Briefspiel:Gefährliche Worte (1)

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Auge-grau.png

Stadt Sewamund klein.png Briefspiel in Sewamund Herzogtum Grangor.png
Datiert auf: ab Ende 1045 BF Schauplatz: vor allem Stadt und Baronie Sewamund, darüber hinaus Phecadien und benachbarte Landstriche Entstehungszeitraum: ab Frühjahr 2023
Protagonisten: alle Sewamunder Familien, sowie diverse externe Machtgruppen Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Haus Tribec.png Tribec, Haus di Piastinza.png DiPiastinza, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Familie della Carenio.png Carenio, Familie Degano.png Marakain, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Vesselbek.png Vesselbek, Familie Cortesinio.png Cortesinio, Haus Carson.png OrsinoCarson, Haus della Pena jH.png Horasio, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus ya Papilio.png Gishtan re Kust, Wappen Lucrann von Leihenhof.png Galebquell
Zyklus: Übersicht · Präludium - 1045 BF · Der Eklat - Praios 1046 BF · Der Selziner Schwur - Rondra 1046 BF · Interludium - Efferd 1046 BF · Der Tag der Treue - 1. bis 15. Travia 1046 BF · Ein Sturm zieht auf - 16. bis 30. Travia 1046 BF

Ausgespielte Geschichten: Ruf nach Phecadien · Die Sewamunder Delegation in Shenilo · Quod est Demonstrandum · Sturm auf Amardûn · Reise in die Vergangenheit · I · II · III · IV · In den Kerkern von Amardûn · Das Treffen der Verschwörer · Ein Gespräch zur Rosenstunde · Sewamunder Delegation bei Irion von Streitebeck · Trauerfeier für Leonardo Cortesinio · Treffen bei Tovac · Reise ins Unbekannte · I · II · III · Packratten aus der Ponterra · I · II · III · IV · Gefährliche Worte · I · II · III



Autoren: Amarinto, Carenio


18. Travia 1046 BF, Piazza Nodo in der Sewamunder Neustadt


Thisdan von Sibur erinnert die Sewamunder an ihre eher schwierige Beziehung zu Irion von Streitebeck
Ricardo della Carenio gefällt die Unruhe auf dem Knotenplatz überhaupt nicht

Thisdan von Sibur stand auf dem Podest, welches im Zuge der kürzlichen Truppenparade auf der Piazza Nodo aufgebaut worden war. Um ihn herum hatte sich trotz des anhaltenden leichten Regens eine Gruppe von etwa 100 Sewamundern, Matrosen und Flüchtlingen aus dem Umland versammelt. Die Stimmung war aufgeheizt. Seine geübte Stimme schallte wieder über den Platz: "Und ist es nicht so, dass der Baron sich auch früher schon einen Dreck um die Belange der Bürger dieser Stadt kümmerte? Warf er den goldbehangenen Priestern der Aldigonenser nicht die ganzen Steuern in den Rachen, damit diese ein prächtiges Ordenshaus auf eure Kosten errichten konnten?" Die aufgepeitschte Menge johlte zustimmend. "Und jetzt reicht es ihm immer noch nicht, er will die Stadt bis auf den letzten Kreuzer ausbluten lassen, um sich mit dem Herzog und seinem Statthalter gut zu stellen! Oder um seine Schulden zu begleichen, die er mit teuren Söldnern ansammelte, während die tapferen Bürger Sewamunds um Gerbondo Filotrin ihm den Kopf des Nupercanti auf einem Silbertablett servierten. Nur um von ihm schmählich verraten zu werden. Ein Verrat, den er sich mit der Baronskrone nur zu gerne bezahlen ließ!" Wütende Rufe und Geschrei waberten über den Knotenplatz. "Hängt den Baron!" oder "Er ist ein Verräter, den Tod hat er verdient!" war zu hören.

