Briefspiel:Gefährliche Worte (3)

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Stadt Sewamund klein.png Briefspiel in Sewamund Herzogtum Grangor.png
Datiert auf: ab Ende 1045 BF Schauplatz: vor allem Stadt und Baronie Sewamund, darüber hinaus Phecadien und benachbarte Landstriche Entstehungszeitraum: ab Frühjahr 2023
Protagonisten: alle Sewamunder Familien, sowie diverse externe Machtgruppen Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Haus Tribec.png Tribec, Haus di Piastinza.png DiPiastinza, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Familie della Carenio.png Carenio, Familie Degano.png Marakain, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Vesselbek.png Vesselbek, Familie Cortesinio.png Cortesinio, Haus Carson.png OrsinoCarson, Haus della Pena jH.png Horasio, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus ya Papilio.png Gishtan re Kust, Wappen Lucrann von Leihenhof.png Galebquell
Zyklus: Übersicht · Präludium - 1045 BF · Der Eklat - Praios 1046 BF · Der Selziner Schwur - Rondra 1046 BF · Interludium - Efferd 1046 BF · Der Tag der Treue - 1. bis 15. Travia 1046 BF · Ein Sturm zieht auf - 16. bis 30. Travia 1046 BF

Ausgespielte Geschichten: Ruf nach Phecadien · Die Sewamunder Delegation in Shenilo · Quod est Demonstrandum · Sturm auf Amardûn · Reise in die Vergangenheit · I · II · III · IV · In den Kerkern von Amardûn · Das Treffen der Verschwörer · Ein Gespräch zur Rosenstunde · Sewamunder Delegation bei Irion von Streitebeck · Trauerfeier für Leonardo Cortesinio · Treffen bei Tovac · Reise ins Unbekannte · I · II · III · Packratten aus der Ponterra · I · II · III · IV · Gefährliche Worte · I · II · III



Autoren: Amarinto, Carenio, VivionaYaPirras


19. Travia 1046 BF, Piazza Nodo in der Sewamunder Neustadt


Findet mit seinen Predigten durchaus Anklang in Sewamund: Thisdan von Sibur
Will den Priester im Auge behalten: Ricardo della Carenio
Erweist sich als Nandus-Jünger: Aldo Barbieri
Sieht sich an traumatische Ereignisse ihrer Jugend erinnert: Orleane ya Pirras
Hat keine einfache Aufgabe: Praiodan ter Braken

Wieder hat sich im leichten Regenschauer eine ansehnliche Menge von Sewamunder Bürgern, Matrosen und Flüchtlingen auf der Pizza Nodo versammelt. Thisdan von Sibur trat wie schon am Tag zuvor in vollem Ornat des Nandus-Geweihten auf das Podest. Der große Unterschied zum vorherigen Tag war jedoch ein ansehnlicher Trupp von leicht Bewaffneten, die allesamt grün-goldene Bänder an den Armen trugen, um ihre Zugehörigkeit zum Nevortener Freiwilligenkontingent kenntlich zu machen. Angeführt wurden sie vom hünenhaften Nevortener Miliz-Gofaloniere Aldo Barbieri, dessen Kreuz und breite Schultern einem Ochsen Ehre gemacht hätten. Er stand demonstrativ mit verschränkten Armen und gespannten Muskeln neben dem im Vergleich fragil wirkenden Geweihten, als dieser zu sprechen begann. "Bürger von Sewamund, Freie von Sewakien und Phecadien! Schwer lastet das Joch des Barons auf euren Schultern und nun als Ihr Euch von der Last befreien wollt, versucht er Euch mit aller Macht wieder auf die Knie zu zwingen, euch die Freiheit zu nehmen." Aufgebrachtes Gemurmel breitete sich aus. "Aber Ihr seid ebenso Kinder der Zwölfe, ebenso habt ihr das Recht auf Selbstbestimmung und freies Handeln, wie es Euch der Herr Nandus lehrt." Begeisterter Jubel brandete auf.

