Briefspiel:Im Auge des Sturms
25. Travia 1046 BF, Felder am Norderkoog nördlich von Sewamund
Autoren: Amarinto, Carenio, Tribec
Zusammenfassung: Baron Irion verhandelt mit dem Stadtoberhaupt Sewamunds über die Regelungen in der bevorstehenden Schlacht.
Der Wind trug die salzige Luft der nahen Küste über die Felder des Norderkoogs. Die schweren Wolken am Himmel ließen die Welt grau erscheinen, doch der Boden – noch feucht und weich von den kürzlichen Überschwemmungen – erzählte von der rauen Natur Phecadiens. Hier, auf diesem unruhigen Landstrich, trafen sich die verfeindeten Parteien, um ein letztes Mal Worte statt Schwerter sprechen zu lassen.
Dimiona della Carenio, das neue Oberhaupt des Sewamunder Lilienrats, bildete die Spitze ihrer Delegation. Neben ihr schritt Dareius Amarinto, der Heerführer des Lilienrats und seiner Verbündeten, dessen Augen die Umgebung analysierten. Die kleine Bedeckung aus Sewakgardisten, die das Banner der Stadt führte, folgte in disziplinierter Formation. Dimionas Blick war fest, ihre Haltung aufrecht – eine Frau, die die Verantwortung für eine Stadt und deren Schicksal trug.
Am anderen Ende des Feldes wartete Irion von Streitebeck, Baron von Sewamund. Die silbernen Lilien seines Baronswappens leuchteten selbst unter der trüben Sonne, getragen von den Gardisten der Splissergarde. Neben ihm stand Usvina Tribêc de Trebesco, eine Frau, der ihr Ruf als Condottiera und Veteranin der Dämonenschlacht stets vorauseilte. Ihr Gesicht war so unbeweglich wie eine Steinmaske, doch ihre Augen durchbohrten Dareius Amarinto auf der Gegenseite wie scharfe Lanzen.
Zwischen den beiden Delegationen stand Baron Merkan von Farsid, der als neutraler Vermittler entsandt worden war. An seiner Seite befand sich Alborn Garlischgrötz, der Tempelvorsteher des Rondratempels von Farsid, begleitet von einer Handvoll Gardisten der Phecadigarde. Der Anblick des alten Rondrageweihten war würdevoll und erinnerte beide Seiten daran, dass es sich bei der Schlacht um ein Götterurteil handeln sollte.
Als die Gruppen einander erreichten, fiel eine Stille über die Versammlung. Die Winde zerrten an den Bannern, und das Flüstern der Götter schien in den Böen zu liegen. Dimiona und Irion traten vor. Beide musterten einander, die Spannungen ihrer ersten direkten Begegnung seit langem waren nahezu greifbar. Zu viel war seitdem geschehen, Dinge, die sich nicht mehr rückgängig machen ließen.
Der Baron schlichte dunkle Kleidung im Grangorer Stil, darüber einen dunkelblauen Mantel mit Pelzkragen. Sein Bart und seine Haare waren sorgsam gestutzt. An seiner Seite baumelte das Schwert der Barone von Sewamund, Meeresflamme.
"Baronessa Dimiona della Carenio", begann Irion schließlich, seine Stimme ruhig und höflich, doch mit einem Unterton, der sowohl Autorität als auch Neugier vermittelte. "Ihr habt dieses Treffen einberufen, so kurz vor der Schlacht. Was wollt Ihr mit mir besprechen, bevor wir unser Schicksal in die Waagschale der Götter legen?"
In Dimionas Ohren klang der Titel Baronessa immer noch ein wenig ungewohnt, verschaffte ihr in der Unterredung aber den Vorteil der annähernden Gleichrangigkeit. Sie trug hohe Stiefel, die dem matschigen Boden trotzen und einen langen, dunklen Mantel, der den Blick auf praktische und dennoch edle Kleidung in den Farben der Familie della Carenio freigab.
Sie hoffte, dass sich nun auszahlen würde, dass die della Carenios sich lange aus innerstädtischen Zwistigkeiten herausgehalten hatten und ihr inzwischen der Ruf einer geschickten Diplomatin zugesprochen wurde. Persönlich hatte sie nichts gegen Irion von Streitebeck, das erleichterte die Gesprächssituation.
"Rondra zum Gruße!", begann sie äußerlich gelassen und nickte dem Baron sowie Alborn Garlischgrötz ehrerbietig zu. Auch Merkan von Farsid bedachte sie mit einem feinen Lächeln. Ihr Neffe Grangorion hatte seine Knappenzeit bei ihm verbracht und den Ritterschlag erhalten.
