Briefspiel:Im Auge des Chaos/Widerstand ist zwecklos: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Als [[Rahjadis A'Temelon|Rahjadis]] von dem Geräusch von Schritten aufwachte, war das erste was sie feststellte, | + | Als [[Rahjadis A'Temelon|Rahjadis]] von dem Geräusch von Schritten aufwachte, war das erste was sie feststellte, dass die Sonne hell aus dem ihr gegenübergelegenen Fenster stach. Sie grummelte: „ Cassiopeia, mach doch bitte die Vorhänge zu!“, als ihr auffiel, das etwas nicht stimmte. In ihrem Zimmer gab es kein Fenster gegenüber dem Bett, und der Mann in Dieneruniform vor ihr war ganz sicher nicht ihre Zofe. Schnell versuchte sie sich zu orientieren, um herauszufinden, mit welchem ihrer Freunde sie heute die Nacht verbracht hatte. War es Xenon gewesen, Armano oder vielleicht Kalphas? Sie vernahm neben sich ein leises Grummeln und ihr wurde die Decke teilweise weggezogen. Ach ja, sie war ja gar nicht mehr auf den Zyklopeninseln, sondern in [[Efferdas]] und gestern Abend war sie auf dieser Feier gewesen, zusammen mit anderen jungen Leuten aus der Stadt. Dort hatte sie einen galanten jungen Herrn namens [[Niccolo ya Pirras]] kennengelernt, der sie, nach einigen Geprächen und Neckereien, am Ende der Feier zu sich nach Hause eingeladen hatte, um die Nacht miteinander zu verbringen. Er war sehr angeneme Gesellschaft, sodass sie trotz des Altersunterschieds annahm. Bei ihm zu Hause hatten sie dann ein Weilchen geredet, bevor sie sich den Rahjaspielen hingaben. Er war wirklich sehr gute Gesellschaft gewesen, sie sollte ihn sich wohl merken, jetzt, da ihr alter Freundeskreis für sie unereichbar war. <br> |
− | Jetzt wandte sie sich wieder dem Diener zu, der immer noch etwas verloren im Raum stand. Freundlich fragte sie: „Was gibt es denn, mein Lieber?“ Während sie dies fragte, kam auch in Niccolo etwas Bewegung | + | Jetzt wandte sie sich wieder dem Diener zu, der immer noch etwas verloren im Raum stand. Freundlich fragte sie: „Was gibt es denn, mein Lieber?“ Während sie dies fragte, kam auch in Niccolo etwas Bewegung und er begann sich aufzurichten. „Schon so spät, das sie jemanden schicken um mich zu wecken? Habe ich das Mittagessen verpasst?“ Der Diener orientierte sich, immer noch ein wenig von Rahjadis Anwesenheit überrascht, in Richtung seines Herrn und sagte: „Nein Herr, aber es gibt Tumulte draußen auf den Straßen. Ich bin geschickt worden, weil die Familie sich beraten muss.“ „ Wo denken die den hin sowas frühmorgens zu machen?“ Es ist bereits kurz vor der Praiosstunde, Herr.“ „Was auch immer. Ich werde wohl daran teilnehmen müssen. Rahjadis, meine Liebe…“ „Ich werde hier auf dich warten, mein Liebster, und mich nach deiner Anwesenheit verzehren“, sagte sie neckisch. „ Ich würde dich wirklich bitten das Zimmer nicht zu verlassen. Meine Familie ist… nicht sehr zufrieden mit meinem rahjagefälligen Lebensstil. Und du“, sagte er mit Blick auf den Diener, „bring ihr ein Frühstück, und kein Wort zu irgendjemandem.“ Währenddessen zog er sich an und ging zügig aus dem Zimmer, der Diener folgte auf dem Fuße. <br> |
− | Gut zehn Minuten später, Rahjadis hatte sich inzwischen angezogen, kam er mit einem veritablem Frühstück wieder, stellte es ab, ohne sie anzuschauen und ließ sie wieder allein. Sie begann jetzt erst richtig, den Raum wahrzunehmen. Er war sehr hell, errinnerte sie ein bisschen an die Gewächshäuser ihres Bruders. An den Wänden hingen Portraits, einige halbfertige standen noch auf Stafeleien. Stimmt, Nicollo hatte erwähnt, dass er Portraitmaler sei. So wie die Bilder aussahen, und Rahjadis hatte schon einige Kunstwerke gesehen, hatte der junge Mann Talent und verstand sein Handwerk. Vielleicht sollte sie ihn irgendwann davon überzeugen, sie zu malen? Da | + | Gut zehn Minuten später, Rahjadis hatte sich inzwischen angezogen, kam er mit einem veritablem Frühstück wieder, stellte es ab, ohne sie anzuschauen und ließ sie wieder allein. Sie begann jetzt erst richtig, den Raum wahrzunehmen. Er war sehr hell, errinnerte sie ein bisschen an die Gewächshäuser ihres Bruders. An den Wänden hingen Portraits, einige halbfertige standen noch auf Stafeleien. Stimmt, Nicollo hatte erwähnt, dass er Portraitmaler sei. So wie die Bilder aussahen, und Rahjadis hatte schon einige Kunstwerke gesehen, hatte der junge Mann Talent und verstand sein Handwerk. Vielleicht sollte sie ihn irgendwann davon überzeugen, sie zu malen? Da erinnerte sie sich daran, dass er schon gestern Abend, während sie noch sprachen, Skizzen gemacht hatte. <br> |
− | Jetzt, da sie ihre Umgebung hinreichend in Augenschein genommen hatte, trat sie an das Fenster. Sie wusste zwar, das sie sich in | + | Jetzt, da sie ihre Umgebung hinreichend in Augenschein genommen hatte, trat sie an das Fenster. Sie wusste zwar, das sie sich in [[Residencia]] befand, aber von dem Anblick der Straßen her hätte es ebenso [[Sanct Parvenus]] seien können. Überall rannten Leute, allen stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Dann hörte sie den Ausrufer, der über den Verrat der Senatoren sprach, und horchte auf. Dass war ernst. Wenn die [[Haus Thirindar|Thirindar]] sich als Retter des Volkes darstellen wollten, indem sie das Patriziat von der Macht drängten, würde dieses vermutlich in naher Zukunft von Zyklopäern gar nichts mehr halten. Und hier war sie, in dem [[Palazzo ya Pirras|Palazzo]] einer [[Haus ya Pirras|Patrizierfamilie]]. Sie konnte nur hoffen, das Niccolo dichthalten würde und sie irgendwie hier rausbringen könnte. Alles was sie jetzt tun konnte, war warten. <br> |
− | Und sie musste warten. Die Unterredung schien länger zu dauern und so langsam wurde Rahjadis ungeduldig. Ihr Vater hatte einmal beiläufig erwähnt, dass die ya Pirras auf ihre Familie nicht sonderlich gut zu sprechen waren und wenn sie sich richtig erinnerte gab es hier sogar eine eingeheiratete dylli Garén. Je mehr Gedanken sie sich darum machte, desto unwohler fühlte sie sich. <br> | + | Und sie musste warten. Die Unterredung schien länger zu dauern und so langsam wurde Rahjadis ungeduldig. Ihr Vater hatte einmal beiläufig erwähnt, dass die ya Pirras auf ihre Familie nicht sonderlich gut zu sprechen waren und wenn sie sich richtig erinnerte gab es hier sogar eine eingeheiratete [[Haus dylli Garén|dylli Garén]]. Je mehr Gedanken sie sich darum machte, desto unwohler fühlte sie sich. <br> |
Dann ging langsam die Tür zum Schlafzimmer auf und ein sichtlich mitgenommener Niccolo betrat den Raum. Er versuchte zu lächeln, aber es war mehr eine Grimasse. Schwer ließ er sich auf die Bettkante fallen und deutete mit seiner Hand an, dass Rahjadis neben ihm Platz nehmen sollte. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und schaute ihrem Gegenüber tief in die Augen. "Was ist geschehen, Liebster?", fragte sie besorgt. Niccolo sprach erst einmal kein Wort und nahm ihre Hände in seine. Dann hauchte er vorsichtig einen Kuss auf beide Handrücken. | Dann ging langsam die Tür zum Schlafzimmer auf und ein sichtlich mitgenommener Niccolo betrat den Raum. Er versuchte zu lächeln, aber es war mehr eine Grimasse. Schwer ließ er sich auf die Bettkante fallen und deutete mit seiner Hand an, dass Rahjadis neben ihm Platz nehmen sollte. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und schaute ihrem Gegenüber tief in die Augen. "Was ist geschehen, Liebster?", fragte sie besorgt. Niccolo sprach erst einmal kein Wort und nahm ihre Hände in seine. Dann hauchte er vorsichtig einen Kuss auf beide Handrücken. | ||
− | "Es sind Tumulte in der Stadt ausgebrochen. Mein Valerio ya Pirras|Onkel]] und die anderen Senatoren wurden des Verrats angeklagt und verhaftet. Mein [[Icaro ya Pirras|Cousin]] und seine [[Mireia ya Papilio|Frau]] sitzen im Magistrat fest. Und über das Schicksal meines [[Erdano ya Pirras|Vaters]] ist nichts bekannt." Seine Stimme brach ab und Traurigkeit übermannte ihn. Rahjadis nahm ihn in den Arm und spürte das Zittern seines Körpers. <br> | + | "Es sind Tumulte in der Stadt ausgebrochen. Mein [[Valerio ya Pirras|Onkel]] und die anderen Senatoren wurden des Verrats angeklagt und verhaftet. Mein [[Icaro ya Pirras|Cousin]] und seine [[Mireia ya Papilio|Frau]] sitzen im Magistrat fest. Und über das Schicksal meines [[Erdano ya Pirras|Vaters]] ist nichts bekannt." Seine Stimme brach ab und Traurigkeit übermannte ihn. Rahjadis nahm ihn in den Arm und spürte das Zittern seines Körpers. <br> |
Mit einem Mal straffte er sich wieder und schaute Rahjadis an. "Du musst nach Hause. Deine Familie wird vor Sorge umkommen. Sie haben doch keine Ahnung, wo du dich aufhältst." Er stand auf und ging zu einem Sekretär. Er öffnete eine Schublade nach der anderen. Kurz hielt er inne und holte dann eine Dolchscheide, welche aus feinsten Leder gearbeitet war, hervor. Das Heft bestand aus ineinander verschlungen Rosenranken. Er holte die Waffe kurz hervor und betrachtete es von beiden Seiten. Danach reichte er beides Rahjadis. "Zu deiner Verteidigung. Ich weiss nicht, was uns in den Straßen erwartet." Sie nahm den Dolch entgegen und schaute betreten zu Boden. "ist das nötig? Können wir nicht einen Boten zu meiner Familie schicken und ich bleibe hier? Bei dir." Niccolo legte sich gerade seinen Waffengurt an. "Möchtest du das denn? Bist du dir da sicher?" Rahjadis nickte. "Ich denke, hier ist es für mich sicherer, als momentan in den Straßen." <br> | Mit einem Mal straffte er sich wieder und schaute Rahjadis an. "Du musst nach Hause. Deine Familie wird vor Sorge umkommen. Sie haben doch keine Ahnung, wo du dich aufhältst." Er stand auf und ging zu einem Sekretär. Er öffnete eine Schublade nach der anderen. Kurz hielt er inne und holte dann eine Dolchscheide, welche aus feinsten Leder gearbeitet war, hervor. Das Heft bestand aus ineinander verschlungen Rosenranken. Er holte die Waffe kurz hervor und betrachtete es von beiden Seiten. Danach reichte er beides Rahjadis. "Zu deiner Verteidigung. Ich weiss nicht, was uns in den Straßen erwartet." Sie nahm den Dolch entgegen und schaute betreten zu Boden. "ist das nötig? Können wir nicht einen Boten zu meiner Familie schicken und ich bleibe hier? Bei dir." Niccolo legte sich gerade seinen Waffengurt an. "Möchtest du das denn? Bist du dir da sicher?" Rahjadis nickte. "Ich denke, hier ist es für mich sicherer, als momentan in den Straßen." <br> | ||
Niccolo lächelte. "Du findest Schreibzeug und alles weitere in meinem Sekretär. Ich sorge für einen Boten." Er legte den Waffengurt wieder ab und nahm sie in den Arm. Dann hob er ihr Kinn und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. | Niccolo lächelte. "Du findest Schreibzeug und alles weitere in meinem Sekretär. Ich sorge für einen Boten." Er legte den Waffengurt wieder ab und nahm sie in den Arm. Dann hob er ihr Kinn und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. |
Version vom 18. September 2023, 21:46 Uhr
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30. Rahja, das Reinigungsfest
Der Senat von Efferdas
Von draußen klangen hundertfach Schreie in den marmornen Sitzungssaal des Senates. Er konnte nicht sagen, dass er sich an diese gewöhnt hatte, aber sie waren im vergangenen Jahr keine Seltenheit mehr. Viele schreiten vor Schmerz, weitere vor Kummer. Doch heute waren sie zahlreicher und verzweifelter als je zuvor. Und wenngleich er seinen Platz auf den Stufen dieses Gebäudes erst seit einem Monat innehatte, sprach sein Blick von Reue und Verzweiflung. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie hatte er es so weit kommen lassen können? Was jetzt geschah, war vielleicht sogar das logische Ende einer Entwicklung, die mit dem Erdbeben vor etwas mehr als einem Jahr seinen Anfang genommen hatte. Seitdem hatte die Angst Einzug in die Stadt gefunden und die Gier nach schnellen, radikalen Lösungen für ihren Weg aus der Not hatte viele das Miteinander vergessen lassen. Unter der Devise „mich wird es schon nicht treffen“ hatte es inzwischen jeden in der Stadt sehr wohl getroffen. Die Rondrikan-Löwen hatten ganze Arbeit geleistet, sich inzwischen einmal komplett durch die Bevölkerung geprügelt, beleidigt, erpresst und geplündert. Man hätte sie vielleicht viel früher in ihrem Tun stoppen müssen. Vielleicht hätte er etwas tun müssen. Seinen Vater vielleicht früher zum Rücktritt aus dem Senat drängen sollen, um sich selbst diesem Chaos entgegen zu stellen. So aber erlebte Croënar di Camaro eine Perversion des Reinigungsfestes, welches er sich so in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte erdenken können.
Für gewöhnlich verbringt man in Efferdas den Tag des hesindegefälligen Festes mit einem Hausputz und der rituellen Reinigung der Tempelschätze. Nicht nur Unrat wird feierlich vor dem grünen Platz verbrannt, auch von Tand und Plunder, der einem materiell oder seelisch Ballast geworden ist, befreit man sich auf diese Art. So soll, heißt es, das Böse und Dunkle aus dem Haus getrieben und gebannt werden. Und so wie das Volk die eigene Wohnstatt pflegt und hegt, so trachten die Priester der Zwölfe danach einander bei der Purgato* der heiligen Tempel zu übertreffen. Statuen, Bildnisse, Devotonalien – alles blitzt und blinkt, so dass es manchen Gläubigen blenden mag, wenn er die Hallen in dieser Schönheit bei seinem Besuch erstrahlen sieht. Kurzum: Die Stadt gleicht einem emsigen Bienenhaufen, der sich herausputzt und der Dunkelheit der Namenlosen Tage rein und geläutert trotzen will.
