Briefspiel:Das Erbe einer Ritterin
Autoren: Amarinto, Carenio, Gerberstädter
In der Briefspielgeschichte Das Erbe einer Ritterin musste jemand nach dem Tod der Cavalliera Rondriane Tribêc die Ausbildung ihres Knappen Nandurion della Carenio abschließen. Daher erhielt die Familie della Carenio ein überraschendes Angebot.
Beteiligte
- Nandurion della Carenio, junger Knappe ohne Knappenmutter
- Raffaele della Carenio, Esquirio, Krieger und besorgter Vater
- Tolmana Luntfeld, Esquiria, Kampfmagierin und besorgte Mutter
- Drago Amarinto, Seneschall von Sewamund
- Skrayana brai Rahjalina Kaarstett, Knappin
- Methelessa Gerber, Knappin
- Dareius Amarinto, Cavalliere und Oberhaupt des Hauses Amarinto
- Arion Amarinto, Esquirio und Leibwächter von Dareius Amarinto
Palazzo Novo Carenio am Knotenplatz
Raffaele della Carenio und seine Frau Tolmana riefen ihren Sohn zu sich. Nandurion war nach dem Tod seiner Schwertmutter zunächst in den Palazzo der Carenios am Knotenplatz zurückgekehrt. Sichtlich geknickt von der Tatsache, dass er die Ermordung Rondriane Tribêcs nicht hatte verhindern können, schlich der Junge zumeist mit melancholischen Gesichtsausdruck durch das weitläufige Gebäude. Umso mehr freuten sich seine Eltern, ihm nun eine positive Nachricht überbringen zu können.
Ein Brief mit dem Siegel des Seneschalls von Sewamund, Cavalliere Drago Amarinto, war von einem Mitglied der Sewakgarde am Palazzo der della Carenio abgegeben worden. In dem Brief schilderte der Seneschall militärisch knapp, dass er vom Schicksal Nandurions erfahren hatte und als letzten Dienst für eine tugendhafte Rondrianerin, die Ausbildung ihres Knappen zu Ende führen wollte. Natürlich nur sofern dies auf das Wohlwollen der Eltern träfe. Sollte dies der Fall sein, könnten sie Nandurion zu einem persönlichen Vorsprechen in die Burg Sewakstein schicken.
Nandurions Mimik wechselte von ungläubigem Staunen zu einem breiten Strahlen. "Vater, bedeutet das, dass ich nun doch noch meine Schwertleite bekommen werde?" Raffaele della Carenio nicke und auch die Mutter schien sich sichtlich über den Wandel in der Gemütslage ihres Sohnes zu freuen. Da ihr Gemahl nicht wirklich ein Mann der Worte war, übernahm sie die Konversation. "Es freut mich ungemein, dass du diese zweite Chance erhältst. Der Seneschall ist, wie du weißt, nicht irgendjemand. Du wirst beweisen müssen, dass deine Tapferkeit nicht deine einzige Stärke ist und dass du auch sonst die Tugenden Rondras hochhältst."
Nandurion nickte eifrig. "Sicher, werte Frau Mutter, das will ich auch von ganzem Herzen! Was mich besonders freut ist, dass ich in dieser wichtigen Zeit nicht aus Sewamund fort muss. Ich gehe gleich meine Sachen packen!"
Der Vater bremste den Elan seines Sohnes nur geringfügig aus. "Es steht zwar nirgends, dass du sofort vorstellig werden sollst, aber auch ich würde an deiner Stelle nicht zögern. Auf, Nandurion! In Rondras Namen, zeig was in dir steckt und überzeuge den Seneschall, Drago Amarinto, dass du ein guter Knappe bist und das in dich gesetzte Vertrauen verdienst!"
Burg Sewakstein
Als Nandurion die alte Burg von Sewamund betrat, wurde er von den wachhabenden Sewakgardisten nach seinem Namen und seinem Begehr gefragt. Als er wahrheitsgemäß antwortete, ließen sie ihn ohne zu Zögern durch. Er wurde zum grossen Saal geschickt, in dem derzeit der Generalstab des Lilienrats und seiner Verbündeten Hof hielt und die strategischen Planungen für den Konflikt mit dem Baron koordinierte. Vor der großen Doppeltür hielten zwei weitere Gardisten Wache, die ihn abermals nach seinem Namen und Begehr fragten. Aber auch sie ließen ihn anstandslos passieren. Er betrat den Saal, in dem sich etwa ein halbes Dutzend Personen befanden, die meisten davon standen über den großen Planungstisch mit der Karte der Region gebeugt und diskutierten. Nandurion kannte die meisten von ihnen nicht, aber er erkannte Cavalliere Drago Amarinto und seinen Neffen Cavalliere Dareius Amarinto, den derzeitigen General der Bundestruppen. Sie standen etwas abseits und diskutierten energisch. Als Drago Amarinto Nandurion bemerkte, winkte er ihn mit einer fast schon subtilen Geste zu sich.
Irritiert blickte Nandurion sich um. Er trug seine Knappenkleidung, die er einst von seiner Schwertmutter Rondriane Trîbec bekommen hatte. Sie bestand aus einer braunen Bruche und einer oberschenkellangen Tunika in den Farben der Familie Trîbec, Gelb und Grün. War er gemeint? Als sich sonst niemand angesprochen zu fühlen schien, trat der junge Mann zu den beiden Amarintos. Er blieb in gebührendem Abstand stehen, senkte ehrerbietig das Haupt und begrüßte sie mit einem "Die Zwölfe zum Gruße, hochachtbare Herren!"
Drago Amarinto musterte den jungen Knappen von oben bis unten. "Nandurion della Carenio? Man hat mir von Eurem Mut und Eurem tapferen Einsatz für unsere Heimatstadt erzählt. Cavalliera Rondriane, Rondra sei ihr gnädig, hat Euch gut ausgebildet! Es erscheint mir daher nicht der Wille der göttlichen Leuin, dass Eure Ausbildung unabgeschlossen bleibt. Wäret Ihr also bereit einen neuen Lehrer zu akzeptieren?" Dareius Amarinto stand sanft lächelnd neben seinem Onkel und lehnte sich an den hohen Besprechungstisch, während er entspannt die Arme verschränkte.
