Briefspiel:Einmalige Gelegenheiten

Aus Liebliches-Feld.net
Version vom 5. Februar 2025, 13:29 Uhr von Amarinto (Diskussion | Beiträge) (Teil 1)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springenZur Suche springen

Auge-grau.png

Stadt Sewamund transparent.png Briefspiel in Sewamund Herzogtum Grangor.png
Datiert auf: ab Ende 1045 BF Schauplatz: vor allem Stadt und Baronie Sewamund, darüber hinaus Phecadien und benachbarte Landstriche Entstehungszeitraum: ab Frühjahr 2023
Protagonisten: alle Sewamunder Familien, sowie diverse externe Machtgruppen Autoren/Beteiligte: Haus Amarinto.png Amarinto, Haus Tribec.png Tribec, Haus di Piastinza.png DiPiastinza, Familie Luntfeld.png Luntfeld, Familie della Carenio.png Carenio, Familie Degano.png Marakain, Familie van Kacheleen.png Kacheleen, Familie Vesselbek.png Vesselbek, Familie Cortesinio.png Cortesinio, Haus Carson.png OrsinoCarson, Haus della Pena jH.png Horasio, Haus ya Pirras.png VivionaYaPirras, Familie Gerber.png Gerberstädter, Haus ya Papilio.png Gishtan re Kust, Wappen Lucrann von Leihenhof.png Galebquell = Haus d Illumnesto.png Illumnesto, Familie di Estrano.png Beo, Familie ter Braken.png Atagon
Zyklus: Übersicht · Präludium - 1045 BF · Der Eklat - Praios 1046 BF · Der Selziner Schwur - Rondra 1046 BF · Interludium - Efferd 1046 BF · Der Tag der Treue - 1. bis 15. Travia 1046 BF · Ein Sturm zieht auf - 16. bis 30. Travia 1046 BF

Ausgespielte Geschichten: Ruf nach Phecadien · Die Sewamunder Delegation in Shenilo · Quod est Demonstrandum · Sturm auf Amardûn · Reise in die Vergangenheit · I · II · III · IV · V · In den Kerkern von Amardûn · Das Treffen der Verschwörer · Ein Gespräch zur Rosenstunde · Sewamunder Delegation bei Irion von Streitebeck · Trauerfeier für Leonardo Cortesinio · Treffen bei Tovac · Reise ins Unbekannte · I · II · III · Packratten aus der Ponterra · I · II · III · IV · Gefährliche Worte · I · II · III · Efferds Zorn · Einmalige Gelegenheiten · Der Herzog des Westens · Die Würfel sind gefallen · Besprechung zum Götterurteil · I · II · Im Auge des Sturms · Der letzte Tag



22. Travia 1046 BF, Palazzo Novo Carenio in der Sewamunder Neustadt

Autoren: Amarinto, Beo, Carenio, Tribec


Zusammenfassung: Baldura di Estrano überbringt ausgewählten Familien des Sewamunder Lilienrats ein Angebot ihrer Familie, welches die Versorgungslage in Sewmaund erheblich verbessern würde. Im Gegenzug wünscht sich die Familie jedoch Zugang zur Nordmeer-Compagnie und einen Einstieg in den Seehandel, durch die Übernahme der Handelsgesellschaft der aus Sewamund geflohenen Familie ya Diamero.

Überbringt ein wichtiges Angebot ihrer Familie - Baldura di Estrano
Fungiert als Gastgeberin für die Verhandlungen - Dimiona della Carenio
Erkennt das Potential der Familie di Estrano - Alfredo Continio
Erinnert Baldura an die Pflichten, die mit allen Privilegien einhergehen - Drago Amarinto
Lässt sich nicht in die Karten blicken - Tsaida Tribêc
Berät seine Schwester - Ricardo della Carenio

Cavalliere Drago Amarinto schritt mit festen, zielgerichteten Schritten durch die belebten Straßen Sewamunds. Sein Weg führte ihn vom Palazzo Amarinto in der Altstadt zum Palazzo Novo Carenio in der Neustadt. Die Sonne hing als blasses, verschwommenes Rund am Himmel, von grauen Wolken verschleiert, die sich noch immer hartnäckig hielten, nachdem die Sturmflut vor zwei Tagen die Stadt heimgesucht hatte. Der Seneschall nahm den Weg über die Hauptstraße und den Marktplatz, vorbei am Rauchsalon Meridiana, dem Perainetempel und dem Hospital. Überall waren Arbeiter damit beschäftigt, die Straßen zu säubern – Männer und Frauen, die Schubkarren voller Trümmer durch den Schlamm schoben, während Kinder halfen, kleinere Gegenstände zu bergen. Er überquerte die Brücke am Grangorer Tor, die teilweise eingestürzt und nur notdürftig mit Balken und Brettern abgestützt worden war, um den Verkehr provisorisch zu ermöglichen. Der Geruch von modrigem Holz und nassem Stein hing in der Luft, während eine Gruppe von Handwerkern angestrengt die Schäden begutachtete. Einmal mehr bemerkte Drago den allgegenwärtigen Unrat und den Schlamm, der die Straßen der Stadt bedeckte. In den Seitengassen türmten sich noch immer die Überreste zerschlagener Möbel und zerborstener Kisten, die das Wasser mit sich gerissen hatte. Es gab kaum einen Ort, an dem nicht Schaufeln geschwungen oder Trümmer fortgeräumt wurden.

Sewamund wirkte wie eine verwundete Stadt, die sich mühsam erhob, um die Flutschäden zu beseitigen. Dragos Gesicht verzog sich in einem unbewussten Ausdruck des Missfallens – der Schmutz, der Lärm und die anstrengende Geschäftigkeit waren ihm zuwider, auch wenn er natürlich die Anstrengungen der Bürger schätzte. Er erwiderte die respektvollen Grüße der Arbeiter und Gardisten, die er passierte, mit einem knappen Nicken. Seine Gedanken jedoch waren bereits bei der Besprechung im Palazzo Novo Carenio.

Die Familie di Estrano aus Selzin hatte ein Angebot gemacht, das zu schön klang, um es einfach zu akzeptieren. Die Versorgungslage in Sewamund war nach der Flut katastrophal, und Baldura di Estrano, die Residentin der Familie, hatte ihre Hilfe angeboten. Drago wusste, dass die Familie gute Kontakte und Ressourcen im Landhandel hatte – doch die Gerüchte, die er gehört hatte, ließen ihn misstrauisch werden. Man munkelte, dass die di Estranos darauf aus waren, die Anteile an der Nordmeer-Compagnie, der aus Sewamund geflüchteten Familie ya Diamero zu übernehmen. Ebenso sollten sie ein Auge auf das brach liegende Handelshaus der Diameros geworfen haben. Es war offensichtlich, dass dieses scheinbar großzügige Angebot auch als politisches Manöver betrachtet werden musste. Drago spürte, wie sich seine Ungeduld regte. Er war kein Politiker – nicht wie sein Neffe Dareius, der für einen Ritter ungewöhnlich gut mit Worten umgehen konnte. Drago hingegen war ein Mann des Schlachtfelds, der klare Fronten bevorzugte, anstatt sich mit Intrigen und falschen Versprechungen auseinanderzusetzen. Die Verantwortung als Seneschall lag schwer auf ihm, doch er hatte sie übernommen, weil sein Bruder es von ihm verlangt hatte – und weil es der Weg war, der Familie zu dienen.

Er bog in die Straße zur Piazza Nodo ein, die ihn zum Palazzo Novo Carenio führen würde. Der Kriegshafen lag still und ruhig hinter ihm, doch auch hier konnte er die geschäftige Betriebsamkeit der Arbeiter sehen, die versuchten, die Überreste der Flut zu beseitigen. Der Geruch von salziger See und feuchtem Schlamm lag über der Stadt, und für einen Moment fühlte Drago einen Anflug von Bedauern. Sewamund würde nie wie zuvor sein, und nach dem Sieg über Baron Irion von Streitebeck würde es an den Patriziern des Lilienrats liegen, die Stadt in eine neue Ära zu führen – ob es ihm gefiel oder nicht.