Die beiden Garlischgrötz nickten ebenso. Merkan von Farsid gab sich keine Mühe zu verbergen, dass er den Ausgang dieses Gesprächs mit Spannung erwartete. Der Tempelvorsteher des Farsider Tempels der Leuin dagegen bemühte sich um einen würdevolle Ausstrahlung, wie es einem Priester zustand.
Die Condottiera streifte Dimiona nur mit ihrem Blick, der vom neutralen Vermittler zurück zum Baron von Sewamund glitt.
"Geschätzter Baron Irion von Streitebeck, wie Ihr sicherlich wisst, trete ich vor Euch als gewählte Vorsitzende des Lilienrates. An meiner Seite unser Heerführer Dareius Amarinto. Der Lilienrat ist bestrebt, den Blutzoll der Stadtbevölkerung in dieser rondrianischen Auseinandersetzung auf ein Mindestmaß zu beschränken und somit möchte ich mit Euch und dem Vertreter der Rondrakirche gemeinsam die Modalitäten des Götterurteils festlegen. Es sollten, so wünschen es die Sewamunder, und das wird sicherlich auch im Interesse der Rondrakirche sein,", lächelte sie den Tempelvorsteher freundlich an, "faire und vergleichbare Bedingungen auf beiden Seiten herrschen."
Dareius Amarinto nickte knapp und freundlich in Richtung der Garlischgrötz, als sein Blick den Baron traf, biss er jedoch merklich die Zähne zusammen. Der Baron nahm seine offenkundige Wut mit einem nachdenklichen, fast schon demütigen Blick zur Kenntnis. Dann trafen sich die Blicke von Dareius Amarinto und Usvina Tribêc de Trebesco und es wirkte auf die Außenstehenden wie zwei hungrige Raubtiere, die sich umkreisten und nur auf die richtige Gelegenheit warteten um ihrem Gegenüber mit einem Kehlenbiss den Garaus zu machen.
Irion von Streitebeck ließ den Blick über die Anwesenden gleiten. Die Worte Dimionas waren geschickt gewählt, ihr Tonfall ruhig und bestimmt. Die Art, wie sie sich präsentierte, die kühle Diplomatie, die aus ihren Worten sprach, machten es schwer, sie zu unterschätzen.
Der Wind frischte auf, rüttelte an den Bannern und ließ die Mäntel der Versammelten flattern. Die Luft roch nach Salz, nach nasser Erde und einem Hauch von Eisen, wie es oft der Fall war, wenn eine Schlacht bevorstand. Die Geräusche der Natur schienen für einen Moment zu verschwinden, als Irion das Wort ergriff.
"Faire und vergleichbare Bedingungen." Seine Stimme war ruhig und gelassen. "Ein frommer Wunsch, Signora."
Sein Blick ruhte auf Dimiona, als wolle er eine Regung in ihrem Gesicht erhaschen, einen Funken Unsicherheit oder Zweifel. Doch sie hielt seinem Blick stand. Eine bemerkenswerte Frau, das musste er ihr lassen. Jedoch, ihr Anspruch auf seine Stadt und seine Ehre – das machte sie zu seiner Gegnerin.
"Nun gut,", fuhr er nach einer kurzen Pause fort, "ich verstehe und respektiere Euren Wunsch, dem Volk unnötiges Leid zu ersparen und die Bürger Sewamunds und Sewakiens zu schonen. Noch mehr als das, ich teile diesen Wunsch mit Euch." Ein dünnes Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er durch seine Worte deutlich machte, dass er bereits von den Ergebnissen der Lilienratssitzung erfahren hatte. "Ein Götterurteil, unter den Augen der Leuin und ihrer Geschwister. Ein passender Abschluss für diesen Konflikt. Doch erlaubt mir zuerst eine Frage, Baronessa: Wenn die Götter gegen Euch sprechen, werdet Ihr Euch dann fügen? Oder wird der Lilienrat nach einem anderen Weg suchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen?" Er blickte bewusst zu Dareius Amarinto.
Die Worte hingen schwer in der Luft. Es war keine Provokation, sondern eine ernstgemeinte Frage. Er wusste, dass Macht sich selten freiwillig zurückzog. Würden Dimiona und die anderen Patrizier es wirklich akzeptieren, wenn das Urteil zu ihren Ungunsten ausfiel? Und was führte der Herzog wirklich im Schilde?
Neben ihm bewegte sich Usvina Tribêc de Trebesco kaum, doch er konnte fühlen, wie angespannt sie war. Die Feindschaft zwischen ihr und dem Amarinto war offensichtlich.