Wieder stand Ricardo della Carenio am Fenster des Palazzo nuovo della Carenio und blickte hinunter auf die Menschenmenge, die sich versammelt hatte Thisdan von Sibur zu lauschen. Der Nandusgeweihte predigte erneut von Freiheit und Selbstbestimmung. Er machte Stimmung gegen den Baron. Ricardo hörte genau zu. Bisher blieb Thisdan von Siburs Rhetorik vergleichsweise mild und er schien nicht zum Schlag gegen die Aristokratie allgemein auszuholen. Mit Unbehagen aber nahm der Justiziar wahr, dass die Nevortener ein bewaffnetes Freiwilligenkontingent rund um die Bühne aufgestellt hatten. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass die Nevortener sich derartig in die Belange Sewamunds einmischten. Natürlich brauchten sie Verbündete und die Seestadt Nevorten mit ihrer Flotte war ein wertvoller Spielstein in der Verteidigung der Stadt vom Wasser her. Doch sah Ricardo in der unterschwelligen Beeinflussung der Sewamunder Bürger durch den Nanduspriester noch immer eine gewisse Gefahr.

In der Menschenmenge stand auch Orleane ya Pirras. Sie hatte gestern schon bruchstückhaft von den Problemen mit diesem Nandusgeweihten gehört und sie wollte sich nun selbst ein Bild davon machen. Misstrauisch lauschte sie seinen Worten und beobachtete die Menge ganz genau. Noch sprach er nur gegen den Baron und hetzte gegen ihn, aber sie wusste wie schnell ein fanatisch gesprochenes Wort an der falschen Stelle einen Flächenbrand verursachen konnte. Die Erinnerung ließ sie frösteln. Und was sollten die Bewaffneteh auf dem Podest? Fürchtete der Geweihte, dass man seine Predigt erneut unterbrechen würde und hatte er vor diese notfalls unter Einsatz von Gewalt weiterzuführen? Das Unbehagen wurde stärker.

Ist nicht sonderlich beliebt in Sewamund: Selchion Garlischgrötz

Thisdan von Sibur nahm nun den Schwung auf. "Und erinnert ihr euch nicht, wann das letzte Mal eine solche Tyrannei eure wunderbare Stadt ereilte?" Ein Rufer aus der Mitte krakeelte: "Der Nupercanti! Er besetzte die Stadt und nahm uns die Freiheit!" Der Nandus-Priester nickte theatralisch. "Ganz recht! Tiro Tristano von Nupercanti nahm sich diese Stadt mit Gewalt, auch er wollte sich Baron von Sewamund nennen und auch damals war diese Stadt und ihre Bewohner ein Spielball der hohen Herrschaften. Aber was geschah mit diesem Unhold als er den Mut und die Tatkraft der Bürger unterschätzte?" Wieder rief jemand aus dem Publikum. "Wir haben ihm den Kopf abgeschlagen!" Begeisterte Zustimmung brandete auf. Sicherlich war sogar der ein oder andere damals selbst zugegen gewesen, als der Nupercanti auf eben diesem Platz von den Bürgern der Stadt enthauptet wurde. Thisdan fuhr fort: "Aber was war mit dem Baron davor? Selchion Garlischgrötz, der Thorwaler? Hat er euch nicht schmählich im Stich gelassen, nachdem ihr ihm sein protziges Schloss bezahlt hattet?" Es machte sich sichtlich Unmut in der Menge breit. Der Bastardsohn des Herzogs war zwar kein Tyrann gewesen, aber hatte doch viel gutes Gold aus Sewamund für seine luxuriösen Bauten verprasst. Der Geweihte lächelte und holte zum krönenden Abschluss aus. "Aber was war denn mit dem Baron davor? Er war ein Zauberer, dem die Belange seiner Stadt kaum unwichtiger hätten sein können, ein Anhänger des götterverfluchten Bethaniers gar! Kaum hatte er die Stadt verlassen, schon marschierte eine Ausgeburt der Niederhöllen auf Sewamund und konnte nur unter größten Aufopferungen aufgehalten werden, bevor sie die Stadt zerstören konnte. Bis heute leiden die Bürger dieser Stadt unter den Folgen der niederhöllischen Versuchung Sewakiens." Die älteren unter den Zuhörern brüllten ihre Zustimmung heraus, ja Adaon von Veliris war ein Borbaradianer gewesen und es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen, natürlich musste er den Gurondaii auf Sewamund gehetzt haben! Die Stimmung war nun dort angelangt, wo der Geweihte sie haben wollte. "Jetzt frage ich Euch, Bürger von Sewamund, was haben die Barone also jemals für Euch getan? Seid ihr nicht besser ohne sie dran, frei und ohne fremde Knechtschaft? Solltet ihr euch nicht ihrer ein für alle mal entledigen?" Die Menge kochte. Langsam begannen einzelne zu skandieren und der Rest stimmte langsam mit ein. "Tod dem Baron! Tod dem Baron!"

