Briefspiel:Gerberdolche und Galeerenbrände

Aus Liebliches-Feld.net
Zur Navigation springenZur Suche springen

Auge-grau.png

Übersicht   Texte   Ergebnisse    


Gerberdolche und Galeerenbrände
Ein Bericht von den Curia-Wahlen des Jahres 1036 BF

von Thersion Gedra

Dieser Tage werden zum ersten Mal alleine die Bürger über diejenigen entscheiden, die sie künftig vertreten sollen. War bis zum Thronfolgekrieg der Stadtrat eher ein Stände- bzw. Berufsrat, denn eine Bürgerschaftsvertretung, konnten zwar mit dem Zusammentreten der Curia 1029 BF zum ersten Mal auch die Bürger ihre Vertreter wählen. Doch war die Hälfte der Sitze in der Curia damals erblich auf die fünf städtischen Patrizierfamilien beschränkt. Nunmehr werden alle 10 Sitze unter den Bürgern von in- und außerhalb der Mauern gewählt, wobei das Steueraufkommen über das Stimmgewicht entscheidet.
In diesem Tsa-Mond 1036 BF, sieben Jahre nach der Unabhängigkeit von Pertakis, ist es jedoch wieder - oder immer noch - die Yaquirstadt, über die fast alle auf Shenilos Fluren und in seinen Gassen reden. Im vergangenen Herbst haben die Pertakker nämlich einen neuen Pilgerzoll auf der Yaquirbrücke eingeführt, der ihr Säckel füllen soll - und dabei in Kauf genommen, dass Shenilos Wirtschaft empfindlich getroffen wird. Denn während die Pilger früher den Geronsweg auch über seine nordwestliche Route durch die Ponterra gewählt haben, um das Grab des Einhändigen zu besuchen, überlegt sich jetzt mancher zwar fromme, aber nicht eben wohlhabende Pilger zweimal, den Pilgerzoll zu bezahlen. Stattdessen unternehmen viele die Reise gen oder von Arivor kommend statt über die Pertakiser Brücke über die in Aldyra und sparen sich längeren Aufenthalt in der Ponterra ganz. Nachdem die Pertakker schon vor zwei Jahren durch ähnliche Methoden versucht haben, Shenilos Kaufleuten zu schaden, indem sie Handelsvergünstigungen erließen, um das Südufer des Yaquir vom Geschäft mit den Händlern und Kaufherren der Gransignorie abzuhalten, trifft diese Attacke auf den Pilgerverkehr gerade die kleinen Leute. Doch damit nicht genug, hat sich doch jüngst auch in der Pertakischen Südmeer-Handelscompagnie ein gefährliches Übergewicht der Anteilseigner aus Pertakis ergeben, der sich wohl bald auch bei Shenilos Kaufleuten bemerkbar machen könnte.

Siehe dazu den Gastkommentar von Sanya Cordur von der Volks- und Handwerksschule Shenilo: Gastkommentar

All diese Maßnahmen der Pertaker bleiben nicht spurlos. Heftige Worte vor dem Marktgericht und bei den letzten Sitzungen der Curia vor den Wahlen waren die Regel. Mittlerweile begnügt man sich nicht länger mit Worten: Eine Flussgaleere der Pertakker, die zuvor in Chetan angelegt hatte, ging vor nicht einmal Wochenfrist bei Chôrey in Flammen auf. Offenbar waren durch Öl ersetzte Ockertöpfe für den Brand verantwortlich. Die Jünger der Götter, jene dämokratische Ketzerverbindung die Shenilo im Thronfolgekrieg in Schrecken versetzt hatte, behauptete auf einigen Flugblättern, sie habe den Brand gelegt, um “die heuchlerischen Pfeffersäcke von Chetan bloßzustellen, die den Ocker denjenigen verkaufen, die sie noch vor Jahresfrist darum beraubt haben” - eindeutig auf den Ockerraub von Chetan vor nunmehr sechs Götterläufen . Die Maestra Gilmone Silandris schweigt zu einem möglichen größeren Ockergeschäft mit Pertakis.
Auch in Shenilo selbst ist es bereits zu Feindseligkeiten gegen Einwohner Pertakis’ gekommen. Schon wurde ein Krämer aus Chôrey, der in Porta Pertakia seine Waren feilbot, in einer Gasse beim alten Kontor der Tuachall verprügelt, “weil sein Alessandro uns das Brot aus dem Mund stehlen will”, so Gobo Presser, ein Famulus im Haus des Bundes, das ob der Situation bereits über zurückgehende Besucherzahlen klagt.