Alfredo Continio schritt durch die belebten Gassen von Sewamund, während der intensive Geruch von feuchtem Schlamm, vermischt mit der salzigen Meeresluft, seine Sinne erfüllte. Überall herrschte reges Treiben: Arbeiter schleppten Trümmer beiseite, Frauen und Kinder sammelten Habseligkeiten, und der Klang von Stimmen und Werkzeugen füllte die Luft. Alfredo konnte den Schweiß der Anstrengung riechen und das Rufen der Vorarbeiter hören, die die Arbeiter koordinierten. Der Boden unter seinen schweren Stiefeln war noch immer weich und matschig, und er musste immer wieder über umgestürzte Kisten und verstreute Habseligkeiten steigen, die der Sturm hinterlassen hatte. Die Arbeiter, die die Schäden der Flut von vor zwei Tagen beseitigten, erkannten ihn schon von Weitem und nickten respektvoll, als er an ihnen vorbeiging. Alfredo erwiderte die Grüße freundlich und hielt hier und da kurz inne, um sich von den Vorarbeitern die Fortschritte berichten zu lassen. "Die Hafenstraße ist noch immer voller Unrat, Signor Continio, aber wir haben gute Fortschritte gemacht. Bis morgen sollte der Zugang zum Handelshafen wieder frei sein", sagte einer der Vorarbeiter mit einer Spur von Müdigkeit in der Stimme, die von den langen Arbeitstagen zeugte. Alfredo legte dem Mann eine Hand auf die Schulter und nickte. "Ihr macht gute Arbeit. Sewamund wird sich wieder erheben, das ist gewiss. Nur noch ein wenig Geduld", antwortete er, bevor er weiterging.

Seine Gedanken schweiften zur Besprechung, die ihn erwartete. Der Palazzo Novo Carenio befand sich in der Neustadt, ein Ort, an dem Entscheidungen getroffen wurden, die Sewamund in die Zukunft führen sollten. Die di Estrano aus Selzin hatten ein Angebot unterbreitet. Alfredo wusste, dass Baldura di Estrano, die Vertreterin der Familie, ihre Handelskontakte gut einzusetzen wusste. Sie boten an, die Versorgungslage der Stadt stark zu verbessern, eine Angelegenheit, die angesichts der Flutkatastrophe von höchster Dringlichkeit war. Doch Alfredo wäre kein Kaufmann, wenn er nicht tiefer in die Angelegenheit geblickt hätte.

Die Familie di Estrano hatte nicht nur die Versorgungslage im Blick. Alfredo wusste, dass sie ebenso daran interessiert waren, die Anteile der Nordmeercompagnie zu übernehmen, die bis vor kurzem der Familie ya Diamero gehört hatten und derzeit vom Lilienrat beschlagnahmt waren. Das Handelshaus der ya Diamero lag brach, und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand es sich unter den Nagel reißen wollte. Alfredo konnte es ihnen nicht verdenken; auch er würde in ihrer Position so handeln. Doch die Vorstellung, dass eine starke neue Konkurrenz für sein eigenes Handelshaus entstehen könnte, behagte ihm nicht. Der Palazzo kam in Sichtweite, während Alfredo in sich hineingrübelte. Als Regierer und Kontorleiter der Nordmeercompagnie in Sewamund besaß er die Mittel, den Plänen der di Estrano entweder Steine in den Weg zu legen oder sie zu unterstützen. Was er tun würde, hing davon ab, was die di Estrano auf den Tisch legen konnten. Alfredo liebte den freien Handel – er war der festen Überzeugung, dass er Wohlstand für alle brachte. Doch er war auch ein Pragmatiker. Als Kaufmann und Handelsherr musste er sorgfältig abwägen, ob der Nutzen dieses Angebots das Risiko einer neuen Konkurrenz überwog. Würde sich die Familie di Estrano als Verbündete oder als Konkurrenz entpuppen? Das galt es heute herauszufinden.

Alfredo trat in den Eingangsbereich des Palazzos, sein Blick musterte die kunstvollen Wandverzierungen, die keine Spuren der Katastrophe trugen. Dennoch roch es feucht und muffig im Vestibül des Eckhauses. Alfredo straffte die Schultern und setzte eine seriöse Miene auf. Er war bereit für das, was kommen mochte.

Ein livrierter Diener nahm den Mantel entgegen und führte den Gast aus dem Vestibül durch ein repräsentatives Treppenhaus mit Marmortreppe direkt auf eine große Flügeltüre zu. Der Diener klopfte, wartete auf die Aufforderung einzutreten und öffnete dann beide Flügel der Tür. Er räusperte sich. "Signora, der Signor Continio ist gekommen. Soll ich ihn einlassen?"

"Ich bitte darum", kam die klare Anweisung der Hausherrin. Dimiona della Carenio war eine elegante Erscheinung wie sie mitten im Salon des Familiensitzes stand und den Besuch interessiert musterte. Trotz ihrer 60 Winter hielt sie den Rücken noch immer kerzengerade und auch das Mieder ihres dunkelroten Brokatkleides ließ erkennen, dass sie auf ihre Erscheinung achtete. Das lange graue Haar hatte sie mit einem gleichfarbigen Seidenband aus dem Gesicht gehalten. Es fiel in sanften Locken bis über die Schultern herab. Zwei senkrechte Falten zwischen ihren blauen Augen verliehen ihr einen strengen Zug.

Der Salon des Hauses ließ keinen Zweifel daran, dass die Familie auf eine lange Geschichte zurückblickte. Über der Sitzgruppe aus mit grünem Brokat bezogenen Sesseln, die um einen ovalen, mit dem Wappen der della Carenios intarsierten Tisch verteilt standen, hing ein Gobelin mit dem Stammbaum der Familie. Porträts der Vorfahren zierten die weiteren Wände, ebenso wie ein großes Gemälde des ehemaligen Familiensitzes in Veliris. Auf dem Kaminsims und auf einigen kleinen Simsen an den großen Fenstern, die sich auf die Piazza Nodo öffneten, standen kleinere und größere Stücke von Meistern des Kunsthandwerks.

Ein paar der Sessel waren bereits besetzt. So saß auf einem davon Drago Amarinto, der Seneschall von Sewamund. Auf einem anderen hatte Dimionas Bruder Ricardo Platz genommen. Er war bei der Flut schwer verletzt worden. Er hatte versucht, das Eindringen der Wassermassen in den Keller des Palazzos zu verhindern und war dabei ausgerutscht und mit dem Kopf auf der Treppe aufgeschlagen. In diesem benommenen Zustand war er beinahe ertrunken. Und man sah dem Justiziar und ehemaligen Stadtrichter von Veliris noch an, dass er nicht bei Kräften war. Blass und mit tiefen Ringen unter den Augen hing er mehr, als dass er saß, in dem Sessel. Selbst als Alfredo Contionio näher kam, machte er keine Anstalten aufzustehen. Im Gegenteil, er machte eine abwehrende Geste, als der Diener seinem Herrn Hilfe anbieten wollte. Ein schwerer Hustenstoß folgte, danach ein giemendes Einatmen. Kein Zweifel, der Mann gehörte eher ins Bett als in den Salon, doch es schien ihm und seiner Schwester wichtig zu sein, das Gespräch gemeinsam zu führen. In rechtlichen Angelegenheiten vertraute Dimiona niemandem mehr als Ricardo. "Seid gegrüßt, Signor Continio!" Dimionas Stimme war freundlich und dennoch fest.

"Signora della Carenio, habt Dank." Er wandte sich an Ricardo. "Seid gegrüsst Signor della Carenio, ich danke den Göttern, dass Ihr heute noch unter uns weilt. Ich hörte was Euch während der Flut widerfahren ist und hoffe Ihr erholt Euch baldmöglichst!" Der Kaufmann nahm auf dem für ihn vorgesehenen Sessel Platz.

