Briefspiel:Die Seemannsbraut - 15. Phex 1037 BF - Im Schatten Thuans

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Stadt Efferdas.png Briefspiel in Efferdas Stadt Efferdas.png
Datiert auf: 12. bis 15. Phex 1037 BF Schauplatz: Efferdas und das Meer der Sieben Winde Entstehungszeitraum: Ende 2014 bis Juli 2016
Protagonisten: siehe Übersichtsseite Autoren/Beteiligte: Haus di Camaro.png Dajin, Familie di Bassalo.png Klimpermädchen/Neli, Familie Kanbassa.png Kanbassa, Haus ya Papilio klein.png GrK, Familie di Monte Fuori.png X-toph, Haus ya Pirras.png Elanor, Familie Trenti.png Trenti Haus di Onerdi.png di Onerdi
Zyklus: Übersicht · Bewerberschreiben · Ankunft in Efferdas · 12. Phex 1037 BF - Leinen los · 12. Phex 1037 BF - Leinen los (2) · Die Seemannsbraut - 12. Phex 1037 BF - An anderen Ufern · Phexisches Belhanka · Nachts auf den Zimmern · Auf nach Karsina · Von Marlinen und Lilien · Im Schatten Thuans

Hier geht es um die Ereignisse in Belhanka anlässlich der Brautschau des Croënar di Camaro im Rahmen des Briefspielprojekts Die Seemannsbraut.


Im Schatten Thuans


Und tatsächlich kam es so, wie Croënar es bereits vermutet hatte. Es brauchte keine Worte, die Körpersprachen und Gesten verrieten, was im folgenden Gespräch zwischen Cesareo, dem Kapitän der Exadaktylos und seinem Onkel Esteban geschah. Ein zerknirschtes, konsterniertes Gesicht auf der einen, ein überraschtes auf der anderen Seite. Gefolgt von einem geradezu wütenden von Cesareos Bruder Efferdobal. Dieser musste von einem neben ihm stehenden Mann kurz sogar gehalten werden, weil es so aussah, als wollte er Esteban an die Gurgel. Doch aus der Verzweiflung, die aus dem Efferdgeweihten ausbrach, wurde genauso schnell Vernunft und damit Trauer. Esteban hatte die Verantwortung über den Schutz von allen an Bord. Zwei hatte er nun verloren, doch deswegen konnte er das Risiko der anderen nicht in Kauf nehmen. Kurz unterhielten sich die beiden Familienmitglieder noch einmal, gefolgt von einem Handschlag. Während Esteban daraufhin still unter Deck ging, bewegte sich Efferdobal an die Reling, stieg darüber und von dort ins Beiboot. Man sah ihn nun die Hände ins Wasser halten und recht lange beten. Cesareo hingegen ging zurück an Bord der Exadaktylos. Dann geschah erst einmal nichts, beide Schiffe bewegten sich nicht vom Fleck. Dies sorgte unter den anwesenden Gästen durchaus für Verwirrung, immer wieder sah man den ein oder anderen mit dem Nebenmann tuscheln, alle waren gespannt, wie es nun weiter gehen würde... oder warum es gerade nicht weiter ging. So vergingen sicher zwei oder drei Minuten, in denen das Tuscheln immer lauter wurde und sich von einem murmeln zu diversen angeregten Diskussionen entwickelte. Letztendlich war es Isaura, die kurz um Aufmerksamkeit bat. „Die Fahrt wird gleich weiter gehen, Richtung Karsina. Auch wenn es weh tut, wir können im Moment nicht viel mehr für die beiden machen. Diese Schlacht mögen die Nestefans gewonnen haben. Aber diese Geschichte ist noch nicht zu ende. Lasst es uns dem Bewahrer von Wind und Wogen gleich tun und für das Heil der beiden beten. Sie werden ihn gut gebrauchen können.“

Damit bewegte sich auch Isaura unter Deck. Es folgte eine unheimliche Stille an Bord. Viele fingen ebenfalls an, ein Stoßgebet zu den Göttern zu senden. Zumindest Efferdobal schien der Herr Efferd nach einer Weile tatsächlich erhört zu haben. An der Stelle, in der er zuvor minutenlang seine Hände ins Wasser gehalten hatte, erschienen nun zwei Delphine. Er schien sich kurz mit ihnen zu unterhalten, dann schwammen sie davon, in Richtung Drachenherz. Kaum, dass die beiden untergetaucht waren, bewegte sich Efferdobal zurück auf die Verführerin. Es wirkte wie ein Kommando für die Schiffscrew, die Rose wieder in Bewegung zu setzen. Der Kurs wurde gesetzt und sie steuerte Richtung Festland. Weg von diesem Ort der Schande. Die Exadaktylos hielt den Kurs und blieb eng an der Seite der Verführerin.

Es blieb eine stille Fahrt. Die Musiker spielten nicht, kaum jemand unterhielt sich. Es wirkte, als bräuchten die meisten Zeit für sich, auch Isaura und Esteban waren die ganze Fahrt über nicht mehr zu sehen. Auch Santino war kurz nach der Weiterfahrt unter Deck gegangen, wo er unter anderem einen Brief für ihn vorfand. Efferdobal wirkte genauso nicht mehr ansprechbar, wenngleich er die ganze Zeit direkt am Bug stand und ins vor ihm liegende Meer starrte. Niemand traute sich wirklich, ihn anzusprechen. Nach einigen Stunden stiller Fahrt war dann irgendwann wieder Festland zu erkennen. So ließ auch Karsina nicht lange auf sich warten. Schon von weitem sah man, welch besonderer Fleck in der Landschaft Karsina darstellte. Von weitem sah man die Klippen trotzig das Meer zerschneiden und darauf das Castello Carsina als Symbol der Macht der herrschenden Haus ash Manek. Es war ein merkwürdiger Zufall. Damals, als der Cronconvent eine Braut für die Brautschau des Prinzen Albernias Finnian ui Bennain auswählte, da entschieden sie sich knapp für Ricarda ash Manek vom Zweig der Ash Maneks zu Karsina und gegen Amaryll di Camaro. Nun trafen die beiden Familien gewissermaßen wieder aufeinander und wieder fiel Amaryll auf eine gewisse Art und Weise unten raus. Und wieder ging es um eine Brautschau.

Der Weg führte vorbei an der Steilküste und an den berühmten Kavernen, in dessen Grotten ach so viele Schätze und Heiligtümer vermutet werden. Bevor die Verführerin in den Hafen einfuhr, passierte sie schließlich noch die imposante, drei Häuser große Statue des Thuan-Horas. Der Efferdheilige gegen alle Dürre wachte über die Bucht von Karsina und war ein solch ehrfurchtsgebietender Anblick, dass all die Schrecken der jüngsten Fahrt für einen Moment vergessen schienen. Auch passierte man viele kleine, mit rahjarotem Band und Rosen geschmückte Nussschalen, die meist mit einem Ruderer und einem jungen Pärchen besetzt die Herzinsel ansteuerte oder von dort zurückkehrte. Kein Zweifel, Karsina war als Ort für eine Brautschau gut gewählt.