Die anwesenden Sewakgardisten hatten das Schauspiel aufmerksam verfolgt. Ihr Capitan Praiodan ter Braken trat an die Bühne heran, der Miliz-Gonfaloniere Nevortens Aldo Barbieri beugte sich zu diesem hinunter, während der Sewamunder Capitan eindringlich auf ihn einredete. Der bullige Nevortener schüttelte jedoch nur emotionslos den Kopf.


Auch Orleane ya Pirras ließ sich von der Menge nach vorne in Richtung der Bühne treiben. Mühsam bahnte sie sich einen Weg. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und Erinnerungen kamen in ihr hoch. 'Nein, nicht jetzt', dachte sie und starrte in Richtung des Nandusgeweihten, der sichtlich die Folgen seiner Rede genoss. "Euer Gnaden, Euer Gnaden...", versuchte sie lautstark seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war schwer, denn die Menge wurde immer lauter und aufgebrachter. Auf einmal bekam sie einen Schlag in den Rücken und stolperte nach vorne, prallte dabei gegen ihren Vordernann der sie unsanft zur Seite schob und dabei zu Fall brachte. Orleane schrie auf und wich gerade noch einem Bein aus, welches sie beinahe am Kopf getroffen hätte. Wieder schrie sie auf, aber es schien die Menge nicht zu übertönen. Sie kauerte sich zusammen und zitterte am ganzen Körper. Hier und da bekam die einen Stoß, auf den sie mir mit einem leisen Wimmern reagierte. Auf einmal spürte sie einen harten Griff unter ihren Armen und wurde in die Höhe gezogen. Einer der Bewaffneten des Nevortener Freiwilligenkontingents schien die Sache beobachtet zu haben und hatte sich einen Weg zu ihr gebahnt. Er zog sie zum Rande des Podestes und schaute sie an. "Alles gut?", murmelte er. Orleane konnte nur nicken und atmete einige Male tief durch, bis sich ihr Herzschlag einigermaßen beruhigt hatte. Währenddessen hatte sich ihr 'Retter' wieder abgewandt, denn die Menge begann mehr und mehr sich Richtung Podest zu bewegen. Orleane nutzte ihre Gelegenheit und stieg die Treppe des Podestes hinauf. Sie stürmte auf den Geweihten zu und schrie ihn an. "Hört auf und stoppt diesen Wahnsinn. Was bezweckt Ihr damit, Euer Gnaden? Wem sollen sich diese braven Bürger entledigen? Wessen Blut soll an ihren Händen kleben? Ihr stammt aus Sibur, zumindest Eures Namens nach. Nun, dann solltet ihr dem Volk aus Sewamund erklären, was auf sie wartet, wenn sie Euren Worten folgen. Erzählt Ihnen doch von der Nandusrepublik Sibur. Ihrem Aufstieg und ihrem blutigen Fall. Dem Kirchenbann und wie man mit den Menschen umging, die nicht mehr von der Republik überzeugt waren, nachdem die ersten hochtrabenden Worte sich in Schall und Rauch aufgelöst haben. Ihr wart doch bestimmt dabei, Thisdan von Sibur." Mit hochrotem Kopf schrie sie ihm die Worte entgegen, spie sie fast vor ihm aus. Der Hass glühte in ihren Augen, als sie die Antwort des Geweihten erwartete.