Auch im Senat wird in der traditionell letzten Sitzung des Jahres zum Ende symbolisch ein Pamphlet verbrannt, welches alle gescheiterten Anträge und Einwürfe des Jahres auflistet. Doch in diesem Jahr brannte etwas anderes: Lodernde Flammen schlängelten sich als eilig errichteten hölzernen Barrikaden in den Gassen der Stadt empor, griffen auf Häuserzüge über und verwandelten Teile seiner Heimatstadt in eine tödliche Feuersbrunst. Doch noch viel schlimmer, die Werte und Worte der Republik, ihre Constitutio , die sich ihrer Jugend und Freiheit in der Coverna rühmte, standen in Flammen!
Ein kräftiger Fußtritt in den Rücken des Senators weckte diesen aus seinen Gedanken. „Los, du Verräter!“ Der Säbel des Söldlings ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Raubein den Senator di Camaro an dessen neuen Arbeitsort eskortieren wollte – einer Kerkerzelle im Keller. Auch um ihn herum hatten Soldaten der Republikanergarde anderen Senatoren unmissverständlich klar gemacht, dass sie das Ende dieser Senatssitzung nicht an dieser Stelle erleben würden. Wohlgemerkt den wenigen Senatoren und Beamten, die noch geblieben waren. Ja, Valerio ya Pirras, Cordovan di Malavista, Hesindio Vinarii und Dettmar Gerber hatten sich diese Sitzung sicher auch anders erhofft. Doch Celestina Kanbassa, Bran ya Bocca, Vitello Slin, Massimiliano Changbari oder Barabo di Punta hatten die Stadt schon vor Wochen und Monaten verlassen müssen. Und mit ihnen mindestens zwei Dutzend Beamte, die seitdem das Behördentum fast zum Erliegen brachten und dem Treiben der „Goldenen Löwen“ unter Giacomo d'Oro entsprechend kaum etwas entgegenstellen konnten. So verhallte auch jeglicher Protest unbeachtet, als urplötzlich Serafanos, der Vertreter Halca Thirindars mit den Rondrikan-Löwen im Schlepptau den Senat betrat und den anderen die Beteiligung an einem Mordkomplott an Baron Eslam von Efferdas vorgeworfen hatte.
Der Vorwurf war lächerlich. Und die Motivation dahinter offensichtlich. Die Spatzen pfiffen von den Dächern, dass Baron Eslam heute verkündet hätte, dass die Senatswahl in drei Monaten nicht wie erst angedacht ausgesetzt würde. Die Stimme des Volks war zu laut geworden, der Druck zu stark gewachsen. Spätestens mit einem Alrik Binder als Senator wären die Zeiten der „Investigatoren“ vorbei gewesen. Doch ein Mordkomplott? Das war nichts anderes als ein Vorwand, um den Baron „aus Sicherheitsgründen“ an einen unbekannten Ort verschleppen zu können, wie ihm beim Vorbringen der Anschuldigungen schnell klar wurde. Doch was konnten die verbliebenen Senatoren tun als sich einstweilen in ihr Schicksal ergeben? Männer und Frauen des Senatsbanners, an sich verantwortlich für die Sicherheit der vom Volk gewählten Vertreter, hatten ihren Eid gegenüber der Republik wohl hintangestellt und sich der Sache ihres Hauptmanns Rondrigo d'Oro, oder vielmehr der seines Vaters Giacomo, angedient. Nicht allzu verwunderlich, nachdem Verlassen Desiderias di Punta waren sie das einzige Banner der stolzen Republikanergarde, das noch Sold erhalten hatte. Zweifellos hatten sie dies ihrem Marinaio und seiner umtriebigen Familie zu verdanken. Diesen Dank zu vergelten, waren sie nun offenbar nur allzu bereit. Sie zögerten nicht der Anweisung Serafanos Thirindars nachzukommen und die anderen Senatsmitglieder zu verhaften. Darunter auch Cordovan di Malavista, Marinaio der Efferdischen Garde. Womit klar war, wer nun nicht zur Hilfe eilen würde. Wobei der Gedanke, dass die persönliche Garde Elanor von Efferdas‘ FÜR den Senat eintreten würde eh nie mehr als ein frommer Wunsch gewesen wäre.
Das musste Croënar dem Sohn Halca Thirindars zugestehen. Er hatte es hervorragend verstanden, innerhalb eines Jahres die gesellschaftlichen Strukturen von Efferdas komplett auszuhöhlen. Erst brachte er die Rondrikanlöwen sowie die Hylailer Seesöldner auf seine Seite, dann wurde die Admiralität zur Piratenjagd verleitet, die Niedergeschlagenheit des Tempelvorstehers der Efferdkirche schadlos ausgenutzt, der Popoli gegeneinander ausgespielt und unterdrückt, ehe schließlich auch die Regimenter unterwandert wurden und wichtige Amtsträger aus der Stadt vertrieben werden konnten. Und nun ein Staatsstreich! Ärgerlich, dass er erst jetzt all dies in ganzer Klarheit vor sich sah und verstand! Er konnte sich kaum vorstellen, dass allein die Thirindar und ihre Schergen hinter dieser Kabale steckten. War dies etwa ein Einstandsgeschenk des neuen Seekönigs? Waren die Zyklopen jetzt auf einmal expansiv? Wenn ja, dann war dies eine beeindruckende Demonstration ihrer neuen Macht.
„Damit werdet ihr nicht durchkommen! Das Volk von Efferdas liebt seine Freiheit und wird euch damit nicht durchkommen lassen. Sie werden euch bekämpfen, denn sie glauben an diese Republik!“, protestierte Dettmar Gerber lautstark zu Croenars Linken und kassierte dafür einen üblen Kinnhaken von seinem Bewacher. Hart schlug der Senator mit dem Kopf auf dem weißen Marmor des Senatsforums auf und blieb bewusstlos liegen. Der Söldner packte ihn nun bei den Füßen und schleifte ihn Richtung Ausgang, eine Spur aus Blut zurücklassend. Serafanos betrachtete die Szenerie gleichgültig. Dann wandte sich der hagere, bleiche, etwa dreißig Götterläufe zählende Mann mit den dunklen Locken an seine Gefangenen. „Ihr hattet schon immer zu viel Vertrauen in eure räudigen Pisspagen“, murrte er nur. „Ihr solltet alle nicht vergessen, dass es die Schwäche des Volkes von Efferdas war, die all dies ermöglichte. Ein Unglück reichte und sofort war all ihre ach so wertvolle Moral und Freiheit vergessen, schon sehnten sich die Menschen nach einer festen Hand, die ihre Geschicke leitet und sie durch die Dunkelheit der Geschichte führt!“ Ein leichtes triumphierendes Lächeln ließ seine Lippen kräuseln. „Ihre sich so wichtig nehmenden Senatoren jedoch entpuppten sich als Geizhälse, Betrüger und nun auch noch Mordbuben. Solch eine Freiheit ist wertlos. In Zeiten der Not zeigt sich der Wert des alten Adels. Und die wird das Haus Efferdas ihnen nun wieder geben!“ „Niemand hier hat dem Baron nach dem Leben getrachtet. Und das wisst ihr, Serafanos!“, zischte ihm Croënar entgegen, wofür er einen Klaps von seinem Bewacher erhielt. „Ach, Senator di Camaro. Von allen werden sie euch dies am wenigsten glauben. Euer Vater hat die Stadt im Stich gelassen, als es gegen Piraten gehen sollte, euer Neffe hat sie im Stich gelassen, als sie jemanden brauchten, der ihnen ihren Glauben zurückgeben sollte. Und jetzt, wo wir hier sprechen, verkündet Violetta d'Oro in der ganzen Stadt von eurer jüngsten Missetat. Ihr Pfeffersäcke seid nichts weiter als eine großmäulige Plage und es hat sich gezeigt, dass die Götter ihre Wahl mit Bedacht getroffen haben, als es darum ging, wer die Menschen führen soll. Euer Machwerk hier hat nun ein Ende. Und ihr werdet sehen, dass euer Volk euch sehr schnell vergessen und seinen neuen Herren zujubeln wird. Und nun führt diese Verräter endlich ab…“
Derweil auf dem Platz der Republik
Vor den Stufen des Senats erklang derweil die Stimme Violetta d'Oros. Sie mochte vor einer größeren Menge an Leuten sprechen, aber kaum einer hörte zu, was vor allem daran lag, dass sie von den Rondrikan-Löwen gerade windelweich geprügelt wurden. Eigentlich hatten sie sich versammelt, um sich zu vergewissern, dass Eslam von Efferdas auch wirklich die Durchführung der Senatswahlen verkünden würde. Doch schnell sahen sie sich vom Söldnerbanner des goldenen Löwens umstellt. So verhasst das Söldnerbanner unter dem geknechteten Volk Efferdas‘ auch gewesen sein mochte, so überlegen war es den unbewaffneten und friedfertigen Bürgern doch. Nun, so schien es, trachteten die Löwen danach, das Volk nun restlos zu brechen. Wer sich von der Massenkeilerei am Senatsvorplatz noch entfernen konnte, erlebte nun eine Treibjagd durch die engen Gassen der Stadt. Immer wieder versuchten die Verfolgten Barrikaden aufzubauen und hinter ihnen Schutz zu suchen, doch die Söldner schreckten auch vor dem Legen von Feuer nicht zurück und so brannte es an diversen Stellen in der Stadt lichterloh.
Und da, wo die Stadt Violetta nicht hören konnten, vernahmen sie es über andere Herolde, die dem Volk klar machten, dass es kein Entkommen geben würde. Der Senat wäre ein Haufen voller Mörder, die versucht hätten, den Baron zu töten. Um all dies aufzuklären, wäre eine Ausgangssperre über die Stadt erhoben worden. Der Hafen wäre unter der Kontrolle der Hylailer Seesöldner, die Stadttore in der Hand der Rondrikan-Löwen und vor den Toren würden alle Flüchtenden die Söldner des Tarquinio della Pena erwarten, welche auch das Umland der Stadt entsprechend abgeriegelt hätten.
In der Villa Camaro
„… aber keine Sorge, dies alles geschieht nur zu eurem Schutze, um die Mordbuben ausfindig zu machen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Also, geht alle nach Hause. Dort seid ihr sicher. Und vergesst nicht, morgen ist der erste Namenlose Tag. Da wärt ihr eh zuhause geblieben. Stellt euch einfach vor, dass die Namenlosen Tage ein wenig früher anfangen.“
Kopfschüttelnd hatte Dartan di Camaro die Worte dieses Herolds vom Balkon seines Zimmers in der Villa Camaro zur Kenntnis genommen. Wie konnte es dieser Söldner aus dem Banner der Rondrikan-Löwen nur wagen, solche Nachrichten durch den Stadtteil Residencia zu brüllen. Doch ein Blick vom Balkon über die Stadt verriet ihm, dass es nicht gut aussah. Er konnte die zahlreichen Seesöldner im Hafen sehen und der Kampfeslärm aus dem benachbarten Stadtteil zog bis zu ihm herauf. Die schwarzen Rußwolken über der Stadt verdunkelten den Himmel in ein bedrohliches Grau. Und ja, ab morgen würde sich ein violett dazu gesellen. Welch tödliche Mischung. Dartan begab sich zurück ins Haus, wo einige Familienmitglieder ihn bereits mit besorgten Augen anblickten.
„Es ist verheerend“, kommentierte er das Gehörte und Gesehene nur knapp, auch die anderen hatten natürlich mitbekommen, was der Herold von sich gegeben hatte.
„Mein Mann ist kein Mörder“, schüttelte Cassiopeia Trenti unverständig den Kopf. „Jeder, der ihn kennt, weiß das. Was soll das ganze nur?“
„Natürlich ist er das nicht, aber darum geht’s gar nicht. Das Ganze ist ein lupenreiner Staatsstreich. Und es dürfte nicht lange dauern, ehe die Löwen auch vor unserer Tür stehen“, grummelte Dartan.
„Dann lass uns eiligst die Stadt verlassen, lass uns zu Mama und Papa nach Lacrimento gehen“, warf seine Schwester Phelippa ein.
„Das wäre das Schlechteste, was wir momentan tun könnten“, warf Vigo, der jüngste von Estebans Kindern ein. „Wenn vor unseren Toren wirklich ein urbasisches Söldnerheer steht, dass jeden abfangen soll, der versucht, die Stadt zu verlassen, wäre eine Senatorenfamilie auf der Flucht Wasser auf die Mühlen. Zumal wir so ihren Herolden ja auch noch recht geben und alles aufgeben, was hier aufgebaut wurde. Die Symbolwirkung auf die Stadt wäre kaum auszumalen. Wir würden vermutlich nie wieder nach Efferdas zurückkehren können.“
Cassiopeia blickte auf ihre beiden Kinder, die am anderen Ende des Raumes miteinander spielten. Man merkte auch der sechsjährigen Ardare an, dass sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Entsprechend blickte sie etwas besorgt auf ihre Mutter zurück. Genau so schien sich der vierjährige Genaro davon etwas anstecken zu lassen, es war kein unbesorgtes, freudiges Spielen wie sonst.
„Und was sollen wir sonst tun? Ich kann und werde meine Kinder nicht den Löwen überlassen“, stellte Cassiopeia klar.
„Natürlich nicht! Wir müssen die beiden irgendwo in der Stadt in Sicherheit bringen.“
„Nur gibt es diesen Ort aktuell nicht, Dartan“, wandte Vigo ein.
„Dann müssen wir eben einen schaffen. Diese ganze Sache kann nur beendet werden, indem wir die d’Oros aufhalten, den Baron befreien und Serafanos in Gewahrsam nehmen können.“
„Wir und welche Armee?“, spöttelte Phelippa. „Das ist doch völlig utopisch. Die sind uns haushoch überlegen! Die Sache ist längst verloren, wir sollten die Stadt noch verlassen, solange es geht.“
„Und unseren Bruder seinem Schicksal überlassen? Oder die Efferdasi, denen wir unseren Reichtum verdanken? Das kommt nicht in Frage!“, machte Dartan klar.
„Nun, einfach wird es nicht, aber tatsächlich glaube ich, dass es noch so manch andere gibt, die von diesen Ereignissen wenig begeistert sein dürften. Wenn wir es schaffen, diese Kräfte in der Stadt zu bündeln und in irgendeiner Form auszurüsten, sodass sie etwas standhalten können, bis die Camarino von der Piratenjagd zurückkehrt, dann geht da vielleicht was“, versuchte Vigo etwas Hoffnung zu verbreiten.
„Und wann kommt Cesareo mit der Flotte zurück?“, traute sich Cassiopeia fast nicht in die Runde zu fragen.
„Wochen? Monate? Das weiß leider keiner“, war Phelippa den Tränen nahe.
