Briefspiel:Packratten aus der Ponterra (3): Unterschied zwischen den Versionen

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Efferd schien dem Unterfangen gewogen zu sein. Die Überfahrt beider Wagen und der Pferde klappte reibungslos. Selbst Leonellos Gesichtsfarbe, die während des Übersetzens weiß wie ein Laken gewesen war, hatte sich inzwischen wieder normalisiert. Nachdem mit der letzten Fuhre auch die Pferde das andere Ufer erreicht hatten, begannen Rauris und Leonello sogleich damit, sie einzuschirren.
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Ya Papilio ließ sie machen und ging den ansteigenden Karrenweg hinauf zur Uferstraße, um zu schauen, ob dort Verkehr sei. Auf einem Baumstumpf sitzend, einen qualmenden Tabakstumpen zwischen den Zähnen, entdeckte ihn kurz darauf Grangorion, der ihm folgte. ''"Alles gut gegangen"'', sagte der Ältere mit zufriedenem Grinsen und bot Carenio auch Rauchwerk aus einem Beutel an.
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Grangorion lehnte dankend ab, ließ sich aber neben dem Fechter in die Hocke sinken. ''"Ja, Efferd sei Dank! Nun ist es nicht mehr so weit bis nach Sewamund. Wollen wir hoffen, dass uns da keine unangenehmen Überraschungen erwarten."''
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Er ließ den Blick über die Uferstraße schweifen. Alles wirkte friedlich.
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''"Wir sollten bald aufbrechen. Vielleicht schaffen wir es dann sogar noch vor Sonnenuntergang. Ich nehme an, dass die Stadtwachen nach dem Versinken der Praiosscheibe verstärkt werden und auch strenger kontrollieren. Wenn sie uns überhaupt noch einlassen."''
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Alecor blickte leere Straße entlang: ''"Ihr habt Recht. Doch sollten wir zugleich den Anschein von Hast vermeiden. Das würde die Leute des Barons wachsamer werden lassen."''
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Er erhob sich von seinem Sitzplatz und folgte Grangorion zum Sewak hinunter. Die beiden halfen Leonello und Rauris, die Wagen bereit zur Abfahrt zu machen. Bald zog das stämmige Pferd den Wagen der Carenios den Karrenweg hinauf und erreichte die Uferstraße. Langsamer folgte der schwere Vierspänner der Papilios. Seine Räder kamen im festgetretenen Schwemmboden nur schwer voran. Doch unter Rauris’ ruhigem Befehl rückten die Rösser die Last Stück um Stück hinauf. Endlich standen alle sechs Wagenräder auf dem löchrigen Pflaster der Straße nach Sewamund.
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Grangorion und Alecor stiegen in ihre Sättel und della Carenio wollte das Zeichen zur Weiterfahrt geben. Doch just in diesem Augenblick hörten sie auf der Straße von Sewadâl her kommend Pferdehufe, Schnauben und eine Männerstimme. Hinter dem Hain an der nächsten Wegbiegung hervor trabten vier Pferde heran, zwei hinter zwei, mit Reitern in den Sätteln.
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Die Männer trugen abgeschabte, blaue Wappenröcke über ihren leichten Rüstungen. Auf diesen prangte eine Figur, die den beiden Carenios nur zu gut bekannt war: eine goldene Distel.
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''"Bei den 1000 Dämonen von Rhyyl!"'', entfuhr es Grangorion. ''"Das hat uns gerade noch gefehlt! Die Bastarde von [[Cardolfo della Carenio|Onkel Cardolfos]] Mordbuben! Wir dürfen uns auf keinen Fall verraten. Sonst fliegt unsere Tarnung auf!"''
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Er warf zunächst Leonello einen warnenden Blick zu, dann lenkte er sein Pferd näher an Alecor, um ihn leise über den sich anbahnenden innerfamilären Konflikt in Kenntnis zu setzen: ''"Sie tragen das Zeichen der ‘[[Goldene Distel|Goldenen Distel]]’, des Söldnerhaufens, den mein Onkel Cardolfo befehligt, das schwarze Schaf der Familie. Gebe der Listenreiche, dass uns niemand von denen erkennt."''
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Inzwischen waren die Reiter herangekommen und zügelten ihre Rösser. Auch sie warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Es war offensichtlich,  dass sie einen schon oft erprobten Plan auszuführen gedachten. Die Absprache bedurfte lediglich einiger Gesten und Blicke.
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''"Ich halt euch den Rücken frei, lenkt nur ihre Aufmerksamkeit auf euch"'', raunte Alecor ya Papilio Grangorion zu. Er tippte Audax leicht mit der Stiefelspitze in die fahle Flanke, worauf der Falbe einen nervösen Schritt zur Seite machte. Das brachte ihn und seinen Reiter auf der nicht sehr breiten Uferstraße direkt in die mögliche Bahn eines der Distelsöldner, falls dieser losgaloppieren und die in Richtung Sewamund stehenden Wagen passieren wollte, um etwa dem Pferd von Leonellos Wagen ins Zaumzeug zu greifen.
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Die Reitersäbel der in leichte Harnische Gerüsteten waren vergleichsweise lang und gut geeignet, sowohl andere Berittene als auch Leute zu Fuß oder auf einem Kutschbock zu attackieren. Ihr oft übersehener Nachteil war, dass sie, anders als der nach Meinung Alecors bessere Pallasch, meist nur einseitig geschliffen waren. Mit ihnen Bewaffnete mussten ihn daher immer in jene Richtung wenden, in die sie den nächsten Streich zu führen gedachten. Ein Rückhandschlag war möglich, aber nicht so gefährlich, wohingegen Alecors treues Rapier kaum kürzer war als diese Säbel, aber sowohl in der Vor- als auch in der Rückwärtsbewegung taugte. Und wenn er nah genug an den Gegner heran käme, wäre da zudem noch der unerwartete Stoß mit dem Dolch.
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Auch Rauris blieb nicht untätig, nachdem sie auf den Wortwechsel der Männer hin einen Blick nach hinten geworfen hatte. Ihre Hand ruhte auf dem Haken, in dem sie die Zügel der vier Pferde festgezurrt hatte. Direkt daneben ragte aus einer Ledertasche an der Wagenwand der Griff einer modifizierten Balestrina. Die Torsionsarmbrust, wussten ihre Reisebegleiter inzwischen, war statt mit einem Bolzen mit einer Handvoll spitzer, kleiner Steine geladen. Kaum tödlich, aber selbst ein ungeübter Schütze hätte damit kaum ein ganzes Pferd nebst Reiter verfehlen können. Der Splitthagel sollte zumindest das Pferd zum Durchgehen bringen, wenn nicht gar einem angreifenden Reiter die Sicht nehmen, bis Rauris ihren kurzen Speer unter der Kutscherbank hervorgezogen hatte, um den Widersacher auf Abstand zu halten.
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Grangorion lenkte seinen Warunkerrappen auf einen der beiden vorne reitenden Söldner zu, die direkt auf sie zuhielten. ''"Aves zum Gruße!"'', begann er unverfänglich.
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''"Heda, Leute, wohin des Wegs?"'', blaffte der rechte der beiden Distelsöldner. Carenio versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Innerlich jedoch kochte er. Es war doch nicht zu glauben: Sein verhasster Onkel hinterging die Familie, die sich auf die Seite des [[Lilienrat]]es gestellt hatte, und stellte seine Mietlinge dem Baron zur Verfügung. Unfassbar!
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''"Wir sind auf dem Weg nach Sewamund. Der ehrenwerte Signor [[Gerodan Vistelli]] erwartet diese Lieferung im Palazzo Vistelli. Wenn Ihr also bitte die Güte habt, uns unsere Reise fortsetzen zu lassen?"''
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Während sich der Esquirio um Gelassenheit und Diplomatie bemühte, lenkte der zweite Distelsöldner sein Pferd an Grangorion vorbei auf direktem Wege zu den beiden Wagen. Alecor hatte keine Sorge, dass die Kutscherin sich zu wehren wüsste, falls dieser begänne, unberechtigt in der Ladung herumzuwühlen. Blieben noch drei, abzüglich des einen, den der hitzköpfige Carenio beschäftigte. Gemächlich ließ er sein Pferd den Söldnern entgegen schreiten, ein vorgeblich freundliches Gesicht aufgesetzt.
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''"Reise fortsetzen?"'', wiederholte der wortführende Distelsöldner, wohl ein [[Cornett]] von Range. Sein Gesicht zeigte Verschlagenheit und Gewaltbereitschaft. ''"Vorerst nicht. Meine Leute und ich sind auf dem Weg Richtung Sewamund, so wie ihr"'', sagte er. ''"Daher müssen wir eure Karren überprüfen, dass keine versteckten Waffen oder ähnliches in die Stadt gebracht werden. Ihr versteht"'', schloss er mit einer herausfordernden Feststellung, keiner Frage.
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''"Wohl, wohl, verstehen wir, dass Ihr überprüfen müsst, ob wir Waffen verstecken. Ihr werdet Euch ja wohl nicht mit meiner Versicherung zufrieden geben, dass dies nicht der Fall ist. Wir wollen die Stadt noch vor Sonnenuntergang erreichen. Der Signor erwartet uns."''
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Grangorion war immer noch bemüht, die Contenance zu bewahren. Am liebsten hätte er dem Söldner ins Gesicht gebrüllt, dass sein Onkel sein [[Condottiere]] sei und er gefälligst beiseite gehen soll. Doch trotz aller Unbeherrschtheit, die er für gewöhnlich an den Tag legte, war Grangorion in diesem Fall bewusst, dass er sich das sparen musste. Er war gespannt, ob Alecor mehr Erfolg haben würde.
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Der Papilio ließ die stehenden Wagen hinter sich und ritt ohne Hast auf den dritten Söldner zu, ein bulliger Kerl mit fliehendem Kinn und eng zusammenliegenden Augen, der sich anschickte, ihn zu passieren. Er ließ Audax eine Vierteldrehung zum Straßenrand hin vollführen und hielt an, wobei er mit der Rechten überdeutlich an seiner Gürteltasche hantierte, nur eine Handbreit weg vom Griff seines Rapiers: ''"Die Herren wollen sicher die Liste mit den Waren einsehen"'', sagte er geschäftig. ''"Ich meine, dass ich diese bei mir habe. Oder habt Ihr sie einstecken, Grifone?"''
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Sein Pferd hielt nun so, dass der Bullige ins Gehölz hätte ausweichen müssen, um an Alecor vorbeizukommen. Ob der Söldner das als Ungeschicktheit missverstehen oder als die Provokation erkennen würde, als die sie gedacht war, musste sich sogleich erweisen.
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''"Heda, Kerl!"'', schnauzte der Bullige Alecor an. ''"Was soll das? Lass mich vorbei, die Liste interessiert mich nicht! Ich kann mir selbst ein Bild machen. Aus dem Weg!"''
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Sogleich schloss der verbliebene Söldner zu Alecor auf. Er schien die Provokation als solche verstanden zu haben.  Auf den letzten Schritten zog er seinen Säbel. Grangorion sah das Blitzen der Klinge und riss sein Pferd herum, um Papilio zur Hilfe zu kommen.
