Briefspiel:Die Seemannsbraut - 15. Phex 1037 BF - Von Marlinen und Lilien

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Datiert auf: 12. bis 15. Phex 1037 BF Schauplatz: Efferdas und das Meer der Sieben Winde Entstehungszeitraum: Ende 2014 bis Juli 2016
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Haus di Camaro.png Dajin, Familie di Bassalo.png Klimpermädchen/Neli, Familie Kanbassa.png Kanbassa, Haus ya Papilio klein.png GrK, Familie di Monte Fuori.png X-toph, Haus ya Pirras.png Elanor, Familie Trenti.png Trenti Haus di Onerdi.png di Onerdi
Zyklus: Übersicht · Bewerberschreiben · Ankunft in Efferdas · 12. Phex 1037 BF - Leinen los · 12. Phex 1037 BF - Leinen los (2) · Die Seemannsbraut - 12. Phex 1037 BF - An anderen Ufern · Phexisches Belhanka · Nachts auf den Zimmern · Auf nach Karsina · Von Marlinen und Lilien · Im Schatten Thuans

Hier geht es um die Ereignisse in Belhanka anlässlich der Brautschau des Croënar di Camaro im Rahmen des Briefspielprojekts Die Seemannsbraut.


Von Marlinen und Lilien

Der Marlin tat den Damen nicht den Gefallen, müde zu werden. Auch Corrada gesellte sich zu der Angel der anderen Dreien und versuchte ihr bestes, diesen Fisch im Zaum zu halten. Doch es änderte sich nichts am Spiel, dass der Marlin das Boot nun in jegliche nur erdenkliche Richtung zog. „Wir müssen ihn irgendwie näher an uns ran schaffen...“ stellte Mirinia fest und fing an, die Angelschnur einzurollen. Während die anderen Damen die Angel fest hielten, zeigte die Urbasierin nun ein erstaunliches Talent darin, die Schnur zu verkürzen. Man merkte ihrem Gesicht an, dass sie selbst gerade etwas überrascht über ihr neu entdecktes Talent war. Es wirkte fast zu einfach. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie das, was sie gerade tat wahrscheinlich in der Form kein zweites mal hin bekommen würde, doch sie versuchte sich nicht daran zu stören und wickelte weiter die Schnur auf. Tatsächlich kam der Marlin dem Schiff näher und in der Tat wirkte es, als könne man damit etwas mehr Kontrolle über diesen Jäger des Meeres gewinnen. Doch nach einigen Minuten wechselte das Schlachtenglück schlagartig auf die Seite des Marlins. Irgendwann fingen die Hände an zu schmerzen, der Griff wurde seifiger und die Kraft lies einfach nach. Der Marlin zeigte in seinem Überlebenskampf keine Gnade und so konnte es keine der Damen verhindern, dass die Angel nach einem weiteren kräftigen Ruck aus den Händen und im hohen Bogen aufs offene Meer geschleudert wurde. Schnell verschwanden Fisch wie Angel aus der Sichtweite in die Tiefen des Ozeans. Diese Schlacht hatten die vier Damen trotz hartem Kampf verloren. „Dat is kei Schand.“ Kommentierte Cadela das ganze ehrlich und mitfühlend. „So en Marlin is scho n harte Brocken. Und eemoal on bord hätt er den joa ooch noch duud kloppen müssen tun... äisch gien soan, mer foahre wei zreck. Besser gieht et nimmer tun“ Dennoch tauschten die vier Damen wortlos enttäuschte Blicke aus. So ein Marlin wäre schon eine beachtenswerte Trophäe gewesen, die man vor allem gemeinsam erjagt hätte.


So ging der Blick zurück aufs Meer, wo man sich nach der unerwarteten, Marlinbedingten Kurskorrektur erst einmal neu orientieren musste. Über ihnen war der Himmel weiterhin blau, dennoch schien offensichtlich etwas nicht zu stimmen. „Wat es daat da wei?...“ stellte es bald auch Cadela fest. Von der Verführerin war nur noch eine Silhouette zu erkennen, so sehr war sie von einer Nebelbank umschlossen. Es wirkte jedoch, als hätte man dort ein zweites Beiboot zu Wasser gelassen, in der sich offensichtlich 5 Personen befanden. Wo auch immer dieses zweite Beiboot her kam, man schien bisher hervorragend in der Lage gewesen zu sein, dies zu tarnen. Je näher Cadela der Nebelbank kam, um so mehr Silhouetten kamen nun ins Spiel. Während die Entfernung zum zweiten Ruderboot scheinbar immer gleich blieb, war irgendwann in größerer Entfernung auch die Exadaktylos zu sehen. Diese hielt scheinbar Kurs auf ein weiteres Schiff. Cadela wurde zusehends unruhiger und fing an, hektisch schneller zu rudern. „Wat gieht hei ab? Da es noch en Schiff... und wenn er mech froaen tut, dat sieht ooch us wie de Verführerin....“ Tatsächlich... aus dem Nebel war in größerer Entfernung eine zweite Verführerin der Rosen zu sehen. Wie war das nur möglich? Auch die Brautwerberinnen sahen sich irritiert an. Man war sicher noch zwei bis dreihundert Schritt von der ersten Verführerin entfernt, da verschwanden das zweite Schiff sowie die Exadaktylos auch schon wieder im immer dichter werdenden Nebel. Dafür stellte aber Cadela das Rudern abrupt ein und blickte entgeistert in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach einer kurzen Zeit folgten Mirinia, Cassiopeia, Daria und Corrada dem Blick ihrer Ruderin und sahen noch ein weiteres Segel. An deren Mast eine Flagge in Grün und Weiß, auf dem sich zwei Lilien mit Stiel in vertauschten Farben zu erkennen waren. Und es hielt deutlich Kurs auf die letzte Verführerin der Rosen, die noch zu sehen war...

Nestefan?

„Was bei Satinav geht hier vor?“ Fragte Daria ungläubig. „Waren das da gerade wir, wie wir ins Wasser gelassen wurden?“ Dann musterte sie eingehend das Segel des Schiffes hinter ihnen… „Ich kenne dieses Wappen, es gehört einer velirischen Patrizierfamilie... ja das ist das Wappen der Nestefans!“

Mirinia sah ebenfalls fassungslos von dem kleinen Boot mit den fünf Gestalten, zu der Verführerin und dem herannahendem Schiff. Was sollte das nur bedeuten? Und was hatte es mit diesen Nebel auf sich? "Nestefans?" wiederhohlte sie den Namen den Daria von sich gegeben hatte. Er kam ihr nicht wirklich bekannt vor.

„So mehr als zwei Persönlichkeiten an einem schicksalhaft aufgeladenen Ort zusammentreffen, deren Geschick für künftige Geschicke mit ihnen verbundener Personen bedeutsam sein könnte, so ziehen sie unerwartete Ereignisse an wie die Eisernen Berge den Blitz“, zitierte Corrada ya Papilio wie aus einem Reflex heraus. Ihre Mitbewerberinnen blickten sie trotz der Aufregung des Moments einige Wimpernschläge lang wortlos fragend an: „Savertién Myrdanos Kausalknotenkohärenz-Hypothese“, erklärte die junge Papilio in fast entschuldigendem Tonfall – etwas, was die anderen von ihr bislang nicht kannten. „Teilweise in meinen eigenen Worten. Bezieht sich aber eigentlich auf Lehenslenker und diplomatische Entscheider, nicht auf vier Edeldamen in Seenot. Was machen wir jetzt?!“ Ihre zunehmend gepresst klingende Stimme ließ die anderen erkennen, dass das kaum erwachsene Mädchen sich nicht in der Lage fühlte, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.