Etwas braute sich zusammen. Die Menge war während der Predigt des Nanduspriesters auf mindestens das doppelte angeschwollen. Die wenigen Sewakgardisten, welche das Treiben beobachteten, begannen unruhig zu werden. Sie hatten einen Boten zu Capitan ter Braken gesandt, aber noch keine neuen Instruktionen erhalten.

Aus seinem Turmzimmer konnte Ricardo della Carenio direkt auf den Knotenplatz hinunterblicken. Mit gerunzelter Stirn beobachtete der ehemalige Stadtrichter und Landvogt von Veliris das Treiben auf und vor dem Podest. Die aufgepeitschte Stimmung der Menge gefiel ihm überhaupt nicht. Er hörte, wie der Nanduspriester gegen den Baron Stimmung machte. Sicher, vieles von dem, was er sagte, entsprach durchaus der Wahrheit. Aber die Gefahr war groß, dass sich ein wütender Mob auf jeden stürzen würde, der als Parteigänger des Barons betrachtet wurde. Dazu fürchtete er, dass sich die Wut letztendlich irgendwann gegen alle Adligen richten würde. Nandusanhänger waren schließlich bekannt für ihre Abneigung der Aristokratie. Also ließ sich Ricardo seinen Mantel bringen. Er wollte hinunter zu der aufgestachelten Menge und versuchen die Wogen zu glätten, für Recht und Ordnung zu sorgen und das ohne den Baron in Schutz zu nehmen.

Als Ricardo della Carenio auf die Piazza Nodo trat, hörte er das Johlen, die Rufe und die Schreie der aufgebrachten Menge umso deutlicher. Ein Sewakgardist trat an ihn heran: "Signor, der Platz ist gerade etwas unsicher aufgrund der Predigt. Vielleicht wollt Ihr doch lieber im Haus verweilen, zu Eurer Sicherheit? Bis wir die Lage unter Kontrolle gebracht haben?" Ricardo sah sich um und konnte nur vier Sewakgardisten ausmachen. Er hatte starke Zweifel, dass diese eine solche Menge an Personen unter Kontrolle bringen konnten.

"Schicke er sich an, Verstärkung zu bekommen! Eilt Euch! Diese Situation kann schnell außer Kontrolle geraten. Ich gedenke nicht, mich im Haus in Sicherheit zu bringen. Ganz im Gegenteil! Ich werde gleich zu diesem Prediger aufs Podest steigen und versuchen, die Wogen zu glätten. Wir müssen sehen, dass Recht und Ordnung in der Stadt gewahrt bleiben!"

Der Gardist nickte knapp. "Wie ihr wünscht Signor. Ein Bote wurde bereits zu Capitan ter Braken gesandt, wir warten noch auf Antwort."

Als Ricardo della Carenio gemeinsam mit dem Gardisten zum Podest schritt, wo Thisdan von Sibur wortgewaltig seine Predigt hielt, begannen sich mehr und mehr Augen auf den Juristen zu richten. Der Nandus-Priester nahm die Neuankömmlinge mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem leicht belustigten Gesichtsausdruck zur Kenntnis. Er richtete seine Worte nun direkt an den Edelmann. "Und hier haben wir einen Vertreter der führenden Familien dieser schönen Stadt. Signor, Ihr könnt den mit allem Recht aufgebrachten Bürgern dieser Stadt doch sicherlich aus erster Hand berichten, welche Schurkenstücke der Baron noch auf seinem Gewissen lasten hat?" Als Ricardo das Podest erklommen hatte, erkannte er hinter dem Nandus-Priester noch einen kräftigen Mann mit Zahnlücke und eine muskelbepackte Frau mit einer gefährlich aussehenden Narbe auf der Stirn. Die beiden sahen aus, als ob sie schon so manche Prügelei erfolgreich überstanden hatten, wie typische Nandus-Jünger wirkten sie jedoch nicht.