Der Geweihte schien von Orleanes plötzlichem Auftritt ein wenig überrascht. Sicherlich hatte er mit Gegenrede gerechnet, aber der Verweis auf Sibur ließ Falten auf seiner Stirn auftauchen. An Orleanes Kleidung erkannte er, dass es sich bei ihr um eine Adlige handelte und daher hielt er auch den Miliz-Gonfaloniere zurück, der schon einen Schritt in ihre Richtung gemacht hatte. "Signora, was sprecht Ihr von Sibur? Ja, ich stamme von dort und habe die Tage der Nandusrepublik erlebt. Aber der Thronfolgekrieg war doch eine turbulente Zeit für uns alle. Überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was die guten Sewamunder hier und heute zu erdulden haben. Wir sprachen davon, dass die Bewohner dieser schönen Stadt ein freies und selbstbestimmtes Leben führen sollen. Ohne einen Tyrannen, wie die Barone von Sewamund, welche seit Jahrzehnten diese guten Menschen für ihre Zwecke ausnutzen. Das wollt Ihr doch nicht in Frage stellen?" Der Geweihte sprach sanft und deutete mehrfach mit einer einstudierten priesterlichen Geste auf die Menge vor ihm. Ein Teil der Bürger hatte Orleane ausgebuht, als sie den Priester unterbrochen hatte. Jetzt starrten sie dutzende Augenpaare feindselig an und warteten skeptisch auf eine Antwort. Spannung lag in der Luft, obwohl der Regen weiterhin ohne Unterbrechung auf die Anwesenden niederging.

"Ja, dem Sewamunder Volk wurde Unrecht getan. Aber dieses Mal ist es anders. Aufgrund der neuesten Bestimmungen des Barons, wurde dieser vom Lilienrat als Vorsitzender des Rates abgesetzt. Dem militärischen Aufbegehren des Entmachteten steht der Lilienrat mit der Mobilmachung gegenüber und es wurden Strategien entwickelt, um diesen entgegenzutreten, wenn es keine diplomatische Lösung geben sollte. Und wofür? Zum Schutze Sewamunds und seiner Bürger und der Beendigung der Unterjochung durch Baron Irion von Streitebeck. Und um dieses zu erfüllen, sollten alle an einem Strang ziehen. Patrizier und Bürger. Aber Ihr... ", sie deutete auf den Nanduspriester, "...Ihr giesst Öl ins Feuer. Ihr hetzt auf. Ihr sorgt für eine Unruhe, die nur dem Baron und seinen Truppen in die Hände spielt, indem Ihr Zweifel und Zwietracht sät. Ihr prangert jetzt den Baron an. Und wen dann? Die ya Mornicala, die Vistellis, die Amarinto? Was habt Ihr und Euresgleichen nur mit Worten angerichtet? In Sibur und in Belhanka? Ihr habt das Volk aufgewiegelt, bis dieses mordend, plündernd und brandschatzend durch die Straßen gezogen ist."

Ricardo della Carenio, der aus dem Palazzo Nuovo della Carenio auf die Piazza Noda gekommen war, um die 'Predigt' des Nandusgeweihten besser verstehen zu können, nickte zustimmend. Die Signora ya Pirras sprach ihm aus der Seele. Besser hätte er es nicht ausdrücken können.

Der Geweihte war sichtlich verärgert über die Anklagen Orleanes. "Infame Unterstellungen! Nichts weiter. Wenn hier jemand plündert und brandschatzt, dann sind es die Handlanger des Barons. Sie haben Unfrieden nach Sewamund gebracht, sie haben das Dorf Amarinto niedergebrannt! Den Bürgern Belhankas könnte es dagegen nicht besser gehen, frei von der Unterdrückung des Grafen." Die Menge war unruhig und wusste nicht so recht, was dieser Auftritt bedeuten sollte. Die Erwähnung des Brandes in Amarinto ließ die Emotionen aber wieder hochkochen, es waren auch einige Flüchtlinge aus dem Dorf unter den Zuhörern, deren berechtigter Zorn auf die Söldlinge des Barons laut hörbar wurde. Der Miliz-Gonfaloniere Aldo Barbieri baute sich nun vor Orleane auf. Seine tiefe Bass-Stimme klang bestimmt, aber nicht feindselig. "Signora, ich glaube es ist besser, wenn Ihr nun geht. Auch zu Eurer eigenen Sicherheit." Er legte ihr seine massive Hand auf die Schulter und begann sie mit sanftem Druck zur kleinen Treppe nach unten zu bugsieren, wo bereits der angespannt wirkende Capitan der Sewakgarde, Praiodan ter Braken wartete.