Usvina Tribêc de Trebesco verharrte regungslos, aber in ihrem Innern brodelte es. Jahre der Übung, sich zurückhalten zu können, zahlten sich nun aus. Ihr Blick blieb auf Dareius Amarinto geheftet, ihr langjähriger Feind, der sich nun als Heerführer des Lilienrats aufspielte. Seine Anwesenheit schmerzte sie wie ein Dorn im Fleisch, er war eine unliebsame Erinnerung an alles, was sie verloren hatte und an alles, was sie sich zurückholen wollte. Er stand dort, stolz, erhobenen Hauptes, aber sie kannte ihn besser, als er vermutlich glaubte. Sie hatte ihn auf dem Schlachtfeld gesehen, in Zeiten, in denen nur das Schwert über Leben und Tod entschied. Und sie hatte gesehen, dass auch er bluten konnte. Was blutete, konnte man töten.
Seine Wut war offensichtlich, sein Kiefer mahlte, während er die Lippen aufeinanderpresste. Usvina verspürte eine tiefe dunkle Befriedigung darüber. Hass war eine Waffe, wenn man sie richtig zu führen wusste. Aber ebenso wusste sie, dass Dareius nicht nur aus Wut handelte. Er war gerissen. Und diese Dimiona? Eine geschickte Taktikerin, das musste sie ihr lassen. Doch sie sprach von gerechten Bedingungen, von einem Götterurteil unter gleichen Vorzeichen, als wäre Krieg in irgendeiner Art gerecht.
Usvina wusste es besser. Die Welt und die Götter waren nie gerecht gewesen, Kriege wurden nicht durch Gerechtigkeit entschieden. Sie wurden durch List, durch Stärke und durch Entschlossenheit gewonnen. Was nützte es, sich auf den Willen der Götter zu verlassen, wenn das Schwert in der Hand die Entscheidungen fällte?
Ihr Blick glitt zu Baron Irion von Streitebeck. Sie war ihm treu ergeben, weil er wusste, wie man kämpfte. Weil er verstand, dass es in diesem Spiel keinen Platz für Schwäche gab. Wenn das Götterurteil zu ihren Gunsten ausfiel, würde sie keinen Moment zögern, die Stadt mit eiserner Hand zu befrieden. Doch wenn die Götter anders entschieden? Würde Irion sich fügen? Würde sie sich fügen?
Dareius' Blick ruhte weiter auf ihr, ein unausgesprochenes Versprechen des Konflikts lag darin. Eines Tages würde einer von ihnen zu Boden sinken. Sie war sich sicher, sie würde es nicht sein. Denn sie war Usvina Tribêc de Trebesco. Sie hatte noch nie einen Kampf verloren.
Dimionas Blick taxierte den Baron. Sie hatte einen ersten Erfolg zu verbuchen. Irion von Streitebeck verschloss sich nicht dem diplomatischen Ringen um Bedingungen für einen ausgeglichenen Kampf. Im Gegenteil, er schien selbst großes Interesse daran zu haben. Das spielte der Vertreterin des Lilienrates in die Hände. Sie bemühte sich der offen gezeigten Antipathie zwischen Dareius Amarinto und der Heerführerin des Barons keine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern sich alleine auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
"Ich kann Euch, als Vorsitzende des Lilienrates, versichern, dass sich die Stadt an das Götterurteil halten und sich dem Richtspruch der Sturmleuin beugen wird, sofern es die andere Seite ebenso hält und der Herzog das Urteil bestätigt."
Irion von Streitebeck ließ Dimionas Worte einen Moment lang in der Luft hängen. Das Klirren der aneinander schlagenden Bannerstangen im Wind schien die drückende Spannung nur zu unterstreichen. Seine dunklen Augen ruhten auf der Vorsitzenden des Lilienrats, als wollte er in ihr Innerstes blicken.
"Der Herzog also", wiederholte er leise, beinahe gedankenverloren. Dann wandte er sich an den Rondrageweihten. "Hochwürden Garlischgrötz, ist es nicht die göttliche Gerechtigkeit, die hier entscheidet? Wessen Bestätigung bedarf es dann noch, wenn Rondra selbst ihr Urteil spricht?"
Der alte Geweihte mit dem wettergegerbten Gesicht, selbst ein Vetter des Herzogs, erwiderte den Blick des Barons mit stoischer Ruhe. "Die Götter sprechen durch unser Handeln, Baron von Streitebeck. Doch wir leben in einer Welt, in der auch Sterbliche ihr Wort erheben. Wenn der Herzog sich an das Urteil der Göttin gebunden weiß, so ist dies ein Zeichen des Respekts gegenüber der Ordnung der Welt."