Mit der untergehenden Sonne im Rücken verließen alle die Verführerin der Rosen. Manchen mochte dabei aufgefallen sein, dass Croënar dem Kapitän den Handschlag verweigerte. Die anderen bat er jedoch, möglichst heute Abend noch einmal in der Lobby des Hotels zusammen zu kommen. Der Bitte wurde natürlich Folge geleistet. Die Betreiber des Hotels „Karsiner Herz“ hatten das Hotel wirklich herausgeputzt und wunderten sich ein wenig über die betrübte Stimmung der Gäste. Der Hotelbesitzer Gasparo Aquistapace unterhielt sich kurz mit Esteban, machte dann ein erschrecktes Gesicht und suchte sofort das Gespräch mit einer parat stehenden Musikkapelle, welche danach begann, hektisch einige Notenbücher hervor zu holen. Offensichtlich hatte sich soeben das geplante Programm geändert.

Bevor die Musiker zu spielen begannen, wandte sich Esteban aber noch einmal an alle Gäste. Er wirkte immer noch sehr nieder geschlagen. „Meine lieben Gäste. Ich vermute, wir alle hätten an dieser Stelle gehofft, mit einer besseren Laune Karsina zu erreichen. Vor allem komplett. Leider sind wir aber nun einmal Opfer eines gezielten Angriffs geworden. Er kam unprovoziert, er war durchgeplant und mit einem enormen Etat ausgestattet, daher als solcher kaum zu verhindern. Dennoch tragen wir als Gastgeber die Verantwortung für all unsere Gäste und da nun Daria und Amaryll nicht mehr da sind, können wir nicht anders, als unser Versagen zu gestehen. Manch einer mag von Glück sprechen, dass niemand verletzt wurde, doch für uns ist dies kein Trost. Wir können – und wollen – uns entschuldigen für das, was geschehen ist. Und wenn jemand beraubt wurde, so werden wir für den entstandenen Schaden selbstredend aufkommen. Doch ein Menschenleben kann man nicht ersetzen. Von daher, Santino, wir werden mit all unserer Kraft euch dabei unterstützen, dass ihr eure Daria heil wieder findet. Vertraut mir, diese Tat wird nicht ungesühnt bleiben. Wir werden den Nestefans sogar den Gefallen tun und versuchen in Erfahrung zu bringen, was mit diesem Darion passiert sein soll. Aber, das kann ich Kusminela Nestefan versprechen, dieses Päckchen wird in Essig getaucht sein. Sie wird merken, dass sie die falschen Leute angegriffen hat. Ein jeder, der sich an diesem Geschenk beteiligen will, sei dem Hause Camaro auch willkommen. Zeigen wir Ihr, was passiert, wenn man glaubt, mit uns Spielchen spielen zu können.“ Er machte eine kurze Pause und wandte sich an die verbleibenden drei Brautwerberinnen.

„Und dennoch, es wäre unserer Meinung nach unangebracht, mit dem eigentlichen Spielchen einfach so weiter zu machen, als wäre nichts gewesen. So wichtig es uns ist, für unseren Croënar eine geeignete Braut zu finden, was würde man über uns denken, würden wir einfach so weiter machen als wäre nichts geschehen? Darias und Amarylls Wert würde dadurch in Frage gestellt. Das können wir nicht zulassen. Doch auf der anderen Seite können wir auch nicht alles abbrechen, denn das wäre der Bemühungen der Familien unwürdig, die viel investiert haben, um sich uns und anderen als ehrenhaft und würdevoll zu präsentieren. So wäre unser Vorschlag, dass wir die für morgen früh angedachte Rahjaprüfung ausfallen lassen und stattdessen einfach eine Entscheidung auf Basis des bisher geschehenen treffen. So wäre auch Daria nicht aus dem Rennen, schließlich könnte sie ja nichts dafür, an dieser letzten Prüfung nicht teilnehmen zu können.“ Esteban ging nun auf die drei Damen zu. „Dies setzt aber voraus, dass Ihr drei überhaupt noch Teil eines solchen Hauses sein wollt. Ich könnte es nur zu gut verstehen, wenn ihr nach dem, was geschehen ist kein Teil mehr dieser Familie sein wollt. Was sollen wir für eine Partie sein, wenn wir nicht mal die eigene Familie oder die kommende Familie richtig beschützen können? So sagt es ruhig offen heraus, wenn Ihr an dieser Stelle das Werben beenden wollt. Es wäre kein Ehrverlust für Euch und wir würden Euch in keiner Weise gräm sein. Es wäre unser eigenes Versagen. Dennoch würden wir uns sehr freuen, wenn auch dieses düstere Kapitel zur See Euren Willen, Teil der Familie di Camaro zu werden, nicht geschmälert hätte. Wie Ihr sehen könnt, wir haben Fehler, aber wir stehen für sie gerade. So hoffen wir, dass wir für Euch dennoch würdig genug sind, dies hier zu Ende zu bringen. Also, was sagt Ihr?“

Cassiopeia ergriff das Wort: "Es ehrt Euch, nach all diesen Geschehnissen noch eine weitestgehend unbeeinflusste Wahl treffen zu wollen, wobei Euch aber wohl nach ebendiesen auch niemand einen Vorwurf machen würde, die Entscheidung zu vertagen. Wie dem auch sei; wir - die gesamte Familie Trenti", sie warf einen kurzen Blick zu ihrer Tante, die ihr zunickte, "werden Euch sowohl bei dem 'Geschenk', als auch bei der Suche unterstützen. Ob als Freunde oder Teil der Familie, ist für uns ohne Belang." Bei ihren eher nüchternen Worten war es abzusehen, das ihr spontaner Eifer, den sie an Bord der Verführerin wegen der Verfolgung an den Tag gelegt hatte, verflogen war, und auch mit Sicherheit im Vorfeld mit ihrer Tante, die ja schließlich das Familienoberhaupt darstellt, über ihre Position dazu gesprochen hatte.