„So viel steht fest, solange wir hier nur rumsitzen, hat Serafanos bereits gewonnen. Cesareo mag noch unterwegs sein, aber jemand von uns könnte schon mal zu Neetya Vinarii gehen. Die Delphinoccospieler hinter uns zu wissen, wäre schon mal ein schlagkräftiger Anfang. Cassiopeia, du könntest zu Madalena gehen und schauen, ob die Familie Trenti irgend etwas tun kann. Vigo, du könntst versuchen, ob du es packst, dich in die Efferdgrotte zu schleichen. Wir müssen irgendwie Efferdobal zu Besinnung bringen. Wenn eine der Kirchen das Volk zum Widerstand aufruft, hat das Gewicht. Wir sollten auch bei einigen der anderen großen Familien anklopfen. Ich denke, die wenigsten von denen haben ein Interesse an einer solchen Ausgangssperre.“
„Meine Güte, Dartan, du willst, dass das Volk von Efferdas sein Leben aufs Spiel setzt und einen Straßenkrieg für uns durchführt? Während der Namenlosen Tage? Was noch? Ein Spontanbesuch des Horas?“
„Genau das, Phelippa, Genau das! Weil es das Einzige ist, was wir tun können. Den Leuten zeigen, dass es sich lohnt, für die Republik Efferdas zu kämpfen. Oder was dir gerade wichtig ist. Also los. Lasst uns Verbündete suchen und einen sicheren Hafen erbauen.“
Der letzte Efferdas in Freiheit
„Solch eine Freiheit ist wertlos. In Zeiten der Not zeigt sich der Wert des alten Adels. Und die wird das Haus Efferdas ihnen nun wieder geben!“ Der Wert des alten Adels. Damit konnte sein nichtsnutziger Neffe kaum gemeint sein, war sich Ebius von Efferdas sicher. Wenn jemals offenbar geworden war, dass eine Abstammung allein noch keinen Wert darstellte war dies in den letzten Monden offenbar geworden. Und nun war sein Neffe bei dem verzweifelten Versuch, die Folgen seiner Selbstsucht in einer verzweifelten Tat ungeschehen zu machen, selbst zum Opfer geworden. Zu schade, dass Mama in Belhanka weilte. Des Senators liebe Schwester hatte ihren Sohn stets zu nachsichtig behandelt und die Wogen geglättet, die seine Zügellosigkeit verursacht hatte. Sollte er sich doch selbst herauswinden. Mehr Sorgen machte er sich schon um seine Nichte Orleane. Sie hatte sich schon vor Monden im Magistrat quasi verschanzt.
Ebius hoffte inständig, dass die Lanze der efferdischen Garde, die ihre Bedeckung darstellte, treu geblieben war -anders als das Senatsbanner. Wie war es überhaupt um die Treue der efferdischen Hausgarde bestellt? 5 Lanzen befanden sich in Ranaqídes, die Wachen der Residenz waren entweder übergelaufen oder in Kämpfe verstrickt, der Rest sicher wahrscheinlich auch. Könnte er nach Ranaqídes entkommen, würde ein Reiter wahrscheinlich am nächsten Morgen in Belhanka sein, doch wie lange würde es dauern, Hilfe während der namenlosen Tage zu mobilisieren? Oder sollte er versuchen sich zum Magistrat durchzuschlagen? Oder zunächst seine stets so hoch geschätzten Mitsenatoren befreien? Wofür er sich auch entscheiden sollte, es würde alsbald geschehen müssen. Ewig würde er sich nicht durch Magie unsichtbar hinter dieser Säule verstecken können. Also würde er handeln und seine Schmach von vor 22 Jahren endlich vergessen können. Er war der letzte handlungsfähige Efferdas in dieser Stadt und er würde den Wert seines Hauses unter Beweis stellen.
Haus Ventargento
Xana Ventargento rief ihre Familie zu sich, als die Stadt brannte. Sie hatte schon kurz vorher die Rauchsäule über der Stadt gesehen und dann den Jungen, der die Schuhe putzte, los geschickt. Nachdem er ihr keuchend und außer Atem berichtet hatte, schickte sie ihn fast sofort schon wieder los. Nur diesmal zum Kontor im Hafen, um die Familienmitglieder, die nicht in der Villa Ventargento gewesen waren, auf schnellstem Wege zu ihr zu bringen.
Sie war bestürzt, denn sie hatte gehofft, das ihre ersten Jahre als Familienoberhaupt in Efferdas möglichst ruhig sein würden. Doch so hatten die Zwölfe es wohl nicht gewollt.
Also galt es erstmal Schäden zu begrenzen. Das hatte Casimo auch immer gesagt, bis sie ihn nach Vinsalt geschickt hatte. Sie würde seinen Gesichtsausdruck nie vergessen, aber das war jetzt unwichtig. Sie formte ihr Gesicht zu einer Maske aus Kälte und Kontrolle, genau wie er es damals stets getan hatte. Jetzt Konzentration.
Xana öffnete die Tür und ihre Schritte klackten auf dem Boden des Salon. Sie musterte alle, die da waren, es war der größte Teil der Familie. Eigentlich alle außer Badvin. - Eadwin betrat den Raum als letztes. "Meine Damen und Herren", erhob sie ihre Stimme, "ich denke, ihr habt alle bemerkt, das es ein paar kleinere Probleme gibt, welche sich gerade in der Verhaftung des Senates, einer allgmeinen Ausgangssperre und - das ist an dieser Stelle vielleicht das wichtigste - einer Meute Randalierender, Plünderungen und sich ganz im allgemeinen unangenehm Benehmender niederschlägt. Hat Jemand Vorschläge?"
Erst entstand eine Stille von einer Tiefe, so dass man den Koch im Keller beim Schneiden des Gemüses während der Zubereitung des Mittagsmahls hätte hören können. Eine Hand hob sich. "Ich meine solche Dinge, welche sich in aktiver Weise von den Dingen unterscheiden, welche wir gerade unternehmen." Die Hand senkte sich wieder.
"Nun, wäre es nicht sinnvoll zuerst einmal herauszufinden wer eigentlich wer ist? Ich meine, es wird ja nicht so sein, dass diese Söldner, die durch die Stadt ziehen, hier völlig zufällig sind." Dieser Einwurf stammte von Alfonso der sich einen blauen Fleck auf der Stirn rieb und leise fluchte. Xana war verwundert, begnügte sich aber mit der Aussage, dass er eine Meinungsverschiedenheit gehabt hatte.
Eadwin hob die Hand. "Was willst du?", knurrte Alfonso.
Eadwin lächelte. "Nun drei Dinge: Erstens solltest du vielleicht zum Ort deiner sogenannten "Auseinandersetzung" zurückkehren und deine Manieren mitsamt Selbstbeherrschung vom Boden aufsammeln. Sie wären zwar etwas schmutzig, aber besser als das jetzige Ergebnis." Alfonso blickte noch finsterer. "Zweitens bin ich zwar in die Handelsangelegenheiten dieser wunderbaren Familie nicht wirklich eingeweiht, doch weiß ich, dass wir ein Kontor im Hafen haben und dass, wie von dieser Blume der Freundlichkeit und der genauen Beschreibungen gesagt", er machte eine Handbewegung in Richtung von Xana, "eine gewisse Menge an, wie ebenfalls erwähnt, plündernden Söldnern durch die Stadt ziehen. Wäre dieser für diese nicht auch ein recht angenehmes Ziel und für uns ein recht unangenehmes?" Seine linke Augenbraue hob sich um eine perfekte Winzigkeit. "Und dann wäre da noch die Angelegenheiten dieses Hauses welches zwar, soweit ich weiß, nicht mit wertvollen Tuch ist jedoch voll mit uns. Ich befand dies als erwähnenswert", sagte er und setzte sich wieder.
Nevinia Ventargento schob die Berillgläser auf ihrer Nase nach oben und erhob sich.
"Ich denke zu zweiterem kann ich eine eine hilfreiche aussage mache." Die gesamte Gruppe der Hochseeblauen begann zu grinsen und wurde leicht unruhig.
"Es ist so das der größte teil unserer Tuchbestände auf den Schiffen Familie A'Temelon auf dem Weg vom Mittelreich zurück zu uns, nur jetzt in Form von Dukaten und Silberlingen." "Das ist doch angenehm, jetzt müssen wir uns nur noch Sorgen darum machen, dass wir alle ausgeraubt und massakriert werden." Darauf hin entspann sich wieder ein langes Schweigen, während sich Helmar Ventargento erhob und sich leicht verneigte. "Was das angeht kann ich euch weiterhelfen, wenn es euch genehm ist." Xana Ventargento hob die Augenbrauen. "Ach, du, Helmar Ventargento, hast tatsächlich einmal etwas nützlich beizutragen?"
"Tatsache meine liebe Schwester, ich tue das. Wenn ihr bitte eure Schritte in die Richtung unserer Eingangshalle wenden würdet." Sprach er und deutete mit großer Geste auf die Tür. Nach einem kurzen Gestoße und verwundertem Gemurmel wanderte die gesamte Familie in einer kurzen Prozession durch die Tür, die aber fast sofort wieder ins Stocken geriet als die ersten Familienmitglieder durch die Tür schritten. Zwei Reihen aus je fünf grimmig wirkenden Mänern und Frauen mit Hellebarden und Armbrüsten standen, in Habachtstellung, in der Mitte der Halle. Die gesamte Gruppe wannte sich mit gehobenen Augenbrauen und anderweitig erstaunten Gesichtsausdrücken Helmar Ventargento zu.
"Nun," sprach Helmar, baute sich vor ihnen auf und hob die Arme mit einem breiten Lächeln. "Ich nenne sie die Winde der Ventargento."
"Und wo hast du in diesem denkbar günstigsten Moment Soldaten her?", kam ein Zwischenruf vom gerade den Raum betretenden Badvin Ventargento.
"Ich habe sie aus der Stadt Garde, ich habe sie schon seit einigen Monaten bezahlt, weil ich etwas mitbekommen habe und für den Fall, dass es nichts gewesen wäre, lass ich sie da einfach weiter arbeiten."
"Ach du hast also etwas mitbekommen sagst du?" Zudra Ventargentos Stimme war so skeptisch, dass man meinen könnte, er habe behauptet beim Horas handle es sich um einen Oger und dessen Mutter sei ein Lurch.
"Ach, ihr kennt doch mein Motto." Ein gewinnendes Lächeln erstrahlte auf seinem Gesicht. "Man sollte alle Quellen des Wissens sprudeln lassen, keiner von ihnen trauen, sich jedoch auf fast alles vorbereiten."
"Ist aber ein recht langes und geschwollenes Motto."
"Jedoch hat es dazu geführt, dass wir eine Gruppe aus zehn Gardisten zu unserer Verfügung haben," sprach er fast schon beleidigt und schritt von dannen.
Kurze Zeit später
"So, nachdem wir das jetzt geklärt haben und uns alle wieder beruhigt haben, können wir darüber sprechen was wir nun tun wollen."
„Ich," Xana Ventargento legte ihre Hand mit gespreizten Fingern auf ihr Brust, "schlage vor, dass wir versuchen in dieser unsicheren Zeit einige Freunde zu finden, welche uns weiter unterstützen und die wir unterstützen können, bevor wir irgendetwas anderes unternehmen. Wir werden nun Kontakt zu allen großen Familien aufnehmen und versuchen herauszufinden wer was unterstützt und wer nicht. - Nun denn, wir treffen uns," sie sah kurz ins Leere, "Morgen gegen Mittag wieder, bis dann."
Helmar Ventargento wollte sich gerade auf den Weg machen als sich eine gepflegte Hand auf seine stilvolle, schwarz berobte Schulter legte. Es war Eadwin welcher mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen hinter ihm im Gang stand. "Nun Helmar ich will ja nicht andeuten, dass du in irgendeiner der von uns unwürdigen Sterblichen erlernbaren Fähigkeiten nicht ein Meister wärst, jedoch wollte ich dir einige Freunde an die Seite stellen," sagte er und trat zur Seite. Zwei, gut zwei Schritt große und halb so breite Männer, in schwarzer Kleidung füllten den gesamten Korridor aus. All ihre Gesichter waren vernarbt und jedem fehlte mindestens ein Zahn.
"Ah, mein lieber Eadwin es ist nur so, dass ich einen recht kleinen Kreis aus möglichen Freunden, jeder dieser möglichen Freunde muss bestimmte Fähigkeiten haben und bestimmte andere nicht. Zufälligerweise scheinen deine Freunde auf den ersten Blick weder die nötigen Fähigkeiten, noch scheinen sie die Fähigkeiten die ich verabscheue nicht zu haben."
Helmar riss sich von Eadwin und schritt auf die Tür zu. "Helmar! Was würdest du tun, wenn du zufällig auf einen Trupp Söldner triffst?" Helmar erstarrte, darüber hatte er tatsächlich nicht nachgedacht. "Na gut Eadwin, ich nehme sie mit wenn ich sie dann nicht wieder sehen muss.
Helmar Ventargento klopfte an die Tür des Palazzo des Hauses ya Pirras. Helmar's Robe war in Unordnung geraten und ein leicht blutender Schnitt zog sich über sein Arm. Dann öffnete die Tür sich.
Kurze Zeit später saß er in einem gemütlichen Ohrensessel in einem der Studierzimmer des Palazzo und wurde am Arm verbunden. Der Medicus prüfte noch einmal den Sitz des Verbands und nickte. "Das sollte erst einmal ausreichen. Die Wunde ist nicht so tief und jetzt erst einmal gereinigt. Die Salbe tut ihr Übriges."
"Danke Hesindio, ich denke, unser Gast wird sich bei Gelegenheit erkenntlich zeigen", sprach die Frau, die ihm gegenüber saß. Der Angesprochene nickte und entfernte sich aus dem Zimmer.
Nissara ya Pirras wirkte sichtlich nervös und ihre Stimme zitterte leicht.
"Was macht ihr hier, junger Mann? Seid ihr von Sinnen? Euch bei dieser prekären Lage in der Stadt aus dem Haus zu trauen." Helmar blieb keine Zeit Luft zu holen, so sehr bestürmte ihn Nissara mit Fragen über das Wohlergehen seiner Familie, die Situation in der Stadt und zu guter Letzt die Frage, die ihr wohl am meisten auf der Seele brannte - ob er etwas über ihren Mann oder einem der anderen verschollenen Mitglieder des Hauses ya Pirras wusste.
Helmar ließ das beruhigendste Lächeln erstrahlen, das er zur Verfügung hatte und setzte sich gerade hin. Was für sich, in diesem Sessel, schon eine Leistung war und begann zu sprechen: "Also um die erste eurer Fragen zu beantworten, habe ich die Ehre Helmar Ventargento zu sein. Welcher sich im Auftrag des Oberhaupt der Familie Ventargento Xana Lovisa Salvia Venargento hier hin auf den Weg gemacht hat in der Hoffnung mehr zum Verbleiben exakt eures Mannes zu erfahren und darüber wie es zu dem Herumziehen einer Söldnertruppe in den Straßen unserer wunderschönen Stadt kam. Wobei ich jedoch auf dem Weg hier beobachten konnte wie eine kleinere Gruppe Kämpfer versuchte die Senatoren zu befreien. Könnte es sich bei diesen vielleicht um die loyalen Streiter eures Mannes handeln?"
"Unsere Hausgarde befindet sich vor Ort zum Schutze des Palazzo. Das letzte was ich von meinem Mann gehört habe ist, dass er zusammen mit den anderen Senatoren des Hochverrats angeklagt und verhaftet wurde." Kurz verdüsterte sich Nissaras Miene. "Dann habt ihr wahrscheinlich meinen Schwager Erdano, den Bruder meines Mannes, gesehen. Er ist der Kommandant eines Banners der Republikanergarde. War er verwundet? War er erfolgreich? ….."
Wieder wurde Helmar mit Fragen überhäuft, die er mehr oder weniger ausführlich zu beantworten wusste.
Dann hielt die Hausherrin auf einmal mit ihrem Redeschwall inne. "Aber sagt, woher stammt das Interesse eures Oberhauptes an unserem Schicksal? Weder zeigte Eure Familie bisher politische Ambitionen, noch ist euer Oberhaupt Teil des Senats?"
"Als die Priesterkaiser das Spiel verboten, begannen die Fischer Delphinocco zu spielen, obwohl sie das noch nie zuvor taten und ja, ist sie nicht. Zurück zu ersterem muss ich euch beichten, meine geehrte Schwester hat mich nie direkt zu euch geschickt. Ich sollte nur möglichst die wichtigsten Familien der Stadt aufsuchen und deren Meinung, Wissen und Vorhaben zu allem erfahren und bei dieser Vorgabe habe ich mich auf direktestem Wege zu diesem Hause hier aufgemacht." Eine Geste, die die ganze Stadt zu ersterem und den Palazzo zu zweiterem einschloss.