Ein strahlendes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des blonden Jüngling. Er nickte eifrig. "Das würde ich, Cavalliere! Es ist mein größter Wunsch die Ausbildung beenden zu können."
Drago Amarinto nickte knapp. "Gut, ich werde Eure Ausbildung beenden und Euch alles lehren, was Cavalliera Rondriane Euch beigebracht hätte. Von Euch erwarte ich, dass meinen Anweisungen ebenso folgt wie denen der Cavalliera. Zudem erwarte ich von Euch, dass Ihr, sobald der Baron in die Knie gezwungen ist, Euch dem Ziel verschreibt, das Schwert Eurer Schwertmutter zu finden und im Rondratempel zu Grangor zu ihren Ehren segnen zu lassen." Seine Miene war gleichermaßen feierlich wie ernst. Er blickte zu seinem Neffen Dareius, dieser nickte sanft. "Und nun geht in den Hof und sucht nach einer hünenhaften Knappin, ihr könnt sie kaum verfehlen. Signora Skrayana, die Knappin meines Neffen, wird Euch alles weitere erklären."
Nandurion beugte das Knie vor Drago Amarinto und gelobte im Namen der Leuin feierlich, das Schwert seiner Schwertmutter zu finden und im Rondratempel zu Grangor zu ihren Ehren segnen zu lassen. "Ich werde Euch nicht enttäuschen!" Der junge della Carenio bedankte sich für das großzügige Angebot des Amarinto, seine Ausbildung zu beenden und tat wie geheißen. Er verabschiedete sich von Drago und Dareius und beeilte sich, die genannte Knappin zu finden.
Die beiden Amarinto nickten wohlwollend und wandten sich dann wieder den Besprechungen zu, während Nandurion durch das mächtige Treppenhaus der alten Burg wieder zurück in den Hof eilte. Dort herrschte geschäftiges Treiben, Gardisten der Sewakgarde, Bedienstete, der eine oder andere Söldner aus den verschiedenen Kontingenten, die durch die Sewamunder und ihre Verbündeten angeworben worden waren, bewegten sich zielsicher in den Eingeweiden der Festung. Nach einer kurzen Zeit entdeckte er jedoch eine Hünin, die nicht nur aufgrund ihrer Größe aus dem allgemeinen Chaos herausstach. Nandurion war groß für sein Alter, aber diese Frau, oder besser gesagt, diese Jugendliche, überragte auch ihn noch einmal deutlich. Ihre Größe in Kombination mit ihren wallenden goldblonden Haaren, die zu einem langen Zopf geflochten waren und ihren ungewöhnlich hohen Wangenknochen, verliehen ihr ein exotisches Aussehen. Sie trug einen Waffenrock mit dem Wappen des Hauses Amarinto, schwere Lederhandschuhe und hohe Stiefel. Dabei schwang sie ein überlanges zweihändiges Holzschwert und begann gerade einen Übungskampf mit einem deutlich älteren, sehr feminin wirkenden Krieger, der ebenso einen Waffenrock mit dem Wappen der Amarinto trug. Das Gesicht des Älteren war fein geschnitten, aber intuitiv fröstelte sein Anblick Nandurion. Er wirkte kalt und brutal, wie eine Spinne, die sich langsam auf die Beute zubewegte. Er verwendete ein erheblich kürzeres, einhändiges Übungsschwert und bewegte sich sehr geschmeidig. Die Hünin musste die Knappin Skrayana sein, ihren Übungspartner kannte er nicht.
Nandurion stand nun am Rand des Übungsplatzes und beobachtete das Geschehen mit scharfem Blick. Vor ihm kreuzten Skrayana und der ältere Krieger die hölzernen Schwerter. Es war ein ungleicher Kampf, das sah er sofort. Skrayana, die kräftige und ehrgeizige Knappin, schwang ihren Zweihänder mit beachtlicher Wucht, während ihr Kontrahent mit seinem einhändigen Schwert scheinbar mühelos auswich und konterte.
Nandurion konnte nicht anders, als dessen Geschmeidigkeit zu bewundern. Jeder seiner Schritte war präzise, jede Bewegung perfekt auf den nächsten Moment abgestimmt. Er nutzte keine überflüssige Kraft, keine unnötigen Gesten. In jedem Schlag lag eine Effizienz, die fast schon beängstigend wirkte. Skrayana hingegen kämpfte mit roher Kraft, wie er es selbst schon oft getan hatte. Doch ihr Gegner war nicht aus der Ruhe zu bringen. Selbst als Skrayana versuchte, ihre Angriffe zu variieren, sich nach seinen knappen Kommentaren richtete, blieb der erfahrene Fechter ihr immer einen Schritt voraus.
Skrayana hatte einen besonders heftigen Schlag geführt, doch ihr Gegenüber glitt wie Wasser an ihr vorbei, ließ das hölzerne Schwert ins Leere schlagen und drückte seine eigene Klinge leicht gegen ihre Brust. Nandurion hörte, wie er ruhig, fast beiläufig sprach: „Tot. Kraft allein reicht nicht.“
Nandurion wusste, dass Skrayana sich darüber ärgerte. Er konnte den Frust in ihrer Haltung spüren, den ungebrochenen Ehrgeiz, es besser zu machen. Doch er demütigte sie nicht. Nein, er führte sie mit einer präzisen, fast kalten Rationalität. Nichts an seinen Bewegungen oder Worten war darauf ausgerichtet, sie zu beschämen. Jeder seiner Hiebe und Paraden war darauf bedacht, ihr etwas beizubringen.
Der nächste Angriff kam langsamer. Skrayana hatte gelernt. Sie war bedachter, kontrollierte ihre Bewegungen besser, und Nandurion sah, wie sich ihr Rhythmus veränderte. Sie versuchte, das lange zweihändige Übungsschwert zu meistern, anstatt sich von ihm führen zu lassen. Doch noch immer war es der Ältere, der den Ton angab. Er ließ ihr keine Atempause, kein Aufbäumen. Immer wieder schlug er mit minimalen Bewegungen zu, brachte sie aus dem Gleichgewicht, ohne jemals wirklich hart zuzuschlagen.