Nachdem Cassiopeia gesprochen hatte trat auch Mirinia vor. „Seid bedankt, Signore Esteban, für eure Worte. Nach diesem tragischen Ereignis können ich und auch meine Familie, Eure Entscheidung bezüglich der Brautschau nur zu gut verstehen. Wir sehen dies nicht als ein Versagen Eurerseits sondern als einen harten Schlag des Schicksals, und welch Freund würde einen anderen in solch einer Situation im Stich lassen. Ich werde Eure Wahl gespannt erwarten. Und wenn die Familie di Bassalo bei der Suche und Befreiung von Amaryll und Daria von Nutzen sein kann, werden wir alles in unserer Macht stehende beitragen.“ Sie legte eine Hand auf ihr Herz und verbeugte sich knapp vor Esteban, wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Unmittelbar vor der Ankunft in Karsina hatte Corrada ya Papilio sich mit ihrer Zofe Priskya in eine Kajüte zurückgezogen, um sich umzukleiden. Jetzt fühlte sie sich wieder wie sie selbst, im strengen Schwarz und Dunkelgrau ihrer gewohnten Tracht. Nur die schwarzen Haare waren jetzt nicht unter einer Haube verborgen, sondern lagen als unterarmdicker Zopf zwischen ihren Schulterblättern. Aus der bunten Gesellschaft stach sie heraus wie eine Tollkirsche in einem Schälchen exotischer Beeren.
Ihr Vetter Horasio hatte sich im "Karsiner Herz" sogleich der Aufmerksamkeit eines Hoteldieners versichert und war nun dabei, den Schrecken über den Vorfall zur See mit einem Erbeerlikör hinunterzuspülen. So war er einige Schritte von seiner Verwandten entfernt, als Esteban seine Frage stellte.
Der Brautvater überragte die junge Papilio um einen Kopf, schien aber zu schrumpfen, als sie vor ihn trat. Corrada sagte etwas, so leise, dass es außer dem Oberhaupt der Camaros niemand verstand. Dann drehte sie sich Croenar zu, fing seinen Blick mit ihren dunkelbraunen Augen, und wiederholte lauter: "Ich bin nicht die Richtige." Horasios leeres Likörgläschen zersplitterte in der entstehenden Stille auf dem Boden.
"Wir Papilios sind fleißig, anständig, meist häuslich, und niemandes Feind", fuhr die nun ehemalige Brautbewerberin fort. "Aber wir sind selten mutig oder gar verwegen, Kämpfernaturen in unserem Haus die Ausnahme. So sehr ich mich dessen schäme, ich bin da nicht viel anders. Während des Tumults auf de Schiff habe ich mich versteckt, und keinen Moment lang versucht, an der Seite meines möglicherweise künftigen Gemahls zu sein. Ich bin nicht für solche Aufregungen geschaffen. Ihr, Croenar, bedürft einer Gemahlin, die wagemutig, mit dem Meer verbunden und auch in der Gefahr bei Euch ist. Ich aber habe diese "ungeplante" Prüfung nicht einmal angenommen. Ich bin nicht die Richtige für Euch. Ich bin keine Seemannsbraut."
Mit einem Knicks zu Isaura, Esteban und Croenar trat Corrada zurück. Sie nickte den beiden verbliebenen Bewerberinnen freundlich zu, setzte sich in einen der Sessel in der Empfangshalle und verfolgte das weitere Geschehen als bloße Zuschauerin – wie sie für einen Moment dachte.

Isauras Blick verriet, dass sie diese Aussage etwas betroffen machte. Auch wenn sie es natürlich nicht zeigen konnte, so hatte sie Corrada vom ersten Moment gern gewonnen und dass diese sich nun auf einmal so selbst bedauerte, tat ihr ein wenig in der Seele weh. "Seid ihr euch sicher, Corrada? Denn glaube bitte nicht, dass Piratenüberfälle bei uns zur Tagesordnung gehören würden. Und ich glaube auch nicht, dass nur, weil ihr während dieser seltsamen Situation anders agiert habt als andere nun jemand euch für Minderwertig empfände. Ich denke, jeder hier hat seine Schwächen und Stärken, und jeder auf einem anderen Gebiet. Wenn ihr in eurem Herzen so sicher seid, kann ich dies natürlich akzeptieren, aber wenn eure Wahl nun nur aus reiner Scham heraus fallen würde, wäre es schade, weil verschwendet. Denn ihr habt euch nichts vorzuwerfen. Mehr noch würde ich sagen, dass Mut viele Formen des Ausdrucks kennt, einer kann es auch sein, eigene Schwächen offen zuzugeben. Manche noch so trivial wirkende Eigenschaften stehen wagemut oder einer Verbundenheit zum Meer in nichts nach."

„Was sollte es mich kümmern, was andere von mir denken mögen?“, entfuhr es der jungen Papilio. Sie hielt den in ihrer Stimme aufwallenden Ärger im Griff, als sie noch einmal aufstand: „Anderen gefallen zu wollen habe ich schon lange hinter mir gelassen.“
Jetzt eilte Horasio an ihre Seite, legte eine Hand auf ihre Schulter, auch seine Stimme war fest: „Was Kusine Corrada über unser Haus sagt ist zutreffend. Konflikte vermeiden wir oder legen diese im Einvernehmen bei. Das scheint mir nicht der Weg zu sein, wie Ihr die Euren, auch jenen mit den Nestefans, zu lösen pflegt“, sagte er, ohne unter Isauras Blick eingeschüchtert zu wirken. „Ohne Euch diesen Euren Weg in irgendeiner Weise als 'falsch' ankreiden zu wollen“, betonte er weiter. „Aber eine Enkelin unseres Patriarchen Caron ya Papilio tut gut daran, darauf hinzuweisen, wenn sie der Ansicht ist, nicht die Gemahlin sein zu können, die Eure Familie für deren künftigen Patriarchen erhoffen darf.“
Corrada blickte erstaunt ob des unerwarteten Rückhalts den Residenten an. Er nahm demonstrativ ihre Hand in die seine: „Corrada, es ist gut, dass du so offen gesprochen hast. Ich werde dich nicht drängen, deine Meinung zu ändern. Aber ich weiß, dass in dir kein Widerwille war, mit Signor Croenar den Travienbund zu schließen, falls die Wahl auf dich fiele. Nimm deshalb Signora Isauras Angebot an - die Juroren werden deine Bedenken bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.“
Die 17-Jährige senkte den Blick, ließ die Schultern hängen, schaute dann Croenar an, lächelte wie erschöpft und sagte dann leise: „Also gut.“

Natürlich hatten auch Isaura wie Esteban diese Antwort zur Kenntnis genommen. Wie es ihre Art war, verzog sie keine Mine, sah aber zu Esteban herüber. Dieser schien ihren Blick schon erwartet zu haben. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sie sich schweigend an, bis Esteban di Camaro kurz nickte. Dann wendete er sich an die Versammlung. „Mit Wohlwollen nehmen wir dies zur Kenntnis. So sei es denn. Wir werden uns nun zurück ziehen und beraten, wer die geeignetste Braut sein wird. Die Entscheidung wird morgen früh beim Frühstück verkündet. Entsprechend habt ihr nun den Rest des Abends für euch. Karsina scheint mir ein Ort zu sein, in dem man seine freien Stunden angenehm verbringen kann. Wir würden uns also freuen, wenn ihr die Zeit zur Zerstreuung findet. Für Herrn Binder, für Signor Miguele und für meine Gattin derweil wird nun die Arbeit beginnen und damit sie niemand bei Ihrer Entscheidungsfindung stört, wird dies hinter verschlossenen Türen sein. Wer also der Meinung ist, den Juroren noch etwas sagen zu wollen, sollte dies nun tun. Ansonsten wünsche ich noch einen angenehmen Abend.“ Mit diesen Worten bewegte sich Esteban sowie die Juroren langsam Richtung Ausgang.


