Briefspiel:Reise in die Vergangenheit (4): Unterschied zwischen den Versionen
(Die Seite wurde neu angelegt: „{{Halboffiziell}} {{:Briefspiel:Wenn der phecadische Drache erwacht}} '''Autoren:''' Galebquell, Amarinto…“) |
K (Textersetzung - „Rondrician Amarinto“ durch „Rondrician VII. Amarinto“) |
||
Zeile 29: | Zeile 29: | ||
Nun ballte auch der größere junge Mann seine großen Hände zu Fäusten. Ein Gefühl kroch in ihm hoch, als er die Emotionen über Efferdias Gesicht huschen sah. Eine Mischung aus Sorge, Angst und Zorn. Doch beherrschte er sich, jetzt, o Gott der Gefühle, war es nicht an der Zeit, ihnen unkontrolliert freien Lauf lassen zu können. Er fühlte, wie Grimheldis nähergetreten war und sich schräg hinter ihm unauffällig hielt. So unauffällig, wie eine zwei Schritt messende ‘Halbtrollin’ sich auch verhalten konnte. | Nun ballte auch der größere junge Mann seine großen Hände zu Fäusten. Ein Gefühl kroch in ihm hoch, als er die Emotionen über Efferdias Gesicht huschen sah. Eine Mischung aus Sorge, Angst und Zorn. Doch beherrschte er sich, jetzt, o Gott der Gefühle, war es nicht an der Zeit, ihnen unkontrolliert freien Lauf lassen zu können. Er fühlte, wie Grimheldis nähergetreten war und sich schräg hinter ihm unauffällig hielt. So unauffällig, wie eine zwei Schritt messende ‘Halbtrollin’ sich auch verhalten konnte. | ||
− | ''"Sie haben Amardûn eingenommen, mein Schwager Rimaldo und der Onkel meines Gatten [[Rondrician Amarinto|Rondrician]] sind gefallen, Cariana und die anderen gingen in Gefangenschaft."'' Sie legte Lucrann die Hand auf den Arm. ''"Der Stammsitz der Amarinto ist gefallen und der Streitebeck hält Hof im Rittersaal, in dem wir so oft gespeist und gefeiert haben. Das Dorf in dem [[Haline Broccia|Haline]], Cariana und du als Kinder den Hunden hinterher gejagt habt, ist nur noch Asche."'' Der Schmerz, den diese Lage für Efferdia auslöste, war offensichtlich. Es war auch ihr Zuhause gewesen, in dem sie viele glückliche Jahre mit ihrem Gatten und dessen Familie verbracht hatte. Es war der Ort, an dem sie zwei ihrer Kinder geboren hatte. | + | ''"Sie haben Amardûn eingenommen, mein Schwager Rimaldo und der Onkel meines Gatten [[Rondrician VII. Amarinto|Rondrician]] sind gefallen, Cariana und die anderen gingen in Gefangenschaft."'' Sie legte Lucrann die Hand auf den Arm. ''"Der Stammsitz der Amarinto ist gefallen und der Streitebeck hält Hof im Rittersaal, in dem wir so oft gespeist und gefeiert haben. Das Dorf in dem [[Haline Broccia|Haline]], Cariana und du als Kinder den Hunden hinterher gejagt habt, ist nur noch Asche."'' Der Schmerz, den diese Lage für Efferdia auslöste, war offensichtlich. Es war auch ihr Zuhause gewesen, in dem sie viele glückliche Jahre mit ihrem Gatten und dessen Familie verbracht hatte. Es war der Ort, an dem sie zwei ihrer Kinder geboren hatte. |
Beinahe fühlte Lucrann diesen Schmerz der Frau, die ihm auch Mutter gewesen war, selbst körperlich. Amarinto in Schutt und Asche? Das ganze Dorf? Tief atmete er durch die Nase ein und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Sein Brustkorb hob sich unter der weinroten Tunika, spannte sie für diesen kurzen Moment, dann entließ er langsam den Atem. Kurz räusperte er sich. ‘O Levthan, stolzester Widder, Beschützer deiner Herde.’ betete er stumm. Dann hauchte er mit hart gezähmten Gefühlen: ''"Was ist mit [[Dareius Amarinto|Dareius]]?"'' | Beinahe fühlte Lucrann diesen Schmerz der Frau, die ihm auch Mutter gewesen war, selbst körperlich. Amarinto in Schutt und Asche? Das ganze Dorf? Tief atmete er durch die Nase ein und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Sein Brustkorb hob sich unter der weinroten Tunika, spannte sie für diesen kurzen Moment, dann entließ er langsam den Atem. Kurz räusperte er sich. ‘O Levthan, stolzester Widder, Beschützer deiner Herde.’ betete er stumm. Dann hauchte er mit hart gezähmten Gefühlen: ''"Was ist mit [[Dareius Amarinto|Dareius]]?"'' |
Aktuelle Version vom 26. September 2024, 14:59 Uhr
Autoren: Galebquell, Amarinto
Ankunft in Ruthor
Das Schiff steuerte die Hafeneinfahrt Ruthors an, zu ihrer Rechten konnten sie die halbversunkenen Ruinen des Ozeanidenpalasts aus dem Meer ragen sehen. Der Palast war das politische Zentrum des bosparanischen ‘Rythor’ gewesen, welches nun schon seit Jahrhunderten unter Efferds Fluten begraben war. Lucrann lächelte, als er sich an die Lektionen der Gelehrten erinnerte, die ihm nicht nur Fechtkunst und Etikette, sondern auch die Kenntnis von der Geschichte des Horasreiches vermitteln sollten. Als junger Knappe fand er diese Stunden immer entsetzlich öde und zeitraubend, doch heute, Jahre später, ahnte er mehr als dass er es wusste, welche Geheimnisse sich in den alten Büchern und Legenden verbargen.