Während im Palazzo Novo Carenio bereits die ersten Leute eintrafen, um das Angebot des Herren di Estrano aus Selzin zu erörtern und hoffentlich einen grundlegenden gemeinsamen Pfad zu finden, stapfte die Residentin des Hauses durch das jüngst überflutete Sewamund. Dreck und Matsch erzeugten hier und da ein unangenehm schmatzendes Geräusch, als Baldura die Estrano in Richtung des Palazzo schritt. Angewidert fokussierte die schlanke Gestalt mit der hochgesteckten blonden Lockenfrisur immer wieder den Weg vor sich. Das relativ schlichte, aber aus hochwertigen Linnen gefertigte und mit Seidenapplikationen bereicherte Kleid hielt sie sorgsam eine Handbreit über den Boden gerafft, so dass vornehmlich ihre ledernen Schuhe dem Unrat ausgesetzt waren. Baldura wirkte tief in Gedanken. Nicht nur der Weg zum Palazzo forderte ihre ganze Aufmerksamkeit, auch die Sorge um die bevorstehende Aufgabe machte ihr innerlich zu schaffen.

Balduras Adjutant Antaro folgte ihr wie stets. Auch war er es, der den vorbeiziehenden Bürgern zu nickte oder einen kurzen Gruß aussprach, wenn die beiden eine Stelle passierten, wo die Opfer der Flut um die Rettung ihrer Habseligkeiten rangen und sich mit verzweifelten Gesichtern hilfesuchend zu dem vorbeiziehenden Pärchen wandte. Irgendwann sprach Antaro seine Schirmherrin an: "Was beschäftigt dich so? Du stürmst durch die Straßen, als wärest du auf der Flucht vor irgendwas." Balduras Antwort lautete: "Vielleicht bin ich das ja, Antaro! Ich will dieses Gespräch schnell hinter mich bringen. Aber ich trage die Sorge, Vater zu enttäuschen!" Dann, nach einigen weiteren Schritten, sprach sie etwas selbst versunken vor sich hin: "Kann ich es schaffen, den anwesenden Vertretern die Vorzüge unseres Hauses so zu präsentieren, dass unser beider Seiten einen Gewinn aus einer Kooperation zieht? Werden sie mich als Repräsentantin anerkennen? Oder werde ich Vater eine weitere Enttäuschung liefern müssen?" Baldura biss sich auf die Unterlippe. Antaro wollte etwas erwidern, doch da bog Baldura bereits um die nächste Ecke und der Palazzo kam in Sicht. Anstatt die Sorgen seiner Mäzenin zerstreuen zu können, meinte er nur: "Wir sind da!"

Mervano, der Diener der Carenios öffnete das Portal des Palazzos und betrachtete die junge Dame, die Einlass erbat, genau. Er kannte sie noch nicht. Also musste dies Baldur di Estrano sein. Ihr Adjutant übernahm denn auch gleich die Vorstellung. Mervano nickte und verbeugte sich. "Tretet ein, Signora di Estrano! Die Hausherrin und ihr Bruder erwarten Euch bereits. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt."

Das Herz klopfte ihr im Hals und Baldura war sichtlich froh, dass Antaro die nötigen Höflichkeitsfloskeln übernahm, während sie einfach eine gerade Haltung annehmen konnte. Nachdem der Diener beide hereingelassen hatte, nahm Balduras Adjutant ihr den Mantel ab und verwahrte ihn über seinem Arm. Anschließend schickte sich die blonde Frau an, dem Livrierten zu folgen. Mit aufrechter Haltung betrat Baldura den Salon, während Antaro vor der Tür wartete. Eilig sah sie sich um, dann richtete sie den Blick auf die Anwesenden. Das Gesicht Drago Amarintos war ihr wohlbekannt, so nickte sie ihm kurz grüßend zu. Der Seneschall nickte ebenso knapp zurück. Während Baldura weiter auf die Hausherrin zu schritt, musterte sie die Gesichter der anderen Anwesenden, von denen sie sich nicht ganz sicher war, zuordnen zu können. Als Baldura vor Dimiona zum Stehen kam, vollführte sie einen gekonnt tiefen Knicks und neigte das Haupt: "Signora della Carenio, es ist mir eine Ehre heute Euer Gast sein zu dürfen."

Dimiona nahm erfreut zur Kenntnis, dass Baldura di Estrano über die gebotene Cortesia verfügte. Sie neigte leicht den Kopf zur Seite und lächelte die junge Signora an. "Es freut mich, dass Ihr unser Haus als Gast beehrt, Signora di Estrano. Darf ich Euch die bereits Anwesenden vorstellen?”" Wie es sich gebührte, stellte sie die Gäste nach Rang und Alter vor.

Tsaida Tribêc zog den Wollumhang enger um ihre Schultern, während sie durch die belebten Straßen der Sewamunder Neustadt ging. Der Wind war schneidend kalt und trug eine salzige Feuchtigkeit in die Luft, die selbst durch die schwersten Stoffe kroch. Der Regen der letzten Tage hatte den ohnehin schlammigen Boden weiter aufgeweicht, sodass Tsaida mit Bedacht jeden ihrer Schritte setzte. Ihre goldbestickten Stiefel, ein Geschenk ihrer ältesten Tochter Regina, hinterließen dabei kaum Spuren, was sie mit einem flüchtigen Lächeln bemerkte. Es war eine jener Kleinigkeiten, die die Gräfin von Bomed mit so viel Liebe und Sorgfalt auswählte. Selbst hier, auf den schlammigen Straßen von Sewamund, trugen die Stiefel einen Hauch von Eleganz, der Tsaidas Präsenz unterstrich. Die Stadt wirkte verwundeter denn je. Der Sturm hatte nicht nur die Fundamente der Gebäude, sondern auch die Moral der Menschen erschüttert. Männer und Frauen arbeiteten hart daran, Trümmer zu beseitigen und improvisierte Barrikaden zu errichten, die weitere Flutschäden verhindern sollten. Kinder, oft barfuß, trugen Eimer mit Schlamm fort oder suchten in den Überresten nach Brauchbarem. Wären doch nur mehr Wagen für diese Aufgabe da. Tsaida ließ ihren Blick über die Szenerie schweifen, die zugleich von Schicksal und Entschlossenheit geprägt war. Sewamund hatte schon viele Krisen durchgemacht, und doch diesmal war es anders. Die Wunden der Stadt fühlten sich tiefer an, und die Risse zwischen den Fraktionen waren breit wie noch nie.

Sie blieb einen Moment stehen, um einer Gruppe von Frauen zuzusehen, die zerbrochene Dachziegel auf Schubkarren luden. Eine von ihnen, eine alte Näherin, die Tsaida aus dem Viertel kannte, wagte einen Blick zu ihr. Die Frau deutete eine höfische Verneigung an, was Tsaida mit einem sanften Nicken erwiderte. "Die Stadt wird das durchstehen", sagte sie leise zu sich selbst, "aber zu welchem Preis?" Ihr Ziel, der Palazzo Novo Carenio, lag nicht mehr weit entfernt. Die Herrin des Gebäudes war Dimiona della Carenio, eine Frau, die Tsaida gleichermaßen bewunderte wie schätzte. Dimiona war eine Meisterin darin, Stärke zu zeigen, selbst wenn die Welt um sie herum in Trümmern lag. Ihre Präsenz im Lilienrat, war nicht zu übersehen, und doch vermutete Tsaida, dass Dimiona insgeheim sicherlich mit vielen der Unsicherheiten kämpfte, mit denen sie es selbst einst zu tun hatte. Heute Abend jedoch würde es nicht um Schwäche oder Stärke gehen.