"Wie viele Ruder haben wir?", fragte Cassiopeia an Cadela gerichtet. "Könnten wir vereint und unter Eurer Leitung der ersten 'Verführerin' nachsetzen?" Sie deutete in die Richtung, in der die "Beibootlose" 'Verführerin' verschwunden war. Einmal durch die Nebelbank hindurch. Der Capitane würde gewiss die Schiffsglocke läuten lassen, um ihre Position kundzutun.

"Wie viele Ruder mir hawen tun?" Cadela blickte irritiert "Na wie viel wuhl? Na die zwo hei, eenet für ma recht Patschehändschie und eent fir ma linket. Has dao net uffgepaast, mir sin doch ooch nur met eenem Paar Ruder hei hingedaackelt. Awer Jo, äisch können euch iwwerall hinrudern tun wu er wollt, awwer so ganz han äisch et jetzt no nit begriffe tun... mer solle in de Nebel, do hen, wo die Exadaktylos dem anneren Böötchie ooch hinnerher es? also nit zu dem da vorn?" Sie blickte noch einmal flüchtig auf das Fremde Schiff, dass keineswegs Kurs in den Nebel nahm, sondern eben jene andere, noch zu sehende Verführerin ansteuerte. Dann blickte sie noch einmal in die Runde der Damen. Scheinbar hatte die Dame Trenti soeben das Kommando übernommen, dennoch wartete Cadela eventuelle Vetos der anderen ab.

Mirinia griff nach Corradas Hand, drückte sie kurz und versuchte ein zuversichtliches Lächeln, dann wandte sie sich den anderen zu. "Cassiopeia hat schon Recht, denke ich." meldete sie sich zu Wort. "Diese Verführerin", sie deutet auf das Schiff mit dem Beiboot "kann ja eigentlich nur die Falsche sein. Aber warum sollte dieses andere Schiff der falschen Verführerin folgen? Ich hätte gedacht, die sollte eine Ablenkung sein, das kann also nur heißen das dieser Zauber, oder was auch immer es ist, nicht von dem Schiff der - wie war der Name noch gleich?- Nestafans ausgehen, oder?... Oder die andere Verführerin, ohne Beiboot, ist eine Ablenkung um die Exadaktylos loszuwerden, dann wäre die Verführerin mit dem Beiboot die 'echte'." Verunsichert brach sie ab, das war wirklich zu verworren!

Die junge Papilio schaute verblüfft auf ihre Hand, spürte dem warmen, versichernden Druck von Mirinias Berührung nach, blickte dann der Bassolo ins Gesicht. Kein Ausdruck von Spott oder Herablassung?
Corrada räusperte sich und nickte: „Ich habe jedenfalls keine Lust, Seeräubern oder wem auch immer in die… hm... klebrigen! Finger zu fallen. Also hinter 'unserer' Verführerin her“, langte sie nach einem der Riemen.

"De Exa wär et siicherste... nur es die iirjendwo im Newwel..." Cadela sah noch einmal auf die Szenerie hinter ihr. Von der Exadaktylos war ebenso wenig noch etwas zu sehen wie von einer der beiden Verführerinnen. Und auch das zweite Beiboot drohte langsam vom Nebel verschluckt zu werden. Es schien sich genau so wenig zu bewegen wie ihr eigenes. Cadela winkte dem Ruderboot zu, man konnte aus der weiten entfernung erkennen, dass jemand zeitgleich zurück winkte. Cadela legte sofort zwei Riemenschläge in Richtung Nebel, doch auch dies tat ihnen das andere Ruderboot gleich. So stoppte Cadela wieder. "Die Heejlen, die sollen stiehn bläwen tun..." ärgerte sie sich und gab wieder Handzeichen. Das andere Boot gab Handzeichen zurück. Langsam wurde Cadela stutzig. "Äisch giehn mal wat ausprobejren tun, Mädschies, net wunnern..." Gesagt, getan ruderte Cadela einmal im Kreis. Das andere kleine Ruderboot mit den 5 Personen darin tat es ihnen gleich. "Dat es wie mit em Spiejel..." Wieder blickte sie auf ihre Mitreisenden, während von der noch zu sehenden Verführerin hektische Rufe zu vernehmen waren, wenn auch noch zu weit entfernt, um sie zu verstehen.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen der Verführerin folgen, die wir noch sehen können! Selbst wenn sie nur eine Illusion ist, können wir, falls sie, wie unser Zwilling, alle Bewegungen des Originals spiegelt, so an der echten Verführerin dranbleiben!“, sagte Daria bestimmt.

Cadela war etwas genervt... "Jut, also zwee moal Exadaktylos, eenmoal Rosen..." Sie blickte auf Cassiopeia "Wo sull et eurer Määnung hin gejen tun?"

Cassiopeia sah Cadela bestimmt an: "Daria hat Recht, zur Verführerin der Rosen, bitte."

Zurück an der Verführerin

Die Mehrheitsverhältnisse sorgten somit dafür, dass Cadela nun Kurs auf die Verführerin der Rosen nahm. Schnellen Schlags näherte sie sich rasant dem Boot, doch auch das Schiff der Nestefans schien das gleiche Ziel zu haben. Entsprechend steuerte sie zunächst ein wenig in den Nebel, um sich dem Schiff von Backbord nähern zu können. Mit etwas Glück würden die anderen sie so dann nicht mehr sehen können. Die Matrosin war wahrlich eine talentierte Ruderin. Und in der Tat gelang es den fünften knapp vor dem Schiff mit dem Lilienwappen zurück zu sein. Nun war es wohl wirklich nützlich gewesen, sich für diese Ruderin so eingesetzt zu haben. Oder war auch dies nur wieder eine Prüfung? Tatsächlich wirkte das alles etwas zu aufwendig und auch an Bord der Verführerin war ein wenig zu viel Hektik, um dies wie eine konstruierte Situation wirken zu lassen.

Behände sprang Cadela auch sogleich an Bord und wollte das Beiboot an der Verführerin antauen, da kamen ihr schon zwei andere Matrosen entgegen. „Wat is hei los?“ kam sie gleich zur Sache, doch es machte eher den Anschein, als wollten die anderen sie gar nicht an Bord lassen oder irgend ein Gespräch aufkommen lassen. „Schnell, Zurück! Da sind Piraten im Anmarsch. Noch haben die euch nicht gesehen!“ Cadela war nun etwas überfordert und sah zum anderen Schiff, dass inzwischen recht nah an die Verführerin heran gefahren war. Sie erkannte eine Karavelle, zudem die Galeonsfigur, eine Frau, die in ihren Händen eine Harpune hielt, die einen silbernen Haikopf aufgespießt hatte. Daneben war auch schon der Name des Schiffes zu erkennen. „Drachenherz“. Und direkt am Bug bereits eine ganze Rotte wild aussehender, zyklopäisch anmutender, gedungener Halsabschneider. In der Tat, das würde Ärger bedeuten.

Doch auch an Steuerbord der Verführerin war einiges in Bewegung geraten. Einige Seesöldner brachten sich in Position und wirkten kampfbereit, wenngleich ihre Karten im Angesicht einer ganzen Piraten-Schiffsbesatzung nicht die besten waren. Aber wer konnte schon damit rechnen, dass es einem Schiff gelang, die Exadaktylos auf hoher See von der Verführerin weg zu locken.