Ein nachdenkliches Lächeln umspielte Irions Lippen, doch er führte den Gedanken nicht weiter aus. Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Dimiona. "Gut. Die Bedingungen müssen klar und unmissverständlich sein. Es soll kein Zweifel darüber bestehen, dass der Kampf unter den Augen der Götter in rechter und gerechter Weise geführt wird."
Er trat einen Schritt vor, sein Mantel schlug im Wind gegen seine Beine. "Welche Bedingungen schlagt Ihr also vor, Baronessa?"
Der Wind zerrte an Dimionas hochgestecktem Haar. Eine Strähne hatte sich gelöst und umspielte nun ihre Stirn. Einem Impuls nach, wollte das Familienoberhaupt der Carenios für Ordnung sorgen, doch dann entschied sie sich anders. Es gab nun wichtigeres, als sich um eine lose Strähne im sonst so sorgfältig frisierten Haar zu kümmern.
"Ich unterbreite Euch die Vorschläge des Lilienrates: Um ein wahrhaftes Götterurteil herbeizuführen sprechen sich die Sewamunder Familien für einen Kampf ohne Artillerie oder Milizen, ohne den Einsatz von Magie und Gift und unter Ausschluss einer Seeschlacht aus. Wie steht Ihr zu unseren Bedingungen, Baron?"
Klare Worte, kurz und präzise ausgeführte Bedingungen, mit ihrem starken Willen hielt Dimiona Irion von Streitebecks kaltem Blick stand. Nun war es an ihm, die Bedingungen des Lilienrates anzunehmen oder vor dem Geweihten auszuführen, was er unter einem angemessenen Götterurteil im Sinne Rondras verstand.
Irion von Streitebeck ließ die Worte Dimionas noch einmal durch seinen Geist wandern, während er die stürmische Landschaft des Norderkoogs betrachtete. Es war ein feines Spiel, das sie hier führten, ein Ringen um die Deutungshoheit dessen, was als angemessen und gerecht gelten sollte. Und noch waren nicht alle Karten auf dem Tisch.
Mit einer langsamen Bewegung strich er sich über den Pelzkragen seines Mantels und verlagerte das Gewicht auf sein anderes Bein. Sein Blick traf erneut den der Baronessa. "Ein Kampf ohne Artillerie, Milizen, Magie, Gift und unter Ausschluss einer Seeschlacht also? Ihr möchtet, dass dieser Kampf in reiner Form geführt wird, nur mit Schwert, Lanze und Bogen? Doch erlaubt mir einige Fragen zur Klarstellung."
Seine Stimme blieb ruhig, sachlich, doch jeder in der Runde konnte spüren, dass hinter seinen Worten eine scharfe Klinge verborgen lag.
"Ihr sprecht vom Ausschluss einer Seeschlacht. Bedeutet dies, dass Schiffe nicht gegeneinander kämpfen oder auch nicht in die Schlacht an Land eingreifen sollen?"
Er ließ die Worte kurz wirken, ehe er weitersprach. "Zudem soll Magie nicht eingesetzt werden. Doch bezieht sich dieses Verbot allein auf Kampfmagie? Oder soll auch Heilmagie ausgeschlossen sein? Ich könnte mir vorstellen, dass manche dies als unnötig brutal betrachten würden, wenn Verwundete nicht die Gnade der magischen Heilung empfangen dürfen. Gerade unter den Nobili müssten wir hier mit Unverständnis rechnen."
Seine dunklen Augen ruhten auf dem Geweihten Alborn Garlischgrötz, bevor sie sich wieder auf Dimiona richteten. "Ihr sprecht ferner von einem Ausschluss der Milizen. Heißt das, dass nur professionelle Truppen auf das Feld geführt werden dürfen? Also Garden, Söldnerkontingente, Nobili und ihre Cavalleristi?"
Er machte eine kurze Pause, während der Wind um die Versammelten fegte und die Banner ruckartig hin- und herpeitschte. "Ich stelle diese Fragen nicht, um Euch zu verunsichern, Baronessa. Sondern um zu vermeiden, dass es im Nachgang zu Unklarheiten kommt. Es wäre doch ein Jammer, wenn ein ehrenhafter Sieg im Streit über die Regeln verblasst."
Mit einer knappen Geste deutete Irion auf Dimiona. "Ich bin sicher, Ihr habt Euch über diese Dinge Gedanken gemacht. Also lasst uns Klarheit schaffen, bevor das Blutvergießen beginnt."