Tsaida dachte an die jüngsten Entwicklungen. Die Familie di Estrano hatte ein Angebot gemacht, das zu schön war, um es ohne Skepsis zu betrachten. Baldura di Estrano, die junge Residentin der Familie, hatte offenbar einen schlauen Kopf auf den Schultern, doch Tsaida fragte sich, ob sie die Intrigen und Machtspiele in Sewamund unterschätzen könnte. Es gab in dieser Stadt nur wenige, die wirklich vollständig verstanden, wie die Lage denn nun tatsächlich war, geschweige denn, wie sie sein würde, sollte die Angelegenheit mit Baron Irion einmal vorbei sein. Ach Irion, was war nur in dich gefahren? Sie erreichte den Platz vor dem Palazzo und hielt kurz inne, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. Die Abendsonne warf lange Schatten über die Piazza Nodo, und das Licht schien auf die feuchten Steine des Platzes, die wie dunkle Spiegel wirkten. Die hohen Fenster des Palazzos leuchteten warm, ein Kontrast zur Kälte der Straßen. "Es ist Zeit", murmelte Tsaida, während sie die letzten Schritte zur Eingangstür machte. Der livrierte Diener öffnete ihr ehrerbietig die Tür und mit einem tiefen Atemzug trat sie ein. Drinnen war es wärmer und die Stimmen der bereits eingetroffenen Gäste hallten gedämpft durch den Salon. Tsaida Tribêc trat mit jener Anmut ein, die sie sich über Jahre der höfischen Intrigen angeeignet hatte. Sie wusste, dass dies ein Abend der Gelegenheiten sein würde, für Sewamund und für sie selbst.

"Willkommen, Baronessa!" Der livrierte Diener machte eine tiefe Verbeugung und ließ die Oberhofkämmerin des Lilienrates eintreten. "Folgt mir bitte!" Wie schon die Gäste vor ihr, wurde auch Tsaida in den Salon der Familie della Carenio geleitet. Auf den bequemen Sesseln hatten neben den beiden Carenios, Dimiona und Raffaele, bereits Drago Amarinto, Alfredo Continio und Baldura di Estrano Platz genommen. Die Hausherrin erhob sich sogleich, als Tsaida Tribêc eintrat und ging mit einem Lächeln auf den Lippen auf die Collega aus dem Lilienrat zu. "Tsaida, welche Freude! Den Segen Travias für Euch!"

Tsaida Tribêc erwiderte Dimionas Lächeln mit einer leichten Neigung des Kopfes. "Dimiona, es ist mir eine Ehre. Möge Travia auch über Euer Haus wachen, insbesondere in diesen stürmischen Zeiten." Ihre Stimme war ruhig, doch die Schärfe in ihren Augen ließ keinen Zweifel daran, dass sie den heutigen Abend ebenso als Herausforderung wie als Gelegenheit ansah. Tsaida musterte die Runde und nahm die subtile Spannung wahr, die im Raum hing. Besonders Baldura di Estrano, die junge Vertreterin des Hauses di Estrano, fiel ihr auf. Tsaida spürte eine gewisse Sympathie – sie selbst hatte in ihrer Jugend ähnliche Momente erlebt, als sie zum ersten Mal in politischen Verhandlungen eine Position behaupten musste. "Signora di Estrano", begann Tsaida, während sie auf Baldura zuging, "es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen. Sewamund hat in diesen Tagen gewiss viel von Eurem Großmut und Eurer Stärke gehört." Sie reichte Baldura die Hand.

Baldura war noch etwas überwältigt von den Eindrücken und die freundliche Begrüßung der Dame Tribec erwischte sie unvorbereitet. Ihr Gesicht wirkte leicht verdattert, als Tsaida auf sie zukam und die Hand reichte. Jedoch hielt die Verblüffung nicht lange an und auf Balduras Gesicht legte sich ein herzliches Lächeln, als sie die Hand schüttelte. "Es ist mir ebenso eine Freude Signora. Ich hoffe, was man hört, ist nicht allzu sehr mit Übertreibungen gespickt, so dass die Erwartungen den Tatsachen entsprechen. Aber ich werde mein Bestes geben, den Erwartungen so hoch wie möglich gerecht zu werden."

Tsaida Tribêc ließ ihre Hand nach der Begrüßung elegant sinken, ein sanftes Lächeln auf den Lippen, das sowohl wohlwollend als auch leicht prüfend wirkte. Balduras Reaktion hatte sie genau beobachtet und die Unsicherheit der jungen Frau entging ihr nicht – ein Merkmal, das Tsaida unbewusst an ihre eigene Jugend erinnerte. "Signora di Estrano", begann sie mit einer Stimme, die gleichermaßen warm wie bestimmt klang, "in Zeiten wie diesen gibt es keinen Raum für Übertreibungen, sondern nur für Taten. Die Tatsache, dass Ihr in Sewamund anwesend seid, zeigt, dass Ihr entschlossen seid, Euer Wort mit Taten zu untermauern. Das allein verdient Respekt." Sie machte eine kleine, kaum merkliche Geste mit der Hand, die zugleich einladend und ermahnend wirkte. "Ich freue mich darauf, mehr über Eure Vorschläge zu erfahren und wie wir zusammenarbeiten können, um Sewamund zu helfen, sich von den jüngsten Ereignissen zu erholen", fuhr sie fort, während sie sich auf einen freien Sessel niederließ. Sie strich beiläufig eine Falte aus ihrem grün-gelben Kleid, dessen Farben selbst im warmen Licht des Salons leuchteten, bevor sie den Blick zu Dimiona della Carenio wandte, die den Austausch aufmerksam verfolgt hatte.

"Dann wollen wir doch alle Platz nehmen", entschied Dimiona und beschied ihrem Diener, den Gästen Getränke anzubieten. Eine Karaffe mit Wasser stand bereits auf dem Tisch, die besten Gläser mit eingeschliffenem Wappen der della Carenios auf einem Silbertablett daneben. Mervano hielt eine weitere, gläserne Karaffe mit einem Sandwein aus der Comturey Felsfelden in der Hand. Dimiona bot den edlen Tropfen und wahlweise auch einen Sikramer Rotwein an, den eine Dienstmagd gerade hereinbrachte. Nachdem alle Gäste nach Wunsch bedient worden waren, wandte sich Dimiona erneut an Baldura di Estrano. "Wir sind alle sehr gespannt darauf, was Ihr uns anbieten wollt, Signora."

Mit einem Mal wurde Baldura ganz heiß und das kam sicherlich nicht von dem Schluck Wein, den sie genommen hatte, welcher von den Bediensteten ausgeteilt wurde. Sie räusperte sich kurz. Ihre Haltung richtete sich noch ein klein bisschen weiter auf und durch einen Kraftakt ihres Willens wurde ihre Stimme fest. Die eben noch so deutlich zu erkennende Unsicherheit wich mehr und mehr einer tiefen Entschlossenheit. "Verehrte Anwesende, wie vielleicht bekannt ist, komme ich im Auftrage meines Vaters - Ermenello di Estrano - um dem Volke Sewamunds ein Angebot der Hilfe zu unterbreiten. Sewamund hat einen fatalen Schicksalsschlag hinnehmen müssen. Ich denke, das haben wir alle mit eigenen Augen miterlebt und auch auf dem Wege hierher zu sehen bekommen." Baldura machte eine kurze Pause. "Einem göttlichen Wunder gleich sind die Habseligkeiten meiner Familie weitestgehend verschont geblieben, aber um mich herum sehe ich das vielfache Leid meiner Nachbarn. Auf meine Berichte hin, wie es um die Stadt und die Einwohner steht, zögerte mein Vater nicht, mir die Vollmacht zu erteilen, der Stadt nötige Hilfsgüter zur Verfügung zu stellen." Baldura nutzte ein paar Herzschläge, um die Eröffnung sacken zu lassen und gezielt die Gesichter der anderen zu beobachten.

Drago Amarinto, dessen Blick steif wie der einer Marmorbüste auf Baldura di Estrano geruht hatte, kratzte sich die Bartstoppeln auf seinem Kinn. Dann durchbrach er die Stille in seinem üblichen militärisch-knappen Ton. "Über welchen Umfang an Hilfsgütern sprechen wir hier und welchen Preis hattet Ihr Euch vorgestellt, Signora? Die Flüchtlinge aus Amarinto haben in der Flut auch noch den kläglichen Rest an Vorräten und Hab und Gut verloren, die sie in die Stadt retten konnten. Das Haus Amarinto steht zu seiner Verantwortung, für diese Menschen zu sorgen..." Er zögerte, es war ihm offenbar unangenehm, was er zu sagen hatte. "... jedoch ist der Unterhalt der Truppen, die wir zur Verteidigung der Stadt aufgestellt haben, äußerst kostspielig und die Ressourcen sind begrenzt."