Auch die Damen an Bord des Ruderbootes überlegten inzwischen, schnell an Bord zu gehen, da kam ihnen Croënar entgegen. Seine Hände deutete ihnen an, dass sie sich nicht bewegen sollten und am besten in Deckung gehen sollten. „Bleibt da und duckt euch. Ich denke, sie dürften euch noch nicht gesehen haben, das kann noch ein großer Vorteil sein. Wenn hier was passiert, könnt ihr in den Nebel rudern und Ausschau nach der Exadaktylos halten. Sie muss ja irgendwo in dieser Nebelbank sein.“ „Unsere Ruderin ist bereits an Bord...“ stellte Cassiopeia fest. Croënar blickte sich kurz um, dann sprang her kurzerhand zu den Damen herüber. „Dann übernehme ich das zur Not.“ Er zog seinen Rapier und hielt ihn schon mal zum Kampf bereit. „Euch wird hier nichts passieren, dafür sorge ich schon... und nun in Deckung!“ Er lehnte sich ganz eng an die Außenwand der Verführerin und deutete den Damen an, es ihm geduckt gleich zu tun. So würde man sie nebst Boot wahrscheinlich erstmal noch übersehen können. Für die Damen war es jedoch eher ein Kampf gegen die eigene Neugier, ob sie nun in ihrer Deckung blieben oder neugierig spicken wollten, was als nächstes an Deck passieren würde. Selbst mit der Gefahr, entdeckt zu werden.

Daria tat so, als würde sie es Croënar gleichtun und an Wand der Verführerin in Deckung gehen, doch anstatt sich zu ducken, warf sie unauffällig einen Blick über die Reling, es schien ihr unwahrscheinlich, dass sie im Tumult bemerkt werden würde. „Nicht dass ich Euch für Euren Schutz nicht dankbar wäre Croënar…“ – Flüsterte sie, während sie sich geschwind an Bord schwang – „…aber ich muss meinen Bruder finden! Adieu.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Blickfeld Croënars und der anderen Bewerberinnen.

Ungeachtet der verwirrenden Lage gelang es Corrada, Croenars Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen - buchstäblich. Sie zupfte ihn einfach am Rock: "Mein lieber Gemahl in spe, wir als Gäste könnten uns noch sicherer unter Eurem Schutz fühlen, wenn Ihr als unser Gastgeber uns einfach sagtet, was all das zu bedeuten hat. Ein Piratenüberfall? Ein Übergriff eines mit dem Euren zerstrittenen Adelshauses? So oder so: Unsere Familien", schloss sie die verbliebenen Brautbewerberinnen mit einer Handbewegung ein, "werden nicht tolerieren, falls dieser Zwischenfall auf unser Wohlbefinden schlagen sollte."
Während sie noch sprach, tastete sie unauffällig in ihrem Ärmel nach der handspannlangen Nadel, mit der sie ihre Unschuld verteidigen wollte, falls dieser Zwischenfall nicht inszeniert war, um Croenar im besten Licht dastehen zu lassen. Falls aber doch, dann würde sie zeigen, dass sie nicht wehrlos gewesen wäre.

Croënar blickte kurz befremdlich. "Nun, ich kann euch sagen, dass auch die Familie di Camaro nicht so vermögend ist, dass sie für eine Brautschau gleich einen ganzen Piratenüberfall simuliert. Amaryll meinte eben, dass Nebel wie diese Spiegelgeschichte auf mindestens zwei Magier zurück zu führen sein müsste. So eine Schau übersteigt unser Budget. Was das hier genau soll, kann ich euch leider auch nicht sagen. Es sieht wie ein gezielter Anschlag aus, denn hundsgewöhnliche Piraten würden weder das Wappen ihrer Familie so öffentlich zeigen, noch würden sie einen solchen Aufwand betreiben, um ein Schiff wie dieses von ihrer Eskorte zu trennen. Das Wappen verrät aber, dass es sich um eine Familie "Nestefan" handelt. Das ist Veliriser Stadtpatriziat. Genauer genommen Weinhändler. Mit denen haben wir noch nie zu tun gehabt, die kennen wir nicht und die sollten uns eigentlich auch nicht kennen. Wir haben also entweder jemanden an Bord, der seine Probleme mit aufs Schiff gebracht hat, ohne jemandem davon zu erzählen oder sie wollen uns nun ihren Wein andrehen. Wie auch immer, diese Truppe da hinten sieht nicht sehr freundlich aus, weswegen wir uns auf einiges vorbereiten sollten. Was uns optimistisch stimmen sollte - dieser Hokus pokus mag denen die Zeit für einen kurzen Besuch geben, aber für eine komplette Kaperung dürfte ihnen die Zeit fehlen, so lange wird die Exadaktylos von so etwas auch nicht abzuhalten sein. Jede weitere Frage zu diesen Typen... sie kommen aus der Region Unterfels. Wenn, dann hätte vielleicht Daria wohl am ehesten was sagen können... je nachdem, wie aktiv ihre Familie in Veliriser Geschichten ist. Aber die ist ja bereits an Bord..."

Cassiopeia duckte sich unentschlossen an die Bordwand... Auf der einen Seite wollte sie an Bord klettern und ihrer Tante beistehen, auf der anderen Seite würden Piraten mit einer alten Jungfer wenig anfangen können, so das Madalena in relativer Sicherheit sein dürfte. Für eine hübsche junge Dame sah es da gewiss anders aus... Also versuchte sie sich wieder zu beruhigen und sandte ein Stoßgebet zu den Göttern, ihrer Tante und den anderen an Bord beizustehen.

Frage und Antwort

Ein leichter Stoß erschütterte die Verführerin der Rosen. Die Drachenherz war nun längsseits angekommen und hatte die Bordwand leicht touchiert. Es war ein deutliches Indiz dafür, wie wehrlos die Verführerin ohne die Exadaktylos an ihrer Seite war, die Nestefans benötigten nicht einmal Enterhaken, um das andere Schiff an sich heran zu ziehen, das Festboot war so langsam und ungelenk, dass es den anderen leicht fiel, einfach neben das andere Schiff zu segeln. Die offensichtlich kampfbereite Mannschaft setzte jedoch noch nicht über. Stattdessen bildete sie eine kleine Gasse, durch die eine etwa 50 Jahre alte Frau schritt.

Ihre Kleidung mochte etwas feiner als die ihrer Mannschaft sein, auch der Dreispitz auf ihrem Haupt versprach etwas mehr Autorität als die der anderen Mannschaftsmitglieder, dennoch war diese Frau seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten auf dem Meere unterwegs, daran konnte es keinen Zweifel geben. Das Gesicht war Wettergegerbt und Faltenreich, die braungrauen Haare gingen gerade mal zum Kinn und wirkten struppig. Und so belebend das grün-silberne Wappen auf ihrer Flagge auch wirken mochte, ihr selbst, bzw. ihrer Kleidung schien das Meereswasser inzwischen jegliche Farbe ausgewaschen zu haben, die schwere Teerjacke genau wie das darunter hervor lugende Hemd war ein undefinierbares Gemisch aus Braun und Grautönen und verreit, dass diese Frau von Eitelkeiten nicht viel halten dürfte. Die Frau lächelte, aber die gezeigte Freude war weit davon entfernt, sich auf diejenigen zu übertragen, die dieses Gesicht länger betrachteten. Immerhin schienen die Zähne noch in einem einigermaßen gutem Zustand zu sein, was man von ihrer Schiffsmannschaft weniger behaupten konnte.

Für alle deutlich vernehmbar erhob sie nun ihre Stimme. „Efferd zum Gruße! Ich bitte gleich um Verzeihung, dass wir so uneingeladen auf eurem Fest erscheinen, aber in Belhanka kam uns zu Ohren, dass hier Gäste mit einer höchst interessanten Vita anzutreffen sind. Und naja… in Anbetracht einiger offener Rechnungen dachten wir uns, dass es unangebracht wäre, euch dann keinen Besuch abzustatten.“

Es war Esteban, der hervor trat. „Bezahlt eure Rechnungen gefälligst mit ehrlicher Arbeit! Ihr wisst offensichtlich nicht, mit wem ihr euch einlasst. Wir sind kein einfacher Handelskonvoi, den ihr Piratenpack einfach so überfallen könnt!“

Die Frau lachte nur. „Ha… Piratenpack… wir sind Freibeuter, darauf wollen wir doch schon bestehen. Wir haben oftmals für das Horasreich das ein oder andere Bötchen aufgebracht. Und wir brauchen auch eure Geldbörse nicht, die Rechnung kann mit einer einfachen Information beglichen werden.“

Esteban sah man an, dass er nicht verstand, was das zu bedeuten hatte.