"Kontrolle," hatte er knapp gesagt. "Nicht nur über die Waffe, sondern über dich selbst."
Der blonde Krieger war ein Meister der Effizienz, und selbst als Beobachter konnte Nandurion spüren, dass Skrayana begann, diesen Weg zu verstehen. Es war kein schneller Lernprozess, aber sie machte Fortschritte. In ihrem nächsten Versuch sah Nandurion, wie sie den Schwung ihrer Waffe besser kontrollierte, langsamer, doch gezielter angriff.
Am Ende des Kampfes stand Skrayana schwer atmend, doch mit einem Ausdruck, der weder Enttäuschung noch Wut zeigte. Es war Konzentration, der Wille, es beim nächsten Mal besser zu machen. Ihr Kontrahent dagegen schien nicht einmal ins Schwitzen geraten zu sein.
Sowohl Skrayana als auch ihr Kontrahent bemerkten nun Nandurion und blickten ihn fragend an.
Noch immer schwer beeindruckt von der Demonstration der Waffenkunst und der Lehrstunde für Skrayana, brauchte der blonde junge Mann einen Augenblick, bis er realisierte, dass von ihm eine Reaktion erwartet wurde. "Verzeiht", stotterte er etwas tumb in Richtung des blonden Kriegers. "Ich wollte Euren Übungskampf nicht stören. Mein Name ist Nandurion della Carenio. Mein neuer Schwertvater, Cavalliere Drago Amarinto, hat mich geschickt, Signora Skrayana aufzusuchen, um mir von ihr Anweisungen geben zu lassen. Seid Ihr Signora Skrayana?", fragte er nun die Hünin, die noch immer schwer atmete.
Die Angesprochene nickte, während sie sich keuchend auf das zweihändige Übungsschwert stützte. Nach einigen Sekunden hatte sie sich soweit erholt und kam auf Nadurion zu. Schließlich stand sie vor ihm. Nadurion war hochgewachsen, aber diese Knappin überragte ihn nochmals um gut 5 Finger und sah auf ihn herunter. Sie musterte sein Aussehen und seinen Körperbau und ein breites Lächeln zeigte sich in ihrem Gesicht. Dann verneigte sie sich formvollendet. "Willkommen im Dienst des ehrenwerten Hauses Amarinto, Signor Nandurion." Dann legte sie ihm eine ihrer kräftigen Hände auf die Schulter und drückte ihn überraschend an sich und klopfte ihm kräftig auf den Rücken. "Willkommen Bruder!" Nachdem sie den verdutzten Nandurion losgelassen hatte, deutete sie auf den femininen Krieger. "Signor Arion Amarinto, der Leibwächter meines Herren Cavalliere Dareius Amarinto." Arion Amarinto zog sanft eine Augenbraue nach oben, aber ansonsten keine Miene. Nandurion konnte nur ein kaum merkliches Nicken als Gruß erkennen.
Skrayana wandte sich an Arion, ihr Lächeln verschwand augenblicklich. "Signor, ich bitte formell um Erlaubnis Signor Nandurion den Palazzo Amarinto zu zeigen und in der Waffenkammer nach geeigneter Ausrüstung zu suchen." Der blonde Krieger nickte. "Signor Nandurion kann das Zimmer neben Eurem beziehen. Beim Abendessen findet die offizielle Begrüßung im Kreis der Familie statt. Morgen zur Phexensstunde beginnen die Übungen." Skrayana verneigte sich. Es wurde deutlich, dass sie großen Respekt, wenn nicht sogar Angst vor Arion hatte.
Sie wandte sich wieder Nandurion zu. "Lass uns zum Palazzo Amarinto gehen, ich zeige dir alles." Sie packte ihn am Arm und zog ihn in Richtung des Burgtores, welches sich zur Stadt hin öffnete. "Aber du musst mir erzählen, wie war es in Garlan und wie konntest du entkommen?"
Auch Nandurion war fürs erste froh, dem strengen Arion Amarinto zu entkommen. Er würde noch früh genug seine erste Lehrstunde bei ihm bekommen und davor hatte er schon Respekt bekommen, nach dem Lehrstück, welches die kräftigere und beinahe hühnenhafte Skrayana gerade bekommen hatte. Er wusste, dass er bei weitem nicht so gut dabei ausgesehen hätte und fürchtete die Rügen, die es hageln würde. Skrayanas lockere und freundschaftliche Art tat dem Neuling im Hause Amarinto gut. Also ließ er sich führen und erzählte von seinem Leben in Garlan am Fuße der Windhagberge und seiner hochverehrten Schwertmutter Rondriane Tribêc. Natürlich kam er dabei auch auf ihren furchtbaren Tod zu sprechen. An Rondrianes Seite, verstärkt durch eine lokale Miliz, die die Erbvögtin von Garlan gegen die Söldner des Barons Irion von Streitebeck aufgestellt hatte, hatte Nandurion beherzt gekämpft. Leider auf verlorenem Posten. Schnell wurde deutlich, dass sie den Drôler Söldnern unter der grausamen Condottiera Zûna da' Drûnabal unterlegen waren. Man nahm seine Schwertmutter und zunächst auch ihn gefangen. "Stell dir vor, ich wurde Zeuge wie die Condottiera Rondriane zum Verrat aufforderte und noch bevor meine standhafte Schwertmutter, die diesem Ansinnen schon vor dem Kampf mit Vehemenz widersprochen hatte, ihre erneute Ablehnung aussprechen konnte, hat diese eiskalte Person Rondriane erschlagen. Und mit hämischem Unterton sagte diese Mörderin Zûna dann: 'Verbreitet die Kunde, sie hätte sich uns angeschlossen.' Nandurion war stehengeblieben. Skrayana konnte spüren wie sehr ihn das erneute Durchleben dieses Ereignisses mitnahm. "Du kannst dir nicht vorstellen, welche Ängste ich ausgestanden habe. Denn nachdem ich Zeuge dieses grausamen Mordes gewesen war, konnte es nur eines geben: man würde auch mich töten, schließlich konnte ich als einziger bezeugen, was wirklich vorgefallen war. In diesem Moment, als noch alle von dem Geschehen gefangen waren, riss ich mich los und konnte tatsächlich entkommen."