Die Entscheidung

Eine lange Nacht lag hinter vielen Gästen der Brautschau, nun, da ihr letzter Tag angebrochen war und am frühen Morgen eine Entscheidung von Nöten war. Die Juroren, sie saßen lange Stunden in ihrem verschlossenen Kämmerchen und debattierten angeregt. Und auf der anderen Seite war für die wartenden an mancher Stelle an Schlaf nicht zu denken. Wie würden sie sich entscheiden? Wer würde die Braut von Croënar di Camaro? Und damit eines Tages die erste Frau in einem bedeutsamen Hause in Efferdas?

Nun, die Zeit nimmt auch auf die wartenden keine Rücksicht und so mochten es manchen wie ganze Leben erscheinen, bis endlich zum Frühstück gerufen wurde. Es durfte wahrscheinlich das am reichlich gedeckteste Frühstück gewesen sein, dass so mancher hier je gesehen hatte. Die Tische waren U-Förmig aufgebaut und genau in dessen Mitte sah man zwei Stühle – mehr Throne als Stühle – bespannt mit feinstem Samt und über ihnen eine Blumenwand aus weißen Rosen. Ohne Zweifel, an einem dieser Plätze würde Croënar sitzen, doch für wen war der zweite Stuhl?

Bald schon war die komplette Feiergesellschaft zusammen getreten, nur die Juroren fehlten noch. Nervöses Gemurmel füllte den Raum und viele tuschelten bereits, wer ihr persönlicher Favorit für die Wahl war. Dann erklangen Fanfaren und füllten den Raum. Eine Tür an der Seite öffnete sich und die Juroren kamen heraus, als letzte Isaura, die einen Zettel in der Hand hielt und offensichtlich eine Rede vorbereitet hatte. Es wurde mucksmäuschenstill im Raum und alle blickten gespannt. Isaura wollte sie auch nicht lange auf die Folter spannen, immerhin hatte sie Hunger und zudem einiges an Schlaf nachzuholen.

„Meine verehrten Gäste. Es ist Zeit für eine Entscheidung. Ich denke, wir alle haben viel zu lange auf diesen Moment gewartet und dieses üppige Mahl vor unseren Nasen sollte uns anhalten, es mit der Warterei und Spielerei nun auch gut sein zu lassen. Und ja, wir haben eine Entscheidung getroffen.“

Sie machte eine kurze Künstlerpause. „Zunächst möchte ich sagen, wer es nicht geworden ist. Und da sie nicht anwesend ist, wird sie die Entscheidung verkraften können, ich spreche von Terantina ya Pirras. Wobei ich ganz klar sagen muss, dass sie uns überrascht hat. Und zwar im positiven Sinne. Am ersten Abend schon, als sie hier ankam, da war es, als würde sie einen eigenen Sonnenstrahl haben, nur für sich. Und dabei alle anderen in den Schatten stellen, einschließlich unseren ganzen Hauses. Doch in den Prüfungen zeigte Sie uns Witz und Schlitzohrigkeit. Sie zeigte uns, dass dieser Schein auf ihr kein Blendstrahl war, sondern dass diese tief in ihr wohnende Selbstverständlichkeit von Größe und Anmut auf einem Fundament der Kraft und des Könnens basierte und nicht nur aufgesetzt war. Wir müssen gestehen, dass wir nicht das Gefühl hatten, dass das Haus di Camaro eines solchen Sonnenstrahls würdig gewesen wäre. Gerade Croënar steht für das Bodenständige in uns. Wie hätten zwei Personen einer Ehe unterschiedlicher sein können als diese beiden? Das wird sie vielleicht selbst eingesehen haben und hat uns deswegen in Belhanka vorzeitig verlassen, wer weiß? Aber da auch mein Sohn Dartan hier nicht anwesend ist, sollten wir, verehrte Viviona uns vielleicht einmal gemeinsam genauer um die Zukunft unserer beiden Kinder unterhalten. Denn wie es so schön heißt, Eltern sind dafür da, ihre Kinder auch zu tadeln, um sie damit zu erziehen. Vielleicht habt ihr ja Interesse an einem kleinen Ideenaustausch.“ Jeder normale Mensch hätte nun ein spitzes Lächeln getauscht, aber Isaura war nicht für ihr lächeln bekannt, ihr aktuelles Gesicht sollte aber wohl genau dies bedeuten.

„Eine zweite Person, die nicht in die Familie di Camaro einheiraten wird, ist Daria di Monte Fuori. Auch sie ist nicht anwesend, wenn auch deutlich unfreiwilliger. Und wir müssen sagen, auch bei ihr haben wir uns dennoch schwer getan. Denn herje, welcher Heldenmut! Sich freiwillig so in Gefahr begeben, für eine Familie, die sie zu diesem Zeitpunkt fast kaum kannte. Wir haben sie zuvor bereits mit Neugier betrachtet. Poetisch, Künstlerisch, aber auch unbeugsam und gerne trotzig, wenngleich auch gut versteckt. Uns gegenüber hat sie sich sehr vorbildlich verhalten, aber die vielen kleinen versteckten Grinsegesichter in Richtung ihres Bruders und dessen daraufhin meist panischem Gesichtsausdruck sind uns natürlich auch nicht entgangen. Sie hätte sicher viel Freude in dieses Haus gebracht. Allein – sie ist nicht da. Wenngleich wir guter Hoffnung sind, sie lebend eines Tages wieder hier begrüßen zu dürfen, es wäre nicht vernünftig, ihr nun eine Zusage zu geben und darauf zu warten und zu hoffen, dass sie schnell und gesund zurückkehrt. Wie lange hat diese Freibeuterin ihrem Bruder hinterher gejagt? Zwanzig Jahre? Wer wären wir, zwei Personen solch eine Bürde aufzuerlegen, vielleicht die gleiche Zeit auf ihre Hochzeit warten zu müssen? Wer wären wir, den anderen Teilnehmern eine solch beleidigende Botschaft mit auf den Weg zu geben und zu sagen – wir warten lieber eine unbestimmte Zeit, bevor wir uns mit euch befassen? Daher war es uns leider nicht möglich, Daria im aktuellen Stand in die engere Wahl einzubeziehen. Ich hoffe, Signor Santino, ihr könnt uns das verzeihen. Zumal ich mir auch sicher bin, dass es euch nun wichtiger sein wird, Daria wieder zu finden. Und wie gesagt, da stehen wir fest an eurer Seite.“ Diesmal nickte sie dem Unterfelser zu, griff dann zu einem Glas Wasser und lockerte ihre Kehle. Es war doch eine etwas längere Rede geworden.“