„Es ist ganz einfach. Wir wissen, dass hier Mengbillaner an Bord sind. Wir wissen, dass sie Wissen über die Schlacht von Wobran in sich tragen. Und wir wissen, dass sie dieses Wissen nicht preis geben wollen.“ An Bord der Verführerin kehrte etwas Unruhe, einige wunderten sich über die Aussage über die Mengbillaner, während die Angehörigen der Familie Kanbassa sich versucht unbemerkt hinter einigen größeren Personen zu verstecken begannen.

Isaura machte sich nun ebenfalls bemerkbar. „Schlacht von Wobran? Gute Frau, die war vor 25 Jahren. Wenn ihr mit der Mengbillanerin mich meinen solltet, ja, ich komme aus Mengbilla, doch ich wohne bereits seit mehr als 30 Jahren in Efferdas, ich habe oft genug bewiesen, dem Reich auf Grund meiner Herkunft keinerlei Schaden zuzufügen. Was auch immer ihr in Belhanka gehört haben wollt, was immer die Frage sein sollte, ihr werdet hier keine Antworten erhalten. Was soll das also?“

Wieder lachte die Freibeuterin. „Mit Verlaub, alle Mengbillaner sind Lügner. Daran ändern auch 30 Jahre Efferdas nichts. Ihr mögt damals nicht dabei gewesen sein, aber die Familie Vetivér gehörte ohne Zweifel zu den Verteidigern Drôls. Haltet mich also nicht zum Narren.“

Isaura stutzte – diese Frau war erschreckend gut informiert. „Wer seid ihr?“

„Mein Name ist Kusminela Nestefan. Kapitänin der Drachenherz. Und ich bin auf der Suche nach meinem Bruder Darion, der seit dieser Schlacht von Mengbillanern verschleppt wurde. Ich habe geschworen, ihn zu finden, koste es was es wolle. Daher ist meine ganz einfache Frage an euch – wo ist er. Ihr könnt es euch nun also einfach machen und die Frage beantworten oder wir kommen vorbei und sorgen für etwas… Nachdruck.“

Isaura blickte zu ihrem Gemahl, sie machte nicht den Eindruck, als wüsste sie auch nur irgendetwas über diesen Darion. Esteban verstand den Blick und wendete sich erneut an Kusminela. „Nachdruck? Ihr seid von Sinnen, kann das sein? In diesem Nebel ist ein Kriegsschiff, dessen einzige Aufgabe es ist, uns zu beschützen. Es mag gerade etwas auf Abwegen zu sein, aber glaubt nicht, dass ihr die Zeit hättet, dieses Schiff aufzumischen. Was auch immer ihr vorhabt, wir werden hier nicht kampflos euch an Bord kommen lassen und auch wenn ihr in der Übermacht seid, wir werden sicher so lange durchhalten, bis die Exadaktylos wieder zu uns aufgeschlossen hat. Ihr habt überhaupt keine Chance.“


Kusminela blickte nach hinten auf ein junges, zyklopäisches Pärchen Ende 20 in ebenfalls behobener, aber auch etwas rebellischer Kleidung, die spitzen Hüte und Roben ließen auf zwei Magier schließen, doch in Sachen Codex Albyricus war die Kleidung ähnlich wie manche deutlich erkennbare Tätowierungen mehr als nur beanstandungswürdig. Die Frau hatte dem Nebenmann eben noch mit neckichem, irgendwie verliebtem Blick eine Phiole mit einem blauen, dampfenden Getränk gereicht, welches der gegenüber sogleich eingenommen hatte. Nun, da er Blickkontakt mit der Kapitänin hatte, nickte er. Daraufhin wendete sich Kusminela wieder an die Camaros.

„Wer redet denn von aufmischen. Ihr habt recht, die Zeit einer hochnotpeinlichen Befragung haben wir garantiert nicht. Aber seit dem Jahr 1012 ist so viel Zeit vergangen, da lernt man Geduldig zu sein. Soll heißen, dass uns ein Pfand vollends ausreicht. Wenn ihr erlaubt, kommen wir nun also vorbei. Wenn nicht… ist das auch egal…“

Der junge Magier schlug daraufhin mit der zur Faust geballten linken Hand in seine offene rechte Hand. Kusminela schritt nun über die Reling von einem Schiff zum anderen. Vier vor ihr positionierten Seesöldner jedoch bewegten sich nicht. Wie Statuen standen sie da und ließen sie gewähren. Auch als Esteban sie anschrie, sie aufzuhalten, gab es nicht einmal ein Wimpernzucken… oder sonst irgendeine Form von Bewegung. Sie waren wie eingefroren. Da nun auch die Mannschaft dies als Signal verstand und es ihrer Kapitänin gleich tat, wurde es schnell turbulent an Bord. Zudem hörte man von Backbord ein lautes „Platsch“. Kapitän Cettini war soeben verängstigt von Bord gesprungen.

Mirinia hatte sich eng an die Bordwand gepresst und noch überlegt, was sie tun könnte. Als jedoch von Bord eine herrische Stimme erklang, konnte sie ihre Neugier nicht länger zügeln und streckte sich vorsichtig, bis sie über die Reling auf das Deck der Verführerin schauen konnte. Die gesprochenen Worte wollten allerdings in ihren Ohren keinen Sinn ergeben. Mengbillaner? Jeder wusste von der Herkunft Croënars Mutter, aber das konnte wohl nicht alles sein. Sie lehnte sich vorsichtig zu Croënar hinüber, der auch angestrengt gelauscht hatte. „Von was für einem Pfand hat sie gesprochen? Damit könnte sie Euch meinen, denkt Ihr nicht? Als Isauras Erstgeborener läge das vermutlich nahe.“ Sie runzelte besorgt die Stirn und versuchte zu erkennen, was weiter an Deck geschah.

Der angesprochene nickte. "Das ist äußerst denkbar, ja. Allein, ich bin Erwachsen. Als Pfand taugen andere noch viel mehr. Wenn diese Truppe noch einen Hauch besser informiert ist, als es bisher den Anschein hat und das hier ein gezielter Angriff auf meine Mutter ist, dann wollen sie meinen Bruder Vigo. Wollen wir hoffen, dass dem nicht so ist. Wollen wir lieber hoffen, dass die Exadaktylos jeden Moment aus diesem Nebel erscheint."

"Dann sollten wir vielleicht versuchen, Euren Bruder auch hier auf das Boot zu holen? Allerdings ohne Euch in die Schussbahn geraten zu lassen, denke ich." Mirinia spähte wieder auf Deck und versuchte, in dem Gedränge den jungen Vigo ausfindig zu machen.

Auch Croënar lunzte kurz über die Reling. An Deck war ein hektisches Umhergerenne festzustellen, denn während nun immer mehr mit Säbel bewaffnete Freibeuter das Deck betraten, versuchten diverse Gäste und Bedienstete dorthin zu laufen, wo noch keiner der eindringlinge zu finden war. Einige der Söldner, die nicht paralysiert wurden und auch einige der Seeleute versuchten zudem die Eindringlinge aufzuhalten. Sie waren jedoch in der Unterzahl, wenngleich Nestefans Männer bemüht schienen, ihre Gegenüber nur unschädlich zu machen, aber nicht zu verletzen. Irgendwie war dieser Truppe anzumerken, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund hier waren und offensichtlich angehalten waren, hier keinen Flurschaden zu hinterlassen. Natürlich gab es Ausnahmen, Croënar erkannte, wie ein grimmiger Seebär mit Schiefen Zähnen und Holzbein Madalena Trenti eine Perlenkette vom Hals riss und einsteckte, anderswo griff ein grimmiger Geselle Horasio ya Papilio in die Tasche und zog einen in der Eile nicht näher erkennbaren Gegenstand heraus. Doch hauptsächlich war das Muster immer das selbe - Widerstand beenden und die Gäste einfach in eine Ecke treiben. Vigo war auf die schnelle nicht auszumachen.