Der ehemalige Richter von Veliris hatte nicht vor den beiden Begleitern des Priesters näher zu kommen. Er blieb am Rande des Podestes stehen und begrüßte Thisdan von Sibur, wie es seinem Rang gebührte. Dann wandte er sich an die Zuhörer vor dem Podest. "Bürger von Sewamund, wir alle leiden unter den Repressalien, die der Baron unserer schönen Stadt auferlegt hat. Das ist nicht hinzunehmen! Da sind wir, Euer Gnaden, uns vollkommen einig." Er sah zu dem Nandusgeweihten hinüber, wartete dessen Reaktion aber gar nicht erst ab, sondern führte weiter aus. "Allerdings muss dabei Recht und Ordnung gewahrt werden! Die weltliche Gerichtsbarkeit wird den Baron richten und ihn für alle Taten, die ihm nachgewiesen werden, zur Rechenschaft ziehen!"

"Aber Signor, ist nicht der Baron selbst als Gerichtsherr ein Teil dieser Gerichtsbarkeit? Können sich die Bürger der Stadt wirklich darauf verlassen, dass die Richter des Herzogs unvoreingenommen und unabhängig von Stand und politischen Erwägungen gegen einen der ihren Urteile werden?" Der Nanduspriester hatte einen kritischen Punkt angesprochen, da der Baron als Freigerichtsherr der Baronie Sewamund selbst ein hochrangiger Vertreter der weltlichen Gerichtsbarkeit war. Ein skeptisches Murmeln breitete sich unter der wenig juristisch gebildeten Menge aus. Ein junger Mann aus den hinteren Reihen rief laut: "In Grangor und Belhanka gibt es keine Barone und Herzöge, die Recht über sich selbst und ihresgleichen sprechen könnten! Dort sind die Bürger wirklich frei." Zustimmendes Gejohle brandete auf und Thisdan von Sibur lächelte zufrieden.

Ricardo della Carenio antwortete zunächst auf den Einwand des Nandusgeweihten. "Über dem Baron steht der Herzog und somit dessen Richter. Wenn sich der Baron nachweislich eines oder mehrer Vergehen schuldig gemacht hat, wird er sich vor dem Herzog verantworten müssen. Die Unvoreingenommenheit der Richter ist sicherlich gegeben. Sie sind unabhängig von Stand und politischem Einfluss. Dafür sind sie Richter." Man konnte hören, dass der ehemalige Richter eine hohe Meinung von seinen juristischen Kollegen hatte. Was er für sich in Anspruch nahm, musste auch für die Richter des Herzogs gelten. Er wandte sich schließlich auch an den skeptischen, jungen Mann in den hinteren Reihen. "Ich gebe Euch Recht, dass die Städte Grangor und Belhanka einen besseren Stand haben, was die Gerichtsbarkeit angeht, doch wir müssen nun eben von dem juristischen Status Quo ausgehen, den Sewamund aktuell hat. Natürlich könnte man für die Zukunft der Stadt eine Petition an den Herzog schicken, der Stadt Sewamund ähnliche oder gar gleiche Rechte wie Grangor und Belhanka zu verleihen. Doch das ist eine andere Angelegenheit als die Causa Baron Irion von Streitebeck und muss extra verhandelt werden, und zwar vom Lilienrat, in dessen Aufgabengebiet so eine Petition fallen würde."

Die trockenen juristischen Ausführungen Ricardos ließen die Stimmung merklich abkühlen. Die meisten Zuhörer waren gekommen, um eine flammende Predigt zu hören und keinen Vortrag eines Advokaten. Einige Personen aus den hinteren Reihen begannen sich von der Bühne abzuwenden. Thisdan von Sibur versuchte noch einmal einen Vorstoß um die Stimmung am köcheln zu halten. "Nun ist aber so, dass der Baron für seinen Verrat an den Sewamundern Bürgern in der Sewamunder Fehde nie juristisch zur Rechenschaft gezogen wurde! Oder wollt ihr das bestreiten, Signor? Wie sollen da die Bürger der Stadt auf die Richter des Herzogs vertrauen können?"