Die klärenden Fragen des Barons kamen nicht unerwartet und waren sogar ganz im Sinne der Baronessa. Schließlich wollten weder sie noch der Lilienrat, den sie vertrat, dass sich Irion von Streitebeck später herausreden konnte, dass dieser oder jener Schachzug nicht eindeutig ausgeschlossen worden sei. Sie nickte also zustimmend.
"Eine Präzisierung der Bedingungen ist ganz in unserem Sinne, werter Baron. Die Stadt Sewamund wünscht so wenig wie möglich Blutvergießen an Zivilisten, aus diesem Grund ganz explizit der Wunsch nach einem Kampf in der rondrianischen Tradition, mit Schwert, Bogen, Lanze und den üblichen Nah- und Fernkampfwaffen, die eine Person mit sich führen kann."
Ein Blick ging zum Rondrageweihten um seine Zustimmung zu erlangen. Dimiona erhoffte sich ein Zeichen seiner Anerkennung der aufgeführten Waffen im Bezug auf die Traditionen der Rondrakirche.
Alborn Garlischgrötz blickte in die Gesichter beider Konfliktparteien und konnte keinen direkten Widerspruch erkennen. Er nickte also zufrieden. Sein Verwandter Baron Merkan von Farsid sah ebenfalls zufrieden aus.
Die Vorsitzende des Lilienrates fuhr fort: "Was Eure zweite Frage betrifft, mag unser Heerführer Dareius Amarinto genauer ausführen, was den Ausschluss von Schiffen beim Kampf anbelangt."
Sie wandte sich an Dareius und überließ ihm die Präzisierung.
Dieser wandte seinen Blick nun zum Baron und nahm sich einen Moment, um sich zu sammeln. Dann deutete er auf das Meer hinter den Deichen und sprach mit ausgesucht neutraler Stimme: "Der Lilienrat schlägt vor, dass die Schiffe der beiden Konfliktparteien nicht in die Schlacht eingreifen, weder an Land, beispielsweise durch Beschuss oder das transportieren von Truppen, noch zur See im direkten Kampf gegeneinander. Dieser Vorschlag dient dazu den Blutzoll zu begrenzen und die Handelskapazitäten der Stadt und der gesamten Region nicht durch Schäden an den wertvollen Schiffe oder deren Besatzungen zu reduzieren. Dies sollte im Interesse beider Parteien und ebenso unseres Herzogs liegen." Er nickte dem Sohn des Herzogs respektvoll zu.
Baron Merkan von Farsid nickte ebenso respektvoll und erklärte dadurch sein Einverständnis mit dem Gesagten.
Mit einem dankbaren Nicken zu ihrem Heerführer wandte sich Dimiona wieder an den Baron.
"Heilmagie sollte natürlich nicht ausgeschlossen werden! Wir wünschen ausdrücklich, dass alle Mittel zur Linderung von Schmerzen und Heilung der entstandenen Wunden angewandt werden können, seien es profane Mittel der Medici oder die Heilmagie der Vertreter der magischen Zünfte oder der zwölfgöttlichen Kirchen."
Wie zur Bestätigung fuhr ein heftiger Windstoß zwischen die Verhandlungsführer, wirbelte Staub und Blätter vom Boden auf und ließ diese in einer spiraligen Bewegung auf das zukünftige Schlachtfeld tanzen.
Dimiona wandte sich wieder an Dareius Amarinto. "Zur Präzisierung der einzusetzenden Truppen möchte ich erneut den Heerführer der Stadt Sewamund und ihrer Verbündeten zu Wort bitten."
"Die Absicht des Lilienrats, die Verluste dieser Schlacht auf professionelle Soldaten zu begrenzen verfolgt das Ziel, die Einwohner der Region zu schonen." Er blickte demonstrativ zuerst zum Vertreter des Herzogs, dann zum Baron von Sewamund. Sein Blick verhärtete sich. "Es wurden bei den Kämpfen in Garlan und der Erstürmung der Feste Amardûn bereits genug Schäden angerichtet, ein ganzes Dorf wurde Opfer der Flammen, Hunderte von Popoli heimatlos, Dutzende Milizionäre und mehrere Patrizier und Nobili sind in den Kämpfen gefallen."
Der Baron von Farsid und der Geweihte hörten genau zu und ihr missbilligender Blick ruhte auf dem Baron. Dieser hatte Dareius Amarinto ebenso mit ungerührter Miene aufmerksam zugehört. Er wusste nur zu gut, auf was der Heerführer anspielte. Die Anklage des Amarinto kam daher nicht unerwartet. Auch der Baron von Farsid und der Geweihte blickten erwartungsvoll zum Streitebeck, gespannt auf seine Reaktion zu diesen berechtigten Vorwürfen.