"Ganz einfach wird das nicht..." er wurde abgelenkt durch Kapitän Cettini, der gerade auf das Beiboot zuschwamm. "Aber ich habe eine Idee... schnell, helft mir, versucht das Boot zum Bug nach vorne zu bringen. Das scheint der Ort zu sein, wo sie die Leute zusammen treiben. Die sollen dann dafür sorgen, dass Vigo auf unserer Höhe sofort bis zur Rehling durch geht. Dann holen wir ihn an Bord."

"Muss dazu nicht einer an Bord, um dem Haufen bescheid zu geben."

"Korrekt... und ich weiß auch schon, wer." Seine Gesichtszüge nahmen eine wütend drein blickende Form an und sogleich fand sein Blick den Kapitän der Verführerin der Rosen. Cettini war inzwischen am Beiboot angekommen. "Ah, Herr Camaro, die Damen... ein Glück, dass ihr hier und unbemerkt seid, wir müssen schnell die Exadaktylus finden. Rudert! Rudert!"

Croënar zog Cettini an Bord, hielt ihm aber am Revers fest und blickte ihm aus kurzer Distanz in die Augen. "Schweig bloß still, du feiges Stück Dreck. Ich weiß ja nicht, in welchem Kaff man dich zum Kapitän gemacht hat, aber in Efferdas ist die Führung eines Schiffes - und wenn es nur ein Festtagsschiff ist eine Sache, die man mit Würde angeht, wissend um die Pflichten, die damit einher gehen. Du willst zur Exadaktylos, dann schwimme dahin!" zischte er leise, aber bedrohlich.

"Aber hoher Herr..."

"Klappe jetzt. Du hast die Wahl. Schwimmen oder zurück an Bord."

Cettini blickte auf die dichte Nebelbank und das Schiff voller Piraten. Er antwortete nicht. Beides war nicht sonderlich motivierend."

"Ich werte das als ein "an Bord gehen"" kommentierte Croenar und schob Cettini richtung Reling. "und wenn ihr schon dabei seid, gebt den anderen eine Nachricht mit auf den Weg..."

Sag leise Servus

Daria legte das kleine Tintenfässchen zur Seite, dass sie auf ihrer Truhe abgestellt hatte und begann aufgeregt ihre Sachen zu durchwühlen. Vom Deck her hörte sie hektisches Stimmengewirr, anscheinend waren die Nestefans bereits an Bord gelangt, es blieb nicht viel Zeit. Da endlich, ganz am Boden der Truhe fand sie den Dolch, den sie von ihrer Tante Leonora einst zum Geburtstag bekommen hatte, zugegeben, mehr ein Schmuckstück, aber er würde seinen Zweck erfüllen. Vorsichtig, um sich nicht zu verletzen, schob sie ihn in ihren Stiefel. Sie lauschte, noch schien keiner der Piraten unter Deck zu sein. Vorsichtig schob sie den Vorhang beiseite, der ihre Pritsche vom restlichen Unterdeck abtrennte und sah sich um. An mehreren Stellen konnte sie Leute ausmachen, teils Besatzung, teils Gäste. Sie drängten sich in Ecken, kauerten unter Tischen oder lagen unter Bänken und waren trotz des schummrigen Lichts oft mehr schlecht als recht versteckt. Daria durchquerte zügig den Raum, bis sie zur Pritsche ihres Bruders gelangte und schob ihren Oberkörper durch den Vorhang, niemand da. Sie lächelte. "Wie erwartet." dachte sie "Mein Bruder ist nun mal kein Feigling." Sie öffnete seine Truhe, kein Rapier. "Hoffentlich kam er nicht auf dumme Ideen." "He, was machst du da? Das ist nicht deine Pritsche!" Daria zuckte zusammen und zog den Kopf aus dem Vorhang, hinter sich sah sie einen der Schiffsjungen, der sie durchdringend ansah. "Ich wollte nur sehen, ob mein Bruder hier ist, aber anscheinend ist er an Deck." flüsterte sie. Das schien den Jungen zu beschwichtigen oder vielleicht hatte er auch nur realisiert, dass eine andauernde Konversation seinem Versteck nicht sehr zuträglich wäre, wenn die Nestefans kamen, jedenfalls zog er sich zurück unter seine Bank. Daria eilte zur Treppe, drückte sich an die Wand und begann so Stufe für Stufe nach oben zu steigen. Sie hatte Glück, niemand kam ihr entgegen. An Deck angekommen stellte sie sich unauffällig zwischen einige der anderen Gäste. Die Piraten waren bereits ausgeschwärmt und durchkämmten die Menge.

Sie bemerkte, dass die Freibeuter in dieser Menge offenbar eine bestimmte Person suchten. Die meisten schienen den Piraten schlichtweg zu alt zu sein, ebenso hielten sie sich nicht an Damen auf. Was geschah hier nur?

Weiter hinten in dieser Menge hatte Cettini offensichtlich seinen Auftrag erfüllt, denn so gut es ging drängten die anwesenden einen 16-jährigen, schwarz gekleideten Jungen immer weiter nach hinten, bis er an der Reling angekommen war. Als Croënar ihn dort bemerkte, gab er leise Zischlaute von sich, in der Hoffnung, Vigo würde ihn bemerken. Vigo tat ihm den Gefallen nicht. Ein energisch geflüstertes „Vigo“ folgte, doch auch dies schien nicht laut genug zu sein. Sein Blick ging weiter Richtung Deck, wo sich die Piraten ihm kontinuierlich näherten. Croënar wurde es letztendlich zu bunt. Er wandte sich an die drei verbliebenen Damen im Boot. „Festhalten, das wird gleich ein wenig schaukeln...“ Einen Wimpernschlag wartete er, bis die drei darauf reagieren konnte, dann stieß er sich an der Kante des Beibootes ab und sprang so zur hölzernen Reling nach oben. Tatsächlich wackelte die kleine Nussschale ordentlich. Doch zumindest gelang es dem Camaro, sich an der Kante des Schiffes festzuhalten und hoch zu ziehen. Ohne lang zu fackeln griff er Vigo von hinten und hielt ihm den Mund zu. „Du taube Nuss!“ raunzte er und wies mit einer Kopfbewegung nach unten. „Komm schnell. Da bist du erstmal sicher, sie haben uns nicht entdeckt.“ Dann lies er auch schon los und glitt wieder nach unten. Wenngleich er sehr gelenk landete, bedeutete das einen zweiten Einschlag ins Schiff, der es ordentlich zum Wanken brachte. Immerhin, nun hatte Vigo verstanden und kletterte über die Reling und ließ sich nach unten führen.