"Mehr Garde in Porta Pertakia!" - Jallik Olben

Wasser auf die Mühlen von Pertakis’ Maestro Alessandro ya Ilsandro, der unser Shenilo und seine Herren zuletzt als unkultiviert bezeichnet hatte. Aber auch einer der Anwärter auf einen der Curatorenposten, der langjährige Wortführer der Braniborer, Jallik Olben, hat sich die Sicherheit in Porta Pertakia auf die Fahnen geschrieben. Der Bruder der hesindefrommen Bibliothekarin des Institutes, Roana, versucht bereits seit eineinhalb Dekaden in den Stadtrat gewählt zu werden - da in Braniboras “die Dinge noch sind, wie sie gehören” hat er dieses Mal auch gute Chancen. Auch in Cordovano hatte er sich letzthin einen guten Namen gemacht, war er er doch der den Palazzo-Raub aus dem vergangenen Firun aufklären konnte. Einer der Einbrecher, die damals in die Palazzi der Gabellano und Selshed eingedrungen waren, und Gegenstände im Wert mehrerer Hundert Dukaten entwendet hatten, hatte sich offenbar reuig im Praios-Tempel gezeigt und dort den Akoluthen Olben angetroffen - der ihn sogleich an die Leondrisgarde verwiesen hatte. Während aus dem Palazzo der di Selshed seit Längerem wenig zu hören ist, hat Leomar Gabellano persönlich, wie man hört, Jallik für seine Hilfe bei der Ergreifung der Männer gedankt.
Doch hören wir hinein, in die Rede die Jallik Olben kurz vor den Wahlen auf dem König-Khadan-Platz gehalten hat: Wahlrede Jallik Olbens


Damit rief Olben natürlich den Widerspruch einer Curatorin hervor, der der Wiedereinzug vielleicht gelingen mag. Odina Jobornu, Gildemeisterin der Weber, hat sich die Verbesserung der Lage in Porta Pertakia seit einigen Jahren ebenfalls zu Eigen gemacht. Wie aus der Rede Herrn Olbens zu entnehmen ist - und die Sheniler ohnehin wissen - hat sie dabei auch bereits Hand angelegt und für regelmäßige Patrouillien “Freiwilliger” aus den Reihen ihrer Gilde gesorgt.
Wie Odina ihre Kritik formulierte, ist hier nachzulesen: Wahlrede Odina Jobornus


Ohne Zweifel hat sich mancher wenig begüterte Sheniloer von innerhalb der Mauern Jobornus Worte auch zu Herzen genommen. Neben den Porta Pertakiern hat Jobornu aber sicher auch Stimmen aus Nuovo Ruthor spekuliert. Denn seit dort vor nunmehr drei Jahren der einflussreiche und geschätzte Alrigio Pomona wegen seiner Verwicklungen in das Ende der Herrschaft des Calven-Imirandi in Haft geriet und seit seiner Flucht aus dem Arbeitslager bei Solstono gesucht wird, konnte kein Ruthorer wirklich dessen Platz einnehmen. Ähnliches Ansehen genießt wohl nur die Priorin der Donatorier, Tilliane, aus der Familie di Asuriol, die aber als Patrizierin nicht zu den Wahlen zugelassen ist. Einer der Muntleute der di Asuriol, Veciano oder Pirtho, hätte vielleicht Chancen auf die Stimmen Nuovo Ruthors gehabt. Aber die Asuriol verhalten sich seit längeren politisch äußerst abwartend. Nicht anders verhält es sich mit den Calvens, denen es sowohl an Zeit, Ansehen, als auch - und vor allem - an Gold fehlt, um eine erfolgreiche Kampagne zu führen. So könnte, gerade für diejenigen, die beim Großen Brand von 1033 ihr Hab und Gut verloren haben, ausgerechnet ein Mann des Geldes und ein Nicht-Ruthorer jemand sein, dem man die Stimme gegeben hat. Gastor Simbart, der einstige Riesenwirt und jetzige Direktor der Geronsbank, hat manchem Ruthorer Geld geliehen, um den Wiederaufbau von Haus, Hof und Werkstatt zu finanzieren. Manche konnten unterdessen zurückzahlen - viele aber nicht - und sie alle stehen nun in seiner Schuld, auf die ein oder andere Art.

"Gespräche mit Pertakis!" - Gastor Simbart

Gastors Kritik entnehmen Sie am besten einem Auszug seiner Wahlrede.

