Briefspiel:Kaiserjagd/Bosparanische Träume I
Bosparanische Träume I
In der Nacht vom 30. Hesinde auf den 1. Firun 1046 BF, Vinsalt
Autoren: Amarinto, Gerberstädter, VivionaYaPirras
Die luxuriöse Kutsche der Familie dil Cordori rumpelte über das Kopfsteinpflaster des nächtlichen Alt-Bosparan. Die Strassen waren erstaunlich belebt, dieser Teil der Stadt schien offenbar nie zu schlafen. Bei den Insassen der Kutsche machten sich langsam der Alkohol und die Eindrücke des Abends bemerkbar.
Orleane ya Pirras jedoch verspürte eine ungeahnte Energie, ein Feuer, welches in ihrer Brust brannte und sich den Weg auch in tiefere Regionen des Körpers bahnte, und sie ertappte sich selbst, wie sie immer wieder von den physischen Merkmalen ihrer Begleiter gefangen wurde. Die vollen, süssen Lippen der Baronessa Ollantur, die wundervollen grünen Augen des Barons, die starken Arme Dareius Amarintos, die verführerischen Wölbungen der Brüste Cariana Amarintos unter ihrem Kleid und sogar die weiblichen Hüften von Amalia Gerber. Die Baronessa beobachtete ihre suchenden Augen und Orleane glaubte zu sehen, wie sie sich lasziv die Lippen leckte, einen Moment später war sie jedoch schon nicht mehr sicher, ob sie es sich nur eingebildet hatte.
Der Baron dil Cordori war vertieft in ein Gespräch mit Amalia und lauschte aufmerksam ihren Erzählungen über ihre Heimatstadt Efferdas.
Auch Orleane versuchte den Worten Amalias zu folgen, damit sie sich auf etwas anderes konzentrierte. Es fiel ihr schwer einen klaren Gedanken zu fassen und mit einem Mal spürte sie, dass sie ihre Hand auf die von Dareius gelegt hatte. Sie zog diese so unauffällig wie möglich zurück und suchte seinen Blick, aber er war zu sehr in ein Gespräch mit der Baronessa vertieft. Ein kurzes Gefühl der Enttäuschung machte ihr Herz schwer. Dann blickte sie in die Augen von Cariana. Die gleichen Augen wie die ihres Bruders Dareius, dachte sie. Trauriger, aber genauso faszinierend. Man sah auch ein Stück Unsicherheit darin. Cariana spürte ihren Blick und Orleanes Lippen verformten sich zu einem aufmunternden Lächeln.
“Geht es euch nicht gut, Signora Orleane oder seid ihr nur gespannt auf das, was uns erwartet?”
Cariana zog eine Augenbraue fragend nach oben und nahm einen weiteren Schluck von diesem köstlichen Rotwein, den der Baron in seiner Kutsche auszuschenken pflegte. Sie fühlte sich voller Energie und spürte ihr warmes Blut durch ihre Adern pumpen. Zum ersten Mal seit langem war sie auf eine angenehme Art aufgeregt, der Ball, das Tanzen und die Getränke hatten ihre Lebensgeister offenbar kräftig belebt. Als sie das Lachen Orleans erblickte, ertappte sie sich bei dem Gedanken daran, dass die Medica eine attraktive Frau war, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, einer feinen Mundpartie und grünblauen Augen wie das Siebenwindige Meer. Sie verharrte einen Moment, das Glas mit dem Wein vor ihr Gesicht haltend, und der Gedanke verschwand wie eine Nebelschwade.
Mit Mühe konnte sich Orleane von den Augen Carianas losreißen.
“Es ist alles in Ordnung, Cavalliera. Und ja, auch ich bin sehr gespannt darauf, was uns an unserem Ziel erwartet. Und es freut mich zu sehen, das auch ihr in gespannter Erwartung seid.”
Sie dachte kurz über Carianas Stimmung während des Tanzes nach und war wirklich froh, dass sich diese merklich gebessert hatte. Sie wirkte auch nicht mehr so angespannt. Im Gegenteil. Ohne ihre Rüstung kam ihr muskulöser Körper in ihrem Kleid sehr gut zur Geltung. Ob diese starken Arme und kräftigen Hände auch zärtlich sein konnten? Ein Kribbeln raste durch ihren Körper und sie vermochte sanfte Berührungen auf ihrem Körper zu spüren. Sehnsuchtsvoll blickte sie zu Dareius.
Der Baron reichte Amalia Gerber ihr Kristallglas zurück, nachdem er es mit diesem köstlichen Wein nachgefüllt hatte. Sie fühlte sich beschwingt und revitalisiert, die frische Luft und das Abenteuer, das auf sie in Alt-Bosparan wartete, verursachten ein angenehmes Kribbeln in ihrem Bauch.
“Auf Euch, Signora.”
