Briefspiel:Quod est Demonstrandum
Autoren: Luntfeld
27. Rondra 1046 BF, Palazzo Luntfeld in Sewamund
"Papa", die kleine Argelia Luntfeld rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her, obwohl sie wusste, dass die damit gegen die Etikette verstiess. "Papa", darf ich dir nach dem Essen etwas zeugen? Etwas wirklich Wichtiges!" Erwartungsvoll sah sie ihren Vater an. Verwundert blickte Khardan Luntfeld seine Gattin an, doch diese zuckte nur mit den Achseln, sie war genauso überrascht und ratlos von den Worten ihrer Tochter.
"Nun, mein Schatz," Khardan liess sich mit der Antwort etwas Zeit, "was ist es denn, was du mir so dringend zeigen musst?"
"Eine Überraschung," antwortete die 10jährige begeistert. "Aber nicht hier, unten im Hof!"
Kurze Zeit später war die Tafel aufgehoben und die Familie unterwegs zum Hof, Irritiert blickte Khardan auf die Rotze, auf die ihn seine Tochter zuführte. Hinter dem Geschütz, das auf seiner Radlafette irgendwie bestellt und nicht abgeholt wirkte, standen erwartungsvoll Meister Grotian mit seinen Gesellen und blickten der Gruppe schelmisch lächelnd entgegen. "Darf ich endlich erfahren was hier gespielt wird?" Streng blickte Khardan seinen Meister-Rotzenbauer an. Dieser schmunzelte jedoch nur. "Dann hat sie euch noch nichts erzählt? Gut, gut," erwiderte der Meister, strich sich über seinen Spitzbart und sprach Argelia Luntfeld an: "Na dann mal los, junge Dame!"
Diese wurde nun doch etwas verlegen ob der Aufmerksamkeit, welche ihr zufiel, riss sich jedoch zusammen und begann der Gruppe ihre grosse Idee zu erläutern.
"Wie du, Papa, selber in Pertakis erlebt hast, ist der Einsatz von Geschützen in offener Feldschlacht von zweifelhaftem Nutzen, wenn nicht ein direkter Treffer erzielt wird. Die Rondrakirche verbietet Hagelschlag, Bolzen und Pfeile jedoch sind auf dem Schlachtfeld gang und gäbe. Was also, wenn man unsere Geschütze einfach anstelle einer Kugel mit Pfeilen lädt anstelle der verwerflichen Splitter?"
In weitem Bogen wies Argelia auf die andere Seite des Platzes, wo 30 Schritt weiter im Schatten der Stadtmauer ein Dutzend Strohpuppen in Schlachtformation aufgestellt war, wie Khardan erst jetzt bemerkte. Meister Grotian und seine Gesellen hatten mehrere Köcher voller Pfeile mitgebracht. Ohne Hektik wurde die Rotze aufgezogen, doch anstelle einer Kugel wurden als Geschoss bündelweise Pfeile auf den eineinhalb Spann breiten Schlitten des Geschützes gefüllt, bis wohl mindestens fünf Dutzend davon auf der Platte lagen, ihre Spitzen auf die Stadtmauer gerichtet.
Alle wussten, was kommen würde und stellten sich in angemessenem Sicherheitsabstand neben und hinter das Geschütz. Meister Grotian hinter dem Abzugahebel blickte zu Khardan. Dieser schüttelte lächelnd den Kopf und wies auf seine Tochter – Argelia soll das Zeichen zum Schuss geben.
Mit einem Knall entlud sich die Torsionsspannung und eine Wolke Pfeile schwirrte in alle Richtungen über den Sewamunder Holzplatz. Einige verirrten sich über die Mauer, andere prallten vom Boden ab und von dort aus nach links und rechts. Der Grossteil jedoch erreichte das beabsichtigte Ziel. Langsam schlenderte die Gruppe anschliessend über den Hof um die verheerende Wirkung auf die Figuren näher zu betrachten. Während Meister Groterian und Argelia bereits über Entfernungen und Streuung diskutierten, blickte Khardan die gespickten Strohpuppen eher nachdenklich an und konnte die sonst von professionellen Kriegsleuten eher belächelte Rondrakirche nun besser verstehen. Anders als seine Tochter besass er sowohl die Vorstellungskraft als auch die praktische Erfahrung, um die Wirkung der Salve einer ganzen Batterie derart bestückter Rotzen – im rechten Moment abgefeuert – auf eine angreifende Truppe einschätzen zu können. Ihn schauderte.