„Wo ich es gerade erwähne, ich muss nun weiter und bevor ihr euch Sorgen macht, dort warten einige Freunde auf mich. Vielleicht sehe oder höre ich ja etwas von eurem Mann oder Schwager in diesem Fall würde ich euch einen Boten schicken.“
Dies tat er mit einer Betonung, die zwar darauf hinwies, dass man ihm und nicht seiner Familie einen Gefallen schuldete, aber dies nicht zu sehr machte. Darauf hin stand Helmar auf und küsste ihre Hand.
In den Gassen der Stadt
Abelmir war verunsichert. Er war nie ein Freund von Unordnung gewesen, und dieses Chaos war wirklich schrecklich und jetzt sollte er auch noch hinaus aus dieser Oase der Ruhe und des Friedens. Zudem nicht um auf schnellstem Wege in das Kontor zu schleichen, sondern zum Haus der Familie A'Temelon. Was war das denn, warum sollte er das denn machen? Die Behauptung, dass er ja den Vertrag gemacht habe und dass man ihm wohl mehr vertrauen würde, war ja wohl fadenscheiniger als das Nachthemd eines Dockarbeiters, weil der ja keins hat. Pah, nur weil er nicht schnell genug auf jemand anderen gezeigt hatte, er hätte ja Helmar vorgeschlagen aber der war schon verschwunden gewesen. Sich derart bemitleidend lief er durch die Eingangshalle und erschrak sich fast zu Tode als sieben riesige Männer hinter den Säulen hervor traten und ihm so gut drei Meter von ihm entfernt den Weg versperrten. Hinter ihm öffnete sich eine Tür und Eadwin trat hervor.
"Abelmir, mein Freund. Bevor du gehst wollte ich dir noch einige Begleiter an die Seite stellen", sagte er und deutete auf die Sieben Männer. "Wir wollen dich doch wiedersehen."
Dies ging Abelmir durch den Kopf, als er über den schlaffen Körpern der drei Söldner stand. Nun, dachte er sich, er hätte sie nicht gesehen und sie hätten ihn einfach nieder gemacht aber sie hatten die Sieben von Eadwins Schlägern nicht gesehen und es hatte ihnen wohl nicht gut bekommen. Er machte sich schleunigst von dannen, denn das Haus der Familie A'Temelon war kaum noch zwei Straßen entfernt.
Als er dort ankam, klopfte er so lange wild an die Tür, dass sie sich erstens öffnete und zweitens seine Hand weh tat. Der Mann der öffnete trug eine weiße, um die Hüfte gegürtet Tunika mit einer Brosche auf der Schulter. "Was ist ihr Begehren?", fragte der Mann mit einem leichten zyklopäischen Akzent durch den Türschlitz. Abelmirs Stimmung war, während des Pochens gegen die Tür nicht umgeschlagen jedoch war er ein Ventargento und ein Ventargento hatte nach außen gefasst und kontrolliert zu wirken, also hatte er als er den Riegel gehört sich gestraft und auf passenden Abstand zur Tür gebracht um sich am besten zur Geltung zu bringen. "Ich habe viele Begehren. Meine zwei derzeitig größten sind, in dieser Reihenfolge, die Schwelle dieses Hauses zu übertreten und euren Herren zu sprechen."
Familie A'Temelon
Palamydes A'Temelon beriet sich mit seinen Familienmitgliedern. Genauer gesagt, er gab Befehle.
„Pylades, wir müssen aufpassen, dass unsere Wache nichts ohne Befehle unternimmt. Wenn sie sehen, das dort unten ihre ehemaligen Kameraden kämpfen, könnten sie sich dazu hinreißen lassen, einzugreifen. Befiehl ihnen, die aus dem Tor kommenden Flüchtenden abzufangen, bevor sie in die Söldner della Penas hineinlaufen. Iokaste, kümmere dich um ihre Versorgung, und schick Verletzte zu Nermaka.“
„Sollten wir unsere Truppe nicht lieber ebenfalls zur Verfügung stellen?“, fragte Philumena. „Wenn die Thirindar die neuen Machthaber sind, sollten wir uns nicht mit ihnen gut stellen? Wäre das nicht im Interesse des Seekönigs?“
Das alternde Familienoberhaupt schüttelte den Kopf: „Wir wissen nicht viel über den Zustand in der Stadt. Wenn wir jetzt die Thirindar unterstützen, verbauen wir uns Zukunftsoptionen. Wenn der Streich der Thirindar gelingt, können sie uns nichts vorwerfen. Sollte das Volk die Stadt zurückgewinnen, können wir uns immer noch auf ihre Seite schlagen. Aber bei all dem könnte es helfen, den Rest unserer Truppe als militärisches Gewicht zu haben. Pydilion, wann kehren die Schiffe zurück?“
„Nemesas kehrt vermutlich in einer Woche zurück, meine Schwester eher in drei.“ - „Dann müssen wir uns erstmal so halten. Admentos, du begibst dich in die Stadt. Wir haben noch nichts vom Efferdtempel gehört, und auch Memnon ist in die Stadt gegangen um eine Rede zu irgendeiner seiner politischen Ideen zu halten und ist noch nicht zurück. Nimm zwei Männer aus der Truppe mit und überzeug dich davon, das Menander in Ordnung ist, dann halt auf dem Rückweg nach Memnon Ausschau.“
„In Ordnung, Großvater!“
Das Treffen löste sich auf, als jeder der Anwesenden davonging, um seine Aufgaben zu erledigen. Pylades A'Temelon kam allerdings gut eine halbe Stunde später wieder, um zu berichten, dass die Tore von den Rondrikan-Löwen gehalten wurden. Dann lass unsere Männer dort in der Nähe, sodass sie jeden unterstützten können, der zu uns will, aber lass sie noch nicht direkt angreifen.", sagte Palamydes.
Vor dem Senat
Memnon A'Temelon war sauer. Normalerweise als Philosoph sehr um Ausgleich bemüht, war er das letzte Mal so wütend gewesen, als er seine Frau mit ihrem Verehrer im Bett erwischt hatte. Da wollte er eine klingende Rede am Senatsgebäude halten, über das republikanische System und seine Vorzüge, er wollte das Volk lehren und in ihren Herzen den Funken der Demokratie entfachen, und dann kam diese Violetta d'Oro mit ihren rüpelhaften Löwen und stieß ihn die Treppe des Senatsgebäudes herab. Während Memnon durch die Straßen eilte, sah er überall Flammen auflodern. Die Löwen waren von der Leine und ließen sich nicht wieder einfangen. Plötzlich erfasste er auch vor dem Tor einen Trupp Rondrikan-Löwen. Schnell blickte er sich um und erkannte über einem Tor das Wappen der di Camaro. „Nun, zumindest bei denen ist es unwahrscheinlich, dass sie etwas damit zu tun haben, also könnte ich dort sicherer sein“, sagte er sich, während er an die Tür klopfte.
Das Klopfen war im Inneren der Villa Camaro nicht so aufgenommen worden, wie Memnon A’Temelon sich das vermutlich erhofft hatte. Erschreckt drehten sich einige zur Tür.
„Sind das schon Löwen, um uns festzunehmen? Das wäre aber schnell gegangen“, nestelte Phelippa nervös mit ihren Fingern an ihrem Kleid. Sie war mit Dartan inzwischen alleine in der Villa, da Cassiopeia auf dem Weg zur Familie Trenti und Vigo auf dem Weg zu Alrik Binder war. Er selbst hatte sich bereits aufbruchbereit gemacht, um Neetya Vinarii einen Besuch abzustatten, während seine Schwester ihr Glück bei ihrem Onkel im Efferdtempel versuchen wollte. Da würde sie vor marodierenden Söldnern wohl sicher sein dachte sie sich. Aber kam sie nun gar nicht so weit? Ein Diener blickte durch das Fenster und wunderte sich.
„Es ist nur eine einzelne Person?“
„Die glauben hier nur mit einer Person auftauchen zu können? Das ist… arrogant“, schnaubte Dartan. „Wer ist es? Ein Kämpfer?“
„Ich würde sagen… nein… sieht mir eher wie ein Seemann aus“, notierte der Diener. „Ich kenne ihn nicht.“
„Der hat ja Nerven…“, blieb der Bruder des Senatoren grummelig, packte seine eh schon geladene Armbrust und ging nach oben zum Balkon. Die Fernkampfwaffe im Anschlag zielte er auf den ungeladenen Gast vor der Eingangstür. „Ihr habt euch verlaufen, stimmt's?“, gab er ihm nochmal eine Warnung. Memnon erschrak sichtlich.
„Entschuldigt! Ich wollte nur fragen, ob ich kurz die Sicherheit eures Hauses in Anspruch nehmen dürfte. Da hinten sind Soldaten… und sie sehen sehr gewalttätig aus.“
Verblüfft setzte er die Armbrust am Geländer des Balkons ab und verengte die Augen. „Was? Wollt ihr mich verarschen? Wer seid ihr?“
„Bei Hesinde, Memnon A’Temelon werde ich genannt.“
„Ihr seid Zyklopäer? Warum habt ihr dann Angst vor den Schergen des Thirindars? Der soll meiner Informationen nach mit Hylailer Seesöldnern wie euch sehr gut können.“
„Ich bin mitnichten ein Mann der See und mit Verlaub, wenn ich Mannen mit solch gewalttätiger Attitüde bei ihrem Tageswerk sehe, dann verlasse ich mich lieber auf meinen Verstand denn auf meinen Namen. Und mein Verstand sagt mir, dass ich Schutz benötige.“
„Da seid ihr hier falsch, Herr A’Temelon! Und das meine ich in aller travianischen Freundlichkeit, aber da die Löwen schon meinen Bruder, den Senatoren, verhaftet haben, darf man davon ausgehen, dass sie vor unserer Villa in absehbarer Zeit auch nicht halt machen werden.“
Memnon nickte. Seinem Anliegen nach Schutz würde die Villa Camaro wohl tatsächlich nur kurzfristig Dienst leisten können. Zudem wurde er gerade vom Hauseigner mit einer Armbrust bedroht, was auch nur bedingt eine Geste des Vertrauens darstellte. Er blickte sich um. Zu seiner Unbill bemerkte er, dass die Villen der Camaro und der di Onerdi direkt an der Klippe standen, zudem die Straße eine Sackgasse war. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er bei den di Onerdis die gleiche Begrüßung erhalten würde, somit sah er sich nun einem deutlich größeren Dilemma ausgesetzt. Der Rückweg war durch die Söldner quasi versperrt. Und er wollte sich nicht darauf verlassen müssen, dass sein Name ihn vor dessen Fäusten verschonte.
„Dann verzeiht die Störung, Herr di Camaro. Könnt ihr mir vielleicht etwas anderes empfehlen, wo ich Schutz finden könnte?“
Wieder schüttelte Dartan den Kopf. Der Mann schien ein Spinner zu sein, aber wenigstens harmlos. Das war ihm lieber als einen Kampf mit den Rondrikan-Löwen ausfechten zu müssen. „Nein, solange ihr kein guter Kletterer seid.“
Memnon stutzte. Interessant, dass er es erwähnte. „Ihr werdet es nicht glauben, aber ich bin in der Tat ein Kind der Klippe. Sprecht gerne weiter.“
„Wie ihr wollt. Das Rauschen, dass ihr von Westen her hört ist ein Wasserfall. Der Bisciardino sprudelt dort aus dem Felsen. Wenn ihr bis dorthin klettert, werdet ihr ein durchaus verzweigtes Höhlensystem vorfinden. Doch der Weg dorthin ist rutschig und glatt, ein falscher Schritt und ihr fallt in den sicheren Tod. Ich würde euch die Söldner empfehlen.“
Memnon nickte und grübelte. Welch schwere Wahl hatte er nun zu treffen. „Ich danke euch. Und möget ihr mehr Frieden erhalten, als ihr derzeit vermutet.“ Dartan hatte das schon gar nicht mehr abgewartet, sondern den Balkon verlassen und die Tür hinter sich geschlossen.
Tempel des Dreizacks
Als Admentos vor dem Tempel vom güldenen Dreizack ankam, erwartete ihn eine kleine Menschenmenge. Kurz erschrak er, stellte dann aber fest, dass es um keine weitere Rondrikan-Löwen handelte. Dann waren sie bis auf die kurze Begegnung am Tor, wo man sie nach kurzer Diskussion durchgelassen hatte, davongekommen. Die Leute waren größtenteils Bürger, die den Herrn Efferd um Schutz anflehten. Admentos konnte es ihnen nicht verübeln, war das was in der Stadt geschah doch ungeheuerlich.
Auf den Stufen befand sich auch sein Großonkel, der sich mit weiteren Mitgliedern des Tempels bemühte, die Menschen zu beruhigen. Als dieser ihn über den Platz erspähte, winkte er ihn zu sich hinüber. Leicht drängelnd und schubsend kletterten er und seine beiden Begleiter die Stufen hinauf. Als sich das Hauptportal hinter den vieren geschlossen hatte, veränderte sich die Miene Menanders. Er wirkte sehr besorgt.
„Wie geht es allen? Ist mit Palamydes alles in Ordnung? Und was ist mit Avenaria?“, sprudelten seine Sorgen nur so aus ihm heraus.
„Avenaria geht es gut, Palamydes auch. Uns geht es allen gut, mit Ausnahme vielleicht von Memnon, der sich noch irgendwo in der Stadt befindet. Wir machen uns mehr Sorgen um dich."
„Ach, selbst der verzweifeltste Efferder würde nicht auf die Idee kommen, dem Tempel oder seinen Priester etwas zu tun. Aber sag mir, wie steht unsere Familie zu den Geschehnissen? Du weißt, ich beschäftige mich nicht mit Politik.“
Der junge Mann seufzte. „Wie immer: sie können sich nicht einigen. Die einen sagen, dass wir den Thirindar und damit dem Seekönig helfen sollten, die Stadt zu kontrollieren, andere sehen unsere Handelsinteressen gefährdet, wenn wir uns nicht auf Seite der Efferder stellen, und wieder andere wollen das ganze aussitzen. Ich persönlich bin ja der Meinung, dass ein Scheitern des Putsches dank unserer Unterstützung uns zum Vorteil gereichen könnte, ich verstehe aber auch, dass wir dem Seekönig einiges schulden.“
„Verstehe, die Situation ist also verzwickt.“
„Ja, aber über die Namenlosen Tage wird vermutlich eh wenig geschehen, also haben wir genug Zeit uns eine Strategie zu überlegen. Sag mal, wie sieht es eigentlich mit Efferdobal aus? Regt sich in der Grotte irgendetwas?“
„Nein, er…“ Weiter kam Menander nicht, weil plötzlich die Tür nach innen aufschwang und Admentos quer übers Gesicht traf.
„Oh, Entschuldige, geht es euch gut?“ fragte die junge Frau, die die Tür geöffnet hatte.
„Ja, ich… mir geht es gut.“ sagte Admentos. Normalerweise war er eher eloquent, aber beim Anblick dieses Mädchens spürte er, wie er ganz nervös wurde.
„Entschuldigt erneut vielmals“, sagte sie, „aber ich war sehr in Eile, ich muss meinen Vater sprechen. Er ist immer noch da, oder?“, fragte sie Menander.