Er lächelte, mit einem lüsternen Funkeln im Augenwinkel. Amalia war jedoch gebannt von seinem betörenden Geruch. Er duftete wie der Garten eines Rahja-Tempels. Wie aus dem Nichts schlug sie der Gedanke, wie es wohl wäre, wenn sie sein Seidenhemd aufreißen und diesen betörenden Duft in sich aufsaugen könnte.
Dareius Amarinto genoss den Moment, als der Wein seine Kehle hinunter floss. Er fühlte sich großartig, was für ein Abend! Er spürte sein Herz, wie es rhythmisch, Stoss für Stoss sein Blut durch die Adern pumpte und sah der Baronessa dabei tief in die rehbraunen Augen.
“Aber Großmutter, warum habt ihr denn so große Augen?”, zitierte sie kindlich lächelnd ein altes garetisches Märchen, welches Dareius aus seiner Kindheit kannte. Er fühlte sich wie der Wolf in dem Märchen, der sich als Großmutter verkleidet hatte, um dem Mädchen aufzulauern.
Er schnaubte daher wie ein hungriger Wolf und antwortete: “Damit ich dich besser sehen kann.”
Dabei entblößte er seine Zähne in einem wölfischen Lächeln, welches die Baronessa mit einem zarten Kichern beantwortete.
Kurz spürte er eine Berührung an der Hand, aber als er dorthin blickte, sah er dort nichts. Dann spürte er die zarte Hand der Baronessa, wie sie sein Gesicht sanft wieder in ihre Richtung drehte.
Dann ergriff sie seine Hand und sagte mit gespielter Überraschung: “Aber Großmutter, warum habt ihr denn so große Hände?”
Ihre Berührung entfachte ein Feuer, welches durch seinen Körper brannte und sein Innerstes wie ein Leuchtfeuer entzündete. Er konnte seinen Blick nicht mehr von ihren elfengleichen Zügen, ihre prallen, roten, an reife, süße Kirschen anmutenden Lippen und ihrem schwanenhaft eleganten Hals abwenden.
Ohne nachzudenken antwortete er: “Damit ich dich besser packen kann.”
Mit einem zufriedenen Lächeln zog sie ihn zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: “Wenn ihr mich fressen wollt, oh großer böser Wolf, werdet ihr Euch aber noch ein wenig mehr anstrengen müssen.”
Sie lachte und lehnte sich wieder zurück in ihren Sitz, wo sie genussvoll an ihrem Glas nippte, während Dareius versuchte, die überbordende Energie in seinem Körper zu bändigen.
Langsam wandte sich Orleane zu Dareius.
“Achtet lieber darauf, Euch bei diesem Happen nicht zu verschlucken, Cavalliere. Manchmal sind die Augen größer als der Magen. Oder der Happen ist schwer zu verdauen.”
Damit wandte sie sich von ihm ab.
Dareius sah, dass Orleane sich an ihn gewandt hatte und etwas sagte, aber er konnte die Worte nicht vernehmen. Das Blut rauschte in seinen Ohren und vernebelte seine Sinne. Als er jedoch in ihre grünblauen Augen blickte, die Stirn darüber leicht in Falten gelegt, drängten sich ihm die Bilder der gemeinsamen Nacht zurück ins Bewusstsein und das Feuer in ihm loderte abermals auf. Eine Stimme in ihm forderte ihn unverhohlen auf, dem Drängen nachzugeben und ihr das Kleid hier und jetzt vom Leib zu reißen, um seine Hände an ihre wohlgeformten Brüste zu legen.
Zu Beginn war die Stimme tief, wie die eines kräftigen Mannes, aber verwandelte sich zusehends in das süße Flüstern der Baronessa: “Das kleine Räblein will gefressen werden und neckt deshalb den Wolf. Mach es ihr nicht so einfach, der Wolf ist der Jäger und bestimmt, wann er die Beute reißt. Zeig ihr, wer Jäger und Beute ist! LOS!”
Er verspürte den unwiderstehlichen Drang, Orleane für diese Rollenumkehr zu züchtigen. Langsam hob er seine rechte Hand. Die Stimme in seinem Kopf ließ jedoch nach und mehr und mehr Erinnerungen an die romantischen Begegnungen der beiden sprudelten in sein Bewusstsein, das Feuer kühlte ab und mit einer letzten Willensanstrengung legte er nur seinen Finger auf ihre Lippen und zwang sich zu einem verkrampften Lächeln. In dem Moment erschien das Gesicht seiner Schwester in seinem Blickfeld und sah ihn mit belustigtem Blick an.
“Bruderherz, du scheinst alt zu werden. Es sieht aus, als ob dir der Wein jetzt schon zu Kopf steigt.”
Amalia kam sich vor wie eine rollige Katze.