Irion von Streitebeck ließ die Worte des Heerführers des Lilienrats in der Luft hängen, ließ ihre Bedeutung auf die Anwesenden wirken. Der Wind trug eine salzige Brise heran, die Mäntel und Banner flatterten, als wolle selbst Efferd lauschen.
Dann trat der Baron von Sewamund einen Schritt vor. Sein Blick war fest, seine Stimme ruhig, doch mit einer Wärme, die ihn von seinem sonst so berechnenden Wesen abhob. Er legte Dareius die Hand auf die Schulter."Ihr sprecht von Amarinto, Cavalliere. Ihr sprecht von jenen, die gefallen sind, von jenen, die ihr Zuhause verloren haben. Ihr sprecht von dem Feuer, das Häuser verschlang, von dem Rauch, der sich über die Felder legte."
Er ließ seine Worte einen Moment verhallen, bevor er fortfuhr. "Und Ihr habt vielleicht erwartet, dass ich dies leugne. Nein, das werde ich nicht tun." Seine dunklen Augen musterten den Heerführer. "Ich bedaure, was geschehen ist."
Erstaunte Blicke wurden gewechselt in der Sewamunder Delegation.
Auch Dimiona war überrascht vom Eingeständnis des Streitebecks. Sie beobachtete genau seine Gesichtszüge, achtete auf jedes Zucken im Augen- oder Mundwinkel, das ihr verraten würde, ob er es wirklich ernst meinte.
Dareius Amarinto dagegen spannte sich an, als hätte er eine Falle erwartet, die sich nun nicht schloss.
"Doch Worte allein bedeuten nichts", fuhr der Baron fort. "Bedauern bedeutet nichts, wenn es nicht von Taten begleitet wird." Er drehte sich leicht zur Seite und nickte einem seiner Begleiter zu. Dieser entfernte sich und kehrte wenige Momente später mit einer Gestalt zurück, deren Anblick die Sewamunder Delegation innehalten ließ.
Eine Frau, in einen edlen roten Mantel gehüllt, trat langsam vor. Ihr Gesicht war blass, ihr Blick wachsam. Doch es war unverkennbar: Cariana Amarinto, die Schwester von Dareius, die seit der Erstürmung Amardûns in Gefangenschaft gewesen war.
"Als Zeichen meines guten Willens", erklärte Irion, "übergebe ich Euch Esquiria Cariana Amarinto. Sie war in meinem Gewahrsam, doch dies soll nicht länger so sein."
Dareius' Kiefer mahlte, seine Fäuste ballten sich. Dennoch überwog die Erleichterung, seine geliebte Schwester gesund und wohlbehalten vor sich zu sehen. Auch der Rondrageweihte Alborn Garlischgrötz hob überrascht eine Braue, während Baron Merkan von Farsid anerkennend nickte.
Die Stille wurde nur vom Wind und dem leisen Klirren von Rüstungen unterbrochen. Cariana Amarinto blickte kurz zu ihrem Bruder, dann zu Irion. Dieser nickte. Schließlich machte sie einen vorsichtigen Schritt nach vorne und fiel ihrem Bruder schließlich erleichtert in die Arme. Die beiden Geschwister ließen einen kurzen Moment geschwisterlicher Liebe zu und verharrten in einer engen Umarmung. Danach löste sich Cariana und trat seitlich hinter ihren Bruder. Ein Gardist des Barons überreichte ihr noch ihre persönlichen Gegenstände, darunter auch ihr Schwert.
Dimiona della Carenio versuchte ihre Überraschung angesichts des geschickten Schachzugs des Streitebecks zu verbergen. Sie freute sich natürlich sehr für Dareius und seine Schwester, entsprechend beobachtete sie die Wiedersehensfreude der Geschwister mit Rührung. Doch es war und blieb ein Schachzug des Barons und dessen musste sie sich bewusst sein, wenn es um die Verhandlungen ging.
Irion hob eine Hand. "Ich mag Euer Gegner sein auf dem Feld, doch ich bin nicht blind für Ehre und für Recht. Ich will, dass dieser Konflikt nicht in sinnloser Grausamkeit endet. Ich will, dass er mit Würde geführt wird. Dies ist meine Geste, um zu zeigen, dass ich an das Urteil der Götter glaube." Er blickte demonstrativ zu Alborn Garlischgrötz.