Die heutige Stadt lag in den früheren Außenbezirken der damaligen bosparanischen Metropole, in denen die berühmten Gladiatoren Ruthors, die 'Retiarier' lebten und trainierten. Nicht nur die versunkenen Ruinen im Meer, sondern auch ein Ruinenfeld vor der Stadt zeugte vom einstmals strahlenden Glanz der Stadt, welcher selbst heute noch zu erahnen war. Zu ihrer Linken erhob das sich mächtige und prächtige Castello Belvedere, dem Stammsitz des Hauses di Bellafoldi. Oft genug war Lucrann als Knappe Darion Amarintos hier eingekehrt. Wie oft hatte der junge, heranwachsende Mann den Ausblick über die grangorer Bucht genossen, sich den Wind durch Locken wehen lassen. Und nur allein Rahja und Levthan wussten, welche Genüsse er noch innerhalb dieser Mauern hatte erfahren dürfen. Ruthor, eine der Perlen der Grangorer Bucht, vielleicht sogar des Meeres der Sieben Winde. Bei der Einfahrt in den geschützten Hafenbereich spürten sie die wachsamen Augen der Geschützmannschaft des alten Dreizackturms, welcher als Leuchturm und Hafenbefestigung diente.
Sie schwenkten in den alten Handelshafen, von dem aus man einen hervorragenden Blick auf die beeindruckende Gladiatorenbrücke, sowie die Alte Arena der Stadt hatte. Dabei passierten sie auch die Prunk-Galeasse der Baronin, die ‘Retiarius’, die ihre eigenen Landungssteg hatte. Nachdem sie angelegt hatten, ließ der Kapitän auf Lucranns Wunsch ein Botenmädchen zum Castello Belvedere senden, mit der Nachricht, dass er eingetroffen war. Während sie noch am verladen der Pferde und Ausrüstung waren, sahen sie eine kleine Gruppe von Bewaffneten, die vom Castello an der Hafenmeisterei vorbei auf der Hafenpromenade in ihre Richtung marschierten. Als diese nah genug gekommen waren, erkannte er etwa ein halbes Dutzend Hellebardiere, die von einer athletischen, wenn auch nicht mehr jungen, Ritterin angeführt wurden. Die dunkelblonden Haare waren stellenweise sichtbar grau geworden, die Zahl der Falten hatte sich merklich erhöht, aber die Bewegungen waren immer noch geschmeidig und gewandt.
Natürlich erkannte er sie sofort, Baronessa Efferdia di Bellafoldi, die Gattin seines Schwertvaters Darion Amarinto und Tante der Baronin Oleana. Lucranns Lächeln erstrahlte, war er doch erfreut sie wiederzusehen, die turnierbegeisterte Baronessa war immer freundlich zu ihm gewesen und hatte ihm ebenso wie ihr Gatte viele wertvolle Lektionen mit auf den Weg gegeben.. Ihre Miene sah jedoch keineswegs glücklich aus, als ob sie sich gar nicht freute, ihn zu sehen. Sein Lächeln schmolz dahin. In ihren Augen brannte ein wildes Feuer, eine brennende Wut gemischt mit dem tödlichen Blick eines Raubtiers. Als sie vor ihm stand, schien doch zumindest ein wenig ihrer alten Freundlichkeit und sanften Wärme zurückzukehren. Sie konnte sich sogar ein dünnes Lächeln abringen. "Lucrann, gut, dass du gekommen bist." Sie trat abrupt einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn kurz. Er beugte sich zu der gut zwanzig Halbfinger kleineren Frau herab und erwiderte die Umarmung mit ehrlicher Herzlichkeit. "Schön dich wiederzusehen." Es war offensichtlich, dass etwas Schwerwiegendes vorgefallen war.