„Und damit sind wir auch schon bei der engeren Wahl angekommen. Eine Person dabei ist es nicht geworden und mir persönlich schmerzt bei den nun folgenden Worten das Herz, denn mir persönlich wäre sie von allen die liebste gewesen. Aber es ist Croënar, den wir verheiraten und nicht mich, so müssen wir leider dir, liebste Corrada eine Absage erteilen. Du wirst es wahrscheinlich im Moment noch mit großer Erleichterung aufnehmen, dennoch möchte ich dir mit auf den Weg geben, dass du Wunderbar warst. Alles, was du getan hast, hatte Herzblut. Es war bodenständig, es zeugte davon, welch grandioser Geist in dir inne wohnt. Jemand, der den Mut hat, resolut mit dem Fuß aufzutreten, wenn dir etwas nicht passt und den niemand umwerfen kann. Es ist genau die Art und Weise, mit der ich fünf Kinder groß gezogen habe. Und ich denke, ich habe gute Erfahrung damit gemacht. Dass du am Ende nun mutig genug warst, dich offiziell für die nicht richtige zu halten, hat das eigentlich nur bestätigt. Das war es nicht, die uns von der Entscheidung abbrachte, dich als Croënars Frau auszuwählen, ganz im Gegenteil. Interessanterweise war es etwas, was dein Vetter Horasio daraufhin sagte. Wie waren seine Worte? „Konflikte vermeiden wir oder legen diese im Einvernehmen bei. Dies scheine nicht der Weg zu sein, den unser Haus wähle.“ Diese Worte sind sicher nicht falsch oder beklagenswert. Sie sind kein Vorwurf. Aber sie erlauben eine Zukunftsprognose. Ihr werdet es nicht wissen, aber auch wir, die Camaros gelten als eher friedliebendes Haus, ein Haus, das sehr darauf bedacht ist, den Frieden zu wahren. Allein, diese Stadt Efferdas, sie hat uns gelehrt, dass dies nicht immer möglich ist. Vor sieben Jahren gab es eine Senatssitzung, die die Bedrohung der Al’Anfaner durch ihre Seeflotte thematisierte und letztendlich um die Teilnahme an der Seeschlacht von Phrygaios zur Folge hatte. Mein Gemahl Esteban schlug vor, andere Lösungen zu suchen denn den Kampf. Seit sieben Jahren nun nennen sie ihn den Zauderer. Jemand, der sich scheut, Entscheidungen zu treffen und seitdem gibt es Stimmen, die ihn bitten, den Senatstitel doch an jemand anderen in der Familie weiter zu geben. Den einfachen Versuch einer alternative haben sie ihn bis heute nicht vergessen. Er hat sich davon nicht in seiner Arbeit stören lassen, doch er hat auch nicht vergessen. Für uns, diese Nacht, stellte sich nun die Frage, wie wohl Corrada an dieser Stelle reagiert hätte, wenn ihre in ihr liegende Sehnsucht nach Konfliktlösung und nach Kompromissen auf das Amt getroffen wäre, in das sie durch die Heirat mit Croënar hinein geraten wäre. Und wir denken, dass es sie auf Dauer zermürbt hätte und unglücklich gemacht hätte. Natürlich, sie ist noch jung und formbar, aber schon die Prüfungen und vor allem ihr Ende gaben natürlich einen Einblick auf ihr Gemüt. Und so liebevoll diese Heimat Efferdas auch ist, wir glauben, dass es sie über die Jahre hinweg unglücklich gemacht hätte. Weil es das Amt ist, dass es leider nicht immer zulässt, Entscheidungen zu treffen, die man mit dem eigenen Gewissen vereinbaren kann. Wer wären wir, ein so liebes Mädchen wie Corrada sehenden Auges in ihr Unglück zu stürzen? Nein, sie hat sich viel zu tief in all unsere Herzen empfohlen, als dass wir ihr das antun könnten. So fiel unsere Wahl guten Gewissens auf jemand anderen. Und ich hoffe, dass auch du darüber nun nicht grollen musst.“ Wieder nahm Isaura einen Schluck ihres Getränkes. Auch ihr Herz pochte nun ein wenig mehr, wenngleich sie die Entscheidung ja schon kannte. Aber es standen nur noch zwei Namen auf ihrem Zettel. Eine würde es nun werden.

„Und damit kommen wir nun zur Entscheidung. Wir hatten nun also die Auswahl zwischen Cassiopeia Trenti und Mirinia di Bassalo. Ich will gleich sagen, es war die Entscheidung, die uns die meiste Zeit in der Nacht wach gehalten hat. Und während ich nicht in der Lage war, hier eine Entscheidung zu treffen, war ich dann doch froh, noch weitere Juroren um mich herum gehabt zu haben, die eben ihre Impulse dazu beitragen konnten. Ich will versuchen, die Schwierigkeiten bei der Wahl in Worte zu fassen. Wir hatten auf der einen Seite Cassiopeia, deren Prüfungen vorsichtig gesagt nicht sonderlich gut gelaufen sind und auf der anderen Seite eine Mirinia, die scheinbar souverän durch jedes Problem marschiert ist, dass sich ihr gestellt hat. Wir hatten mit ihr eine vielseitige, begabte Frau, götterfürchtig und handwerklich begabt, eine scheinbar perfekte Ehefrau und auf der anderen Seite wiederum das Mädchen, die mit dem Herz sprach und immer wieder Blicke warf, die vor allem mein Mann und ich nur viel zu gut kennen... die Blicke echter Liebe. Da standen wir nun. Wie soll man da eine Wahl treffen.