Auch Dimionas Augen ruhten interessiert auf der jungen di Estrano. Die Hilfsgüter, die von der Familie della Carenio an die Flüchtenden ausgegeben worden waren, hatte die Flut hinweg geschwemmt oder größtenteils unbrauchbar gemacht. So einfach waren neue Hilfsgüter angesichts der nahenden kämpferischen Auseinandersetzung mit dem Baron nicht zu finanzieren.

Baldura räusperte sich auf Drago Amarintos Frage und fuhr dann fort. "Es ist so, dass sich einige Wagen mit Handelsgütern in Richtung Sewamund bewegten. Sie sollten hier eingelagert werden, um dann dem Fernhandel zugeführt zu werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um drei Wagenladungen Zwieback. Nicht die vornehmste Art von Speise, aber um die hungernden Stadtbevölkerung zu speisen, ist das was Handfestes. Dann sind da zwei Wagenladungen mit Wollerzeugnissen aus dem Umland. Decken, Garne, Socken und Hemden, als auch Rohwolle zum Füttern von...", Baldura wedelte etwas unbeholfen und nach Worte ringend mit einer Hand, "...Matratzen oder so." Einen Atemzug lang überlegte sie: "Des Weiteren sind da mindestens ein oder zwei Wagenladungen mit Wein. Recht regionaler Wein, nicht solch edler Tropfen wie dieser hier", eine wertschätzende Geste ging in Richtung der Hausherrin, "aber wenn man ihn ein wenig streckt, können damit sicherlich etliche dürstende Kehlen besänftigt werden." Ihr Blick forschte in den Gesichtern der anderen Anwesenden. Dann ergänzte sie fast schon keck: "Außerdem können aus den Lagern unseres Landsitzes noch etliche Kräuter für die Versorgung der Verletzten und Kranken zur Verfügung gestellt werden." Nach einer weiteren dramaturgischen Pause meinte Baldura: "Meine Familie würde diese Dinge der Stadt Sewamund vornehmlich karitativ überlassen. Möchte sich die Stadt diesbezüglich erkenntlich zeigen, würde mein Vater sich darüber freuen, den Zuschlag für die Reederei der Familie ya Diamero zu erhalten." Dann verengten Balduras Augen sich leicht. "Und wenn ich so offen für mich selber sprechen darf, würde ich mich als Residentin unserer Familie darüber glücklich schätzen, meine Handelsbeziehungen mit dem Lilienrat vertiefen zu können. Ich könnte zum Beispiel mitwirken, weitere Versorgungszüge zu organisieren, um die Lage in der Stadt zur Entspannung zu bringen."

Die Hausherrin hörte aufmerksam zu. Die junge Frau war durchaus geschickt. Die Aussicht auf dringend benötigte Hilfsgüter für die Flüchtlinge und die von der Flut betroffenen Sewamunder Familien verknüpfte sie mit einer nicht unerheblichen Forderung. Wobei man ja ohnehin die Reederei der Diameros zu vergeben hatte. Warum eigentlich nicht an eine Familie, die sich als zuverlässig und hilfsbereit in der Not erwies. Der Nachsatz zeigte nochmals recht deutlich, wohin die Reise gehen sollte. Dimiona erinnerte die junge di Estrano ein wenig an sich selbst. Sie gab alles für ihre Familie. Sie vertrat das Handelshaus sehr gut und würde sich mit ihrem Geschick mit großer Wahrscheinlichkeit einen Platz für die Estranos in Sewamund sichern. Mit einem Blick in die Gesprächsrunde nickte das Interimsoberhaupt des Lilienrates. "Ich gehe davon aus, dass die Übernahme der Reederei im Lilienrat besprochen und dann darüber abgestimmt werden muss. Aber wenn Eure Familie sich so großzügig zeigt, die Versorgungslage der Stadt nachhaltig zu verbessern, werdet Ihr die Stimme der Carenios bekommen, Signora."

Tsaida Tribêc, die Oberhofkämmerin des Lilienrats, beobachtete die junge Baldura di Estrano mit einem wohlwollenden, aber scharfen Blick, während sie sprach. Als Baldura und Dimiona ihre Ausführungen beendeten und sich der Raum mit Erwartung füllte, räusperte sich Tsaida leise, bevor sie das Wort ergriff. "Nun, Signora di Estrano, Euer Vater erweist sich als ein Mann von Weitsicht und Euer Angebot zeigt Großzügigkeit, die in diesen schweren Zeiten nicht nur willkommen, sondern auch dringend benötigt wird, und es ist offensichtlich, dass Ihr und Eure Familie nicht nur von Großzügigkeit, sondern auch von geschäftlichem Scharfsinn geleitet werdet", begann sie, ihre Stimme ruhig und doch durchdringend in der Stille des Raums. "Es ist beeindruckend, wie strategisch Ihr die dringend benötigte Hilfe mit den Interessen Eures Handelshauses verknüpft habt. Ich muss gestehen, es erinnert mich ein wenig an meine eigenen ersten Schritte in diesem Bereich. Doch hat jede Gabe ihren Preis, und so ist es auch in der Politik." Sie pausierte kurz, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Dann nahm sie sich ein Glas mit Wasser, fuhr wie beiläufig dabei fort, ihre Augen funkelten: "Die Reederei ya Diamero ist kein schlechtes Stück auf dem Sewamunder Gabentisch." Sie platzierte das Glas auf dem Tisch vor sich, wie eine Rote-und-Weiße-Kamele-Spielerin, die einen Spielstein setzt. "Es würde nicht überraschen, wenn andere Familien ebenfalls ein Auge darauf geworfen haben. Habt Ihr diese mögliche Konkurrenz bedacht? Mir, sozusagen als einer der alten Garde, muss die Frage erlaubt sein: Welche langfristigen Interessen verfolgt Eure Familie mit einer derartigen Investition in unsere Stadt? Während Eure Hilfe unschätzbar ist, ist zu bedenken, dass Eure Familie eine Bindung zu Sewamund eingeht, die über Handel und Wohlstand hinausgeht. Ihr werdet Teil unserer Gemeinschaft, Teil unserer Kämpfe und unserer Siege."

Tsaida strich nun sanft über den Stoff ihres Kleides, als würde sie eine Metapher für das Weben feiner Allianzen gestalten. "Seid Ihr bereit, nicht nur durch Handel, sondern auch durch alles andere, was von einer Sewamunder Patrizierfamilie verlangt wird – ich traue mich kaum, das abgedroschene Bild von Blut und Schweiß zu bemühen –, zu uns zu stehen?" Tsaidas Worte waren nicht nur eine Frage nach Geschäftstüchtigkeit, sondern eine Einladung, Teil eines größeren Ganzen zu werden. "Eure Anwesenheit hier ist ein erster Schritt, Signora di Estrano. Doch lasst uns nicht vergessen, dass Sewamund mehr als nur eine Stadt der Händler ist." Tsaida beugte sich nun ein wenig zurück und ihr Lächeln wurde weicher, fast mütterlich. "Eure Anwesenheit in Sewamund könnte, wenn weise genutzt, die Stadt zu neuer Blüte führen. Wir schätzen die Freuden des Lebens und die Freude am Aufbau und an der Erneuerung ist eine der größten." Sie hob ihr Glas in einer einladenden Geste. "Auf eine Zusammenarbeit, die nicht nur unsere Speicher füllt, sondern auch unsere Herzen und unsere Stadt erneuert", schloss sie mit einem Lächeln, das ihre Zuhörer herausforderte.

