Briefspiel:Kaiserjagd/Sternenglanz im Sonnenschein
Sternenglanz im Sonnenschein
1. Firun 1046 BF morgens, Aldyramon
Autor: Gonfaloniere
Das geschäftige Treiben des Gesindes hallte an diesem Morgen schon lange durch die Korridore, Treppen und Höfe Aldyramons, der Stammfeste des Hauses Firdayon. Die Vorbereitungen für den anstehenden Tag waren bereits in der Morgendämmerung in vollem Gang. An sich glich die ganze Burg einem wimmelnden Bienenstock, weil überall Bedienstete damit beschäftigt waren, den Tagesanbruch der vielen hohen Herrschaften vorzubereiten.
Eine von ihnen, die Tochter des Marchese von den Goldfelsen, schien darauf nicht warten zu wollen. Die hochgewachsene Frau kämmte sich gerade noch einmal selbst durch die langen, braunen Haare. Ihre Kleidung saß bereits perfekt: die enganliegende Hose und hohen Lederstiefel, die bestickte Bluse aus feinstem Belhanker Linnen, das Schnürmieder und nicht zuletzt der an diesem ersten Firunmorgen mehr als nötige Überwurf. Comtessa Vanossa bereitete sich nicht auf einen Ball vor, soviel war sicher, eher auf einen ihrer kurzen Ausritte, die sie beschwingt in den Tag starten ließen.
Vorher hatte sie sich aber noch etwas anderes vorgenommen – und dafür bereits am Vortag um ein Gemach im der Stadt zugewandten Ostteil der Burg gebeten – sie wollte den Sonnenaufgang über den Goldfelsen, ihrem dereinstigen Lehen, sehen. Um den nicht zu verpassen, legte sie ihr letztes Accessoir, die ihr vererbte Halskette mit dem großen hellgrünen Topas, zunächst zur Seite, und riss, da der Schimmer des Morgenrots sich bereits in ihrem Zimmer ausbreitete, endlich das Fenster weit auf.
Es war ein kühler Morgen, der vor ihr lag. Als sie ausatmete, entstand eine kleine Nebelschwade vor ihrem Mund. Dieser Eindruck verblasste jedoch vor der überwältigenden Schönheit der soeben über den fernen Gipfeln der Goldfelsen aufgehenden Praiosscheibe. Für genau dieses Bild hatte sich das frühe Aufstehen bereits gelohnt, befand die Comtessa, die ihren Blick erstmal schweifen ließ. Unter ihr lag die Stadt Aldyra, dahinter die nebelverhangenen Altanquirauen. Linkerhand strömte der mächtige Yaquir durch eine weite Flussschleife, an deren Ende, keine drei Meilen entfernt, bereits Illstan, die Nachbarstadt Aldyras, auszumachen war. Rechts unterhalb des Hügels, auf dem Aldyramon sich erhob, sich südlich an die Stadtmauern anschließend breitete sich dagegen an diesem Morgen das große Zeltlager aus, in dem viele der weder in der Burg noch in Herbergen in der Stadt untergekommenen Vertreter des einfachen, des Niederadels genächtigt hatten. Oder es noch taten, da auch hier das geschäftige Treiben des Gesindes noch längst nicht seinen Höhepunkt erreicht hatte.
Vanossa sog alle diese Eindrücke in sich auf. Wer weiß, wann je wieder eine Versammlung des Adels des Reiches wie zu dieser Kaiserjagd, jedenfalls hier in Aldyra, zusammenkommen würde? Diese Momente waren so vergänglich wie die sich soeben an den Sonnenaufgang anschließende „Goldene Stunde“, die alles in ein geradezu magisch schönes Licht tauchte. Um davon auch auf dem Pferderücken noch etwas mitzubekommen, drehte sich Vanossa nun jedoch wieder um, ging zur Kommode zurück, auf der sie Kamm und Kette zurückgelassen hatte. Als sie gerade nach letzterer greifen wollte, strich ein sich immer weiter ins Gästegemach vorarbeitender Sonnenstrahl erst über ihre Hand und dann den großen, grün-schimmernden Topas aus der Trigon-Mine sowie den darauf als feinstes Goldschmiedewerk angebrachten sechsstrahligen Stern, der dem Emblem ihres Hauses nachempfunden war.
„Stellatus“, flüsterte die Comtessa ehrfürchtig, die Devise der della Tegalliani rezitierend, mit einem Lächeln auf den Lippen und voller Vorfreude auf den anbrechenden Tag.