Interessanterweise ist es eine Delphinoccoweisheit des Herrn Binder gewesen, die den Ausschlag gab. Wie sagte er? Es kommt nicht darauf an, wie oft der Gegenüber einem den Schläger ins Kreuz hämmert. Es kommt darauf an, wie man danach weiter schwimmt. Wir sahen es auf einmal von einer anderen Perspektive. Wir hatten auf der einen Seite eine Frau, die noch formbar war, die Niederlagen ertragen hat, sich darauf einstellte und einen Weg fand, damit zu Recht zu kommen. Und auf der anderen Seite jemanden, die ihren Lebensweg schon kannte. Die in ihrem Leben genug Erfahrung gesammelt hatte, um routiniert bereits im Vorfeld solche Niederlagen zu vermeiden. Und wir stellten uns die Frage – wie leben solche Menschen im Hause di Camaro? Denn beide hätten sich an das Leben im Hause di Camaro gewöhnen müssen, zweifelsohne. Ob es nun mein Mann, der Zauderer ist, ob es Croënar oder sein verantwortungsloser Bruder Dartan, ob es die stets traurige Simiona oder die Extravaganz einer Philippa ist oder die oftmals so herzlos erscheinende Art meinerseits ist... man kann all diese Menschen nicht mehr ändern. Man kann auch die Stadt Efferdas und ihre Menschen nicht mehr ändern. Und jemand, der sich selbst vielleicht auch nicht mehr ändern kann – oder nicht ändern sollte, hätte an dieser Stelle vielleicht schon sein Glück verloren. Nun, wir hatten eine in unseren Reihen, die sich nicht mehr zu ändern braucht. Sie ist eine fertige Frau. Eine, die eine Hochzeit mit Croënar nicht braucht, um mit ihrem Leben im reinen zu sein. Und wir haben eine Frau in unserer Mitte, die vieles davon noch lernen muss... vor allem aber unserer Meinung nach lernen will. Die das große Interesse daran hat, mehr aus sich selbst zu machen als sie jetzt schon ist. Und das ist es, was wir gerne als Ehefrau an unserer Seite sehen wollen. Daher fiel unsere Wahl auf.... Cassiopeia Trenti!“


Großes Gemurmel unter den Gästen, die Katze war also aus dem Sack. Schnell aber war nach einer entsprechenden Handbewegung wieder Ruhe. Man sah, wie vor allem Alrik Binder der jungen Trenti einen aufmunternden Blick zuwarf. Doch es war Isaura, die das Wort wieder an sich nahm, um die entscheidende Frage zu stellen. „Willst du dieses Hochzeitsangebot annehmen, Töchterchen?“

Cassiopeia, die während der Rede nervös an der Tischdecke herumgenestelt hatte, vielen vor Schreck die Hände in den Schoß und sie lief Feuerrot an. Sie? Natürlich hatte sie darauf gehofft, davon geträumt, aber eine realistische Chance hatte sie sich nach bereits nach ihrer Blumenwahl nicht mehr ausgemalt. Ihr Blick fiel auf die Orchideenblüte, die sie wie immer am Kleid trug. Wie hatte Isaura gesagt: Sie hatte Niederlagen ertragen und trotzdem weitergemacht. Sie stand zu ihren Fehlern. Letztlich hatte ihr die Orchidee wohl doch Glück gebracht, worüber sie lächeln musste. Vorsichtig stand sie auf und blickte erst zu Croënar, dann zu Isaura: „Ich... Ja! Danke!“ hauchte sie nur kurz und setzte sich schnell wieder, noch roter als vorher.

Madalena neben ihr und einige der anderen Gäste begannen zu lachen: „Kindchen, was war das denn?“ Madalena stand auf und bot ihrer Nichte die Hand: „Hoch mit dir, komm!“ flüsterte sie ihr zu. Cassiopeia erhob sich wieder, mit zittrigen Knien und war genauso froh wie irritiert, das ihre Tante, der sie so oft geholfen hatte, nun sie stütze. „Kinder!“ sagte Madalena laut in die Runde, während sie mit Cassiopeia im Arm in die Mitte des Us und zu den Juroren schritt. „Verlieren direkt den Kopf und ihren Sinn für Etikette. Sie wird von dir von dir noch viel lernen können, Isaura.“ Sie hatten nun die Mitte erreicht, wo Croënar hinter den Juroren stand. An ihn gewand fügte Sie hinzu: „Croënar di Camaro, voller Stolz reiche ich, Madalena Trenti, Vormund meiner Nichte Cassiopeia, dir ihre Hand zum Traviabund dar. Dies ist eine große Ehre und erfüllt uns mit Freude, insbesondere Cassiopeia, auch wenn es ihr gerade Sprache verschlagen hat. Gib gut auf sie acht und sorge für sie.“

„Das werde ich tun, versprochen!“ lächelte er und übernahm die Hand der immer noch sprachlosen Cassiopeia. „Ich freue mich für dich... für uns... für mich?... meine Güte, was sagt man in solchen Situationen?“ Er lachte. Auch Croënar schien mit dieser Situation ein wenig überfordert. „Ich würde sagen, wir stellen uns jetzt erst einmal hin und lächeln und warten ab, bis die Welle der Gratulanten aufhört... und dann Frühstück... wie klingt das für dich, Frau Camaro?“ Er blickte sie vorsichtig an, wagte dann einen Blick in die Runde. Isaura und Madalena hatten sich gerade die Hand geschüttelt und er meinte auch etwas Applaus wahr genommen zu haben. Dennoch verschwommen selbst seine Sinne nun ein wenig. Auf diese Situation hatte er sich irgendwie nicht vorbereiten können. Doch er spürte, dass auch er mit dieser Wahl sehr zufrieden war - wenngleich er nach seinem Eindruck eh nicht viel zu verlieren hatte.

Corrada ya Papilio setzte sich einfach auf den nächsten Stuhl und stopfte sich ohne nachzudenken eine Handvoll Häppchen in den Mund. Während die Reihe der Gratulanten vor Cassiopeia und Croenar rasch länger wurde, spülte sie die Speisen mit einem Glas Wein hinunter, das sie in einem Zug leerte. Dann strafften sich sowohl ihre Gesichtszüge als auch ihr Rücken, was dem Mieder ein klagendes Ächzen entlockte, das im Geschnatter der Festgesellschaft jedoch weitgehend unterging.
Die junge Papilio schritt mit einem eingefrorenen Lächeln zu Isaura di Camaro, die neben dem neuen Paar stand, und machte einen artigen Knicks vor der Matriarchin: "Man kann alles richtig machen und trotzdem verlieren, hat Kapitän Giacobo Schling einmal gesagt. Das ist kein Unglück, das ist das Leben. Aber man kann wohl auch alles falsch machen und trotzdem gewinnen", fuhr sie mit einem Seitenblick auf die strahlende Trenti fort. "Ich hoffe für den Bräutigam und Signorina Cassi, dass sie tatsächlich die Richtige für ihn ist. Ich wäre es wirklich nicht - was ich bedauere -, aber nicht etwa wegen meiner Familie, wie Ihr meint. Schließlich wird die Braut ja Teil einer neuen Familie sein. Danke für die eine oder andere Lehrstunde, die Ihr mir in den vergangenen Tagen erteilt habt. Auch wegen dieser will ich für meinen Teil darauf hinarbeiten, mehr zu sein als nur die Tochter meiner Eltern."
Bevor Isaura auch mehr als nur ein wohlwollendes Lächeln zeigen konnte, eilte Corrada schon aus dem Raum, hinaus ins Freie. Als ihr Vetter Horasio kurz darauf ihr Entschwinden bemerkte und ebenfalls hinausging, kam sie ihm bereits entgegen, mit glasigen Augen, sich mit einem parfümierten Tuch über den Mund wischend. Trotz des Minzdufts hätte er schwören können, dass in dem Luftzug, den ihre füllige Gestalt erzeugte, als Corrada an ihm vorbei eilte, ein schwacher Geruch nach Erbrochenem wehte.