Kurze Zeit später waren die Piraten auch an dem Ort angekommen, an dem Vigo zuvor gestanden hat. Doch da sie ihn hier nicht vorfanden und auch keine platschenden Geräusche vernommen hatten, suchten Sie woanders weiter. Kurze Zeit später machte ein Maat dann Meldung. „Verzeiht, Capitana, aber der junge Vigo scheint nicht hier zu ein. Er scheint wohl in Belhanka geblieben zu sein. Von seinen Brüdern fehlt auch jede Spur.“ „Was? Das kann nicht sein! Mindestens Croënar muss hier irgendwo sein. Das ist SEINE Brautschau!“ ärgerte sich Kusminela. „Wir haben nur Tochter Phelippa gefunden.“ „Pff... die ist als Pfand wertlos...“ „HEY! Was soll das denn heißen!“ regte sich die jüngste Tochter der Camaros auf, als sie dies vernahm. So eine Aussage passte nicht in ihr von Eitelkeit geprägtes Leben, selbst wenn es von einer Piratin kam. Kusminela fing derweil an zu grübeln. Die Bordmagierin trat derweil an sie heran. „Wir müssen los. Der Nebel wird gleich verschwunden sein, bis dahin müssen wir wieder auf der Drachenherz sein. Sonst sind wir in Reichweite der Rotzen des Wächterschiffes.“

„Scheiße!“ fluchte das schwarze Schaf der Familie Nestefan. Ihr ach so guter Plan hatte soeben einen gehörigen Dämpfer erfahren. „Na gut, Plan B. Eleftherios! Nutz deinen wachen Geist und such dir jemand Schönes aus.“ Der zweite Magier nickte und schaute kurz in die Menge. Dann griff er Rahjanessa Kanbassa, die Musikerin. „Ihr seht mir doch sehr Adelig aus.“ Und griff ihren Arm. Starr vor Schreck und mit geweiteten Augen blickte diese ihn an. „Nein... nicht mich... Ihr... ihr macht einen Fehler, ich bin Rahjanessa Kanbassa! Ich bin Künstlerin!“ Kusminela fing an zu lachen. „Kanbassa? Ha... guter Griff Eleftherios. Man hätte sich denken können, dass es hier nur so vor Mengbillanern wimmelt.“ Der Zyklopäer lachte über den Glücksgriff und zog sie aus der Menge, wo sie schon von zwei weiteren Piraten in Empfang genommen werden sollte. Doch dazu kam es nicht. Es war die junge Amaryll, die nun nach vorne trat. Mit einem „Lasst die Finger von ihr!“ zeigte Sie mit ausgestrecktem Arm zwei Finger voran auf den Magier, der gerade die Schwester ihres früheren Lehrmeisters Rûmar Kanbassa entführen wollte. Gefolgt von den Worten „Ignifaxius“. Aus ihren Fingern löste sich sogleich ein feuriges Geschoss und traf den Magier.

Eleftherios hatte im Reflex die Arme zusammen gezogen und Rahjanessa los gelassen. Diese nutzte die Gelegenheit und sprintete zurück in die Menge, welche sie auch gleich bereitwillig durch lies. Allein bei Eleftherios schien der Flammenstrahl nicht unbedingt die gewünschte Wirkung erzielt zu haben. Als er merkte, dass es vorbei war, richtete er sich auf, klopfte ein paar kleine Flämmchen von seiner Robe und blickte auf Amaryll. „Bei Hesinde, was war das denn? Kindchen, hast du mich gerade für einen Insektenschwarm gehalten? Wer um alles in der Welt war dein Ausbilder, da bekommt man ja Mitleid...“ Auch Amaryll schien sich etwas mehr Wirkung von ihrem Zauber erhofft zu haben und sah nun etwas verängstigt drein. Als Eleftherios nun die zwei Piraten anwies, sie statt Rahjanessa zu packen, ging sie verängstigt zwei Schritte rückwärts, doch die Seemänner hatten zu schnell zugegriffen, um es ihr noch zu ermöglichen, ebenfalls in der Menge zu verschwinden. Kaum, dass Amaryll unter Kontrolle der Piraten war, gab Kusminela auch schon das Kommando „Los. Ab.“ Und der Trupp bewegte sich wieder Richtung Drachenherz.


Dies bemerkte natürlich auch Amarylls Vater Efferdobal sofort, der sogleich zu toben begann. „NEIN! Nicht sie! Ihr Hunde! Alle nur nicht sie! Sie ist doch noch wehrlos!“ Er versuchte in der Menge nach vorne zu rennen, doch die anderen hielten ihn auf. „Euer Hochwürden, nein! Die entführen euch doch nur auch, wenn die hören, wer Ihr seid! Wir brauchen euch hier!“ bekam er zu hören, doch das schien ihn im Moment nicht zu interessieren. Zwar merkte er, dass er keinen Schritt nach vorne kam, doch das hinderte ihn nicht laut zu brüllen. „Lasst sie gehen, oder ich werde euch mit allem jagen, was mir zur Verfügung steht! Damit kommt ihr nicht durch.“ „Oh! Ihr sollt uns sogar finden! Aber wenn, dann habt ihr hoffentlich Neuigkeiten über den Verbleib meines Bruders. Oder noch besser meinen Bruder selbst. Sonst müssten wir aufhören, es ihr gut gehen zu lassen, da wo wir sie hin bringen. Wäre doch schade, oder?“ „ICH VERFLUCHE EUCH, BEI EFFERD!“ schrie Efferdobal weiter, doch es schien Kusminela nicht zu beeindrucken. „Ich leide schon seit 20 Jahren unter dem Fluch Mengbillas. Wenn ihr jemanden verfluchen wollt, sucht dort. Wenn ihr erlaubt, sage ich dann also auf Wiedersehen.“ Damit tat Kusminela den ersten Schritt zurück auf die Drachenherz.

Daria sah sich ungläubig um, niemand hier schien den Mut aufzubringen, sich der Entführung der armen Amaryll in den Weg zu stellen und das, nachdem sie so selbstlos den Raub Rahjanessas verhindert hatte. Eine unermessliche Wut stieg in Daria auf, die nun jeden Zweifel, den letzten Rest Unentschlossenheit in ihr beseitigte. Sie griff in ihren Stiefel, zog ihren Dolch und drängte sich durch die Menge. Kaum jemand nahm Notiz von ihr. Alle Blicke hafteten an Kusminela und ihrem Gefolge. Letzterem kam sie nun immer näher. Mit einem letzten Satz brach sie schließlich aus der Menge und bekam Eleftherios zu greifen und hielt ihm sogleich den Dolch an die Kehle: "Lasst Amaryll gehen oder so wahr mir die Zwölfe helfen, wird das hier die letzte Stunde eures Magiers sein!" Ihre Stimme bebte und ein leichtes Zittern ergriff ihre Dolchhand.

Die Piraten drehten sich noch einmal zurück. In den Augen der zweiten Magierin sah man sofort ein Gemisch aus Wut und Panik aufsteigen und sie begann, wieder Richtung "Verführerin der Rosen" zu gehen. Doch Kusminela hielt sie zurück. "Nein. Wir haben keine Zeit." Dann wendete sie sich an Daria. "Und warum sollte ich darauf eingehen? Wir haben nicht vor, eurer kleinen Magierin etwas anzutun. Doch wenn ihr jetzt Eleftherios schaden zufügt, kann ich zumindest für sie nicht mehr garantieren." Sie deutete auf die wütende Magierin neben ihr. Kusminela sprach weiter. "Ihr habt das Herz einer Löwin, meine Gute. Wo wart ihr eben? Wie auch immer, ihr droht mit etwas, was wir längst verloren haben. Mit dem Moment, unser aller Leben haben wir schon vor 20 Jahren verloren. Ihr werdet da ein wenig mehr anbieten müssen."

Santino starrte ungläubig auf die Szene, die sich zwischen seiner Schwester und den Piraten abspielte. Daria war ihre Anspannung deutlich anzusehen, ihr Blick zuckte zwischen Kusminela und Amaryll hin und her. Dann plötzlich änderte sich ihre Haltung, von einem Moment auf den anderen schien die Erregung einer tiefen Entspannung zu weichen, ihr Ausdruck hatte nun fast etwas... Entrücktes. Mit fester, fast trotziger Stimme sagte sie an die Piratin gewandt: „Dann nehmt mich an ihrer statt!“

Unendlich langsam entfalteten sich die folgenden Augenblicke vor Santino. Er glaubte zu schreien, doch seine Stimme wurde von einem dröhnenden Rauschen übertönt, das seine ganze Wahrnehmung erfüllte. Schiff, Besatzung, Passagiere, Piraten, alles begann vor seinen Augen zu verschwimmen, einzig das Gesicht seiner Schwester konnte er klarer denn je zuvor erkennen. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. In ihrer Mimik war keine Angst zu erkennen, nicht mal Trauer, viel mehr schien es, als wollte sie ihn um Verzeihung bitten. Er wollte zu ihr rennen, konnte sich jedoch keinen Schritt bewegen. Hielt ihn jemand fest?