"Wir müssen Pertakis Paroli bieten!" - Dalek ya Radell

Mit Spannung erwartet wurde auch die Rede des derzeitigen Decurios und Ratsältesten Dalek ya Radell, der die Yaquristadt und ihre Ziele als gebürtiger Pertakiser besonders gut kennt. Dalek, ob seiner Baukunst geschätzt, als Gildemeister der Riesenzunft zudem von nicht geringem Einfluss und wegen einer schweren Verletzung durch einen Unfall, für den viele die Pertakker verantwortlich machen, lange Jahre mit Sympathien des Popolo gesegnet, hat in den letzten Jahren an Rückhalt verloren. Grund dafür ist der Übertritt seiner Tochter Niam, einstige Leutnanta der Drachenreiter, ausgerechnet zu den Rommilyser Reitern, die ihr Winterquartier in Pertakis haben und selbst bereits mehrfach für die Yaquirstadt gegen Shenilo zu Felde gezogen sind.
Es wundert daher nicht, dass Dalek weitaus schärfere Worte gegenüber seiner Heimatstadt wählte, als etwa sein Vorredner Simbart. Wie Esquirio Dalek das Volk von seiner Kandidatur zu überzeugen versuchte kann der geneigte Leser hier nachlesen: Wahlrede


"Shenilo kann Kuslik werden!" - Cusimo di Ulfaran

Übrigens treten nicht alle bisherigen Curatoren wieder zur Wahl an. Namentlich Coruno Equola, der Meister der Parinorszunft, sieht von einer weiteren Kandidatur ab, um sich wieder mehr seinem Gewerbe widmen zu können, wie er verlauten ließ. Sicher spielt dabei auch die Tatsache eine Rolle, die wir all denen ins Gedächtnis rufen wollen, die glauben die Arbeit eines Curatoren sei nur mit Vorteilen für denjenigen verbunden, der in die Curia gewählt wird: Die Curatoren gehen ihrer Arbeit ohne einen Kreuzer aus dem Stadtsäckel nach. Diese Regel, die noch aus den Tagen stammt, als der Stadtrat sehr viel seltener für sehr viel weniger wichtige Dinge zusammentreten musste, macht es schwierig für diejenigen, die einer geregelten Arbeit als Handwerksmeister nachgehen, gleichzeitig Curator zu sein. Denn wer arbeitet an der Werkbank, wer bedient die Kunden, wenn die Curatoren über neue Gewichte, Brotpreise oder dergleichen beraten? Das Hesindeblatt dankt daher Herrn Equola für die geleistete Arbeit!

Sein Fernbleiben eröffnet natürlich Chancen für Shenilos Homo Novus, wie die alten Bosparaner ihn genannt haben würden: Cusimo di Ulfaran, der sich ebenfalls zur Wahl aufstellen ließ. Hören wir auch hier hinein in seine Rede und erfahren mehr von seinen Absichten: Wahlrede Cusimo di Ulfarans.

"Keine Wahlversprechen!" - Ignacio di Storpa

Mit ihren Vorhaben buhlen die Kandidaten also um die Stimmen der Sheniler und Sheniloer, wobei mancher sich durch herzerfrischende Ehrlichkeit einen Vorteil erhofft.
So etwa Ignacio di Storpa, der Wirt des Gasthauses Am alten Markt: Wahlrede Ignacios.

Andere, wie der Gardehauptmann Rondrian Vistelli, der vielleicht letzte echte Held Shenilos, lenkten dagegen die Aufmerksamkeit der Sheniloer und Sheniler weg von den politischen Ränken und Handelsriposten von Kaufherren und Pfeffersäcken und auf eine - vermeintliche oder reale? - Gefahr, die Shenilo in den vergangenen Dekaden in der Tat immer wieder heimgesucht hat. Lesen Sie hier selbst von der Gefahr, die Rondrian Vistelli im dunklen Gehölz wähnt: Wahlrede Hauptmann Vistellis.

Mancher mag sich fragen, warum das Hesindeblatt so umfangreich von einer Wahl berichtet, bei der zwar viele Bürger, aber nicht die große Politik beteiligt ist. Immerhin werden die wirklich wichtigen Entscheidungen für Stadt und Bund in der Dorén-Halle oder den größeren Zimmern im Osttrakt des Magistratspalastes getroffen, nicht in jenen Räumlichkeiten an der Stadtmauer, die der Curia zugeteilt wurden. Aber das Interesse des Schwertmeisters Cusimo an jenem Rat deutet schon darauf hin, dass die Curia vielleicht auch weiterhin als Sprungbrett in die große Politik der Geronsstadt genutzt werden wird. Denn die Familien der Gesellschaft zum Silbernen Adler, die noch vor einigen Jahren in der Curia saßen, zählen nunmehr samt und sonders zum in der Eteria versammelten Patriziat von Stadt und Bund.
Für den gemeinen Mann sind es die Worte eines Jallik Olben oder einer Odina Jobornu, die für die kommenden Monate wegweisend sind. Denn sie zeigen, dass die Bürger Shenilos nicht länger gewillt sind, alle politischen Fragen alleine dem Patriziat zu überlassen.