Briefspiel:Kaiserjagd/Die Horas-Halle
Die Horas-Halle
1. Firun 1046 BF, am späten Vormittag, Aldyra
Autor: Gonfaloniere
Adilron lief vor der verschlossenen Tür auf und ab. Bisweilen erwischte er dabei einen der ansonsten zu Wachsfiguren erstarrten Gardisten Selindes, wie er ihn missmutig musterte. Die fortwährende Anwesenheit des Großsiegelbewahrers vor der prächtigsten Halle Aldyramons nötigte die Wachen möglicherweise dazu noch strammer zu stehen als sonst.
‚Ein gerechtes Los‘, befand Adilron in Gedanken, dafür dass man ihn hier wieder einmal warten ließ. Wozu war er der wichtigste Politiker des Reiches, wozu stand er der Verwaltung der Krone vor, wenn er sich beim Horas scheinbar wie jeder Bittsteller anstellen musste? ‚Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht‘, relativierte er seinen Ärger umgehend selbst. Nichtsdestotrotz war er als wohl bedeutendster Mann im Staate – unter dem Horas und neben dem Fürsten nur – in Vinsalt einfach anderes gewohnt. In der Hauptstadt eilten ihm die Gardisten und Lakaien voraus, um seine Ankunft anzukündigen, nicht um um Erlaubnis zu fragen.
„Der Kaiser meditiert“, war hier wie auch sonst im Sangreal hingegen eine der häufigsten banalen Feststellungen, die ihm dessen Wachen entgegen warfen, bevor sie ihn warten ließen. „Er wünscht nicht gestört zu werden“, fügten sie manchmal noch an. Dabei nahte die geplante Eröffnung der Jagd durch die Firun-Geweihte Lemiral. Und Adilron gedachte dem Kaiser davor noch seinen Bericht zu geben, von den Vorgängen auf dem Marktplatz vor wenigen Stunden. Seinen eigenen Bericht, nicht den des Geheimsiegelbewahrers. Zuviel stand auf dem Spiel, da war er sich sicher.
Ein Knarzen der Tür ließ ihn sofort herumfahren. ‚Endlich‘, schoß es ihm in den Kopf. Es waren jedoch nicht die Gardisten, die die schweren Türflügel öffneten, sondern jemand aus dem Inneren der Halle, der einen davon langsam aufschob. Unwirkliches, grün schimmerndes Licht quoll durch den langsam breiter werdenden Schlitz. Dann trat eine fast zerbrechlich wirkende Dame aus dem dahinter liegenden Raum: Myryan Tharedion, die Falconiera des Kaisers. ‚Natürlich‘, dachte Adilron. Wie oft hatte er sie schon zu scheinbar intimster Stunde an der Seite ihres Monarchen gesehen? Zu oft, als dass es ihn noch überraschen konnte.
Sie lächelte ihn unschuldig an, als sie ihn vor der Tür stehend erkannte, und hielt für einen Augenblick inne. Dann räusperte sie sich und verkündete: „Er wird Euch gleich zur Verfügung stehen, Comto.“
Adilron lächelte zurück, doch war es kein aufrichtiges oder dankbares Lächeln, eher ein genervtes. Er ließ sie passieren und erhaschte sodann von der Türe aus, die zu durchqueren ihm weiterhin nicht gestattet war, zumindest einen Blick auf den Horas. Der saß auf einem Kissen mit verschränkten Beinen im ihn umstrahlenden Licht. Die Horas-Halle der Feste Aldyramon entfaltete zu dieser mittäglichen Stunde ihren ganzen Glanz. Das Farbenspiel der getünchten Glasfenster ließ geradezu vergessen, dass man sich hier im Herzen einer der wehrhaftesten Burgen des Lieblichen Feldes befand. Wüsste er es nicht besser, hätte Adilron schwören können, durch ein Feenportal direkt in einen Zauberwald zu blicken. Mit dem sich auf seine Weise auf die Jagd vorbereitenden Kaiser in der Mitte …
Autor: Savinya Romeroza
Tschling, tsching, tsching, kling pling … Unüberhörbar ‘schlich’ sich das neueste Mitglied des horaskaiserlichen Hofes an. Mit dem Gebaren einer Einbrecherin, übertrieben vorsichtigen Schritten, schnellem Hin-und-her-schauen, ob man erspäht würde, schob sich die Holfschelmin um die Ecke, dabei klingelten dutzende an der Kleidung angebrachte Glöckchen fröhlich ihre ganz eigene Melodie. Die Stirn gekraust vor Konzentration, die Zunge zwischen die Zähne geklemmt, schaute sie auf und … vergaß sofort ihr momentanes Projekt.
Sie hüpfte in etwas, das vermutlich ein Knicks sein sollte, machte große Augen und raunte: “Lieber groooßer Siegelbewahrer, was schaut ihr denn so verdrießlich? Gleich geht es los zur großen Jagd. Ich habe Schleichen geübt und finde, ich bin schon wirklich gut geworden. Sicherlich hat Euch mein Auftauchen überrascht! Was jagen wir eigentlich, wisst Ihr das? Die Eitelkeit des Herzogs von Grangor? Die guten Manieren des Grafen von Bomed? Die Perücke des Barons zum Yaquirbruch vielleicht? Entschuldigt, aber diese weiße Wallemähne kann einfach nicht echt sein … Wenn dem so wäre, wäre das eigentlich Hochverrat? Oder ist das Tragen von Perücken zulässig, wenn es korrigiert, was sonst keiner sehen will? Wisst Ihr was wir jagen sollten? Dem Comto Seneschall sollten wir endlich den Almanach abjagen, damit er mich da eintragen kann …”
So sprudelten die Anzüglichkeiten und gesellschaftlichen Übertritte aus Horasiellas Munde wie das frische Wasser aus der Yaquirquelle …
Autor: Gonfaloniere
‘Die hat mir jetzt gerade noch gefehlt’, dachte Adilron, bevor er sich mit deutlich gequältem Lächeln zur Närrin wandte. Den ‘Knicks’ bedachte er mit einem nur vordergründig wohlwollenden Nicken und ließ danach die hanebüchenen Ausführungen Horasiellas erstmal über sich ergehen. Bei der Vorstellung, dass Erlan Sirensteen der letzte unerkannte Perückenträger des Horasreichs war, ging immerhin ein Zucken durch seine Mundwinkel und ließ so ein Schmunzeln erahnen.
“Was denn, Horasiellchen”, unterbrach er schließlich das Gesprudel seines Gegenübers, “hat der Seneschall euer Wappen immer noch nicht in den Almanach aufgenommen?”
Der Comto Großsiegelbewahrer setzte dabei einen übertrieben entsetzten Gesichtsausdruck auf.
“Natürlich muss er dafür gejagt werden, der Unhold! Vielleicht wollt ihr dabei die Vorhut bilden? Ihn ausspähen, ihr wisst schon …”
Der häufig durch seine aufrechte, fast steife Körperhaltung auffallende Adilron beugte sich zur Närrin vor und wies ihr mit der ausgestreckten Hand eine Richtung, so als würde er dort den Sohn des Grafen vom Sikram vermuten und sie dort seine Fährte aufnehmen können.