Ricardo kletterte auf das Podest, machte einen Schritt nach vorne und legte seine Hand auf die Schulter des Miliz-Gonfaloniere. "Haltet ein, Aldo Barbieri!", rief er. "Die Signora ya Pirras hat das gleiche Recht wie der Rest des Publikums, sich diese sogenannte Predigt Thisdan von Siburs anzuhören. Als fromme Frau, die die Zwölfgötter ebenso achtet wie Ihr und ich, soll sie selbst entscheiden, ob sie den aufrührerischen Worte des Nandusgeweihten lauschen will oder nicht." Er sah die Signora fragend an, ob sie sich lieber in Sicherheit bringen oder weiterhin der aufheizenden Rede des Predigers lauschen wollte.

Der Nevortener Hüne sah den Juristen und die Medica fragend an und seine Bass-Stimme bekam einen belustigten Unterton: "Natürlich hat ein jeder Bürger das Recht einer Predigt beizuwohnen. Aber was macht Ihr? Erklettert das Podest, stellt auch auf eine Stufe mit dem Geweihten, stört seine Predigt und bewerft ihn mit Anklagen. Ein Verhalten, dass man nur mit Eurer privilegierten Position als Nobili erklären kann." Der trotz seines Amtes als Gonfaloniere dem einfachen Volk entstammende frühere Dockarbeiter Aldo Barbieri sah die beiden mit deutlicher Antipathie von oben herab an. "Bei allem Respekt, ein einfacher Bürger der es wagt die Predigt eines Donatore Lumini zu stören und diesen mit Anwürfen zu überziehen, würde wohl unversehens von den Tempelgardisten aus dem Tempel geprügelt werden. Die Sonderrechte die Ihr Euch mit aller Selbstverständlichkeit herausnehmt, scheinen mir Ausdruck einer tief verankerten Arroganz gegenüber dem einfachen Volk zu sein." Einige der Anwesenden staunten über die geschliffene Rede des ansonsten so schweigsamen Hafenarbeiters.

"Ihr fordert hier das Mitspracherecht der Bürger und verwehrt es mir?" Mit einem Nicken hielt Orleane den Gonfaloniere ihre über Kreuz gelegten Handgelenke hin. "Wenn ihr mein Verhalten ach so verwerflich seht, dann ruft doch die Gardisten, die hier für Ruhe sorgen sollen, da meine Worte so aufrührerisch sind. Aber ich glaube diese Art von Worten geht von einer anderen Seite aus." Sie wandte sich wieder dem Geweihten zu. "Und Ihr weicht mir aus Euer Gnaden. Ihr redet nur vom hier und jetzt und meinen Standpunkt dazu habt ihr gehört und ignoriert. Ist das Eure Strategie?" Sie versuchte in der Mimik und Gestik des Geweihten zu lesen, als sie weitersprach. "Ich erwarte eine Antwort auf meine Fragen, denn ihr werft mir Infame Unterstellungen vor. Sagt Thisdan von Sibur, als Teil der Nandusrepublik Sibur, stimmt es, dass Andersdenkende eingekerkert wurden? Oder erklärt mir doch bitte die Erstürmung des Turms der Radoleths, als im Namen der Republik eine ganze Familie abgeschlachtet wurde und deren Köpfe öffentlich zur Schau gestellt wurden. Oder nein, ihr erwähntet Belhanka, dessen Bürgern es nicht besser gehen könnte. Wart ihr vor Ort, als die Bürger durch die Straßen zogen, gewütet, gedroht und gemordet haben? Im Namen der Republik."

Der Geweihte war sichtlich empört, aber behielt als erfahrener Redner die Ruhe. "Signora, ich bin Euch in keinster Weise Rechenschaft schuldig für Ereignisse mit denen ich nichts zu tun habe. Im Thronfolgekrieg geschah viel Unrecht im ganzen Reich, aber das ist vor vielen Götterläufen gewesen. Ihr habt gehört, was der Baron von Sewamund seine Vorgänger an tyrannischen Taten verbrochen haben, wollt Ihr das damit entschuldigen, dass andere an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit ebenso furchtbare Dinge getan haben?" Er schüttelte nur den Kopf. "Der Gonfaloniere hat Recht, Ihr kommt zu meiner Predigt und verleumdet mich mit Anklagen, verlangt Rechenschaft von mir und seht dies auch noch als Euer gutes Recht. Ihr erhebt Euch über die guten Bürger dieser Stadt mit der Selbstverständlichkeit des alten Adels, welche schon damals die Bürger Belhankas zum Aufstand trieb. Ihr solltet Euch schämen!" Zustimmendes Gemurmel war aus der Menge zu vernehmen. Der Capitan der Sewakgarde, Praiodan ter Braken wurde sichtlich nervös, er wollte keinen Konflikt mit den Verbündeten provozieren, aber zugleich schien ihm die Entwicklung dieser Konfrontation nicht zu behagen und er war besorgt um die Sicherheit der beiden Adligen.