Baldura stellte für einen Moment ihren Kelch beiseite und faltete die Hände im Schoß. Mit entschlossenem Blick betrachtete sie die Oberhofkämmerin. "Mein Vater beabsichtigt, auf lange Sicht den Handel mit den südlichen Regionen tiefer zu etablieren und eine florierende Handelssymbiose aufzubauen. Er denkt, mit eigenen Schiffen lässt sich das einfacher umsetzen, als mit angemieteten Frachtplatz." Kurz zuckte Baldura die Schultern. "Und da nicht jede Ware auf unserem Landsitz in den Lagern verstaut werden kann, ist es ja wesentlich, dass unsere Familie nach Sewamund expandiert. Das Angebot meiner Familie ist, wie ihr bereits selber sagt, Signora Tribec, dabei ein erster Schritt, uns hier einzubringen und am Wohl der Stadt mitzuwirken. Mir persönlich wäre es dabei ein großes Anliegen, den Namen meiner Familie aus dem Umland von Selzin heraus in diese große Stadt transferieren zu können. Und ich bin bereit, die von euch angesprochenen Anforderungen zu tragen." Jemand mit scharfer Beobachtungsgabe und einer ausgeprägten Menschenkenntnis mochte Balduras unsicheres Schlucken auffallen, da sie trotz ihrer kühn gesprochenen Worte wenig Vorstellung von den angedeuteten Anforderungen hatte. Unbeirrt selbstbewusst sah sie jedoch in die Runde und sprach weiter: "Gebt mir die Möglichkeit, mich beweisen und die ehrenwerten Absichten meiner Familie deutlich machen zu können."

Drago Amarinto musterte Baldura di Estrano aufmerksam, seine scharfen Augen wie die eines Feldherrn, der eine Schlachtfeldkarte studierte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, ein leises Knarren des Leders war zu hören, und faltete die Hände vor sich. Nach einem Moment des Schweigens sprach er, seine Stimme fest und mit dem Anklang an die militärische Disziplin, die ihn prägte: "Signora di Estrano, Eure Worte klingen ehrenhaft, und Euer Angebot ist in der Tat großzügig. Doch wie Signora Tribêc schon sagte, die Reederei der ya Diamero ist ein strategisches Juwel. Es ist ein Handelsunternehmen, das nicht nur den Wohlstand bringt, sondern auch Einfluss – Einfluss, der in einer Stadt wie Sewamund oft schwerer wiegt als Gold." Er machte eine kurze Pause und sein Blick wanderte zu Dimiona della Carenio, bevor er wieder Baldura fixierte. "Wenn Eure Familie diesen Schritt wagen will, so sei Euch bewusst: Ihr werdet nicht nur Händler in Sewamund sein, sondern Teil ihrer inneren Kreise, Teil der Nordmeercompagnie. Eure Handlungen, Eure Loyalität – all das wird fortan nicht nur Euren Namen betreffen, sondern auch den Ruf und die Interessen unserer Stadt." Er richtete sich auf, seine Haltung strahlte die Autorität eines Mannes aus, der mit seinem Wort Gewicht in den Entscheidungen des Rates trug. "Ich habe einige Schlachten gesehen, Signora, und ich weiß, dass jeder Sieg seinen Preis hat. Euer Angebot, die Stadt zu unterstützen, wird sicher auf Gehör stoßen, doch ich und andere im Rat werden darauf bestehen, dass Ihr und Eure Familie nicht nur mit Gütern, sondern auch mit Taten zeigt, dass Ihr zu Sewamund steht." Drago ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, als wolle er die Reaktionen der anderen Anwesenden prüfen, bevor er abschließend sprach: "Der Lilienrat wird entscheiden, ob wir Euch diesen Weg eröffnen. Doch bis dahin will ich von Euch hören, wie Ihr uns zeigen wollt, dass Eure Loyalität Sewamund gehört und nicht nur den Geschäften Eurer Familie."

Alfredo Continio, der angesehene Kaufmann und wichtigste Vertreter der Nordmeercompagnie in Sewamund, räusperte sich leise, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen. Er hatte bis zu diesem Moment aufmerksam zugehört, die Argumente abgewogen und Baldura di Estranos Vorschlag in Gedanken auf dessen wirtschaftliche Tragweite geprüft. Seine Stimme war ruhig, aber von einer wohlkalkulierten Entschlossenheit geprägt, als er das Wort ergriff. "Geschätzte Kollegen, Signora di Estrano", begann Alfredo, während er sich leicht vorbeugte und seine Hände auf die Armlehnen seines Sessels legte, "es ist unbestritten, dass Sewamund dringend Hilfe benötigt. Die Flut hat uns nicht nur physisch verwüstet, sondern auch die Fundamente unseres Handels und unserer wirtschaftlichen Stärke erschüttert. Eure angebotenen Hilfsgüter sind eine Wohltat, zweifellos – aber der wahre Wert eures Engagements für diese Stadt liegt nicht nur in der Versorgung unserer Bürger, sondern auch in der Stärkung unserer Position im Handel." Sein Blick wanderte zu Baldura, seine Augen scharf, aber nicht unfreundlich. "Ihr sprecht von der Übernahme der Reederei der Familie ya Diamero und damit vor allem auch von deren Anteilen an der Nordmeercompagnie. Ein bedeutender Besitz, dessen Kontrolle weit über die Stadtgrenzen hinausreichen wird. Doch Ihr müsst verstehen, dass Sewamund mehr benötigt als nur einen neuen Betreiber für diese Handelsgesellschaft. Wir brauchen Partner, die diese Gesellschaft nicht nur als Werkzeug ihres Hauses betrachten, sondern als Säule für die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Vormachtstellung unserer Stadt in der Nordmeercompagnie."

Alfredo lehnte sich zurück und hob ein Glas Wein, das er zuvor zur Hand genommen hatte. "Die Nordmeercompagnie, meine Damen und Herren, ist nicht nur ein Konsortium. Sie ist die Brücke, die unsere Stadt mit den Städten der Septimana, den Märkten des Nordens und darüber hinaus verbindet. Jede Schwächung unserer Position dort – sei es durch politische Intrigen, Handelskonflikte oder gar durch einseitige Vorteile für einzelne Familien – gefährdet das Gleichgewicht und die Stärke Sewamunds. Signora di Estrano", er wandte sich wieder direkt an Baldura, "seid Ihr und Eure Familie bereit, in diese Verantwortung einzutreten? Seid Ihr bereit, nicht nur im Interesse Eures Hauses zu handeln, sondern die Interessen der Stadt, des Herzogtums Grangor und der Nordmeercompagnie gleichermaßen zu wahren?" Er ließ seine Worte einen Moment wirken, bevor er fortfuhr, seine Stimme sanfter, aber nicht weniger bestimmt. "Eure Hilfe, so großzügig sie auch ist, wird nicht genügen, um das Vertrauen der Sewamunder Händler und aller Ratsmitglieder zu gewinnen. Wenn Eure Familie die Kontrolle über die Reederei erlangen möchte, so wird dies nur durch eine klare Verpflichtung gelingen, Sewamund wieder zu einer starken Handelsmacht zu machen – sei es durch Investitionen in unsere Infrastruktur, durch die Förderung unserer Hafenanlagen oder durch eine aktive Rolle im Lilienrat und in der Versammlung der Regierer der Nordmeercompagnie."

Alfredo setzte sein Glas ab, seine Augen durchdrangen Baldura, und ein freundliches Lächeln umspielte seine Lippen. "Zeigt uns, Signora, dass Ihr nicht nur bereit seid zu nehmen, sondern auch zu geben. Zeigt uns, dass Ihr Sewamund nicht als Tor für Eure Geschäfte seht, sondern als Partner, dessen Stärke auch die Eure wird. Nur so wird Eure Familie nicht nur akzeptiert, sondern in der Geschichte dieser Stadt ihren Platz finden." Mit diesen Worten lehnte sich Alfredo zurück und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, gespannt darauf, wie Baldura und die anderen auf seine Überlegungen reagieren würden.