Nachdem der Schock und die anfängliche Verwirrung nach der Entführung seiner Schwester von ihm abgefallen waren (das Schreiben, dass er in seiner Kabine vorgefunden hatte, hatte in nicht unerheblichem Maße dazu beigetragen), hatte Santino sich gezwungen, die Geschehnisse der vergangenen Stunden aufmerksam und mit augenscheinlicher Ruhe zu verfolgen. Gleich nach Verkündung der Wahl jedoch, war auch er schnurstracks auf die Isaura di Camaro zugesteuert und wurde so Zeuge dessen, was sich zwischen ihr und Corrada abspielte. Wäre die Situation eine andere gewesen, er hätte wohl Mitleid mit der jungen ya Papilo gehabt. Man hatte ihr eine tiefe Erschütterung und das immense Maß an Selbstbeherrschung, dass es sie gekostet hatte, ihrer nun-doch-nicht-Schwiegermutter ein letztes Mal entgegenzutreten, deutlich anmerken können. Doch die Situation war, wie sie war und er hatte sich auf wichtigeres zu konzentrieren.

„Verehrteste Esquiria di Camaro, ich trete vor euch mit zwei Anliegen. Zum einen möchte ich euch für die zutiefst ehrenden Worte danken, die ihr in eurer Rede für meine Schwester gefunden habt. Zum anderen bin ich erfreut, euren Sohn und eure Schwiegertochter so glücklich zu sehen und möchte euch bitten, ihnen an meiner statt meine aufrichtigen Glückwünsche auszurichten. Ich täte es gerne selbst, doch wie ihr seht, ist das Paar bereits von einer Schar wohlwollender Gratulanten umringt und mich drängt die Zeit. Sollte Darion Nestefan tatsächlich der Schlüssel zur Befreiung Eurer Großnichte und meiner Schwester sein, gilt es dringlichst mit dem Comto Erlan Sirensteen zu sprechen, den ich Phex sei Dank einen guten Freund nennen darf und der wohl einer der letzten war, der Darion Nestefan vor seinem Verschwinden zu Gesicht bekam. Sobald ich etwas herausgefunden habe, werde ich es Euch wissen lassen! Ich hoffe und bin voller Zuversicht, die Töchter unserer beiden Häuser schnell aus den Klauen der Kusminela befreien zu können!“

‚Nun ist es also vorbei’ war das Erste was Mirinia dachte, nachdem die Entscheidung, Cassiopeia Trenti zur Camaro-Braut zu machen, gefallen war. Sie wusste, viele der Anwesenden beobachteten sie, gespannt wie sie auf diese knappe Niederlage reagieren würde. Also straffte sie die Schultern und setzte ein neutrales Lächeln auf. Ein Blick in das Gesicht ihres Vaters Bosper verriet ihr seine Enttäuschung, ja er sah sogar etwas wütend aus, wie sie an der schwellenden Ader an seiner Schläfe erkannte. Nun kein Wunder, er hatte sich viel von dieser Verbindung erhofft. Mirinia trat in die Schlange der Gratulanten und betrachtete die überwältigte Cassiopeia. ‚Ob ich mich so gefreut hätte, säße ich jetzt an ihrer Stelle?’ Sie wusste es nicht genau, wahrscheinlich nicht. Aber eine leichte Enttäuschung ob der Entscheidung der Juroren empfand sie doch. Sie hatte viel richtig gemacht in diesem „Wettbewerb“ der am Ende eine Farce gewesen war. Die letzte Prüfung war abgesagt worden, da Daria daran nicht hätte teilnehmen können, nur um sie dann doch aufgrund ihrer Abwesenheit von der Entscheidung auszuschließen. Dann hätte man die letzte Prüfung auch stattfinden lassen können …. Und am Ende gewann die junge Trenti, weil sie verliebt in den Bräutigam war. Wie hätte Mirinia, oder auch eine der anderen Bewerberinnen, sich in so kurzer Zeit in Croënar verlieben sollen? Wo sie ihn doch erst zu Beginn der Brautschau kennen gelernt hatte? Es schien ihr nicht gerecht, aber zumindest hatte die Familie di Camaro nun offenbar was sie wollte. Dass sie selbst abgelehnt wurde, da sie Isaura nicht mehr formbar genug war, war ja auch eine deutliche Botschaft gewesen. Und so war es wohl auch für sie besser, schließlich wäre sie in einem ständigen Konflikt mit einer dominanten Schwiegermutter wohl kaum glücklich geworden. Als sie an die Reihe kam gratuliert sie Cassiopeia und wandte sich dann an Croënar. „Hier trennen sich unsere Wega dann wohl Signor. Ich wünsche Euch den Segen der Götter und eine glückliche Zukunft mit Eurer Braut“ Also sie ihn noch einmal in die Augen sah, fühlte sie trotz allem ein leichtes Bedauern. Er hatte ihr durchaus gefallen und hätten sie mehr Zeit miteinander verbringen können … nun das war jetzt ein fruchtloser Gedanken und sie schob ihn hastig beiseite um sich nichts anmerken zu lassen.

„Fürs erste wohl ja.“ nickte Croënar der Dame ihm gegenüber zu. „Nach dem Frühstück wird es für Cassiopeia und mich dann wohl direkt zur Herzinsel gehen, als letzter feierlicher Punkt im kleinen Kreis. Doch wer weiß, was die Zeit danach bringt. Ich habe zumindest das Gefühl, hier neben einer Ehefrau auch neue Freunde gewonnen zu haben. Und wer weiß, wann das noch einmal von Nutzen sein wird. Ich danke euch auf jeden Fall für all eure Bestrebungen.“ Schon drängelte sich der nächste Gratulant ins Sichtfeld und mit einem Entschuldigendem Blick musste der Bräutigam das Gespräch schon wieder beenden.

Doch an anderer Stelle zeigte sich, dass das Haus die Camaro die anderen Teilnehmer noch nicht vergessen hatte. Es war Esteban, der kurze Zeit später auf Mirinia zuging.