„Immer noch, fürchte ich.“, antwortete dieser, „er will und will nicht herauskommen. Vielleicht könnt ihr ihn ja überzeugen, herauszukommen und der Stadt wieder Frieden zu bringen.“
„Ich will es versuchen. Euch noch viel Glück.“, und sie eilte weiter in den Tempel hinein.
„Wer war das?“ fragte Admentos, der mittlerweile wieder aufgestanden war. Menander wunderte sich über die Frage, normalerweise fragte Admentos bei niemandem nach dem Namen, der ihn nicht sehr stark interessierte. Er sah den jungen Mann an und sah, dass dieser der jungen Frau nachblickte.
„Das war Liaiell di Camaro, mein Neffe. Die Tochter des Tempelvorstehers.“
„ Oh“, sagte Admentos. „Nun, schön, dass es dir gut geht, aber ich muss noch nach Memnon suchen, und Großvater möchte noch einen Bericht über den Zustand der Stadt haben.“
„Ach bleib doch noch ein wenig, mein Junge, du musst ja durch die Stadt gerannt sein. Wir finden bestimmt einen Ort, wo sich deine beiden Begleiter hinsetzen können, und du erklärst mir genauer, was bei euren Beratungen herausgekommen ist.“
Liaiell wandelte die steinerne Wendeltreppe hinab, in ihren Händen ein Korb mit Nahrungsmitteln. Das Licht um sie herum wurde schummrig, denn die Parvenusgrotte wurde ausschließlich durch Gwen-Petryl-Steine beleuchtet. Die Decken warfen verzerrte, wabernde Schatten durch jenes grünliche Licht, dass sich im Wasser der steinernen Wannen spiegelte. Andere Steinwannen gaben ihr eigenes Licht ab, da Anglerfische und ähnliche, leuchtende Tiefenfische darin schwammen. An einem der Becken erblickte Liaiell ihren Vater. Er blickte abwesend in ein Becken, in dem sich einige Goldfische tummelten, während ein Wasserspiel das Becken mit dem für die Fische so wichtigen Sauerstoff versorgte. „Pa?“ versuchte sie ihren Vater aus seinen Gedanken zu reißen.
Dieser Blickte auf und sein Gesicht erhellte sich. „Lia, meine kleine. Wie schön, dich zu sehen.“
Liaiell wirkte bedrückt. „Ich habe dir Essen mitgebracht.“ versuchte sie ihn damit nicht zu belästigen.
Lächelnd stand der hager gewordene Mann auf. Er umarmte seine Tochter, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und widmete sich dann dem Korb. Dann fand er einen leeren Zettel darin vor. „Heute ist also das Reinigungsfest.“ verstand er.
„Ja. Ich dachte mir, du wolltest vielleicht auch eine deiner Sünden verbrennen.“
Sie kassierte einen traurigen Blick. „Die Götter werden mir nicht verzeihen, in dem ich einen Zettel verbrenne.“ Er hob den Zettel hoch und wedelte damit in der Luft. „Das hier ist nicht Hingabe. Das ist Schuld.“
„Und es ist auch Tradition und Gewohnheit. Und nicht die Götter müssen dir verzeihen. Du musst dir verzeihen.“
Sein Blick wandte sich von seiner Tochter ab und fand sein Heil in der Leere des Raums. „Als wäre das so einfach. Ich habe mich am Wohl meiner liebsten versündigt und weiß nicht einmal, wie. Mein Glaube brachte der Stadt ein Erdbeben und den Tod, meine Gemeinde läuft durch die Straßen und trachtet sich nach dem Leben und meine eigenen Kinder vertrieb ich aus unserem Schoße.“
Liaiell ging auf ihren Vater zu und umarmte ihn von hinten. „Ich bin doch noch da, Paps. Und ich habe dir auch schon so oft gesagt, du kannst weder etwas für das Erdbeben, noch für die marodierenden Söldner und ich bin auch sicher, dass dich Amaryll immer noch liebt. Lass ihr diesen Moment der Freiheit, ich bin sicher, dass sie zurückkommen wird. Du wirst sehen, dass du keine Schuld geladen hast.“
Er blickte links hinab auf ihren Arm, der sich so um seine Brust geschlagen hatte. „Warum fühlte es sich dann nicht so an?“ langsam ging er zwei Schritte nach vorne und ließ Liaiell so ihre Umarmung auflösen.
„Warum? Weil es Menschen gibt, die ein Interesse daran haben, dass du traurig bist.“ wurde ihre Stimme fester. „Pa, du darfst enttäuscht sein, aber dass du diesem Thirindar seinen Vorwurf abgekauft hast, dass dein mangelnder Einsatz so viel Leid über die Stadt gebracht hat, ist grotesk. Das sage ich dir nicht zum ersten mal.“
Efferdobal drehte sich zu seiner Tochter um. „Kind, ich bin für den Glauben meiner Fische verantwortlich. Es mag sein, dass ich aktiv nicht die Schuld trage an dem, was Serafanos mir vorgeworfen hat. Dennoch zeigt es mir, dass ich nicht gut genug war. In ihrem Glauben sollten sie alle Schutz finden. Und da habe ich offensichtlich versagt.“
Die junge Camaro mit den grünen Haaren schüttelte den Kopf. „Die ganze Zeit hier herumzuhocken, wird aber auch nichts verbessern. Die Stadt braucht dich. Sie brauchen das alte dich, dass allen Grund hatte, an sich zu glauben.“
„Ich tue hier nicht nichts!“ wandelte sich auch Efferdobals Stimmung. „Ich suche die nähe zu Efferd und bitte ihn um Zeichen und Rat.“
„Du willst ein Zeichen? Nun, die Stadt steht gerade in Flammen. Serafanos hat den Senat verhaften lassen, die Rondrikan-Löwen verkünden das Ende der Republik und dreschen auf jeden ein, der dagegen aufbegehrt und vor den Toren steht Rhymeos Bruder Tarquinio und riegelt mit Söldnern die Stadt ab. Du bist einer Intrige erlegen, um währenddessen genau hier unten zu sein und in Fischbecken zu glotzen!“ wurde auch Liaiell langsam wütend.
Die Nachrichten trafen Efferdobal wie ein Geschoss. Entsetzt wandte er seinen Blick von seiner Tochter ab. „Was? Das darf doch nicht wahr sein…“
„Du kannst das beenden! Die Leute hören immer noch auf dich. Sag ihnen ein Wort und sie werden sich wehren.“
Efferdobal schien nicht mehr zuzuhören. Völlig in Gedanken verloren ging er einige Schritte in der Grotte umher, unverständliche Dinge murmelnd.
„Paps, geb ihnen wenigstens etwas Trost mit. Es sind die Namenlosen Tage…“
Keine Reaktion. Efferdobal wandelte wie in Trance durch die Grotte. Liaiell seufzte. Es war nicht das erste Gespräch dieser Sorte. Es war, als hätte ihrem Vater jemand etwas ins Essen gemischt. Das war nur noch ein Schatten seiner selbst. Wie sehr wünschte sie sich jetzt, dass sie Kontakt mit ihrer Schwester würde aufnehmen können. Eine Geste des Verzeihens hätte hier vermutlich wunder gewirkt. So aber blieb ihr nichts anderes übrig, als ratlos die Parvenusgrotte wieder zu verlassen.
Oben begegnete sie Menander, welcher immer noch mit Admentos zusammen saß. „Und?“ fragte der Geweihte nur knapp, denn Liaiells Gesicht sprach schon Bände.
„Er ist über die Vorgänge in der Stadt informiert. Seine Reaktion war leider die gleiche wie immer.“
Betretenes Schweigen war die Reaktion darauf. „Wir müssten irgendwie in Kontakt mit meiner Schwester treten. Ich denke, ihre Anwesenheit würde Wunder wirken. Fährt nicht irgendwann wieder ein Schiff in Richtung Zyklopen?“
„Momentan fährt überhaupt kein Schiff aus.“ Informierte Admentos. „Die Hylailser Seesöldner haben den Hafen gänzlich abgeriegelt.“
Die Information schien neu für Liaiell zu sein, sie erschrak ein wenig. Doch gleich auch grübelte sie wieder um Lösungen. „Was… was ist mit der Parven-o-mar? Die Söldner würden sich doch bestimmt nicht trauen, das heilige Boot zu beschießen, oder?“
„Die Parven-o-mar ist kein Botenschiff, junge Dame.“ maßregelte Menander die Tochter des Hochgeweihten, welche selbst keinesfalls eine Akkoluthin der Kirche war. „Sie verlässt die Bucht, um die Toten der Stadt dem Herrn Efferd anheim zu empfehlen. Sie kann nicht einfach mal so zweckentfremdet werden. Damit würden wir dem Herren Efferd freveln!“
„Ist ja gut. Dann hilft wohl nur, Augen und Ohren offen zu halten, ob irgendjemand in der Lage ist, diese Blockade zu durchbrechen.“
„An den Namenlosen Tagen? Da überlegen wir uns besser etwas anderes, um euren Vater wieder zur Raison zu bringen.“
Bedröppelt blickte Liaiell zu Boden. „Vermutlich…“
„Es ist wohl gerade nicht die Zeit für Wunder.“ wollte sich Admentos Sinnvoll in die Diskussion einbringen. Ihn trafen zwei strafende Blicke, was ihn dazu veranlasste, in den Reigen der zu Boden blickenden still einzusteigen.
Traviane von Efferdas, geborene Ilsurer
Die andere Seite des Bettes war auch heute Nacht wieder unberührt geblieben. Traviane von Efferdas hatte sich im Laufe der Jahre ihrer Ehe mit dem Baron daran gewöhnt, dass Eslam es bevorzugte, die Betten anderer Frauen zu zerwühlen.
An die lärmende Selbstverständlichkeit, mit der diese neuen Söldlinge sich bereits in den frühen Morgenstunden in der Residenz bewegten, würde sie sich wohl auch gewöhnen müssen, gehörten diese wohl zu den neuen Verbündeten ihres ach so treusorgenden Gemahls. Und Verbündete konnte Eslam sicher gebrauchen, wenn ihn schon sein eigener Onkel als hesindeverlassenen Verräter, der den Namen Efferdas' besudele, titulierte. Und das so von den Zwölfen geprüfte Volk auf den Straßen hatte sicherlich noch üblere Beschimpfungen für ihn parat. Vielleicht zu recht. Sie selbst hatte -fast noch ein Kind - die Tyrannei des Grafen Mondino erlebt.
Vieles, was sie damals erlebt und gesehen hatte, hatte sich in den letzten Monden in Efferdas wiederholt. Damals war sie als stolze junge Belhankanerin sicher gewesen, auf der richtigen Seite zu stehen, hier und jetzt war sie sich ganz und gar nicht sicher. Travia sei Dank, dass ihre kleine Phelippa schon seit Wochen in Ranaqídes weilte. Das Lustschloss im beschaulichen Hinterland war sicherlich ein besserer Aufenthalt für eine Sechsjährige als diese Stadt in Aufruhr. Aber ihr Platz als Gemahlin des Barons war hier, wenn auch nicht um seinetwillen, so doch als aufrechte Patrizierin für das Wohl dieser Stadt und ihrer Bewohner einstehend.
Wenn an Schlaf ohnehin nicht mehr zu denken war, konnte sie genauso gut schon jetzt mit ihrer Morgentoilette beginnen. Seufzend ließ sie sich auf dem Schemel vor vor dem großen Spiegel nieder und begann ihr Haar zu bürsten. Irgendwann würde sich sicherlich auch ihre Kammerzofe Cenza blicken lassen. Auf das junge lebenslustige Ding hatte Eslam auch schon seine gierigen Blicke geworfen. Doch soweit Traviane es beurteilen konnte, hatte Cenza den Nachstellungen widerstanden, da sie wohl eher ein Faible für junge schneidige Gardesoldaten an den Tag legte als dem Charme eines notorischen Schürzenjägers zu erliegen, dessen Maßlosigkeit sich zunehmend auch in seinem Äußeren zeigte. Sie schalt sich nur halbherzig für diese Bosheit ihrem Gatten gegenüber, da sie sich selbst eingestehen musste, dass sie ihrer Zofe gerade deshalb einiges durchgehen ließ, was sie sicherlich als unbotmäßig hätte tadeln sollen.
Cenzas Auftritt wenige mit dem süffisanten Lächeln ihres Spiegelbildes gefüllte Augenblicke später, jedoch noch unbotmäßig zu nennen, fiel Traviane schwer. Unfrisiert und derart kaum bekleidet, dass es selbst für covernische Verhältnisse anzüglich war, stürmte ihre Zofe ins Zimmer.
Traviane streckte ihren Rücken, blickte Cenza mit dem tadelnden Blick an, von dem sie hoffte, dass er die exakte Kopie jenes alles zum Schweigen bringende Blicks ihrer Mutter war und hob an, dem Blick auch Worte folgenden zu lassen…
„Schnell Baronin, wir müssen hier weg!“ Den Blick ihrer Mutter zu imitieren, würde sie also noch üben müssen.
„Cenza, du kannst nicht...“ - „Später Baronin!“ Cenza riss sie mit einer solchen Wucht von ihrem Schemel hoch, dass ihr förmlich die Luft wegblieb und mit sich zur Tür. Völlig überfordert stolperte Traviane Cenza hinterher. Der Gedanke, dass es wohl kaum mit ihrem Stand vereinbar wäre, selbst derart unbekleidet in unbotmäßiger Eile durch die Residenz zu hasten, durchzuckte sie. In ihrer Hilflosigkeit griff sie nach ihrer Nachthaube, während Cenza ohne den Griff um ihren Arm zu lockern, die Tür öffnete und in den Gang dahinter spähte.
„Schnell, Euer Hochgeboren!“ Die ehrerbietige Anrede gepaart mit dem keinen Widerspruch zulassenden Befehl war so grotesk, dass Traviane lächeln musste, während sie ihrer Zofe hinterhereilte.
Haus Ya Pirras
Im Palazzo ya Pirras
Helle Aufregung herrscht im Palazzo ya Pirras . Vor kurzer Zeit erschien eine aufgewühlte Magierin ohne ihrem Herrn vor dem Tor und stürmte schnellen Schrittes in den Palazzo auf der Suche nach der Hausherrin.
Kurz danach versammeln sich alle anwesenden Familienmitglieder im Studierzimmer des Familienoberhauptes.
Am Schreibtisch sitzt Nissara ya Pirras. Ihre Augen sind gerötet und man kann sehen, dass es ihr schwerfiel die gewohnte Ruhe auszustrahlen. Hinter ihr steht hoch aufgerichtet Tharinda della Pena in ihrer grauen Robe mit arkanen Zeichen und ihren Magierstab in der Hand. Sie sieht erschöpft aus und wer sie genau beobachtet sieht ein leichtes Zittern.
Ihnen gegenüber sitzen Elphya ya Pirras und ihre Kinder Niccolo und Irinja. Ebenso anwesend ist der Corporal der Falcones aurea und der oberste Hausdiener.
An den Corporal richtet Nissara auch zuerst ihr Wort. "Hauptmann, Ihr setzt Eure Leute sofort in Alarmbereitschaft. Niemand außer den noch nicht anwesenden Familienmitgliedern und ihren engsten Vertrauten betritt dieses Haus. Patrouilliert auch durch den Garten und achtet auf jede auffällige Bewegung. Unruhen sind ausgebrochen und wir müssen auf der Hut sein. Ihr könnt abtreten." Der Corporal schlägt die Hacken aneinander und mit einem zackigen "Zu Befehl" auf den Lippen verlässt er den Raum.