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Damit waren zwei der vier Söldner nun zwischen Alecor und Grangorion, während der dritte auf der Sewakseite der Straße auf die Wagen zu beschleunigte, um zur Kutscherin zu gelangen. Der vierte, der jüngste der [[Corazza]], saß unschlüssig ein Stück die Straße hinauf auf seinem Pferd und schien auf einen Befehl zu warten. Doch vorerst kam der nicht. Der Cornett schien sich mit Grangorion auseinandersetzen zu wollen.
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''"Bei Rondra"'', stieß Alecor dramatisch aus, als der Bullige seinen Säbel zog, ''"ich glaub’, Ihr seid gar keine Kämpfer für Sewamund, sondern verkleidete Raubgesellen! Statt einer Vorstellung zieht Ihr die Waffen! Das wird der Baron erfahren!"'', fügte er noch lauter hinzu und ließ Audax zur Straßenmitte tänzeln, um dem hohlrückigen Ross des bulligen Söldners den Weg freizugeben.
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Dann war dieser schon heran und passierte Alecor, ihm die linke Seite zugewandt, so wie dieser es geplant hatte. Statt eines wuchtigen Hiebs konnte er den Säbel nur zu einem Stich quer nutzen. Die Spitze der Waffe prallte gegen Alecors zur Abwehr erhobenen Unterarm - und mit dem Geräusch von Metall davon ab!
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''"Er will mich meucheln!"'', zeterte der Unverletzte, gespielt aufgebracht, und drehte sein Pferd wieder quer zur Straße, um den Angreifer von seinen Kumpanen zu trennen. Inzwischen hatte er sein Rapier in der Hand, bereit, jeden weiteren Angreifer Stahl schmecken zu lassen.
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Zwei Söldner waren nun bei den Wagen, zwei bei Grangorion. Alecor hoffte, dass Rauris und Leonello die vorderen beiden beschäftigen würden, bis er und della Carenio mit dem Cornett und dem Jüngling fertig waren.
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Grangorion zog nun ebenfalls seinen Rapier, denn er hatte den vereinbarten Kennsatz verstanden. Er ließ sein Ross zwischen den beiden Distelsöldnern tänzeln, die versuchten, ihn in Bedrängnis zu bringen. So gelang es ihm, den beiden keine Angriffsfläche zu bieten und vielleicht vermochte er sogar in einem passenden Moment das Rapier zum Einsatz zu bringen.
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Leonello hatte die Zügel seines Zugpferdes um den Metallknauf des Wagens geschlungen und war aufgesprungen. Er zog seinen Dolch, bereit sich zu verteidigen. Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass auch Rauris sich bereit gemacht hatte, den Wagen der Papilios zu verteidigen.
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''"Kommt mir nicht zu nahe!"'', drohte der junge Carenio. ''"Und Finger weg von dem Wagen! Wenn es nur einer von euch wagen sollte, sich mir zu nähern, wird es ihm übel ergehen!"''
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Der Bullige war wohl von der unerwarteten Parade seines Stichs durch Alecor erstaunt, zugleich aber zu gierig, die Wagenbeladung zu durchwühlen, als dass er sich mit dem aufgebrachten Lästling weiter befassen wollte, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Er ließ sein Pferd vorpreschen und auf Höhe der ältlichen Kutscherin wieder halten. Rauris saß auf der anderen Seite des Kutschbocks und blickte ihm ob ihres hängenden Augenlids schläfrig wirkend entgegen. Grinsend streckte er den Säbel in ihre Richtung, der gleichwohl zu kurz war, um sie zu erreichen: ''"So, Muttchen, zeig mir mal, was du Feines geladen hast."''
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Derweil zogen auch die anderen drei Söldner ihre Säbel. Diese mochten schartige Massenware sein, aber sie waren scharf geschliffen und ließen ahnen, dass dies nicht ihr erster Einsatz sein würde.
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Um Rauris machte sich Alecor keine Sorge. Zum einen, weil sie seit vielen Jahren duldsam seinem Haus zu Diensten war. Die Papilios gingen mit ihren Klienten in aller Regel anständig um - umgekehrt war es fast eine Selbstverständlichkeit, dass diese den Herrschaften den Rücken frei hielten. Zum anderen, weil er wusste, dass die Frau bei allem Phlegmatismus ein ausgeprägtes Selbsterhaltungsvermögen besaß (andernfalls hätte sie als Kutscherin des draufgängerischen Vetters Zylobar kaum eine Reise überstanden).
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Wie sich Grangorion schlagen würde, konnte er nicht abschätzen. Besser, diesen nicht mit zwei Gegnern alleine lassen. Alecor gab Audax die Sporen, um in die Nähe des Cornetts zu gelangen. Immer den angreifen, der seinen Kumpanen erfolgreich weisgemacht hat, er habe den Befehl - das war eine Regel, die der [[Codex Duello]] nicht beinhaltete, die sich aber gleichwohl bewährt hatte.
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Grangorion zeigte sich inzwischen erstaunlich geschickt mit dem Rapier. Er beschäftigte den Söldner, der ihn angegangen war, mit einigen Finten und Paraden. Als dieser sein Pferd wenden wollte, ließ Carenio das Rapier geschickt unter den Hals des Söldnerrosses tauchen und durchtrennte mit einem Streich beide Zügel. Das Pferd erschrak, scheute und machte einen Satz. Der Reiter, irritiert durch die widerstandslos gewordenen Lederzügel in seiner Hand, verlor den Halt. Beim hastigen Griff zum Sattelknauf ging sein Säbel verloren. Das führungslos gewordene Pferd wendete auf der Hinterhand. Nun war es um den mit einem Arm am Sattelknauf hängenden Reiter geschehen. Er landete auf der Erde, die wirbelnden Hufe seines Reittieres über sich. Grangorion wendete sein Ross, um Rauris oder Leonello zur Hilfe zu eilen, denn Alecor hatte sich dem Cornett zugewandt.
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Ya Papilio war ein besserer Fechter als Reiter, aber sein Vermögen reichte aus, um den Anführer des Söldnertrupps ordentlich zu beschäftigen. Während er mit dem Rapier kurze, direkte Stiche setzte, die der andere unbeholfen mit dem langen Säbel abwehrte, musste der Cornett für seine Hiebe immer ausholen und tat sich schwer, selbst Stiche zu platzieren. Zugleich tänzelten die beiden Pferde nervös umeinander - ein gefährliches Ballett.
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Der Dolch in Leonellos Hand war schön gearbeitet und von erkennbarer Qualität. Größeren Nutzen gegen den inzwischen neben dem Wagen abgestiegenen Distelsöldner mit seiner viel längeren Waffe würde er aber kaum haben, solange der Mann Abstand wahrte.
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Dem Burschen, der kaum älter war als Leonello, aber von gröberem Körperbau, schien das bewusst zu sein. Ohne Hast durchtrennte er eine der Schnüre, mit denen die Plane über dem Carenio-Wagen festgezurrt war, und schickte sich an, diese zur Seite zu ziehen, um die Ladung in Augenschein zu nehmen. Dabei behielt er Leonello im Sichtfeld, damit dieser nicht jäh auf ihn zu springen könne.
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Der Sohn der Gutsbesitzerin von [[Landgut Villago|Villago]] sah sich hilfesuchend um. Diesen Blick fing Grangorion auf und lenkte sein Pferd zum Carenio-Wagen. Vom Sattel aus hatte er die besseren Karten. Der junge Distelsöldner bemerkte ihn erst als er direkt hinter ihm war. Zu beschäftigt war er damit, zum einen die Fracht zu durchsuchen, zum anderen auf den Wagenlenker zu achten, der jetzt, da ihm Grangorion zu Hilfe eilte,
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neue Selbstsicherheit gewann und vorrückte. Mit einer schnellen, geschickten Körperdrehung entzog sich der Bursche dem Zugriff Grangorions, fasste mit seiner freien Linken Leonellos unbewaffnetes Handgelenk und verdrehte es so, dass der junge Mann mit einem Schmerzenslaut in die Knie ging. Zwar ließ er seinen Dolch nicht los, doch war er durch die erzwungene Haltung so in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, dass ihm kein Treffer gelingen konnte. Im Gegenteil, es stand nicht gut um ihn, denn der Distelsöldner holte nun seinerseits zum Angriff mit seiner Hiebwaffe aus.
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Doch in diesem Moment war Grangorion zur Stelle. Er ließ den Rapier durch die Luft zischen und schlug dem Peiniger seines Verwandten mit einem gut gezielten Streich den Säbel aus der Hand. Überrascht fuhr der Kerl herum und ließ Leonello fahren, der sich schnell wieder auf die Beine brachte und dem Distelsöldner mit einer ordentlichen Portion Wut den Dolch in die ungeschützte Seite rammte.
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Mehrere Schritt hinter ihnen und auf der anderen Seite der kurzen Wagenreihe hatte mittlerweile der Bullige mit dem fliehenden Kinn die Höhe des Kutschbocks erreicht, von dem ihm Rauris gleichmütig entgegen blickte: ''"Runter da und zeig die Ladung her"'', verlangte er barsch. Seinen Säbel zog er vorsorglich, als er das Geplänkel seiner Kameraden mitbekam, doch machte er keine Anstalten, auf die Kutscherin loszugehen.
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''"Ihr wisst, dass ich das ohne Anweisung meines Herrn nicht tun darf"'', sagte die Frau ruhig, aber bestimmt.
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''"Das ist mir gleich"'', schnauzte er. ''"Mach schon."'' Um seiner Forderung Nachdruck zu geben, hieb er mit der Klinge auf die Oberkante des Bocks. Splitter stoben und eine hässliche Kerbe verblieb.
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Als er wieder zu Rauris schaute, blickte er in das kurze Rohr der schmucklosen, gedrungenen Balestrina. ''"Ich darf nicht erlauben, dass Ihr den Besitz meiner Herrschaften weiter demoliert"'', sagte die Kutscherin höflich.
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Der Distelsöldner kannte diese Art Waffe wohl und war vorsichtig genug, sein Pferd ein Stück von dem KKK-Gefährt wegtänzeln zu lassen. ''"Untersteh dich"'', bellte er. ''"Du hast nur einen Schuss, und dann bist du dran."''
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''"Einer genügt mir"'', erwiderte Rauris und schob mit der linken Hand ihren Schlapphut in den Nacken. Sie kniff das rechte Auge zu und zielte ruhig, wartete seinen nächsten Zug ab.
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Derweil stellte Leonello fest, dass sein Gegner noch nicht geschlagen war. Der Söldner hatte urplötzlich ebenfalls eine kurze Klinge in der Rechten und hielt sich den jungen Carenio vom Leib. Die Linke presste er auf die Wunde, die durch das Lederzeug unter dem Harnisch nicht so schlimm war, wie sie hätte sein können. Mit gehetztem Blick sah er sich nach einem Fluchtweg um, doch diesen verstellte Leonello auf der einen und Grangorion auf der anderen Seite. Kurzentschlossen ließ er sich zu Boden fallen und rollte unter den Wagen der Carenios, um auf der anderen Seite zu entkommen.