Kusminela machte eine einladende Geste. "Willkommen an Bord." Darias Dolcharm entspannte sich und wurde sofort vom Magier gepackt. Kurze Zeit später schepperte der Dolch auf dem Deck. "Das war die bessere Lösung für euch." machte Elefhterios klar, dass er bei weitem nicht so wehrlos war, wie Daria die Situation eingeschätzt hatte. Bestimmt schob er sie Richtung Drachenherz. Aber auch Kusminela machte eine Geste Richtung ihrer Mannschaft, die frisch gefangene Amaryll zurück zu bringen. Kaum war Eleftherios wieder an Bord, fiel ihm seine Komparsin um die Arme und gab ihm einen kräftigen Kuss. "Du hast dir doch nicht etwa Sorgen gemacht?" lächelte er. "Ein wenig schon... oh..." Ihr Blick ging auf einmal an dem Zyklopäer vorbei. "Der Nebel!" stellte sie mit erschreckter Stimme fest. Und tatsächlich, der Nebel begann sich zu lichten und man sah ein erstes Segel daraus hervor preschen. "DIE EXADAKTYLOS!" rief sie nun laut und sorgte nun für große Hektik an Bord. Daria wurde unsanft durch eine Klappe unter Deck geworfen und auch die Übergabe Amarylls wurde offensichtlich abgeblasen, die 16jährige landete ebenso schnell unter Deck. In Windeseile blähten sich die Segel und die Drachenherz entfernte sich schnell von der Verführerin.

An Bord der Verführerin hingegen löste sich langsam die Anspannung... vor allem bei den Wächtern, die langsam wieder ihre Glieder bewegen konnten, der Zauber hatte offensichtlich seine Wirkung endlich verloren. Die meisten blickten sich ratlos an und versuchten zu begreifen, was da gerade passiert war. Einige waren derweil noch damit beschäftigt, den Efferdgeweihten festzuhalten, welcher sich schon anmachen wollte, der Drachenherz hinterher zu schwimmen. Immerhin konnten so Croënar, Vigo und die Damen wieder an Bord steigen. Und auch die Exadaktylos war inzwischen fast gänzlich aus dem Nebel heraus getreten und nahm Kurs auf die Verführerin.

Cassiopeia trat an Croënar heran: "Verzeiht bitte, Croënar. Könnt Ihr der Exadaktylos Zeichen geben, die Verfolgung der Drachenherz aufzunehmen? Mit zwei Schiffen sollte es doch möglich sein, sie zu verfolgen, zur Strecke zu bringen und die unsrigen zu retten."

"Mit zwei Schiffen?" Er sah etwas traurig auf Madalena. "Wenn die Verführerin der Rosen ein echtes Schiff wäre, hätte die Drachenherz keine Chance. Aber das Ding hier ist so langsam, wir würden auf die anderen beiden anderen in Wimpernschlägen etliche Schritt verlieren und sie irgendwann am Horizont verschwinden sehen. Zudem glaube ich nicht, dass Cettini für irgend eine Art von Kampfhandlung zu gebrauchen ist... und leider ist das nun mal sein Schiff. Die Exadaktylos könnte sicher auch alleine der Drachenherz einen niederhöllischen Ritt bescheren. Aber eben nicht mit uns an der Seite. Das ist ein... Dilemma... " Mirinia schaute Croënar entsetzt an. „Aber wir könne sie doch nicht einfach davonkommen lassen? Was sollen wir denn jetzt machen? So tun als ob nichts gewesen wäre und mit der Brautschau fortfahren ist so wirklich keine Option! Wonach sucht diese Frau denn, weiß irgendjemand hier an Bord etwas über ihren verlorenen Bruder???“


"Nein, wir dürfen sie auf keinen Fall davon kommen lassen. Diese Nestefans sind ja eigentlich aus Shumir, also zwischen Shenilo und Unterfels. Vielleicht wissen Santino oder Horasio etwas darüber, schließlich kommen sie schon etwas länger als zwanzig Jahre aus der Gegend. Das Dilemma ist ein anderes. Wir können jetzt die Exadaktylos dieser Nestefan hinterher schicken. Ich denke, bis zum Einbruch der Nacht oder am nächsten Morgen wäre das Thema dann für diese Irren erledigt. Nur bedeutet das, dass wir die Verführerin auf ihrem Weg nach Karsina schutzlos zurück lassen müssten. Dieser Überfall verlief glimpflich, weil diese Nestefan ein bestimmtes Ziel hatte und wusste, dass sie dafür nur ein verschwindend kleines Zeitfenster hatte, bis das Wächterschiff wieder da sein würde. Träfe die Verführerin ohne die Exadaktylos auf Piraten würde das höchstwahrscheinlich niemand überleben. Bis Karsina benötigen ist es eine Fahrt bis Sonnenuntergang, wie hoch da das Risiko auf weitere solche Begegnungen ist kann natürlich niemand vorhersagen." Er deutete auf Esteban, welcher gerade damit beschäftigt war, irgendwie beruhigend auf seinen Neffen Efferdobal einzureden. "Wir als Gastgeber tragen die Verantwortung für euch alle. Für jeden Einzelnen. Schon dieser Angriff beschmutzt unseren Schild. Durch schlechte Entscheidungen das Leben aller hier in Gefahr zu bringen, würde für das Haus den Untergang bedeuten. Er muss nun als unser Soberan eine schwere Entscheidung treffen. Entweder er riskiert unser aller Leben, um die wenigen zurück zu holen, riskiert zugleich das Leben der beiden Geiseln, welche aktuell ja keine Gefahr zu drohen scheint - was sich durch einen direkten Angriff durchaus ändern könnte - oder aber er lässt sie ziehen, zeigt schwäche in der Tat und muss sich nachher vorwerfen lassen, zu zaghaft entschieden zu haben, wenn auf dem Weg nach Karsina eben doch keine Piraten mehr zu sehen sind. Man nennt ihn auch "den Zauderer", also wird er sich sicher vorher noch einige Stimmen einholen und etwas Zeit lassen, aber irgendwann wird er seiner Verantwortung nachkommen und für sie stehen müssen. Und irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich solche Entscheidungen treffen muss. Wie würdet ihr entscheiden?"

Cassiopeia wiegte kurz ihren Kopf hin und her. "Nun, ich würde mit der Exadaktylos der Drachenherz hinterhersetzen, sie sollte Euren Vater als Kommandeur mit an Bord nehmen, dieses Pack zur Strecke bringen und die unsrigen befreien. Es ist gewiss eine tragische Geschichte mit ihrem Bruder, aber 20 Jahre her! Niemand sollte deswegen weiterhin zu leiden haben. Wir könnten indes mit der Verführerin versuchen, an der Exadaktylos dranzubleiben. Es wird natürlich nicht gelingen, aber so haben wir uns länger in Sichtweite, falls etwas passieren sollte, und die beiden Schiffe finden hinterher schneller wieder zusammen." "Das würde funktionieren, wenn man davon ausgehen könnte, dass die anderen Schiffe immer nur geradeaus fahren. Aber eine Kursänderung ausserhalb unseres Sichtfeldes und die finden uns wohlmöglich nicht wieder." Er machte eine entsprechende Bewegung mit seinen Armen, bei der zunächst die Linke und die rechte Hand paralel zueinander lagen, dann die rechte Hand nach rechts fuhr, die linke geradeaus. Um das Beispiel abzuschließen kreuzte er die rechte Hand senkrecht unterhalb der linken Hand. "Auch hier haben wir eine Wahrscheinlichkeitsgeschichte, bei der man abwägen müsste, wie hoch das Risiko ist. Klar können wir Glück haben und die finden uns dennoch wieder. Doch am ende ist es immer einfacher, zu einem unbeweglichen festen Punkt zurück zu kehren als zu einem beweglichen. Und so wie ich diese Nestefan einschätze, ist mindestens eine Kursänderung sicher. Sonst wüssten wir ja, wo sie hin wollte." "Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. Dann folgen wir halt so lang wir die Exadaktylos im Blick haben, und warten dann an der Position auf sie."