"Das gleiche gilt für Euch, mein Lieber.", wendet sich Nissara an den Hausdiener. "Niemand des Personals lässt jemanden herein. Stellt ihnen frei, ob sie im Palazzo bleiben oder zu ihrem Familien in die Stadt wollen. Der Rest bleibt auch im Inneren. Hof und Garten sind bis auf weiteres für euch tabu. Ihr sollt kein Ziel möglicher Übergriffe werden. Nun eilt. Die Zeit rennt." Mit einem Winken entlässt sie den Hausdiener.
Danach sieht sie in die Gesichter besorgter Familienmitglieder. "Ich weiss nicht viel, aber das mir Bekannte möchte ich Euch mitteilen. Zunächst Euer Gatte und Vater. Sein momentaner Aufenthaltsort ist mir nicht bekannt. Teile seiner Einheit waren bei einem bewaffneten Eindringen in das Senatsgebäude beteiligt. Im Zuge dessen wurde unser Oberhaupt und mein Mann mit den anderen Senatoren des Verrats bezichtigt und verhaftet."
Mit jeder weiteren schlechten Nachricht wird Nissaras Stimme brüchiger und weinerlicher. "Mein Sohn Icaro und seine Frau Mireia sitzen, durch die Unruhen auf den Straßen, im Magistratsgebäude fest.
Und ob sich meine Schwägerin Madolina noch im Hesinde-Tempel aufhält entzieht sich auch meiner Kenntnis."
Ein bedrückendes Schweigen macht sich breit. Dann hört man ein leises Gemurmel, als jemand ein Gebet an den Himnelskönig beginnt und nach und nach alle einstimmen.
Im Palazzo Vinarii
Erdano ya Pirras atmete schwer durch. Nach dem Tumult im Senat und dem Verrat einiger seiner Soldaten, hatte er noch mit seinen wenigen verbliebenen Getreuen versucht die Verhaftung der Senatoren zu verhindern. Aber schon bald musste er die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner akzeptieren und man trat zähneknirschend den Rückzug an.
Auch dieser gestaltete sich als schwierig, denn auch auf den Straßen von Efferdas waren Tumulte ausgebrochen und als gut zu erkennende Soldaten der Republik konnte man schnell zum Ziel gewalttätiger Unmutsäußerungen werden.
Schwere Stiefelschritte hallten durch das Foyer des Palazzo Vinarii.
"Ich danke Euch, dass ihr uns in dieser Notlage eingelassen habt, Signor Mazarino. Wir stehen in Eurer Schuld und werden, während unserer Anwesenheit, wenn nötig Euer Hab und Gut und Euer Leben verteidigen. Und verzeiht, wenn ich Euch mit der Verhaftung Eures Vaters keine guten Nachrichten aus dem Senat überbringen konnte." Der Angesprochene nickte abwesend. "Ja, ja, natürlich. Macht was ihr für richtig haltet. Ich werde jetzt meiner Familie alles erklären müssen. Entschuldigt mich bitte." Mazarino machte auf der Stelle kehrt und verschwand schnellen Schrittes. Erdano begab sich sofort in das Arbeitszimmer, welches seinen Soldaten und ihm samt Vorzimmer als Kommandozentrale überlassen wurde. Hier saßen oder standen seine verbliebenen 21 Soldaten. Er betrat schwungvoll das Vorzimmer und einige Köpfe ruckten in seine Richtung. "Soldaten.", rief er in den Raum und ein gemurmeltes 'Capitan' kam zurück. "Durch die Verhaftung der Senatoren und das Verschwinden des Barons ist Efferdas führungslos und damit sind dem Chaos und den d'Oros mit ihren Rondrikan-Löwen noch mehr Türen und Tore geöffnet, als ihnen der Baron bisher unglücksseligerweise zugestanden hatte."
"Trotzdem haben wir eine Verpflichtung. Wir sind die Republikanergarde . Unterstellt dem Senat von Efferdas. Ihm zu dienen und zu schützen. - Und genau das werden wir machen. Man kann die Senatoren nicht dauerhaft im Senatsgebäude festsetzen. Man wird sie bestimmt verlegen, zumindest wenn man ihnen öffentlich den Prozess machen will. Und genau dann werden wir zuschlagen. Wir müssen auf der Hut sein und dürfen das Gebäude zu keiner Tages- und Nachtzeit aus den Augen lassen. Die Sicht aus diesem Palazzo ist dafür formidabel. Wir werden uns paarweise auf verschiedene Zimmer verteilen, um unterschiedliche Blickwinkel zu haben. Auch den Hafen sollten wir im Auge behalten. Also los, wer mit wem?"
"Capitan.", hörte Erdano neben sich. Er hielt das Senatsgebäude weiterhin im Blick. Mit sorgenvoller Miene sah er auch das mehrere Feuer in der Stadt ausgebrochen waren und bewaffnete Gruppen durch die Gassen zogen.
"Was gibt es Novalio?"
"Ich hatte bisher noch keine Möglichkeit Euch zu danken. Ich stehe in Eurer Schuld und… ." Erdano winkt ab. "Du schuldest mir überhaupt nichts."
"Capitan. Ohne Euch wäre ich unehrenhaft entlassen worden oder Schlimmeres. Mein Leumund wäre ruiniert gewesen. Von einer neuen Anstellung einmal abgesehen. Als der Sold ausblieb und ich meine Waffe verpfändet habe für….."
"...etwas zu Essen für die Familie.", unterbrach ihn Erdano wieder. "Und damit genug davon. Mein Haus hat daraufhin einen Teil des Soldes für das Banner übernommen. Nicht alles und darum sind wohl nicht alle mehr bei uns. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und uns gegenseitig geholfen und unterstützt, wie es zwischen Soldaten einer Einheit üblich ist. Das war aber anscheinend nicht genug."
Auf einmal entstand Tumult auf dem Flur. Die Tür zum Zimmer wurde aufgerissen und eine Soldatin war schweratmend im Türrahmen zu sehen. "Capitan, Capitan, in der Bucht……Schiffe…..fremde Schiffe….. sie riegeln die Bucht ab."
In Rahjas Armen
Als Rahjadis von dem Geräusch von Schritten aufwachte, war das erste was sie feststellte, dass die Sonne hell aus dem ihr gegenübergelegenen Fenster stach. Sie grummelte: „ Cassiopeia, mach doch bitte die Vorhänge zu!“, als ihr auffiel, das etwas nicht stimmte. In ihrem Zimmer gab es kein Fenster gegenüber dem Bett, und der Mann in Dieneruniform vor ihr war ganz sicher nicht ihre Zofe. Schnell versuchte sie sich zu orientieren, um herauszufinden, mit welchem ihrer Freunde sie heute die Nacht verbracht hatte. War es Xenon gewesen, Armano oder vielleicht Kalphas? Sie vernahm neben sich ein leises Grummeln und ihr wurde die Decke teilweise weggezogen. Ach ja, sie war ja gar nicht mehr auf den Zyklopeninseln, sondern in Efferdas und gestern Abend war sie auf dieser Feier gewesen, zusammen mit anderen jungen Leuten aus der Stadt. Dort hatte sie einen galanten jungen Herrn namens Niccolo ya Pirras kennengelernt, der sie, nach einigen Geprächen und Neckereien, am Ende der Feier zu sich nach Hause eingeladen hatte, um die Nacht miteinander zu verbringen. Er war sehr angeneme Gesellschaft, sodass sie trotz des Altersunterschieds annahm. Bei ihm zu Hause hatten sie dann ein Weilchen geredet, bevor sie sich den Rahjaspielen hingaben. Er war wirklich sehr gute Gesellschaft gewesen, sie sollte ihn sich wohl merken, jetzt, da ihr alter Freundeskreis für sie unereichbar war.
Jetzt wandte sie sich wieder dem Diener zu, der immer noch etwas verloren im Raum stand. Freundlich fragte sie: „Was gibt es denn, mein Lieber?“ Während sie dies fragte, kam auch in Niccolo etwas Bewegung und er begann sich aufzurichten. „Schon so spät, das sie jemanden schicken um mich zu wecken? Habe ich das Mittagessen verpasst?“ Der Diener orientierte sich, immer noch ein wenig von Rahjadis Anwesenheit überrascht, in Richtung seines Herrn und sagte: „Nein Herr, aber es gibt Tumulte draußen auf den Straßen. Ich bin geschickt worden, weil die Familie sich beraten muss.“ „ Wo denken die den hin sowas frühmorgens zu machen?“ Es ist bereits kurz vor der Praiosstunde, Herr.“ „Was auch immer. Ich werde wohl daran teilnehmen müssen. Rahjadis, meine Liebe…“ „Ich werde hier auf dich warten, mein Liebster, und mich nach deiner Anwesenheit verzehren“, sagte sie neckisch. „ Ich würde dich wirklich bitten das Zimmer nicht zu verlassen. Meine Familie ist… nicht sehr zufrieden mit meinem rahjagefälligen Lebensstil. Und du“, sagte er mit Blick auf den Diener, „bring ihr ein Frühstück, und kein Wort zu irgendjemandem.“ Währenddessen zog er sich an und ging zügig aus dem Zimmer, der Diener folgte auf dem Fuße.
Gut zehn Minuten später, Rahjadis hatte sich inzwischen angezogen, kam er mit einem veritablem Frühstück wieder, stellte es ab, ohne sie anzuschauen und ließ sie wieder allein. Sie begann jetzt erst richtig, den Raum wahrzunehmen. Er war sehr hell, errinnerte sie ein bisschen an die Gewächshäuser ihres Bruders. An den Wänden hingen Portraits, einige halbfertige standen noch auf Stafeleien. Stimmt, Nicollo hatte erwähnt, dass er Portraitmaler sei. So wie die Bilder aussahen, und Rahjadis hatte schon einige Kunstwerke gesehen, hatte der junge Mann Talent und verstand sein Handwerk. Vielleicht sollte sie ihn irgendwann davon überzeugen, sie zu malen? Da erinnerte sie sich daran, dass er schon gestern Abend, während sie noch sprachen, Skizzen gemacht hatte.
Jetzt, da sie ihre Umgebung hinreichend in Augenschein genommen hatte, trat sie an das Fenster. Sie wusste zwar, das sie sich in Residencia befand, aber von dem Anblick der Straßen her hätte es ebenso Sanct Parvenus seien können. Überall rannten Leute, allen stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Dann hörte sie den Ausrufer, der über den Verrat der Senatoren sprach, und horchte auf. Dass war ernst. Wenn die Thirindar sich als Retter des Volkes darstellen wollten, indem sie das Patriziat von der Macht drängten, würde dieses vermutlich in naher Zukunft von Zyklopäern gar nichts mehr halten. Und hier war sie, in dem Palazzo einer Patrizierfamilie. Sie konnte nur hoffen, das Niccolo dichthalten würde und sie irgendwie hier rausbringen könnte. Alles was sie jetzt tun konnte, war warten.
Und sie musste warten. Die Unterredung schien länger zu dauern und so langsam wurde Rahjadis ungeduldig. Ihr Vater hatte einmal beiläufig erwähnt, dass die ya Pirras auf ihre Familie nicht sonderlich gut zu sprechen waren und wenn sie sich richtig erinnerte gab es hier sogar eine eingeheiratete dylli Garén. Je mehr Gedanken sie sich darum machte, desto unwohler fühlte sie sich.
Dann ging langsam die Tür zum Schlafzimmer auf und ein sichtlich mitgenommener Niccolo betrat den Raum. Er versuchte zu lächeln, aber es war mehr eine Grimasse. Schwer ließ er sich auf die Bettkante fallen und deutete mit seiner Hand an, dass Rahjadis neben ihm Platz nehmen sollte. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und schaute ihrem Gegenüber tief in die Augen. "Was ist geschehen, Liebster?", fragte sie besorgt. Niccolo sprach erst einmal kein Wort und nahm ihre Hände in seine. Dann hauchte er vorsichtig einen Kuss auf beide Handrücken.
"Es sind Tumulte in der Stadt ausgebrochen. Mein Onkel und die anderen Senatoren wurden des Verrats angeklagt und verhaftet. Mein Cousin und seine Frau sitzen im Magistrat fest. Und über das Schicksal meines Vaters ist nichts bekannt." Seine Stimme brach ab und Traurigkeit übermannte ihn. Rahjadis nahm ihn in den Arm und spürte das Zittern seines Körpers.
Mit einem Mal straffte er sich wieder und schaute Rahjadis an. "Du musst nach Hause. Deine Familie wird vor Sorge umkommen. Sie haben doch keine Ahnung, wo du dich aufhältst." Er stand auf und ging zu einem Sekretär. Er öffnete eine Schublade nach der anderen. Kurz hielt er inne und holte dann eine Dolchscheide, welche aus feinsten Leder gearbeitet war, hervor. Das Heft bestand aus ineinander verschlungen Rosenranken. Er holte die Waffe kurz hervor und betrachtete es von beiden Seiten. Danach reichte er beides Rahjadis. "Zu deiner Verteidigung. Ich weiss nicht, was uns in den Straßen erwartet." Sie nahm den Dolch entgegen und schaute betreten zu Boden. "ist das nötig? Können wir nicht einen Boten zu meiner Familie schicken und ich bleibe hier? Bei dir." Niccolo legte sich gerade seinen Waffengurt an. "Möchtest du das denn? Bist du dir da sicher?" Rahjadis nickte. "Ich denke, hier ist es für mich sicherer, als momentan in den Straßen."
Niccolo lächelte. "Du findest Schreibzeug und alles weitere in meinem Sekretär. Ich sorge für einen Boten." Er legte den Waffengurt wieder ab und nahm sie in den Arm. Dann hob er ihr Kinn und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Familie Trenti
Wie von ihrem Schwager anempfohlen, suchte Cassiopeia ihre Familie auf. Sie eilte sich und hielt sich von den großen Straßen fern, was in Residencia naturgemäß schwieriger war. Aber ihre bewusst gewählte einfache Kleidung erleichterte ihr durchkommen. In Sanct Parvenus kannte sie sich hingegen aus wie in ihrer sprichwörtlichen Westentasche, weshalb ihr dort gleich leichter ums Herz wurde. Hier war auch vom Tumult der anderen Stadtteile weniger zu spüren, er konzentrierte sich wohl auf den alten Markt, Residencia, den Hafen und vermutlich Quarto Novo und Novalia... Alles weit entfernt von ihrem Ziel am Haselnussmarkt.
In der Casa Trenti angekommen, stieß sie zuerst auf ihren Bruder Thalio.
"Ah, Cassiopeia! Du auch mal wieder hier, schön dich du sehen, Schwesterchen. Wo ich dich gerade sehe, hat deine liebste Schwiegermutter eigentlich schon etwas zu meinem Manuskript gesagt?"
Cassiopeia blieb mitten im Lauf wie erstarrt stehen. Während sie durch die in Trümmern liegende Stadt gerannt war, sich Horrorszenarien um Croënars Verbleib und das Schicksal der Stadt ausgemalt hatte, sich überlegte, wie sie ihre Familie antreffen würde, dachte ihr Bruder an ein... Buch? An seinen neuen Roman, der so geheim war, das er niemandem das Manuskript zeigen wollte? (Zugegebenermaßen ein einzigartiger Vorgang.) Sprach mit ihr, als würde die Stadt nicht in den Niederhöllen versinken, sondern als wäre alles in bester Ordnung?
