anführers genügte, und die gesamte Reiterkavalkade setzte sich wieder in Bewegung. Die Lindwurmfelder verschwanden bald im Staub, den die beschlagenen Hufe der Rösser auf der hier ins Silbertal einfallenden Efferdstraße aufwirbelten.


Das dumpfe Geläut des Campanile von Sikramara kündigte der Stadtherrschaft unter dem Podestaten Gonzolo Ruccia die verspätete Ankunft der erwarteten Gäste aus Urbet an. Endlich, dachte der Podestat, für den die übermäßige Verzögerung nicht so recht ins Bild der kollegialen Bitte um eine Audienz passte, die ihn überhaupt nun auf der kleinen Haupt-Piazza seiner Stadt warten ließ. Die Beziehungen Sikramaras nach Urbet waren in den letzten Jahren etwas vernachlässigt worden, zugunsten Urbasis vor allem. Dass der Valvassor Rondralio von Urbet selbst nun das ‘Gespräch auf Augenhöhe’ vorgeschlagen hatte, kam Gonzolo deshalb überaus recht. Ihm lag viel daran, seinen Amtskollegen in der eigenen Stadt mit seiner Gastfreundschaft zu beeindrucken. Gerade beim Bankett hatte er sich trotz der angekündigten geringen Begleiterschar so nicht lumpen lassen.
Allmählich mischte sich Hufgetrappel unter den Glockenlärm, als die sich nähernden Reiter ihren Weg durch die engen Gassen der Kleinstadt wählten. Gonzolo straffte sich noch einmal, als er sicher war, dass sie ob der Lautstärke jeden Augenblick auf die Piazza einschwenken würden. Stattdessen wurde der Huflärm jedoch immer lauter …
Dann bogen endlich die ersten Urbeter um die letzte Ecke vor dem Podestatenpalast. Ein berittener Bannerträger zunächst, mit dem Stadtwappen Urbets; dann ein zweiter, mit der Fahne des Hauses Urbet; und noch ein dritter, mit dem Banner des Lutisanerordens. Erst danach schwenkte der Valvassor selbst, beinahe voll gerüstet, auf den Platz ein.
“Signori et Popoli, der Valvassor von Urbet, der Bezwinger der Bestie, der Seneschall des Ordens vom Grabe Sancta Lutisanas, Rondralio von Urbet, erweist euch die Ehre”, stellte der erste Bannerträger den Neuankömmling lautstark vor.
Gonzolo staunte, aber nicht über die offensive Art der Selbstankündigung, die sein Gast gewählt hatte, sondern vielmehr über die Reiter, die auch lange nach dem Valvassor noch alle folgten. Ein Dutzend wohl, und noch ein halbes … Die silberne Löwin auf rotem Grund zierte fast alle ihre Wappenröcke. ‘Das muss die halbe Ritterschaft des Lutisanerordens sein’, dachte der Podestat. ‘Und das nennt mein Kollege ein kleines Waffengefolge?’ Er war verblüfft, aber auch ein wenig verärgert, da ihn dieser Auftritt des Valvassors zwangsläufig schlecht vorbereitet aussehen lassen musste. Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er an das plötzlich viel zu klein bemessene Bankett dachte …


“Na, nun hört endlich auf, euch zu entschuldigen”, würgte der Valvassor von Urbet die letzten Rechtfertigungsversuche seines Gegenübers ab. “Meine Männer haben vor unserem Ritt gut gegessen. Und lang war der Ritt ja auch nicht.”
Genußvolles Schmatzen erfüllte den Prunksaal der Podestatenresidenz, während Diener in aller Eile die vermutlich letzten präsentablen Vorräte auftischten, die die Küche noch hergab. Immer wieder schepperte aber auch Metall, wenn die gerüsteten Begleiter des Valvassors einander fröhlich zuprosteten und dabei ihre sperrigen Ausrüstungsgegenstände zusammen stießen.