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So schnell konnten weder Leonello noch Grangorion ihm folgen. Sie mussten also zusehen, wie der junge Distelsöldner sein Heil in der Flucht suchte. Inzwischen hatte jedoch der unfreiwillig von seinem Pferd getrennte Söldner seinen Säbel wiedergefunden und stellte sich erneut zum Kampf. Grangorion versicherte sich, dass weder Rauris noch Alecor seine Hilfe benötigten und gab Leonello ein Zeichen, sich mit ihm gemeinsam diesem zu nähern.
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Der so von zwei den beiden Carenios angegangene Distelsöldner wich langsam rückwärts aus. Weit kam er allerdings nicht, denn hinter ihm umtänzelten sich die Rösser des Kornetts und Alecors. Grangorion wartete auf einen Moment der Unachtsamkeit. Und so kam es. Als der Söldner einen Blick über seine Schulter warf, wie weit er noch nach hinten ausweichen konnte, gab Grangorion seinem Pferd die Zügel frei und ließ es auf den Säbelfechter lospreschen. Von oben herab hieb er nach dem Fußkämpfer. Auch wenn sein Rapier vom erhobenen Säbel des Mannes pariert wurde, so brachte ihn der Ausweichschritt nach hinten doch in Bedrängnis. Denn nun befand er sich zwischen Alecor und Grangorion. Die Leiber beider Rösser schnitten ihm den Fluchtweg ab. Ob er sich ergeben würde?
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Das Geplänkel zwischen Alecor und dem Cornett nahm an Intensität zu. Ya Papilio merkte, dass er mit diesem erfahrenen Lohnschwert kein leichtes Spiel hatte. Der andere focht ohne Eleganz, aber mit Kraft - und nicht zum ersten Mal vom Sattel aus.
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Die Carenios und Rauris banden ihre Gegner, einen sah er schon aus dem Augenwinkel fliehen. Daran ließ sich nichts ändern. Aber von den anderen dreien sollte man doch wenigstens einen befragen können.
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Alecor duckte sich unter einem Säbelhieb hindurch und ließ Audax einen Hopser näher an den Gegner heran machen. Wie erwartet versuchte dieser den Abstand wiederherzustellen. Doch während er sein Pferd lenkte, bereit zur Parade eines Rapierstichs, hieb Alecor ganz einfach mit der stumpfen Breitseite seiner Klinge auf die Hinterbacke des gegnerischen Rosses. Wie erhofft machte dieses einen Satz nach vorn, vorbei an Audax, dessen Reiter nun die Gelegenheit zu einem nicht abzuwehrenden Stoß in den Rücken des Söldners hatte.
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Er zielte genau und die Rapierspitze traf zwischen die beiden Platten, die Rücken und Schulter schützten. Der Stahl drang nicht tief ein, aber hoffentlich schmerzvoll genug, um dem Gegner das Weiterkämpfen zu erschweren, wenn nicht gar gänzlich unmöglich zu machen.
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Der Fußkämpfer, der sich zwischen den Pferdeleibern befand, vernahm den Fluch und den darauffolgenden Schmerzensschrei des Cornetts schon nicht mehr. Das scheuende Pferd des Anführers der Distelsöldner überrannte ihn. Von der Vorderhand des Tieres umgestoßen ging er zu Boden. Den Rest erledigte die Hinterhand. In seiner Panik kontrollierte das Fluchttier seine Bewegungen nur noch insoweit sie dem Entkommen aus der Gefahrensituation dienten. Der rechte Hinterhuf brach dem zu Boden Gegangenen die Rippen.
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Grangorion konnte an der Haltung des Mannes ablesen, dass dieser die Schwingen Golgaris bereits hörte. Ein paar röchelnde Atemzüge tat er noch, dann blieb er reglos liegen. Nun war der Carenio frei, Alecor zur Hilfe zu eilen.
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Rauris und der Bullige hatten sich belauert, während die Klingen der anderen klirrten. Das durchgehende Pferd und die Schreie der Männer lenkten die Aufmerksamkeit der Kutscherin einen Moment ab - gerade lange genug, dass sie beim Wiederfokussieren ihres Gegners bemerkte, wie er mit der linken Hand in die Achselöffnung seines Harnischs langte und in einer schnellen Bewegung etwas in ihre Richtung warf.
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Ehe aber der gut gezielte Wurfdorn ihre rechte Schulter traf, krümmte sich der Zeigefinger um den Auslöser der Balestrina. Die in den Faserbündeln gespeicherte Kraft schnellte dem Söldner einen Hagel scharfkantiger Steinsplitter entgegen.
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Seinen Harnisch und selbst seinen Hut durchdrangen sie nicht. Wohl aber bissen sie  blutende, schmerzende Wunden in seine geröteten Wangen, seine Nasenflügel und seine im Reflex geschlossenen Lider - und mit noch größerer Wirkung in Nüstern und Auge seines Pferds.
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Ein geschultes Streitross hätte dem Schreck und Schmerz vielleicht standgehalten, nicht aber die klapprige Mähre, die dem Söldner als Reittier diente: Laut aufwiehernd scheute sie zurück, stieg vorne auf, knickte auf den Hinterbeinen ein und warf den Mann aus seinem Sattel, ehe es in Panik davon stob.
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Rauris glitt die leergeschossene Balestrina aus der rechten Hand. Die linke presste sie rings um das in ihrer Schulter steckende Messer auf die Wunde. Den Speer zu ergreifen war mit nur einer Hand sinnlos - sie musste hoffen, dass einer der Herren an sie dachte, ehe der abgeworfene Kämpfer sich aufgerappelt hatte und erneut auf sie losging.
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Noch ehe Grangorion sein Ross wenden konnte, um sich des Distelsölners anzunehmen, war Leonello schon bei Rauris. Er griff ihr unter die Achseln, ignorierte ihren Schmerzenslaut, als er sie aus dem Gefahrenbereich zog, ans andere Ende des Kutschbocks. Inzwischen war Grangorion herangekommen. Er lenkte seinen Rappen gnadenlos auf den abgeworfenen Söldner zu. Als dieser sich mühsam über alle Viere erhob, gab der Carenio ihm einen gezielten Tritt gegen die Kinnpartie. Wie ein gefällter Baum ging der Mann erneut zu Boden. Er schien für den Moment außer Gefecht gesetzt zu sein. Grangorion blickte sich um, ob er sich gefahrlos aus dem Sattel schwingen konnte, um den Mann zu fesseln.
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Ein Gegner hatte feige die Flucht ergriffen, einer lag mausetot am Boden, der dritte war besinnungslos und den Kornett, der sich nach dem Rückentreffer kaum auf dem Pferd halten konnte, bedrängte Alecor, der keine nennenswerten Blessuren aufwies und das Geschehen in der Hand zu haben schien. Er schien sogar darauf zu warten, dass Grangorion als Anführer ihres Wagenzugs ihm sage, wie er mit dem letzten Söldner verfahren solle.
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Grangorion trieb sein Pferd an die Seite Alecors. Mit einem herablassenden Blick sah er den Cornett an und bemüßigte sich des Befehlstons: ''"Sprich, Kerl! Wer ist dein Condottiere?"''
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Natürlich wusste der Carenio, dass die Männer zur 'Goldenen Distel' gehörten, der Söldnereinheit, die sein Verwandter Cardolfo befehligte. Jedoch, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen, mimte er den Unwissenden.
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Der Bullige hob widerstrebend den Kopf und sah den jungen Esquirio mit Verachtung an: ''"Was geht dich das an, Bursche? Wer bist du schon, dass du das wissen willst?"''
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Mit einem Kopfnicken ermunterte der Carenio den Fechter aus dem Hause ya Papilio, dem Cornett sein Rapier zu präsentieren: ''"Ich glaube, du verkennst die Situation in der du dich befindest, Mann! Raus mit der Sprache!"''
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Der Cornett knurrte vor sich hin, dann aber zischte er den Namen zwischen den Zähnen hervor, den Grangorion hören wollte: ''"Condottiere Cardolfo della Carenio!"''
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''"So?"'', erwiderte der Sewamunder Esquirio. ''"Dann richte ihm doch bitte aus, dass gerade er sich gut überlegen sollte, auf welche Seite er sich schlägt, in diesem Machtkampf. Mir scheint, er hat die falsche Entscheidung getroffen! Und jetzt mach dich vom Acker, Kerl! Bevor wir es uns anders überlegen und dich statt über den Sewak übers Nirgendmeer schicken!"''
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Alecor hatte Grangorion gewähren lassen, bis der Anführer des Söldnertruppe außer Sicht war. Erst als dieser sich in den Wald geschlagen hatte, außer Sicht- und Hörweite war, erlaubte er sich eine freie Bemerkung: ''"Wir hätten sie auch alle totschlagen können, Esquirio. Verdient hätten sie es ja gehabt"'', ergänzte er in leichtherzigem Ton, um die Wucht seines Vorschlags zu dämpfen: ''"Einfach so vier harmlose Händler anzugreifen..."''
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Er bemerkte nun, dass sich Leonello fürsorglich um die verletzte Wagenlenkerin kümmerte. ''"Wacker gehalten, Rauris"'', lobte er beiläufig. ''"Bedauerlich, dass du als Einzige eine größere Blessur erlitten hast. Ich werd’ beides Vetter Zylobar vermerken, damit er deiner Familie ein angemessenes Schmerzensgeld gibt. Wir Papilios sorgen schließlich für unsere Klienten. Mit einer ordentlichen Feldscher-Beschau musst du aber warten, bis wir in Sewamund sind."''
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Dann wandte er sich wieder an Grangorion: ''"Wir sollten schauen, ob die Schurken etwas Brauchbares bei sich hatten und die Toten dann in den Sewak werfen..."
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Grangorion pflichtete Alecor bei und sie machten sich daran, die Männer zu durchsuchen. Die Waffen nahmen sie an sich. Ebenso das, was ihnen nützlich erschien. Dann übergaben sie die toten Körper dem Flussvater Sewak.
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Leonello hatte Rauris’ Wunde inzwischen so gut wie möglich verbunden. Man entschied sich, dass Grangorion auf den Kutschbock zu Rauris wechseln sollte. Sein Pferd band er mit einem Führstrick an den Wagen der Carenios. Auch wenn der Esquirio nur wenig Ahnung vom Lenken eines dreiachsigen Wagens hatte, so würde er unter Rauris’ Anleitung wohl das Gefährt bis Sewamund bringen können.
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Dass es ihr unangenehm war, ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können und sogar einem Höhergestellten Anweisungen geben zu müssen, war der Frau anzumerken. Gleichwohl ließ sich das nicht anders machen und sie fügte sich wortlos in die neue Rolle.
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''"Auf geht’s!"'', erscholl nun Alecors Stimme von der Spitze des kleinen Wagenzugs. ''"Bis es dunkel wird, wollen wir noch ein paar Meilen in Richtung Sewamund hinter uns bringen."'' Und die Wagen setzten sich hinter dem Reiter in Bewegung. Morgen wollten sie es wagen, in die Stadt zu gelangen.
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[[Kategorie:Briefspiel in Sewamund|Briefspiel in Sewamund]][[Kategorie:Wenn der phecadische Drache erwacht]]
 