"Eure Bedingungen sind angemessen. Ich stimme Euch zu, dass dieser Kampf ohne den Einsatz von Milizen und nur von professionellen Truppen geführt werden soll. Die Schiffe sollen nicht in die Schlacht an Land eingreifen und auch nicht zur See gegeneinander im Kampf antreten. Alle Magie, außer heilender Magie, Gifte sowie der Einsatz von Artillerie wie Katapulten, Speerschleudern und Rotzen sollen ausgeschlossen werden.
Er ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Gegner gleiten, blieb auf Dimiona hängen. "Ihr habt meinen Respekt, Signora. Und nun auch mein Zeichen des guten Willens. Was werdet Ihr daraus machen?"
Die Delegation des Lilienrates war für einen Moment sprachlos. Es war nicht nur die überraschende Geste, sondern das moralische Gewicht, das Irion mit einem einzigen Zug aufgebaut hatte. Der Baron hatte das Momentum auf seine Seite gezogen.
Die Baronessa zollte dem Baron ihren Respekt. Er hatte seinen Trumpf geschickt ausgespielt und alle damit überrascht. Ob er dachte, er könne mit einer Geiselübergabe, auch wenn es eine prominente Geisel war, die Toten und Vertriebenen seines Überfalls auf Amardûn und die anderen Orte ungeschehen machen? Und was sollte die direkte Ansprache an sie am Ende seiner Rede?
"Wir sind dankbar für die konstruktive Beratung und deren Ergebnis, das zumindest die Hoffnung gibt, dass auf dem Schlachtfeld rondrianische Tugenden im Vordergrund stehen, anders als in Amardûn." Dimiona konnte sich diese Spitze nicht verkneifen. "Wie schon mehrfach betont, stehe ich hier als Vorsitzende des Lilienrates und Sprecherin der Stadt Sewamund und ihrer Verbündeten. Ich habe mich ganz in den Dienst der Stadt gestellt und handle nur in ihrem Namen und in ihrem Interesse. Der Rest liegt nicht in meiner Hand, denn es geht hier um ein Götterurteil. Wir, die Stadt Sewamund und ihre Verbündeten, werden das Urteil der Leuin akzeptieren, ganz gleich wie es ausfallen wird. Eure Geste des guten Willens gibt immerhin die Hoffnung darauf, dass auch Ihr Euch diesem fügen werdet. Ich danke Euch für die guten und fairen Verhandlungen, verehrter Baron von Streitebeck."
"Ich danke Euch ebenso, Baronessa." Er nahm ihre Hand zum Handkuss. Dann nickte er Dareius Amarinto und seiner Schwester zu. Dareius straffte sich, er sah immer noch skeptisch aus und musterte das Gesicht des Barons, als ob er nach etwas suchen würde. Dann schnaubte er hörbar und verneigte sich, was ihn sichtlich Überwindung kostete. Seine Schwester Cariana wirkte dagegen, als ob sie mit aller Kraft ihre Würde aufrechterhalten wollte, indem sie den Blick des Barons demonstrativ erwiderte.
Baron Irion hielt kurz inne, das erste Mal während dieser Begegnung wirkte er ein wenig unentschlossen. Er setzte an etwas zu sagen und zögerte, sagte es dann aber doch. Dabei wirkte er geradezu menschlich, die Fassade des kühl kalkulierenden Politikers bröckelte ein wenig. "Signora Cariana, bitte nehmt meine aufrichtige Entschuldigung an für die Behandlung, die Euch in Amardûn widerfahren ist. Die Verantwortlichen handelten ohne mein Wissen und werden hart bestraft werden, sobald sie alle ergriffen sind. Diese Leute sind ebenso meine Feinde wie Eure."
Das Gesicht Cariana Amarintos wirkte versteinert. Eine einzelne Träne suchte sich den Weg über ihre Wange. Sie nickte, aber sagte nichts, während ihr Bruder sie erschrocken anblickte. Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm, die Angelegenheit sollte offenbar nicht hier besprochen werden.
Dimiona deutete eine Verbeugung an und erwies auch dem Rondrageweihten und den Beratern des Barons ihren Respekt. Dann wandte sie sich zu Dareius, nickte ihm zu und begleitet vom frischen Wind über der Fläche des Norderkoogs traten sie den Rückweg an.
Dareius Amarinto und seine Schwester nickten mit stoischem Blick dem Baron zu, schon bald würde man sich auf dem Schlachtfeld wiedersehen. Bevor er sich umwandte, sah Dareius Usvina Tribêc de Trebesco noch ein letztes Mal in die von Rachegelüsten gezeichneten Augen und verstand, dass das Band des Schicksals, welches die beiden vor so vielen Götterläufen aneindergeschmiedet hatte, in naher Zukunft zertrennt werden würde. Er hatte seinen Frieden damit gemacht und hoffte, dass auch Usvina Frieden finden könnte, wenn sie ihre Rache erhalten hatte. Fast schon empfand er Mitgefühl und eine gewisse Verbundenheit mit ihr, sie war trotz allem eine Heldin, die den Schrecken des Dämonenmeisters getrotzt hatte, nur um danach das einzige zu verlieren, was ihr wirklich etwas bedeutete...durch seine Hand. Er sah ihr tief in die Augen und lächelte.