Sie lösten sich voneinander und Lucrann schaute Efferdia in die Augen. Blaugrau traf auf Grün, beide Blicke waren ernst und es bedurfte keiner großen Menschenkenntnis, um die verschiedenen Gefühle im Gesicht der Baronessa zu erkennen: Wut, Trauer, Zorn, Rachelust. Urtümliche, beinahe animalische, aber auch ehrliche Gefühle - die Lucrann trafen, denn er erinnerte sich an Efferdia vor allem als freundliche Frau, als Mutter anstelle seiner eigenen Mutter, die schon früh von Boron zu sich gerufen worden war. "Efferdia..." übersprang er aus einem sorgenvollen Impuls heraus jegliche formale Begrüßung. "...was ist geschehen?"
Die Baronessa atmete tief durch und blickte dann auf den Hafen und die gegenüberliegende Ozeanideninsel. "Am Abend des 4. Travia ist das Heer des Streitebecks in Amarinto einmarschiert, nachdem sie zuvor kampflos Tribêc besetzt hatten. Cariana hatte mit ihrem Onkel Rimaldo, sowie einigen weiteren Verwandten, die wenigen Waffenknechte und die Miliz zusammengerufen und sich auf der Feste Amardûn verschanzt. Sie wollten mit dem Baron verhandeln, aber dann brannte auf einmal das ganze Dorf." Sie ballte die Fäuste. Lucrann erinnerte sich an das Dorf, Amarinto, beinahe an der Grangorer Bucht gelegen. Was heißt Dorf, Amarinto zählte fast doppelt so viele Einwohner wie Galebbogen und selbiges galt als Baronsresidenz. In seiner Zeit als Knappe auch auf der Feste Amardûn war es friedlich gewesen und er erinnerte sich an einen Bäcker, bei dem er oft süßes Gebäck erworben hatte. Manchmal gegen Kupferstücke, manchmal als Streich oder Mutprobe auch ohne. "Zum Glück waren die Einwohner vorher nach Sewamund geschickt worden. Jedenfalls war ein Kampf danach unvermeidlich." Ihr Gesichtsausdruck machte bereits deutlich, dass dieser Kampf nicht zugunsten der Amarinto ausgegangen war.
Nun ballte auch der größere junge Mann seine großen Hände zu Fäusten. Ein Gefühl kroch in ihm hoch, als er die Emotionen über Efferdias Gesicht huschen sah. Eine Mischung aus Sorge, Angst und Zorn. Doch beherrschte er sich, jetzt, o Gott der Gefühle, war es nicht an der Zeit, ihnen unkontrolliert freien Lauf lassen zu können. Er fühlte, wie Grimheldis nähergetreten war und sich schräg hinter ihm unauffällig hielt. So unauffällig, wie eine zwei Schritt messende ‘Halbtrollin’ sich auch verhalten konnte.
"Sie haben Amardûn eingenommen, mein Schwager Rimaldo und der Onkel meines Gatten Rondrician sind gefallen, Cariana und die anderen gingen in Gefangenschaft." Sie legte Lucrann die Hand auf den Arm. "Der Stammsitz der Amarinto ist gefallen und der Streitebeck hält Hof im Rittersaal, in dem wir so oft gespeist und gefeiert haben. Das Dorf in dem Haline, Cariana und du als Kinder den Hunden hinterher gejagt habt, ist nur noch Asche." Der Schmerz, den diese Lage für Efferdia auslöste, war offensichtlich. Es war auch ihr Zuhause gewesen, in dem sie viele glückliche Jahre mit ihrem Gatten und dessen Familie verbracht hatte. Es war der Ort, an dem sie zwei ihrer Kinder geboren hatte.
Beinahe fühlte Lucrann diesen Schmerz der Frau, die ihm auch Mutter gewesen war, selbst körperlich. Amarinto in Schutt und Asche? Das ganze Dorf? Tief atmete er durch die Nase ein und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Sein Brustkorb hob sich unter der weinroten Tunika, spannte sie für diesen kurzen Moment, dann entließ er langsam den Atem. Kurz räusperte er sich. ‘O Levthan, stolzester Widder, Beschützer deiner Herde.’ betete er stumm. Dann hauchte er mit hart gezähmten Gefühlen: "Was ist mit Dareius?"