Der Justiziar erkannte, dass sich die Aufregung des Publikums legte. Ein Umstand, der ihm zupass kam. Natürlich war ihm klar, dass nicht jeder seinen Ausführungen folgen konnte, doch das war auch gar nicht notwendig, wichtig war lediglich, dass allen verständlich wurde, dass man Recht und Ordnung einhalten musste und keinesfalls Lynchjustiz üben durfte. Die Frage des Nanduspriester beantwortete er deshalb zunächst mit einem Seufzen. Hatte er sich denn nicht deutlich genug ausgedrückt? "Haben nicht damals die Bürger der Stadt Irion von Streitebeck freiwillig die Stadt geöffnet? Und war es nicht so, dass man ihn bereitwillig in die Stadt liess im Gegenzug für mehr Bürgerrechte? Allerdings, wenn es damals auch nicht gelang eine größere Autonomie zu erreichen, sollte uns das nicht gar Ansporn sein, dieses Mal mit dem Herzog über eine weitere Autonomie der Stadtverwaltung zu verhandlen?"

Praiodan ter Braken löst die Versammlung aus "Sicherheitsgründen" auf

Die Menge hatte sich nun deutlich beruhigt. Das rhetorische Geplänkel zwischen dem Juristen und dem Priester war ihnen wohl nicht aufregend genug. Weitere Zuhörer verließen die Piazza Nodo, während zugleich ein halbes Dutzend Sewakgardisten und Capitan ter Braken eintrafen. Dieser erklomm das Podest, nickte Ricardo della Carenio und Thisdan von Sibur zu. "Signor! Euer Gnaden! Ich komme im Auftrag von Seneschall Drago Amarinto und soll diese Versammlung hier aus Sicherheitsgründen auflösen." Er wartete keinen Widerspruch ab und wandte sich direkt an die Menge. "Im Namen des Lilienrats erlässt der Seneschall von Sewamund folgende Anordnung: Die Piazza Nodo wird aus Gründen der öffentlichen Sicherheit für den Rest des Tages gesperrt und alle Versammlungen von mehr als drei Personen müssen sofort aufgelöst werden." Ein Teil der Menge murrte, manche winkten enttäuscht ab, andere wandten sich zum gehen. Der Nanduspriester blickte ihn offen feindselig an. "Das ist ja unerhört. Dies ist eine offizielle Predigt der Nandus-Kirche, wie könnt ihr es wagen Euch so in religiöse Fragen einzumischen?" Capitan ter Braken blickte hilfesuchend zu Ricardo della Carenio.

Der Justiziar hob die Augenbrauen und sah den Nandusgeweihten herausfordernd an. "So? Eine Predigt ist dies? Nun, ich kann mich nicht entsinnen, den Namen Eures Herrn Nandus auch nur einmal gehört zu haben, Euer Gnaden. Gehörte denn nicht eine Lobpreisung des Herrns der Einsicht und des Wissens in eine Predigt seines Dieners? Wie dem auch sei, wenn dies eine Predigt war, verehrter Thisdan von Sibur, so hattet Ihr ausreichend Zeit dafür. Ich bitte ich Euch nun zum Abschluss eurer Predigt um den Segen des Gottes der Einsicht und des durchdachten Handelns für die Bürger von Sewamund."

Der Geweihte hatte weiterhin diesen lodernden Blick in den Augen, allen Anwesenden war klar, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen worden war. "Natürlich Signor, vielleicht solltet ihr nächstes Mal einfach die Predigt selbst halten, wo ihr euch doch so gut in den theologischen Fragen auszukennen scheint." Er wandte sich an die Menge, breitete die Arme aus und sprach mit fester Stimme. "So gehet hin in Frieden und strebt nach Erkenntnis, Freiheit und Erleuchtung." Danach trat er ohne weitere Worte vom Podest, die beiden kräftigen Nevortener begleiteten ihn ebenso wortlos. Capitan ter Braken nickte dankbar und begann mit seinen Gardisten die verbliebenen Zuhörergruppen aufzulösen.