"Das Band des Schicksals hat uns beide hier an diesen Ort geführt, das Ende ist nah. Ich werde für Euch beten, Signora Usvina. Mein einziger Wunsch ist, dass Ihr dasselbe für mich tut."
Usvina Tribêc de Trebesco hielt Dareius' Blick stand, als seine Worte in der salzigen Luft zwischen ihnen verhallten. Ihr Gesicht war regungslos, ihr Körper in eiserne Disziplin gepresst, doch in ihren Augen lag ein Echo vergangener Zeiten – ein unausgesprochener Schmerz, eine Erinnerung an das, was sie einst war, bevor das Schicksal ihr alles nahm.
Sie hätte lachen können, spöttisch, kalt, wie es eine jüngere Usvina vielleicht getan hätte. Doch das Leben hatte sie gelehrt, dass manche Dinge jenseits von Spott lagen. Rache war eine Klinge, die oft tiefer in jene schnitt, die sie führten. Und Dareius' Worte, so unerwartet sie auch waren, ließen eine Saite in ihrem Innersten anklingen, die sie lange für verstummt gehalten hatte.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem kaum merklichen Lächeln, einem Schatten eines Ausdrucks, den sie vielleicht in einem anderen Leben häufiger getragen hatte. Sie sah das Lächeln auf seinen Lippen, ein Ausdruck, der mehr über ihn verriet, als ihm vielleicht bewusst war. Es war kein überhebliches Grinsen, kein Triumphgeheul eines Siegers, sondern das Lächeln eines Mannes, der Frieden mit sich selbst geschlossen hatte.
Frieden.
Das Wort war für ihr fremd geworden. Frieden hatte es für sie schon lange nicht mehr gegeben.
Ihr Mantel wehte im Wind, ihre Hand ruhte an der Schwertscheide, als wäre sie jederzeit bereit, ihre Klinge zu ziehen. Dann krampften sich ihre Finger um den Knauf ihres Schwerts.
Ein betendes Wort für ihn? Für Dareius Amarinto? Den Mann, der alles, was ihr einst etwas bedeutete, mit seinem Schwert aus der Welt geschnitten hatte? Sie spürte, wie ihre Wut wie eine dunkle Woge durch ihre Brust brandete, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Nicht jetzt.
Ihr Blick blieb auf seinen Augen hängen, die so ruhig waren, als hätten sie sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden. War das Mitleid? Er wagte es, Mitleid mit ihr zu empfinden?
"Ihr betet für mich?" Ihre Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, das jedoch mühelos über das windgepeitschte Feld getragen wurde.
"Ihr betet für mich, Cavalliere? Ein frommer Mann bis zum Ende, nicht wahr?" Sie trat einen halben Schritt näher, ließ den Blick über sein Gesicht gleiten, suchte nach einem Anzeichen von Spott – fand jedoch keinen. Das machte es nur schlimmer.
Ihr Herz raste. All die Jahre, all die Schlachten, all das Blut, das sie vergossen hatte, um an diesen Punkt zu gelangen. Und jetzt, da der Moment nahte, hatte er nichts als Frieden in seinem Blick?
"Betet, so viel Ihr wollt", sagte sie schließlich, ihre Stimme nun wieder ruhig, fast sachlich. "Aber glaubt nicht, dass ich Euch dasselbe schenke."
Dann beugte sie sich leicht vor, sodass nur er ihre nächsten Worte hören konnte.
"Ich werde kein Gebet für Euch sprechen, Dareius Amarinto. Ich werde mich an Euren Namen erinnern, wenn ich Euch das letzte Mal in die Augen sehe, und ich werde Euch mit meiner Klinge das einzige Geschenk machen, das Ihr verdient: Vergessen."
Sie richtete sich wieder auf, musterte ihn ein letztes Mal und drehte sich dann abrupt um. Der Wind trug den Saum ihres Mantels mit sich, als sie sich Irion von Streitebeck anschloss, ohne sich noch einmal nach dem Mann umzusehen, den sie einst fast bewundert hatte.
Sie würde nicht für ihn beten.
Aber sie würde ihn ehren – auf ihre Weise.