Briefspiel:Die Würfel sind gefallen
24. Travia 1046 BF, Piazza Nodo in der Sewamunder Neustadt
Autoren: Amarinto, Beo, Carenio, Kacheleen, Luntfeld, Tribec
Zusammenfassung: Nach der Anhörung beider Konfliktparteien bespricht sich Herzog Cusimo Garlischgrötz mit seinen Beratern, wie der Konflikt um Sewamund gelöst werden soll. Zur Praiosstunde des 24. Travia überbringt die herzogliche Heroldin Odina Garlischgrötz seine Entscheidung.
Die Luft war gespannt, als die Piazza Nodo sich mehr und mehr mit Menschen füllte. Die Praiosscheibe stand hoch am Himmel und tauchte den Platz in goldenes Licht, während das Murmeln der Menge immer lauter wurde. Mitglieder des Lilienrats standen zusammen, würdevoll und doch mit einer gewissen Anspannung in ihren Gesichtern. Neben ihnen fanden sich weitere Patrizier ein, ebenso wie Verbündete aus Selzin, Ruthor und Shenilo, deren Blicke die Lage misstrauisch und abwägend erfassten. Die Geweihten der Stadt standen in prunkvollen Gewändern in einer würdevollen Reihe und schauten stumm zur erhöhten Tribüne, auf der Comtessa Odina Garlischgrötz in Begleitung einer Abordnung der Phecadigarde erschien. Um die Geweihten herum drängten sich Sewamunder Bürger, Flüchtlinge aus dem zerstörten Dorf Amarinto und viele andere, die die Verkündung des Herzogs mit eigenen Augen und Ohren erleben wollten. Als Comtessa Odina auf die Tribüne trat, legte sich eine gespannte Stille über die Menge. Mit geradem Rücken, gekleidet in das schwarz-weiße Wappen der Garlischgrötz, stand sie da, eine Heroldin von unerschütterlicher Präsenz. Ihr Blick war kühl und entschlossen, als sie das Pergament entrollte, ihre Augen einen Moment lang die Menge abschätzten und ihre Stimme schließlich wie ein Donnerschlag die Stille durchbrach.
Das Urteil
"Im Namen des Herzogs Cusimo Garlischgrötz von Grangor, Markgraf des Windhag, Graf von Phecadien, Reichsvogt von Kaiserlich Phecadien, Herr von Harben, Garlan, Greifenklamm, Lilienhöhe und Bosparanshain, habe ich, Comtessa Odina Garlischgrötz, die Entscheidung über den Streit zwischen der Landstadt Sewamund und dem Baron von Sewamund zu verkünden."
Ihre Stimme hallte über den Platz, drang bis in die hinteren Reihen der Menschenmenge, wo die Bürger still lauschten. Es war eine Stimme, die keine Widerrede duldete, eine Stimme, die den Willen des Herzogs verkörperte. Viele der Anwesenden spürten ein Frösteln, als ihre Worte auf sie herabsanken.
"Der Herzog hat nach Anhörung beider Konfliktparteien entschieden, dass beide Seiten schwerwiegende Verfehlungen begangen haben", fuhr sie fort, "und dass viele Antworten auf drängende Fragen weiterhin im Dunkeln liegen. Doch wo die Menschen unvollkommen sind, sehen die Götter alles, und nur sie können nun noch das wahre Recht sprechen."
Ein anschwellendes, aufgeregtes Raunen lief durch die Menge, doch Comtessa Odina ließ sich nicht beirren. Ihre Augen blitzten mit eisernem Willen, als sie die Worte des Herzogs mit fast unmenschlicher Entschlossenheit weitergab. "Daher soll dieser Konflikt durch ein Urteil der Götter entschieden werden, auf dass hernach endlich Frieden einkehre in Phecadien und Sewakien! Baron Irion von Streitebeck und der Lilienrat der Stadt Sewamund werden sich am 27. Travia, Purgatoria, zur Praiosstunde, mit ihren Heeren auf den Feldern am Norderkoog vor der Stadt Sewamund einfinden..."
Die Spannung in der Menge wuchs, als sie die Entscheidung des Herzogs vernahm. Das Schicksal sollte in den Händen der Götter liegen und es sollte durch Blut entschieden werden. Odina hob das Kinn, ihre Stimme ließ keinen Zweifel an der Härte und Endgültigkeit des Beschlusses aufkommen.
"...und dort zur alles entscheidenden Schlacht stellen. Auf dass die Götter Schuldige von Unschuldigen trennen, die Verräter bestrafen und die Gerechten verschonen mögen! Die siegreiche Seite genießt die Gunst der Götter und der Herzog wird großmütig über ihre Verfehlungen hinwegsehen. Die unterlegene Seite jedoch soll für ihre Sünden hart bestraft werden."