[[Kategorie:Briefspiel in Sewamund|Briefspiel in Sewamund]][[Kategorie:Wenn der phecadische Drache erwacht]]

Aktuelle Version vom 8. Juli 2024, 16:56 Uhr

Auge-grau.png

Stadt Sewamund transparent.png Briefspiel in Sewamund Herzogtum Grangor.png
Datiert auf: ab Ende 1045 BF Schauplatz: vor allem Stadt und Baronie Sewamund, darüber hinaus Phecadien und benachbarte Landstriche Entstehungszeitraum: ab Frühjahr 2023
Protagonisten: alle Sewamunder Familien, sowie diverse externe Machtgruppen Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Haus Tribec.png Tribec, Haus di Piastinza.png DiPiastinza, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Familie della Carenio.png Carenio, Familie Degano.png Marakain, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Vesselbek.png Vesselbek, Familie Cortesinio.png Cortesinio, Haus Carson.png OrsinoCarson, Haus della Pena jH.png Horasio, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus ya Papilio.png Gishtan re Kust, Wappen Lucrann von Leihenhof.png Galebquell
Zyklus: Übersicht · Präludium - 1045 BF · Der Eklat - Praios 1046 BF · Der Selziner Schwur - Rondra 1046 BF · Interludium - Efferd 1046 BF · Der Tag der Treue - 1. bis 15. Travia 1046 BF · Ein Sturm zieht auf - 16. bis 30. Travia 1046 BF

Ausgespielte Geschichten: Ruf nach Phecadien · Die Sewamunder Delegation in Shenilo · Quod est Demonstrandum · Sturm auf Amardûn · Reise in die Vergangenheit · I · II · III · IV · In den Kerkern von Amardûn · Das Treffen der Verschwörer · Ein Gespräch zur Rosenstunde · Sewamunder Delegation bei Irion von Streitebeck · Trauerfeier für Leonardo Cortesinio · Treffen bei Tovac · Reise ins Unbekannte · I · II · III · Packratten aus der Ponterra · I · II · III · IV · Gefährliche Worte · I · II · III



Autoren: Gishtan re Kust, Carenio


14. Travia 1046 BF, Sewakien, an den Ufern des Sewak östlich von Selzin


Perforieren

Die Flusslandschaft des Sewak wirkte friedlich wie immer, auch wenn jeder Anwohner des Flusses, vom Phecanowald, wo seine Quelle liegt, bis zu seiner Mündung in die Grangorer Bucht bei Sewamund, wusste, dass Unheil über seinen Wassern lag. Einst verderbte Gurondaii das Gewässer, entließ seine dämonischen Kreaturen in den durch malerische Landschaften strömenden Fluss, machte den Flussvater Sewak krank und mit ihm die an und von ihm Lebenden. Grangorion ritt darüber sinnierend vor sich hin, den Blick zumeist auf den Weg vor sich geheftet, ab und an jedoch über das Flussufer schweifend, um nach einem Kahnführer oder Flößer Ausschau zu halten, der die beiden Gefährte über den Sewak setzen könnte. Er überlegte, ob er Alecor vom Angriff der Egel nahe Veliris erzählen sollte, die man gemeinhin der dämonischen Verseuchung des Flusses zuschrieb, entschied sich dann jedoch dagegen. Es half ohnehin nichts. Wenn sie nicht über die Brücke nach Sewamund gelangen konnten, blieb kein anderer Weg als der mittels Kahn oder Floß über den Fluss.

An einer geschützten Stelle, von der aus man den Fluss ebenso wie die Straße gut einsehen konnte, machten die Gefährten um die Mittagszeit hin Rast. Sie verzehrten ein wenig ihres Proviants, den Daria ihnen mitgegeben hatte. Leonello unkte, dass sie sich bereits viel zu weit von der Stadt entfernt hätten und ein Weiterziehen das Unternehmen gefährdete. Auch Grangorion wusste, dass es umso gefährlicher für sie wurde, je weiter sie gen Veliris kamen. Doch er schwieg. Schließlich konnte er mit keinem besseren Plan aufwarten. Während die Wagenlenkerin der Papilios so gleichmütig wirkte wie vordem, schien die ungeplante Verzögerung Alecor im Gegenteil zu beflügeln. Sein Abenteuersinn war geweckt und er ritt seit der gescheiterten Brückenquerung neben Grangorion den Fahrzeugen vorweg.

Nun, bei ihrer Mittagsrast, langte er kräftig zu. Zwischen einem Bissen Graubrot und einem Schluck aus dem Humpen sprach er aus, was zumindest Grangorion seit einer Weile auch dachte: "Habt Ihr Euch schon Gedanken darüber gemacht, was geschehen soll, falls wir direkt von Gefolgsleuten des Barons von Sewamund behelligt würden?" Grangorion wollte sich gegenüber dem erfahrenen Fechter keine Blöße geben, auch wenn er von der Frage ein wenig überrascht war. Der Esquirio aus Sewamund räusperte sich, um Zeit zu gewinnen: "Ich würde den Unwissenden mimen und vielleicht können wir sie ja davon überzeugen, dass wir auf dem Weg zu Verwandten sind."

Besonders einleuchtend klang das nicht, wie er feststellen musste. "Habt Ihr einen Vorschlag, wie wir vorgehen sollten? Denn auf einen Kampf wollen wir es ja nicht anlegen, wir werden sicherlich in der Minderzahl sein, dazu schlechter gerüstet und bewaffnet." Alecor zeigte ein selbstsicheres Grinsen: "Die Zahl der Kämpfer ist nicht alles, junger Freund, auch deren Qualität ist von Belang. Aber ihr habt schon Recht, kämpfen sollte man nur dann, wenn man sich über den günstigen Ausgang des Gefechts sicher ist. Vielleicht ist Euer Einfall mit dem Verwandten gar nicht so abwegig. Immerhin ist Gerodan Vistellis Haus unser Anlaufpunkt in der Stadt. Es wäre folglich glaubhaft, auf ihn zu verweisen. Doch was, wenn das nichts hülft und die Buben sich dranmachen, all die guten Sache von den Wagen zu klauen?"

Auf Grangorions Stirn zeigten sich tiefe Zornesfalten und er polterte sogleich los: "Das sollen die sich nur trauen, diese Banditen! Dann sollen sie uns kennenlernen!" Er hielt inne, als er erkannte, dass das genau jene Reaktion war, die so gar nicht nützlich war. Grangorions berüchtigter Jähzorn konnte ihn leicht aus der Fassung bringen. Er sah den amüsierten Blick Alecors und schüttelte entschuldigend den Kopf. "Verzeiht bitte, Esquirio Alecor, da sind die Rösser mit mir durchgegangen. Ich hoffe, Ihr fahrt mir in die Parade, bevor ich mich bei einer etwaigen Provokation so vergaloppiere."

Der ältere Schwertgeselle schien sich indes nicht am aufbrausenden Temperament des jüngeren zu stören: "Wenn überhaupt, falle ich Euch in die Attacke", sagte er schmunzelnd. "Und auch nur dann, wenn ein überraschender Ausfall zu unserem aller Nachteil wäre. Besser ist es in jedem Fall, wenn Ihr auf mein Zeichen wartet, ehe Ihr blank zieht. Das gilt auch für Euch, Herr Leonello. Falls wir uns erwiesenermaßen mit einer Parteiung konfrontiert sähen, die unsere Absicht vereiteln möchte, diese beiden Wagen samt ihrer Ladung nach Sewamund zu bringen, müssten wir das aber wohl tun, wenn Aussicht auf einen Sieg in dem unabwendbaren Scharmützel bestünde. Welches Signal meiner wäre aus Eurer Sicht unmissverständlich, dass es nun gälte loszuschlagen?"

Grangorion grübelte. "Hm, vielleicht ein Ruf? Heya! Oder meinst du das Ziehen deines Rapiers?" Leonello mischte sich ein. "Und was machen wir mit den Wagen, wenn es los geht?" Alecor wischte sich mit einem Taschentuch die letzten Krümel vom Mund. "Wenn die Klinge gezogen wird, ist das kein Zeichen mehr, sondern bereits Teil des Kampfes", korrigierte er nachsichtig. "Das dürfen die Gegner erst bemerken, wenn es soweit ist. Vielleicht sage ich etwas scheinbar unverfängliches? ,Das wird der Baron erfahren’, was hieltet Ihr davon? Ich meine...weil Seine Hochgeboren Irion ja von uns gerade nichts erfahren soll...?", ergänzte er unnötigerweise.

Eifrig nickte Grangorion. Er kam sich ziemlich stümperhaft neben dem erfahrenen Alecor vor. "Mich deucht , das ist eine famose Invention von Euch. Das wird der Baron erfahren!", wiederholte der Esquirio memorierend und wandte sich zu Leonello und Rauris um. "Habt ihr gehört? Wenn ihr den Satz ‘Das wird der Baron erfahren’ vernehmt, müsst auch ihr euch für einen Kampf wappnen!" Leonello ließ ein gelangweiltes "ja, ja" hören. Er war offensichtlich von der Wichtigtuerei seines Verwandten enerviert. Die Wagenlenkerin nickte gleichermaßen bereitwillig wie schicksalergeben. Das Risiko einer bewaffneten Begegnung schien für sie eine Sache der Höhergestellten zu sein.

Doch im nächsten Moment blickte sie an Grangorion vorbei und meldete sich zu Wort. "Seht, die Herrschaften! Dort!" Sie streckte den Zeigefinger aus und wies auf den Fluss. Am Ufer, in einiger Entfernung, hatte ein Kahn angelegt. Zwei Männer sprangen von Bord und vertäuten das Wasserfahrzeug an zwei aus dem Uferschilf ragenden Pollern, die dort genau zu diesem Zweck befestigt schienen.