Palazzo Amarinto in der Altstadt
Skrayana hatte mit Feuer im Blick zugehört. Man konnte ihr ansehen, dass sie darauf brannte selbst einen echten Kampf zu erleben und dabei die Gefahren ausblendete. Gemeinsam erkundeten sie den Palazzo Amarinto, die Waffenkammer, die Stallungen, den Innenhof mit den leuchtend blauen Rosen und Nandurions zukünftiges Zimmer, eine kleine Kammer im ersten Obergeschoss, direkt neben dem Zimmer Skrayanas. "Bereite dich nun auf das Abendessen im großen Saal vor, wo du den Rest der Familie kennenlernen wirst. Ahja und wenn du einmal die Hilfe einer Medica benötigst, so wende dich an Signora Orleane, die Dottora von Cavalliere Dareius." Sie grinste anzüglich und beugte sich verschwörerisch zu Nandurion herunter und flüsterte ihm leise ins Ohr: "Ich glaube die beiden haben eine Liaison miteinander, aber erzähl niemand, dass ich dir das gesagt habe." Sie kicherte vergnügt. Dann strich sie sich auffallend über ihren goldblonden Zopf. "Ähm, wie ist es denn so bei dir?" Sie zögerte kurz und sammelte offenbar Mut. "...bist du, ich meine, haben deine Eltern, also was ich sagen will ist, äh, bist du schon jemandem versprochen?" Sie versuchte sich elegant an den Türrahmen zu lehnen und ein neutrales Gesicht aufzusetzen, aber es gelang ihr nur teilweise, ihre brennende Neugier zu verbergen.
Nandurions Wangen färbten sich feuerrot. Es war offensichtlich, dass er noch sehr unerfahren in rahjanischen Themen war. Er schüttelte den Kopf auf die Frage Skrayanas, ob er bereits jemandem versprochen worden war. Um der unangenehmen Situation schnellstmöglich zu entkommen, drückte der Knappe sich an der blondbezopften jungen Frau vorbei in die ihm zugewiesene Kammer. "Ich mach mich dann mal fertig fürs Abendessen", presste er hervor. "Klopfst du an meine Tür, wenn der Zeitpunkt gekommen ist?"
Etwas überrumpelt trat Skrayana einen Schritt zurück. "Äh, ja...natürlich." Die schüchterne Reaktion Nadurions überraschte sie, aber er war ihr dennoch sympathisch. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte sie sich um und ging in ihre Kammer.
Am Abend im Palazzo Amarinto
Mit drei kräftigen Schlägen klopfte Skrayana an die Tür von Nandurions Kammer. Als er öffnete, stand dort nicht nur Skrayana in einem schlichten blauen Kleid und blauen Bändern im Haar, welche besonders ihre Augenfarbe betonten. Daneben stand eine weitere Jugendliche, ihr athletischer Körperbau verriet, dass sie auch in den rondrianischen Tugenden geschult wurde. Sie trug ein modisches grün-weißes Kleid und sah Nandurion erwartungsfroh und neugierig an.
"Rondra zum Gruß! Ich bin Methelessa, die Knappin von Cavalliera Cariana Amarinto. Willkommen, ich hoffe du lebst dich hier schnell ein. Wenn du irgendwas wissen willst oder brauchst, Skrayana und ich helfen dir gerne, sag einfach Bescheid!“ sie machte Anstalten, ihm freundschaftlich gegen die Schulter boxen zu wollen, besann sich aber sofort eines besseren. Einen Augenblick zögerte sie, ihre Augen hatten dasselbe dunkle Grün wie ihr Kleid und musterten den jungen Mann. Nandurion war kleiner als Skrayana, was zugegebenermaßen nicht ungewöhnlich war und ein gutes Stück größer als die Schwarzhaarige. Sie schätzte ihn etwa zwei Götterläufe älter und irgendwie war er schon attraktiv. "Hast du alles Nandurion? Wir sollten langsam los!" Sie trat ein Stück zur Seite, damit der blonde Knappe überhaupt die Möglichkeit hatte, sein Zimmer zu verlassen.
Skrayana hatte gerade etwas sagen wollen, da plapperte Methelessa schon los und der hünenhaften Knappin blieb nichts anderes übrig, als mit halb offenem Mund daneben zu stehen. Als der Redeschwall der Knappin aus der Coverna endlich versiegte, schaffte sie es gerade so noch ein: "...ja, äh, genau!" hinzuzufügen.
Nandurion schien sich noch etwas unwohl in seinem neuen Wappenrock zu fühlen. Hatte er doch schon einige Götterläufe lang die Farben der Tribêcs getragen. Nun prangte das Wappen der Amarintos auf seiner Brust. Die herzliche Art von Skrayana und Methelessa ließ ihn jedoch auftauen. Er lächelte und taxierte die kleinere und jüngere Knappin. Sie war ausgesprochen hübsch. Das Grün des Kleides harmonierte ausgesprochen gut mit ihrer Augenfarbe. Sein Blick lastete eventuell einen Augenblick länger als üblich auf den tiefgrünen Augen Methelessas. "Ich hoffe, dass ich alles habe. Ein wenig nervös bin ich schon. Nur gut, dass ich euch an meiner Seite habe." Damit trat er zwischen Skrayana und Methelassa hindurch auf den Gang. Galant reichte Nandurion seinen rechten Arm Methelassa, den linken offerierte er Skrayana.
Skrayana hakte sich lächelnd unter. Methelessa bemerkte, dass sie offenbar gerade ihre Fingernägel gepflegt und den teuren Saphirring trug, den sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Es war sehr selten, dass sie sich so herausputzte und in der Regel tat sie dies nur, wenn ihr Schwertvater dies explizit von ihr verlangte, weil ein gesellschaftliches Ereignis anstand.
