Briefspiel:Kaiserjagd/Unter Freunden und Feinden
Unter Freunden und Feinden
1. Firun 1046 BF, kurz vor dem Mittag, Aldyra
Autor: Amarinto
Die Strahlen der Praiosscheibe drangen kaum durch die dichten Stoffbahnen des prunkvoll dekorierten Zeltes, in dem sich die Baronin Cariana von Selzin-Garlischgrötz und die Cavalliera Praiane ya Talladan auf das bevorstehende Ereignis vorbereiteten. Es war der erste Tag der großen Kaiserjagd, und die Aufregung war überall spürbar. Draußen hörte man das Gemurmel des Jagdlagers, die Stimmen der anderen Jäger, das Wiehern der Pferde und das gelegentliche Bellen der Jagdhunde. Der Duft von frisch aufgebrühtem Tee erfüllte das Zelt.
Cariana saß auf einem kunstvoll geschnitzten Stuhl, ihre Finger spielten nervös mit dem Seidenband ihres prächtigen Jagdumhangs. Ihre Haltung war aufrecht, fast steif, als ob sie ihre Unsicherheit mit adeliger Würde überspielen wollte. Die Baronin war sich ihres hohen Ranges bewusst und gewohnt, Befehle zu erteilen. Doch in der Jagd war sie weniger erfahren, und das spiegelte sich in ihrem Blick wider, der immer wieder suchend zu ihrer alten Freundin, der Cavalliera Praiane ya Talladan, wanderte.
Praiane stand am Tisch, auf dem eine detaillierte Karte der Region ausgebreitet lag. Ihre kräftigen Hände, glitten sicher über die Karte, während sie leise sprach.
„Hier“, sagte Praiane und tippte auf einen Bereich am Rand des Waldes, „haben wir gute Erfolgsaussichten. Die Tiere kommen oft zum Fluss, um zu trinken, und die Büsche bieten gute Deckung. Mit etwas Geduld können wir dort Wildschweine oder vielleicht sogar einen Hirsch aufspüren.“
Cariana nickte zustimmend, obwohl ein Hauch von Unsicherheit in ihren Augen lag.
„Das klingt vernünftig, Signora“, sagte sie. Ihre Stimme war ruhig, doch ein leichter Zittern verriet, dass die Jagd für sie weniger vertraut war als für ihre Freundin. „Ich werde Eurem Urteil folgen. Ihr habt mehr Erfahrung, und ich vertraue auf Euer Wissen.“
Ein Lächeln huschte über Praianes Gesicht. Es war eine feine Geste des Wohlwollens, aber auch des Stolzes, dass die Baronin ihr Vertrauen in sie setzte. Sie warf ihr einen prüfenden Blick zu.
„Ich werde dicht bei Euch bleiben, Baronin“, versicherte sie. „Wir werden zusammen jagen, und wenn der Moment kommt, führe ich Euch sicher durch die kritischen Situationen.“
Cariana atmete tief durch und nickte erneut.
„Ich schätze das, Signora. Es beruhigt mich, Euch an meiner Seite zu wissen.“
Die beiden Frauen teilten einen Moment des gegenseitigen Respekts. Trotz des Rangunterschieds verband sie eine alte Freundschaft, aus der Zeit bevor Cavalliera Cariana von Salicum-Selzin zur Baronin Cariana von Selzin-Garlischgrötz wurde. Sie wusste, dass sie sich auf Praiane verlassen konnte, und Praiane wusste, dass die Baronin sie respektierte.
Doch dann, als sie sich bereit machten, das Zelt zu verlassen, fiel Praiane etwas auf. In einer Ecke des Zeltes lag eine kleine, lederne Tasche, die halb verdeckt unter einem Haufen von Decken verborgen war. Ihr scharfer Blick registrierte sie sofort, und ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen. Es war eine Jagdtasche, die sie nicht kannte und die offensichtlich nicht der Baronin gehörte.
„Was ist das?“, fragte Praiane, ihre Stimme ruhig, aber wachsam. Sie trat einen Schritt näher an die Tasche heran, während Cariana überrascht die Augenbrauen hochzog.
„Diese Tasche?“, fragte die Baronin verwirrt. „Ich habe sie noch nie gesehen ... Sie gehört nicht mir.“
Praiane kniete sich hin und öffnete die Tasche vorsichtig. Ihre Finger berührten mehrere kleine Fläschchen, fein säuberlich verpackte Seile und ein ungewöhnlich aussehendes Messer. Es war kein gewöhnliches Jagdwerkzeug – das erkannte sie sofort.
Plötzlich wurde ihr klar, dass dies nicht nur eine harmlose Jagdausrüstung war, sondern Utensilien zur Sabotage anderer Jagdteilnehmer. Die Fläschchen enthielten mysteriösen Flüssigkeiten, vielleicht sogar gefährliche Substanzen, und das Messer mit einer gezackten Sägeklinge war nicht für die Jagd gedacht. Ihre Augen blitzten auf, als sie Cariana ansah.
„Diese Tasche ...“, begann Praiane und ihre Stimme klang nun wesentlich ernster, „ist kein Teil Eurer persönlichen Ausrüstung. Und sie gehört auch keinem der Eurer Jäger. Sie wurde hier platziert, und ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes.“
Cariana war erbleicht.
„Meint Ihr ...“, flüsterte sie, „jemand will mir etwas anhängen?“
„Es scheint so“, unterbrach Praiane, ihre Stimme ruhig, aber entschlossen. „Doch keine Sorge, Baronin. Ich kümmere mich darum. Aber wir müssen ab jetzt äußerst vorsichtig sein.“
Ein plötzliches Geräusch von draußen ließ beide Frauen aufhorchen. Schritte näherten sich dem Zelt. Praiane erhob sich schnell und stand schützend vor Cariana, ihre Hand an ihrem Dolch.
Doch herein kam nur Praianes Knappe Ralman von Streitebeck und blickte etwas überrascht auf seine kampfbereite Schwertmutter.
„Ich wollte nicht stören. Wirklich! Entschuldigt, Signoras.“ Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich schnell wieder aus dem Zelt.
Der erste Tag der Kaiserjagd hatte begonnen – doch die Jagd würde anders verlaufen als gedacht. Die Gefahr war nun nicht nur im Wald zu finden, sondern möglicherweise auch unter den Menschen, die sie umgaben.