"WAS?", blaffte sie ihn an. Hob ihren Arm und zeigte aus dem Fenster auf die Rauchsäulen der Stadt. "Was ist los mit dir? Glaubst du, das sind Kamine? Glaubst du, heute wird der letzte schöne Tag im Rahja und du kannst heute Abend noch tanzen gehen? Da draußen brechen die Niederhöllen los! Die Stadt brennt, der Senat wurde besetzt, die Senatoren verhaftet. CROENAR WURDE VERHAFTET!"
Ihre überraschend laute Stimme steigerte sich im Laufe ihrer Tirade zu einem Schreien. Thalio wich erschrocken zurück und wurde rot. "Ich... äh. Nein, aber... äh... Was sollen wir denn dagegen tun? Die Gerichte werden..."
"WERDEN WAS? Mach die Augen auf! Die d'Oro übernehmen Efferdas - UNSERE Stadt - vor unseren Augen! Einen götterverfluchten Scheiß werden die Gerichte! Bis dahin ist es längst zu spät. WIR müssen! WIR müssen uns sammeln. Diejenigen, die an die Republik glauben, müssen sich zusammenschließen. Wir müssen die Söldner in die Flucht schlagen! Du schleppst doch sonst ständig diesen komischen Elfensäbel mit dir rum. Jetzt kannst du mal zeigen, ob du ihn verdient hast!"
"Kind! Was redest du da! Du sprichst hier von einem Bürgerkrieg!" Angelockt duch Cassiopeias Geschrei waren einige der anderen Familienmitglieder herbeigeeilt. Madalena hatte das Wort ergriffen. "Wir sind die letzten Jahre und Jahrzehnte gut damit gelitten, uns aus der Politik herauszuhalten." Auch sie zeigte nun auf die Flammen. "Die Häuser derer, die sich zu Höherem berufen fühlten, bekommen nun Ingerimms Zorn zu spüren. Er und seine Geschwister werden diese Stadt reinigen. Ja, das Seebeben des Efferd hat vieles zerstört, aber wer sind wir, die Götter in Frage zu stellen?"
"Das sind keine Götter, Tante! Das sind marodierende Söldner!"
"Verdrehe nicht meine Worte! Wir halten uns zurück. Und jetzt ist hier Ruhe! Ich werde diese Diskussion nicht noch einmal führen."
"'Noch einmal'? Wie meinst du das, Tante?"
Lessandero ergriff das Wort, er stand hinter Madalena, sprach betont leise und ruhig: "Wir leben nicht alle in unserer eigenen Welt wie dein Bruder es zuweilen pflegt. Vor einiger Zeit haben wir über diese ganze Situation bereits gesprochen. Und wir hatten auch...," er blickte zu seiner Schwester, "festgehalten, das wir mit dir noch einmal reden werden. Du hast unser Haus zwar verlassen, doch du bist auch ein Teil dieser Familie und sollst gehört werden. Und nun... ich denke, jeder hat dich gehört."
Er zwinkerte ihr zu. "Es ist alles im Umbruch, die Stadt geht vor die Hunde. Und die meisten von uns" wieder blickte er zu Madalena "sind deiner Meinung, Cassiopeia. Auf uns kannst du zählen. Und auf unsere Leute. Seit dem Beben hat sich unser Leben, unser Geschäft stark gewandelt. Aber aus der Not heraus konnten wir den Wiederaufbau der Stadt mit unserem Holz und unseren Fähigkeiten gut unterstützen, nachdem die Werft zerstört war. Die Stadt und ihre Bevölkerung hat uns viel gegeben. Es wird Zeit zu zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind." Er grinste kurz ob dieses Wortspiels, dann wurde sein Gesicht wieder ernst.
Haus Legari
Daria sah von ihrer Stickarbeit auf, als ihre Zofe hereinstürzte. Das Haar der jungen Frau hatte sich aus ihrer Frisur gelöst, ihre Kleider waren schmutzig und sie roch nach Rauch.
„Herrin“, keuchte sie, „die Niederhöllen sind ausgebrochen. Ales versinkt im Chaos. Ihr müsst hier weg!“
Die Angesprochene musterte die aufgelöste und schweißüberströmte Frau einen Moment lang überrascht, dann stand sie auf, drückte die Jüngere in einen der bequemen Polstersessel und reichte ihr ,nach kurzem Zögern, eine Tasse Tee. „Nimm dir einen Keks, meine Liebe“, meinte sie, als sich die Dienerin wieder etwas beruhigt hatte, „und dann erzählst du mir ganz genau was dir passiert ist.“
Während sie etwas verschämt an ihrem Gebäck knabberte, begann die Zofe zu erzählen. Sie war, wie viele andere auch, heute aufgebrochen um zu hören, wie der Baron die Durchführung der Senatswahlen verkündete, aber anstelle von Eslam war eine wichtig aussehende Frau aufgetaucht, die verkündet hatte, dass die Senatoren versucht hätten, den Baron zu ermorden. Viel mehr hatte sie aber nicht mitbekommen, weil sie vor den Rondrikan-Löwen geflohen war, die es anscheinend auf die Bürger abgesehen hatten und nun anscheinend die Stadt abfackelten. Abgesehen davon wäre sie fast in ein Gefecht zwischen Teilen der Senatsgarde geraten, von denen der eine Teil unter dem Kommando Erdano ya Pirras' (da war sie sich sehr sicher, Daria vermutete, dass sie trotz des Altersunterschieds ein bisschen für den Offizier schwärmte) anscheinend versucht hatte den Senat zu schützen. Ob ihrer Unterzahl schien ihre Sache jedoch aussichtslos.
„Und jetzt ziehen die Söldner durch die Straßen, verprügeln Menschen und plündern Läden. Es wird nicht mehr lange dauern und sie werden sich wohlhabenden Häusern zuwenden. Ihr seid hier vollkommen ungeschützt, ihr müsst hier weg und zwar schnell.“
Daria rieb sich die Stirn, sie hatte in ihrem Leben schon einiges mitgemacht, aber ein derartiger Aufruhr war ihr neu. Nun, es gab für alles ein erstes Mal. Die Beschreibung der wichtig aussehenden Frau, passte auf Violetta d'Oro. Anscheinend hatte diese Familie sich in den Kopf gesetzt, es sich mit einem ganzen Haufen sehr wichtiger Familien zu verscherzen und das auf sehr spektakuläre Art.
Wobei, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die d'Oro wagten viel, sie konnten aber auch viel gewinnen. Falls ihr Staatsstreich, und nichts anderes war es, gelang, schafften sie in ein paar Monaten, wofür andere Familien Jahrzehnte brauchten, wenn nicht länger. Daria setzte sich auf, die Entscheidung ob und wenn ja ob die Familie Position bezog, lag bei ihr. Außer ihr geliebter Neffe hatte etwas Unüberlegtes und Auffälliges getan. Aber so eine Sache durfte nicht überstürzt entschieden werden. Sie griff nach dem Klingelzug und kurz darauf erschien ein Lakai, leise wie ein Schatten, neben ihr.
„Hol Answin aus dem Zwinger und kette ihn hinter der Eingangstür an, sei so gut. Ach ja und gib ihm eine von diesen scharfen Würsten, die ihn so verrückt machen. Ich will keine Stiefelabdrücke von marodierenden Söldnern auf meinem Teppich. Schließ außerdem bitte alle Fensterläden und stell Eimer mit Sand und Wasser bereit. Sag den anderen, dass sie heute leider, trotz des Feiertages, nicht den Rest des Tages frei bekommen. Sollte aber jemand seine Familie her holen wollen, steht ihm das frei. Sie dürfen bleiben bis sich die Unruhen gelegt haben.“ Der Diener verschwand. Daria fiel nichts mehr ein, was sie zum Schutz des Hauses tun konnte, außer vielleicht Söldner anzuwerben, aber das war gerade keine Option.
Dann wandte sie sich an ihre Zofe. „Bitte bring mir Pergament und Tinte, ich muss ein paar Nachrichten schreiben.”
Von der Dummheit Damen zu grüßen
Rahjalin drückte sich in ein schattige Mauernische und versuchte seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Auf dem Weg zurück zum Tempel waren ihm auf einmal recht schlecht gelaunte Söldner entgegen gekommen. Sie trugen die Uniformen der Rondrikan-Löwen und waren jetzt offensichtlich endgültig durchgedreht. Zusammen mit den Herolden auf den Straßen, die lauthals Unsinn verbreiteten.
Da holten drei Söldnerinnen vor seinem Versteck einem fliehenden Mann in einfachen Kleidern ein und begannen auf ihn einzuschlagen. Er wehrte sich zwar ein wenig, hatten aber gegen die hartgesottenen Frauen keine Chance. Der Priester atmete einmal tief durch. Er wusste das seine nächste Aktion sehr dumm war, aber egal!
Mit einem freundlichen Lächeln trat er aus seinem Versteck und auf die Gruppe zu: „Rahja zum Gruße die Damen, wäret ihr so freundlich diesen Herrn in Frieden zu lassen?“ Sie starrten ihn vollkommen verwirrt an. Vermutlich war es das erste Mal in ihrem Leben, das jemand sie Damen nannte, aber ihr Opfer nutzte den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit aus. Er verdrehte der Frau, die ihn fest hielt, das Handgelenk, stieß die anderen beiden auseinander und spurtete los. Direkt an Rahjalin vorbei. Der war zwar dumm genug sein Versteck zu verlassen, um einem Wildfremden beizustehen, aber nicht so sehr von Phex, Hesinde und Nandus verlassen danach stehenzubleiben bis die Söldnerinnen mit dem Stolpern und Fluchen fertig waren. Also rannte er dem Mann hinterher.
Allen Zwölfen sei Dank für das Schönheitsideal des schlanken Mannes. Es sorgte nämlich dafür, das er, um seiner repräsentativen Aufgaben als Rahjapriester nachzukommen, regelmäßig Sport machte. Eine Tatsache die ihm jetzt sehr half. Er holte sogar den Mann ein, der vor ihm rannte. Es ging vorbei an brennenden Barrikaden, Gruppen von Söldnern die auf Bürger einprügelten und schließlich auf einen Platz hinaus. Hier packte Rahjalin den Mann am Arm und zerrte ihn in hinter den breiten Sockel einer Säule die die Fassade eines repräsentativen Bauwerkes zierte.
„Verdammte Scheiße“, murmelte sein neuer Bekannter, „wir sind in die falsche Richtung gerannt. Das da vorne ist ja der Senat.“
Das stimmte und auf dem Platz davor waren Söldner glücklicherweise zu sehr damit beschäftigt Leute zu verprügeln, um sie zu bemerken. Während eine Adlige von den Stufen des Senats eine Rede über die moralischen Verfehlungen der Senatoren hielt, was aber kaum jemand mitbekam. „Das war's dann wohl mit der Republik“, meinte der Mann mit bitterer Stimme, „erst das Beben, dann reißen sich diese nichtsnutzigen Patrizier gegenseitig in Stücke und dann das hier. Ich glaube, ich ziehe nach Belhanka, da soll es ruhiger sein.“
Dann wandte er sich Rahjalin zu „Ich bin Thion Pionsada, Dockarbeiter, danke für die Ablenkung vorhin, obwohl das echt seltsam war.“
Rahjalin zuckte mit den Achseln. „Mir ist auf die schnelle nichts schlaueres eingefallen. Gern Geschehen. Ich bin Rahjalin Legari, Rahjapriester.“
Thion verzog den Mund. „Sieht man. Du bist doch nicht hier weil im Senat ein paar deiner Verwandten festsitzen oder?“
Als Rahjalin den Kopf schüttelte seufzte er erleichtert. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht dir bei irgendeiner schwachsinnigen Rettungsaktion helfen zu müssen, weil ich dir wegen eben was schulde.“
Rahjalin lächelte ihn an. „Ach wir finden bestimmt noch etwas wobei du mir helfen kannst, wenn Phex weiter einen so guten Tag für uns beide hat wie bisher.“
Familie Lysandros
Es war die Horasierin, die zu ihrem zyklopäischen Gatten auf das noch unfertige Schiff getreten kam und das Wort an ihn richtete: „Aerelaos?“
Er drehte sich um. Strich sich eine Strähne seines gelockten schwarzen Haares aus der Stirn und blickte sie aus seinen warmen tiefbraunen Augen an. In diesen Augen hatte sie sich damals in Rethis verliebt. Sie erinnerte sich noch ganz genau als sei es erst gestern gewesen.
„Wir müssen etwas unternehmen“, hob sie an.
„Ich habe die Bewachung der Werft erneut verstärken lassen“, erklärte Aerelaos nickend, „Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass unsere Schiffe diesen grässlichen Unruhen hier in Efferdas zum Opfer fallen.“ Bereits Ende Phex hatten er die Bewachung verstärkt, das war wenige Tage nach der verheerenden Katastrophe – er sprach gerne vom Zorn der Götter, der ganz gewiss die Richtigen getroffen haben musste, schließlich würden die Götter niemals jemand strafen, der das nicht auch verdient hatte – in Efferdas gewesen, die vor allem die Werft der Familie Slin, im besonderen jedoch deren Schiffe äußerst schwer getroffen hatte. Innerhalb kurzer Zeit waren damit ihre Schiffe in ihrem Wert erheblich gestiegen, zumal eines von ihren Schiffen bereits damals kurz vor seiner Fertigstellung gestanden hatte. „Ich meine...“, er hielt kurz inne und deutete auf das Schiff zu seiner Rechten, „Die ‚Sommer in Rethis‘ wartet nur auf ihren Stapellauf.“
„Den wir nicht wie geplant werden durchführen können“, erwiderte Alesia Degano da und schien plötzlich sehr traurig und betrübt zu sein. Das Schiff hatte eine ganz besondere Bedeutung. Es war nicht nur ihr erstes Schiff, das sie hier in Efferdas fertig gestellt hatten, sondern es erinnerte sie auch an ihre gemeinsame Zeit in Rethis. Daher rührte auch ihr Name. „Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber die Hylailer Seesöldner liegen in der efferdischen Bucht. Scheinen alles abzuriegeln. Kein Durchkommen. Weit kämen wir also nicht. Vielleicht würden sie sie sogar versenken.“
„Ich glaube nicht, dass sie uns ein Haar krümmen würden“, meinte Aerelaos und blickte in die Bucht hinaus, „Das hier...“ Er deutete in Richtung Residencia. „... ist eine efferdische Angelegenheit. Wir Zyklopäer jedoch...“ Nun zeigte er auf sich und seine Arbeiter. „... haben damit nichts zu schaffen.“ Mit seinen Händen formte er eine abwehrende Geste.
„Schlechte Beispiele verderben gute Sitten“, zitierte sie ein altes zyklopäisches Sprichwort und schenkte ihm einen vielsagenden Blick. Sie kam näher und raunte ihm zu: „Wir MÜSSEN endlich etwas unternehmen. Länger wegzusehen können wir uns nicht erlauben. Das hier, das hier soll doch unsere Heimat werden!“
„Alesia“, entgegnete er ihr seufzend und nahm sie etwas zur Seite, „Ein größerer zyklopäischer Einfluss kann uns allen nur zum Vorteil gereichen. Nicht nur, dass Zyklopäer immer auf die überlegenen zyklopäischen Schiffe setzen werden, sondern wir können endlich etwas in dieser Stadt werden. Denk nach: Wie viele zyklopäische Senatoren gibt es? Wie viele von uns sitzen in den Magistraten?“
„Ja“, stimmte sie ihm da zu und bekräftigte ihre Worte mit einem energischen Nicken, wobei ihr brauner Haarschopf mitwippte, „Ja, ich sehe was du meinst. Ich verstehe das gut, sehr gut sogar, aber... aber geht es nicht auch um die Art und Weise?“ Alesia hielt einen Moment inne, „die Rondrikan-Löwen tun und lassen in der Stadt was sie wollen und sie tun das mindestens mit der Billigung der Thirindars.“
„Die Thirindars sind ein ehrbares Haus, Alesia“, empörte sich Aerelaos. Er schien nicht zu glauben, was seine Frau da soeben gesagt hatte.