Die Reaktionen
Ein überraschtes und schockiertes Raunen ging durch die Menge. Viele der Anwesenden starrten die Heroldin fassungslos an, manche begannen sofort, leise zu murmeln, die Köpfe zu schütteln. Die Geweihten an der Seite der Tribüne richteten ihre Blicke gen Himmel, als wollten sie den Göttern selbst einen Rat entlocken. Einige Bürger knieten nieder und begannen zu beten, ihre Hände zitternd. Eltern, deren Söhne und Töchter für die Stadt in den Kampf ziehen würden, brachen in Tränen aus, hielten sich einander fest und flehten die Götter um Gnade an. Inmitten der Menge standen auch die Verbündeten aus den Nachbarstädten, die mit grimmigem Blick das Geschehen verfolgten. Einige nickten stumm, als hätten sie mit einer solch harten Entscheidung gerechnet. Die Baronin von Ruthor sah die Heroldin mit dünnem Lächeln an. Andere, wie der Ratsmeister von Selzin, Nepolemo Nyke schauten finster drein, ihre Mienen verhärtet von der Aussicht auf das bevorstehende Blutvergießen. Einige Mitglieder des Lilienrats wirkten fassungslos, darunter Alfredo Continio und Sturmfriede ter Beer, die sich stumm ansahen.
Tsaida Tribêc erfasste die Entscheidung mit stählernem Ausdruck, ihre Haltung war wie gemeißelt, die Augen fixierten die Tribüne. Neben ihr standen Alverano Tribêc und Rondrian Vistelli, die sich ohne Worte über die Bedeutung des Augenblicks bewusst waren. Tsaidas Vertrauter Deriago warf ihr einen vielsagenden Blick zu, eine stille Einverständniserklärung, man sei vorbereitet, egal, wozu es kommen würde. Man sah Leomar Tribêc, den rondrageweihten Klingenmeister, dessen rotbraunes Haar in der Sonne leuchtete. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Als die Verkündung der Entscheidung zum göttlichen Urteil fiel, hob er den Kopf und schien förmlich herausgefordert von der Aussicht auf eine bevorstehende Schlacht. Seine Hand ruhte unbewusst auf dem Knauf seines Schwertes und seine Lippen formten ein stummes Gebet an Rondra. Unweit davon stand Rahjane, deren Gesicht keine Emotion verriet. Ihr Blick ruhte auf der Phecadigarde, die neben der Tribüne stand. In ihrem Innern wog sie die Implikationen der Entscheidung ab. Rondinella von Trebesco, von anderen, wenn überhaupt, nur als Fugate Caril bekannt, stand abseits und musterte das Geschehen mit einem Blick, in dem sich Neugier und Abgeklärtheit mischten. In ihren Augen glomm der Anflug einer unbekannten Verbindung zu den Mächten, die sich hier zur Schlacht aufstellen sollten. Sie suchte in der Menge Dareius Amarinto mit ihrem Blick und war gespannt auf seine Reaktion.
Dareius Amarinto, der Heerführer Sewamunds und seiner Bundesgenossen blickte stoisch zur Comtessa Garlischgrötz, als habe er das Urteil bereits erwartet, dann sah er hinauf in den Himmel, gen Alveran, wo die Götter bald über sie richten sollten. Er zog sein Schwert, reckte es stumm in die Höhe und schloss die Augen. Danach stützte er sich auf sein Schwert und ging auf ein Knie und begann deutlich hörbar, ein Gebet an die Herrin Rondra zu rezitieren. Die Vertreter des Hauses Amarinto taten es ihm geschlossen gleich, zogen ihre Schwerter, stützten sich darauf und gingen auf ein Knie herunter, senkten das Haupt und stimmten in das Gebet an die Kriegsgöttin ein. Weitere rondrianisch gesinnte Persönlichkeiten folgten ihrem Beispiel, beispielsweise Gilia von Ardenhain, Sewakia van Hoven und der alte Veteran Torvon di Piastinza. Auch Rondrarich von Streitbeck, mit eiserner Entschlossenheit ins Gesicht gemeißelt, ging auf die Knie und begann zu beten. Aus den Reihen der Verbündeten aus Ruthor waren es Salkya und ihr Vater Leomar de Grimaldi, die Anführerin der Miliz von Pelêshir, Sintje ter Molenaar, Salvelino Acosto, der Cavalleristo des Selziner Ratsmeisters, Stordan ya Carven, der Capitan der Ruthorer Hellebardiere und einige weitere. Auch andere kriegerisch Gesinnte reagierten nicht mit Schrecken oder Trauer. Einige wenige Männer und Frauen, vor allem aus den Reihen der Söldner und Condottieri wie beispielsweise Daria de Brabanza und ihr Kor geweihter Gatte Nazir da Silva, zogen gar ihre Schwerter und brüllten, siegesgewiss und kampfbereit. Das metallene Klirren ihrer Waffen hallte über die Piazza, während ihre Rufe den Versammelten einen Schauer über den Rücken jagten. Die Comtessa verharrte einen Moment, ihr Blick ruhte auf den Kämpfern, bevor sie langsam den Blick über die gesamte Menge schweifen ließ.