Als die beiden fertig waren, bemerkten sie die Lagerstelle der vier 'Packratten' und deren Wagen. Sie winkten kurz, ließen sich aber nicht in ihrer Tätigkeit beirren und legten eine breite Planke von der Bordwand des flachen, langen Kahns bis zum Ufer. Leonello bemerkte zwei weitere Flussschiffer, eine Frau und einen Mann, die hinter einem niedrigen Aufbau hervorkamen und einer dritten Person, einem alten Südländer, dabei halfen, eine Handelskrucke auf den Rücken zu wuchten. Dann führten sie ihn über die Planke bis zum Ufer. Nicht weit von den Carenios und ihren Begleitern gab er den Schiffern Handgeld, die die Münzen gleich nachzählten. Dann blickte der Alte zu dem Wagenzug, grüßte die vier mit dem Phexzeichen und wartete ab.

"Beim Listenreichen, Esquirio Alecor! Das ist die Gelegenheit!", frohlockte Grangorion und nickte dem Älteren zu, ihn zu den Schiffern zu begleiten. Er gab seinem Ross die Zügel frei und trieb es an. Der Fechter der ya Papilios tat es ihm gleich und bald hatten sie das Flussufer erreicht. Grangorion nahm grüßend den Hut vom Haupt, überließ es dann aber, wie es sich gehörte, Alecor die Konversation zu beginnen.

Dieser zog ebenfalls den Hut, doch bevor er sich den Kahnfahrern zuwandte, raunte er Grangorion zu: "Wir müssen dem Händler einen irreführenden Hinweis über unser Woher und Wohin geben. Falls er von Getreuen des Barons befragt wird, wenn auch diese über den Fluss gelangen, und ihnen von uns erzählt." Mit gewinnendem Lächeln richtete er dann gut verständlich das Wort an die Kahnbesatzung: "Ein ansehnliches Wasserfahrzeug habt ihr da", lobte er. "Und euren einzelnen Passagier habt Ihr behutsam ans Ufer gebracht. Ich hoffe, dieses Übersetzen hat sich für euch gelohnt, obgleich der ehrenwerte Herr dort nur ein einzelner Handlungsreisender war?"

Er saß ab und trat näher an einen grauhaarigen, schnauzbärtigen Mittfünfziger, den er als Ranghöchsten vermutete, wohl den Besitzer das Kahns: "Ihr werdet heut’ bestimmt noch öfter mit nur einem Passagier mit kleinem Gepäck hin und her über den breiten, schnellen Sewak fahren müssen, bis euer Tagwerk eure Familien satt macht?", ließ er den Blick auch über die drei anderen Flussschiffer schweifen. Wie er gehofft hatte, zeichnete sich mürrische Zustimmung in ihren Mienen ab. "Gr...ifone", lenkte er dann das Interesse der vier auf seinen jüngeren Begleiter. "Wir wollten zwar auf dieser Seite des Flusses weiter bis zum Markt von Veliris...doch die Straße soll nördlich des Sewak besser gepflegt sein, hab’ ich gehört. Auch liegen entlang dieser mehrere kleine Orte, wo wir unsere Kurzwaren verkaufen könnten. Es wäre doch zum Vorteil aller, wenn wir das Silber für den Brückenzoll in eine Überfahrt schon hier investieren würden. Oh...ich weiß, was Ihr denkt", flocht er den Gesichtsausdruck des von seinem Wortschwall überraschten Grangorion ein: "Dieser Kahn ist womöglich nicht groß genug, um auch den Vierspänner der guten R...umina zu tragen..." Er setzte einen Ausdruck von Zweifel und Furcht vor Enttäuschung auf.

Der Schiffer runzelte die Stirn. Er schien den Ausführungen Alecors nicht folgen zu können. Seine Gemahlin hatte die schnellere Auffassungsgabe. Sie witterte ein Geschäft und lächelte den potentiellen Passagier mit ihrem schiefen Gebiss an: "Oh, wir werden eine Lösung finden, wie wir Eure Gefährte auf das andere Flussufer bringen, werte Herren, wenn...ja, wenn die Bezahlung stimmt!" Nun erkannte auch ihr Mann das womöglich lohnende Geschäft: "Sicher, sicher, die Herren. Unser Kahn mag einfach wirken, doch seine Tragfähigkeit erweist sich täglich aufs Neue! Seid gewiss, wir bringen Euch wahrlich schnell und sicher ans gegenüberliegende Ufer! So verkürzt Ihr Eure Reise!"

Grangorion schien noch Zweifel zu haben. "Wie wollt Ihr das machen? Euer Nachen trägt mit Sicherheit keine zwei Wagen nebst den Zugtieren!" Der Kahnbesitzer lächelte. "Nun ja, wir werden wohl zweimal fahren müssen. Wenn das kein Problem für Euch ist, könnten wir nun über den Preis sprechen. Eine Überfahrt kostet für jedes Gefährt und die Wagenführer einen Taler. Die Pferde müssten wir noch mit einer weiteren Fahrt übersetzen. Macht insgesamt drei Taler." Er sah zunächst Alecor herausfordernd an. Dieser mimte Zögern, zumal die Preise recht hoch waren: "Das Geld müssten wir dann erstmal wieder reinbekommen", sagte er. "Und für dreimaliges Übersetzen benötigt ihr sicher drei Wassermaß Zeit..." "Keine zwei, Herr!", warf die Schifferin redselig ein.

"Wenn dem so wäre", ging ya Papilio darauf ein, hätten wir ja sogar noch Zeit, die Pferde wieder anzuschirren und am anderen Ufer Strecke zu machen, ehe es dunkel wird. Vielleicht erreichten wir Sewadâl zum Abend. Was meint Ihr, Meister Grifone", bezog er den Jüngeren in das Scheingefecht ein.

Grangorion stieg ein. "Nun, das ist vielleicht doch nicht so ganz das was wir suchen, nicht wahr, mein Freund? Wir sollten doch bis Veliris weiterfahren." Die Schifferin war wieder schneller als ihr Mann. "Nun gut, wir setzen Euch für zwei Taler über. Eine Fahrt bekommt Ihr somit kostenlos. Was zögert Ihr noch. Schirrt die Pferde aus, dann sind wir schnell auf der ersten Fahrt!" Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf Grangorions Gesicht aus. Er warf Alecor einen Blick zu, der diesen zur Zustimmung aufforderte.

"Nun gut", sagte er vorgeblich widerstrebend, "dann wollen wir es wagen, auf unserem Weg gen Veliris bereits hier überzusetzen. Die zwei Silber, plus Handgeld, falls Ihr es tatsächlich in unter zwei Wassermaß schafft, müssten wir mit unseren Tuchwaren aus der Ponterra in Sewâdal wieder hereinbekommen. Und übermorgen sind wir schon in Veliris, so Aves will."

Alecor sprach wie schon bisher laut und deutlich, damit der alte Südländer, der am Straßenrand unter seiner Krucke ächzte, gewiss vernahm, was die Pläne dieser am Konflikt auf der anderen Flussseite gänzlich unbeteiligten fahrenden Händler waren. "Rumina", rief er Rauris zu, die an ihrem Fuhrwerk lehnte und auf einem Süßholz kaute, "spann die Pferde aus, wir setzen hier schon über."

Die Wagenlenkerin nickte bereitwillig und sprang vom Bock. Leonello, der mit seinem Gefährt hinter dem der ya Papilios auf die Überfahrt wartete, ließ sein Zugpferd grasen und half beim Ausschirren. Seine Miene verriet, dass er nicht eben begeistert von dem Unterfangen war, sich aber eines Kommentars enthielt. Und so packte er auch beim Wagen mit an, als es darum ging, das Gefährt ohne Verlust der Ladung auf den Kahn zu hieven.

"Bedrückt Euch etwas, junger Freund?", wollte Alecor leise von ihm wissen, als sie beide ein wenig später etwas entfernt von den Schiffern zugange waren. Leonello sah Alecor mit einem überraschten Blick an. Der Fechter interessierte sich für sein Befinden? Ganz im Gegensatz zu Grangorion schien Alecor Empathie zu besitzen. "Soll ich ehrlich sein? Es ist doch Wahnsinn! Eine Welle, ein unsanftes Anlandemanöver und alle unsere Waren schwimmen auf dem Sewak davon! Ganz zu schweigen von den Wagen. Ich bin ohnehin skeptisch, ob nicht das Gewicht der Wagen, allen voran das Gefährt der ya Papilios, den Kahn zum Kentern bringt. Was haben wir dann am Ende gewonnen? Ich wäre dafür umzudrehen und es nochmal vor der Brücke nach Sewamund zu probieren."

Alecor nickte wissend und gestand: "Solche Gedanken hatte ich auch und habe sie gegen die Vorteile des Übersetzens abgewogen." Er prüfte den festen Sitz eines Seils, mit dem ein paar Fässer Proviant zusammen gezurrt waren und fuhr dann fort: "Ihr hättet das auch offen ansprechen können. Grangorion und ich mögen älter sein als Ihr, junger Freund, aber das bedeutet nicht, dass wir klüger sind als Ihr. Allenfalls haben wir etwas mehr Erfahrung und Entschlossenheit, auch Riskantes zu wagen." Gemeinsam gingen sie um den Papilio-Wagen und blickten zu Rauris, die gerade dem letzten ihrer vier Rösser die Scheuklappen abnahm. Falls bei der Überfahrt mit den Tieren etwas geschähe und diese ins Wasser fielen, sollten sie sich orientieren können und zumindest einen Chance haben, schwimmend das Ufer zu erreichen.

"Seht es so: Die Schiffer kennen ihren Kahn, der gar nicht so klein ist, wie er euch erscheinen mag, denn es bedarf vier kräftiger Ruderer, um ihn zu bewegen. Für sie ist er ein wertvoller Besitz und ein Werkzeug, um ihre Familien zu ernähren. Niemals würden sie uns und unsere Ladung annehmen, wenn sie nicht sicher wären, wohlbehalten den Strom zu queren. Sie können das bei weitem besser abwägen als wir. Man darf in vielen Situationen darauf vertrauen, dass einfache Menschen ihr jeweiliges Handwerk kennen und mehr davon verstehen als wir, die Praios weit oben auf die Treppe der Gesellschaft gestellt hat. Es wird schon klappen, nur Mut." Alecor klopfte Leonello aufmunternd auf die schmale Schulter und geleitete diesen direkt ans Ufer. Er achtete darauf, wie der junge Mann auf die in der Mittagssonne glänzenden Wellen reagierte.

Leonello beäugte misstrauisch den Fluss und den Kahn. Die aufmunternden Worte Alecors schienen angesichts des drohenden Ertrinkungstodes nur mäßig Wirkung zu zeigen. Als er aber merkte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren, nickte er zögernd. Es schien fast, als sei das Kopfnicken eine Art, sich selbst noch einmal Mut zuzusprechen. "Nun gut! Efferd möge uns gewogen sein!", kam es schließlich aus dem Mund des jungen Carenios.