Gonzolo verstummte beim Einwurf des Valvassors sofort und nickte, ehe er Rondralio endlich auf den eigentlichen Anlass seines Kollegen-Besuchs anzusprechen wagte: “Ihr seid zu gnädig, habt Dank. Auch für euren Besuch überhaupt. Zwischen den Stadtoberhäuptern unserer beiden Gemeinden gab es derlei ja seit viel zu langer Zeit nicht mehr. Unter eurem Vorgänger war das auch etwas schwie…”
“Viel zu lange, wie recht ihr habt, Gonzolo”, unterbrach der Valvassor seinen Gastgeber erneut, nur um dann sogleich schmatzend einen weiteren Bissen von der Hähnchenkeule zu nehmen.
Der Podestat hielt irritiert inne, ehe er fortfuhr: “Ja … ähm … unter eurem Vorgänger erwies sich dies eben als nicht so lei…”
“Hört endlich auf, von meinem Vorgänger zu sprechen. Der ist tot, und das ist auch gut so”, fiel Rondralio Gonzolo abermals ins Wort, diesmal etwas verstimmt wirkend.
Der Podestat besann sich, dass es ja ausgerechnet Rondralio selbst war, der seinen Vorgänger erschlagen hatte. “Was ihr mit ihm getan habt, das kann nur gutgehei…”
“Gonzolo, hört auf!”
Für einen Moment kehrte im Saal absolute Stille ein. Die Köpfe von anderthalb Dutzend Gerüsteten lagen auf dem Gastgeber, während der Valvassor mit seinen Zähnen schon wieder auf dem kleinen Knochen nagte.
“Wie ihr wünscht”, brach Gonzolo nach einigen Herzschlägen die gerade für ihn beklemmende Stille. “Das soll ja auch gar nicht unser heutiges Thema …”
Ein lautstarker Rülpser aus der hinteren Reihe unterbrach ihn diesmal. Rondralio klatschte anerkennend mit der Hand auf den Tisch. “Seht ihr, es schmeckt uns trotzdem”, wandte sich der Valvassor danach an den Podestat. Endlich schien er auch selbst mit dem Genuß seiner Hähnchenkeule fertig zu sein und machte Gonzolo mit der Hand ein Zeichen, dass dieser fortfahren solle.
“Ähm … nunja … eigentlich geht es ja darum, unsere viel zu lange vernachlässigten nachbarschaftlichen Beziehungen wieder zu altem Glanz zu führen. Ihr als das Stadtoberhaupt Urbets, ich als dasjenige Sikramaras, zweier Städte, die ihre Herkunft aus derselben alten Domäne sicherlich nicht verleugnen kö…” Gonzolos Bemühen, die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, zauberte seinem Gegenüber ein Grinsen ins Gesicht – das es gleichwohl nicht davon abhielt, ihn erneut zu unterbrechen.
“Wohl gesprochen, Podestat! Und verleugnen will hier ja wohl niemand etwas, das wäre doch unschön, meint ihr nicht?”
Rondralio machte demonstrativ eine Pause, die erneut von urplötzlicher Stille unter seinen Getreuen begleitet wurde. Gonzolo zuckte unter dem ihm geradezu inquisitorisch erscheinenden Blick seines ‘Kollegen’ innerlich zusammen. ‘Worauf wollt ihr hinaus?’, wollte er fragen, brachte aber nur ein “Natürlich nicht!” hervor.
“Wisst ihr, Gonzolo, ich bin ein traditionsbewusster Mensch. Es fällt mir manchmal schwer, Neuerungen zu akzeptieren, wenn man so will. Wisst ihr, was ich meine?”
Gonzolo sann lieber gar nicht darüber nach, sondern antwortete sofort: “Ich denke schon.” Die Lüge ließ ihn leicht erröten.
“Sehr gut. Ich war mir sowieso ziemlich sicher, dass ihr das genauso sehen werdet. Nicht wahr, Abelardo?” Diesmal sprach Rondralio einen der Lutisaner an.
“Fürwahr, das waren seine Worte auf dem Ritt hierher”, bekräftigte der Angesprochene eben diese gegenüber dem Podestaten.
Aus der hinteren Reihe erklang: “Der Podestat ist ein guter Mann. Ein Hoch auf den Podestaten! Hoch!” Andere griffen den Spruch auf, so dass es Gonzolo regelrecht unangenehm wurde, völlig unverdientermaßen ein solches Lob zu bekommen. Ein Räuspern des Valvassors ließ die Anfeuerungsrufe seiner Getreuen verebben.