"Dareius ist mit seinem Onkel Drago in Sewamund und hilft die Verteidigung der Stadt zu organisieren. Unsere Truppen haben sich im zentralen Heerlager südlich der Stadt gesammelt." Lucrann wusste, dass die Amarinto nur wenige Waffenknechte, aufgrund der Familientradition meist Langbogenschützen, unterhielten, da die Familienmitglieder und ihr Gefolge selbst bereits eine formidable Halbschwadron Schlachtreiter ausmachten. Er erinnerte sich jedoch, dass die Amarinto enge Beziehungen zum Söldnerhaufen Cren-Barrach unterhielten, der sich aus Gjalsker Kriegern zusammensetzte und für die Amarinto im Thronfolgekrieg gestritten hatte.
Unruhig rieb er sich mit seinen Händen durch das Gesicht, fuhr sich durch die Haare, schaute dann Efferdia in die Augen. Er räusperte sich, öffnete den Mund, sammelte sich jedoch wieder. Efferdia blickte an ihm vor, schaute auf Grimheldis, die grimmig schweigende Ritterin, größer noch als Lucrann. Dieser nahm Efferdias Hände in die seinen und drückte sie mit einer Sanftheit, die man ihm nicht zugetraut hätte. "Cariana wollte mit Signor Irion von Streitebeck verhandeln? Und dennoch hat er das Dorf niedergebrannt, die Festung besetzt und Carina gefangen genommen?"
"Wir wissen nicht genau, wie es dazu kam. Carianas Knappin Methelessa und die Knappin meines Schwagers Rimaldo wurden nach den Kämpfen freigelassen und ritten so schnell es ging nach Sewamund um Bericht zu erstatten. Beide haben bestätigt, dass der Brand offenbar auch den Baron überrascht hat, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Vielleicht gibt es also noch andere Parteien, die hier ihre Finger im Spiel haben. Rimaldo wurde im Zweikampf mit Usvina Tribêc de Trebesco getötet, sie trachtet seit dem Thronfolgekrieg nach dem Blut der Amarinto und hat sich deswegen anscheinend dem Streitebeck angeschlossen." Lucrann erinnerte sich an diese Geschichte. Dareius hatte in der Schlacht von Castarosa seine eigen Großtante Phrenya erschlagen, als sich sich schützend vor ihre Geliebte Usvina geworfen hatte. Seither hatte die Veteranin der Dämonenschlacht ihre Rache geplant.
Er erinnerte sich auch an Rimaldo, den alten Haudegen, der gelegentlich die Feste Amardûn besucht und auch den Knappen Lucrann in einigen Schwertkampflektionen unterrichtet hatte. Nun war auch er gefallen - doch welcher immense Hass musste Usvina Trîbec verfolgen, ihr Herz in einem eiskalten Klammergriff halten. ‘O Levthan, Herr aller niederen Gefühle und Begierden!’
Efferdia blickte auf die Brücke zur Arena, auf der sie im Thronfolgekrieg gegen die Galahanisten gefochten hatte, welche damals Ruthor besetzten und seufzte. "Eine weitere Eskalation ist jedenfalls kaum noch abzuwenden. Das Haus Amarinto kann eine solche Demütigung jedenfalls nicht hinnehmen und mein Sohn wird alles dafür tun, den Streitebeck dafür bezahlen zu lassen. Ich breche bald nach Nevorten auf, die Freie Seestadt Nevorten ist ein alter Verbündeter der Bellafoldi und auch der Amarinto und sie werden uns nicht im Stich lassen. Jedoch ist eine offizielle Einmischung in diesen Konflikt riskant, die Kaufleute unter den Patriziern wollen sicherlich nicht die Unterstützer des Streitebecks verschrecken und den Handel gefährden." Sie blickte auf die inzwischen abgeladenen Güter und Ausrüstung. "Aber lasst uns ins Castello gehen, eure Unterkunft wurde bereits vorbereitet. Meine Nichte wird dich später sicher auch noch empfangen wollen. Sie ist heute auf einem Ausritt an den Ruthonsee mit ihrem Gatten und meinem Bruder Colombino."