Die gebürtige Efferdierin verspürte ein seltsames Gefühl in der Brust als ihr der Blonde zwei lange Herzschläge in die Augen sah. Seine warmen braunen Augen gaben ihr ein seltsames Gefühl von Geborgenheit. Zum Glück dauerte der Augenkontakt nicht länger sonst wäre Methelessa glatt rot geworden. Nach dem der attraktive Knappe zwischen die beiden ungleichen Freundinnen getreten war und Anstalten machte loszugehen, griff die Schwarzhaarige hinter ihn, zog seine Zimmertür zu, zwinkerte ihm keck zu und hakte sich gut gelaunt bei ihm unter. "Tanzt du gerne, Nandurion?" interessiert sah sie zu ihm auf ‚Nandurion‘ wiederholte sie gedanklich, ein wirklich klangvoller und männlicher Name, wie gemacht für einen Cavalliere! Eine andere Stimme in ihrem Kopf drängte sich auf, ehe sie weiter schwärmen konnte: 'Was in Rondras Namen ist los mit dir? Bist du eine rollige Straßenkatze? Das ist nur ein Kerl wie all die anderen, die hier herumstolpern und du hast wirklich Wichtiges zu tun, als um irgendeinen Schönling herumzuschleichen und ihm womöglich schöne Augen zu machen. Du weißt ja noch nicht einmal, ob er ein Schwert vernünftig halten kann, das wäre eine vernünftige Frage gewesen! Tanzen??? Pffff...' 'Aber...' begann die erste Stimme gerade, als eine reale Stimme den inneren Disput unterbrach!
Der Carenio beugte sich verschwörerisch zu Methelessa hinunter. "Wenn du ein Geheimnis für dich behalten kannst?", flüsterte er ihr ins Ohr. "Meine Mutter sagte nach ihrem ersten Tanz mit mir, dass sie meine Tanzpartnerinnen bemitleidet, weil ihre edlen Tanzschuhe schon beim ersten Fehltritt ruiniert sind."
Mit verschwörerischem Ton antwortet die Schwarzhaarige ebenfalls flüsternd, aber noch so laut dass die blonde Freundin sie ebenfalls verstehen konnte: "Dein Geheimnis ist bei mir sicher, aber ich denke ich werde dann doch lieber Skrayana den Vortritt als deine Tanzpartnerin lassen! Das schont meine zarten Füße und..." Sie grinste nun frech: "...ich verstehe mich ganz gut auf Wundheilung und kümmere mich danach gerne um deine zerschundenen Füße!"
Skrayana traute ihren Ohren nicht und mit geweiteten Augen sah sie Nandurion und Methelessa an, die bereits herzlich lachten und schäkerten. Sie wollte etwas sagen, wollte seine Aufmerksamkeit auf sich lenken, aber sie fühlte sich wie gelähmt. Solche Situationen fielen ihr schwer und plötzlich fühlte sie sich sehr einsam. Sie war eine Riesin und doch sahen alle an ihr vorbei. Sie sah auf den Ring ihrer Mutter, der an ihrer Hand blitzte und erinnerte sich, dass der Juwelier ihn schon zweimal weiten musste, da ihre Finger so viel größer waren als die ihrer Mutter. Darum trug sie ihn so selten, er erinnerte sie daran, dass sie anders war als die anderen feinen Damen, sie war eine halbe Wilde, eine Barbarin, die gelernt hatte mit Silberbesteck zu essen. Aber ihre wahre Natur konnte dies nicht verbergen. Sie seufzte leise, während die drei Knappen und Knappinen zum großen Saal des Palazzo gingen, wo bereits die Mitglieder des Hauses Amarinto auf sie warteten.
Der Schwarzhaarigen war der Stimmungswechsel der Freundin nicht entgangen und sie wurde unsicher. Hatte sie etwas falsches gesagt? Das könnte doch eigentlich nicht sein. Nein, Skrayana konnte über sich selbst lachen und war nicht nur mit der Faust oder einer Waffe schlagfertig, auch verbal wusste sie sich zu verteidigen und auch in die Offensive zu gehen, eigentlich! Was war nur los? Sie hatte mit einer Riposte auf ihre Stichelei in Bezug auf die großen Füße der Hünin gerechnet, aber nicht einmal ihr finsterer Blick, den ihr Skrayana sonst für gewöhnlich zuwarf, wenn die Situation eine andere Antwort nicht zuließ, aber der sehr deutlich sagt: 'Das Thema ist noch nicht erledigt, Fräulein! Warte nur bis wir wieder alleine sind!' blieb aus. Inzwischen kannte sie die Halbgjalskerländerin gut genug und ihre Freundschaft räumte Methelessa deutlich mehr Freiheiten ein als anderen, aber am Anfang hatte ihr dieser Blick wirklich Angst gemacht. Nun aber wusste sie, dass er lediglich bedeutete, das sie mit ihren Frotzeleien später weitermachen würden oder im schlimmsten Fall hatte sie bei einer anstehenden Kampfübung eine ordentliche Abreibung zu erwarten! Aber das so gar keine Reaktion kam machte ihr nun doch Sorgen! Etwas unsicher sprach sie Skrayana an: "Hattest du saure Milch zum Frühstück, oder was ist los?" irgendwie kam ihr ihr Versuch die Freundin aufzuheitern selbst gerade kläglich vor, aber sie war im Moment sehr unsicher, hilflos und fühlte sich überfordert.
"Saure Milch, so wie meine Verwandten im Gjalskerland die Firnyak-Milch aus den Schädeln ihrer Feinde trinken, meinst du?" antwortete Skrayana schnippisch. Normalerweise sagte sie solche Sprüche mit einem Zwinkern, welches heute aber nicht zu sehen war. Sie sah erstaunlich ernst aus.
Einige Augenblicke starrte Methelessa die Freundin völlig überrascht und fast fassungslos mit offenem Mund und großen Augen an. Sie suchte verzweifelt nach einem, wenn auch nur kleinen Anzeichen dafür, dass Skrayana spaßte. Aber sie hatte das Gefühl, nur Kälte, Abweisung und Wut im Gesicht und vor allem in den blauen Augen der älteren Knappin ablesen zu können. Sie hatte einen Fehler gemacht, irgendetwas getan, gesagt oder unterlassen, was die Freundin verletzt hatte, auch wenn ihr nicht klar war, was. Klar war nur, dass sie einen Fehler begangen hatte. Methelessa zog rasch ihren Arm von Nandurions Arm weg. "Geht schon mal vor, ich habe etwas vergessen." Mit diesen Worten drehte sie sich unvermittelt um und rannte den Flur zurück, als wäre ein Rudel ausgehungerter Silberwölfe hinter ihr her.