Die blond gelockte Frau schluckte kurz. Ihre Gedanken rasten und ihr Herz machte vor Aufregung kleine Hüpfer. Innerlich aufgewühlt, aber äußerlich die gefasste Fassade wahrend nickte sie entschlossen zu Continio und Amarinto. "Signores, ich würde mich durchaus geehrt fühlen, wenn ich durch Mitwirken im Lilienrat meine Ergebenheit und Loyalität zeigen darf. Denn wisst, ich wohne nun seit zwei Jahren in Sewamund und habe das Leben hier zu schätzen gelernt. Mich zieht es nicht zurück auf den Landsitz meiner Familie und ich würde wirklich viel lieber diese Stadt wieder aufgebaut und florieren sehen, als in die Provinz zurückzugehen." Den Kopf leicht schief haltend, begann Baldura laut zu denken: "Ich kann sicherlich ein Zehnt der Einnahmen aus dem Seehandel in die Stadtkassen einfließen lassen, zusätzlich zu den obligatorischen Steuern auf die Handelswaren." Sie schürzte kurz die Lippen bei dem Gedanken daran, dass ihrem Vater dies nicht gefallen würde. "Und darüber hinaus kann ich Arbeitskräfte von unserem Landsitz anfordern, die bei der Instandsetzung der durch die Fluten eingestürzten Stadtmauer helfen, so dass Sewamunds Wehrhaftigkeit schnell wiederhergestellt ist." Ihre Hand glitt kurz zum zur Seite gestellten Kelch, doch sie führte die Geste nicht zu Ende, sondern verbarg die schwitzige Hand wieder in der anderen. "Ferner kann die Stadt sich durch mich auf die Verbindungen zu den Handwerkern im Umland sicher sein. Hier lässt sich sicherlich auch noch bedarfsorientiert Arbeitskraft oder Material requirieren, um den Aufbau der Stadt voranzutreiben. Natürlich bin ich bereit, das auch vertraglich zu fixieren, wenn das gewünscht wird." Baldura gingen die Ideen aus, was sie den Herrschaften noch anbieten konnte und hoffte, dass mindestens eines der Angebote auf geneigte Akzeptanz traf. Ihre Kiefer waren vor Anspannung fest aufeinander gepresst. Sie wollte wirklich alles, aber gewiss nicht zurück nach Hause zu ihrem Vater.

Drago Amarinto ließ Baldura di Estrano nicht aus den Augen, während sie sprach. Ihre Stimme war gefasst, aber die subtilen Anzeichen ihrer inneren Anspannung entgingen ihm nicht. Die schwitzige Hand, das kurze Zögern – er hatte dies alles selbst bereits durchlebt. Doch er war nicht hier, um sie zu verurteilen. Er war hier, um Klarheit zu schaffen und Stärke zu fordern. Nach einer kurzen Pause, in der nur das leise Knistern des Kaminfeuers den Raum erfüllte, erhob er seine Stimme. "Signora di Estrano, Euer Angebot zeugt von Entschlossenheit und einem Verständnis für die Bedürfnisse Sewamunds, das in der Tat bemerkenswert ist. Doch Entschlossenheit allein wird nicht genügen. Ihr habt von Loyalität gesprochen, von Eurer Verbundenheit mit dieser Stadt. Ich spüre die Aufrichtigkeit darin – aber Worte sind leicht gesagt." Er lehnte sich vor, seine Ellbogen auf die Knie gestützt, und fixierte Baldura mit scharfem Blick. "Die Maßnahmen, die Ihr vorschlagt – ein Zehnt der Einnahmen, zusätzliche Arbeitskräfte, Kontakte zu Handwerkern – sind ehrenhaft. Doch ich frage Euch: Habt Ihr die Zustimmung Eurer Familie zu diesen Zugeständnissen? Wird Eure Familie bereit sein, Euren Worten die notwendige Unterstützung zu verleihen? Es gibt viele, die großzügige Versprechen machen, um ein Ziel zu erreichen, und sich dann in den Schoß ihrer Familien zurückziehen, wenn es darum geht, die Konsequenzen zu tragen." Er richtete sich auf und ließ den Blick durch den Raum schweifen, bevor er fortfuhr. "Die Übernahme der Reederei der ya Diamero und der Zugang zur Nordmeercompagnie sind nicht nur Geschäfte – sie sind Verpflichtungen. Verpflichtungen, die über Generationen hinweg wirken werden. Eure Familie wird nicht nur als Patrizier in Sewamund gesehen werden, sondern als Mitgestalter der Zukunft dieser Stadt. Ihr werdet daran gemessen werden, wie Ihr in den schwersten Zeiten handelt, nicht nur an den Versprechungen, die Ihr macht."

Drago lehnte sich wieder zurück, die Hände vor der Brust verschränkt. "Ich bin bereit, mich für Eure Sache auszusprechen – unter einer Bedingung. Ihr müsst beweisen, dass Ihr diese Verantwortung nicht nur tragen wollt, sondern auch könnt. Bringt Eure Familie dazu, diese Verpflichtungen mit Euch zu teilen. Holt Eure Familie nach Sewamund, auf dass sie mit uns die Reihen schließen, gegen die Aggression des Baron Irion von Streitebeck. Zeigt uns, dass die di Estrano in Sewamund keine vorübergehende Flamme sind, sondern ein Feuer, das diese Stadt wärmen und stärken wird." Er ließ die Worte in der Stille des Raums verhallen, bevor er hinzufügte: "Wenn Ihr bereit seid, diesen Beweis zu erbringen, dann werdet Ihr im Haus Amarinto treue Verbündete haben."

Alfredo Continio räusperte sich leise und richtete sich in seinem Sessel auf. Sein geschärfter Blick wanderte von Drago Amarinto zu Baldura di Estrano, bevor er das Wort ergriff. Seine Stimme war ruhig und bedacht, doch die wohlgewählten Worte zeugten von der Erfahrung eines Mannes, der seit Jahrzehnten die Geschicke einer erfolgreichen Patrizierfamilie führte. "Signora di Estrano", begann er mit einem leichten Lächeln, das die Anspannung im Raum etwas milderte, "ich schätze Eure Worte sehr. Es ist nicht leicht, in einer Stadt wie Sewamund Fuß zu fassen, insbesondere in einer so angespannten Zeit wie dieser. Doch Entschlossenheit und Großzügigkeit allein reichen nicht aus, um in der Nordmeercompagnie und im Lilienrat zu bestehen." Er legte die Fingerspitzen aneinander und beugte sich leicht vor. "Ich sehe eine Gelegenheit, die nicht nur Eure Position stärkt, sondern auch die von Sewamund. Es ist bekannt, dass meine Familie die Mehrheit der Sewamunder Siebenwind-Compagnie hält. Die SSC ist tief in der Nordmeercompagnie verwurzelt und umfassend in den Seehandel der HPNC eingebunden. Ebenso ist es bekannt, dass die di Estrano Ambitionen haben, sich durch die Reederei der ya Diamero in der Nordmeercompagnie zu etablieren." Er hielt inne, um den Moment wirken zu lassen, bevor er fortfuhr. "Ich schlage Euch einen Handel vor, der auf gegenseitigem Nutzen beruht. Überlasst der Familie Continio zehn von hundert Anteilen an Eurem neuen Handelsunternehmen, das Ihr mit der Reederei der ya Diamero aufzubauen gedenkt. Im Gegenzug bin ich bereit, Euch fünf von hundert Anteilen an der Siebenwind Compagnie zu überlassen. Damit gewinnt Ihr nicht nur einen Fürsprecher in der Nordmeercompagnie und eine Stimme im Lilienrat, die Eure Anliegen unterstützt, bis ihr selbst ein Teil des Rates werdet, sondern auch Zugang zu einem etablierten Netzwerk, das Eure Ambitionen beschleunigen wird." Alfredo lehnte sich zurück und nahm einen Schluck von seinem Wein, bevor er die Situation erneut taxierte. "Dieser Handel wäre nicht nur ein Zeichen des Vertrauens zwischen unseren Familien, sondern auch eine Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit. Eure Familie würde von den etablierten Handelsrouten der Siebenwind Compagnie profitieren, und wir würden wiederum an Eurem Wachstum teilhaben. Gemeinsam könnten wir Sewamund und die Nordmeercompagnie zu neuer Stärke führen." Er richtete sich auf, sein Lächeln wurde schärfer, und seine Augen fixierten Baldura. "Was sagt Ihr, Signora?“

Das war ein spannendes Angebot! Dimiona war gespannt, wie die junge di Estrano das Angebot Alfredo Continios aufnehmen würde. Auch alle anderen Vorschläge, die die Estranos stärker an Sewamund binden würden, und ihnen die Möglichkeit gaben, sich als verlässlich zu erweisen, ja den Einsatz für die Stadt sogar einforderten, fand das Familienoberhaupt der Carenios gut. Es ging schließlich nicht nur darum, Fuß zu fassen in der Stadt und die Vorteile zu nutzen, welche die Reederei der ya Diameros den di Estranos bot, sondern einem, nach der Flut und in dem ausufernden Konflikt mit dem Baron, arg gebeutelten Sewamund wieder auf die Füße zu helfen.