Ihre Augen waren kalt, distanziert, doch ihr Auftreten zeigte keinerlei Regung eines Zweifels. Nur einen Augenblick schien es um ihre Augen und Mundwinkel zu zucken, als sie die spöttisch grinsenden Mienen Khardan und Colmar Luntfelds entdeckte, deren herausforderndes Lächeln zwischen entweder schicksalsergeben demütigenden oder sich trotzig und kämpferisch gebenden Gesichter der anderen Anwesenden auf der Tribüne deutlich herausstach.
Wie versteinert stand Baldura di Estrano in der Menge der Zuschauer und vernahm das Urteil der Obrigkeit. Ihr Gesicht sah wenig erfreut aus. Nach einem Moment der gedanklichen Verarbeitung wandte sich Baldura zu ihrem Adjutanten Antaro um, der genau wie seine Herrin wenig Begeisterung für das gesprochene Urteil zeigte. "Schau zu, dass du alles an Verbandszeug auftreibst, was du nur finden kannst. Zusätzlich schick Roana nach Hause, mit der dringlichen Bitte, heilende Kräuter zu liefern. Ich denke, die Kämpfer werden nach der Schlacht froh sein, wenn sie versorgt werden können. Vielleicht können wir hier einen hilfreichen Beitrag leisten." Antaro della Cruz nickte seiner Herrin nur und schickte sich an, dem Auftrage nachzugehen. Kurz hielt Baldura ihn nochmal zurück: "Und Roana soll sich eilen! Mach ihr klar, dass sie wie der Wind reiten muss und die Waren bis in zwei Tagen hier sein müssen."
Aurelio van Kacheleen schluckte tief. Äußerlich wirkte er wie bei einem dieser vielen Handelsabschlüsse, wo sein Gegenüber nicht erahnen konnte, ob Aurelio lachen oder weinen wollte. Innerlich war Aurelio aufgewühlt und wütend. Diese Entscheidung des Herzogs war so klar wie brutal in letzter Konsequenz. Mögen die Götter nun bald darüber urteilen über das, was einst in Sewamund passierte und noch immer passiert und mögen die Götter ihr gerechtes Urteil finden und Jene gütig aufnehmen, die für die gerechte Sache bald sterben müssen. Sicherlich hatte der Herzog eine schwierige Entscheidung zu treffen, aber noch mehr Leben zu opfern und einen vermeidbaren Kampf ausfechten zu lassen, hierfür hatte Aurelio keinerlei Verständnis. Es war bereits zu viel Blut geflossen, es gab zu viele Verwerfungen. So unnötig dachte er sich. Sinnlos werden durch diesen vermeidbaren Kampf viele Leben genommen, die dadurch daran gehindert werden, ihre Steuerabgaben an den Herzog zu leisten. Bürger, die zudem Sewamund nicht mehr mit aufbauen können und nur, weil eine klare Entscheidung vermieden wurde. Lediglich ein kurzer Ausspruch verließ seine Lippen. "Mögen die Götter das Gerechte an der Sewamunder Sache bewahren und diejenigen schützen und zum Siege verhelfen, die mit reinem Herzen für Ihre Stadt kämpfen. Ich bete um die Seelen der Angegriffenen und um die Seelen der Angreifer."
Die Verkündung endete und bedrückende Stille legte sich über die Menschen. Nur das entfernte, aufgeregte Rufen der Möwen und das leise Klirren von Waffen und Rüstungen waren zu hören. Die Menge stand da, jede einzelne Person mit den eigenen Gedanken konfrontiert. Die einen trauerten, die anderen beteten und wieder andere begannen bereits, sich auf das vorzubereiten, was nun kommen würde.
Die Comtessa mit ihrer Bedeckung verließ die Tribüne mit derselben Würde, mit der sie erschienen war, und ihre Schritte verhallten auf dem steinernen Boden. Die Menschen blieben zurück und für einen Augenblick schien es, als sei selbst die Zeit stillgestanden, während die Entscheidung des Herzogs noch in der Luft lag und die Schicksale der Sewamunder und des Barons Irion von Streitebeck wie ein scharfes Schwert trennte.