„So ehrbar, dass sie es wohl nötig haben ihre Häscher raubend, plündernd, brandschatzend und mordend durch die Straßen Efferdas’ ziehen zu lassen?“ Sie hielt einen Moment inne. „In Efferdas ist man Stolz auf die Republik. Man wird sich das hier nicht lange gefallen lassen. Wenn wir klug handeln, können wir uns das zum Vorteil machen. Diese Familie rühmt sich doch dafür zur rechten Zeit, das Richtige zu tun.“
Lange schaute er sie an. Blickte mit seinen tiefbraunen Augen in ihre blaue Augen. Irgendwann nickte er. Ganz langsam nickte er. „Und was sollen wir tun? Den Thirindars können wir nicht in den Rücken fallen. Sie sind Zyklopäer wie wir.“
„Ja“, erwiderte sie ihm da und ein vielsagendes Lächeln legte sich über ihre Lippen, „Ich verstehe. Verstehe sogar sehr gut.“ Sie jedoch war keine Zyklopäerin. „Zuerst sollten wir in Erfahrung bringen, was eigentlich genau hier los ist. Schicke Ianthe zu den A'Temelons. Medeia könnte sich über die Hylailer Seesöldner umhören. Vielleicht solltest du ihnen später einen Besuch abstatten um mit ihnen zu sprechen? So von Zyklopäer zu Zyklopäer.“
Fragend schaute er sie an: „Und... und was hast du vor?“
„Ich werde dem Launenhaften einen Besuch abstatten. Nun, wohl eher der Launenhaften“, lachte sie und wollte sich schon umwenden, doch hielt sie in der Bewegung inne, „Gib auf die ‚Sommer in Rethis‘ Acht, hörst du?“
„Natürlich“, versichert er ihr und schloss sie in die Arme, „Pass auf dich auf, Alesia, es ist gefährlich da draußen.“
Sie lächelte und küsste ihn zum Abschied: „Ich bin vorsichtig, keine Sorge. Soll ich deinen Schwestern Bescheid sagen?“
„Tu das“, erwiderte er ihr nickend, „Tu das.“
Sie nickte und rief ihm im Weggehen noch zu: „Es kann sein, dass sich unser... Geldgeber meldet.“
„So lange er hier nicht auftaucht“, murrte Aerelaos. Er konnte diesen Mann nicht leiden. Es gefiel ihm nicht, wie er seine Frau ansah, wie er mit ihr redete, zumal er recht sicher war, dass die beiden früher einmal ein Rahjaverhältnis miteinander gehabt hatten, aber nie explizit danach gefragt hatte, die Vorstellung alleine genügte ihm.
„Keine Sorge“, rief sie ihm noch zu, „Das kann ich mir angesichts der Umstände absolut nicht vorstellen.“
Haus di Malavista
Cornilius saß an seinem geräumigen Befundungstisch in seinem Arbeitszimmer im Obergeschoß der Monumenta Bosparanica und betrachtete fasziniert ein paar Scherben, auf denen Linien und Bildfragmente zu sehen waren. Immer wieder drehte er die kleinen Stücke in der Hand, nahm hier und da Pinsel oder Lupe in die Hand nur um dann abzusetzen und Notizen auf einem Bogen Pergament zu verfassen, zu denen er geschäftig teils mit dem Kopf wippte, teils leise vor sich hin murmelte.
Seit einiger Zeit schon wurde seine Aufmerksamkeit jedoch immer wieder auf die Probe gestellt, kam es doch draußen auf dem Platz der efferdischen Libertät unfassbarerweise zu immer mehr Getöse - was sollte denn das? Konnte man noch nicht mal in Ruhe Scherben betrachten? Noch dazu, wenn diese Scherben womöglich aus vorhelasischer Zeit und damit aus einer sehr interessanten Epoche… aber nein, das wurde jetzt wirklich zu laut!
“Viviona. Viviona!”
Die Angerufene, eine Nichte von Cornelius und Secretaria der Monumenta, sah von ihrem Schreibpult auf, an dem sie gerade die bisherigen Aufzeichnungen des Direktors in Schönschrift übertrug - keine leichte Aufgabe. Am Herrn Direktor war, was die Qualität seiner Handschrift angeht, ein Arzt verloren gegangen. “Ja, Herr Direktor?” Sie pflegte ihren Onkel stets als Herrn Direktor anzureden.
“Viviona, was ist denn das für ein Lärm dort draußen?”
“Herr Direktor, das weiß ich nicht. Ich vermute jedoch, dass es sicherlich mit den Senatswahlen zusammenhängen dürfte.”
“Dann findet es heraus, Viviona, findet es heraus! Dieser Lärm ist ja unerträglich! Wie soll man sich denn da konzentrieren!”
“Sehr wohl, Herr Direktor!” erwiderte sie halb pflichtbewusst, halb genervt. Leise verließ sie das Arbeitszimmer, um zu sehen, was sich draußen abspielte. Entsetzt wich sie zurück, als sie sah, wie dort ehrlose Räuber und Plünderer im Ornat einer Truppe über die tapferen Bürgerinnen und Bürger von Efferdas herfielen, prügelten, drohten, schändeten. Es war grauenhaft!
Kurz verblieb sie, um von dem einen oder anderen Gerüchte aufzuschnappen. Was sie hörte, ließ ihr die Farbe aus dem Gesicht weichen. Eilig kehrte sie zurück in die Monumenta und vergaß dabei auch nicht, die schwere Eingangstür hinter ihr abzuschließen.
“Herr Direktor, Herr Direktor, es ist schrecklich! Draußen zieht eine marodierende Bande von Schlägern durch die Straßen und treibt das Volk vor sich her und im Senat wurden die Senatoren festgenommen, da sie angeblich den Mord am Baron geplant haben sollen!”
“So ein Unfug! So ein Unfug! Das ist doch ausgemachter Blödsinn! Wer behauptet denn so einen Unsinn? Wo war denn derjenige, als Hesinde ihre Gaben verteilt hat! Auf dem Abtritt? So ein Unfug!”, echauffierte sich Cornelius. Und doch schien es ganz so, als ob das niederhöllische Chaos draußen ausgebrochen wäre.
“Was werden wir denn nun tun?”, fragte Viviona mit leichter Panik in ihrer Stimme. Nicht auszudenken, wenn dieser Mob … hier herein, randalieren, alles zerstören und zerschlagen, eventuell gar die wertvollen Scherben beschädigen würde? Nein. Nein!
“Eilt zum Palazzo, Viviona, und berichtet dort von den Vorkommnissen hier. Sie sollen sofort das Consiglio einberufen. Wir müssen etwas tun, wir können doch die Stadt nicht diesen Raubhorden und Lümmeln überlassen. Und die Senatoren eingesperrt - so ein Unfug!” Cornelius fasste sich kurz an die Brust - die Aufregung tat ihm nicht gut. “Ich werde vorerst hier in der Monumenta bleiben, das wird sicherer sein, als wenn ich mich auf die Straße wage. Eventuell gibt es später die Gelegenheit, nach Hause zu gehen. Vorerst werde ich mich hier einschließen und vor Ort beobachten, was passiert.”
Im Schutz der Seelöwen
So wurde es umgesetzt. Viviona schlich sich aus der Monumenta, um sich zum Palazzo durchzuschlagen. Sie huschte durch den Garten des Rahjatempels - sie würden sich doch wohl nicht an den Tempeln vergreifen - und durch den Garten des Hesindetempels, richtete einen Haufen Stoßgebete an den Herrn der List, versteckte sich immer wieder, wenn wieder eine Bande von Mordbuben in ihrer Nähe zu hören war - und das waren sie gut, so viel Lärm, wie sie veranstalteten - um sich, vermutlich mit mehr Glück als Verstand - schließlich zum Palazzo durchzuschlagen. “Phex sei Dank”, sagte sie, als sie schließlich vor der Wache stand. Die Seelöwengarde, die Haustruppen der Malavistas, wirkten angespannt. Als Angehörige des Hauses wurde sie natürlich in den Palazzo gelassen. Schnell warnte sie die Wachen, die sie antraf und huschte eilig durch die Räume, um Seneb, Haldur oder einen anderen Angehörigen des Hauses zu finden. Sie musste doch Bericht erstatten!
Währenddessen brach draußen vor dem Palazzo Tumult aus. Ein Schlägertrupp hatte sich genähert, aber anscheinend nicht mit der entschlossenen Gegenwehr der Seelöwengarde gerechnet, die ihre Aufgabe, den Palazzo zu beschützen, mehr als Ernst nahmen. Es schien eine neue Erfahrung für den Schlägertrupp zu sein, eine ordentliche Abreibung zu kassieren - umso wichtiger war es, dass sie diese Lektion auch lernten!
Was gibt es hier zu Lachen?
“Adaon? Du hier?” Viviona war überrascht, als sie den jüngsten Sproß von Cordovan im praioswärtigen Teil des Palazzos antraf.
“Viviona, ich freue mich auch, dich zu sehen”, antwortete Adaon leicht amüsiert, als er seine Base so überrascht sah.
“Warum… weshalb… ach, ist auch egal, gut wenigstens jemanden zu treffen. Ganz Efferdas ist in Aufruhr - und Onkel Cordovan wurde festgenommen, zusammen mit den anderen Senatoren!”
Adaon schaute ungläubig. “Festgenommen? Erzähl mehr. Was ist denn da los?”
Beide setzen sich an den großen Besprechungstisch und Viviona berichtete, was sie erfahren und auch selbst erlebt hatte. Adaons typisches Lächeln verschwand immer mehr.
Als sie geendet hatte, schaute er - ganz ungewohnt - sehr ernst und finster drein.
“Das ist ein Bürgerkrieg! Das ist ein Staatsstreich! Das ist … das ist gar nicht mal schlecht!” Plötzlich lachte Adaon kurz und Viviona fragte sich, ob er eventuell verrückt geworden war.
“Was stimmt denn mit dir nicht? Dein Vater wurde verhaftet und du lachst?” Sie hielt kurz inne. “Ach so. ja. Aus der Sicht gesehen…”, sie schwieg.
“Wir müssen das Consiglium einberufen, das ist ernst. Die Seelöwen müssen in volle Alarmbereitschaft versetzt werden. Hast du Aurelio gesehen? Ich möchte wissen, was die efferdische Garde macht. Ein guter Teil der Soldaten ist uns gegenüber loyal, vielleicht kann Aurelio die Garde versammeln, dann hätten wir einen guten Hebel. Wir sollten auch wissen, was die anderen ehrbaren Häuser und Familien tun. Und weißt du, ob Haldur im Haus ist?”
“Dein Bruder war vor ein paar Tagen hier, sollte aber aktuell wieder in Chintûr sein, soweit ich weiß. Ich kümmere mich um die Seelöwen und das Consiglium und schicke Boten zu den Camaros und anderen Verbündeten, schau du nach Aurelio. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier.”
“So machen wir das. Ich werde ergänzend eine Nachricht nach Chintûr schicken, damit Haldur vorgewarnt ist und mal sehen, was unsere anderen Verbündeten in der Stadt tun.” Mit diesen Worten machte sich Adaon auf den Weg, um nach Aurelio zu suchen und vorher noch bei den Brieftauben vorbeizugehen, um seinen Bruder zu informieren.
Rahjabella Solivino
Rahjabella Solivino drückte sich schwer atmend und mit rasendem Herzschlag in eine enge, schattige Seitengasse. Sie musste sich beruhigen. Was war gerade geschehen? War sie wirklich inmitten einer Menschenmasse vor Söldnern geflohen? Die Rahjageweihte ging alles noch einmal in Gedanken durch.
Vor einigen Tagen war sie in Urbasi aufgebrochen, um das Haus Legari in Efferdas zu besuchen, zu dem ihre Familie gute Kontakte pflegte. Speziell Ardara und Rahjalin wollte sie wiedersehen und wer weiß, vielleicht begegnete sie ja auch Rhymeo della Pena, einem Rahjageweihten, der vor einem Jahr aus Urbasi nach Efferdas umgezogen war oder Helmar Ventargento, ebenfalls ein alter Freund, der ehemals in Urbasi gelebt hatte. Jedenfalls war sie guter Dinge mit ihrem treuen Pferd aufgebrochen und hatte sich bei der Ankunft in Efferdas am gestrigen Abend erst einmal ein gutes Gasthaus gesucht.
Diesen Vormittag hatte sie sich in einem ausgiebigen Gebet auf den Tag eingestimmt, ein schmackhaftes Frühstück zu sich genommen und das Gasthaus verlassen. Sie war durch die beschauliche Hafenstadt geschlendert und hatte einige Passanten nach dem Weg zum Stadthaus der Legari gefragt.
Doch plötzlich war das reine Chaos ausgebrochen. Die panischen Schreie ganz gewöhnlicher Menschen, die sicher nie etwas verbrochen hatten, klangen ihr noch in den Ohren. Sie konnte noch den beißenden Geruch des Rauches auf der Zunge schmecken, der von einem brennenden Haus aufgestiegen war. Über dieser schrecklichen Szenerie hatten auf einmal Herolde verkündet, sie sollten in ihre Häuser zurückkehren, es sei Ausgangssperre.
Rahjabella strich in einer unbewussten Geste einige Strähnen, die sich aus der aufwendigen Frisur gelöst hatten, zurück. Hier, in dieser unbekannten, versteckten Gasse war sie vorerst sicher. Vorerst. Aber wo, wo sollte sie hin? Längst wusste sie nicht mehr, wo sie war und die Wegbeschreibungen zum Stadthaus der Legari nutzten ihr nichts mehr.
Sie fasste einen Entschluss: Auch wenn sie sich in dieser Stadt nicht auskannte, so würde sie doch früher oder später auf einen Tempel treffen und dort eingelassen werden. Die Geweihten hier vor Ort konnten ihr mit Sicherheit erklären, was überhaupt geschehen war.
Also verließ sie die Seitengasse und lief dicht an den Häusern entlang durch die Hauptstraßen. Die grausamen Taten der unbekannten Söldner, die unschuldige Bürger verprügelten, ausraubten und Geschäfte plünderten, trieben ihr Tränen in die Augen. Doch wie sollte sie helfen, ohne selbst ein Opfer zu werden?
Unglücklicherweise gelangte sie bald auf einen großen Platz auf dem das Ganze scheinbar seinen Höhepunkt hatte. Während ringsum Söldner das Volk massakrierten, stand unberührt vor einem großen Gebäude, wahrscheinlich dem Senatsgebäude, eine Frau, nach Ausdruck und Gewandung eine Adlige, und hielt eine Rede über ein Mordkomplott gegen den Baron, den anscheinend die Senatoren geplant hatten. Rahjabella schlich sich unentdeckt hinter eine Säule.
Doch dort standen bereits ein einfach gekleideter Mann und ein Rahjageweihter, der ihr bekannt vorkam…
„Rahjalin!“, rief sie aus und fiel ihm sogleich in die Arme. Jetzt erst merkte sie, dass sie zitterte. „Ich bin so froh… Der Herrin sei Dank, dass ich dich gefunden habe!“ Sie ließ ihn gar nicht zu Wort kommen und redete ununterbrochen weiter. „Es ist so schrecklich! Weißt du was hier los ist? In was sind wir hier nur hineingeraten?“