Als die Vorschläge und Angebote im Raum verhallten und die Blicke erwartungsvoll auf Baldura di Estrano ruhten, ließ Tsaida Tribêc ihre Stimme weich im Raum erklingen, aber mit Schärfe darin. "Signora di Estrano, Ihr bringt frischen Wind und Hoffnung in die Stadt. Das ist dieser Tage mehr als willkommen." Tsaida lehnte sich vor, ihr Blick fest auf Baldura gerichtet. "Ein Handel, eine Allianz, das ist wie eine Ehe – sie basiert auf gegenseitigem Respekt, auf Geben und Nehmen." Tsaida Tribêc erhob sich anmutig, das grüngelbe Kleid schimmerte im warmen Licht des Salons. Sie bewegte sich mit Grazie, während sie den Raum durchquerte. Als sie hinter Baldura di Estrano zum Stehen kam, legte sie sanft eine Hand auf deren Schulter. "Ihr und Eure Position könnten das Band sein, das Sewamund stärker bindet. Die Reederei der ya Diamero ist ein Machtinstrument. Wenn Ihr diese Kontrolle übernehmen wollt, müsst Ihr zeigen, dass Ihr nicht nur bereit seid, Sewamunds Wohlstand zu teilen, sondern auch Sewamunds Kämpfe zu kämpfen. Ihr müsst mehr als nur Händlerin oder Geschäftspartnerin sein, sondern müsst eine von uns, eine Familie werden. Eine Verbindung zwischen Euch und einer der hier führenden Familien könnte dazu führen." Tsaida trat zurück, ihre Augen funkelten entschlossen. "Signora, Ihr seid jung, voller Hoffnung, und doch", sie ließ den Satz in der Luft hängen, "fehlt Euch die Erfahrung. Diese Stadt hat bereits manchen verschlungen, der ihr nicht gewachsen, der zu schwach und alleine war. Die Euch eigene Stärke kann, wenn richtig gelenkt, Euch dazu befähigen, in Sewamund Fuß zu fassen." Sie wandte sich wieder Baldura zu, senkte ihre Stimme: "Zeigt uns, dass Ihr bereit seid, Euch nicht nur mit Worten zu beweisen, sondern auch mit Eurer Person. Es gibt viele junge Patrizier, die bereit wären, eine Frau wie Euch an ihrer Seite zu wissen. Natürlich wäre es töricht, dies zu überstürzen. Aber eine Ehe würde Eure Stellung festigen und Eure Loyalität unter Beweis stellen. Bedenkt, die Früchte, die wir säen, sind jene, die wir ernten werden." Tsaida ließ Baldura los und trat zurück. Dann fügte sie mit beinahe mütterlichem Lächeln hinzu: "Signora, in Sewamund misst man Loyalität nicht nur an Worten oder Gold, sondern an den Wurzeln, die man schlägt, an den Kindern, die man aufzieht, und an den Bündnissen, die man schmiedet. Seid mutig, Signora di Estrano, und Ihr werdet sehen, Sewamund wird Euer Zuhause." Mit einer sanften Geste lud sie Baldura ein, zu antworten, ihre Augen aber ließen keinen Zweifel daran, dass Tsaida mehr erwartete als eine bloße Zustimmung. Es war eine Prüfung.

Baldura wurde von den ganzen Worten schwindelig. Musste sie noch arg den Impuls unterdrücken, zu den Forderungen des Herrn Amarinto die Arme nicht aus Trotz ebenfalls vor der Brust zu verschränken, entlockte der Appell der Dame Tribêc Baldura eine hochgezogene Augenbraue. Sie wandte ihren Kopf herum und sah der Kämmerin des Lilienrates forschend in die Augen. In Gedanken wunderte sie sich, ob sie sich gerade auf einem Heiratsmarkt befand.

"Ich betrachte Sewamund bereits als mein zu Hause, Signora Tribêc. Alles weitere wird sich zur richtigen Zeit ergeben." war Balduras einfach gehaltene Antwort. Zum Rest wollte sie im Moment keine Stellung beziehen. Daher widmete die blonde Frau ihre Aufmerksamkeit lieber dem Herrn Continio, mit dessen Vorschlag sie derzeit am ehesten umgehen konnte. Selbstsicher verkündete sie: "Signore Continio, euer Angebot klingt verlockend. Ich bin mir sicher, dass meine Familie hinter mir steht und mein Vater dem zustimmen wird. Ich werde ihm gleich nach dem Treffen eine Botschaft mit eurem Vorschlag zukommen lassen. Rechnet bitte mit einer positiven Antwort in den kommenden Tagen. Ich kann bereits mit Sicherheit sagen, dass mein Vater erfreut sein wird, mit der Familie Continio in Kooperation zu treten." Die Worte untermalte Baldura mit einem Nicken in Richtung Alfredo. Anschließend richtete sie den Blick forsch und herausfordernd auf Drago Amarinto. "Signor Amarinto, der Zweifel in euren Worten verstimmt mich. Ich dachte, ihr seid unserer Familie vertrauensvoller zugeneigt, als eure Rede vermuten lässt. Schließlich habt ihr euch der Ausbildung meiner kleinen Schwester angenommen und sie mit Erfolg zu einer begabten Cavalliera gemacht. Ich denke, es ist unbestreitbar, dass sie eilt, sofern nach ihr gerufen wird. Die Tugenden der Ritterlichkeit habt schließlich ihr tief in Estallias Brust gepflanzt. Daher erschüttert mich euer Mangel an Zuversicht, ich könnte nicht im Namen meiner Familie Loyalität zeigen und würde inhaltslose Versprechen abgeben." Ein kurzes, empörtes und leise ersticktes *hmpf* schloss sich den Worten an. Balduras Gesicht sah leicht säuerlich aus.

Da sie dem aufkeimenden Groll keinen weiteren Platz einräumen wollte, richtete sie ihre abschließenden Worte an alle Anwesende und vermied es, Drago allzu lange anzuschauen. "Verehrte Anwesende, wenn der Rat fordert, dass die Familie di Estrano ein Heer an Kriegsvolk bereitstellt, muss ich ihn leider enttäuschen. Wir sind keine Kämpfer, wir sind Händler. Einzig meine Schwester ist Dank des Hauses Amarinto im Kriegshandwerk professionell ausgebildet worden. Sollte kriegerische Unterstützung von uns gefordert werden, kann unsere Familie eine Ritterin samt ausgebildetem Roß stellen. Alles andere ginge nicht über unausgebildete Landsknechte hinaus. Durch den Anbau diverser Kräuter jedoch könnten wir die Medici unterstützen und der Fürsorge Verwundeter dienlich sein." Baldura atmete einmal tief durch, weil sie bemerkte, wie sie sich in Rage redete. Wesentlich besonnener fuhr sie fort: "Sicherlich ist es uns auch möglich, in Krisenzeiten entsprechendes Handwerkszeug wie Waffen zu organisieren. Hier sprach ich ja bereits die vorhandenen Kontakte zu Handwerk Treibenden an. Aber wenn der Rat ein Heer an Kämpfern verlangt, muss ich passen."