Provozieren

Efferd schien dem Unterfangen gewogen zu sein. Die Überfahrt beider Wagen und der Pferde klappte reibungslos. Selbst Leonellos Gesichtsfarbe, die während des Übersetzens weiß wie ein Laken gewesen war, hatte sich inzwischen wieder normalisiert. Nachdem mit der letzten Fuhre auch die Pferde das andere Ufer erreicht hatten, begannen Rauris und Leonello sogleich damit, sie einzuschirren. Ya Papilio ließ sie machen und ging den ansteigenden Karrenweg hinauf zur Uferstraße, um zu schauen, ob dort Verkehr sei. Auf einem Baumstumpf sitzend, einen qualmenden Tabakstumpen zwischen den Zähnen, entdeckte ihn kurz darauf Grangorion, der ihm folgte. "Alles gut gegangen", sagte der Ältere mit zufriedenem Grinsen und bot Carenio auch Rauchwerk aus einem Beutel an. Grangorion lehnte dankend ab, ließ sich aber neben dem Fechter in die Hocke sinken. "Ja, Efferd sei Dank! Nun ist es nicht mehr so weit bis nach Sewamund. Wollen wir hoffen, dass uns da keine unangenehmen Überraschungen erwarten." Er ließ den Blick über die Uferstraße schweifen. Alles wirkte friedlich.

"Wir sollten bald aufbrechen. Vielleicht schaffen wir es dann sogar noch vor Sonnenuntergang. Ich nehme an, dass die Stadtwachen nach dem Versinken der Praiosscheibe verstärkt werden und auch strenger kontrollieren. Wenn sie uns überhaupt noch einlassen." Alecor blickte leere Straße entlang: "Ihr habt Recht. Doch sollten wir zugleich den Anschein von Hast vermeiden. Das würde die Leute des Barons wachsamer werden lassen."

Er erhob sich von seinem Sitzplatz und folgte Grangorion zum Sewak hinunter. Die beiden halfen Leonello und Rauris, die Wagen bereit zur Abfahrt zu machen. Bald zog das stämmige Pferd den Wagen der Carenios den Karrenweg hinauf und erreichte die Uferstraße. Langsamer folgte der schwere Vierspänner der Papilios. Seine Räder kamen im festgetretenen Schwemmboden nur schwer voran. Doch unter Rauris’ ruhigem Befehl rückten die Rösser die Last Stück um Stück hinauf. Endlich standen alle sechs Wagenräder auf dem löchrigen Pflaster der Straße nach Sewamund.

Grangorion und Alecor stiegen in ihre Sättel und della Carenio wollte das Zeichen zur Weiterfahrt geben. Doch just in diesem Augenblick hörten sie auf der Straße von Sewadâl her kommend Pferdehufe, Schnauben und eine Männerstimme. Hinter dem Hain an der nächsten Wegbiegung hervor trabten vier Pferde heran, zwei hinter zwei, mit Reitern in den Sätteln. Die Männer trugen abgeschabte, blaue Wappenröcke über ihren leichten Rüstungen. Auf diesen prangte eine Figur, die den beiden Carenios nur zu gut bekannt war: eine goldene Distel.

"Bei den 1000 Dämonen von Rhyyl!", entfuhr es Grangorion. "Das hat uns gerade noch gefehlt! Die Bastarde von Onkel Cardolfos Mordbuben! Wir dürfen uns auf keinen Fall verraten. Sonst fliegt unsere Tarnung auf!"

Er warf zunächst Leonello einen warnenden Blick zu, dann lenkte er sein Pferd näher an Alecor, um ihn leise über den sich anbahnenden innerfamilären Konflikt in Kenntnis zu setzen: "Sie tragen das Zeichen der ‘Goldenen Distel’, des Söldnerhaufens, den mein Onkel Cardolfo befehligt, das schwarze Schaf der Familie. Gebe der Listenreiche, dass uns niemand von denen erkennt."

Inzwischen waren die Reiter herangekommen und zügelten ihre Rösser. Auch sie warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Es war offensichtlich, dass sie einen schon oft erprobten Plan auszuführen gedachten. Die Absprache bedurfte lediglich einiger Gesten und Blicke. "Ich halt euch den Rücken frei, lenkt nur ihre Aufmerksamkeit auf euch", raunte Alecor ya Papilio Grangorion zu. Er tippte Audax leicht mit der Stiefelspitze in die fahle Flanke, worauf der Falbe einen nervösen Schritt zur Seite machte. Das brachte ihn und seinen Reiter auf der nicht sehr breiten Uferstraße direkt in die mögliche Bahn eines der Distelsöldner, falls dieser losgaloppieren und die in Richtung Sewamund stehenden Wagen passieren wollte, um etwa dem Pferd von Leonellos Wagen ins Zaumzeug zu greifen.

Die Reitersäbel der in leichte Harnische Gerüsteten waren vergleichsweise lang und gut geeignet, sowohl andere Berittene als auch Leute zu Fuß oder auf einem Kutschbock zu attackieren. Ihr oft übersehener Nachteil war, dass sie, anders als der nach Meinung Alecors bessere Pallasch, meist nur einseitig geschliffen waren. Mit ihnen Bewaffnete mussten ihn daher immer in jene Richtung wenden, in die sie den nächsten Streich zu führen gedachten. Ein Rückhandschlag war möglich, aber nicht so gefährlich, wohingegen Alecors treues Rapier kaum kürzer war als diese Säbel, aber sowohl in der Vor- als auch in der Rückwärtsbewegung taugte. Und wenn er nah genug an den Gegner heran käme, wäre da zudem noch der unerwartete Stoß mit dem Dolch.

Auch Rauris blieb nicht untätig, nachdem sie auf den Wortwechsel der Männer hin einen Blick nach hinten geworfen hatte. Ihre Hand ruhte auf dem Haken, in dem sie die Zügel der vier Pferde festgezurrt hatte. Direkt daneben ragte aus einer Ledertasche an der Wagenwand der Griff einer modifizierten Balestrina. Die Torsionsarmbrust, wussten ihre Reisebegleiter inzwischen, war statt mit einem Bolzen mit einer Handvoll spitzer, kleiner Steine geladen. Kaum tödlich, aber selbst ein ungeübter Schütze hätte damit kaum ein ganzes Pferd nebst Reiter verfehlen können. Der Splitthagel sollte zumindest das Pferd zum Durchgehen bringen, wenn nicht gar einem angreifenden Reiter die Sicht nehmen, bis Rauris ihren kurzen Speer unter der Kutscherbank hervorgezogen hatte, um den Widersacher auf Abstand zu halten.

Grangorion lenkte seinen Warunkerrappen auf einen der beiden vorne reitenden Söldner zu, die direkt auf sie zuhielten. "Aves zum Gruße!", begann er unverfänglich. "Heda, Leute, wohin des Wegs?", blaffte der rechte der beiden Distelsöldner. Carenio versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Innerlich jedoch kochte er. Es war doch nicht zu glauben: Sein verhasster Onkel hinterging die Familie, die sich auf die Seite des Lilienrates gestellt hatte, und stellte seine Mietlinge dem Baron zur Verfügung. Unfassbar!

"Wir sind auf dem Weg nach Sewamund. Der ehrenwerte Signor Gerodan Vistelli erwartet diese Lieferung im Palazzo Vistelli. Wenn Ihr also bitte die Güte habt, uns unsere Reise fortsetzen zu lassen?" Während sich der Esquirio um Gelassenheit und Diplomatie bemühte, lenkte der zweite Distelsöldner sein Pferd an Grangorion vorbei auf direktem Wege zu den beiden Wagen. Alecor hatte keine Sorge, dass die Kutscherin sich zu wehren wüsste, falls dieser begänne, unberechtigt in der Ladung herumzuwühlen. Blieben noch drei, abzüglich des einen, den der hitzköpfige Carenio beschäftigte. Gemächlich ließ er sein Pferd den Söldnern entgegen schreiten, ein vorgeblich freundliches Gesicht aufgesetzt.

"Reise fortsetzen?", wiederholte der wortführende Distelsöldner, wohl ein Cornett von Range. Sein Gesicht zeigte Verschlagenheit und Gewaltbereitschaft. "Vorerst nicht. Meine Leute und ich sind auf dem Weg Richtung Sewamund, so wie ihr", sagte er. "Daher müssen wir eure Karren überprüfen, dass keine versteckten Waffen oder ähnliches in die Stadt gebracht werden. Ihr versteht", schloss er mit einer herausfordernden Feststellung, keiner Frage. "Wohl, wohl, verstehen wir, dass Ihr überprüfen müsst, ob wir Waffen verstecken. Ihr werdet Euch ja wohl nicht mit meiner Versicherung zufrieden geben, dass dies nicht der Fall ist. Wir wollen die Stadt noch vor Sonnenuntergang erreichen. Der Signor erwartet uns."

Grangorion war immer noch bemüht, die Contenance zu bewahren. Am liebsten hätte er dem Söldner ins Gesicht gebrüllt, dass sein Onkel sein Condottiere sei und er gefälligst beiseite gehen soll. Doch trotz aller Unbeherrschtheit, die er für gewöhnlich an den Tag legte, war Grangorion in diesem Fall bewusst, dass er sich das sparen musste. Er war gespannt, ob Alecor mehr Erfolg haben würde. Der Papilio ließ die stehenden Wagen hinter sich und ritt ohne Hast auf den dritten Söldner zu, ein bulliger Kerl mit fliehendem Kinn und eng zusammenliegenden Augen, der sich anschickte, ihn zu passieren. Er ließ Audax eine Vierteldrehung zum Straßenrand hin vollführen und hielt an, wobei er mit der Rechten überdeutlich an seiner Gürteltasche hantierte, nur eine Handbreit weg vom Griff seines Rapiers: "Die Herren wollen sicher die Liste mit den Waren einsehen", sagte er geschäftig. "Ich meine, dass ich diese bei mir habe. Oder habt Ihr sie einstecken, Grifone?" Sein Pferd hielt nun so, dass der Bullige ins Gehölz hätte ausweichen müssen, um an Alecor vorbeizukommen. Ob der Söldner das als Ungeschicktheit missverstehen oder als die Provokation erkennen würde, als die sie gedacht war, musste sich sogleich erweisen.

"Heda, Kerl!", schnauzte der Bullige Alecor an. "Was soll das? Lass mich vorbei, die Liste interessiert mich nicht! Ich kann mir selbst ein Bild machen. Aus dem Weg!" Sogleich schloss der verbliebene Söldner zu Alecor auf. Er schien die Provokation als solche verstanden zu haben. Auf den letzten Schritten zog er seinen Säbel. Grangorion sah das Blitzen der Klinge und riss sein Pferd herum, um Papilio zur Hilfe zu kommen.