"Ja, das wäre wieder eine Möglichkeit. Auch hier wären wir zwar eine Zeit lang alleine unterwegs, aber von allen Möglichkeiten wäre hier die Zeit am kürzesten. Es sei denn, die Verfolgung würde länger dauern als die Fahrt von hier nach Karsina... wieder so eine Unbekannte... wie sieht der Rest das? Vielleicht sollten wir auch mal bei Santino nachhorchen. Als Darias Oheim sollte auch er ein Wörtchen mitreden. Nicht, dass ihm das Risiko, Darias Leben mit einer Verfolgungsjagd zu bedrohen zu hoch ist." Mirinia nickte zustimmend. "Das ist sowieso ein Knackpunkt in dieser Angelegenheit. Selbst wenn die Exadaktylos die Nestafans einhohlt, was sie früher oder später sicher tätet. Wie sollte der Kapitän sicherstellen, dass den Geiseln nichts geschieht? Die Nestafans werden sie sicher nicht einfach umbringen, da dann ihr Schiff versengt würde. Aber allein die Drohung einer solchen Handlung macht sie fast unantastbar." "Zumal sie nun zwei Geiseln haben. Wenn Sie eine umbringen haben sie immernoch eine zweite und sind immernoch fast unantastbar." fügte Croënar betrübt an.


Leinen los

Es dauerte eine Weile, bis Santino sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Er saß auf einem Hocker, hielt einen Kelch mit Wasser in der Hand und um ihn herum stand gut ein halbes Dutzend Leute, die ihm zwar alle irgendwie bekannt vorkamen, deren Gesichter er aber in diesem Moment nicht einzuordnen vermochte. Irgendjemand redete auf ihn ein, aber in seinem Kopf rasten die Gedanken, sodass er dem keine Beachtung schenkte. „Warum hatte Daria das getan? – Sie hätte es doch besser wissen müssen… – Wie hatte er sie das tun lassen können? – Entführt von Kusminela Nestefan. Sie von allen Leuten hätte es doch besser wissen müssen! – Wieviel Zeit war vergangen? Vielleicht war es noch nicht zu spät! Sie mussten der Drachenherz nachsetzen!“

Santino sprang auf, schob sich an den Leuten vorbei, die ihn umringten, und hielt Ausschau nach Esteban die Camaro, den er jedoch nirgends ausmachen konnte, stattdessen erblickte er seinen Sohn Croënar, der sich an der anderen Seite des Decks gerade mit Cassiopeia Trenti und Mirinia di Bassalo unterhielt. Noch im heraneilen rief er aufgeregt: „Croënar, habt ihr euren Vater gesehen? Wir müssen sofort die Verfolgung der Drachenherz aufnehmen, dann ist es vielleicht noch nicht zu spät, eure Nichte zweiten Grades und meine Schwester zu retten!“

Croënars "Antwort" war ein langes Schweigen, begleitet mit einem traurigen Blick. Dann deutete er auf eine Stelle an Steuerbord, wo sein Vater die selbe Unterhaltung wahrscheinlich gerade mit seinem Neffen hielt. "Er ist dort hinten. Allein, ich bin nicht sicher, ob er diesem Wunsch wird nachgehen können." "Bittewas?" Santino verstand nicht. "Ich versuche es euch zu erklären." Croënar führte nun im Grunde das gleiche Gespräch noch einmal nun mit Santino, hoffend, aber nicht erwartend, dass man mit ihm dieses Thema genau so nüchtern diskutieren könnte. Das war wahrlich kein schöner Moment. Daher versuchte er auch in dem Moment, wo Santino in etwa den selben Diskussionsstand erreicht hatte, das Thema etwas abzulenken. "Es würde wahrscheinlich helfen, wenn man mehr über diese Familie Nestefan wüsste. Ihr kommt doch aus Unterfels, das ist ja nicht so weit weg von Veliris. Habt ihr je etwas über diese Leute gehört?"

Santino sah der sich rasch entfernenden Drachenherz wehmütig hinterher. Sollte Croënar Recht haben? Brächten sie Daria und Amaryll letztlich nur in Gefahr, wenn sie die Verfolgung aufnähmen? – „Die Nestefans... haben ihr Vermögen mit Wein gemacht. Aber diesem Geschäft und ihrer Familie hat Kusminela schon vor langer Zeit den Rücken zugekehrt. Wie sie ja selbst bereits sagte, ist sie auf der Suche nach ihrem Bruder Darion. Darion gilt seit der Schlacht von Wobran, bei der er auf Seiten Erlan Sirensteens gegen die Truppen das mengbillaner Söldnerheer kämpfte, das Drôl besetzt hielt, als verschollen. Niemand weiß genaueres und wahrscheinlich ist ihr Bruder schon lange tot, nichtsdestotrotz hat Kusminela auch nach all den Jahren ihre Suche nicht aufgegeben…“

"Ich denke auch, er wird endweder tot sein oder bestenfalls nach 20 Jahren Kerker oder Sklaverei in Mengbilla oder Al'Anfa geistig gebrochen. Alles keine schöne Vorstellung. Unglaublich. Da kann man mal sehen, wie weit einen Verzweiflung auch nach so langer Zeit treiben kann. Jetzt kann man spekulieren, ob es Schuldgefühle oder Geschwisterliebe ist, die Kusminelas Seele auch nach so langer Zeit nicht ruhen lassen kann. Ein Gefühl sagt mir, dass sie ihren Bruder wahrscheinlich noch suchen würde, wenn ihr Körper bereits das Zeitliche gesegnet hat. Wie auch immer, es erklärt, warum sie sich die Camaros als ihr Ziel ausgesucht hat. Meine Mutter ist eine geborene Vetivér und ist vor fast vierzig Jahren bereits von Mengbilla nach Efferdas gezogen. Aber sie hat natürlich immernoch Familie dort unten. Als Horasische Adelige hätte Kusminela keine Chance, von einem Mengbillaner näheres zu erfahren. Aber wenn ein Mengbillaner einen anderen fragt, stehen die Möglichkeiten vielleicht schon etwas besser. Vielleicht muss man in betracht ziehen, dass die beste Chance, Amaryll und Daria zurück zu erhalten der ist, diesen Darion ausfindig zu machen. Wenngleich selbst das Jahre dauern könnte..." Er blickte kurz auf die offene See, wo die Exadaktylos nun die Spitze der Verführerin erreicht hatte. Ihr Kapitän Cesareo di Camaro machte sich bereits an, kurz das Schiff zu wechseln und die neuen Befehle entgegen zu nehmen. "Sieht so aus, als wäre die Zeit der Entscheidung langsam getroffen. Signor Santino, wollt ihr meinen Vater immer noch davon überzeugen, der Drachenherz nachzusetzen? Dann tut es jetzt. Sonst wird er sich wahrscheinlich gegen das Risiko entscheiden." Santino blickte hilfesuchend in die Runde, in seinem Kopf begann sich alles zu drehen.