Überrascht von Methelessas Reaktion sah Nandurion der jungen Knappin nach. Dann zuckte er die Achseln. Er ahnte nicht, was zwischen den beiden jungen Frauen vorgefallen war. "Nun, wenn sie was vergessen hat, dann gehen wir eben schon mal vor." Der junge Carenio lächelte Skrayana auffordernd zu und bot ihr erneut den Arm an, um sie zum Abendessen der Amarintos zu führen.
Die plötzliche Flucht Methelessas verunsicherte Skrayana noch mehr, sie hatte die Freundin offenbar mit ihren schnippischen Worten härter getroffen, als sie geglaubt hatte. Dennoch zwang sie sich ein Lächeln aufzusetzen und hakte sich bei Nandurion unter. "Ja, lasst uns schon mal vorgehen. Sie wird sicher gleich nachkommen." Hoffte sie zumindest.
Methelessa war bis zur nächsten Treppe gerannt und die Stufen hinauf gestürmt, einige Schritte nach der Treppe war sie schwer atmend, an die Wand gelehnt stehen geblieben und hatte gelauscht ob ihr Skrayana oder Nandurion gefolgt waren. Aber ihr war niemand nachgelaufen. Und wieder war sie zwiegespalten, einerseits war sie erleichtert , dass ihr niemand hinterher geeilt war und sie nun kurz alleine war und einen klaren Gedanken fassen konnte. Andererseits war sie enttäuscht, dass ihr weder die Freundin noch der junge Galan gefolgt war, sie mussten doch gemerkt haben, dass ihre Vergesslichkeit nur ein Vorwand war. Heftig schüttelte sie ihren Kopf, was war nur los? Warum war plötzlich alles so anders als sonst? Wie sie es hasste, wenn sie irgendetwas nicht verstand. Nandurion war nicht der Grund, er war zu Skrayana und ihr gleichermaßen höflich und galant gewesen, eigentlich schon ein richtiger Cavalliere! Irgendwas musste mit ihr oder Skrayana sein oder war gar irgendein Unheil im Anzug? Manche Menschen konnten so etwas spüren und würden dann sicher etwas sensibler oder auch gereizter reagieren. Skrayana war, Methelessas Meinung nach jemand der so eine Gabe haben könnte. Oder war die Antwort viel banaler? Hatte sie einfach nur ihre Bluttage? Das konnte es sein, natürlich! Oh, verdammt, jetzt hieß es sich aber beeilen! Sicher würde sie sich eh schon einige Takte von ihrem Schwertstiefvater anhören. Fliegenden Schrittes eilte die Schwarzhaarige zum Festsaal.
Im großen Saal
Als die beiden den großen Saal betraten, wurde Nandurion von der Pracht des raumfüllenden Schlachtenfreskos “Triumph der Thalionmel” des Meistermalers Marciano fast erschlagen. Ansonsten war in der Mitte des Saales vor allem die große Festtafel platziert, an der bereits der Großteil der anwesenden Familienmitglieder, angeheirateten Partner und ebenso einige in Diensten des Hauses stehende Personen Platz genommen hatten. Skrayana erklärte Nandurion kurz die Sitzordnung: An der Spitze, auf dem Sessel des Patriarchen hatte Dareius Amarinto Platz genommen. Hinter ihm hing ein Gemälde von Rondrician I. Amarinto, einem Offizier König Khadan Firdayons, der als erster Herr von Amarinto und Stammvater des Hauses galt. Zu seiner Rechten saß seine Mutter Efferdia di Bellafoldi, zu seiner Linken Drago Amarinto, der Seneschall Sewamunds, Dareius’ Onkel und Nandurions neuer Schwertvater mit seiner Gattin Ricarda ya Cantarra und den beiden Kindern. Es folgten Dareius' Bruder Drugon mit seiner Gattin Svelinya van Kacheleen und dem kleinen Sohn Aurelio. Der Platz von Dareius' Schwester Cariana, der Schwertmutter Methelessas, blieb demonstrativ leer. Sie war derzeit in der Feste Amardûn eingekerkert, ebenso wie die eingeheirateten Fulminia d'Illumnesto und Josmina Galfard, deren Plätze ebenso leer blieben. Ein weiterer leerer Stuhl war für Daria Amarinto reserviert, die mutmaßlich im Castell della Leonis inhaftiert war. Danach folgten weitere Familienmitglieder wie beispielsweise Dareius' Leibwächter Arion Amarinto mit seiner Gattin Lutisana di Costalanza und dem bereits erwachsenen Sohn Ralman, Araccio Amarinto mit seiner Gattin, der Rondrageweihten Derya di Salsavûr und den Kindern. Danach folgte noch die erst am Tag zuvor eingetroffene Offizierin der Bandiera Bianca Asmodena Amarinto. Ganz am Ende der Tafel hatten Personen aus dem Gefolge Platz genommen, wie beispielsweise die Magierin und Cousine des Familienoberhaupts Corvona di Bellafoldi, die Medica Orleane ya Pirras, der Zeremonienmeister Muracio Dossarando, die gerade frisch zur Ritterin geschlagene frühere Knappin Gilia von Ardenhain, deren Gesicht aufgrund der kürzlich erlittenen Verletzungen noch in allen Regenbogenfarben strahlte und deren Nase eine auffällige Wölbung eines nicht vollständig verheilten Bruchs aufwies. Skrayana ließ Nandurion kurz alleine am Eingang stehen und ging zu Dareius und Drago Amarinto, verneigte sich und flüsterte den beiden etwas ins Ohr, woraufhin sie ihre Blicke zu Nadurion wandten. Dareius Amarinto erhob sich und klopfte dreimal auf den Tisch. Sofort erstarben die Gespräche und es legte sich Stille über den Raum. Er winkte Nadurion zu sich heran. Alle Blicke waren auf einmal auf ihn gerichtet. Dareius legte Nandurion väterlich den Arm um die Schulter.