Damit waren zwei der vier Söldner nun zwischen Alecor und Grangorion, während der dritte auf der Sewakseite der Straße auf die Wagen zu beschleunigte, um zur Kutscherin zu gelangen. Der vierte, der jüngste der Corazza, saß unschlüssig ein Stück die Straße hinauf auf seinem Pferd und schien auf einen Befehl zu warten. Doch vorerst kam der nicht. Der Cornett schien sich mit Grangorion auseinandersetzen zu wollen.

"Bei Rondra", stieß Alecor dramatisch aus, als der Bullige seinen Säbel zog, "ich glaub’, Ihr seid gar keine Kämpfer für Sewamund, sondern verkleidete Raubgesellen! Statt einer Vorstellung zieht Ihr die Waffen! Das wird der Baron erfahren!", fügte er noch lauter hinzu und ließ Audax zur Straßenmitte tänzeln, um dem hohlrückigen Ross des bulligen Söldners den Weg freizugeben. Dann war dieser schon heran und passierte Alecor, ihm die linke Seite zugewandt, so wie dieser es geplant hatte. Statt eines wuchtigen Hiebs konnte er den Säbel nur zu einem Stich quer nutzen. Die Spitze der Waffe prallte gegen Alecors zur Abwehr erhobenen Unterarm - und mit dem Geräusch von Metall davon ab!

"Er will mich meucheln!", zeterte der Unverletzte, gespielt aufgebracht, und drehte sein Pferd wieder quer zur Straße, um den Angreifer von seinen Kumpanen zu trennen. Inzwischen hatte er sein Rapier in der Hand, bereit, jeden weiteren Angreifer Stahl schmecken zu lassen.

Zwei Söldner waren nun bei den Wagen, zwei bei Grangorion. Alecor hoffte, dass Rauris und Leonello die vorderen beiden beschäftigen würden, bis er und della Carenio mit dem Cornett und dem Jüngling fertig waren. Grangorion zog nun ebenfalls seinen Rapier, denn er hatte den vereinbarten Kennsatz verstanden. Er ließ sein Ross zwischen den beiden Distelsöldnern tänzeln, die versuchten, ihn in Bedrängnis zu bringen. So gelang es ihm, den beiden keine Angriffsfläche zu bieten und vielleicht vermochte er sogar in einem passenden Moment das Rapier zum Einsatz zu bringen.

Leonello hatte die Zügel seines Zugpferdes um den Metallknauf des Wagens geschlungen und war aufgesprungen. Er zog seinen Dolch, bereit sich zu verteidigen. Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass auch Rauris sich bereit gemacht hatte, den Wagen der Papilios zu verteidigen. "Kommt mir nicht zu nahe!", drohte der junge Carenio. "Und Finger weg von dem Wagen! Wenn es nur einer von euch wagen sollte, sich mir zu nähern, wird es ihm übel ergehen!"

Der Bullige war wohl von der unerwarteten Parade seines Stichs durch Alecor erstaunt, zugleich aber zu gierig, die Wagenbeladung zu durchwühlen, als dass er sich mit dem aufgebrachten Lästling weiter befassen wollte, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Er ließ sein Pferd vorpreschen und auf Höhe der ältlichen Kutscherin wieder halten. Rauris saß auf der anderen Seite des Kutschbocks und blickte ihm ob ihres hängenden Augenlids schläfrig wirkend entgegen. Grinsend streckte er den Säbel in ihre Richtung, der gleichwohl zu kurz war, um sie zu erreichen: "So, Muttchen, zeig mir mal, was du Feines geladen hast." Derweil zogen auch die anderen drei Söldner ihre Säbel. Diese mochten schartige Massenware sein, aber sie waren scharf geschliffen und ließen ahnen, dass dies nicht ihr erster Einsatz sein würde.

Um Rauris machte sich Alecor keine Sorge. Zum einen, weil sie seit vielen Jahren duldsam seinem Haus zu Diensten war. Die Papilios gingen mit ihren Klienten in aller Regel anständig um - umgekehrt war es fast eine Selbstverständlichkeit, dass diese den Herrschaften den Rücken frei hielten. Zum anderen, weil er wusste, dass die Frau bei allem Phlegmatismus ein ausgeprägtes Selbsterhaltungsvermögen besaß (andernfalls hätte sie als Kutscherin des draufgängerischen Vetters Zylobar kaum eine Reise überstanden).

Wie sich Grangorion schlagen würde, konnte er nicht abschätzen. Besser, diesen nicht mit zwei Gegnern alleine lassen. Alecor gab Audax die Sporen, um in die Nähe des Cornetts zu gelangen. Immer den angreifen, der seinen Kumpanen erfolgreich weisgemacht hat, er habe den Befehl - das war eine Regel, die der Codex Duello nicht beinhaltete, die sich aber gleichwohl bewährt hatte.

Grangorion zeigte sich inzwischen erstaunlich geschickt mit dem Rapier. Er beschäftigte den Söldner, der ihn angegangen war, mit einigen Finten und Paraden. Als dieser sein Pferd wenden wollte, ließ Carenio das Rapier geschickt unter den Hals des Söldnerrosses tauchen und durchtrennte mit einem Streich beide Zügel. Das Pferd erschrak, scheute und machte einen Satz. Der Reiter, irritiert durch die widerstandslos gewordenen Lederzügel in seiner Hand, verlor den Halt. Beim hastigen Griff zum Sattelknauf ging sein Säbel verloren. Das führungslos gewordene Pferd wendete auf der Hinterhand. Nun war es um den mit einem Arm am Sattelknauf hängenden Reiter geschehen. Er landete auf der Erde, die wirbelnden Hufe seines Reittieres über sich. Grangorion wendete sein Ross, um Rauris oder Leonello zur Hilfe zu eilen, denn Alecor hatte sich dem Cornett zugewandt.

Ya Papilio war ein besserer Fechter als Reiter, aber sein Vermögen reichte aus, um den Anführer des Söldnertrupps ordentlich zu beschäftigen. Während er mit dem Rapier kurze, direkte Stiche setzte, die der andere unbeholfen mit dem langen Säbel abwehrte, musste der Cornett für seine Hiebe immer ausholen und tat sich schwer, selbst Stiche zu platzieren. Zugleich tänzelten die beiden Pferde nervös umeinander - ein gefährliches Ballett. Der Dolch in Leonellos Hand war schön gearbeitet und von erkennbarer Qualität. Größeren Nutzen gegen den inzwischen neben dem Wagen abgestiegenen Distelsöldner mit seiner viel längeren Waffe würde er aber kaum haben, solange der Mann Abstand wahrte.

Dem Burschen, der kaum älter war als Leonello, aber von gröberem Körperbau, schien das bewusst zu sein. Ohne Hast durchtrennte er eine der Schnüre, mit denen die Plane über dem Carenio-Wagen festgezurrt war, und schickte sich an, diese zur Seite zu ziehen, um die Ladung in Augenschein zu nehmen. Dabei behielt er Leonello im Sichtfeld, damit dieser nicht jäh auf ihn zu springen könne.

Der Sohn der Gutsbesitzerin von Villago sah sich hilfesuchend um. Diesen Blick fing Grangorion auf und lenkte sein Pferd zum Carenio-Wagen. Vom Sattel aus hatte er die besseren Karten. Der junge Distelsöldner bemerkte ihn erst als er direkt hinter ihm war. Zu beschäftigt war er damit, zum einen die Fracht zu durchsuchen, zum anderen auf den Wagenlenker zu achten, der jetzt, da ihm Grangorion zu Hilfe eilte, neue Selbstsicherheit gewann und vorrückte. Mit einer schnellen, geschickten Körperdrehung entzog sich der Bursche dem Zugriff Grangorions, fasste mit seiner freien Linken Leonellos unbewaffnetes Handgelenk und verdrehte es so, dass der junge Mann mit einem Schmerzenslaut in die Knie ging. Zwar ließ er seinen Dolch nicht los, doch war er durch die erzwungene Haltung so in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, dass ihm kein Treffer gelingen konnte. Im Gegenteil, es stand nicht gut um ihn, denn der Distelsöldner holte nun seinerseits zum Angriff mit seiner Hiebwaffe aus.

Doch in diesem Moment war Grangorion zur Stelle. Er ließ den Rapier durch die Luft zischen und schlug dem Peiniger seines Verwandten mit einem gut gezielten Streich den Säbel aus der Hand. Überrascht fuhr der Kerl herum und ließ Leonello fahren, der sich schnell wieder auf die Beine brachte und dem Distelsöldner mit einer ordentlichen Portion Wut den Dolch in die ungeschützte Seite rammte. Mehrere Schritt hinter ihnen und auf der anderen Seite der kurzen Wagenreihe hatte mittlerweile der Bullige mit dem fliehenden Kinn die Höhe des Kutschbocks erreicht, von dem ihm Rauris gleichmütig entgegen blickte: "Runter da und zeig die Ladung her", verlangte er barsch. Seinen Säbel zog er vorsorglich, als er das Geplänkel seiner Kameraden mitbekam, doch machte er keine Anstalten, auf die Kutscherin loszugehen.

"Ihr wisst, dass ich das ohne Anweisung meines Herrn nicht tun darf", sagte die Frau ruhig, aber bestimmt. "Das ist mir gleich", schnauzte er. "Mach schon." Um seiner Forderung Nachdruck zu geben, hieb er mit der Klinge auf die Oberkante des Bocks. Splitter stoben und eine hässliche Kerbe verblieb. Als er wieder zu Rauris schaute, blickte er in das kurze Rohr der schmucklosen, gedrungenen Balestrina. "Ich darf nicht erlauben, dass Ihr den Besitz meiner Herrschaften weiter demoliert", sagte die Kutscherin höflich. Der Distelsöldner kannte diese Art Waffe wohl und war vorsichtig genug, sein Pferd ein Stück von dem KKK-Gefährt wegtänzeln zu lassen. "Untersteh dich", bellte er. "Du hast nur einen Schuss, und dann bist du dran."

"Einer genügt mir", erwiderte Rauris und schob mit der linken Hand ihren Schlapphut in den Nacken. Sie kniff das rechte Auge zu und zielte ruhig, wartete seinen nächsten Zug ab. Derweil stellte Leonello fest, dass sein Gegner noch nicht geschlagen war. Der Söldner hatte urplötzlich ebenfalls eine kurze Klinge in der Rechten und hielt sich den jungen Carenio vom Leib. Die Linke presste er auf die Wunde, die durch das Lederzeug unter dem Harnisch nicht so schlimm war, wie sie hätte sein können. Mit gehetztem Blick sah er sich nach einem Fluchtweg um, doch diesen verstellte Leonello auf der einen und Grangorion auf der anderen Seite. Kurzentschlossen ließ er sich zu Boden fallen und rollte unter den Wagen der Carenios, um auf der anderen Seite zu entkommen.