„Dame di Bassalo, auf ein Wort... zunächst möchte ich euch zu eurem vorbildlichen Auftreten hier gratulieren. Es war wirklich eine sehr knappe Entscheidung und ich hoffe, ihr seid nicht zu sehr gekränkt, dass die Wahl nicht auf euch fiel. Wie auch immer, es wäre Ehrlos von uns, wenn wir uns für euer Bemühen nicht dennoch dankbar zeigen würden. Von daher haben wir ein kleines Geschenk für euch vorbereitet. Für euch selbst waren wir so frei, ein Kleid aus Belhankaner Seide in den Farben eurer Familie, Rot, Schwarz und Silber anzufertigen. Und eurem Oheim könnt ihr ausrichten, dass wir nun, da ja eine Hochzeit ansteht, hohen Bedarf an silbernen Eheringen, Silberknöpfen und einem entsprechenden Geschenk an das Haus Trenti haben. Wir dachten da an einen Sextanten aus reinem Silber. Nun meine ich mich erinnern zu können, dass dies genau in die Expertise eurer Familie fallen würde und so würden wir als Dank für eure Leistung diesen Auftrag gerne an eure Familie vergeben. Das würden manche in St. Parvenus zwar wahrscheinlich ungern zur Kenntnis nehmen, aber euch diesen Auftrag zu erteilen, wäre uns schon wichtig. Von daher... wärt ihr an diesem Auftrag interessiert?“

Auch an anderer Stelle suchten Mitglieder des Hauses di Camaro nach den erfolgloseren Bräuten. Isaura hatte warten wollen, bis der Trubel sich gelegt hatte, um sich von Corrada noch einmal persönlich zu verabschieden, doch sie konnte die Dame aus Montalto nicht finden. Lediglich Vetter Horasio begegnete sie und hielt ihn kurz auf. „Esquirio Horasio! Darf ich kurz? Ich suchte eigentlich nach eurer Base, doch konnte sie nicht finden. Ich wollte mich noch einmal persönlich verabschieden und ihr für all das, was sie die letzten Tage für unser Haus tat persönlich bedanken. Vielleicht könnt ihr ihr ja, wenn ihr euch das nächste Mal trefft etwas ausrichten?“ Horasio nickte und war bereit, sich weiteres von Isaura di Camaro anzuhören. „Habt dank. Nun, zum einen wollte ich ihr als Dankeschön ein Geschenk überreichen, einige Bücher aus meiner persönlichen Gedichtsammlung. Sie sind vom Tragiker Lacrimosios dyll Luctos geschrieben und ich könnte mir vorstellen, dass sie ihr gut gefallen könnten. Und richtet ihr bitte aus, dass sie bei uns im Hause stets und zu jeder Zeit willkommen ist. Ach... und noch etwas. Ich hörte, dass Montalto vor allem für ihre zahlreiche Blumenvielfalt bekannt ist. Es mag in einer Stadt wie Efferdas, in der Blumen eine solch immense Bedeutung haben vielleicht einigen Händlern missfallen, aber bei uns steht eine größere Hochzeit an und wir werden einiges an Blumen brauchen, um sie so efferdisch wie möglich zu halten. Hättet ihr Interesse daran, uns diese zu liefern?“

Horasio Madarin ya Papilio blickte bei Erwähnung des Dichters skeptisch drein: „Noch mehr so finstere Gedanken? Ob das meiner Kusine gut tut? Gerade jetzt?“ Sein sonst freundliches Auftreten schien nach der Entscheidung der Jury und dem eiligen Entschwinden seiner jungen Verwandten Erschöpfung gewichen zu sein. „Na gut, ich sage Corradas Zofe Pris, dass sie diese Druckwerke einpacken und ihr zu einer passenden Gelegenheit geben soll.
Was die Blumen betrifft: Ich setze gleich morgen ein Schreiben an Onkel Phelippe auf. Er leitet die umfänglichen merkantilen Angelegenheiten unseres Hauses und soll Euch schnell ein Angebot machen, mit dem Ihr die geplante Feier in einem Meer aus Tulpen und anderen farbigen Blüten stattfinden lassen könnt.“ Isaura gönnte sich einen Moment der Nachsichtigkeit und ließ den jungen Mann sich zurückziehen. Ihre versöhnlichen Gesten würden mittelfristig schon bei jenen Papilios ankommen, die sie im Gegensatz zu diesem Launenbär Horasio erkannten, war sie sich sicher.

Wenig überraschend wurde auch Santino di Monte Fuori noch einmal von einem Familienmitglied der Camaros aufgesucht. Seine Hochwürden Efferdobal suchte den jungen Unterfelser in einer ruhigeren Minute noch einmal auf. „Signor? Ein Wort, so von Opfer zu Opfer... ich hörte schon, dass ihr euch auf die Suche nach Darion Nestefan gemacht habt. Da ich meine Tochter genauso zurück haben möchte wie ihr eure Schwester, sei euch hiermit versichert, dass ihr bei euren Bestrebungen auch meine Unterstützung habt. Wenn ihr ein Schiff braucht, so sei euch die Vitoria von Setubal mit all ihren Mannen und Bewaffnung kostenfrei zur Verfügung gestellt. Und den Segen meiner Kirche gibt es noch mit oben drauf. Ich hörte, dass für jeden Bewerber ein Geschenk vorbereitet wurde für den Fall, dass sie nicht Croënars Ehefrau würden. Für Daria war wohl ein Aufenthalt am Vinsalter Theater – vor und hinter der Bühne – bereits bestellt. Wollen wir hoffen, dass wir sie schnell wieder finden und Daria sich von dem, was ihr nun wiederfährt schnell erholen und dort Zerstreuung finden kann.“

Im Verlaufe des späteren Tages zogen sich Esteban di Camaro und Viviona ya Pirras ebenfalls für ein kurzes Gespräch zurück. Doch vorher ging es für die Mitglieder der beiden efferdischen Häuser noch zum Hafen. Auf Cassiopeia und Croënar wartete eine kleine Nussschale, über und über mit Blumen geschmückt und mit zwei sehr bequem aussehenden Stühlen hinten. Am Bug wartete bereits ein Ruderer, in der in Karsina üblichen Tracht mit einem schwarz und weiß längsgestreiftem Hemd, einem schwarzen Hut mit ausschweifender Feder und einem ellenlangen Paddel. Zudem war ein Musikant mit einer Mandoline, der darauf wartete, für das Paar einige Liebeslieder zu spielen. Zudem warfen einige Kinder weiße Rosenblüten in die Luft, wo der Wind sie dort eifrig umher wirbeln ließ. Vorsichtig führte Croënar Cassiopeia auf das leicht schaukelnde Schiff. „Dieses Mal musst du auch nicht selber rudern.“ lächelte er. Mit dem Klang einiger Fanfaren fing der Ruderer an mit seinem Werk und brachte die beiden zur kleinen, herzförmigen Insel. Langsam sahen die beiden ihre Familie am Hafen immer kleiner werden, doch ihre Rufe vernahmen sie noch lange. „Ein Hoch auf das Brautpaar! Hoch! Hoch! Hoch!“