Egal welche Person, die mit ihr in der Kutsche saß, sie ansah, innerhalb eines Wimpernschlages hatte sie äußerst rahjagefällige Gedanken, was sie mit ihr oder ihm jetzt am liebsten tun würde.
Deswegen plauderte sie von den unterschiedlichsten und zum Teil belanglosesten Begebenheiten, von geschichtlich oder architektonisch interessanten Bauwerken ihrer Heimatstadt und sogar von der letzten Delphinocco-Saison, Hauptsache reden. Einfach Reden um den Kopf frei von den frivolsten Gedanken ihres bisherigen Lebens zu halten.
Die kurze Pause, in der der Baron ihr das Glas abnahm, um es wieder mit diesem ausgesprochen guten Wein zu befüllen, hatte fast ausgereicht ihm das teure Hemd vom Leib zu reißen. Ein plötzliches Wackeln der Kutsche riss sie aus ihren Gedanken und die Wortfetzen “Magen … Happen … verdauen” ließen sie ihre Aufmerksamkeit auf die Dottora richten. Ihr war durchaus bewusst, dass es mehr als unhöflich war, den Toast ihres Gastgebers nicht zu erwidern, aber mehr fürchtete sie, was sie tun würde, wenn sie ihm jetzt direkt wieder in die Augen blicken würde. Stattdessen blickte sie nun in Orleanes herrliche Augen. Ehe sie sich versah, war ihre Hand auf dem Weg sanft eine verirrte, schwarze Locke aus dem makellosen Gesicht der Efferdierin zu streichen. Und sie hatte den starken Drang nicht nur über ihre Wange zu streichen, nein sie wollte mit ihren Fingern den schlanken Hals, die Schulter, die wohlgeformte Brust … einfach ihren ganzen, wundervollen Körper erkunden.
Aus dem Augenwinkeln nahm Orleane eine Bewegung wahr und sie sah Amalia Gerber, die kurz ihre Hand nach ihr ausstreckte, aber in der Bewegung verharrte und sie wieder zurückzog. Orleane wurde misstrauisch. Das Verhalten ihrer Mitreisenden und auch ihres waren mehr als merkwürdig, fast schon wie in einer Art Rausch oder Benebelung als Folgen irgendwelcher Substanzen. Dann erschien auf einmal das Gesicht der Baronessa in ihrem Blickfeld. Oder war es in ihren Gedanken. Dalia Ollantur lächelte, und es wirkte, als ob ihr im Klaren war, was hier vorging. Genauso schnell wie es erschien, war das Gesicht der Baronessa auch wieder verschwunden und zurück blieb ein ungutes Gefühl.
Abrupt kam die Kutsche zu einem Halt. Sie stand vor einer typischen Mietskaserne Alt-Bosparans. Der Kutscher, die Leibwächterin des Barons, eine rothaarige, von unzähligen kleinen Fechtnarben übersäte Vinsalter Schwertgesellin, und Dareius’ Leibwächter Arion Amarinto stiegen vom Kutschbock, öffneten die Türen der Kutsche und halfen den Fahrgästen beim Aussteigen.
Baron Mathesio deutete mit vorfreudigem Grinsen auf einen unscheinbaren Kellerabgang, an dessen Ende sich eine schwere beschlagene Holztür mit vergittertem Sichtfenster befand. Er stellte sich vor die Türe und klopfte, während der Rest der Feiergesellschaft ihm folgte.
Eine Klappe wurde zur Seite geschoben und ein schwarzhaariges, bärtiges und schmieriges Gesicht erschien hinter dem Gitter. Ohne etwas zu sagen, wurde die Klappe schon nach wenigen Sekunden wieder verschlossen und die Tür öffnete sich. Der Baron war offenbar ein bekannter Gast in diesem Etablissement.
Der Mann hinter der Tür lächelte und entblößte dabei mehrere Goldzähne. Als er sprach, lispelte er ein wenig oder hatte einen seltsamen Akzent: “Oh, eine Ehre Euch begrüßen zu dürfen, Dominus. Der ‘Tempel’ ist bereits für Euer Kommen vorbereitet.” Er betonte das Wort ‘Tempel’ auf eine Weise, die deutlich machte, dass es sich nicht um einen Tempel im Sinne der Zwölfe handeln konnte.
Der bärtige Mann mit den Goldzähnen begrüßte alle Gäste persönlich mit ausgesuchter Höflichkeit.
Orleane ya Pirras, die hinter Dareius und dessen Leibwächter Arion ging, fühlte sich zumindest etwas nüchterner, die frische Nachtluft tat ihren Sinnen gut. Als der Bärtige Arion Amarinto begrüßte, bekam sie für einen kurzen Moment das Gefühl, so etwas wie Vertrautheit in den Augen des Mannes zu kennen. Er begrüßte den blonden Krieger jedoch, als ob sie sich noch nie begegnet wären.