So schnell konnten weder Leonello noch Grangorion ihm folgen. Sie mussten also zusehen, wie der junge Distelsöldner sein Heil in der Flucht suchte. Inzwischen hatte jedoch der unfreiwillig von seinem Pferd getrennte Söldner seinen Säbel wiedergefunden und stellte sich erneut zum Kampf. Grangorion versicherte sich, dass weder Rauris noch Alecor seine Hilfe benötigten und gab Leonello ein Zeichen, sich mit ihm gemeinsam diesem zu nähern.

Der so von zwei den beiden Carenios angegangene Distelsöldner wich langsam rückwärts aus. Weit kam er allerdings nicht, denn hinter ihm umtänzelten sich die Rösser des Kornetts und Alecors. Grangorion wartete auf einen Moment der Unachtsamkeit. Und so kam es. Als der Söldner einen Blick über seine Schulter warf, wie weit er noch nach hinten ausweichen konnte, gab Grangorion seinem Pferd die Zügel frei und ließ es auf den Säbelfechter lospreschen. Von oben herab hieb er nach dem Fußkämpfer. Auch wenn sein Rapier vom erhobenen Säbel des Mannes pariert wurde, so brachte ihn der Ausweichschritt nach hinten doch in Bedrängnis. Denn nun befand er sich zwischen Alecor und Grangorion. Die Leiber beider Rösser schnitten ihm den Fluchtweg ab. Ob er sich ergeben würde?

Das Geplänkel zwischen Alecor und dem Cornett nahm an Intensität zu. Ya Papilio merkte, dass er mit diesem erfahrenen Lohnschwert kein leichtes Spiel hatte. Der andere focht ohne Eleganz, aber mit Kraft - und nicht zum ersten Mal vom Sattel aus. Die Carenios und Rauris banden ihre Gegner, einen sah er schon aus dem Augenwinkel fliehen. Daran ließ sich nichts ändern. Aber von den anderen dreien sollte man doch wenigstens einen befragen können. Alecor duckte sich unter einem Säbelhieb hindurch und ließ Audax einen Hopser näher an den Gegner heran machen. Wie erwartet versuchte dieser den Abstand wiederherzustellen. Doch während er sein Pferd lenkte, bereit zur Parade eines Rapierstichs, hieb Alecor ganz einfach mit der stumpfen Breitseite seiner Klinge auf die Hinterbacke des gegnerischen Rosses. Wie erhofft machte dieses einen Satz nach vorn, vorbei an Audax, dessen Reiter nun die Gelegenheit zu einem nicht abzuwehrenden Stoß in den Rücken des Söldners hatte.

Er zielte genau und die Rapierspitze traf zwischen die beiden Platten, die Rücken und Schulter schützten. Der Stahl drang nicht tief ein, aber hoffentlich schmerzvoll genug, um dem Gegner das Weiterkämpfen zu erschweren, wenn nicht gar gänzlich unmöglich zu machen. Der Fußkämpfer, der sich zwischen den Pferdeleibern befand, vernahm den Fluch und den darauffolgenden Schmerzensschrei des Cornetts schon nicht mehr. Das scheuende Pferd des Anführers der Distelsöldner überrannte ihn. Von der Vorderhand des Tieres umgestoßen ging er zu Boden. Den Rest erledigte die Hinterhand. In seiner Panik kontrollierte das Fluchttier seine Bewegungen nur noch insoweit sie dem Entkommen aus der Gefahrensituation dienten. Der rechte Hinterhuf brach dem zu Boden Gegangenen die Rippen.

Grangorion konnte an der Haltung des Mannes ablesen, dass dieser die Schwingen Golgaris bereits hörte. Ein paar röchelnde Atemzüge tat er noch, dann blieb er reglos liegen. Nun war der Carenio frei, Alecor zur Hilfe zu eilen. Rauris und der Bullige hatten sich belauert, während die Klingen der anderen klirrten. Das durchgehende Pferd und die Schreie der Männer lenkten die Aufmerksamkeit der Kutscherin einen Moment ab - gerade lange genug, dass sie beim Wiederfokussieren ihres Gegners bemerkte, wie er mit der linken Hand in die Achselöffnung seines Harnischs langte und in einer schnellen Bewegung etwas in ihre Richtung warf.

Ehe aber der gut gezielte Wurfdorn ihre rechte Schulter traf, krümmte sich der Zeigefinger um den Auslöser der Balestrina. Die in den Faserbündeln gespeicherte Kraft schnellte dem Söldner einen Hagel scharfkantiger Steinsplitter entgegen. Seinen Harnisch und selbst seinen Hut durchdrangen sie nicht. Wohl aber bissen sie blutende, schmerzende Wunden in seine geröteten Wangen, seine Nasenflügel und seine im Reflex geschlossenen Lider - und mit noch größerer Wirkung in Nüstern und Auge seines Pferds.

Ein geschultes Streitross hätte dem Schreck und Schmerz vielleicht standgehalten, nicht aber die klapprige Mähre, die dem Söldner als Reittier diente: Laut aufwiehernd scheute sie zurück, stieg vorne auf, knickte auf den Hinterbeinen ein und warf den Mann aus seinem Sattel, ehe es in Panik davon stob. Rauris glitt die leergeschossene Balestrina aus der rechten Hand. Die linke presste sie rings um das in ihrer Schulter steckende Messer auf die Wunde. Den Speer zu ergreifen war mit nur einer Hand sinnlos - sie musste hoffen, dass einer der Herren an sie dachte, ehe der abgeworfene Kämpfer sich aufgerappelt hatte und erneut auf sie losging.

Noch ehe Grangorion sein Ross wenden konnte, um sich des Distelsölners anzunehmen, war Leonello schon bei Rauris. Er griff ihr unter die Achseln, ignorierte ihren Schmerzenslaut, als er sie aus dem Gefahrenbereich zog, ans andere Ende des Kutschbocks. Inzwischen war Grangorion herangekommen. Er lenkte seinen Rappen gnadenlos auf den abgeworfenen Söldner zu. Als dieser sich mühsam über alle Viere erhob, gab der Carenio ihm einen gezielten Tritt gegen die Kinnpartie. Wie ein gefällter Baum ging der Mann erneut zu Boden. Er schien für den Moment außer Gefecht gesetzt zu sein. Grangorion blickte sich um, ob er sich gefahrlos aus dem Sattel schwingen konnte, um den Mann zu fesseln. Ein Gegner hatte feige die Flucht ergriffen, einer lag mausetot am Boden, der dritte war besinnungslos und den Kornett, der sich nach dem Rückentreffer kaum auf dem Pferd halten konnte, bedrängte Alecor, der keine nennenswerten Blessuren aufwies und das Geschehen in der Hand zu haben schien. Er schien sogar darauf zu warten, dass Grangorion als Anführer ihres Wagenzugs ihm sage, wie er mit dem letzten Söldner verfahren solle.

Grangorion trieb sein Pferd an die Seite Alecors. Mit einem herablassenden Blick sah er den Cornett an und bemüßigte sich des Befehlstons: "Sprich, Kerl! Wer ist dein Condottiere?" Natürlich wusste der Carenio, dass die Männer zur 'Goldenen Distel' gehörten, der Söldnereinheit, die sein Verwandter Cardolfo befehligte. Jedoch, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen, mimte er den Unwissenden. Der Bullige hob widerstrebend den Kopf und sah den jungen Esquirio mit Verachtung an: "Was geht dich das an, Bursche? Wer bist du schon, dass du das wissen willst?"

Mit einem Kopfnicken ermunterte der Carenio den Fechter aus dem Hause ya Papilio, dem Cornett sein Rapier zu präsentieren: "Ich glaube, du verkennst die Situation in der du dich befindest, Mann! Raus mit der Sprache!" Der Cornett knurrte vor sich hin, dann aber zischte er den Namen zwischen den Zähnen hervor, den Grangorion hören wollte: "Condottiere Cardolfo della Carenio!" "So?", erwiderte der Sewamunder Esquirio. "Dann richte ihm doch bitte aus, dass gerade er sich gut überlegen sollte, auf welche Seite er sich schlägt, in diesem Machtkampf. Mir scheint, er hat die falsche Entscheidung getroffen! Und jetzt mach dich vom Acker, Kerl! Bevor wir es uns anders überlegen und dich statt über den Sewak übers Nirgendmeer schicken!" Alecor hatte Grangorion gewähren lassen, bis der Anführer des Söldnertruppe außer Sicht war. Erst als dieser sich in den Wald geschlagen hatte, außer Sicht- und Hörweite war, erlaubte er sich eine freie Bemerkung: "Wir hätten sie auch alle totschlagen können, Esquirio. Verdient hätten sie es ja gehabt", ergänzte er in leichtherzigem Ton, um die Wucht seines Vorschlags zu dämpfen: "Einfach so vier harmlose Händler anzugreifen..."

Er bemerkte nun, dass sich Leonello fürsorglich um die verletzte Wagenlenkerin kümmerte. "Wacker gehalten, Rauris", lobte er beiläufig. "Bedauerlich, dass du als Einzige eine größere Blessur erlitten hast. Ich werd’ beides Vetter Zylobar vermerken, damit er deiner Familie ein angemessenes Schmerzensgeld gibt. Wir Papilios sorgen schließlich für unsere Klienten. Mit einer ordentlichen Feldscher-Beschau musst du aber warten, bis wir in Sewamund sind."

Dann wandte er sich wieder an Grangorion: "Wir sollten schauen, ob die Schurken etwas Brauchbares bei sich hatten und die Toten dann in den Sewak werfen..." Grangorion pflichtete Alecor bei und sie machten sich daran, die Männer zu durchsuchen. Die Waffen nahmen sie an sich. Ebenso das, was ihnen nützlich erschien. Dann übergaben sie die toten Körper dem Flussvater Sewak.

Leonello hatte Rauris’ Wunde inzwischen so gut wie möglich verbunden. Man entschied sich, dass Grangorion auf den Kutschbock zu Rauris wechseln sollte. Sein Pferd band er mit einem Führstrick an den Wagen der Carenios. Auch wenn der Esquirio nur wenig Ahnung vom Lenken eines dreiachsigen Wagens hatte, so würde er unter Rauris’ Anleitung wohl das Gefährt bis Sewamund bringen können. Dass es ihr unangenehm war, ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können und sogar einem Höhergestellten Anweisungen geben zu müssen, war der Frau anzumerken. Gleichwohl ließ sich das nicht anders machen und sie fügte sich wortlos in die neue Rolle.

"Auf geht’s!", erscholl nun Alecors Stimme von der Spitze des kleinen Wagenzugs. "Bis es dunkel wird, wollen wir noch ein paar Meilen in Richtung Sewamund hinter uns bringen." Und die Wagen setzten sich hinter dem Reiter in Bewegung. Morgen wollten sie es wagen, in die Stadt zu gelangen.