"Ich sollte mich schämen?", sagte Orleane. "Ich sollte mich schämen?", wiederholte sie lauter werdend. "Dann erklärt doch bitte einem sechsjährigen Mädchen, ob sie sich auch dafür schämen sollte in Ihre Familie hineingeboren zu sein. Ob sie eine aufgebrachte Menschenmenge dazu getrieben hat, ihr zu Hause zu erstürmen. Dass sie von fremden Menschen aus ihrem Zimmer gezerrt wurde. Sie ihr Kindermädchen in ihrem Blute liegen sah. Dass man Ihre Familie zusammengetrieben und wie Vieh durch die Stadt gejagt hat. Sie mit Dreck und Unrat beworfen hat. Ihr mit dem Tode gedroht wurde. Und zu guter Letzt auf einem Podest wie diesem hier unter dem Johlen der Menge ein Strick um den Hals gelegt wurde, um ihm dann die Wahl gelassen wurde, sich zur Republik zu bekennen oder zu sterben. Das wunderbare Leben der Belhanker aufgebaut auf Blut und Mord." Wieder schaute sie den Geweihten hasserfüllt an, so dass dieser zurück wich. Tränen der Wut benässten ihre Augen als sie den Geweihten anschrie. "Erklärt mir, warum man mir das angetan hat, im Namen der Republik. Und Eure Worte werden hier das Gleiche anrichten, denn..." Sie spürte eine leichte Berührung auf ihrer Schulter. Erschrocken zuckte sie zusammen und sah dann in das besorgte Gesicht von Ricardo della Carenio. Tränen liefen an ihren hochroten Wangen entlang und sie zitterte. Leise sprach sie ihn an. "Ich glaube es ist an der Zeit für mich zu gehen." Danach wandte sie sich an Praoidan ter Braken. "Könnt ihr Soldaten entbehren, die mich begleiten?"

Der Geweihte ließ den emotionalen Ausbruch der Esquiria ungerührt über sich ergehen. Als sie tränenüberströmt zum Ende kam, tauschte er einen wissenden Blick mit dem Miliz-Gonfaloniere aus und wandte sich dann knapp an Orleane. "Es tut mir leid, was Euch widerfahren ist Signora. Doch dies ist weder meine Schuld, noch die der guten Bürger von Sewamund. Diese würden derlei Unrecht sicherlich niemals zulassen." er wandte sich wieder an die Menge. "Denn die Bürger dieser Stadt können Recht von Unrecht unterscheiden, Freiheit von Unterdrückung." Zaghaft wallte Zustimmung auf. Unterdessen kam Praiodan ter Braken Orleane ya Pirras entgegen und legte ihr den Arm um die Schulter, bevor er sie unter dem Geleit zweier Sewakgardisten von der Bühne und der Piazza Nodo geleitete.

Ricardo della Carenio hatte Mitleid mit Orleane ya Pirras. Ihre Beweggründe waren mehr als nachvollziehbar und die harten Worte des Nandusgeweihten hatten sie tief verletzt. Er bot ihr die Hand, um sie von dem Podest zu geleiten und den Soldaten der Sewakgarde zu übergeben, die sie sicher nach Hause geleiten würden. Er selbst wollte den Rest der 'Predigt' hören und die Nevortener beobachten. Deren 'Hilfe' ihm immer mehr wie eine Einmischung vorkam. Was für Ziele verfolgten sie wirklich?

Da sich die Stimmung aufgrund der emotionalen Rede der jungen Adligen merklich abgekühlt hatte, fasste sich Thisdan von Sibur kurz und beschloss seine Predigt mit einigen Worten zum Wert der Bildung und des Wissens, vor allem für das einfache Volk. Dann beendete er die Predigt, erinnerte die Bürger jedoch daran, dass er auch am folgenden Tag eine weitere Predigt zu halten gedachte, bis dass der Tyrann endlich in die Knie gezwungen würde...