Lucrann nickte. Mittlerweile waren auch sein Leibwächter Horadan Capellano und sein Knappe Geron von Unkenau herangetreten, beide führten die Pferde der nordmärkischen Gruppe an den Zügeln. "Gut, Efferdia, planen können wir wahrscheinlich ohnehin erst, wenn Oleana und ihr Gemahl zurück sind." Seine Neugier auf jenen Mann, der das Herz Oleanas - oder zumindest ihren Respekt - hatte gewinnen können, konnte er kaum unterdrücken. Oder war es die Neugier auf einen Rivalen? Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Übrigens..." fuhr er einen Augenblick später fort, löste seine Arme wieder und deutete mit einer eleganten, leicht geschwungenen Bewegung auf die Frau schräg hinter ihm, die ihn noch um gut zehn Halbfinger überragte. "...das ist Grimheldis von Unkenau, eine Ritterin aus den Nordmarken, die zu meinem Gefolge zählt. Sie hat beschlossen, mich als Unterstützung zu begleiten und wird auch euch und Sewamund unterstützen." Die große Frau mit den breiten Schultern und den Händen groß wie Bärenpranken, aber feingliedrig wie die anderer Frauen, verbeugte sich leicht vor der Baronessa. "Die Götter zum Gruße, Rondras Segen..." sprach sie im weichen, leicht singenden, aber auch gemütlichen und für fremde Ohren genuschelt klingenden nordmärkischen Dialekt.
Die ruthorer Baronessa betrachtete die hünenhafte Ritterin und nickte dann mit einem freundlichen Lächeln. "Willkommen im Horasreich, Signora. Der Dank Ruthors und Sewamunds ist Euch gewiss." Ein sanftes Grinsen schlich auf ihre Lippen. Sie dachte daran, wenn diese Riesin auf die Knappin ihres Sohnes treffen würde. Wahrlich ein Treffen der Giganten.
Lucrann schaute sein Gefolge, einen jeden von ihnen kurz an. Er lächelte breit. "Dann lasst uns das wunderschöne Castello Belvedere aufsuchen und die Gaumenfreuden der Küchenmeisterin genießen, bis der Ernst der Kämpfe uns wieder einholt."
Im Gastgemach auf Castello Belvedere ein wenig später
Lucrann warf sich auf das Bett und streckte seine Gliedmaßen aus. Der hochgewachsene Horasier, der mit ihm in das Gemach getreten war, mit dem südländischen Teint und der Figur eines sehnigen Pardels, legte sorgfältig das Bündel, welches er für seinen Herrn getragen hatte, auf einen Stuhl und verschränkte dann die Arme vor der Brust. "Nun sind wir hier, Signor, und stehen kurz davor, in eine Fehde zwischen der Baronin von Ruthor, der Stadt Sewamund und dem Baron von Sewamund gezogen zu werden." Lucrann richtete sich auf und stützte sich mit den Händen auf der Bettkante ab. Ruhig schaute er seinen Leibwächter Horadan Capellano, der entgegen seiner eher chababischen Hautfarbe aus der Gerondrata stammte, in dessen Gesicht. Lucrann kniff die Augen zusammen und taxierte seinen vor einigen Jahren angeworbenen Leibwächter. "Danke für diesen Hinweis, ich wäre nicht darauf gekommen." Dennoch, das was Horadan eigentlich ausdrücken wollte, war: Was sollte Lucrann nun hier tun?
Er stand vom Bett auf und ging an das Fenster, schaute hinaus in die Gassen der septimanischen Küstenstadt Ruthor. Gerufen worden war er als Cavalliere der Baronin. Ein Befehlsempfänger. Er hatte auf den Befehl der Baronin reagiert wie ein Hund auf das Kommando seines Hundeführers. Aber nun war er hier, in diesem Hornissennest aus gegenseitigen Verpflichtungen, Loyalitäten und Feindschaften. Doch trieb ihn wirklich nur eine Form der Loyalität? Lucrann beugte sich vor und stützte sich mit seinen Unterarmen auf dem Fenstersims ab. Nachdenklich runzelte er die Stirn, seine Gedanken rasten. Obzwar Junker aus eigenem Recht, waren er und seine Schwester Calderine lediglich unbedeutende Mitglieder des großen und weitverzweigten nordmärkischen Hauses Leihenhof, über das der Baron von Galebquell, Roklan von Leihenhof, mit ... Lucrann schnaubte mit einem Hauch Sarkasmus ... hesindegefälliger Weisheit unumstößlich herrschte. Lange Jahre hatte er seinen Stand als horasischer Nobile vernachlässigt, vergessen. Was hätte er alles aus dem Titel eines Cavalliere machen, herausholen können? "Es ist noch nicht zu spät!" brummte er. "Wie meint Ihr?" fragte Horadan, doch Lucrann winkte ab. ‚Levthan, großer Verführer!‘ betete der Mann nordmärkischer Abstammung, aber horasischer Erziehung stumm. ‚Zeige mir den Weg, lass mich Gelegenheiten sehen, damit ich sie ergreifen kann.‘ Vielleicht war hier, genau hier zu sein, bereits eine Gelegenheit...