"Der neue Knappe meines Onkels Drago! Stellt Euch den Mitgliedern des Hauses Amarinto vor, Signor!"
'Oh nein!' stöhnte Methelessa in Gedanken als sie in dem Moment durch die Tür huschte als das Familienoberhaupt der Amarintos gerade zu sprechen begonnen hatte. Sie hastete erst einmal an die Seite von Gilia und lächelte diese freundschaftlich an. Doch das Lächeln währte nicht lange, denn einen Augenblick später traf ihr Blick den gestrengen Blick von Drugon Amarinto, ihrem Schwertvater, zumindest bis Cariana Amarinto, ihre richtige Schwertmutter, wieder in Freiheit war. Der braune Lockenkopf war ihr, wie eigentlich alle Familienangehörige des Hauses Amarinto, ein wirkliches Vorbild und Ansporn. Am meisten schätzte sie sein enormes Wissen über Geschichte und Geographie. Aber wie ihre Schwertmutter und auch der Rest der ihr persönlich bekannten Amarintos achtete auch Drugon trotz seiner verhältnismäßig jungen Jahre sehr auf Pünktlichkeit, standesgemäßes Auftreten, kurz gesagt auf formvollendete Etikette und sich schnaubend wie ein vollbeladener Maulesel nach einer Passüberquerung im letzten Augenblick, heimlich wie ein Dieb in die hinterste Ecke eines Festsaales zu schleichen, war ganz und gar nicht das was man auch nur ansatzweise unter standesgemäßem Verhalten verstand. Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen. Offenbar war heute einfach nicht ihr Tag! Sie spürte eine Hand auf ihrem Unterarm und vernahm die leise aber leicht besorgt klingende Stimme Gilias: "Alles in Ordnung bei dir?" Sie lächelte und nickte: "Ja, bin heute nur ein bisschen zerstreut!" Ihr Blick suchte nun nach Skrayana.
Skrayana sah zerknirscht aus. Sie erwiderte den Blick Methelessas mit einem entschuldigenden Achselzucken und seufzen. Sie hatte ihren Ring abgenommen, er lag nun neben ihrem Teller und sie hatte sogar ihre Serviette darüber gelegt.
Methelessa lächelte Skrayana aufmunternd an, legte kurz ihre Hand auf die der Freundin und drückte sie, um ihr zu zeigen, dass alles zwischen ihnen in Ordnung war. Zumindest hoffte sie, dass wirklich alles zwischen ihnen in Ordnung war, schließlich war die Hünin ihr in den vergangenen Götternamen so wichtig und lieb geworden wie eine Schwester und sie könnte nicht ertragen, wenn die Blonde ernsthaft böse auf sie wäre.
Beeindruckt von der Pracht des Saals und der Selbstdarstellung des Hauses Amarinto, nebst der klaren Sitzordnung an der Tafel, brauchte Nandurion einen Augenblick ehe er realisierte, dass er von Dareius Amarinto persönlich ihn an den Tisch gerufen hatte. Er eilte an den Kopf der Tafel um dem Familienoberhaupt seine Aufwartung zu machen. Die Wangen begannen zu glühen. Dem Carenio wurde heiß. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und dann legte Dareius ihm sogar noch vertraulich den Arm um die Schulter bevor er ihn mit dem gebotenen Respekt begrüßt hatte. Er wollte dem Wunsch des Familienoberhauptes entsprechen und sich vorstellen, aber der erste Laut, der aus seiner Kehle drang, war ein heiseres Kieksen. Oh, wie peinlich! Nandurion räusperte sich mehrfach, ehe der Schleimpfropf, der seine Stimme diesen komischen Klang geben hatte, sich gelöst hatte.
"Habt Dank dafür, dass ich das Wort ergreifen darf, Herr des Hauses Amarinto. Es ist mir eine Ehre mich diesem erlauchten Kreise vorstellen zu dürfen. Mein Name ist Nandurion della Carenio. Ich bin der Zweitgeborene von Esquirio Raffaele della Carenio und Esquiria Tolmana Luntfeld. Bis zu ihrer Gefangennahme und anschließenden Ermordung diente ich Cavalliera Rondriane Tribêc als Knappe. Nun bin ich Drago Amarinto dankbar dafür, dass er mir angeboten hat ihm als Knappe zu dienen, in der Hoffnung mich würdig zu erweisen, die Knappenzeit mit der Schwertleite zu krönen."
Dareius Amarinto klopfte Nandurion aufmunternd auf die Schulter. "Wohlgesprochen junger Signor della Carenio, willkommen im Haus Amarinto!" Nach den Worten des Familienoberhaupts begannen alle Anwesenden im Takt mit der Faust auf den Tisch zu klopfen und verneigten sich vor Nandurion. Dann blickten ihn unzählige Augenpaare mit ernstem Blick an und die Amarinto schlugen sich gleichzeitig mit der rechten Hand auf die Brust über dem Herzen und riefen im Chor das Familienmotto: "Si vis pacem, para bellum...wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor!" Auf ein Zeichen des Oberhauptes hin setzten sich alle wieder. Ein Diener kam mit einem Stuhl herbeigeeilt und stellte diesen neben den Sessel Dareius'. Dieser deute auf den Stuhl und sah Nandurion freundlich an. "Setzt Euch, Signor della Carenio. Heute erhaltet Ihr den Ehrenplatz an der Tafel." Nandurions neuer Schwertvater nickte ihm aufmunternd zu.