“Ich bin aber nicht nur ein traditionsbewusster Mensch, Gonzolo, sondern auch ein Befürworter offener und klarer Worte, wenn man so will. Ich hoffe, das stört euch nicht?”
“Keineswegs”, beeilte sich der Podestat zu antworten.
“Wunderbar! Nunja, in diesem Fall gibt sich beides sogar die Hand, würde ich meinen. Also, Gonzolo … wenn ich sage, dass ich ein traditionsbewusster Mensch bin, dann schließt das die Traditionen der alten Domäne Urbet natürlich ein. Und ich finde es gut, dass ihr diese nicht verleugnen wollt. Vor allem die Tatsache, dass die Valvassoren von Urbet seit jeher die höchsten Herren der alten Domäne sind, springt mir dabei in Anbetracht meines Besuches hier ins Auge. Urbet ist wohl mittlerweile eine Landstadt, und ich als Valvassor bin vor allem ihr Stadtherr. Aber deswegen muss man ja mit alten Traditionen nicht brechen … das seht ihr doch genauso, Gonzolo, nicht wahr?”
Endlich fiel es dem Podestaten wie Schuppen von den Augen, worauf sein Gast hinaus wollte. Er nickte wohl, dachte dabei aber mehr an das Dilemma, in das er seine Heimatstadt gerade zwischen den Loyalitätsforderungen Urbets auf der einen und Urbasis auf der anderen Seite hinein navigierte. Den weiteren Ausführungen Rondralios hörte er darüber nur noch halb zu.


Erst als er sein Gegenüber winkende Handbewegungen machen sah, kehrte Gonzolos Aufmerksamkeit zurück. Wenige Augenblicke später stand ein älterer Cavalliere vor ihm, der als einer von wenigen unter Rondralios Begleitern nicht den Wappenrock eines Lutisaners trug.
“Wenn ich also vorstellen darf: Kedor Voscari aus Cindano, der mich heute auch auf Empfehlung meines Vetters, des Barons selbst begleitet. Wobei man Kedor daheim in Cindano auch ‘Baron’ nennt. ‘Jochbaron’, um genau zu sein. Das kommt wohl irgendwie von seinem Wappen. Also, Gonzolo, Kedor, Kedor, Gonzolo, unser loyaler Podestat hier in Sikramara. Naja, das habt ihr ja mitbekommen …”
“Naja, sicher!” Kedor schien den angeschlagenen Ton Rondralios einfach nachzuahmen.
“Kedors Schwester ist darüber hinaus die Gemahlin meines treuen Schatzbewahrers in der Curia Urbets, Lorimo Foscorzi, des Rollkutschermagnaten”, fuhr Rondralio fort. “Der Transport eures Korns und Mehls sollte dadurch eigentlich kein Problem darstellen. Die genaueren Details besprecht aber am besten untereinander. Ich bin da nicht so bewandert – und interessiere mich eigentlich auch gar nicht so sehr dafür. Nur dass Konkurrenz das Geschäft belebt, das habe ich mir sagen lassen … deshalb nochmal: Bravo! Dass ihr die Piepsige hier so lange alleine habt rumpfuschen lassen, war ja auch schandvoll genug!”
Gonzolo wurde immer unwohler in der eigenen Haut.
“Naja, nun steht hier nicht herum wie angewurzelt! Für solchen Krämerkram habt ihr doch sicherlich noch andere Räumlichkeiten in eurem kleinen Palast. Lasst mich und meine Begleiter hier einfach noch ein wenig schmausen, sofern noch was da ist … zur Not fragen wir uns einfach zum Weinkeller durch.”
Rondralio lachte auf, so als hätte er einen Scherz gemacht, und stieß dem Podestaten wie einem guten alten Bekannten vertraut die Faust in die Seite.
“Aber lasst euch nicht zu viel Zeit, sonst muss ich meine Männer irgendwann doch mit euren Gemälden und Wandteppichen füttern”, rief Rondralio dem Podestaten noch lachend hinterher, als der bereits mit dem ‘Jochbaron’ durch eine Seitentür verschwand.
Aus dem eigenen Audienzsaal herauskomplimentiert, wenn man so will …