Aufmerksam hatte Methelessa Nandurion zugehört und fand dass er sehr mutig war, sie wäre sehr viel aufgeregter gewesen und hätte vor so vielen Menschen wahrscheinlich gar nichts herausgebracht und wenn wäre ihre Stimme nicht so fest und selbstsicher gewesen wie die des blonden Knappen. Auch die Schwarzhaarige hatte begonnen mit ihrer Faust im Takt auf den Tisch vor ihr zu klopfen und mit geschlossenen Augen sprach sie das Motto der Familie Amarinto mit "Si vis pacem, para bellum...wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor!" Dabei dachte sie an ihre Schwertmutter und bat Rondra ihren Schild schützend über Cariana Amarinto zu halten und ihr ganz viel Kraft, Ausdauer und Zuversicht zu schenken auf das sie bald gesund und wohlbehalten aus der Gefangenschaft in den Kreis ihrer Familie zurückkehren werde. Als sie die Augen wieder öffnete war gerade der Stuhl neben dem Sessel des Familienoberhauptes gestellt worden und auf dem Gesicht der jungen Knappin zeichnete sich etwas Enttäuschung ab als Cavalliere Dareius Amarinto Nandurion den Ehrenplatz zuwies. "Ein hübscher junger Mann dieser Nandurion, nicht wahr." Ein wissendes Lächeln lag auf Gilias geschundenen Gesicht. "Magst du ihn?" Die Röte schoss Methelessa ins Gesicht, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt: "Ich...ich...ähh...also...ich...er...nein...Ich meine er ist sehr galant und freundlich!" kurz hatte sie in Gilias Augen geblickt, aber sofort verlegen auf die Tischplatte gesehen, wo ihr Blick nun Halt bei einer auffälligen Maserung suchte: "Galant und freundlich!" wiederholte die schlanke Frau in dem grünen Kleid. "Soso, galant und freundlich?" wiederholte nun auch die junge Ritterin allerdings mit nicht zu überhörenden, spöttischen Unterton. "Und du findest Nandurion auch nur galant und freundlich, Skrayana?"
Skrayana rieb sich abwesend den Finger an dem ihr Ring saß, den sie nun unter der Serviette begraben hatte. Langsam antwortete sie mit einem dünnen Lächeln. "Ja, doch, er ist sehr freundlich." Dann stocherte sie ein wenig lustlos in ihrem Essen herum.
Stolz über das Lob von Dareius Amarinto und die Auszeichnung an diesem Abend auf dem Ehrenplatz an der Tafel der Amarintos sitzen zu dürfen, stimmte Nandurion in den Wahlspruch der Familie ein: "Si vis pacem, para bellum!" Neugierig ließ er den Blick die Tafel auf und abschweifen, sah in die Gesichter der Amarintos, ihrer Partner und der wichtigsten Personen, die im Dienste der Familie standen. Schließlich blieb er an dem hübschen Gesicht Methelessas hängen. Eine sanfte Röte schmückte ihre Wangen. Nandurion wurde warm ums Herz. Er lächelte ihr zu, ehe er sich anschickte, interessiert den Tafelgesprächen zu lauschen.
Kurz hatten sich Nandurions und Methelessas Blick getroffen und als er sie anlächelte, wurde ihr ganz warm im Inneren und die Röte in ihrem Gesicht wurde um einiges intensiver, zum Glück sah der Knappe das nicht mehr! Gerade wollte sie sich an Skrayana wenden, als das Familienoberhaupt erneut das Wort ergriff. Methelessa bildete sich ein Sorge und Trauer, aber auch eine feste Entschlossenheit im Blick des Ritters zu erkennen. Sie folgte seinem Blick und plötzlich waren da wieder die Bilder vom Kampf um die Feste Amardûn, die beiden Condottieras Zûna da' Drûnabal und Usvina Tribêc de Trebesco und der Hass und die Verachtung, die die beiden Frauen ihren Gegnern entgegen gebracht hatten und wie erst Rimaldo und dann Rondrician VII. Amarinto auf so unehrenhafte Weise hingerichtet wurden. "Amarinto invicta!" flüsterte die Schwarzhaarige, ohne es selbst wahrzunehmen, noch immer war sie in der Feste, inmitten des Kampfes. Sie durchlebte ihren ersten Kampf auf Leben und Tod, den sie nur Dank der Hilfe eines Waffenknechtes des Hauses Amarinto überlebt hatte! Erneut bewegten sich ihre Lippen und ein sehr leises, aber von tiefer Trauer erfülltes: "Gismond" wehte aus ihrem Mund. Dann war da das bleiche Gesicht des Lebensretters und die gebrochenen, leblosen Augen, die in den Himmel starrten. Wut, Hass, Trauer und Verzweiflung wirbelten in ihrem Kopf durcheinander und sie spürte etwas Feuchtes über ihre Wangen rinnen. Plötzlich war sie wieder zurück in dem Festsaal, sah den gefüllten Teller vor sich und wie ein kleiner, im Licht der Kerzen funkelnder Kristall darauf fiel und zersplitterte. Erst jetzt gewahrte sie, dass es Tränen waren die ihre Wangen hinabliefen. Hastig nahm sie die Serviette und wischte sich über das Gesicht, räusperte sich leise und setzte ein Lächeln auf, ehe sie sich umblickte um zu sehen ob jemand ihre Tränen bemerkt hatte. Wieder stieg ihr die Röte ins Gesicht. Reichte es nicht, dass diese Bilder sie jede Nacht besuchten, mussten sie sie jetzt auch noch am Tage quälen und ihr ihre Unfähigkeit in einem echten Kampf zu bestehen und das eigene Leben und das ihr nahestehenden Menschen zu verteidigen vor Augen führen?
"Genießt den Abend, morgen wird Eure Ausbildung weitergehen. Leider sind uns derzeit nur wenige dieser fröhlichen Stunden vergönnt. Ich denke bald schon wird wieder das Schwert regieren, bis der Konflikt mit dem Baron beendet werden kann." Dareius Amarinto blickte zu den leeren Stühlen an der Tafel. Vor dem Konflikt waren dort noch regelmäßig sein Onkel Rimaldo und sein Großonkel Rondrician VII. gesessen und nun waren sie in Rondras Hallen eingegangen. Er seufzte, welche der Stühle würden nach diesem Konflikt noch zusätzlich leer bleiben? Vielleicht gar sein eigener. Er beneidete den Optimismus der Jugend, den er durch den Thronfolgekrieg bereits in Nandurions Alter verloren hatte, zu viele waren gefallen und nicht aus dem Krieg heimgekehrt und nun waren sie nach so wenigen Götterläufen wieder an diesem Punkt angelangt.